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Im September 2009 beging das Parlament ein Jubiläum: Vor 60 Jahren trat die Volksvertretung in der provisorischen Hauptstadt Bonn zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Anlass für einen Rückblick auf 16 Wahlperioden, auf Meilensteine, Wendemarken, Personen und Entscheidungen. In der elften Folge geht es um die Wahlperiode von 1987 bis 1990.
Während sich Bonn in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auf ein dauerhaftes Provisorium einstellt, ereignen sich in der Welt die ersten politischen Umwälzungen mit noch ungeahnten Folgen für Deutschland. Die schwarz-gelbe Koalition regiert seit 1982, Helmut Kohl ist im März 1987 vom Deutschen Bundestag zum dritten Mal seit dem Machtwechsel im Oktober 1982 zum Kanzler gewählt worden.
Die Nachricht von der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 erreicht das Parlament mitten in einer Plenarsitzung. Von nun an wird der Weg zur deutschen Einheit die Arbeit des elften Bundestages prägen. Die Abgeordneten verabschieden die notwendigen Gesetzesänderungen und Verträge mit der DDR.
Die Wahlperiode, die mit dem Beschluss über den Bau eines neuen Plenarsaals in Bonn begonnen hat, endet in einem vereinten Deutschland mit einem Bundestag, dem 144 von der Volkskammer der DDR gewählte Mitglieder angehören.
Die Wahl zum elften Deutschen Bundestag am 25. Januar 1987 bestätigt die Koalition aus CDU/CSU und FDP unter Kanzler Kohl. Sein Herausforderer Johannes Rau (SPD) bleibt nach der Wahl Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.
Wie in der zehnten Wahlperiode ziehen vier Parteien in den Bundestag ein. Dabei gewinnen die kleinen Parteien Stimmen hinzu, die großen verlieren Anteile: Die FDP steigert ihren Stimmenanteil von sieben auf 9,1 Prozent, die Grünen von 5,6 auf 8,3 Prozent.
Die CDU erreicht 44,3 (1983: 48,8) Prozent, bleibt aber stärkste Fraktion, die SPD verliert 1,2 Prozent und kommt auf 37 Prozent. Insgesamt ziehen 497 Abgeordnete und 22 Berliner Volksvertreter in den Bundestag ein. Nur gut ein Zehntel von ihnen istjünger als 40 Jahre.
Der Bundestag beschließt am 5. Juni 1987 den Abriss des alten Plenarsaals und einen Neubau. Als die Mauer in Berlin fällt, hat der Bund auch die Mittel für den so genannten Schürmann-Bau, die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland und das Haus der Geschichte in Bonn freigegeben.
Der neue Plenarsaal wird ein heller, transparenter und repräsentativer Parlamentsbau, dessen kreisrunde Sitzanordnung umstritten ist. Regierung und Bundesratsvertreter sitzen nicht mehr erhöht, sondern reihen sich in den Kreis der Abgeordneten ein - ein Symbol für die Legitimation der Regierung durch das Parlament.
Der Plenarsaal hat aber den Nachteil, in der "falschen" Stadt zu stehen: Ein Jahr, bevor der nach seinem Architekten benannte "Behnisch-Bau" fertig wird, entscheidet sich der Bundestag am 20. Juni 1991 für den Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin.
Noch nie gab es so viele Enquete-Kommissionen wie in der elften Legislaturperiode. In fünf dieser Gremien befassen sich die Parlamentarier mit den drängenden Fragen der Zeit, unter anderem dem Schutz der Erdatmosphäre und der Bildungspolitik der Zukunft.
In der Zeit bis zum Mauerfall steht auch eine Parlamentsreform auf der Agenda der Abgeordneten. Die Arbeitsweise und die Arbeitsbedingungen des Parlamentes sollen verbessert und öffentlichkeitswirksamer werden.
Erstmals wird eine Befragung der Bundesregierung abgehalten. In dieser Wahlperiode finden schließlich auch die bis dahin meisten Aktuellen Stunden (126) statt. Außergewöhnlich hoch und nur von der zweiten Wahlperiode übertroffen ist die Zahl der namentlichen Abstimmungen (162).
Wechsel im höchsten parlamentarischen Amt: Aufgrund einer umstrittenen Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht muss Bundestagspräsident Philipp Jenninger (CDU) 1988 zurücktreten.
Seine Nachfolgerin wird Prof. Dr. Rita Süssmuth, die - als erste Abgeordnete der Union - dieses Amt fast zehn Jahre bekleidet.
Der Deutsche Bundestag und die im März 1990 erstmals frei gewählte Volkskammer sind sich bewusst, dass der Prozess der Wiedervereinigung eines besonderen parlamentarischen Gremiums bedarf. Sowohl Bundestag als auch Volkskammer bilden deshalb einen Ausschuss Deutsche Einheit.
Der Vorsitz in beiden Ausschüssen liegt in den Händen der Parlamentspräsidentinnen. Die beiden Ausschüsse sind mit allen grundlegenden, die Einheit Deutschlands betreffenden Fragen befasst und kommen dreimal zu gemeinsamen Sitzungen zusammen.
Am 21. Juni 1990 verabschieden Bundestag und Volkskammer den Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sowie eine gleichlautende Resolution zur endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.
Ein einmaliges Ereignis: Ein Staat löst sich friedlich und demokratisch selbst auf. Die Volkskammer beschließt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zum 3. Oktober 1990. In einer Sondersitzung in der Nacht vom 22. auf den 23. August stimmen 294 Abgeordnete für den Beitritt, 62 votieren dagegen. Es gibt sieben Enthaltungen.
Mit dem gleichfalls im August verabschiedeten Gesetz zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages wird eine einheitliche Rechtsgrundlage für die erste freie gesamtdeutsche Wahl nach 1932 geschaffen.
Zwischen August und Dezember 1990 schließen sich die Parteien aus Ost und West zusammen. Im Oktober 1990 wandeln sich die Landesverbände der Linken Liste/PDS zu westdeutschen Landesverbänden der PDS um. Die drei liberalen Parteien der DDR und die FDP der Bundesrepublik schließen sich auf einem Vereinigungsparteitag in Hannover am 11./12.August zu einer Partei zusammen.
Auch die beiden sozialdemokratischen Parteien vereinigen sich am 27. September 1990 zur gesamtdeutschen SPD. Kurz vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik schließen sich am 1. Oktober 1990 in Hamburg die CDU-Verbände aus dem noch geteilten Deutschland zur gesamtdeutschen CDU zusammen.
Einen Tag nach der Bundestagwahl vom 2. Dezember 1990 vereinigen sich auch die ostdeutschen Grünen mit ihrer westdeutschen Schwesterpartei. 1993 entsteht der Zusammenschluss Bündnis90/Die Grünen.
Am 20. September 1990 stimmen beide Parlamente dem rund 900 Seiten starken Einigungsvertrag, der den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990 regelt, zu: Die Abgeordneten der Volkskammer stimmen mit 299 von 380 Stimmen für den Vertrag, die des Bundestags mit 440 Ja-, bei 47 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen.
Voraussetzung für den Einigungsvertrag ist der Abschluss des "Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" (Zwei-plus-Vier-Vertrag) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR einerseits sowie zwischen Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion andererseits.
In diesem Vertrag verzichten die vier Siegermächte auf ihre Vorbehaltsrechte gegenüber Deutschland, sodass das vereinte Deutschland seine volle Souveränität erhält. Der Vertrag, mit dem zugleich die Grenzen des wiedervereinigten Deutschland endgültig festgeschrieben werden, wird am 12. September 1990 unterzeichnet.
Zehn Artikel regeln äußere Aspekte der Wiedervereinigung Deutschlands: Neben der Grenzfrage auch die Fragen der Bündniszugehörigkeit, Truppenstärke und des Verzichts auf ABC-Waffen. Als letzter Vertragspartner wird am 3. März 1991 die Sowjetunion den Vertrag ratifizieren.
Da die Vier Mächte sich darauf verständigt haben, ihre restlichen Vorbehaltsrechte, die erst nach Inkrafttreten des Zwei-Plus-Vier-Vertrages erlöschen, ab dem 3. Oktober 1990 zu suspendieren, verfügt die Bundesrepublik von diesem Tag an über die volle Souveränität.
Schon am 4. Oktober konstituiert sich der erste gesamtdeutsche Bundestag im Berliner Reichstagsgebäude. Ingesamt 663 Abgeordnete, 519 Mitglieder des alten Bundestages und 144 von der Volkskammer der DDR gewählte Mitglieder, kommen zur ersten Sitzung des ersten gesamtdeutschen Bundestages zusammen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen nimmt der gesamtdeutsche Bundestag am 5. Oktober den Zwei-Plus-Vier-Vertrag an.