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Der außenpolitische Experte der CDU/CSU-Fraktion, Roderich Kiesewetter, warnt davor, die Diskussion über die deutsche Außenpolitik auf Einsätze der Bundeswehr zu verengen: "Wir sind ein wesentlicher Truppensteller und verlässlicher Partner in der EU, in der Nato und auch in den Vereinten Nationen. Sicherheitspolitisches Engagement betrifft aber nicht nur militärische Einsätze, sondern ein viel weiteres Spektrum", sagt Kiesewetter in einem am Montag, 17. Februar 2014, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Deutschland sei weltweit zivil engagiert – etwa bei der Entwicklungszusammenarbeit. Der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss plädiert für eine grundsätzliche Debatte, in der man sich über Interessen, Aufgaben, Instrumente und regionale Schwerpunkte der deutschen Außenpolitik verständigt. Das Interview im Worlaut:
Herr Kiesewetter, der Bundestag hat 13. Februar der Entsendung von bis zu 3.300 Soldaten nach Afghanistan und nochmals von bis zu 250 Soldaten für die Ausbildungsmission in Mali zugestimmt. Was ist dran an dem Vorwurf, Deutschland engagiere sich sicherheitspolitisch zu wenig?
Wir sind ein wesentlicher Truppensteller und verlässlicher Partner in der EU, in der Nato und auch in den Vereinten Nationen. Sicherheitspolitisches Engagement betrifft aber nicht nur militärische Einsätze, sondern ein viel weiteres Spektrum. Wir sollten hier das deutsche Engagement gegenüber der Bevölkerung und unseren Partnern umfassender erklären. Dazu gehört zum Beispiel der Hinweis, wie stark wir weltweit zivil engagiert sind – etwa im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Was Militäreinsätze angeht: Solche Einsätze sind keine Lösung, wenn sie nicht eingebettet sind in ein zivilmilitärisches Gesamtkonzept. Wir sind bereit, im Ernstfall militärisch zu unterstützen, aber dazu gehören ein klares Einstiegs- und ein klares Ausstiegsszenario, also deutliche formulierte Ziele und auch eine Strategie, für den Fall, dass solch ein Einsatz scheitert.
Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen haben eine aktivere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik gefordert.Bedeutet das, dass wir uns auf mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr einstellen müssen, insbesondere auf mehr Kampfeinsätze?
Die Diskussion nach diesen Reden erscheint mir zu stark auf das Militärische fokussiert. Ich glaube, es geht erst mal darum, dass wir uns grundsätzlich über unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen verständigen sollten. Sicherlich gehört Stabilität zu unseren Interessen, gute Nachbarschaft und im weiteren Sinne auch freie Handelswege. Die zweite Frage ist: Welche Aufgaben wollen und können wir erfüllen und welche Instrumente setzten wir dafür ein? Dazu gehört die Entwicklungszusammenarbeit bei Fragen des Zugangs zu Nahrung, Bildung, Gesundheit, sauberem Wasser und Energie. Dazu kommen drittens die Instrumente der zivilen Krisenprävention, der Rüstungskontrolle, der Konfliktbewältigung. Auch freier Handel kann zu Entwicklung und Stabilität beitragen. All dies sind zivile Instrumente, mit denen wir Interessen wahrnehmen können. In bestimmten Fällen können sie eine militärische Absicherung benötigen, zu der wir dann auch bereit sein müssen. Zudem müssen wir uns darüber klar werden, in welchen Regionen wir uns engagieren. Über diese vier Punkte – Interessen, Aufgaben, Instrumente und Regionen – müssen wir sprechen. Eine stringente außenpolitische Strategie macht es auch einfacher, für ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der EU zu werben. Das bringt uns dann auch nicht in die Verlegenheit, fallweise Partner zu unterstützen, die bereits vorangegangen sind.
Wie sehr steckt der deutschen Außenpolitik eigentlich noch die Enthaltung beim Libyen-Einsatz 2011 in den Knochen? Haben die neuen außenpolitischen Töne auch mit dieser Entscheidung zu tun?
Das glaube ich nicht. Aber die Libyen-Entscheidung hat zu einem heilsamen Prozess geführt, etwa zu der Einsicht, dass wir uns noch enger mit unseren Bündnispartnern über das Vorgehen abstimmen. Da komme ich wieder zu dem Vierklang aus Interessen, Aufgaben, Instrumenten und Regionen. Man mag zur Libyen-Entscheidung stehen wie man will. Eines hat sie aber gezeigt: Wir konnten damals weder dem Ausland noch der eigenen Bevölkerung vermitteln, dass wir uns zunächst nicht mit dem Luftaufklärungssystem AWACS in Afghanistan beteiligen wollten und drei Monate später, nachdem wir gesagt haben, dass wir uns bei Libyen heraushalten, wie aus heiterem Himmel dann doch dafür bereit waren. Hätten wir eine klar formulierte Strategie gehabt, wäre uns das nicht passiert.
Was bedeutet eine stärkere sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa konkret für den Parlamentsvorbehalt des Bundestages bei Bundeswehreinsätzen?
Zunächst einmal: Noch nie ist ein Auslandseinsatz am deutschen Parlament gescheitert. Der Frage, wie sich die parlamentarischen Kontrollrechte bei fortschreitender Bündnisintegration sichern lassen, wird sich jetzt eine Kommission widmen, die Handlungsoptionen formulieren soll. Wichtig ist etwa, dass deutsche Soldaten in internationalen Stäben, etwa im Nato-Hauptquartier in Brüssel, grundsätzlich mandatiert sind. Es muss klar sein, dass deutsche Soldaten und Diplomaten bei den Planungen von Einsätzen mitwirken können. Auch so können wir deutsche Interessen wahrnehmen und auch mal den Finger heben, wenn bestimmte Entwicklungen nicht in unserem Sinne sind.
Welche Bedeutung hat Afrika für Europa und weshalb rückt der Kontinent gerade jetzt verstärkt ins Blickfeld?
Das hat unterschiedliche Ursachen. Europa wird grundsätzlich mehr Verantwortung in Afrika zu übernehmen haben, weil die USA sich stärker auf den pazifischen Raum konzentrieren. In Libyen etwa sind nach dem Regimewechsel die Außengrenzen unsicherer geworden, ganze Waffenarsenale sind nicht unter staatlicher Kontrolle, der Süden des Landes ist zum Rückzugsraum für Terroristen geworden, die in Mali, im Tschad und im Niger agieren. Als nördlichem Nachbarn Afrikas liegt es in unserem europäischen Interesse, dass wir dort mit Regierungen zusammenarbeiten, die die innere und äußere Sicherheit ihres Landes ernst nehmen. Es ist klar, dass sich diese Probleme nicht militärisch lösen lassen. Es muss um Instrumente der Krisenprävention, um Transformationspartnerschaften gehen. Im nördlichen Afrika sind rund 17 Millionen Menschen auf der Flucht. Wir wollen, dass sie Bildungs- und Lebensperspektiven in ihren Ländern haben. Dort gilt es zu investieren, bei kleinen und mittleren Unternehmen und in Bildung, damit die Menschen ihre Perspektive nicht allein im Überqueren des Mittelmeeres sehen. Eine Massenflucht nach Europa löst keine Probleme vor Ort, und sie würde neue Probleme bei uns schaffen.
Welche Lehren lassen sich aus dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan für mögliche künftige Einsätze ziehen?
Wir haben in Afghanistan viel zu spät auf das regionale Umfeld, etwa auf die Nachbarn Pakistan oder Iran, geachtet. Wir waren viel zu sehr fokussiert auf kleinteilige Betrachtungen in den Einsatzregionen. Eine andere Lehre ist, sehr früh einen solchen Einsatz zu evaluieren und ihn im laufenden Prozess zu verbessern, vor allen Dingen auch die Bündnisleistung der Partner über das ganze Land hinweg besser zu koordinieren. Anfangs hieß es bei uns in Deutschland, die Bundeswehr sei im friedlichen Norden Afghanistans eingesetzt, sei für den friedlichen Wiederaufbau verantwortlich, tue also eigentlich das, was Entwicklungshelfer auch tun könnten. Das war aus meiner Sicht falsch. Gefehlt haben in Afghanistan ein ziviles Wiederaufbaukonzept und auch Organisationen, die bereit waren, diese Aufgaben zu übernehmen.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages spricht mit Blick auf die Bundeswehrreform von der Grenze der Belastbarkeit. Kann die Truppe weitere Einsätze verkraften?
Die Bundeswehr ist, was den Willen, was die Disziplin und die Fähigkeit angeht, trotz Verkleinerung nicht an der Belastungsgrenze. Bei der Ausstattung und der Ausbildung für den Einsatz und auch bei der Fürsorge nach dem Einsatz können wir sicher noch Einiges zu verbessern. Man muss dabei bedenken, dass die Bundeswehr sich im größten Reformprozess ihrer Geschichte befindet, der erst 2017 abgeschlossen sein wird. Es ist sehr zu begrüßen, dass die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Fragen wie die Vereinbarkeit von Familie und Dienst und die hohe Dienstzeitbelastung in den Mittelpunkt stellen will.
(ahe/17.02.2014)