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Vor zehn Jahren, am 1. Januar 2005, traten die Hartz-Reformen in Kraft. Anlass genug für die Fraktion Die Linke, einen Antrag (18/3549) vorzulegen, der einmal mehr ihre Kritik vor allem an Hartz IV untermauert und fordert, per Gesetzentwurf eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro netto im Monat einzuführen und dadurch die bisherige Grundsicherung für Arbeitssuchende abzuschaffen. Mit diesem Antrag befasste sich der Bundestag am Freitag, 19. Dezember 2014, in erster Lesung.
Katja Kipping, die Parteivorsitzende der Linken, betonte, nach zehn Jahren sei es Zeit für eine kritische Bilanz: „Hartz IV ist ein System, das Arbeitslose diszipliniert und bestraft. Die Verweildauer hat sich seit seiner Einführung deutlich verlängert. Jeder Zweite bleibt länger als vier Jahre im Hartz-IV-System. Von schneller Vermittlung in Arbeit kann also keine Rede sein.“
Kipping kritisierte den zu niedrigen Regelsatz, der eine gesellschaftliche Teilhabe unmöglich mache und Armut erzeuge. „Die Ideologie dahinter ist: Der Einzelne ist selbst schuld an seiner Situation.“ Ausdruck dafür sei ein Sanktionssystem, das die Würde der Menschen missachte, beklagte Kipping. „Es ist höchste Zeit für einen sozialpolitischen Neustart“, forderte sie.
Prof. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) warf der Linken vor, in ihrem Antrag ein verzerrtes Bild zu entwerfen. „Die Wirklichkeit ist jedoch: Die Arbeitsmarktreformen waren erfolgreich, die Massenarbeitslosigkeit ist vorbei, noch nie hatten so viele Menschen eine Arbeit wie heute.“ Dennoch mussten und müssen einige „Stellschrauben“ nachgebessert werden, gab Zimmer zu und nannte unter anderem die Instrumentenreform und den Missbrauch von Zeitarbeit und Werkverträgen.
Er verteidigte aber die Sanktionsmechanismen, weil der Staat für seine Unterstützungsleistungen auch eine Gegenleistung erwarten könne. Außerdem seien die Sanktionen auch ein Signal an die Arbeitnehmer, dass mit ihren Steuergeldern verantwortungsbewusst umgangen werde. Eine sanktionsfreie Mindestsicherung sei dagegen falsch und verderblich, weil sie den Gegensatz zwischen Arbeit und Fürsorgeleistungen auflöse, betonte Zimmer.
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) stellte klar, seine Fraktion wolle Hartz IV nicht grundsätzlich abschaffen, aber jedoch grundlegend reformieren. Hartz IV habe nicht alles schlechter gemacht, denn die verdeckte Armut sei gesunken. „Es ist aber auch nicht alles gut, denn Armut und Existenzängste sind gestiegen“, sagte Strengmann-Kuhn. Einen Regelsatz von 500 Euro hält er für „problematisch“ weil er den Anreiz für Arbeit senke.
Andererseits sei der derzeitige Regelsatz „deutlich zu niedrig“ und reiche für eine soziokulturelle Teilhabe nicht aus. Die Grünen fordern deshalb, das System zu vereinfachen, vor allem für die Betroffenen. Auch müssten eigene Aktivitäten stärker belohnt werden, denn es könne nicht sein, dass viele Menschen aus der Niedriglohnfalle nicht herauskommen. Darüber hinaus müsse das Ziel der Existenzsicherung wieder in den Vordergrund rücken und ihre Vermischung mit der Arbeitsmarktpolitik aufgelöst werden, forderte Strengmann-Kuhn.
Dr. Martin Rosemann (SPD) verteidigte die Arbeitsmarktreformen als „im Grundsatz richtig und notwendig“. Sie seien die Konsequenz daraus gewesen, dass die Sockelarbeitslosigkeit immer weiter gestiegen ist. „Genau das haben wir damit beendet“, sagte Rosemann und verwies darauf, dass kein Land die Finanzkrise so gut überstanden habe wie Deutschland. Nur durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe hätten sehr viele Menschen überhaupt Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen bekommen.
Als Fehler bezeichnete es Rosemann jedoch, nicht damals schon einen gesetzlichen Mindestlohn als Auffanggrenze eingeführt und bei der Leiharbeit Ausnahmen vom Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit im gleichen Betrieb“ zugelassen zu haben. Diese Fehler habe man aber korrigiert, sagte Rosemann. (che/19.12.2014)