Plenarprotokoll 18/58 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 58. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 21: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 Drucksache 18/2665 5363 A Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer 5363 C Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 5365 D Mark Hauptmann (CDU/CSU) 5367 A Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5368 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5369 B Wolfgang Tiefensee (SPD) 5370 C Roland Claus (DIE LINKE) 5371 C Peter Stein (CDU/CSU) 5372 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5374 C Daniela Kolbe (SPD) 5375 D Jana Schimke (CDU/CSU) 5376 D Sabine Poschmann (SPD) 5378 C Kai Wegner (CDU/CSU) 5379 B Arnold Vaatz (CDU/CSU) 5380 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5381 D Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) Drucksache 18/2710 5383 A b) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Katja Dörner, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kooperationsverbot kippen – Zusammenarbeit von Bund und Ländern für bessere Bildung und Wissenschaft ermöglichen Drucksache 18/2747 5383 B Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 5383 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5384 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 5386 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) 5388 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5390 A Albert Rupprecht (CDU/CSU) 5391 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) 5393 B Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 5394 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5395 D Patricia Lips (CDU/CSU) 5396 D René Röspel (SPD) 5398 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5399 C Tankred Schipanski (CDU/CSU) 5400 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 5401 B Oliver Kaczmarek (SPD) 5402 D Albert Rupprecht (CDU/CSU) 5403 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) 5404 B Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) 5404 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5405 D Tagesordnungspunkt 23: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite Drucksache 18/2741 5406 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Begrenzung und Vereinheitlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Begrenzung von Dispositions- und Überziehungszinsen Drucksachen 18/807, 18/1342, 18/2777 5406 D Caren Lay (DIE LINKE) 5407 A Mechthild Heil (CDU/CSU) 5408 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5410 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 5411 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 5412 B Dennis Rohde (SPD) 5413 A Dr. Carsten Sieling (SPD) 5413 D Tagesordnungspunkt 24: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Europa – Vorreiter im Kampf gegen die Todesstrafe Drucksache 18/2738 5414 D b) Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Todesstrafe weltweit ächten Drucksache 18/2740 5414 D Frank Schwabe (SPD) 5415 A Annette Groth (DIE LINKE) 5416 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 5417 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5418 D Gabriela Heinrich (SPD) 5420 A Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 5420 D Tagesordnungspunkt 25: Vereinbarte Debatte: Weltmädchentag – Bildung und Gesundheit von Mädchen als Voraussetzung für Entwicklung 5422 A Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 5422 B Annette Groth (DIE LINKE) 5423 D Michaela Engelmeier (SPD) 5424 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5426 A Martin Patzelt (CDU/CSU) 5426 D Ursula Schulte (SPD) 5428 B Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Anja Hajduk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fördermitteltransparenz erhöhen Drucksachen 18/980, 18/1676 5429 D Andrea Wicklein (SPD) 5430 A Thomas Lutze (DIE LINKE) 5431 A Mark Hauptmann (CDU/CSU) 5432 A Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 5433 B Thomas Jurk (SPD) 5434 C Hansjörg Durz (CDU/CSU) 5435 D Nächste Sitzung 5437 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 5439 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5440 A Inhaltsverzeichnis 58. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Es gibt keine Änderungen der Tagesordnung oder andere aufregende amtliche Mitteilungen, sodass wir ohne jeden weiteren Verzug in unsere vereinbarte Tagesordnung eintreten können. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 Drucksache 18/2665 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsauschuss Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu gibt es offenkundig Einvernehmen. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit steht in diesem Jahr ganz im Zeichen der friedlichen Revolution in der DDR. Er würdigt die Verdienste der Bürgerrechtler und Demonstranten, die sich mutig gegen Diktatur und staatliche Willkür erhoben haben. Sie haben den Grundstein für Freiheit und Demokratie in Ostdeutschland gelegt und die Einheit unseres Landes überhaupt erst möglich gemacht. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben die Mauer eingerissen. Ich weiß, wir sprechen häufig vom Fall der Mauer. Aber diese Mauer ist nicht von alleine umgefallen – im Gegenteil. Viele Menschen haben erfahren müssen, wie brutal und unüberwindlich diese Mauer gewesen ist. Nicht wenige von denen, die versucht haben, sie zu überwinden, sind im Stacheldraht verblutet. Das alles dürfen wir niemals vergessen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir dürfen auch niemals vergessen, wie unglaublich viel wir den Demokratie- und Freiheitsbewegungen im Ostblock zu verdanken haben: in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in Polen. Viel zu verdanken haben wir einzelnen Menschen wie Michail Gorbatschow, dem ich von hier aus gute Besserung wünsche. Ich habe heute Morgen gelesen, dass er im Krankenhaus liegt. Ich denke an Willy Brandt, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Aber ihre Freiheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben sich die Ostdeutschen selber erkämpft, mit einer Revolution, bei der kein einziger Schuss gefallen ist und die wir deshalb voller Stolz als friedliche Revolution bezeichnen dürfen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass es so friedlich bleiben würde, war damals keineswegs abzusehen. Es gehörte vor 25 Jahren Mut dazu, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, in Leipzig und anderen Städten der DDR. Ich kenne keinen, der damals keine Angst gehabt hätte. Denn die Bilder der brutalen Gewalt auf dem Platz des Himmlischen Friedens im fernen Peking liefen in dieser Zeit quasi als Dauerschleife im DDR-Fernsehen. Man darf nicht vergessen, dass Stasi-Vizechef Mittig am 26. September 1989 die Chefs der MfS-Bezirksverwaltungen zusammenrief und forderte, die „feindlich-oppositionellen Zusammenschlüsse“ mit dem Ziel der Zerschlagung „operativ zu bearbeiten“. Ich erinnere auch daran, dass Verteidigungsminister Keßler zum 40. Jahrestag der DDR vorsorglich die NVA für den Einsatz in Ostberlin in Stellung brachte, auf Grundlage eines Honecker-Befehls „zur Verhinderung von Provokationen unterschiedlicher Art“ . Die Angst war da. Sie war ganz real. Aber wir haben sie überwunden. Dieser Mut und die Leidenschaft der friedlichen Revolutionäre werden in diesem Bericht gewürdigt, und es wird das Leben der ganz großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in der DDR gewürdigt, die ganz einfach versucht hat, ein anständiges Leben zu führen. Wolfgang Thierse hat in diesem Zusammenhang einmal vom richtigen Leben im falschen System gesprochen. Das war ein Leben voller Widersprüche. Wir haben gewusst, dass in der Disko die Stasi immer mittanzt. Aber wir sind trotzdem gerne tanzen gegangen. Es gibt die schönen Geschichten vom Stolz auf die bestandene Prüfung, vom Kribbeln im Bauch beim ersten Kuss, von der ersten Fahrt im eigenen Auto, vom Gartenhaus, in dem man zumindest weitestgehend seine Ruhe hatte vor diesem alles wissen wollenden Staat. Aber ich will keine Ostalgie. Ich will, dass auch die anderen, die schlimmen Geschichten erzählt werden, die Geschichten vom kleinen und großen Verrat, von Demütigung und Verfolgung, von Knast und Zwangsarbeit, vom Verlust geliebter Menschen durch Ausbürgerung und Flucht und schlimmstenfalls durch den Tod. All diese Geschichten, die schönen und die hässlichen, machen die irrsinnigen Widersprüche dieser DDR-Gesellschaft deutlich. Aus all dem und noch viel mehr hat unser Leben bestanden. Roland Jahn hat völlig recht mit seiner Feststellung, dass niemand „nur Rebell oder nur Angepasster“ war. Das gilt es zu begreifen, und das gilt es zu respektieren. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Angesichts dessen empfinde ich die aktuelle Debatte darüber, ob die DDR nun ein Unrechtsstaat war oder nicht, schlicht und ergreifend als banal. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Was ist das?) Im Grunde ist es doch ganz einfach: Die DDR war eine Diktatur, übrigens eine ziemlich üble und spießige Diktatur. Eine Diktatur ist nun einmal ein Unrechtsstaat. Das gehört zu ihrem Wesen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Linke hat vergessen, zu klatschen!) Aber das sagt nur etwas über das System aus. Es sagt wenig bis nichts über die Menschen, die in diesem System gelebt haben. Deshalb finde ich, dass uns solche Debatten nicht weiterbringen. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Viel wichtiger ist es, die Erinnerung zu bewahren und die Opfer dieses Systems angemessen zu würdigen. Deshalb ist es mir so wichtig, dass die Bundesregierung gerade beschlossen hat, die Opferrenten zu erhöhen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wir sind als Ostdeutsche und als Westdeutsche mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen in die Einheit gegangen. Den Ostdeutschen hat das mehr abverlangt als den Westdeutschen. Das hat etwas mit dem zu tun, was wir heute als Transformation beschreiben. Während die Westdeutschen ihr vertrautes Leben weiterführen konnten, brach über die Ostdeutschen nach 1990 eine totale Veränderung so gut wie aller Lebensbereiche herein: ein vollständig neues Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftssystem, eine neue Verwaltung, Bildungsabschlüsse, um deren Anerkennung man sich kümmern und teilweise kämpfen musste, Alteigentümer, die Ansprüche geltend machten. Es kamen die Treuhand und eine Phase der Deindustrialisierung, der Massenarbeitslosigkeit und einer massiven Abwanderung. Ich kann und will das alles hier nicht aufzählen. Tatsache ist, dass wir Ostdeutschen in den vergangenen fast 25 Jahren eine unglaubliche Anpassungsleistung hinter uns gebracht haben. Für mich als Abgeordnete mit einem schönen Büro im Deutschen Bundestag war das relativ leicht. Andere hatten und haben es da schwerer. Viele haben ihre Arbeit verloren und nie wieder eine vernünftige und anständig bezahlte Arbeit gefunden. Wiederum andere haben versucht, sich eine eigene Existenz aufzubauen, und sind dabei zum Teil entsetzlich gescheitert. Es gibt kaum einen Ostdeutschen, der so etwas nicht aus der eigenen Familie oder aus dem Freundes- und -Bekanntenkreis kennt. Manchmal wird mit einem sehr verächtlichen Unterton von den Verlierern der Einheit gesprochen. Ich finde das nicht nur dumm, sondern schändlich. Auch sie gehören zu dieser Geschichte der deutschen Einheit. Auch ihr Beitrag zählt. Sie haben zumindest Anspruch auf unseren Respekt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, in meinen Augen ist die Geschichte der deutschen Einheit keine reine Erfolgsgeschichte. Trotzdem sage ich, dass ich sehr stolz auf das bin, was wir Ostdeutschen in den letzten 25 Jahren erreicht haben: ein mittlerweile wirklich gut ausgebautes Verkehrsnetz, die Beseitigung der verheerenden Umweltschäden, sanierte und liebevoll restaurierte Innenstädte, eine verbesserte Wohn- und Lebensqualität sowie eine moderne, mittelständisch geprägte Industrie- und Forschungslandschaft. Hinzu kommen Universitäten, deren Ruf so gut ist, dass immer mehr junge Menschen aus dem Westen dort studieren wollen. Ohne die große Solidarität des Westens hätten wir das nie geschafft. Diese Solidarität wird geradezu entwertet von all den Erbsenzählern, die uns immer wieder vorrechnen, wie viele Milliarden, Billionen oder Fantastilliarden Euro bis jetzt schon im sogenannten Milliardengrab Aufbau Ost verschwunden sind. Ich sage Ihnen hier sehr offen: Der Aufbau Ost ist noch längst nicht abgeschlossen. Auch nach 24 Jahren gibt es immer noch deutliche Unterschiede: eine Wirtschaftskraft, die gerade mal zwei Drittel von der des Westens beträgt, ein viel geringeres Steueraufkommen der Länder und Kommunen sowie Löhne und Gehälter, die im Durchschnitt 20 Prozent unter denen im Westen liegen. Sie wissen, meine Damen und Herren, in manchen Branchen haben wir eine Angleichung von 97 Prozent erreicht, in anderen Branchen aber liegen wir bei 45 Prozent Unterschied. Hier wird eine ganz große Disparität deutlich. Wir haben eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit und einen wirtschaftlichen Aufholprozess, der sich so sehr abgeschwächt hat, dass die Pessimisten behaupten könnten, er sei zum Stillstand gekommen. Wir werden noch eine ganze Weile brauchen, um diese Unterschiede zu beseitigen. Beim Rentenrecht aber ist es anders; denn wir werden das in Ost und West noch immer unterschiedliche Rentensystem in dieser Legislaturperiode endlich angleichen, damit es in dieser Frage ab 2019 keine Unterschiede mehr gibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das steht aber nicht in Ihrem Koalitionsvertrag!) Meine Damen und Herren, alle Wirtschaftsdaten besagen, dass der Osten auch über das Jahr 2019 und damit über das Ende des Solidarpaktes hinaus eine verlässliche Förderung braucht. Wenn diese nicht kommt, wenn wir eine Verlängerung nicht hinkriegen, würgen wir den Motor ab, der gerade erst richtig ins Laufen kommt. Dann waren alle bisherigen Anstrengungen für die Katz. Ich bin deshalb wirklich froh darüber, dass unsere Bundeskanzlerin, unser Vizekanzler, unser Bundesfinanzminister und unsere Bundesfamilienministerin dazu klare Ansagen gemacht haben. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir halten am Auftrag des Grundgesetzes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse fest. Das gilt natürlich auch für die strukturschwachen westdeutschen Regionen. Auch sie brauchen eine solche verlässliche Förderung. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist deshalb wirklich keine Übertreibung, wenn ich feststelle: Die Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs, die sich diese Koalition vorgenommen hat, ist eine echte Schicksalsfrage nicht nur für Ostdeutschland, sondern für unser ganzes Land. (Beifall der Abg. Petra Crone [SPD]) Ich bin mir sicher, dass wir diese Aufgabe gemeinsam meistern werden, weil wir alle wissen, worum es geht. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben auf dem Weg zur inneren Einheit große Fortschritte gemacht. Das Ziel erreicht haben wir noch nicht. Aus meiner Sicht liegt das daran, dass dieser Weg nur über gegenseitigen Respekt und gegenseitige Anerkennung beschritten werden kann. Das klingt so leicht und fällt doch vielen offenbar recht schwer. Die jungen Leute machen es uns vor mit ihrem unverkrampften Umgang miteinander. Ich finde, auch das ist in diesem Jahr ein guter Grund zum Feiern. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dietmar Bartsch ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Gleicke, das ist der erste Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, den Sie vorstellen. Ich muss ganz klar sagen: Im Vergleich zu anderen Politikfeldern, zum Beispiel der Steuerpolitik oder den ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen, bei denen von dem, was die SPD als Opposition und im Wahlkampf gesagt hat, nichts übrig geblieben ist, ist es hier anders. Dieser Bericht trägt Ihre Handschrift. Er ist besser als der Ihrer Vorgänger. Dazu gehört auch nicht sehr viel, und das ist auch nicht Ihr Maßstab, hoffe ich, aber das muss ich und will ich klar anerkennen. (Heiterkeit bei der LINKEN) Es ist auch gut – das will ich deutlich sagen –, dass Sie in dem Bericht die 25 Jahre nach der friedlichen Revolution würdigen. Das ist vernünftig. Auch hier haben Sie es eben noch einmal getan. Ich kann mich vielem, was Sie gesagt haben, durchaus anschließen. Die DDR ist an ihren ökonomischen, an ihren politischen und an ihren demokratischen Defiziten gescheitert. Das ist unbestritten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist so, dass den Oppositionellen, allen, die friedlich protestiert haben, Dank und auch dauerhafte Anerkennung gebühren. Auch das will ich hier deutlich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ihr Mut war gut. Das hat selbstverständlich seinen Platz im Bericht zum Stand der Deutschen Einheit. Sie haben das umfangreich im Bericht und heute noch einmal dargestellt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Dass dieser Umbruch friedlich verlaufen ist, ist auch ein Verdienst der Sowjetunion. Auch die damaligen Eliten der DDR haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass es friedlich geblieben ist. In dem Vierteljahrhundert ist viel erreicht worden. Die Menschen in Ost und West, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine, Verbände und im Übrigen alle demokratischen Parteien haben an der Entwicklung mitgewirkt. Es gibt gute Gründe – auch das will ich betonen –, das Erreichte zu würdigen und auch zu feiern, wie Sie gesagt haben. Es gibt deutliche Zugewinne an Freiheit, an Lebensqualität, es ist auch bei der Modernisierung der In-frastruktur vieles erreicht worden. Es ist im Übrigen gut, wenn drei Viertel der ostdeutschen Bevölkerung sagen, die Wiedervereinigung sei insgesamt eher positiv zu beurteilen. Ich sehe das ganz genauso. Aber es ist schlichtweg falsch, wie Sie, die Bundesregierung, im Jahresbericht sagen, die Lebensqualität habe sich in den neuen und in den alten Ländern weitgehend angeglichen. Das ist nicht der Fall. Ich will auch sagen: In den 25 Jahren wäre natürlich viel mehr möglich gewesen. Es sind gravierende Fehler gemacht worden, zum Beispiel mit der Währungsunion, mit der Treuhand-Politik, aber vor allen Dingen dadurch, dass Sie die Möglichkeiten, die Ressourcen der Menschen aus den neuen Ländern viel zu wenig genutzt haben. Es war ideologische Borniertheit, die das verhindert hat, wodurch wir die Chancen, die darin gelegen haben, nicht realisiert haben. Das DIW fragt: Ist Westdeutschland tatsächlich in allen Aspekten das Ideal für Ostdeutschland gewesen? Natürlich nicht, ist meine Antwort. (Beifall bei der LINKEN) Mein Kollege Roland Claus hat immer gesagt: Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert. – Millionen Menschen im Osten haben nach der Wende Einzigartiges geleistet. Auch das will ich unterstreichen. Sie haben da schlicht recht. Aber ihre Transformationserfahrungen – Sie schreiben, diese könnten heute bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen notwendig sein – wurden zu wenig genutzt. Diese Feststellung im Jahresbericht ist zumindest bisher folgenlos geblieben. Ich will allerdings deutlich sagen – Sie haben das am Rande erwähnt –, dass der Osten bei den zentralen Wirtschaftsdaten weiterhin deutlich dem Westen hinterherhinkt. Das ist ein ganz großes Problem. Schauen wir uns die Arbeitslosenquote an. Die ostdeutschen Länder tauchen erst ab Platz 10 auf den letzten Plätzen auf, beim Bruttoinlandsprodukt sind es die letzten Plätze, auf denen die ostdeutschen Länder auftauchen, auch bei der Steuerkraft liegen die ostdeutschen Länder ganz hinten. Bei den verfügbaren Einkommen, was die Menschen am meisten interessiert, liegen die neuen Länder auf den letzten sechs Plätzen – und das 25 Jahre nach der deutschen Einheit. Wir haben jetzt dieselbe Reihenfolge wie vor 25 Jahren. Da ist doch etwas nicht in Ordnung. Das muss man weiterhin benennen. Da besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen Ihrem konkreten Regierungshandeln und dem, was Sie hier beschrieben haben. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben das Beispiel der Rente genannt. Dazu muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: 25 Jahre nach der deutschen Einheit beschließen Sie im Zusammenhang mit der Mütterrente, dass eine Mutter in Stuttgart für ihr Kind 2,22 Euro monatlich mehr bekommt als eine Mutter in Schwerin. Das ist völlig inakzeptabel. Frau Gleicke, da hätte ich mir von Ihnen gewünscht, dass Sie laut und deutlich sagen, dass Sie das nicht akzeptieren. Dass die Bundeskanzlerin das nicht macht – nun ja, aber da muss die ostdeutsche Interessenvertreterin deutlich sagen: 25 Jahre nach der deutschen Einheit wollen wir das nicht. Da gehört endlich Gleichheit hergestellt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der Überleitung der Bestandsrenten Ost ist ganz viel geleistet worden. Aber es bleiben aus unserer Sicht weiterhin Ungerechtigkeiten und Rechtswidrigkeiten, und die gehören abgeschafft. Das werden Sie von uns auch weiter hören. Jetzt noch etwas, das wirklich skandalös ist. Vor wenigen Tagen ist hier in Berlin am Leipziger Platz die „Mall of Berlin“ eröffnet worden. In einer Berliner Zeitung war zu lesen: Obwohl sie eine Stunde pro Woche länger arbeiten, erhalten die Angestellten – weil: Ost-berliner Einzelhandel – in den Läden der neuen Mall 5 Prozent weniger Urlaubs- und 10 Prozent weniger Weihnachtsgeld als ihre Kollegen am benachbarten Potsdamer Platz. – 100 Meter Entfernung, und da gibt es wirklich diese Unterschiede? Das ist 25 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit doch völlig inakzeptabel. Was können denn die Menschen dafür, die in 100 Meter Entfernung arbeiten? (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Da ist „gleicher Lohn und gleiche Rente für gleichwertige Arbeit“ 25 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht erreicht. Das können wir alle zusammen doch nicht gut finden. Das können wir doch nicht akzeptieren. Das muss weiter deutlich gesagt werden. Sie sagen: Das Bruttoinlandsprodukt ist der zentrale Maßstab. – Natürlich ist es der zentrale Maßstab. Wenn die Angleichung in den nächsten Jahren weiter so verläuft wie in den letzten 10 Jahren, werden wir erst in über 100 Jahren so weit sein, dass der Osten beim Bruttoinlandsprodukt das Westniveau erreicht hat. Das können wir allesamt doch nicht hinnehmen. Da muss doch etwas geschehen. Deswegen darf es kein Weiter-so geben. Es muss einen Aktionsplan der Bundesregierung geben, um zum Beispiel die Transformationserfahrungen der Ostdeutschen aufzunehmen. Was tun wir denn, um das zu verändern? Wir können doch diese Fakten nicht einfach hinnehmen. Das ist das Entscheidende. Deswegen müssen Sie bei den aktuellen Auseinandersetzungen kämpfen, zum Beispiel bei den Regionalmitteln. Da wird es doch so sein, dass der Osten hinten runterfällt. Deswegen müssen Sie beim Länderfinanzausgleich darum kämpfen, dass die Mittel für die neuen Länder nicht immer weniger werden. Ja, es ist viel erreicht worden, ja, wir können auch stolz sein, aber es darf kein Ausruhen geben, meine Damen und Herren! Die Menschen in den neuen Ländern – das kann ich hier klar und deutlich sagen – werden sich da auf das Engagement der Linken wirklich verlassen können. Wir werden das immer wieder aufrufen, bis wirklich gleichwertige Lebensverhältnisse, wie es im Grundgesetz heißt, erreicht sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt der Kollege Mark Hauptmann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Zum 25. Mal jährt sich der Fall der Mauer. Wir diskutieren den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 heute zwischen zwei historischen Terminen. Gestern, am 9. Oktober, vor 25 Jahren haben sich mutige Menschen in Leipzig ein Herz gefasst und mit Kerzen und Gebeten gegen eine Diktatur gekämpft. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden die Grenzübergänge zwischen Ost- und Westberlin geöffnet. Die Bilder von jubelnden Menschen am Brandenburger Tor gingen in jener Nacht um die Welt. Das Brandenburger Tor ist bis heute ein bedeutendes Symbol. Es wurde von einem Symbol der Teilung zu einem Symbol des Zusammenwachsens, und noch immer trägt dieses Symbol überall in der Welt. Nicht alle sind jedoch im Zeitalter des Zusammenwachsens angekommen. Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall wird der Versuch der Geschichts-verklärung unternommen. Historiker, Politiker, Wissenschaftler, alle sind sich in einem Punkt der Analyse einig: Ein Staat, in dem keine freien Wahlen stattfinden konnten, ein Staat, der die eigenen Bürger eingesperrt und diese bei der Suche nach Freiheit an der Mauer kaltblütig erschossen hat, ein Staat, der Kinder aus den Familien herausgerissen und in Kinderheime gesteckt hat, ein Staat, der politische Häftlinge gefoltert und eingesperrt hat, ein Staat, der alle Parteien gleichgeschaltet und seine Macht auf die Exekutive, Judikative und Legislative ausgedehnt hat, solch ein Staat war, ist und bleibt ein Unrechtsstaat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren, vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Äußerungen, die wir von den Linken gehört haben, geradezu Hohn und Spott und ein zynischer und billiger Versuch der Geschichtsumdeutung. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja!) Die Linke hat 2009 vor einem Gericht anerkannt, Rechtsnachfolgerin der SED zu sein, und trägt in vollem Umfang bis heute die Verantwortung für das Unrecht. (Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU] – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Mussten wir nicht anerkennen!) – Erstens. Wer schreit, hat unrecht. Bleiben Sie ruhig, Herr Bartsch! (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ich bin ruhig!) Zweitens. Sie tragen als Partei die Verantwortung für dieses Unrecht. Sie sind die Kinder der PDS, die Enkel der SED und damit der Unrechtsstaatspartei der DDR. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Kind der Blockpartei CDU!) Aus dieser Verantwortung entlassen wir Sie nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Weil wir gerade in meiner Thüringer Heimat eine Wahl erlebt haben, nach der es vielfältige Gespräche gibt, ist mein Appell an die Kollegen von den Grünen und von der SPD: Denken Sie an die Symbolik Ihres Handelns! (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) 25 Jahre nach der friedlichen Revolution mit den Stasis von gestern über Staatssekretärsposten von morgen zu verhandeln, ist ein Schlag ins Gesicht der Opferverbände und der Bürgerrechtler in diesem Land. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Opposition! Geht in die Opposition!) Der Jahrestag des Mauerfalls erinnert uns aber nicht nur an die Sehnsucht der Menschen nach politischer Gestaltungsfreiheit, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Noch billiger geht es nicht!) sondern auch an die einzigartige Aufbau- und Anpassungsleistung. Herr Bartsch hat eben das Glas als halbleer bezeichnet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Hauptmann, würden Sie zwischendurch eine Zwischenfrage der Kollegin Lazar gestatten? Mark Hauptmann (CDU/CSU): Gern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Frau Lazar. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Sie haben am Anfang Ihrer Rede den 9. Oktober in Leipzig angesprochen. Ich war damals bei den Montagsdemonstrationen dabei, und ich war auch gestern bei den Feierlichkeiten dabei. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir hatten aber gestern Plenarsitzung! – Lachen bei der CDU/CSU) – Ich habe leider den Grund für das Gelächter nicht vernommen, aber das interessiert mich jetzt auch nicht. Ich möchte nur diesen holzschnittartigen Bemerkungen etwas entgegensetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Einen wichtigen Anteil daran, dass es vor 25 Jahren in Leipzig friedlich geblieben ist, hatte der „Aufruf der Leipziger Sechs“. Von den sechs waren drei Bezirkssekretäre der SED in Leipzig. (Zuruf von der CDU/CSU: Ach!) Ich bin keine Befürworterin der ehemaligen SED und war damals, wie gesagt, auch mit auf der Straße. Ich verwahre mich aber dagegen, dass hier nach 25 Jahren so platt agiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch diese drei – damals SED-Funktionäre – haben einiges riskiert. Ich fand es zum Beispiel schade, dass sie gestern beim Festakt nicht dabei gewesen sind. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir hatten Plenarsitzung hier! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Sie müssen sich hier nicht moralisch empören. Ich war damals dabei, und Sie haben nicht das Recht, mich hier so zu verhöhnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es geht darum, dass einfach klargestellt wird: Es gab auch mutige Leute, die damals in Funktion bei der SED waren. Allein das möchte ich feststellen, und ich möchte, dass Sie und Ihre Kollegen von der Union das bitte zur Kenntnis nehmen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor der Kollege Hauptmann jetzt dazu Stellung nimmt, möchte ich in aller Ruhe darauf hinweisen, dass dann, wenn Mitglieder des Deutschen Bundestages an Plenarsitzungen desselben teilnehmen, – Mark Hauptmann (CDU/CSU): So ist es. Präsident Dr. Norbert Lammert: – kein weiterer Rechtfertigungsbedarf besteht, warum sie nicht an parallel stattfindenden Veranstaltungen teilnehmen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Herr Präsident, für diese Klarstellung. Ich bin kein Mitglied der Grünen. Sie kennen Ihre Geschichte besser, als ich sie kenne. Aber nach meinem Kenntnisstand der Geschichte der Bündnis-90-Bewegung weiß ich, dass sie aus einer Bürgerrechtsbewegung entstanden ist. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Natürlich! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Anders als die CDU!) Das haben Sie ja gerade auch zu Recht angesprochen. Gerade mit Blick auf die Geschichte dieser Bürgerrechtsbewegung ist es für mich und unsere Fraktion in keiner Weise verständlich, wie Sie heute mit den Akteuren verhandeln können, die Sie damals auf der Straße bekämpft haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Staatssekretärin Gleicke hat bereits angesprochen, dass im Jahresbericht die enorme Aufbau- und Anpassungsleistung der Menschen in Ostdeutschland gewürdigt wird. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich von 1999 bis heute im Osten des Landes fast verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit hat 2014 den niedrigsten Stand seit 1991 erreicht. In meiner Südthüringer Heimat beträgt die Arbeitslosigkeit rund 5 Prozent und liegt damit unterhalb des Bundesdurchschnitts. So viel zu den wirtschaftlichen Entwicklungen, Herr Bartsch. Trotzdem bleibt festzuhalten – auch das ist natürlich Teil der Wahrheit –, dass wir unser Ziel einer Angleichung beider Landesteile noch nicht erreicht haben. Je nach Region bleibt der Osten Deutschlands in seiner Wirtschaftskraft um bis zu 30 Prozent hinter den westdeutschen Gebieten zurück, obwohl es dort auch heute schon wirtschaftsstarke Regionen und wirtschaftsstarke Städte gibt, die Flächenländer, aber auch Städte im Westen der Republik deutlich überholt haben. Das Steueraufkommen pro Einwohner betrug 2013 im Osten rund 937 Euro, im Westen ungefähr das Doppelte. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist daher in den neuen Ländern immer auch Strukturpolitik. Aufgrund der geringen Zahl von Ansiedlungen von Großunternehmen ist die Wirtschaftsstruktur hier sehr kleinteilig. Förderinstrumente für kleine und mittelständische Betriebe sind von großer Bedeutung. Wir alle kennen Maßnahmen wie ZIM und wissen, welche Bedeutung diese haben. Wir sehen, dass der Anteil des Bereichs Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt der ostdeutschen Flächenländer mit 2,5 Prozent über dem Durchschnittswert der Europäischen Union liegt. Ausgezeichnete Forschung ist in der Zukunft aber auch auf gemeinnützige externe Industrieforschungseinrichtungen angewiesen. Wir als Bundesregierung und als Koalitionsfraktionen stehen hinter INNO-KOM-Ost und anderen externen Industrieforschungsprogrammen, mit denen wir dort eine Forschungslandschaft entwickeln wollen. Für eine positive Weichenstellung ist es jedoch auch vonnöten, dass wir für strukturschwächere Regionen gezielte Maßnahmen entwickeln, um diese Regionen voranbringen zu können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Passus im Koalitionsvertrag zum Sanierungsbonus für den ländlichen Raum. Dieser Sanierungsbonus eröffnet die Möglichkeit, in strukturschwachen Regionen energetisch optimierten und barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Das sorgt für Zuzug und gleichzeitig dafür, dass diese strukturschwachen Regionen auch in Zukunft wachsen, gedeihen und blühen können. Der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 macht die positiven Entwicklungen in den neuen Bundesländern und die Anpassungsleistung der ostdeutschen Bürger in den vergangenen 25 Jahren sehr deutlich. Es gilt, dies zu würdigen und die weiteren Anstrengungen von Bürgern und Unternehmen zu unterstützen. Wir sollten durch solche Programme wie den Sanierungsbonus dabei mithelfen, dass auch strukturschwache Regionen die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. Wir sollten über Maßnahmen nachdenken, die die Weiterführung des Solidarpaktes oder Förderungen zur Erhöhung von Innovationen und Investitionen auch in Zukunft ermöglichen. Dafür müssen wir Sorge tragen, damit dieser Transformationsprozess der neuen Bundesländer auch in der Zukunft fortgesetzt wird. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zehntausende Menschen hat der Wunsch nach Freiheit und Demokratie vor 25 Jahren auf die Straße gebracht. Am 9. Oktober 1989 hat es die SED-Führung nicht gewagt, die Massendemonstration in Leipzig gewaltsam aufzulösen. Gestern haben Zehntausende Menschen mit dem Lichtfest an den Tag der Entscheidung erinnert. Man darf nicht vergessen: Die friedliche Revolution ist in der deutschen Geschichte eine Ausnahme. Für uns ist der zentrale Impuls von 1989 die Selbstermächtigung der Bürger zum politischen Handeln. Der sich daraus ergebende Auftrag, mit aller Kraft für die Stärkung der politischen Mitbestimmungsrechte der Bürger gegenüber staatlichen Institutionen einzutreten, besteht für uns unverändert fort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundespräsident Joachim Gauck hat gestern in seiner Rede im Leipziger Gewandhaus zutreffend bemerkt, dass unsere Demokratie – ich zitiere – „ausgehöhlt werden und ausdörren kann, wenn die Bürger sie nicht mit Leben erfüllen.“ Die Bürgerdemokratie, wie sie 1989 erkämpft wurde, ist teilweise nur noch rudimentär entwickelt. Das muss sich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit, meine Damen und Herren, heißt mehr Demokratie. Die niedrige Wahlbeteiligung bei den zurückliegenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen mahnt, dass neue demokratische Impulse dringend gebraucht werden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) etwa durch einfachere Möglichkeiten der direkten Mitbestimmung der Bürger an politischen Entscheidungen. Denn es bereitet mir fast körperliche Schmerzen, wenn auf die Frage „Ist die Demokratie die beste Staatsform?“ in einer aktuellen Umfrage des Allensbacher Instituts im Auftrag von mehreren ostdeutschen Tageszeitungen im Osten nur 40 Prozent der Befragten mit Ja antworteten, hingegen 74 Prozent im Westen. Ich bin überzeugt, dass die weiteren Entwicklungschancen für die neuen Bundesländer nicht nur davon abhängen, wie stark Innovation, Forschung, Erfindergeist und mutiges Unternehmertum, sondern auch, wie sehr der Einsatz für gelebte Demokratie und eine aktive Bürgergesellschaft von uns allen unterstützt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung von Bürgern, Politik, Verwaltung und Unternehmen. Gefordert sind neue Rahmenbedingungen, die lokales Engagement befördern und nicht behindern, gerade in den Regionen außerhalb der urbanen Wachstumskerne in Ostdeutschland. Es geht um die Aktivierung von Eigenverantwortung und Gründungswillen. Das Problem ist schließlich nicht das Fehlen von Gründerförderung, sondern das Fehlen von Gründern, im ländlichen Raum insbesondere von Gründerinnen. Es muss gelingen, durch Unternehmensgründungen im Radius von Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen gut ausgebildete Fachkräfte in der Region zu halten und den Braindrain zu stoppen. Gerade die Fachhochschulen, die oft außerhalb der Zentren angesiedelt sind, müssen stärker Motor für die regionale Wirtschaftsentwicklung werden. Wir müssen neue Wege gehen, brauchen regional angepasste Konzepte und Lösungen nach dem Grundsatz: Bottom-up statt Top-down. Offensichtlich ist doch: Das bisherige Konzept einer linearen, nachholenden Modernisierung Ostdeutschlands ist gescheitert. Die wirtschaftliche Angleichung ist erlahmt. Damit das gelingt, müsste die ostdeutsche Wirtschaft stärker und schneller wachsen als die westdeutsche, was sie aber nicht tut. Nun hilft es auch wenig, regelmäßig die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft und das Fehlen von Konzernzentralen zu beklagen. Ebenso wenig hilft es aber auch, den bloßen Status quo zu beschreiben. Aber genau das ist das Problem des Berichts zum Stand der Deutschen Einheit. Er liefert keine neuen Erkenntnisse und setzt keine neuen Impulse; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von dieser Kritik will ich das erste Kapitel, das die Transformationsleistung der Ostdeutschen würdigt, ausnehmen. Trotz großer Erfolge in allen Bereichen haben wir auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution unverändert große Herausforderungen in Ostdeutschland. Deshalb ist aus unserer Sicht ein Routinebericht einfach zu wenig. Richtig ist der Ansatz, dass die Förderung nach Bedarfen und nicht mehr nach Himmelsrichtungen erfolgen muss. Die Förderprogramme für die ostdeutschen Bundesländer nach und nach in ein gesamtdeutsches System für strukturschwache Regionen zu überführen, ist richtig. Dazu drei Zahlen: Das Steueraufkommen der ostdeutschen Flächenländer lag im vergangenen Jahr bei 937 Euro pro Einwohner, in den westdeutschen Flächenländern allerdings bei 1 817 Euro. Zudem erreichen die kommunalen Steuereinnahmen in Ostdeutschland gerade einmal 58 Prozent des Westniveaus. Ich betone das so ausführlich und deutlich, weil die Wirtschafts- und Steuerkraft in den ostdeutschen Bundesländern bei den aktuellen Verhandlungen zur Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht einfach ausgeklammert werden darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Mit Fokus auf den demografischen Wandel heißt es oft, Ostdeutschland sei das Labor für wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse und nehme eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer Lösungen ein. Zweifelsohne: Der demografische Wandel stellt die neuen Bundesländer vor besondere Herausforderungen. Sie sind früher und fast flächendeckend betroffen. Wir brauchen daher eine Klärung, was die Sicherung der Daseinsvorsorge vor allem in strukturschwachen ländlichen Räumen in den Kommunen konkret heißt. Erforderlich wäre eine Diskussion um soziale, kulturelle und wirtschaftliche Mindeststandards und innovative Lösungen. Denn neue Ideen gibt es zahlreich, beispielsweise dazu, wie die Abwärtsspirale beim öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum gestoppt werden kann. Mit dem Kombibus zum Beispiel werden neben Personen auch Güter bewegt. Der Betrieb ist so wirtschaftlicher, zudem vernetzt der Kombibus die regionalen Wirtschaftsakteure miteinander. Da das Personenbeförderungsgesetz so etwas nicht vorsieht, konnte das Projekt nur mit einer Ausnahmegenehmigung starten. Wir brauchen eine Bundesregierung, die endlich erkennt, dass die Neugestaltung der Daseinsvorsorge mit dem Ziel „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht durch die Aneinanderreihung von geförderten Modellprojekten oder Pilotprojekten zu bewerkstelligen ist. Für den kommenden Bericht wünsche ich mir, Frau Staatssekretärin, dass darin Vorschläge enthalten sein werden, wie über einzelne Initiativen hinaus Lösungen für die Fläche entwickelt werden können. Ich hoffe, dass dazu von Ihnen Impulse kommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wolfgang Tiefensee ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Wolfgang Tiefensee (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich stehe ganz unter dem Eindruck des 9. Oktober 1989. Die 25-Jahr-Feiern, liebe Monika Lazar, haben uns wieder all die Ereignisse vor Augen geführt: eine Diktatur, eine ehern erscheinende Mauer, ein Regime, das nicht weichen will – alles das stürzt plötzlich zusammen. Ich finde es ermüdend, dass wir Jahr für Jahr über die Frage reden müssen, ob das nun ein Unrechtsstaat war oder nicht. Herr Bartsch, kann man nicht einfach mal sagen – und die Zeit hier nutzen –: „Es war ein Unrechtsstaat, wir bekennen uns dazu“? Die Transformationsleistung ist deshalb so hoch zu honorieren, weil zwei völlig unterschiedliche Systeme zu transformieren waren. Das ist das Hauptthema. Ich wünschte mir, dass Sie das endlich anerkennen und dass wir dieses Kapitel schließen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Eine Diktatur hat einen Kitt, der sie zusammenhält: Neben Repression ist das die Angst. Die Angst ist 1989 überwunden worden. Ich möchte heute in meiner Rede drei Aspekte in den Mittelpunkt stellen, die mir wichtig erscheinen, weil sie deutlich machen, was wir aus den Ereignissen des 9. Oktober bzw. aus dem Herbst 1989 mitnehmen können. Das Erste ist: Mut gegen Ohnmacht. Es gibt auch in einer Demokratie Ohnmacht. Bundespräsident Gauck hat gestern sehr schön gesagt: Es ist eine zum Teil selbst verschuldete Ohnmacht. – Lassen Sie uns den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder erklären, dass man in einem demokratischen System sein Schicksal, seine Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen muss. Das beginnt beim Engagement im Verein und endet damit, dass man zur Wahl geht. Es ist nicht akzeptabel, dass wir in Ostdeutschland und auch in Deutschland insgesamt eine solche Abstinenz bei Wahlen haben. Lassen Sie uns an die Bürgerinnen und Bürger appellieren: Seid nicht ohnmächtig, sondern engagiert euch! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Zweite, das aus dem 9. Oktober resultiert, ist die Frage: Solidarität oder Abgrenzung? Wir Ostdeutsche sind ohne viele Vorbedingungen Teil der Europäischen Union geworden. Westdeutschland und die Europäische Union haben uns mit namhaften Geldbeträgen unterstützt. Das hat uns die Chance gegeben, die eigenen Ärmel aufzukrempeln, um so weit zu kommen, wie wir jetzt sind. Interessant ist, dass die Ostdeutschen zum Teil mit verschränkten Armen und relativ herablassend auf die schauen, denen es schlechter geht. Erinnern wir uns, wie das noch vor 1989 am Balaton war, als man nicht ins Hotel kam und keinen Platz im Restaurant bekam, weil man nicht mit D-Mark zahlte. Jetzt plötzlich sind wir auf der Sonnenseite. Wir haben nicht zuletzt mit Blick auf die Vorläufer der friedlichen Revolution in der Tschechoslowakei, in Polen, in Ungarn und in der ehemaligen Sowjetunion die Verpflichtung, mit denjenigen solidarisch zu sein, denen es nicht so gut geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Bundeskanzlerin, wir brauchen einen Kurswechsel, vor allem auch einen Kurswechsel in der Mentalität; dabei meine ich dieses Von-oben-herab-Agieren, das uns oftmals zu eigen ist. Wir brauchen einen Aufbau Süd. Wir brauchen eine Solidarität, durch die wir die notwendigen Kräfte bündeln. Das muss auf Augenhöhe geschehen und nicht von oben herab. Das ist wichtig. Das Dritte, was ich sagen möchte, ist: Wir brauchen auch eine Solidarität denjenigen gegenüber, die außerhalb Europas leben. Wir erinnern uns daran, wie es war, als die Flüchtlinge nach Westdeutschland gekommen sind. Wir brauchen eine Willkommenskultur. Das ist die zentrale Aufgabe des 21. Jahrhunderts, die wir zu bewältigen haben. Einerseits müssen die Disparitäten, die es außerhalb unseres Erdteils gibt, in den Blick genommen werden. In den nächsten Tagen fahre ich nach Bangladesch und Vietnam, um dort einmal mehr zu sehen: Was passiert da mit unseren Wertschöpfungsketten? Wie können wir mehr Verantwortung dafür tragen, dass der Lebensstandard auch außerhalb Deutschlands und außerhalb Europas gehoben wird? Auf der anderen Seite haben wir uns mit der Frage zu beschäftigen, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen, wie wir mit denjenigen umgehen, die zu uns kommen wollen, weil wir einen höheren Lebensstandard haben. Das ist die zentrale Aufgabe. Wir können die Schotten dichtmachen. Das würde eine Weile gehen. Dann würden wir uns aber verhalten wie früher der Junker, der um seine Grundstücke einen Zaun gezogen hat; und die anderen haben daran gerüttelt. Nein, wir brauchen einen Plan, wie wir mit denjenigen umgehen, denen es dreckiger geht als uns. Auch das ist eine Botschaft des 9. Oktober 1989: Wir brauchen Solidarität auch denjenigen gegenüber, die es schlechter haben als wir. Alle Kräfte müssen gebündelt werden, damit wir dieses Menschheitsproblem im 21. Jahrhundert lösen. Ansonsten wird es auch für uns schwierig werden. Wir sind verpflichtet dazu. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das sind für mich die Botschaften des 9. Oktober 1989. Lassen Sie uns mit dieser Kraft, mit diesem Stolz des 9. Oktober 1989 diese Herausforderung gemeinsam angehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht zu Beginn etwas zur Versöhnung: Ich habe in der Debatte über den letzten Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit und in den Jahren zuvor häufig beklagt, dass es im Bundestag eine unsichtbare ostdeutsche Mehrheit bei dieser Frage gibt. Ich habe heute den Eindruck, dass sich das wesentlich gebessert hat. Wir erfahren wesentlich mehr Zuspruch bei diesem Thema. Ich stelle mit Befriedigung fest: Es geht doch, links wirkt! (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Seitens der CDU ist uns gesagt worden: Wir entlassen Sie nicht aus Ihrer Verantwortung für die Geschichte. Da muss ich Ihnen antworten: Das ist ungeheuer anmaßend. Wir entscheiden noch immer selbst, wie wir uns dazu verhalten. Und wir wollen nicht aus dieser Verantwortung entlassen werden. Das entscheiden aber nicht Sie. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Ich habe nicht vergessen, wie ich mit 34 Jahren in Halle Abend für Abend der Adressat für Protest und Kritik von Tausenden Bürgerinnen und Bürgern war. Die unter solchen Schmerzen und Bitternissen gewonnenen Erkenntnisse bleiben für uns in der Erinnerung und sind uns eine Mahnung. Wir haben auch nicht vergessen, dass unsere Vorgängerpartei nicht in der Lage war, sich selbst geistig zu befreien, (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das sind Sie doch bis heute nicht!) sondern eine Befreiung von außen nötig hatte. Diese Erkenntnisse haben uns geprägt, und die werden wir in Erinnerung behalten. (Beifall bei der LINKEN) Der Jahresbericht beginnt mit einem historischen Rückblick. Das ist ebenso angemessen wie inzwischen auch vielseitig verklärt. Wir hatten noch nie eine solche Flut von Umfragen dazu, wie man die deutsche Einheit interpretieren kann. In diesem Zusammenhang kann man die Frage stellen: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Gott und den Historikern? Die Antwort lautet: Gott kann die Geschichte nicht mehr ändern. (Heiterkeit bei der LINKEN) Ich will mich deshalb an die Fakten halten. Wie bewerten Bürgerinnen und Bürger die deutsche Einheit? Das ist in der Tat sehr interessant: Im Osten bewerten 75 Prozent die deutsche Einheit positiv, im Westen sind das nur 48 Prozent. Das heißt, nicht einmal die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger im Westen und Süden der Republik bewertet die Einheit positiv. Nehmen wir die unter 30-Jährigen, also die Jahrgänge 85 und jünger: Im Osten bewerten 96 Prozent von ihnen die deutsche Einheit positiv und im Westen 66 Prozent. Das sind Menschen, die keinerlei Erfahrungen aus dem geteilten Deutschland haben. Hier reproduziert sich also geschichtliche Erfahrung auf eine interessante Weise. Aber das muss uns doch auffordern, daraus etwas abzuleiten. Der Grund für diese unterschiedliche Einschätzung ist natürlich, dass im Westen und Süden die Vereinigung keine positiven Erfahrungen für die Menschen und ihren Lebensalltag gebracht hat. Das Einzige, das im Bewusstsein geblieben ist, ist, dass der Soli zu zahlen ist. Nichts oder fast gar nichts aus der DDR wurde für deutschlandtauglich erklärt. Das war ein Fehler. (Beifall bei der LINKEN) Dietmar Bartsch ist hier bereits darauf eingegangen, dass der Jahresbericht in seiner Analyse wesentlich besser, genauer und präziser geworden ist. Ja, das stimmt: Die Analyse ist besser. Aber leider ist das bei den Schlussfolgerungen nicht der Fall. Deshalb lautet die Denksportaufgabe für uns weiterhin: Was lernen wir für ganz Deutschland aus dieser Entwicklung im Osten, aus diesen Umbrüchen, aus diesem Umgang mit der Transformation? Wir haben das in unserem Entschließungsantrag ausdrücklich deutlich gemacht und diese Transformationserfahrungen – wenn ich das übersetze –, also persönlich gemachte Erfahrungen bei der Bewältigung gesellschaftlicher Umbrüche, hervorgehoben. Sie haben hier einen anderen Begriff benutzt und gesagt: Wir haben bedeutende Anpassungsleistungen erbracht. – Das fanden Sie auch noch besonders prima. Ich kann nicht finden, dass Anpassung an ein System – wie im Westen so auf Erden – die Lösung der Zukunftsaufgaben ist. Wir müssen in dieser Situation neu denken und gerade das, was der Osten als Erfahrungsvorsprung neu einbringt, aufnehmen. Da ist „Anpassungsleistung“ für mich kein positiv besetzter Begriff. (Beifall bei der LINKEN) Ich wünsche mir deshalb, dass wir über diese besonderen Erfahrungen, die im Osten für die ganze Republik gemacht wurden, noch weiter nachdenken und dass wir zur Kenntnis nehmen, dass wir natürlich noch eine ungleiche wirtschaftliche und Einkommensentwicklung haben. Wir stagnieren bei zwei Dritteln. Wir erreichen bei den kommunalen Steuern im Osten nur 58 Prozent des Bundesniveaus. Der Knüller ist natürlich das, was Sie sich bei der Mütterrente geleistet haben: 25 Jahre deutsche Einheit und dann noch immer eine ungleiche Anerkennung von Erziehungsleistungen – das ist ein Skandal. Das wird Ihnen die Linke nie durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt im Osten viele Ansätze für neue Entwicklungspfade in Sachen sozialökologischer Umbau, bei der Förderung erneuerbarer Energien und beim Stadtumbau. All diese Erkenntnisse und all diese gewonnenen Erfahrungen – auch die gemachten Fehler – stellen ein Feld dar, das völlig brachliegt und viel zu wenig für die gesamtdeutsche Entwicklung genutzt wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Roland Claus (DIE LINKE): Deshalb wünschen wir uns eins: dass der nächste Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit in der Analyse lobenswert für uns ist (Zuruf von der CDU/CSU: Für Sie mit Sicherheit nicht!) und dass er in den Schlussfolgerungen endlich vorankommt und nicht bei dem stehen bleibt, was wir jetzt vorliegen haben. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Stein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 9. Oktober 1989, also fast auf den Tag genau heute vor 25 Jahren, fand eine der denkwürdigsten Montagsdemonstrationen in der DDR statt. Daran haben gestern 200 000 Menschen in Leipzig erinnert. Wie an jedem anderen Montag zuvor fand damals in der Leipziger Nikolaikirche ein Friedensgebet statt. Dort sprachen Menschen offen über ihre Probleme, über ihre Situation in ihrer Heimat, der DDR, dort sprachen Menschen, die sich der SED-Diktatur widersetzten. Es war schon fast routinemäßig so, dass auch an diesem Montag die Plätze in der Nikolaikirche schon ab Mittag von Genossen und Kandidaten der SED besetzt waren. Doch irgendwie war an diesem Montag vieles anders. Es lag etwas in der Luft: Ängste und Sehnsüchte waren körperlich greifbar. Der Gedanke, dass die SED das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in Peking gutgeheißen hatte, war in den Köpfen. Gerüchte machten die Runde, Kampfgruppen standen bereit, und viele fragten sich, ob die chinesische Lösung in Leipzig zur Anwendung kommen würde. Rund 70 000 Menschen zogen über den Leipziger Innenstadtring und zeigten Mut zur Freiheit. Für viele war es bis heute die größte Form von Opposition und Wiederstand in ihrem Leben. Erstmalig gab es das Gefühl einer selbstgeschaffenen Freiheit. Dabei blieben sie friedlich ebenso wie die Sicherheitsorgane, die offensichtlich vor dieser Menschenmenge kapitulierten. Örtliche Funktionäre und Kommandeure hatten, anders als viele in der Führung der SED, Respekt vor den Demonstrierenden. Mit Kerzen und Gebeten, mit Worten wie „Keine Gewalt!“ und „Wir sind das Volk!“ wurde die SED-Diktatur schließlich in die Knie gezwungen. Und die Welt schaute im Fernsehen zu. Fernsehbilder gingen um die Welt und hatten Signalwirkung. Es folgten für die Menschen in den neuen Ländern Tage, Wochen und auch noch zwei Jahre der Gefühle und Veränderungen. Für die Menschen in den neuen Bundesländern änderte sich nämlich fast alles. Aber auch für den Westen änderte sich eine Welt, und zwar zum Besseren. Daher geht an dieser Stelle mein Dank an die Bundesregierung, die in der heute vorliegenden Unterrichtung die Leistungen der Menschen in den neuen und alten Ländern hervorhebt und würdigt. Denn auch für mich, der, wie viele wissen, in den alten Bundesländern geboren ist und nach Rostock ging, hat sich vieles geändert. Die Politik in der gesamten Republik ist bunter geworden: Die Grünen hatten sich zu dem Zeitpunkt in den alten Bundesländern etabliert. Im Osten kam eine neue Kraft hinzu, die heute immer noch auf ihrem Weg in die alte Richtung weitermarschiert. Mittlerweile gibt es -Koalitionen, die man sich vorher gar nicht hat vorstellen können. Die aktuellen Gespräche in Thüringen deuten an, dass möglicherweise ein weiteres Farbenspiel hinzukommt. Ich möchte an das erinnern, was gestern 200 000 Menschen in Leipzig damit auch zum Ausdruck gebracht haben. Hier nehme ich Anlehnung an die Bibel und schaue zu den Grünen, zu den Bündnis-90-Leuten: Bevor der Hahn dreimal gekräht hat, hast du mich verraten. Und der Hahn hat für mich gestern in Leipzig gekräht. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das jetzt?) Ich bin heute 46 Jahre alt und feiere in diesen Tagen mein persönliches Bergfest. Ich bin 23 Jahre in den alten Bundesländern groß geworden und jetzt seit 23 Jahren in Rostock. Wenn Sie mich fragen, als was ich mich fühle, dann antworte ich: Ich fühle mich als Deutscher, als Europäer und als Rostocker. Auf das, was die Menschen im vereinigten, freien und demokratischen Deutschland und vor allem in den vergangenen Jahren in Ost und West gemeinsam vollbracht haben, bin ich stolz. Denn ich bin ein Teil dessen. Und jeder von uns hier ist ein Teil dieses geeinten Deutschlands, weil wir hier leben und Verantwortung tragen. Vor allem die Menschen in den neuen Ländern nutzten die Chancen, die sich mit der Wiedervereinigung ergeben haben, auch wenn sie dazu ihre Heimat verlassen mussten. Die Lebensqualität hat sich spürbar, fühlbar, riechbar angeglichen. Wie sah es für mich aus, als ich 1990/1991 nach Rostock kam und die Stadt nach der Wende kennenlernte? Es war grau, teilweise ruinenhaft. Trabbis tuckerten über marode Straßen, hinterließen einen öligen Duft. Die Luft roch süßlich und war durch den Qualm der Kohleöfen braun geräuchert. Das hat sich alles geändert. In Sachsen-Anhalt sah ich heruntergewirtschaftete Industrie und um sie herum kaputte Natur und Umwelt. Die Lebenserwartung dort lag um bis zu 20 Jahre niedriger als im Westen. Und heute? Die Infrastruktur ist modernisiert. Die Umwelt ist weitgehend wiederhergestellt. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich mehr als verdoppelt. Die Wirtschaftskraft ist beachtlich gewachsen, nicht zuletzt auch deshalb, weil viele Menschen in den neuen Ländern ihre Chance über eine zweite und dritte Ausbildung nutzen mussten und genutzt haben. Die Abwanderung ist heute weitgehend gestoppt. Viele, die in den 90er-Jahren ihre Heimat verlassen haben und in die alten Länder gegangen sind, kehren wieder zurück. Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen erreichten im letzten Jahr bei den Zuzügen mit weit über 20 Prozent bundesweit die höchsten Zuwachsraten. Die Haushaltslage in den Kommunen hat sich verbessert. Der Schuldenstand im Osten liegt oft merklich hinter dem vergleichbarer westdeutscher Kommunen zurück. Auch der demografische Wandel soll uns hier kein Wasser in den Wein gießen, sondern er wird als Chance und Herausforderung begriffen. Wir leben länger, werden älter, bleiben auch länger gesund. Ich finde, das ist eine gute Sache, und wir sollten uns darüber freuen. (Beifall der Abg. Andrea Wicklein [SPD]) Andererseits müssen wir auch die wirtschaftliche Strukturstärke und -schwäche in den Regionen zur Kenntnis nehmen. Einige wachsen weiter, andere städtische und ländliche Regionen hingegen schrumpfen. Wir brauchen nach wie vor mehr Industriearbeitsplätze und speziell in der ostdeutschen Industrie mehr Export. Der Strukturwandel hat zunächst mit aller Wucht, forciert durch die starke Abwanderung, in den Wendezeiten die jungen Länder getroffen, war aber auch im Ruhrgebiet bereits im Gange. Mittlerweile trifft dieser Wandel Regionen im Norden, im Süden, im Osten und im Westen der Republik. Viele können mit diesem Prozess nicht aus eigener Kraft umgehen. Wir wollen und müssen hier gezielt unterstützen und helfen. Das ist eine Solidaraufgabe, die weiterhin Bestand hat. Wir wollen und müssen gemeinsam Wege finden. Das können wir. Das zeigen die vorliegenden Unterrichtungen der letzten Jahre und auch dieses Jahres. Hohes Potenzial sehe ich besonders in der Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in den neuen Ländern. Als Rostocker Abgeordneter fallen mir natürlich die Rostocker Universität und die beiden anderen Hochschulen in Rostock ein. In der Qualität der Forschungsergebnisse stehen sie den Ergebnissen in anderen Regionen in nichts nach. Es soll immer noch westdeutsche Studienanfänger geben, die Manschetten vor einem Studium in den neuen Ländern haben und nur mit Vorbehalten dorthin kommen. Aber da kann ich nur sagen: Schön dumm; denn die Erfahrungen in der Praxis sind: Die Universitäten und Hochschulen in Rostock, Greifswald, Jena oder Ilmenau sind nicht nur sehr modern, sondern auch die Betreuung ist klasse, und die Hörsäle sind nicht heillos überfüllt. Die Studienbedingungen sind also sehr gut. Dann sind auch die Möglichkeiten, seine Freizeit dort zu verbringen, sehr gut, in Rostock etwa die weißen Strände. Man kann nach dem Seminar mit dem Surfbrett an den Strand gehen. Das hat durchaus seinen Wert und wird auch gern genutzt. Man kann auch mit einer Kiste Bier und der Freundin und dem Kubb-Spiel an den Stadthafen gehen und studentisches Leben erleben. Das macht eine Stadt wie Rostock und auch andere Universitätsstädte so besonders. Wissenschaft, Möglichkeiten und Wohlstand: Diese Erkenntnis hat auch im Osten besonders getragen. Der Bund und die Länder tragen dieser Situation im Hochschulpakt 2020 Rechnung, indem sie die Kapazitätserweiterung und -sicherung der Studienplätze im Osten fördern. Damit entlasten sie zugleich die Hochschulen in den westdeutschen Ländern. Dafür stellt der Bund in den nächsten Jahren bis 2015 insgesamt 950 Millionen Euro bereit. Das ist ein sehr wesentlicher Beitrag zur weiteren Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Zahl der Studienanfänger ist enorm gestiegen, nämlich um das Dreifache. Das Studium ist weiterhin die beste Grundlage für eine berufliche und materielle Sicherheit. Wir brauchen in Ost und West jeden jungen Menschen mit einer guten Ausbildung. Willy Brandt hat gesagt: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Ich ergänze: Wenn ich als gebürtiger Rheinländer, aus Rostock kommend, im Münchner Hofbräuhaus bin, ein Hendl bestelle und mich eine sächsische Kellnerin fragt, ob ich es mit Mayo oder ohne haben möchte, dann, so denke ich, ist die Einheit in unseren Köpfen angekommen. Wir sind ein Volk. Wir verstehen uns. Wenn wir es jetzt noch schaffen, die Menschen, die aus anderen Regionen der Welt zu uns gekommen sind oder noch zu uns kommen, vernünftig zu integrieren, dann werden wir auch noch in 50 Jahren gemeinsam gut zusammenleben und auf unsere Erfolgsgeschichte Deutschland mit Stolz zurückblicken können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit gutem Willen und in Wahrnehmung der eigenen Verantwortung klappt das. Auch ich habe mich schließlich gerne „ossimiliert“, ohne dabei meine rheinische Natur aufzugeben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es irgendwie noch gar nicht glauben, dass es 25 Jahre her ist, dass das inzwischen so verdammt lange her ist, weil sich die Bilder aus dem Herbst 1989 – ich glaube, das geht allen so, die dabei waren; meine Kollegin Lazar hat das heute Morgen schon zum Ausdruck gebracht – so tief ins Gedächtnis eingebrannt haben. Ich bin für diese Debatte anlässlich dieses Jubiläums sehr dankbar. Ich bin auch Ihnen, Frau Gleicke, sehr dankbar – ich komme darauf noch zurück –, weil dieses Jubiläum für unsere Gesellschaft eine riesengroße Chance ist, über die friedliche Revolution 1989 und vor allem über das, was danach kam, offen zu reden und anders darüber zu reden, als das bisher der Fall gewesen ist. Manchmal gab es dafür keine Gelegenheit. Hauptsächlich lag das aber daran, dass manche Dinge einfach unter den Teppich gekehrt worden sind, über die wir miteinander einmal sprechen sollten. Ich bin Ihnen – das hatte ich schon gesagt –, Frau Gleicke, sehr dankbar, dass Sie diesen Bericht zum ersten Mal anders verfasst haben, dass zum ersten Mal in einem Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit tatsächlich der Versuch unternommen wird, zu erklären, was da vor 25 Jahren und in den 25 Jahren seitdem passiert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es ist das erste Mal, dass eine Bundesregierung in einem Bericht zur Deutschen Einheit versucht – wir debattieren über dieses Thema hier nicht so oft –, eine Art politische Zusammenfassung des bisherigen Geschehens zu geben. Ich glaube, dass es Aufgabe der Politik ist, den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern eine Einordnung dieser Ereignisse zu ermöglichen, vor allem denjenigen, die nicht persönlich dabei gewesen sind. Ich glaube, das wurde in den Vorgängerberichten gar nicht versucht. Der Mut und der Wille, das zu tun, waren in der Bundesregierung nicht vorhanden. Es ist Ihr persönliches Verdienst, dies jetzt begonnen zu haben. Auf das, was ich mir für den nächsten Bericht wünsche, komme ich gleich noch zu sprechen. Wir müssen aber endlich mit den verkrampften Bemühungen aufhören, anhand von Statistiken und Zahlen über verbauten Beton zu erklären, was da passiert ist. Ich glaube, 25 Jahre danach ist es an der Zeit, dies zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin Ihnen dankbar – ich weiß gar nicht, ob Ihnen das bewusst war –, dass Sie diesen Bericht unter den Titel „Wir sind das Volk“ gestellt haben. „Wir sind das Volk“ war der Ruf von 1989. Dankbar bin ich auch dafür, dass Sie aufgegriffen haben, was ein wesentlicher Bestandteil der Demonstrationen in der Anfangszeit gewesen ist: „Wir bleiben hier“. Ein essenzieller Bestandteil meiner persönlichen Biografie – ich bin 1989 in Ungarn gewesen, als die Botschaft geöffnet wurde, und bin danach zurückgefahren – ist, dass wir damals in der Anfangszeit versucht haben, das Land, in dem wir geboren wurden, zu reformieren und zu verändern. Dass die deutsche Einheit ein Glücksfall für uns alle gewesen ist, steht lange vor der Klammer, außer bei ein paar Ewiggestrigen. Dass aber eine Bundesregierung in einem Bericht zur Deutschen Einheit schreibt, dass der Impuls für die deutsche Einheit gewesen ist, die DDR zu reformieren, ist für mich wirklich ein Fortschritt in dieser Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn man versucht, 25 Jahre später zu erklären, was 1989 passiert ist, dann muss man, da manchmal so lockig und flockig der Eindruck erweckt wird, irgendjemand hat halt demonstriert, betonen: Es sind Zehntausende unter Lebensgefahr auf die Straße gegangen, und zwar in der Anfangszeit nicht, weil sie die D-Mark wollten, sondern weil sie Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung wollten. Das war der Impuls 1989. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jeder Versuch, das heute 14-, 16- oder 18-Jährigen zu erklären, muss fehlschlagen, wenn man das nicht auch mit dem Ruf „Wir bleiben hier“ verbindet. Ich fand den Schlagabtausch heute Morgen zwar einerseits bedrückend, denke aber, dass die Debatte insgesamt vorankommt. Wenn man nicht begreift, dass auch SED-Funktionäre, Stasimitglieder und Armeeangehörige einen Anteil daran hatten, und zwar einen wirklich relevanten Anteil, dass das im Jahr 1989 friedlich abgegangen ist, dann muss jeder Erklärungsversuch für die friedliche Revolution scheitern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Auf beiden Seiten der Demonstrationsfelder haben sich teilweise Freunde gegenübergestanden. Das waren teilweise Familienangehörige. Das waren Freunde, die man ein paar Tage zuvor am Wochenende getroffen hatte. Wir waren uns ziemlich sicher, dass es Tausende in diesen Staatsorganen gab, die niemals auf uns geschossen hätten. Aber ob es genug sind, das wussten wir nicht, als wir da rausgegangen sind. Ich frage mich andererseits, Frau Gleicke: Warum erst jetzt? Warum ist das Anerkennen der ostdeutschen Biografien in einem solchen Bericht zur Deutschen Einheit erst jetzt möglich? Wie weit könnten wir in unserem gesellschaftlichen Diskurs zum Zusammenwachsen sein, wenn das früher möglich gewesen wäre? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Ich will zwei Punkte ansprechen, die im Bericht einfach fehlen; das empfinde ich als äußerst mangelhaft. Das ist einmal das offene Thematisieren von Dingen, die schiefgelaufen sind. Das Stichwort „Treuhand“ fiel heute schon einmal. Das muss man aus meiner Sicht ansprechen. Ansprechen muss man auch den damals gescheiterten Versuch der Bürgerrechtler, eine gemeinsame Verfassung für diese beiden Staaten zu erreichen, die sich zusammengeschlossen oder vereinigt hatten bzw. bei denen der eine an den anderen angeschlossen wurde. Ich glaube, wir können in diesem Jahr nicht über 25 Jahre friedliche Revolution reden, ohne zu thematisieren, dass wir heute mit Geheimdiensten konfrontiert sind – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich komme zum Ende, Herr Präsident – und mit einem Spähskandal, der inzwischen selbst die Bundeskanzlerin zu Vergleichen mit der Stasi herausgefordert hat. Auch die damit verbundene Aufgabe müssen wir anpacken und bewältigen, wenn wir das Erbe der friedlichen Revolution nicht verschenken wollen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Daniela Kolbe das Wort. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ostbeauftragte der Bundesregierung, liebe Iris Gleicke! Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu dem ersten von Ihnen verantworteten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit. Es ist im 25. Jahr nach der friedlichen Revolution ein besonderer, und er setzt mit der Würdigung der Bürgerrechtsbewegung und der Lebensleistung der Ostdeutschen die richtigen Zeichen. Ich finde, Frau Lemke hat es gerade sehr eindrücklich deutlich gemacht. 70 000 Menschen protestierten gestern vor 25 Jahren in meiner Heimatstadt Leipzig gegen das SED-Regime, so viele wie bis dahin noch an keinem der vorangegangenen Montage. Insbesondere die Initiatoren taten dies unter massiven persönlichen Risiken. Viele, wenn nicht alle sind mit riesengroßer Angst dorthin gegangen. Ich war damals neun Jahre alt; ich war nicht dabei. Aber ich bin noch heute beeindruckt und eigentlich sogar erschrocken angesichts dessen, was diese Bürgerrechtler auf sich und ihre Familien genommen haben, welche Risiken sie persönlich eingegangen sind, nicht wissend, ob sie erfolgreich sein würden, nicht wissend, was daraus resultieren würde. Wir wissen heute, dass sie erfolgreich waren, und der 9. Oktober 1989 ist bis heute der Tag der friedlichen Revolution. Es ist das Wunder jener Tage des Herbstes 1989, dass diese Revolution friedlich begonnen hat und auch friedlich geendet ist. Dieses Wunder gibt der Revolution bis heute ihren Namen. Dass der friedliche Verlauf etwas Besonderes war, zeigt sich für mich ganz stark an den aktuellen Umstürzen, die wir in der Ukraine und in anderen Teilen der Welt sehen. Ursächlich für den Fall der Mauer war das Eintreten der Demonstrierenden gegen das SED-Regime. Die Mauer wurde vom Osten her eingedrückt. Diese Leistung der Menschen in Abrede zu stellen, wäre töricht und auch geschichtsvergessen. Das erste Loch in der Mauer setzte aber – das hat der frühere Bürgerrechtler Thomas Krüger ganz treffend formuliert – Willy Brandt mit seiner Ost- und Friedenspolitik. (Beifall bei der SPD) Es ist auch richtig, dass die DDR nicht nur politisch am Ende war, sondern auch ökonomisch. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Sozialismus, genau genommen!) Ich kann selber noch erinnern, wie es in der DDR ausgesehen und gerochen hat. Aus diesem heruntergewirtschafteten Staat ist innerhalb von 25 Jahren eine Region geworden, die ökonomisch im Mittelfeld Europas spielt. Die KfW sprach vor kurzem vom neuen Wirtschaftswunder. Ich gebe zu, dass ich diese euphemistische Beschreibung nicht teile, denn dafür sind zu viele Menschen in diesem Prozess gescheitert. Gleichwohl zeigt es, was durch den Optimismus und die Tatkraft der Ostdeutschen gemeinsam mit der historisch beispiellosen Solidarität der Westdeutschen zuwege gebracht werden konnte. Das alles hat zu einer beachtlichen Aufbauleistung geführt. Die neuen Länder liegen kaufkraftbereinigt beim Pro-Kopf-Einkommen ungefähr auf der Höhe -Italiens. Die Investitionsentwicklung ist dynamisch, und in manchen Bereichen steht der Osten besser da als die westdeutschen Bundesländer. Ich nenne als Beispiele die Kinderbetreuungssituation oder auch die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Frauen arbeiten in Ostdeutschland häufiger und mehr Stunden als in Westdeutschland. Nicht zu vergessen ist, finde ich, dass viele dieser Erfolge aufgrund des Engagements, der Tatkraft und auch der Flexibilität der Ostdeutschen zustande gekommen sind. Möglich wurden sie aber nur durch die gesamtdeutsche Solidarität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde es aber realitätsfern, zu glauben, dass der Prozess abgeschlossen ist. Die Ostländer sind immer noch schwach, wenn es um die Steuereinnahmen geht. Wir haben ganz wenige Sitze von großen Unternehmen in den neuen Bundesländern. Die Steuerkraft der ostdeutschen Bundesländer beträgt gerade einmal 62 Prozent der Steuerkraft der finanzschwachen westdeutschen Bundesländer. Wir müssen daher diese strukturschwachen Regionen auch über 2019 hinaus weiter unterstützen, nicht nach Himmelsrichtungen, sondern am jeweiligen Bedarf orientiert. Das dürfen wir auch in den aktuell stattfindenden Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht vergessen. Wir sollten nicht mit dem Hintern einreißen, was wir und meine Elterngeneration aufgebaut haben. Ich werbe dafür, dass ein breiter Konsens aller Bundesländer zustande kommt und wir uns, statt auf Ellenbogenföderalismus und auf Steuer- und Sozialwettlauf zu setzen, an unserem Verfassungsgebot orientieren, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland – unabhängig von der Himmelsrichtung – herzustellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Blick in den Bericht verrät, was man auch spürt: Im Osten geht die Arbeitslosigkeit seit 2005 spürbar zurück. Das ist toll und wichtig. Denn wir alle miteinander wissen, was Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit Ende der 90er-Jahre in ganzen Landstrichen angerichtet haben. Gleichzeitig sehen wir aber auch da noch eine große Herausforderung. Es gibt immer noch 1 Million Menschen in Deutschland, die langzeitarbeitslos sind. Die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich und erweist sich als hartnäckig. Das ist kein ostdeutsches Problem. Wir sehen die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit auch in vielen anderen Regionen, insbesondere bei Ungelernten und bei über 55-Jährigen. Viele Programme, die diese Menschen betreffen, sind in der Vergangenheit gekürzt worden oder laufen aus. Ich bin ganz klar der Meinung: Wir brauchen für diese Langzeitarbeitslosen wieder mehr Vermittlungsmöglichkeiten. Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt nicht nur für Ostdeutschland, sondern überall dort, wo Langzeitarbeitslosigkeit Thema ist. Die Papiere liegen auf dem Tisch. Ein solches Programm würde insbesondere der Generation helfen, die ganz stark von den Transformationen insbesondere in den neuen Bundesländern betroffen war. Lassen Sie uns deshalb diese und andere verbleibende Herausforderungen gemeinsam annehmen. Das wird einen Beitrag zur Vollendung der inneren Einheit leisten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Die Wiedervereinigung zählt zu den glücklichsten Momenten unserer deutschen Geschichte. Deshalb haben diese Tage, an denen wir uns an jene Menschen in der damaligen DDR erinnern, die für demokratische Grundrechte auf die Straße gingen, auch nach 25 Jahren nichts an Faszination verloren. Wir können stolz darauf sein, was wir gemeinsam für unser Land und insbesondere auch für Ostdeutschland geschaffen haben. Der Traum der Menschen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, einem selbstbestimmten Leben, zu dem wohlgemerkt auch die freie Berufswahl oder auch die Schaffung von Eigentum zählt, hat sich erfüllt. Der Aufbau Ost als gesamtgesellschaftlicher solidarischer Kraftakt hat Erhebliches geleistet. Fährt man heute durch die neuen Bundesländer, trifft man auf eine moderne Infrastruktur, auf sanierte Innenstädte oder neue Universitäten, die sich sehen lassen können. Eine besondere Leistung der deutschen Einheit war ohne Frage auch die Übertragung der sozialen Sicherungssysteme, von der Rente bis zur Arbeitslosenver-sicherung. Damit meine ich nicht nur die Übertragung von Beitragsmodalitäten und von Leistungen. In der Rentenversicherung werden bis heute in den neuen Bundesländern die Renten mit dem Hochwertungsfaktor aufgewertet. Alles andere hätte nach klassischer Berechnung die Renten im Osten ins Bodenlose fallen lassen. Da es aber gerade in der Rentenversicherung darum geht, Lebensleistung anzuerkennen und abzubilden, haben sich die Mütter und Väter der deutschen Einheit zu diesem solidarischen Kraftakt entschieden. Dafür gilt ihnen unser aller Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dennoch – das ist heute bereits mehrfach angeklungen – darf man natürlich nicht  dem Glauben unter-liegen, die Lebensverhältnisse in Ost und West seien vollständig angeglichen. Woran liegt das? 40 Jahre Planwirtschaft haben ihre Spuren hinterlassen. Das spüren wir noch heute. Deshalb bleibt es bis heute eine der wichtigsten Aufgaben des Aufbaus Ost, hier noch stärker aufzuholen. Der aktuelle Bericht zum Stand der Deutschen Einheit macht genau dies deutlich. So fehlt es in den neuen Ländern trotz enormer Investitionen insgesamt noch immer an jener Stärke, die es gerade braucht, um mitzuhalten. Das zeigt sich beim Bruttoinlandsprodukt, beim Steueraufkommen oder bei den Löhnen und Gehältern; die Kolleginnen und Kollegen haben dazu bereits viel gesagt. Die Kennzahlen verweisen aber auch auf eine noch junge, klein- und mittelständische Wirtschaft in den neuen Bundesländern. So sind die meisten Unternehmen bei uns in Ostdeutschland höchstens 25 Jahre alt. Industrielle Strukturen oder eine krisenerprobte Firmengeschichte von 100 Jahren und mehr gibt es eher selten. 40 Jahre DDR zeigen sich auch bei der persönlichen Situation der Menschen in den neuen Bundesländern. So ist das Vermögen privater Haushalte in Ostdeutschland heute noch immer halb so hoch wie das in Westdeutschland. Obwohl in beiden Landesteilen der Immobilienbesitz die wichtigste Vermögensform ist – wir selbst bauen unsere Altersvorsorge darauf auf –, lebt nur ein knappes Drittel der ostdeutschen Haushalte heute im selbst genutzten Wohneigentum. Gemessen an den Schwierigkeiten vor 1990, Eigentum aufzubauen, überraschen diese Werte natürlich nicht. Sie zeigen aber auch, dass ein Vierteljahrhundert manchmal nicht genügt, die Spuren von 40 Jahren zu überwinden. Unser Handeln sollte deshalb darauf ausgerichtet sein, diese Unterschiede durch eine kluge Politik weiter abzubauen. Auch wird es künftig darum gehen, die Stärken der neuen Länder herauszustellen, positive Beispiele zu benennen und neue Perspektiven zu schaffen; denn es gibt auch Erfolgsgeschichten. Denken Sie an die Spitzenposition einiger südlicher ostdeutscher Bundesländer bei der Bildungspolitik. Oder denken Sie an das Bundesland, das in Deutschland die geringste Pro-Kopf-Verschuldung hat. Das ist nämlich Sachsen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Region um Berlin zählt aber – das möchte ich als Brandenburger Abgeordnete auch gesagt haben; dazu gehört auch mein Wahlkreis – zu den dynamischsten in ganz Deutschland; darauf hat kürzlich sogar die OECD verwiesen. Ein wahrlicher Standortfaktor sowohl für die Wirtschaft als auch für die Menschen, die in den neuen Bundesländern leben, sind aber auch die guten Rahmenbedingungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen Neben-effekt. Die gute Kitastruktur zählt zu den Hauptgründen, warum sich die Menschen heute entscheiden, entweder in der Region zu bleiben oder sogar zurückzukehren. Aus Sicht der Unternehmen macht sich vor allem eines bemerkbar: Frauen sind in den neuen Ländern öfter und auch länger erwerbstätig. Das zahlt sich natürlich später auch bei der Rente aus. Ich habe jetzt viel über Herausforderungen, Fakten und Zahlen gesprochen. Es mag sein, dass einigen die Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer und die Angleichung an die Altbundesländer, gerade was die wirtschaftliche Stärke angeht, nicht schnell genug geht. Ich stehe allerdings nicht hier, um in diesen Tenor einzustimmen. Wir haben in den letzten 25 Jahren vieles gut gemacht und gut gemeistert. Erinnern Sie sich daran, welche Herkulesaufgabe die deutsche Einheit für uns alle war und noch immer ist! Die Wendezeit war eine der prägendsten Erfahrungen meiner eigenen Kindheit und Jugend. Diese Zeit hat mich damals zur Politik gebracht. Ich habe ihr später meine Ausbildung und meinen Beruf gewidmet. Trotz aller Unsicherheiten und allem Neuen, was die Zeit mit sich brachte, begleitete meine Familie und mich immer eines: die überwältigende Freude darüber, endlich frei zu sein in all seinen Entscheidungen, sowie das tiefe Vertrauen und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Damals hieß es: Wer sich anstrengt, der wird auch belohnt. – Diese Worte sind für mich Sinnbild dessen, was die friedliche Revolution 1989 auch ermöglichte: Leistungsgerechtigkeit, Meinungsfreiheit und Eigenverantwortung. Deshalb gibt es auch Dinge, die mich heutzutage nachdenklich werden lassen. Wenn wir vom Mauerfall und von der Wiedervereinigung sprechen, haben wir sicherlich immer wieder jene Menschen vor Augen, die sich in der damaligen DDR unter großen persönlichen Opfern gegen das SED-Regime aufgelehnt und die Mauer zum Einsturz gebracht haben. Viele davon haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt und es mitunter auch verloren. Die Menschen in der damaligen DDR haben weder ihren Leib noch ihr Leben geschont, um einen Systemwechsel herbeizuführen. Sie haben für Demokratie, freie Meinungsäußerung, politische Mitgestaltung und ein selbstbestimmtes Leben gekämpft. Erst der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung haben das alles möglich gemacht. Es ist noch gar nicht so lange her, da fanden in Deutschland Europa- und Kommunalwahlen statt. Erst kürzlich brachten wir die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen hinter uns. Die Wahlbeteiligung – da möchte ich auf den Punkt kommen – war erschreckend gering. Sie lag mitunter bei weniger als 50 Prozent. Bei den Landtagswahlen in meinem Heimatland Brandenburg haben weniger als die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Das, wofür die Ostdeutschen 1989 auf die Straße gegangen sind – die Teilnahme an freien Wahlen, die Möglichkeit, selbst wählen zu gehen und mitzuentscheiden –, wird nun immer weniger wahrgenommen. Ich frage: Wo ist in unserer Gesellschaft der Wunsch nach politischer Mitbestimmung geblieben? Uns als Demokraten muss diese Entwicklung beunruhigen; denn von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren lediglich die politischen Ränder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir die Entwicklung, welche die ostdeutschen Bundesländer im letzten Vierteljahrhundert genommen haben, nicht zerreden und madig machen. Unsere Aufgabe als Politiker wird es aber künftig immer wieder sein, darzulegen und vor Augen zu führen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, seine Meinung frei zu äußern, frei wählen zu gehen und über sein Leben selbst und eigenverantwortlich zu bestimmen. Ein Blick in die übrige Welt, meine Damen und Herren, genügt dafür. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten die Menschen immer wieder daran erinnern, was Unfreiheit bedeutet und wie wichtig gerade die Wahlbeteiligung für den Erhalt unserer Freiheit und Demokratie ist. Das Argument „Mit meiner Stimme kann ich ja eh nichts bewirken“ zählt nicht. Jeder kann sich einbringen, ob in einer Partei, einer Bürgerinitiative oder einem Verein. Es kommt aber darauf an, mitzumachen. Das Mindeste, was man für sein Land tun kann, ist, wählen zu gehen und damit ein ureigenes Bürgerrecht, aber auch eine Bürgerpflicht wahrzunehmen. In Gesprächen mit den Menschen in meinem Wahlkreis merke ich sehr oft, dass es ein sehr feines Gespür für Gerechtigkeit gibt. Damit meine ich nicht Verteilungsgerechtigkeit, Gleichmacherei, sondern Leistungsgerechtigkeit. Es ist ein Vertrauen in ein Gerechtigkeitsempfinden, das nicht sofort an staatliche Umverteilung denkt, sondern an diejenigen, die sich anstrengen, selber ihr Schicksal in die Hand nehmen und ihren Beitrag in unserer Gesellschaft leisten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Jana Schimke (CDU/CSU): Ich bin sofort fertig. – Es geht darum, meine Damen und Herren, dass wir diese Leistung wieder mehr honorieren und unsere Politik daran ausrichten. Deswegen haben der Tag der Deutschen Einheit und die Erinnerung an die Geschehnisse dieser Tage für mich bis heute nichts an Faszination, an Begeisterung, aber auch an Demut verloren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sabine Poschmann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sabine Poschmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein achtjähriger Sohn fragte mich in der letzten Woche: Mama, was ist eigentlich der Tag der Deutschen Einheit? An dieser Stelle wird einem bewusst: Unseren Kindern – zumal den jungen – ist der Gedanke an ein geteiltes Deutschland schon völlig fremd. In ihren Köpfen hat nie eine Mauer gestanden. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung haben wir, haben Menschen in Deutschland vieles erreicht und die Lebensverhältnisse teilweise angeglichen. Wir dürfen nun nicht zulassen, dass wir durch einen Streit ums Geld neue Mauern in unseren Köpfen aufrichten. (Beifall bei der SPD) Wir dürfen nicht zulassen, dass Ost- und Westdeutschland in einer sogenannten Gerechtigkeitsdebatte gegeneinander ausgespielt werden. Sie ahnen es: Ich rede über die Fortentwicklung des Solidarpakts II, der 2019 endet. Aber es gibt auch Städte und Regionen in Ostdeutschland, denen es schlecht geht. Genauso gibt es solche in Westdeutschland. Hamburg und München sind trendy, während die hochverschuldeten Städte im Ruhrgebiet mit Nothaushalten hantieren und nicht mehr wissen, wie sie Schulen, Straßen, Schwimmbäder und Bibliotheken bezahlen sollen. Ihre Infrastruktur zerfällt im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei hat das Ruhrgebiet viel erreicht. Aus einer von Kohle und Stahl geprägten Industrieregion ist eine Forschungslandschaft geworden, ein innovativer Wirtschaftsraum, der für junge Hightechfirmen ebenso attraktiv ist wie für moderne Logistikbetriebe. Noch 1970 waren 60 Prozent aller Beschäftigten im produzierenden Gewerbe tätig und 40 Prozent im Dienstleistungssektor. Das hat sich komplett gedreht. Ich finde, die Region hat eine große Leistung vollbracht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Leider müssen wir jetzt feststellen, dass der Strukturwandel an Fahrt verloren hat. Die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet liegt bei 10,7 Prozent, der Bundesdurchschnitt bei 6,5 Prozent. Viele Städte ächzen unter horrenden So-ziallasten. Meine Heimatstadt Dortmund beispielsweise kann ihren Verpflichtungen aus den Einheitslasten nur noch nachkommen, weil sie seit dem Jahr 2000 dafür Kredite aufnimmt. Wenn der Solidarpakt 2019 ausgelaufen ist, hat Dortmund die Hälfte seiner Zahlungen, rund 370 Millionen Euro, über Kredite finanziert. In anderen Städten des Ruhrgebietes ist die Lage noch dramatischer. Oberhausen beispielsweise hat einen Nothaushalt und 2 Milliarden Euro Schulden, mehr als die gesamte Infrastruktur der Stadt wert ist. Dennoch hat Oberhausen in den vergangenen 20 Jahren 263 Millionen Euro in den Solidarpakt eingespeist, ebenfalls über Kredite. Die Arbeitslosenquote in Jena lag im August bei 7,2 Prozent; das ist fast westdeutscher Schnitt. In Oberhausen lag sie bei 12 Prozent; das ist ostdeutscher Schnitt. Wer soll nun wen fördern? Die Antwort ist: Wir brauchen kein Fördersystem, das zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland unterscheidet. Wir brauchen ein Fördersystem, das strukturschwachen Städten und Regionen in ganz Deutschland auf die Beine hilft, und das in gleichem Maße. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Es geht nicht um die Frage Jena oder Dortmund, Bremen oder Brandenburg, es geht um die Frage, wie wir die Lebensbedingungen und die Bildungschancen aller Menschen in Deutschland verbessern, unabhängig davon, wo sie leben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Wegner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, zum Stand der deutschen Einheit reden zu dürfen, exakt 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Als Berliner bin ich in Spandau gewissermaßen im Schatten dieser Mauer aufgewachsen, dem Symbol der deutschen Teilung. Niemals werde ich den 9. November 1989 vergessen, jene wunderbare, kalte Novembernacht, als Hunderttausende Deutsche von Ost nach West brandeten, die Kontrollpunkte an der Berliner Mauer überrannten, sich wildfremde Menschen in die Arme fielen und eine vorweggenommene Wiedervereinigung gerade hier in Berlin feierten. Als damals 17-Jähriger konnte ich zusammen mit Freunden am Grenzübergang Invalidenstraße erstmals den Ostteil meiner Heimatstadt Berlin besuchen. Wir gingen über die Friedrichstraße, sahen Truppen aufmarschieren, wir erblickten Wasserwerfer, Gewehre. Wir hatten ein ungutes Gefühl, aber die Freude überwog. Schließlich kamen wir zum Brandenburger Tor und mussten dort über das Monstrum Mauer klettern, um zurück in den Westteil zu gelangen. In der Nacht des 9. November war noch völlig ungewiss, wohin die Reise gehen würde. Aber kurz darauf war klar: Der Geist der Freiheit hat sich durchgesetzt, und das Rad der Geschichte ließ sich nicht mehr zurückdrehen. So habe ich in der Nacht des 9. November eine Sternstunde der deutschen Geschichte live miterleben dürfen. Die Bilder und diese Zeit bewegen mich noch heute sehr. Aber, meine Damen und Herren, eine ganze Generation von Deutschen kennt schon aufgrund ihres Lebensalters den real existierenden Sozialismus, das umfassende staatliche Unterdrückungs- und Unrechtssystem nur aus den Geschichtsbüchern. 25 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur verblasst auch in der Erlebnisgeneration bei vielen die Erinnerung an den Todesstreifen, an die Staatssicherheit, an die sozialistische Mangelwirtschaft, an Zwangsarbeit und Zwangsadoptionen. Umso wichtiger ist deshalb eine authentische Gedenk- und Erinnerungskultur. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Werte wie Freiheit und Demokratie, die uns so viel bedeuten, eben nicht selbstverständlich sind, und wir müssen verhindern, dass Ewiggestrige immer wieder durch abstruse Aufmärsche Geschichte umschreiben oder Geschichtsklitterung betreiben wollen. Meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist es gut, dass der Jahresbericht der Bundes-regierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 an -herausgehobener Stelle die historischen Leistungen der Bürgerrechtler in der damaligen DDR würdigt, die so couragiert für Freiheit, für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gegangen sind. Aber der Weg zur Wiedervereinigung nach dem Fall der Mauer war alles andere als zwangsläufig. Es bedurfte schon der zupackenden Art, in der Kanzler Helmut Kohl den wehenden Mantel der Geschichte ergriff und auf die Einheit der beiden deutschen Teilstaaten drängte. Für diese historischen Verdienste um die Wiedervereinigung, für die zupackende Art, dafür, dass er dieses klares Ziel im Blick hatte, gebührt Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit, unser aller Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) Die Angleichung der Lebensverhältnisse erwies sich als ein komplizierter und langwieriger Prozess. Immerhin ging es um die Harmonisierung zweier Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, die sich mehr als 40 Jahre lang wie Feuer und Wasser gegenüberstanden. Vor diesem Hintergrund ist Beachtliches erreicht worden: Eine abgeschirmte sozialistische Planwirtschaft wurde in die bewährte soziale Marktwirtschaft überführt. Die verheerende Umweltverschmutzung wurde beseitigt. In weiten Teilen der neuen Länder ist moderne Infrastruktur vorhanden. Die Wohnsituation wurde durchgreifend verbessert. Auch die wirtschaftliche Entwicklung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann sich sehen lassen. Die neuen Länder haben ihre Wirtschaftsleistung seit 1991 verdoppelt. Sie gehören heute schon zum Mittelfeld Europas und stehen erheblich besser da als alle anderen ehemals sozialistischen Staaten. Die Arbeitslosigkeit ist in den neuen Ländern heute auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Arbeitslosigkeit zwischen Rügen und dem Fichtelberg trotzdem noch immer deutlich höher ist als in den alten Ländern. Wo es keine Perspektiven auf Arbeit gibt, zieht die Jugend weg, und ganze Landstriche drohen zu veröden. Deshalb müssen wir die Wachstumsdynamik, die Innovationskraft und die Internationalisierung der Wirtschaft in den neuen Ländern weiter stärken. Hier haben wir weitere Herausforderungen zu bewältigen, aber wir können mit Stolz auf das blicken, was wir bis heute erreicht haben, meine Damen und Herren. Die Berliner Mauer als Symbol der deutschen Teilung ist vor 25 Jahren gefallen. An ihre Stelle sind heute das Reichstagsgebäude und das Brandenburger Tor als Zeichen der deutschen Einheit getreten. Aus Berlin, der Frontstadt des Kalten Krieges, wurde die Hauptstadt eines geeinten Deutschlands, das mit sich im Reinen ist, das mit seinen Nachbarn im Frieden lebt, das weltoffen und tolerant ist. Die über Jahrzehnte geteilte Stadt ist zusammengewachsen. National wie international ist Berlin heute die anerkannte Hauptstadt Deutschlands. Als politisches und kulturelles Zentrum ist Berlin zudem die Visitenkarte unseres Landes. Damit hat Berlin eine dienende Funktion für ganz Deutschland, meine Damen und Herren. Diese dienende Funktion als politisches und kulturelles Zentrum Deutschlands gilt es weiter zu stärken; denn eine gute Entwicklung Berlins steht sinnbildlich für eine gute Entwicklung Deutschlands. Vor über 20 Jahren führte der Deutsche Bundestag die Hauptstadtdebatte. Damals ging es darum, dass Berlin wieder Hauptstadt Deutschlands wird. Meine Damen und Herren, ich wünsche mir eine zweite Hauptstadtdebatte – nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie der Berliner Hauptstadtfunktion. Wie kann Berlin seiner dienenden Funktion für ganz Deutschland noch besser gerecht werden? Wie kann die ganze Republik noch stärker von ihrer Hauptstadt profitieren? Was kann Berlin als Hauptstadt für ganz Deutschland leisten? – Meine Damen und Herren, ich glaube, es lohnt sich, darüber zu diskutieren, (Zuruf von der CDU/CSU: Flughafen zum Beispiel!) es lohnt sich, darüber zu streiten, offen und über die Parteigrenzen hinweg. Denn ich bin mir ganz sicher: Berlin ist bereit, noch mehr Verantwortung für unser gesamtes wiedervereinigtes Land zu übernehmen. Meine Damen und Herren, nach der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts sollten wir die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit als Geschenk betrachten, über das wir uns nicht nur am 3. Oktober, sondern an jedem Tag des Jahres von Herzen freuen sollten. Wenn wir heute viel über die Bürgerrechtler des Herbstes 1989 gesprochen haben, sie gewürdigt haben, dann, finde ich, sollten wir an diesem Tag die Männer und Frauen des 17. Juni nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) Die Männer und Frauen des 17. Juni haben den Anfang gemacht, die Männer und Frauen des 17. Juni sind aufgestanden mit Mut. Sie wurden niedergeknüppelt, ermordet. Das, was die Männer und Frauen des 17. Juni begonnen haben, wurde am 9. November 1989 endlich erreicht und umgesetzt. Deswegen dürfen wir auch diese Männer und Frauen nicht vergessen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich möchte erst einmal etwas zur Einordnung dieses Ereignisses sagen, das wir in den letzten Tagen ge-feiert haben, insbesondere gestern. Wenn Sie in der Geschichte unseres Landes zurückblättern – Sie können 50 Jahre nehmen, Sie können 100 Jahre nehmen, Sie können 500 Jahre nehmen – und ein Ereignis suchen, das eine ähnliche Dimension wie dieses hatte, werden Sie bei der ganzen Aktion nichts finden. (Zuruf von der LINKEN: Gutenberg-Bibel!) Sie werden aus dem ganz einfachen Grund nichts finden, weil eine Reihe von Parametern bei zweifellos ganz wesentlichen Dingen in unserer Geschichte nicht erfüllt waren, nämlich erstens: Es ist bei einem Befreiungsversuch kein Tropfen Blut geflossen. – Das ist ganz wesentlich. Zweitens. Der Befreiungsversuch war anders als beispielsweise in der Revolution 1848 erfolgreich. Er hatte Erfolg. Drittens. Die Dimension hat alles bisher Dagewesene gesprengt. Sie hat nicht nur Europa verändert, sie hat Bedeutung für die ganze Welt gehabt. Meine Damen und Herren, das ist die Einordnung, das ist die Dimension, über die wir hier reden. Herr Bundestagspräsident, es ist richtig gewesen, was Sie zur Präsenz gestern am Tag in Leipzig gesagt haben. Es wäre aber wahrscheinlich auch nicht falsch gewesen, wenn wir den gestrigen Plenartag hätten ausfallen lassen können und nach Leipzig gefahren wären. Das hätten wir als Deutscher Bundestag vermutlich überlebt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Vaatz, ich teile sofort Ihre Einschätzung, dass der Bundestag das überlebt hätte. Mir ist aber ein entsprechender Antrag nicht erinnerlich. (Heiterkeit bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sächsische Staatskanzlei hat uns nicht eingeladen!) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Das weiß ich. Sie haben dem zweiten Satz, den ich dazu sagen wollte – das war ein Wort zur Selbstkritik –, vorgegriffen. Mir ist es auch nicht eingefallen. Also Schwamm drüber. Es war aber keine Glanzleistung, meine Damen und Herren. Das müssen wir schon einmal zugeben. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sächsische Staatskanzlei hätte uns einladen müssen, Herr Vaatz!) Jetzt hat sich bei den Vorrednern so viel ereignet, dass ich mein Manuskript praktisch wegschmeißen kann. Als Erstes: Herr Bartsch, Sie haben mit großem Pathos eingeklagt, dass es noch keine gleichen Lebensverhältnisse zwischen Ost und West gibt, obwohl das in der Verfassung festgeschrieben ist. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gleichwertig!) Die Festschreibung in der Verfassung allein nutzt nichts, denn es bedarf dazu gewisser Grundlagen. Wissen Sie, wir hätten diese gleichen Lebensverhältnisse zwischen Ost und West schon längst, wenn es keine SED und keine DDR gegeben hätte. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geht es noch kleiner? – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Die Blockparteien waren besser?) Ohne SED und DDR würden sich diese ungleichen Lebensverhältnisse nicht so exakt an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze festmachen. Herr Bartsch, wir hätten sie möglicherweise schneller, wenn Sie die 25 Jahre von damals bis heute nicht dazu genutzt hätten, alles zu unternehmen, um möglichst viel von den alten Strukturen der DDR zu konservieren, die alten Besitzstände fortzuschreiben und uns ausschließlich auf konsumtive Ziele auszurichten. Das ist das Problem. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben den Wiederaufbau nach Kräften verhindert. Sie haben gewünscht, dass sich dieses neue Staatswesen durch Überforderung so stark wie möglich selber schädigt, damit Sie immer mit Häme und Spott auf die Dinge eingehen konnten, die noch nicht erreicht waren. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist jetzt aber Küchenpsychologie!) Das ist Ihre wirkliche Rolle. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Unsinn! Sagen Sie das den Oberbürgermeistern von Leipzig!) Meine Damen und Herren, ich bin im Übrigen wie Helmut Kohl auch der Auffassung, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aufpassen! Frau Honecker ruft!) dass es damals nicht der Freundlichkeit und der Güte der Sowjetführung zu verdanken war, dass sie uns gewähren ließ, sondern in erster Linie ihrer Schwäche. Andererseits ist es aber auch so – das hat auch Helmut Kohl am 19. Dezember vor der Frauenkirche in Dresden ganz deutlich gesagt –: Ohne den unbedingten Willen zur Gewaltlosigkeit und ohne die Tatsache, dass wir damals Rachegelüste und Ähnliches im Keim erstickt haben – wir wollten uns ja nicht an jemandem rächen, sondern aus dieser Situation heraus –, wäre die ganze Sache vermutlich nicht friedlich geblieben. Wenn sie nicht friedlich geblieben wäre, dann wäre, glaube ich, eine deutsche Wiedervereinigung nicht gelungen; das muss ganz klar sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt gehe ich einmal kurz auf das ein, was Frau Lazar und Frau Lemke gesagt haben. Wissen Sie, das Problem ist folgendes: Sicher haben damals eine Reihe von SED-Leuten eingelenkt und ihre Genossen gemahnt, dass sie ihre Waffen nicht auspacken sollen; (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört doch mit dazu!) aber dafür, dass ein Mensch oder eine Partei nicht mordet oder nicht morden lässt, muss man ihm bzw. ihr nicht danken, sondern das ist selbstverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Und man muss sich meiner Meinung nach vor Menschen in Acht nehmen, die Dank dafür einfordern, dass sie nicht gemordet haben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Vaatz, darf die Kollegin Lemke dazu eine Zwischenfrage stellen? Arnold Vaatz (CDU/CSU): Selbstverständlich. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Vaatz, können Sie zur Kenntnis nehmen, dass das überhaupt nicht der Gedanke ist, den ich hier geäußert habe, dass es nicht darum geht, irgendjemandem zu danken, dass er nicht gemordet hat? Ich finde die Unterstellung, die Sie damit aussprechen, absurd. Was ich beschrieben habe, ist, dass wir Politiker 25 Jahre nach der friedlichen Revolution die Aufgabe haben, den Menschen Einordnungen und Erklärungen anzubieten und vor allem zur deutschen Einheit beizutragen, indem wir zur Versöhnung aufrufen. Ich habe bei mir zu Hause eine Kollegin, die wegen ihres Mannes entlassen worden ist. Sie hat gerade im Kommunalparlament darum gebeten, die Stasiüberprüfungen zu beenden. Diese Frau hat unter dem Regime und dem Unrechtsstaat DDR wirklich schwer gelitten, aber sie sagte, sie wolle verzeihen. Das kann jeder nur individuell tun. Das ist etwas, was wir hier im Deutschen Bundestag nicht tun können. Aber was wir tun können, ist, die Feierlichkeiten in diesem und im nächsten Jahr wirklich zur deutschen Einheit zu nutzen und die Debatten, die von beiden Seiten mit schnittfestem Schaum vor dem Mund geführt werden und die heute Gott sei Dank nur leise angeklungen sind, nach 25 Jahren zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Da es ja eine Frage war: Frau Lemke, wenn meine Äußerungen bei Ihnen diese Klarstellung bewirkt haben, dann waren sie sehr sinnvoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt, der meines Erachtens ganz wichtig ist: Herr Claus, Sie haben vorhin ebenfalls mit großer Selbstverständlichkeit erklärt, ob Sie aus der Verantwortung für das, was in der DDR im Namen der SED angerichtet wurde, entlassen würden, würden Sie bestimmen. Das ist ein Irrtum. Das bestimmen nicht Sie, sondern das bestimmt die Geschichte, und das bestimmt das deutsche Volk in Gestalt seiner Wähler. (Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Und die Opfer!) – Und die Opfer. Auch das muss ich noch sagen. Meine Damen und Herren, ich bin, wie gesagt, nicht der Meinung, dass wir das damals der Freude und der Güte der Sowjetführung zu verdanken hatten, sondern eher ihrer Schwäche. Ich glaube auch heute nicht einen Augenblick daran, dass unser Befreiungsversuch geglückt wäre, wenn in Moskau damals eine Kraft vom Kaliber der heutigen russischen Führung das Sagen gehabt hätte. Das muss gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ich mich an die Jahre 1989 und zuvor erinnere, dann muss ich sagen: Alle Menschen, die in einer ähnlichen Lage waren wie wir damals, verdienen heute unsere Solidarität und unsere Unterstützung. Insofern stimme ich Herrn Tiefensee hundertprozentig zu, dass wir diese Aufgabe haben, und zwar egal, ob die Leute in Nordkorea, in Kuba oder in der Ukraine leben. Wenn wir diese Aufgabe nicht annehmen, dann haben wir einen großen Teil dessen, was wir 1989 erkämpft haben, heute verspielt. Das darf nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine Sache nennen, die bei den vielen Erfolgsmeldungen ein Stück weit untergegangen ist. Es gibt viele Statistiken. Die sind toll und zeigen den Aufwuchs von damals. Es gibt eine Kurve, die hat einen ganz besonderen Knick im Jahre 1990. Das sagt sehr viel. Wissen Sie, welche Kurve das ist? Das ist die Kurve der durchschnittlichen Lebenserwartung. Wenn man es hochrechnet, beträgt der Anstieg der Lebenserwartung bei Männern 45 Prozent. Die Lebenserwartung von 65-jährigen Männern ist von ursprünglich 12 Jahren auf 17,5 Jahre, also um 45 Prozent, angestiegen. Auf diese Weise kann man sagen: Wenn man dies über alle Generationen hochrechnet, so sind nach der deutschen Wiedervereinigung den Ostdeutschen ungefähr eine Milliarde neue Lebensjahre geschenkt worden. Das ist eine ungeheure Sache. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Das liegt an den Bananen!) Das Ganze geht einher mit einer Stagnation – das können Sie alle überprüfen –, die von 1980 bis 1989 im Osten angehalten hat. In dieser Zeit gab es keine Steigerung der Lebenserwartung. Ich finde das ganz wichtig, denn ohne gesteigerte Lebenserwartung sind die anderen großen Segnungen überhaupt nicht genießbar. Wenn man tot ist, ist einem der Lebensstandard egal. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ohne Sozialismus lebt man länger!) Einen Punkt muss ich noch erwähnen. Wir haben einen gewaltigen Aufwuchs – ich glaube, hier ziehen wir mit der Entwicklung in Westdeutschland sehr stark gleich – im Bereich der Forschung. Dafür möchte ich Frau Professor Dr. Wanka ganz herzlich danken. Ich habe gehört, dass Ihre Mutter heute in Rosenfeld bei Torgau der Debatte zuschaut. Vielleicht freut sie sich über das Lob genauso wie Sie. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich finde das ganz toll. Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Vaatz, da Sie die Redezeit schon überschritten haben, wird es jetzt für Grußadressen an viele sinnvolle Richtungen nicht mehr reichen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Ich will Ihre Toleranzschwelle nicht überstrapazieren, aber wenigstens sagen, dass wir im Bereich der Forschung einen ganz tollen Ritt hingelegt haben. Ich nehme an, dass das auch in Zukunft so weitergeht. Unsere Unterstützung als Fraktion haben Sie jedenfalls. Wenn es so weitergeht, dann machen wir aus unserem Kapital, das wir im Kopf haben, tatsächlich früher oder später etwas, was wir in Händen und auf dem Konto haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Es fügt sich aufs Schönste, dass sich Frau Ministerin Wanka beim nächsten Tagesordnungspunkt prompt für die Grüße bedanken kann. Vorher sollten wir aber der interfraktionell vereinbarten Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2665 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse folgen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist offenkundig der Fall. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 18/2751 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? – Es besteht kein Zweifel über den weiteren Verfahrensgang dieses Textes. Dann ist das einvernehmlich so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) Drucksache 18/2710 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Katja Dörner, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kooperationsverbot kippen – Zusammenarbeit von Bund und Ländern für bessere Bildung und Wissenschaft ermöglichen Drucksache 18/2747 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsauschuss Für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 96 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch, also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Frau Professor Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hochschulbereich gibt es so viele Kooperationen zwischen Bund und Ländern wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!) Das war nur möglich, weil 2006 das Grundgesetz geändert wurde, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eben!) weil 2006 in unser Grundgesetz aufgenommen wurde, dass auch Kooperationen in Vorhaben der Wissenschaft und Forschung einschließlich Vorhaben der Lehre möglich sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da beklatschen wir uns selbst! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das waren harte Verhandlungen!) Nun haben wir heute unter anderem einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegen. Sie schreiben in ihrem Antrag: Im Jahr 2006 hat die letzte Große Koalition das Kooperationsverbot im Grundgesetz verankert. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich damals dieser fatalen Weichenstellung widersetzt … (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Falsch! All die großen Pakte, die wir verabschiedet haben, zum Beispiel der Hochschulpakt, wären ohne Grundgesetzänderung nicht möglich gewesen. Der Qualitätspakt Lehre wäre nicht möglich ohne die Grundgesetzänderung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um das Kooperationsverbot Bildung!) Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung wäre nicht möglich ohne die Grundgesetzänderung. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum heben Sie es dann auf, wenn alles so richtig war?) Weil wir eben über den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit gesprochen haben: Der Hochschulpakt 2020 ist eine riesige Solidarleistung der westdeutschen Bundesländer und der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Wir, seitens des Bundes, haben seit seinem Inkrafttreten für jeden Studenten Geld gezahlt. In den alten Bundesländern musste das kofinanziert werden, in den neuen nicht; das war entscheidend, damit die Kapazitäten dort nicht abgebaut werden. Man kann noch eine Zahl zum Bericht zum Stand der Deutschen Einheit hinzufügen. In dem Bericht steht, dass im letzten Jahr zum ersten Mal weniger junge Menschen aus den neuen Bundesländern zum Studieren abgewandert sind, als aus den alten Bundesländern zugewandert sind. Das wäre ohne den Hochschulpakt nie passiert. Dafür brauchten wir die Grundgesetzänderung. Warum man stolz ist, dass man dagegen war, das verstehe ich überhaupt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts verstanden!) Lassen Sie mich einen weiteren Satz aus dem Antrag der Grünen zitieren: In der Wissenschaft soll die Kooperation wieder in die Entscheidungsbefugnis von Bund und Ländern gelegt werden … Die Situation, die wir durch die Grundgesetzänderung geschaffen haben, gab es in der Bundesrepublik Deutschland vorher noch nie, ganz eindeutig. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!) Ich bin es einfach leid, diese trivialen Tatsachen jedes Mal zu erläutern. Ich habe es mal auf einer Seite zusammengefasst: Grundgesetz vor 2006, seit 2006, unser Gesetzesvorschlag. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war dabei! Ich weiß, wie es war!) Diese Seite kann man sich bei mir abholen. Es bedarf keiner großen Kommentare. Es ist ganz simpel und verständlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun ändert man das Grundgesetz nicht alle Tage. Man überlegt sich gut: Ist diese Änderung notwendig? Brauchen wir das? An dieser Stelle wird deutlich: Wir brauchen das, und zwar nicht, um etwas zu reparieren, sondern um etwas, was gut war, wesentlich besser zu machen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Wanka, darf der Kollege Mutlu eine Zwischenfrage stellen? Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ja. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Ministerin, ich habe Ihrer Rede von Anfang an sehr genau zugehört. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist gut so!) Sie haben aufgezählt, wie toll das alles war und was Sie mit der Grundgesetzänderung in Bezug auf das Kooperationsverbot alles erreicht haben. Ich schließe daran meine Frage an: Wenn die Grundgesetzänderung von 2006, die wir beklagt haben – das haben Sie richtig zitiert –, richtig war, warum sehen Sie dann jetzt überhaupt eine weitere Änderung des Grundgesetzes hinsichtlich des Hochschulbereichs vor? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja eine Steilvorlage, die Frage!) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich habe gerade angesetzt, um das zu erklären. Ich habe gerade gesagt: Wenn man das Grundgesetz jetzt ändert, muss man sich das gut überlegen. Es gibt gute Gründe, warum wir das Grundgesetz ändern. Es geht nicht darum, etwas zu korrigieren oder zurückzunehmen, sondern darum, das, was wir 2006 begonnen haben, fortzuführen. Der Nachteil der 2006 vorgenommenen Grundgesetzänderung, die Bund und Ländern auch in der Lehre eine Zusammenarbeit erlaubt – in der Forschung ist das eh möglich –, ist, dass die Erlaubnis zeitlich befristet ist, also diese Zusammenarbeit nur temporär möglich ist und nicht institutionell verankert ist. Genau das wird jetzt aber festgeschrieben. Es geht also keineswegs um eine Korrektur, um ein Zurücknehmen, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weiterentwicklung!) um das Reparieren eines Fehlers, sondern es geht um das Fortführen des Prozesses. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD]) Warum ist uns das so wichtig? Warum wollen wir unbedingt, dass der Hochschulpakt nicht nur 10 oder 15 Jahre läuft? Warum wollen wir die Zusammenarbeit institutionell verankern? Weil die Hochschulen das Herzstück des Wissenschaftssystems sind. Wenn unsere Nation ihren Wohlstand halten will, dann müssen wir im Bereich von Forschung und Innovationen gut sein. Überlegungen zu diesem Herzstück des Wissenschaftssystems sollte nicht nur jedes Bundesland für sich anstellen, sondern wir müssen auch in diesem Bereich langfristige Strategien entwickeln können, wie sie ja im außeruniversitären Bereich bereits möglich sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Wir müssen überlegen können: Welche besonderen Qualifikationen brauchen wir beispielsweise für das Projekt Industrie 4.0? Es geht nicht darum, dass der Bund entscheidet, ob etwas in Kiel oder in München angesiedelt wird, aber man muss über gemeinsame Zielstellungen nachdenken und Wege finden, um die Ziele zu erreichen. Dadurch wird auch die Kooperation der Universitäten und Hochschulen mit den außeruniversitären Einrichtungen, die schon heute möglich ist, sehr viel einfacher. Wenn diese Kooperationen viel unkomplizierter sind, schneiden wir auch in allen Rankings besser ab. Dann haben wir in gewisser Art und Weise vergleichbare, ähnliche Rahmenbedingungen für die außeruniversitären Einrichtungen und für die Hochschulen. In dem Gesetzentwurf steht: Einstimmigkeit. Es wird gesagt, dass das Prinzip der Einstimmigkeit stört, dass das so nicht sein sollte. In dem Gesetzentwurf geht es nun nicht darum, das föderale Prinzip, gemäß dem die Länder zuständig sind, zu streichen. Immer wenn das föderale Prinzip gilt, benötigen wir ja Einstimmigkeit, auch in der Ministerpräsidentenrunde. Die vorgesehene Grundgesetzänderung ist eindeutig: Wir wollen nicht, dass alle Länder bei jeder Kleinigkeit zustimmen müssen, sondern wir wollen, dass sie mitentscheiden, wenn im Schwerpunkt die Hochschulen betroffen sind. Das heißt, bei Vereinbarungen zwischen einer Hochschule und einer außeruniversitären Einrichtung müssen nicht alle Bundesländer gefragt werden. Wenn es aber um grundlegende Sachen geht, zum Beispiel um das Professorinnen-Programm, von dem 180 Hochschulen betroffen sind, oder um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Hochschulen, dann brauchen wir die Einstimmigkeit. Diese Einstimmigkeit haben wir 2006 aufgenommen; und sie steht da auch, weil wir das vom Grundgesetz her mussten. Ich denke, gleich wird in einigen Redebeiträgen mehr oder wenig höflich gesagt werden: Das ist ja schön. Der Wissenschaftsbereich ist der Anfang. Wir wollen diese Möglichkeiten auch im Bereich Schule, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau!) zwar nicht auf die Schnelle, aber das ist der nächste Schritt. – Ich sage an der Stelle immer gerne: Schauen Sie doch einmal nach Baden-Württemberg. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagt – das hat er mir auch im persönlichen Gespräch immer wieder bestätigt –: Im Bereich der Schule gibt es das auf keinen Fall; das geht den Bund nichts an. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In München und in Stuttgart! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer ist dafür!) Der Ministerpräsident von Hessen sieht das genauso. Meine Argumentation war immer: (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Es ist erst einmal die Frage, ob wir das wollen!) Es gibt diesbezüglich keine einheitliche Meinung der Bundesländer, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sind Sie denn dafür?) und solange es die nicht gibt, braucht man gar nicht darüber zu reden. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit! Die können Sie herbeiführen! Wie wäre es mit Überzeugungsarbeit?) – Herr Gehring, wenn Sie so freundlich wären, mich reden zu lassen. Es kommt noch besser: Wir haben vor kurzem im Bundesrat über die BAföG-Novelle, über die wir hier gestern debattiert haben, und über die Grundgesetzänderung diskutiert. In dieser Diskussion – das ist nachzulesen – haben Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland, Frau Puttrich aus Hessen, Frau Löhrmann, die Vizeministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Frau! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat gesagt, das ist Erpressung, was Sie machen!) und Frau Dreyer als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz gesprochen. Keine einzige dieser Frauen hat gesagt: Wir wollen die Grundgesetzänderung auch für den Schulbereich. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, das ist falsch!) Es war eindeutig. Sie haben gesagt: Wir wollen, dass wir auf der Basis dessen, was geht – es geht eine Menge –, Sozialgesetzbuch und anderes, zusammenarbeiten, um die großen Probleme der Zukunft zu lösen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber das ist ja schon etwas anderes, als was Sie sagen!) Wahrscheinlich bin ich da als ehemalige Landesministerin ein bisschen sensibler. Ich verstehe, dass man sich nicht so gerne etwas vorschreiben lässt und man keine Beglückungen aus dem Bundestag bekommen will, die man selbst nicht will und über die man vorab keine Diskussion geführt hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie reagieren Sie denn auf die Stellungnahme des Bundesrates?) Deswegen fand ich diese Bundesratsdiskussion sehr erstaunlich. Ich hätte den einen oder anderen Zwischenton erwartet. Dem war aber nicht so. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie wollten ihn nicht hören, Frau Kollegin!) Wir brauchen – das ist ganz eindeutig; das sieht der Bund auch so – bei den großen Herausforderungen, ob nun Inklusion oder anderes, eine Gemeinsamkeit, wir brauchen gemeinsam abgestimmtes Handeln, aber nicht zwingend eine Grundgesetzänderung. Diese ist nicht notwendig. Wir wollen auch, dass die Kompetenzen in diesen Bereichen bei den Ländern bleiben. Wir haben jetzt ein Gesamtpaket. Das Paket enthält die Grundgesetzänderung, über die wir jetzt diskutieren, und – darum ging es hier gestern – die BAföG-Novelle mit der Entlastung um 1,2 Milliarden Euro. Dass beide zusammenhängen, ist nicht sachfremd, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen. Im Ergebnis dieser Verhandlungen waren die Länder und der Bund der Meinung, dass es eine gute Situation ist, dass es eine Win-win-Situation ist. Vorgestellt haben wir dies auf einer Pressekonferenz. Von den Wissenschaftsministern war zum Beispiel Frau Ahnen dabei und hat das Ergebnis sehr gelobt. Sie hat sich sehr über die Möglichkeiten gefreut, die man jetzt in den Ländern hat. Ich bin auch trotz aller Schwierigkeiten, die uns das macht, der Meinung, dass es richtig ist, dass die Verantwortung dafür, wie man mit den frei werdenden BAföG-Mitteln umgeht, bei den Ländern liegt und dass man von Land zu Land verschiedene Entscheidungen treffen kann. Denn die Situation in den Bundesländern ist unterschiedlich. Manche haben in den letzten Jahren ganz viel in die Hochschulen investiert und Schwierigkeiten im Schulbereich, bei anderen ist es umgekehrt. Deswegen glaube ich – ich erwarte und erhoffe dies –, dass die Mittel entsprechend verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Ich denke, das Gesamtpaket, das wir jetzt haben, ist gut. Der Bund stellt in der genannten Größenordnung Mittel für die Studierenden zur Verfügung. Wir haben eine BAföG-Novelle, bei der es nicht nur um Entlastung geht, sondern in der auch die gestern besprochenen Dinge für die Studierenden enthalten sind. Und wir haben diese Grundgesetzänderung. All das wird aus meiner Sicht weit über diesen Tag und über diese Legislaturperiode hinaus wirken. Gerade mit der Grundgesetzänderung wird vieles möglich gemacht und wird der Föderalismus insgesamt moderner und zukunftsfähiger. Darüber freue ich mich. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Rosemarie Hein das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Ministerin hat eine von vielen hier im Haus sehr lange erwartete Änderung des Grundgesetzes heute im Bundestag vorgestellt. Frau Ministerin, Ihre Argumentation verwundert mich schon etwas. Aber auch ich will erst einmal darauf zurückblicken, warum wir überhaupt in dieser Situation sind. Vor acht Jahren, im Jahre 2006, war im Rahmen der Föderalismusreform beschlossen worden, die Aufgaben von Bund und Ländern klarer voneinander zu trennen. Die Länder übernahmen damals auf eigenen Wunsch unter anderem fast gänzlich die Zuständigkeit im Bereich Bildung. Eine gemeinsame Finanzierung von wichtigen Aufgaben war nahezu nicht mehr möglich, auch wenn die Ministerin heute etwas anderes sagt. Ziel dieser Reform war, „komplizierte Mischfinanzierungen“ zurückzudrängen und damit „Blockademöglichkeiten“, so stand es im entsprechenden Entschließungsantrag, zwischen Bund und Ländern zu vermeiden. Das klingt erst einmal ganz logisch, aber zumindest im Bereich der Bildung ist das gründlich nach hinten losgegangen. Denn mit dem Verbot gemeinsamer Finanzierungen wurden die notwendigen Finanzierungsaufgaben in der Bildung in vorher nie gekanntem Maße blockiert und eben nicht erleichtert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist also das Gegenteil von dem eingetreten, was beabsichtigt war. Darum wurden zahlreiche Hilfs-programme erfunden, zum Beispiel die Lernförderung innerhalb des Bildungs- und Teilhabepaketes, die Berufseinstiegsbegleitung, die Bildungsketten oder auch die energetische Sanierung, damit man im Schulbau überhaupt etwas machen konnte. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: So war es! Ja!) Auch die Pakte muss man wahrscheinlich in diese Reihe stellen. Das nennt man Umwegsfinanzierung. Diese Umwegsfinanzierung macht die Durchschaubarkeit der -Finanzströme und der Zuständigkeiten überhaupt nicht leichter, sondern eher verworrener. (Beifall bei der LINKEN) Ein Ziel der Föderalismusreform 2006 war auch, mehr auf Wettbewerb zu setzen. Die Kooperation von Bund und Ländern in der Bildung wurde weitgehend aufgekündigt. Dabei darf man nicht nur auf die Hochschulen zielen, sondern man muss eben auch auf den Rest der Bildungsaufgaben schauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann ja auf allen möglichen Gebieten einen Wettbewerb ausrufen, aber doch nicht bei der Frage eines besseren Bildungszugangs. Wer Bildung zum Gegenstand von Wettbewerb macht, vergrößert Ungleichheiten und schafft nicht mehr Gerechtigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Das kann niemand wollen, dem gleiche Bildungschancen in ganz Deutschland wichtig sind. Nach der Grundgesetzänderung von 2006 wurden den Ländern jährlich etwa 1 Milliarde Euro für die übertragenen Aufgaben zur Verfügung gestellt. Wir finden sie bis heute in unseren Haushalten. Die haben aber nicht gereicht. Nun reifte seit einigen Jahren, und zwar sehr langsam, in einigen Ländern die Einsicht, dass man hier ein Stück zurück müsse. Deshalb liegt jetzt die Forderung nach einer Lockerung des Verbotes vor. Deshalb haben wir jetzt diese Grundgesetzänderung auf dem Tisch, aber eben nur für eine bessere Finanzierung im Hochschulbereich. Das ist nicht viel. Das ist nicht einmal der Spatz in der Hand. Darum können wir das auch nicht gutheißen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, na, na! Die Hochschulen als Spatz zu bezeichnen!) Dass sich aber die Länder in dieser Sache nun überhaupt bewegt haben – das war ja nicht so einfach –, liegt an den klammen Kassen der Länder und Kommunen. Nachdem der Bund 2009 auch noch eine Schuldenbremse eingeführt hat, ist das noch schlimmer geworden. Die Aussichten, Bildung aus eigener Kraft finanzieren zu können, sind immer mehr geschwunden. Da helfen eben die gegenseitigen Eifersüchteleien zwischen Bayern und Hamburg und Bremen und Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nicht weiter. (Beifall bei der LINKEN) Zudem haben die Strategen von Bund und Ländern offensichtlich sehr unterschätzt – sie haben sich dabei kräftig verzockt –, wie groß die Aufgabe, die vor uns steht, eigentlich ist, was beispielsweise die wachsenden Studierendenzahlen betrifft. Die sind schneller gewachsen, als man das vorhergesehen hatte. Das ist ja erfreulich, aber man hat damit nicht gerechnet. Das gilt genauso für viele andere wichtige Herausforderungen, die es derzeit im Bildungsbereich gibt. Doch mit der Grundgesetzänderung, die uns heute vorliegt, werden die notwendigen Aufgaben der Bildungsfinanzierung in den kommenden Jahren nicht zu stemmen sein, weder inhaltlich noch finanziell. Nun sollen 1,17 Milliarden Euro mit der vollständigen BAföG-Übernahme durch den Bund an die Länder gegeben werden, und zwar jährlich. Doch das Geld ist noch nicht einmal in den Kassen, da ist es schon verbraucht. Nicht nur die Ministerin und die Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben ganz eigene und durchaus nicht übereinstimmende Vorstellungen davon, wie denn das Geld eingesetzt werden sollte. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist das Problem!) Die einen rechnen damit, dass es nur dem Hochschulbereich zugutekommt, die anderen wollen eine Aufteilung zwischen Schule und Hochschule. Und die Ministerin hat eben gesagt, die Länder sollen selbst entscheiden, wie sie das halten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die Debatte war gestern, Frau Hein!) – Ich habe Ihnen doch gestern schon gesagt, dass die verbundene Debatte von Ihnen ausgerufen wurde. Und wir machen das jetzt auch so. (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Bleiben Sie schön beim Thema!) – Mache ich! So will eben Niedersachsen die frühkindliche Bildung stärker ausbauen, Thüringen die Grundschullehrkräfte besser bezahlen, Rheinland-Pfalz in die Inklusion investieren, Sachsen-Anhalt mehr Lehrkräfte einstellen und den Hochschulen das Geld zurückgeben, das sie sonst für die Haushaltssanierung erbringen müssten. Das Geld ist also fest verplant. Und manchmal fließt es eben einfach in die Haushaltssanierung, und sei es über den Umweg der Hochschul- und Personaletats. Ich kann jedoch jedes Land verstehen, das angesichts der in Aussicht stehenden Finanzspritze jetzt sagt: Ja, wir wollen diese Grundgesetzänderung. – Sie brauchen das Geld nämlich dringend. Und darum waren die kritischen Anmerkungen im Bundesrat auch nur leise, aber sie waren durchaus hörbar. Und man kann auch diese nachlesen, wenn man das gerne möchte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen nämlich überall besser ausfinanzierte Hochschulen. Wir brauchen überall sanierte Schulen und Kitas. Wir brauchen überall Schulsozialarbeit, überall Inklusion. Wir brauchen überall eine bessere Kinderbetreuung, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das müssen die Länder bezahlen! Können die Länder doch machen! Verbietet keiner!) überall mehr und besser ausgebildete Lehrkräfte und überall eine bessere Weiterbildung usf. Und ich glaube, Sie haben keine Ahnung, was das kostet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie das nämlich alles mit den 1,17 Milliarden Euro bezahlen wollen, dann wird das eine ziemliche Hungerkur. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das haben wir nie erzählt!) Das betrifft sowohl den riesigen Investitionsstau, den es gibt, als auch die regelmäßige auskömmliche Finanzierung aller Bildungsbereiche. Natürlich weiß ich, dass einige Länder Angst um ihre Zuständigkeiten haben und mauern. Doch die Länder müssen endlich über den Tellerrand ihrer Landeszuständigkeit hinausschauen (Beifall bei der LINKEN) und Bildung als Gemeinschaftsaufgabe begreifen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Tun sie doch auch!) Das nimmt ihnen doch nicht die Verantwortung. Das schafft ihnen mehr Spielräume. Ich verstehe überhaupt nicht, warum ausgerechnet an dieser Stelle, also bei schulischer Bildung, bei frühkindlicher Bildung, bei Weiterbildung, die Länder derartig mauern. (Beifall bei der LINKEN) Statt Wettbewerb brauchen wir Best Practice. Davon können alle profitieren. Darum haben wir in unserem Antrag, der Ihnen seit Februar dieses Jahres vorliegt, die Einführung einer solchen Gemeinschaftsaufgabe gefordert. Dabei werden wir bleiben. Wir werden das vielleicht noch nicht jetzt, auch angesichts der Kürze des parlamentarischen Verfahrens von nur einem Monat, hinbekommen. Die Debatte, das weiß ich, hat viel länger gedauert. Es wird vielleicht noch eine Weile dauern. Das Thema wird aber wiederkommen. Aber jetzt ist zu befürchten – auch das kann man im Protokoll des Bundesrates nachlesen –, dass sich einige Länder mit der Miniänderung zufriedengeben und glauben, das Problem sei damit erledigt. Das Problem ist damit nicht erledigt. Wir bekommen das wieder auf den Tisch. Wir werden die Quittung für unser Handeln bekommen, und dann reden wir wieder über die Gemeinschaftsaufgabe Bildung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Hubertus Heil das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mir nicht helfen, aber es scheint ein Zufall zu sein, dass in solchen Debatten immer Frau Bulmahn als Vizepräsidentin amtiert. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie passt auf Sie auf!) Sie hat in diesen Debatten durchaus schon das Wort ergriffen und hat dieses Haus – sie hat in vielem auch recht gehabt – vor manchem Irrtum bewahren wollen. Darauf komme ich später noch zu sprechen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber sie kann jetzt nicht mehr reden!) Wir reden heute über etwas anderes. Vielleicht reden wir einmal über die einheitliche Auffassung dieses Parlaments darüber, dass es zumindest richtig ist, neue Möglichkeiten der Kooperation im Bereich der Wissenschaft und der Hochschulen in diesem Land zu schaffen; das bestreitet doch niemand ernsthaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man kann darüber streiten, ob wir mehr Möglichkeiten brauchen – Sie kennen unsere Auffassung dazu, dazu sage ich gleich etwas –, aber wir sind uns einig, dass das ein wesentlicher Schritt ist. Jetzt kann man das als kleinen oder großen Spatz klassifizieren, was auch immer, Frau Hein; es geht hier aber nicht um die Kategorie. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist ein Zaunkönig!) Vielmehr müssen wir der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, warum es gerade in dieser Phase – da hat Frau Wanka vollkommen recht – notwendig ist, dass wir jenseits der Klimmzüge von Projektitis eine dauerhafte Form von Zusammenarbeit für die Hochschullandschaft, das Herzstück des Wissenschaftssystems in unserem Land, auf den Weg bringen. Dafür gibt es ein paar Gründe. Wir haben erlebt – das haben wir in den vergangenen Jahren mit den Hochschulpakten unterstützt –, dass es weiterhin einen großen Run auf die Hochschulen gibt. Die Zahl der Studierenden ist massiv gestiegen; das war politisch gewollt. Ich sage – das hat gestern auch mein Fraktionsvorsitzender erklärt –: Wir wollen nicht, dass die universitäre Ausbildung gegen die berufliche Erstausbildung ausgespielt wird. Aber diese Welle an Studierenden muss von den Hochschulen in Deutschland verkraftet werden. Deshalb ist es wichtig, dass Bund und Länder gemeinsam dauerhaft, nicht nur in Projekten, zusammenwirken können. Wir brauchen eine Stärkung des Hochschulsystems und der Wissenschaft, auch in Bezug auf die Forschung. Wir sind wunderbar aufgestellt, was die außeruniversitäre Forschung in Deutschland betrifft. Aber Bund und Länder müssen in den nächsten Jahren, um international mithalten zu können, in der außeruniversitären und eben in der Hochschulforschung gemeinsam ansetzen können, ohne sich dabei zu verrenken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube, dass diese Form von Kooperation, die wir mit der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung ermöglichen, auch im Interesse der Beschäftigten an den Hochschulen ist, nicht nur der Professorinnen und Professoren, sondern auch derjenigen, die im wissenschaftlichen Mittelbau arbeiten; darauf komme ich noch. Diese Menschen erleben ja oft, dass diese Form von Kurzatmigkeit und Projektitis dazu führt, dass ihr Arbeitsleben ziemlich ungeregelt und befristet ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir werden in dieser Legislaturperiode über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz noch einmal zu reden haben. Wir haben uns vorgenommen, das zu ändern. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben schon etwas vorgelegt!) Aber genauso wichtig ist es, dass wir die Möglichkeit von Kooperationen schaffen, damit Aufstiegsmöglichkeiten und Karrierewege für gut ausgebildete Menschen, die wir an den Hochschulen dauerhaft halten wollen, möglich sind. Deshalb ist es ein guter Schritt, dass wir diese Grundgesetzänderung gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Frau Ministerin Wanka, Sie haben vollkommen recht: Mit der Formulierung, die wir gemeinsam für Artikel 91 b Grundgesetz gefunden haben, schaffen wir erstmals für den Wissenschaftsbereich dauerhafte, verlässliche und institutionelle Fördermöglichkeiten für die Hochschulen. Das ist unbestritten. Das gab es früher nicht, das ist ein großer Fortschritt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gleichwohl gibt es in der Koalition – das ist doch gar keine Frage – einen Dissens, den wir aber miteinander aushalten. Es geht darum – das wissen Sie –, dass wir uns als Sozialdemokraten durchaus gewünscht hätten, das Kooperationsverbot im Bereich der Bildung insgesamt aufzubrechen. Das leugnet niemand hier, das leugnet auch niemand im Bundesrat. Das ist die Position meiner Partei und auch vieler in der Union; das wissen wir. Frau Wanka, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass im Bundesrat Ministerpräsidentinnen – kluge Frauen – gesprochen haben, mit denen auch wir sprechen, die persönlich der Meinung sind, dass die Sache mit dem Kooperationsverbot im Bereich der Bildung insgesamt abgeschafft gehört. Da kann man sich immer wechselseitig vorhalten, wer in der eigenen Partei noch nicht so weit ist; das kennen die Grünen auch; man muss nur einmal nach Stuttgart gucken. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Zweidrittelmehrheit ist zu schaffen!) Das alles hilft uns nichts. Wir müssen jetzt den Schritt gehen, den wir gemeinsam mit einer Mehrheit im Bundestag und Bundesrat gehen können. Es wäre vollkommen falsch, aufgrund dieses Dissenses, weil einige noch nicht so weit sind, die Wissenschaft in Geiselhaft zu nehmen. Das Gesamtpaket stimmt. Frau Hein, die Verknüpfung ist vollkommen in Ordnung, dass wir in dieser Woche zugleich darüber reden, dass wir die Länder entlasten, um Spielräume zu schaffen, dass wir das BAföG verbessern und dass wir Möglichkeiten für den Hochschulbereich schaffen. Das zeigt die Handlungsfähigkeit dieser Koalition auf Basis der Möglichkeiten, die die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat hergeben. Das ist im Interesse von Bildung und Forschung in diesem Land. Deshalb ist es ein guter Schritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage trotzdem noch einmal: Wir wünschen uns für die Zukunft mehr, und wir werben auch dafür. Frau Bulmahn – das darf ich einmal erwähnen – hat damals im Rahmen der Föderalismusreform auf einiges hingewiesen. Ich bin der Meinung, dass wir zukünftig einen Irrtum aus der Föderalismusreform für den Bereich der Bildung korrigieren müssen: Das ist das Kooperationsverbot für den Bildungsbereich und für den Schulbereich. Wir müssen um Mehrheiten werben. Denn da hat mein früherer Fraktionsvorsitzender und heutiger Außenminister vollkommen recht gehabt. Das Kooperationsverbot im Bereich der Bildung, sagte Frank-Walter Steinmeier am 16. Mai 2013 in diesem Hohen Haus, ist (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Murks!) – ich zitiere – „ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum, der beseitigt werden muss.“ Wir bleiben dabei: Es ist unsere Aufgabe, das miteinander hinzubekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Lassen Sie es uns trotz des Dissenses, den es in der Koalition gibt, darüber reden, was im Hochschulbereich mit der Änderung des Artikel 91 b möglich sein wird. Damit zeigen wir, dass wir trotz verschiedener Meinungen an der einen oder anderen Stelle doch tun, was möglich ist. Ich möchte hierbei Folgendes ansprechen: Mit dem Weg der dauerhaften Kooperation von Bund und Ländern in unserem Wissenschaftssystem, den wir heute eröffnen, haben wir die Chance, in den nächsten Jahren Chancengleichheit, Innovation, Wertschöpfung, auch Beschäftigung zu fördern, und zwar gemeinsam in den nächsten Jahren. Das betrifft – ich habe es vorhin angesprochen – -Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs: weniger Befristung, mehr Möglichkeiten für Karrierewege, dauerhafte und verlässliche Maßnahmen, um Personalinitiativen auf den Weg zu bringen, um Juniorprofessoren zu unterstützen und um dem Mittelbau tatsächlich den Stellenwert zu geben, der ihm zukommt. Das wäre nicht möglich, wenn wir nur die Möglichkeit für befristete Projekte hätten. Wir haben durch die Grundfinanzierung die Möglichkeit, Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen. Die Möglichkeit besteht, wir öffnen diese Wege. Ich gebe gleichwohl zu: Wir müssen als Koalition noch daran arbeiten, diese Wege zu gehen. Das betrifft auch die Fortsetzung der Exzellenzinitiative. Wir können mit den neuen Möglichkeiten Planungssicherheit schaffen, weil wir Ressourcen im Wissenschaftssystem verbessern und von kurzfristigen Wettbewerben tatsächlich zu dauerhaften Perspektiven im Sinne von Exzellenz in Breite und Spitze kommen. Auch das ist etwas, was diese Koalition sich vorgenommen hat. Schließlich können wir die immer wichtiger werdende Kooperation im Bereich der Forschung zwischen außeruniversitären und universitären Forschungseinrichtungen einfacher und besser gestalten, als das mit vielen Klimmzügen in der Vergangenheit der Fall war. Es spricht viel dafür, dass wir diese Wege gehen und auch nutzen. Deshalb handelt es sich um eine gute Grundgesetzänderung. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, dass wir sehr stolz sein können auf das, was unser Wissenschaftssystem heute schon liefert. Wir dürfen nicht zulassen, dass es kaputtgeredet wird. Nehmen wir einmal die Verleihung des Nobelpreises im Bereich der Chemie an einen Deutschen, der sowohl für ein Max-Planck-Institut arbeitet, also im außeruniversitären Bereich unterstützt wird, als auch – natürlich – Hochschulprofessor ist. Das zeigt, dass wir international gar nicht schlecht aufgestellt sind. Es gibt dennoch neue Herausforderungen. Das Paradigma in der Wissenschaft dieser Tage und Jahre scheint Kooperation zu sein: Kooperation zwischen Disziplinen, Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft in vielen Bereichen und zwischen Bundesländern. Das muss dann aber auch in der Politik zwischen Bund und Ländern gelten. Deshalb ermöglichen wir das. Was die Zukunft und unseren Wunsch, den ich vorhin formuliert habe, betrifft, weiter Überzeugungsarbeit für die Änderung des Grundgesetzes auch im Bereich der Bildung zu leisten, so gilt etwas, was wir aus der Wissenschaft kennen: Die Zukunft ist offen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Der Satz ist gut!) Es ist nicht so, dass alles festgeschrieben ist. Es ist daher gut – auch das ist eine Erkenntnis der Wissenschaft –, dass Menschen lernende Wesen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im günstigsten Fall!) Sie sind übrigens auch in der Lage, Irrtümer einzugestehen. Ich habe es vorhin gesagt: Wir räumen ein, dass wir an dem Irrtum von 2006, den Frank-Walter Steinmeier im Nachhinein beschrieben hat, mitbeteiligt waren – in guter Absicht. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auf Merkels Bekenntnis warten wir noch!) Wir sollten es schaffen, es miteinander hinzubekommen, das zu ändern. Heute ist nicht der Tag, darüber zu reden, wann das möglich ist. Die Überzeugungsarbeit dauert an; ich habe es vorhin beschrieben. Lassen Sie uns heute im Interesse des Wissenschaftsstandortes Deutschland, der Hochschulen in diesem Land die Möglichkeiten nutzen. Lassen Sie uns das tun, was heute möglich ist. Die Studierenden werden es uns in Zukunft danken; die Menschen, die an Hochschulen arbeiten, werden es uns danken; dieses Land wird es uns danken, dass wir die Wissenschaft an den Hochschulen in diesem Land zukunftsfähig gemacht haben. Dazu ist die Grundgesetzänderung ein ganz wesentlicher Schritt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Dörner das Wort. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die letzte Große Koalition hat einen schweren Fehler gemacht. Der eine Teil hat es offensichtlich eingesehen, der andere Teil leider noch nicht. Das ist sehr schade. (Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das Kooperationsverbot ins Grundgesetz zu schreiben, war ein schwerer Fehler. Frau Ministerin, 2006 wurde nicht die Zusammenarbeit ermöglicht, sondern 2006 wurde die Tür dazu weitestgehend zugeschlagen; sie ist nur einen ganz kleinen Spalt offen gelassen worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das war ein schwerer Fehler, und diesen schweren Fehler muss man korrigieren, und zwar vollständig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der Vorschlag im Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, ist leider nur eine halbherzige Korrektur, und deshalb reicht er uns nicht. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich bin wirklich enttäuscht, dass Union und SPD die riesige Chance, die sie haben, nicht nutzen. Sie haben eine 80-Prozent-Mehrheit im Deutschen Bundestag, und sie haben die Unterstützung der Opposition dafür, das unsinnige Kooperationsverbot vollständig zu kippen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Überhaupt nicht! Denken Sie an Ihre Ministerpräsidenten!) So vernünftig es natürlich ist, dass Bund und Länder im Bereich der Hochschulen zukünftig wieder zusammenarbeiten können, so absurd ist es doch, dass diese Zusammenarbeit im Schulbereich weiter verboten bleiben soll. Deshalb ganz klar unser Appell an SPD und an Union: (Oliver Kaczmarek [SPD]: Bringen Sie uns Hessen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Stuttgart!) Korrigieren Sie den Fehler, und zwar ganz! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Da gibt es nichts zu korrigieren, Frau Dörner!) Wir alle wollen die besten Bildungsmöglichkeiten für unsere Kinder. Wir wollen, dass alle Kinder, alle Jugendlichen in diesem Land ihre Potenziale wirklich voll ausschöpfen können. Wir wollen gute Bildungsinstitutionen, von der Kita über die Schule und die Hochschule bis zur Weiterbildung. Ich bin davon überzeugt: Wir werden das nur schaffen und können es überhaupt nur schaffen, wenn alle gemeinsam daran arbeiten und auch zusammenarbeiten: Bund, Länder und Kommunen. Sie sind gemeinsam in der Pflicht. Sie müssen aber auch an einem Strang ziehen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht um die Zukunft unserer Kinder. Deshalb ist das Festhalten am Kooperationsverbot in der Bildung ein Fehler. Da habe tatsächlich auch ich ein Zitat von Frank-Walter Steinmeier, der das schön ausgedrückt hat. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ein kluger Mann!) Er hat nämlich nicht nur gesagt, dass es Unsinn ist, sondern er hat auch gesagt, dass es Blödsinn ist. Beides ist richtig, und deshalb sollte das Kooperationsverbot komplett abgeschafft werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn eine Bundesregierung und ein Deutscher Bundestag zusagen, sich für die Schulen engagieren zu wollen, ein Ganztagsschulprogramm auflegen zu wollen, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das wollen wir aber gar nicht! Das steht nirgendwo! Schauen Sie mal in den Koalitionsvertrag!) sich dafür engagieren zu wollen, dass es mit der Inklusion weitergeht, dass die Inklusion in den Schulen schneller vorankommt, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Können die Länder machen!) das dann aber nicht geht, weil man sich selber eine Mauer namens Kooperationsverbot vor die Nase gestellt hat, dann fasst sich doch eigentlich jeder normale Mensch an den Kopf und denkt: Das darf doch wohl nicht wahr sein. – Deshalb sind wir dafür, diesen Zustand zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist schon gesagt worden: Das weiß nicht nur die große Mehrheit hier im Bundestag – auch wenn die Mehrheit dem am Ende wahrscheinlich nicht zustimmen wird –, sondern das wissen auch viele in den Bundesländern. Gerade deshalb finde ich die schon angesprochene Kopplung zwischen der BAföG-Novelle und der Grundgesetzänderung, die wir heute besprechen, extrem ärgerlich und auch unfair. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Lächerlich!) Der Bund übernimmt die Kosten für das BAföG nur, wenn die Länder dieser Grundgesetzänderung zustimmen. Die nordrhein-westfälische Schulministerin hat das als Erpressung bezeichnet, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie hat wahrscheinlich kein Jura studiert und weiß nicht, was Erpressung ist!) und es ist eine Erpressung. Diese Bezeichnung dafür ist absolut richtig. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass das Junktim zwischen diesen beiden Gesetzgebungsverfahren aufgehoben wird, damit beide Reformvorhaben einen sinnvollen und sachlichen Beratungsprozess durchlaufen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute über eine Grundgesetzänderung. Es ist schon gesagt worden: Das machen wir nicht alle Tage, und das ist auch richtig so. Man sollte nicht am Grundgesetz herumstückeln, sondern man sollte es unmittelbar und direkt richtig machen. Ich möchte unseren Kollegen Herrn Rossmann zitieren, der in einem Beitrag in der FR sehr gut formuliert hat: „Nach zwei Schritten zurück muss mehr drin sein als ein Schritt nach vorn.“ Ich finde, man kann das kaum besser sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Applaus von der falschen Seite, Herr Rossmann!) Man muss aber auch bereit sein, diese Schritte zu gehen. Wir sind es, und wir hoffen, dass sich im Gesetzgebungsverfahren auch bei Ihnen noch die Bereitschaft dazu zeigt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Albert Rupprecht das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Albert Rupprecht (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Hein, wenn man Ihrer Rede zuhört und wenn man auch noch glauben würde, was Sie sagen, dann bekäme man Depressionen. Für Depressionen gibt es aber überhaupt keinen Anlass. Wo stehen wir im Jahr 2014? Noch einmal kurz zum Status quo: Wir sind nicht nur Fußballweltmeister, sondern auch Nobelpreisträger. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber nicht mehr Papst!) Ich sage das in aller Ernsthaftigkeit. Natürlich ist das in erster Linie eine herausragende Leistung des Wissenschaftlers Stefan Hell. Aber würde derselbe Wissenschaftler im Senegal, in Ägypten oder anderswo arbeiten, wo er nicht die institutionellen Rahmenbedingungen hätte, die er in Deutschland hat, dann wäre das nicht möglich gewesen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Wo stehen wir? Alle anerkannten Innovationsindizes sagen: Deutschland steht weltweit auf Platz zwei, drei oder vier, und das bei 194 Staaten. Ich glaube, darauf können wir stolz sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal die PISA-Studie an! Dann haben Sie es auf einen Blick!) Wir sind für die Wissenschaft wieder hochattraktiv. In der Max-Planck-Gesellschaft kommen 86 Prozent der Postdocs aus dem Ausland. 31 Prozent der Max-Planck-Direktoren kommen ebenfalls aus dem Ausland. Stefan Hell – ich habe ihn eben schon erwähnt – hat einen Ruf nach Harvard bekommen. Er hat abgelehnt und ist lieber in Deutschland im Max-Planck-Institut geblieben. Das alles sind Aussagen, die zeigen, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland weltweit vorne liegt und hochattraktiv ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) All das wäre überhaupt nicht möglich gewesen, hätten wir vonseiten des Bundes in den letzten Jahren nicht massiv Gas gegeben. Das alles sagt den Nichtfachleuten wenig. Dahinter verstecken sich aber Riesenpakete mit Milliardenvolumina in historischen Dimensionen wie das Wissenschaftsfreiheitsgesetz beispielsweise – ein historischer Schritt für die Wissenschaftsszene –, Humboldt-Professuren, die Hightech-Strategie, der Spitzencluster-Wettbewerb, der Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative usw. usw. All das sind Maßnahmen, die wir vonseiten des Bundes in den letzten Jahren angestoßen haben. Das zeigt sich auch in den Finanzen, die wir in der Haushaltsdebatte noch einmal ausführlich diskutieren werden. Wir haben in den zehn Jahren von 2005 bis 2015 im Haushalt für Forschung und Bildung einen Anstieg um 101 Prozent und damit eine Verdoppelung erzielt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Letzte Frage: Wieso brauchen wir eine Verfassungsänderung? Wir brauchen sie aus zwei Gründen. Der Kollege Heil hat es angesprochen. Der erste Punkt ist: Die Pakete, die ich eben genannt hatte, sind teilweise zeitlich befristet. Die Verfassung erlaubt uns nur die zeitliche Befristung. Nach den von uns gemachten Erfahrungen wollen wir sie in dauerhafte wettbewerbliche Anreizstrukturen überführen. Denn wir wollen Nachhaltigkeit. Wir wollen nicht, dass die Wissenschaft es sich bequem macht. Wir wollen aber auch weg von der Projekteritis. Wir brauchen vielmehr langfristig nachhaltige wettbewerbliche Anreizstrukturen. Wir brauchen die Verfassungsänderung, um genau das, was wir aufgebaut haben, auch nachhaltig leben zu können. Es gibt einen zweiten Grund: die Besonderheit des deutschen Systems. Wir haben universitäre und außer-universitäre Forschung. Mit Blick auf die Schanghai-Rankings sage ich in aller Deutlichkeit: Wir sind bei den Hochschulen nirgendwo auf absoluten Spitzenplätzen. Das hängt auch mit der deutschen Besonderheit zusammen. Würden wir die Max-Planck-Gesellschaft mit dazuzählen oder würde beispielsweise die LMU in München gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft bewertet werden, dann hätten sie sehr wohl einen Spitzenplatz. Eine solche Zusammenarbeit ist bis dato außerordentlich schwierig und nur mithilfe hochkomplizierter Rechtskonstruktionen möglich, weil die Hochschulen auf Dauer vom Land und die außeruniversitären Hochschuleinrichtungen von Land und Bund finanziert werden. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Danke schön für das Beispiel!) Deswegen ist es in der Tat keine Petitesse, sondern ein Meilenstein für die Wissenschaftsarchitektur in diesem Land, dass in Zukunft eine solche Zusammenarbeit auf Dauer möglich sein wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum Begriff der Kooperation. Wir wollen Kooperation, und wir leben Kooperation. Wir wollen aber eine bestimmte Art von Kooperation. Wir wollen, dass gemeinsame Ziele formuliert werden, dass Aufgaben zugewiesen werden und dass Verantwortung übernommen wird. Jeder soll die Verantwortung für den Bereich übernehmen, den er gut beherrscht. Was wir nicht wollen, ist Kooperation, bei der jeder für alles zuständig ist, was dazu führt, dass am Schluss keiner mehr etwas macht. Das Ergebnis ist dann, dass die Vertreter unserer Parteien bei Herrn Jauch und Frau Illner sitzen und sagen: Die anderen sind verantwortlich. – Eine solche Kooperation führt dazu, dass die Schuld immer anderen zugeschoben wird. Genau das braucht die Bevölkerung nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir Artikel 91 b unserer Verfassung ändern, definieren wir genau, was wir wollen. Wir wollen nicht, dass jeder für alles zuständig ist. Der Bund hat Expertise und Kompetenz, wenn es um die überregionale Bedeutung von Bereichen, um internationale Wettbewerbs-fähigkeit und exzellente wissenschaftliche Leistungen geht. Wenn wir die Expertise und die Kompetenz in der Krebsforschung an den verschiedenen Standorten Deutschlands in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung zusammenführen wollen, dann macht es Sinn, dass sich der Bund engagiert; denn dadurch ermöglichen wir Exzellenz und weltweite Spitzenleistungen. Es macht aber keinen Sinn, dass der Bund entscheidet, ob die Universität in Freiburg oder die Universität in Regensburg ausgebaut wird. Das ist nicht unsere Aufgabe, und darf auch nicht unsere Aufgabe werden. Die Weiterentwicklung der Hochschulen ist Länderaufgabe, weil das vor Ort, also dezentral, wesentlich besser entschieden werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gleiche gilt für die Schulbildung. Schule gelingt, wenn sie dezentral und subsidiär organisiert wird. Die Lehrer vor Ort wissen am besten, wie gute Schule funktioniert. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass es eine Verbesserung für das Land darstellt, wenn wir von Berlin aus steuern, weil nur wir angeblich wissen, wie gute Schulen funktionieren? Das würde in keiner Weise eine Verbesserung darstellen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Kooperation und nicht von oben diktieren!) Ich nenne ein konkretes Beispiel: Der Antrag der Grünen beinhaltet den Ausbau der Ganztagsschulbetreuung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Programm!) Die Situation in meinem Bundesland Bayern sieht wie folgt aus: Es gibt eine klare politische Aussage, dass die Ganztagsschulbetreuung bedarfsgerecht ausgebaut wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es in fast allen Ländern!) Jede Kommune und jede Schule, die Bedarf hat, wird -finanziert. Es wird in keiner Weise am Geld scheitern. Aber es ist ein riesiger Unterschied, ob ich in München oder in meinem Heimatort, einer ländlichen Dorfgemeinde im Oberpfälzer Wald, einen solchen Ausbau vornehme; denn die Strukturen und damit auch der Bedarf sind vollkommen unterschiedlich. Ich frage seit Monaten: Was ist der Mehrwert, wenn der Bund die Rolle des Landes übernimmt? Das hat überhaupt keinen Mehrwert. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch keiner gesagt! – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das soll er doch gar nicht!) Die Länder können den Bedarf wesentlich besser ermitteln. Genau das macht Bayern. Deswegen empfehle ich dringend, nicht über Kooperationsverbot oder Kooperationsgebot zu schwadronieren, sondern nach konkreten Lösungen zu suchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie mal an!) Lieber Kollege Gehring, dem Antrag Ihrer Fraktion fehlt jegliche Glaubwürdigkeit. Wenn Sie in der Regierung wären, hätten Sie null Chancen, Ihren Antrag umzusetzen; (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Blödsinn!) denn Ihre Basis, Ihre Landesvertreter und insbesondere Ihr Ministerpräsident aus Baden-Württemberg würden keinen Zentimeter mit Ihnen mitgehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg ist nicht der Nabel der Welt!) Abschließend: Es gab noch nie so viel Kooperation. 60 Prozent der in den Haushalt des BMBF eingestellten Mittel fließen in Kooperationsprojekte. Die Behauptung, es gebe keine Kooperation, ist daher falsch. Die Zahl der Kooperationsprojekte ist in den letzten Jahren dramatisch angewachsen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dramatisch, Sie sagen es!) Es gibt also Kooperation. Aber sie muss dort stattfinden, wo sie sachlich begründbar und vernünftig ist, also dort, wo es um Exzellenz und internationale Wettbewerbsfähigkeit geht. Die Länder haben die Aufgabe, dort, wo es um Subsidiarität, Dezentralität und die Nähe zum Menschen geht, die Probleme zu lösen. In diesem Sinne werden wir gemeinsam mit der Regierung Artikel 91 b unserer Verfassung ändern. Damit sind wir auf einem guten Weg. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat die Kollegin Nicole Gohlke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Kolleginnen und Kollegen! Vor acht Jahren – auch ich hole aus – hatte die Bundesrepublik Besuch von Vernor Muñoz, dem damaligen UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung. Das Ergebnis seines Abschlussberichtes war eine Ohrfeige. Er kritisierte scharf die mangelnde Chancengleichheit und die zunehmende Verlagerung von Bildungszuständigkeiten auf die Länderebene; denn dadurch, so Muñoz, verliere der Bund zunehmend die Möglichkeit, eine einheitliche Bildungspolitik und gleiche Chancen im Bundesgebiet zu gewährleisten. Er stellte fest, dass Bildungschancen und Bildungswege in Deutschland stark davon abhängen, wo man geboren ist, welches Schulsystem vor Ort existiert und wie zahlungskräftig gerade das jeweilige Bundesland ist. Da hätten bei allen – sogar bei Ihnen von der Union – alle Alarmglocken läuten müssen. (Beifall bei der LINKEN) Stattdessen sind acht Jahre vergangen. Was ist in dieser Zeit passiert? Der Wettbewerbsföderalismus unter den Ländern wurde weiter verschärft. Als Krönung haben Sie das Kooperationsverbot eingeführt, das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung, in der Kultur und auch in anderen Bereichen. Das Fazit dieser Entwicklung ist ausgewiesenermaßen miserabel. Trotzdem weigert sich die Regierung, eine wirkliche Korrektur vorzunehmen. Für die allgemeine Bildung, für die Schulen und Kitas wollen Sie weiterhin keine Verantwortung übernehmen. Lediglich für die Hochschulen soll eine Finanzierung durch den Bund ermöglicht werden, aber nur – und jetzt kommen die Einschränkungen – in Fällen überregionaler Bedeutung und nur dann, wenn alle Bundesländer zustimmen. Ein einziges Bundesland – ich weiß gar nicht, warum ich jetzt auf Bayern komme – (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Weil es so schön ist!) kann hier alles blockieren! „Besser als gar nichts“ ist doch jetzt im Kern die Argumentation der SPD. (René Röspel [SPD]: Das stimmt! – Rainer Spiering [SPD]: Damit haben wir Deutschland zum Erfolg gebracht!) Ich glaube, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie sich da etwas schönreden; denn der Verdacht, dass es mit dieser Grundgesetzänderung gerade nicht um die Stärkung der Grundfinanzierung aller Hochschulen geht, sondern dass damit eigentlich nur die Lieblingskinder und Eliteprojekte der Regierung gepampert werden sollen, liegt sehr nahe! (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lesen Sie doch mal die Begründung des Gesetzes!) Herr Rupprecht hat es doch gerade bestätigt. Er hat gerade genau beschrieben, worin er die Kompetenz des Bundes sieht: im internationalen Wettbewerb und in Exzellenz. Er hat es gesagt! (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schauen Sie in die Gesetzesbegründung!) Die Exzellenzinitiative läuft 2017 aus, und es ist doch auffällig, dass genau jetzt die Konservativen auf einmal ihr Interesse an einer Lockerung des Kooperationsverbotes nur für den Hochschulbereich entdecken. Dass das, was die Regierung hier vorlegt, nicht genug ist, sagen Ihnen sogar Akteure und Institutionen, bei denen es mir wirklich schwerfällt, sie zu zitieren. Auch die Bertelsmann-Stiftung, die Robert-Bosch-Stiftung und die Telekom-Stiftung haben kürzlich das Verantwortungswirrwarr in der Bildung bemängelt und kommen zu dem Schluss, dass der Bildungsföderalismus in Deutschland unter systemischen Blockaden leidet und die Lockerung des Kooperationsverbotes für Einzelfälle im Hochschulbereich nicht ausreichend ist. Genau das ist es: Bei diesem Gesetzentwurf geht es nur um Einzelfälle und eben nicht um die Breite. Deswegen ist dieser Entwurf auch nicht der Spatz in der Hand, ein Schritt in die richtige Richtung oder etwas Ähnliches. Vielmehr ist es zu wenig und eine falsche Entscheidung, sich nur um Elite und Exzellenz in der Hochschule zu kümmern und den Rest außen vor zu lassen. (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, falls es Ihnen im internen Koalitionsstreit, der Sie derzeit ein bisschen umtreibt, gerade entfallen sein sollte: Sie regieren gerade. Dann tun Sie das aber auch, und nehmen Sie Ihre Aufgaben wahr! Zum Beispiel wäre es Ihre Aufgabe, sich um die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet zu kümmern, und nicht, aus ideologischer Verbohrtheit den Wettbewerb unter den Bundesländern wichtiger zu nehmen als gute Bildung von der Kita bis zur Hochschule. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wanka hat eine historische Rückbetrachtung vorgenommen. Ich will sie so aufnehmen: 1949, zu Beginn der heutigen deutschen Demokratie, gab es nach dem Totalitarismus so etwas wie einen starken – auch separativen – Föderalismus. Dann gab es die erste Große Koalition. Man hatte – auch bedingt durch gesellschaftliche, ökonomische und politische Erfordernisse – bemerkt, dass der Staat gestärkt werden muss. Es war 1969 eine große Reformleistung der damaligen Großen Koalition, im Rahmen einer staatsorientierten Bildungsreform so etwas wie Hochschulbau, Hochschulsonderprogramme, Bildungsplanung und Bund-Länder-Programme mit nach vorne zu bringen. Dies war ein Modernisierungs- bzw. Innovationsschub. Dann hat es einen Rückschlag gegeben, und zwar mit der nächsten Großen Koalition und der geteilten Föderalismusreform, die durchaus einige Vorteile hatte, wenn wir an die Sicherheitsarchitektur denken, aber in Sachen Bildung brüchig wurde. Einige kennen die Historie, aber ich möchte es noch einmal erklären, Frau Wanka. Es war gut, dass die SPD-Bildungspolitiker ihre Fraktion real erpresst haben und Peter Struck am Ende sagte: Um das Gesamtwerk durchzubringen, müssen wir die Vorhaben der Wissenschaft im Grundgesetz verankern. Ohne das keine Hochschulpaktprogramme, keine Exzellenzinitiative, keine bessere Lehrerbildung und keine Initiativen für bessere Lehre an den Hochschulen. – All das wäre nicht gegangen, wenn wir dies damals nicht – wir freuen uns, dass Sie erpresserische Sozialdemokraten anerkennen – ermöglicht hätten. (Beifall bei der SPD) Wenn wir die Kette vom separativen Föderalismus über die stärkere Staatlichkeit hin zur Aufgabenteilung verfolgen, dann sehen wir, dass wir jetzt in eine Phase treten, in der wir mehr Kooperation brauchen. Das merkt man an allen Beiträgen. Wir brauchen mehr Kooperation in Bezug auf das Zusammenwirken der staatlichen Ebenen – Bund und Länder –, aber auch mehr Kooperation in Bezug auf das Zusammenwirken der Institutionen, die in einem bestimmten Bereich aktiv sind; hier geht es um den Hochschulbereich. Ich will deshalb das aufnehmen, was auch Kollege Rupprecht angesprochen hat. Verfassungsänderungen sind nicht auf den Moment bezogen. Das haben wir mit der nachgeschobenen Verfassungsänderung und dem Katastrophenartikel 104 b gemacht, als wir das Konjunkturprogramm anders administrieren wollten und das auch für den Bereich Bildung und Hochschulen nutzbar machen wollten. Zu einer Verfassungsänderung muss Weitsicht gehören. Die Weitsicht bezieht sich darauf, dass – anders als vielleicht noch 1949; die Perspektive ist jetzt 2049 – in der Wissens- und Bildungsgesellschaft sowie der Ökonomie der Zukunft der Bildungs- und Hochschulbereich eine ganz zentrale Rolle spielen wird. Was zentral ist, muss zentral mit anderen verantwortlich gestaltet werden können, und zwar verlässlich und nachhaltig. Deshalb ist es eine gute Entwicklung, dass im Koalitionsvertrag steht, dass der Bund auch in die Grundfinanzierung einsteigen können soll. Das wird erst durch diese Verfassungsänderung ermöglicht. Es ist auch gut, dass wir uns auf neue Formen der Wissenschaftsarchitektur einstellen. Man muss nicht gleich eine Abscheu vor Exzellenzinitiativen zeigen und Abwehrreflexe mobilisieren. Auch Sie von der Linken haben doch bestimmte Vorstellungen über Modernisierung, Innovation, Wertschöpfung, Produktivität und die Gestaltung verbesserter Lebensbedingungen. Deshalb sollten Sie diese Initiativen nicht nur negativ sehen. Wir brauchen eine veränderte Wissenschaftsarchitektur. Es ist doch absurd, wenn sich in Karlsruhe die außer-universitäre Forschungseinrichtung und die Universität förmlich verrenken müssen, um eine Kooperation abschließen zu können. Das ist keine Frage von rechts oder links, sondern diese Absurdität sehen wir doch alle. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist absurd, dass wir in Berlin exzellente Forschungseinrichtungen, zum Beispiel die Charité, haben, die mit anderen Einrichtungen, die ebenfalls brillante Forschung betreiben, nicht zusammenkommen können. An dieser Stelle Kooperation ermöglichen zu können, ist genauso wichtig, wie darüber nachzudenken, wie eine zukünftige Profilierung und Entwicklung im Hochschulsystem selber aussehen soll. Es hat einmal jemand ausgerechnet, dass wir in Europa in einigen Jahrzehnten – das ist gar nicht mehr so lange hin – gerade einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Wenn wir in Deutschland innerhalb dieser 5 Prozent ein Profil entwickeln wollen, dann müssen wir ein Zusammenwirken von Wissenschaft und Forschung und eine Kooperation von Bund und Ländern gewährleisten. Es darf nicht sein, dass der Bund nur akzidentell oder kurzfristig eingreift. Das sind Begründungen, die man annehmen kann, aber nicht annehmen muss; aber diese sollten die Grundlage für Verfassungsänderungen sein, die über den Tag hinaus reichen, die Perspektiven ermöglichen sollen. Wir glauben, dass dies eine gute Verfassungsänderung für den Bereich Hochschule, Wissenschaft und Lehre ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist eine Verfassungsänderung, die Spielräume ermöglicht und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die wir bisher nicht hatten. Da es an dieser Stelle eine breite Zustimmung auch von der CDU/CSU gibt, starte ich noch einmal einen Versuch in einem anderen Bereich. Mir kommt nicht aus dem Sinn, was mir einmal eine gute Freundin gesagt hat: Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, musst du es halt zum zweiten Mal versuchen. – Ich versuche es jetzt noch einmal, Sie auch (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie zur Vernunft zu bringen? Das klappt nicht!) für die Bildung zu motivieren, zumal man weiß, dass es auch bei Ihnen einige gibt, die durchaus in diese Richtung weiterdenken wollen. Wo ist eigentlich die Plausibilität, wenn wir als Gesamtstaat in New York die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnen, zu Hause aber diesen Impuls nicht aufnehmen können, sondern mit kleinster Münze darauf achten müssen, wo der Bund im Schlüsselsystem Schule Inklusion fördern darf? Ein Nächstes. Wo ist die Plausibilität, wenn wir im Bildungs- und Teilhabepaket eine große Anstrengung unternehmen, um Bildungsarmut zu bekämpfen, während alle wissen, dass vieles besser wäre, wenn man strukturell schulische Institutionen unterstützt hätte, die viel mehr Wirksamkeit entfalten, wenn man dabei nicht Umwege hätte gehen müssen? Auf die Zukunft gerichtet: Da wir wissen, wie sehr in der Hochschulbildung, aber auch in der Schulbildung die Digitalisierung zunimmt, ist es dann am Ende plausibel, dass wir eine Zusammenarbeit von der Verfassung her förmlich ausschließen, sodass es Open-Educational-Resources-Entwicklungen nur in einzelnen Bundesländern gibt? Kann es nicht notwendig werden, ganz bewusst in Bezug auf Schule einen zentralen Bundesimpuls zu setzen, weil damit die Entwicklung schneller käme und effizienter wäre, weil sie damit auch in größerer Homogenität käme, gerade bei diesem neuen Medium? Darüber werden wir noch diskutieren. Bisher müssen wir darüber noch unter den Restriktionen einer Verfassungsbeschränkung, eines Kooperationsverbots in der Verfassung diskutieren, müssen an eine solche Frage mit einem Tabu im Kopf herangehen, statt sozusagen mit offenem Visier auf die zugehen zu können, die auch an dieser Frage arbeiten und etwas zusammenbringen wollen. Das ist der Grund, weshalb wir das Kooperationsverbot als unzureichend, als kurzsichtig ansehen und weshalb es im Bundesrat – Frau Wanka, wir haben die Debatte sehr genau nachgelesen – sehr wohl auch andere Positionen, klare Positionen, aus sozialdemokratisch und rot-grün regierten Ländern gegeben hat. Ich habe Frau Löhrmann so verstanden, dass sie sich nicht daran verkämpfen will – „verkämpfen“ hieße: wir machen gar nichts mit; wir anerkennen nicht einmal das, was jetzt seitens der Bundesregierung vorgeschlagen wird –, aber weiter kämpfen will. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hört die Ministerin wieder nicht zu!) Das macht eine Differenz, die man auch in der politischen Auseinandersetzung souverän respektieren sollte. Nachdem ich vorhin ein bisschen flapsig zitiert habe, will ich jetzt mit Goethe enden – ihn hat auch Malu Dreyer im Bundesrat zitiert –: „Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein.“ Also: Unterstützung, Beifall hoffentlich für den einen großen Schritt, nämlich dafür, dass wir für die Hochschulen, für die Wissenschaft in jedweder Hinsicht kooperationsfähig werden, und Hoffnung auf und Streiten seitens der Linken, der SPD, der Grünen und all der einsichtigen Kollegen bei CDU und CSU für den nächsten großen Schritt! Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Kai Gehring das Wort. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Jetzt erklär mal, was dein Ministerpräsident sagt!) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition vergibt mit ihrer Vorlage heute die historische Chance, aus einer Verbotsverfassung eine Ermöglichungsverfassung für bessere Wissenschaft und Bildung zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Die GroKo hat 2006 gegen grünen Widerstand das Problem „Kooperationsverbot“ in die Verfassung geschrieben. 2014 will sie es nur zur Hälfte lösen. Mehr Kooperation in der Wissenschaft, das ist gut. Bildung bleibt leider außen vor, das ist schlecht. Sie machen damit nur halbe Sachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gute Hochschulen stehen immer auf dem Fundament guter Kitas und Schulen. Es bleibt schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass wichtige bildungspolitische Impulse und Verbesserungen wie eine neue Bund-Länder-Ganztagsschulinitiative ausgeschlossen bleiben sollen. Das wollen wir mit unserem Antrag ändern. Als Irrweg hat die SPD im Bundestagswahlkampf das Kooperationsverbot bezeichnet – das stimmt –; heute verteidigen und kritisieren Sie den Koalitionskompromiss zugleich. Ich sage: Liebe CDU/CSU, als guter Koalitionspartner sollten Sie die SPD erlösen. Geben Sie als Union im Bund und in den Ländern den Widerstand gegen mehr Kooperation in der Bildung auf! Sonst ist das 7-Prozent-Ziel nicht zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Eine Grundgesetzänderung muss guten Lösungen den Weg bereiten. Ich sage: Ja, der Vorschlag von Ministerin Wanka ist für die Wissenschaft besser als der alte Vorschlag von Ministerin Schavan. (Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] und René Röspel [SPD]) Aber das geplante Einstimmigkeitsprinzip, wonach alle 16 Länder zustimmen müssen, steht einer neuen Kooperationskultur entgegen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) Statt Blockade und Vetomöglichkeiten in unser Grundgesetz zu schreiben, sollten die Verfahrensregeln der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz überlassen bleiben. Es wäre falsch, mit dem Einstimmigkeitsprinzip innovative Entscheidungen zu verzögern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hochschulen und Forschungseinrichtungen brauchen neue, dauerhafte und gemeinschaftliche Wege in der Finanzierung – dazu sind hier schon viele Beispiele genannt worden –, sonst platzen die Universitäten und Fachhochschulen aus allen Nähten. Denn auch in den nächsten Jahren und im nächsten Jahrzehnt hält der Studierendenboom an. Die zeitlich befristeten Wissenschaftspakte – Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzinitiative; auch der Qualitätspakt Lehre – schaffen eben keine dauerhafte Finanzierungs- und Planungssicherheit, vor allem nicht für das wissenschaftliche Personal, das endlich gute Karrierewege statt Befristungsunwesen braucht. Es bedarf in unserem Land einer Offensive für wissenschaftlichen Nachwuchs und planbare Wissenschaftskarrieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider fehlt der Großen Koalition die gemeinsame Idee, was sie denn überhaupt mit den neuen Koopera-tionsmöglichkeiten in der Wissenschaft anfangen will. Weder für Spitzenforschung mit internationaler Strahlkraft noch für regionale Strukturpolitik, also weder für Spitze noch für Breite, haben Sie zusätzliches Geld zur Verfügung. Bildlich gesprochen: Frau Wanka kriegt zum 1. Januar 2015 ein neues Rennrad, aber Herr Schäuble schließt es im Fahrradkeller ein. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Stimmt doch überhaupt nicht! Sie haben keine Ahnung von den Zahlen!) Von Kooperation, die auf dem Papier steht, hat niemand etwas, nicht die Studierenden, nicht die Wissenschaftler und auch nicht die Hochschulen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Wir wollen, dass der Bund dauerhaft Forschung und Lehre an Hochschulen mit unterstützen und verbessern kann. Daher ist eine Öffnung der Verfassung für Wissenschaft überfällig. Die Beratung der Verfassungsänderung ist mit dieser Debatte in die entscheidende Phase getreten. Wir Grünen im Bundestag reichen der Großen Koalition die Hand. An uns scheitert ein großer Wurf nicht. Denn zusammen können wir aus der Verbotsverfassung endlich eine Ermöglichungsverfassung machen, die einer Bildungsrepublik einen klugen Rahmen setzt. Der Artikel 91 b kann mehr. Gesellschaftlich herbeigesehnt werden die vollständige Aufhebung des Kooperationsverbots und eine tiefgreifende Modernisierung unseres Bildungsföderalismus jedenfalls schon lange. Deshalb sollten wir das auch tun. Unsere Geduld ist am Ende. Wir wollen mehr Fortschritt für Bildung und Wissenschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Patricia Lips das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Patricia Lips (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die BAföG-Novelle, die wir gestern debattiert haben, vor allen Dingen auch hinsichtlich der künftig alleinigen Zuständigkeit des Bundes, wie auch die Änderung des Grundgesetzes für eine bessere Zusammenarbeit mit den Hochschulen sind, auch schon für sich allein genommen, von großer Bedeutung. Beides zusammengenommen entwickelt jedoch ganz neue Möglichkeiten für unser nationales Bildungssystem, aber auch – das wurde deutlich und ist uns mindestens ebenso wichtig – für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Lassen Sie mich an dieser Stelle eines ergänzen, weil es gestern ein bisschen kritisch anklang: Hier werden zeitgleich zwei Projekte umgesetzt, die vor allem den jungen Menschen in unserem Land zugutekommen. Mehr als 50 Prozent eines Geburtenjahrgangs beginnen heute ein Hochschulstudium – Tendenz steigend. Die Schere zwischen den Förderungen im außeruniversitären Bereich und der Hochschulen geht systematisch immer weiter auseinander. Wir wissen das. Bereits seit Jahren steht deshalb zu Recht die Forderung im Raum, genau an dieser Stelle mehr zu tun. Das geschah ja auch schon. Es wurden bereits mehrfach die gemeinsamen Projekte wie Exzellenzinitiative, Hochschulpakt, Qualitätspakt Lehre und Professorinnen-Programm erwähnt. Sie haben diesen Aufwuchs zunächst gezielt, aber halt auch begrenzt, erfolgreich begleiten können. Dennoch müssen wir die Frage beantworten: Reicht dieses Engagement unter den bisherigen Möglichkeiten aus, um heute und in Zukunft im europäischen und internationalen Wettbewerb dauerhaft zu bestehen? Ich gebe Ihnen ja recht: Eine Grundgesetzänderung macht man nicht einfach so, so lapidar. Aber die Antwort auf diese Frage lautet: Nein. Es bedarf einer Weiterentwicklung. Deshalb streben wir – dagegen kann ja niemand etwas einwenden – eine Erweiterung planbarer und verlässlicher Gestaltungsmöglichkeiten für Hochschulen und Forschungseinrichtungen an. Dies gilt auch für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Damit ist eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit und am Ende auch – das wurde heute noch nicht erwähnt; aber ich sage dies ausdrücklich – ein tatsächlicher Mehrwert für das Wissenschaftssystem verbunden. Es ist und kann nicht unser Ziel sein, dass ein stetiger Einsatz des Bundes an dieser Stelle künftig zum Ausfall von Anteilen des einen oder anderen Landes führt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Basis, um zu diesem Mehrwert zu kommen, stellt die geplante Grundgesetzänderung dar. Lassen Sie mich noch einmal auf das Stichwort „Kooperationsverbot“ zurückkommen. Man gewinnt ja in manchen Diskussionen wirklich den Eindruck, dass in unserem Bildungssystem ein Stoppschild zwischen Bund und Ländern steht, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es auch!) das es aber so nicht gibt. Es wurden bereits einige Beispiele wie die Projekte im Hochschulbereich genannt. Aber ich möchte doch auch noch die Milliarden erwähnen, die inzwischen seitens des Bundes unabhängig von Mittelaufstockungen für Betriebskosten, Sondervermögen und vielem anderen mehr in die frühkindliche Bildung, in Kitas und Krippen geflossen sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist ein nicht unerheblicher Anteil. Ich möchte als Beispiel auch an das gemeinsame Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ zur Verbesserung der Lehramtsausbildung erinnern und nicht zuletzt auch an die finanziellen Freiräume, die durch die Komplettübernahme des BAföG durch den Bund bei den Ländern entstehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass je nach Bundesland ein Großteil des Geldes nicht nur in die Hochschulen, sondern wiederum auch in Kitas fließt, aber auch in viele Bereiche der Schulen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie sich entscheiden! Einerseits kritisieren und andererseits loben!) – Ich möchte jetzt keine Bewertung im Detail vornehmen, Herr Mutlu. Sie haben nachher noch Zeit, darauf zu antworten. – Aber das kommt doch nicht von ungefähr. Das ist doch jetzt erst möglich geworden: eine verbesserte Finanzierung des Bildungssystems mit knapp 1,2 Milliarden Euro jährlich, über diese Legislaturperiode hinaus, aber insgesamt in Länderzuständigkeit. (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Ich wollte mit diesen Beispielen nur zeigen: Wir leisten also bereits einen erheblichen Beitrag über unsere eigentliche Zuständigkeit hinaus. Bei allen Forderungen nach einem Mehr an Finanzierung: Wir wissen um die Unterschiedlichkeit und Differenziertheit in den Zielsetzungen der Länder. Am Ende kann es nicht das Ziel sein, dass der eine das Ziel der Reise bestimmt und der andere vielleicht nur und für immer die Reisekosten übernimmt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstverständlich ist Bildung auch eine gemeinschaftliche Aufgabe; aber jeder an seiner Stelle. Da wird uns hier und heute auch kein Kultusminister widersprechen. Im Gegenteil: Wir stehen zur Kulturhoheit der Länder und zur föderalen Kompetenzzuordnung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Dies gilt im Übrigen auch für den heutigen Gesetzentwurf, der die Überregionalität von Projekten betont und in bestimmten Fällen die Zustimmung aller Länder erfordert; der Kollege Rupprecht hat es ja angesprochen. Deutschland ist ein großes Land mit teilweise völlig unterschiedlichen Regionen und damit verbundenen Herausforderungen. Dies gilt für viele Bereiche, auch für den weiten Raum der Bildung, vor allen Dingen aber für den Bereich der frühkindlichen und schulischen Bildung. Aus gutem Grund liegen deshalb die Zuständigkeiten der Länder gerade dort, wo sie sich besser auskennen, Entscheidungen treffen können und im Übrigen auch wollen. Kolleginnen und Kollegen, die BAföG-Novelle und die vorgelegte Grundgesetzänderung gehören zusammen. Sie bieten die Chance, eine Strahlkraft in alle Bildungsbereiche hinein zu entfalten, nach innen wie nach außen. Sie bieten darüber hinaus Wissenschaft und Forschung ganz neue und verlässliche Perspektiven. Insofern ist es eine gute Situation für alle Beteiligten: für den Bund und die Länder, für die Hochschulen und Forschungseinrichtungen und vor allem für junge Menschen, die unser Land mit einer guten Ausbildung nach vorne bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege René Röspel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung außerhalb des Themas sei mir gestattet. Ich finde es richtig, dass auch ein Abgeordneter die Möglichkeit haben muss, seinen Vaterpflichten nachzukommen. Deswegen bin ich gerne kurzfristig für Swen Schulz eingesprungen, der jetzt bei seinem kranken Kind zu Hause ist. Wir wünschen gute Besserung an dieser Stelle. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt aber zum Thema. Ich bin sehr froh über diesen Gesetzentwurf, weil ich glaube, dass wir damit im Bereich der Hochschulen einen guten und wichtigen Schritt weiterkommen und weil dieser Gesetzentwurf auch anerkennt, dass die Länder unterschiedliche Voraussetzungen und unterschiedliche Bedingungen haben. In den Debatten hört man häufig, dass alle Länder gleich seien und gefälligst die Aufgaben in ihrem Bereich übernehmen sollen. Das hat man nicht nur bei der Debatte über den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit heute gemerkt. Das würde vielleicht klappen, wenn die Bundesländer alle gleich wären, so als wenn man die Sahara als Wüste in Quadrate aufteilen würde. Dann könnte man sagen, dass dort die Voraussetzungen alle gleich sind. Das kann funktionieren. Es ist im realen Leben aber nicht so. Vielmehr – das klang auch gerade bei Patricia Lips an – spielt es eine Rolle, welche Regionen in einem Bundesland sind. Große Unterschiede bestehen zwischen Großstädten und ländlichen Regionen. Wenn ich aus meiner Großstadt im Wahlkreis in Richtung ländliche Region gehe, dann verändert sich viel: die Arbeitslosenquote, die Zahl der Sozialhilfeempfänger und der Alleinerziehenden sinkt. Alles wird anders, in der Regel besser. Deswegen kommt gerade Großstädten eine besondere Bedeutung zu. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meiner Stadt Hagen. Wir haben zu Beginn des Schuljahres 260 Flüchtlingskinder ganz schnell in Auffangklassen aufnehmen müssen. Es waren Kinder, die häufig gar nicht die deutsche Sprache beherrschen, manchmal nur teilweise, mitunter Analphabeten sind. Die Stadt steht vor der Herausforderung, diese Kinder zu integrieren, Schulklassen zu bilden und Lehrer dafür abzustellen. Das klappt mit dem Land zusammen. Aber ich finde, dies ist nicht allein die Aufgabe von Land und Kommune, dies zu regeln – das ballt sich im Ruhrgebiet –, sondern der Bund hat hier auch eine Aufgabe. Deswegen ist diese klare Trennung nicht so einfach. (Beifall bei der SPD) In den Ländern gibt es nicht nur unterschiedliche Belastungen, sondern auch unterschiedliche Verfahrensweisen. Weil ich gerne nach Bayern in den Urlaub fahre, vergleiche ich immer NRW und Bayern. NRW unternimmt besondere Anstrengungen, Menschen zum Abitur zu führen. Die Quote der Studienberechtigten ist fast doppelt so hoch wie in Bayern. Das liegt nicht an der Qualität bayerischer Schüler, aber vielleicht an der Besonderheit, dass man in NRW sagt: Wir wollen mehr Menschen zum Abitur bringen. Das ist eine besondere Leistung des Landes. Das spiegelt sich auch in der Zahl der Studierenden pro Einwohner wider. Das habe ich beim letzten Mal schon gesagt. In NRW liegt sie deutlich höher als in Bayern oder Sachsen. Das heißt, in NRW studieren mehr Menschen. Das ist auch gut so. Dann aber zu sagen: „Seht als Land zu, wie ihr das hinbekommt“, ist zu kurz gedacht und dient nicht der Sache. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will ein weiteres, sehr eindringliches Beispiel nennen, das uns gestern Morgen beim Forschungsfrühstück der Helmholtz-Gemeinschaft vorgestellt wurde: „Das Haus der kleinen Forscher“, eine Stiftung mit Mitteln aus der Helmholtz-Gemeinschaft und privaten Trägern, die mehr Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften in die Kindergärten bringen wollen. Der Geschäftsführer hat einen total engagierten, begeisterten und begeisternden Vortrag gehalten. Man merkte, dass er lange Zeit in Ulm bei Manfred Spitzer, einem Neurowissenschaftler, war, der seit Jahren – wissenschaftlich belegt – sagt, wie wichtig es ist, im frühkindlichen Bereich mit Bildung anzufangen. Der alte Spruch „Was Hänschen nicht gelernt hat, lernt Hans nimmermehr“ gilt eigentlich auch, wenngleich nicht in dieser Rigidität. Der Geschäftsführer hat gesagt, dass er die Vision hat, dass er in 30 Jahren auf der Tagung der Nobelpreisträger sein wird und dort zwei Nobelpreisträger – am besten Deutsche – nebeneinander sitzen, die sagen: Mensch, du warst auch im „Haus der kleinen Forscher“ und hast im Kindergarten dieses Interesse für Naturwissenschaften entdeckt. – Das ist genau der richtige Weg. Der Weg zum Nobelpreis fängt im Kindergarten an und nicht erst in der Hochschule. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daher ist die Trennung – der Bund ist nur für Hochschulen zuständig, alles andere müssen Länder und Kommunen übernehmen – zu kurzsichtig. (Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] und Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Bildungsforscher, der gestern dabei war, hat zwei Punkte der Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte he-rausgehoben und gelobt: Der erste Punkt war das Ganztagsschulprogramm, das die rot-grüne Bundesregierung 2003 auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich erinnere mich daran, dass vom rechten Block des Hauses die Zwischenrufe kamen: Einheitsschule, Verwahranstalt. Es gab große Proteste. Das hat sich alles gelegt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In meinem Wahlkreis gibt es 54 Ganztagsgrundschulen. Alle wissen, wie gut es ist, eine vernünftige Ausstattung zu haben, Räume, in denen sich Kinder wohlfühlen, in denen sie auch den Nachmittag verbringen können. Aber das Problem ist – Edelgard Bulmahn hat das früher angesprochen –, die Pädagogik darf nicht vom Bund bezahlt werden. Und das verstehen die Menschen überhaupt nicht. Zu sagen, für Nachmittagsunterricht sind wiederum die Länder zuständig, das geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. Zum zweiten Beispiel, das gelobt wurde: Bei der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ geht es darum, früh anzufangen, in Kindern ein Interesse für bestimmte Themen zu wecken. Das Programm soll nun – glücklicherweise unterstützt durch das BMBF – auf Grundschulen ausgeweitet werden. Aber sie dürfen nur nachmittags in die Ganztagsgrundschulen, weil ihre Arbeit durch Bundesmittel finanziert wird. Deshalb dürfen sie ihre Arbeit nicht mit der der Lehrer koordinieren und schon vormittags tätig werden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kooperationsverbot!) Das ist so weit an der Lebenswirklichkeit vorbei – das kann man den Menschen draußen nicht erklären. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten uns davor hüten, Politik zu machen, die an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigeht. Deswegen muss der nächste Schritt sein, die Möglichkeit zu schaffen, dass der Bund den Ländern in Bildungsfragen Angebote machen und auch Finanzhilfe geben kann. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Özcan Mutlu das Wort. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Gestatten Sie mir vorweg einen Satz zur Rede von Frau Lips. Liebe Frau Lips, es kann einfach nicht angehen, dass Sie sich heute hierhin stellen und sagen: „Schaut doch! Viele Gelder aus der BAföG-Reform gehen auch in die frühkindliche Bildung.“ Bei der gestrigen BAföG-Debatte haben etliche Ihrer Kollegen das Land Niedersachsen dafür kritisiert, dass es genau das getan hat. Das ist ein bisschen billig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat sie nicht gesagt!) – Ja, ja, natürlich. Lesen Sie das im Protokoll nach. Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Wie heißt es doch so schön? Man erntet, was man sät. Natürlich vorausgesetzt, dass man etwas ernten will. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Man sollte auch zuhören!) Wenn ich mir Ihre Bildungspolitik und die Reden heute vergegenwärtige, dann habe ich da so meine Zweifel. Sie säen – um beim Bild des Landwirts zu bleiben – entweder überhaupt nicht oder nur spärlich; und wenn Sie etwas säen, dann lassen Sie die eine Hälfte des Ackers unberührt. – Dieses Bild ist symptomatisch für Ihre Bildungspolitik, die wider besseres Wissen am Kooperationsverbot in der allgemeinen Bildung festhält. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber damit nicht genug: Zwischenzeitlich ist es so – wir haben es in mehreren Debatten gehört –, dass Sie sich gut 13 Jahre nach dem ersten PISA-Schock gegenseitig auf die Schulter klopfen, weil wir inzwischen im PISA-Vergleich durchschnittliche Werte erreicht haben. Aber ein Bildungssystem darf sich nicht nur mit Durchschnitt begnügen. Durchschnitt ist für uns nicht genug. Durchschnitt ist Stagnation, und Stagnation ist kein Erfolg. Deshalb muss das Kooperationsverbot abgeschafft werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: An uns liegt es nicht!) Das hat uns auch die jüngste OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ eindrücklich gezeigt: geringste Bildungsmobilität, weiterhin bestimmt der Geldbeutel der Eltern darüber, wie erfolgreich die Bildung ist oder eben nicht, Bildungsinvestitionen unterhalb des OECD-Durchschnitts. Liebe Kollegen, das ist doch keine Erfolgsstory! Das ist kein Grund, sich auf die Schulter zu klopfen. Wir Grüne waren und sind nach wie vor für Ganztagsschulen. Ganztagsschulen sind aus unserer Sicht Orte, die Kreativität und Innovationsfähigkeit befördern, weil sie an den Potenzialen der Kinder und der Jugendlichen ansetzen. Gerade weil sie das tun, können sie zu mehr Chancen-, Teilhabe- und Leistungsgerechtigkeit, also – das sage ich in Richtung der SPD – zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. (René Röspel [SPD]: Das brauchen Sie nicht in unsere Richtung zu sagen! Wir wissen das!) Deshalb bin ich mit Ihnen einer Meinung: Das Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Regierung – an dieser Stelle ein Dank an die Präsidentin, die damals in einer anderen Funktion war – ist eine Erfolgsstory, unsere gemeinsame Erfolgsstory, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und die sollten wir auch fortsetzen. Ich appelliere an dieser Stelle an Sie, Herr Kollege Heil. Wenden Sie das Struck’sche Gesetz an: Kein Gesetz verlässt den Bundestag, wie es hineinkommt. – Stimmen Sie unserem Antrag zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wenn wir mit Rot-Grün eine Zweidrittelmehrheit hätten, wäre es schon durch!) Weil immer noch am Kooperationsverbot festgehalten wird, können wir nicht mehr in Ganztagsschulen investieren. Das gilt insbesondere für das Bildungssystem, das zu einem inklusiven Bildungssystem weiterentwickelt werden soll. Auch diesbezüglich treten wir auf der Stelle. Ich kann nur das wiederholen, was ein Kollege vorhin gesagt hat: Es kann doch nicht sein, dass wir die UN-Behindertenrechtskonvention ratifizieren – das haben wir vor fünf Jahren hier getan – und in diesem Punkt aber immer noch auf der Stelle treten. Wir können als Bund doch nicht sagen: „Das liegt im Zuständigkeitsbereich der Länder; Stichwort ‚Länderhoheit‘“, während die Länder wiederum sagen: „Barrierefreie Schulen sind Aufgabe der Kommunen“, und die Kommunen wiederum sagen: „Wer bestellt, der zahlt.“ – Das Ergebnis ist: Bei der Inklusion herrscht Stillstand. Das können wir uns nicht leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Dieses Problem müssen wir angehen. Auch deshalb gehört dieses Kooperationsverbot abgeschafft. An dieser Stelle würde ich gerne Frau Sylvia Löhrmann, die derzeitige KMK-Präsidentin, zitieren, weil ihr Name und das Land Niedersachsen hier öfter genannt worden sind. (Sven Volmering [CDU/CSU]: Die kommt aus NRW!) – NRW. Habe ich nicht NRW gesagt? Entschuldigung, ich habe mich versprochen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nordrhein-Westfalen! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Oder aus der Schweiz vielleicht? Wer ist denn das eigentlich?) – Nordrhein-Westfalen. Liebe Kollegen, ich meinte Nordrhein-Westfalen. Ruhig Blut! Da ich nur noch ein paar Sekunden Redezeit habe, bin ich irgendwie unter Druck. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Niedersachsen ich, NRW Löhrmann! Aus Berlin kann man das schon mal verwechseln! Eben schön hier in Brandenburg, Özcan!) – Gut. Frau Löhrmann hat gesagt: Wir müssen wegkommen von einem Denken in Zuständigkeiten und hinkommen zu einem Denken in Verantwortlichkeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hat recht. Deshalb sage ich: Das, was Sie hier praktizieren, ist organisierte Verantwortungslosigkeit. Das Festhalten an dem Kooperationsverbot ist verantwortungslos. Nutzen Sie die Chance: Nehmen Sie unseren Antrag an, korrigieren Sie die Fehler aus der FödKom II. Lassen Sie uns gemeinsam etwas für die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen tun und nicht nur für die universitäre Bildung. Das ist wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Tankred Schipanski das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist heute eine lebhafte Debatte. Wir würden uns natürlich ein bisschen mehr Sachlichkeit wünschen. Herr Mutlu, das wäre fein. Ich hoffe, Frau Meiritz von Spiegel Online schaut zu. Sie hat neulich kritisiert, die Debatten seien nicht mehr lebhaft und die Geschäftsordnung sei so schwierig. Ich muss sagen: Die Debatte heute ist alles andere als langweilig. Das macht Spaß. Unsere Ministerin hat in ihrer Rede von einem Gesamtpaket gesprochen. Die Grünen dagegen sprechen von einer Junktimsklausel, von Erpressung. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, dies ist ein Festtag für die Bundesländer. Das ist eine Festtagswoche für die Bundesländer: Gestern gab es eine Milliardenentlastung beim BAföG, und heute schaffen wir die rechtlichen Grundlagen, damit sich der Bund dauerhaft und nicht nur temporär an den Kosten für die Hochschulen beteiligen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD] – Zuruf von der CDU/CSU: Halleluja!) Das ist wie Ostern und Weihnachten zusammen. Da kann man überhaupt nicht von Erpressung sprechen. Das, was Sie hier machen, ist ganz schlechter politischer Stil. Wenn ich nach links, auf die Bundesratsbank, blicke, bin ich aber bitter enttäuscht. Ich möchte unseren Bundesländern bei der zweiten und dritten Lesung eine zweite Chance geben. Ich möchte aber sagen: Ein Wort des Dankes ist bei so viel Engagement des Bundes für unsere Bildungsrepublik Deutschland mehr als angebracht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Schipanski, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmann zu? Tankred Schipanski (CDU/CSU): Eine Zwischenfrage? – Aber gerne. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Kollege Schipanski, ich möchte es so in eine Frage kleiden: Haben Sie Verständnis dafür, dass die Kultusministerkonferenz langfristig zu planen ist, sodass sie sich mit den manchmal kurzfristig festgelegten Tagesordnungen des Bundestages nicht so leicht vereinbaren lässt? Aktuell findet eine Kultusministerkonferenz statt, an der CDU-Minister, SPD-Minister und andere Minister teilnehmen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Es gibt auch Mitarbeiter!) Wir sollten deshalb die Erwartung bzw. den Wunsch ausdrücken, dass, wenn Weihnachten ist, wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden, die Bundesratsbank besetzt ist. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Lieber Kollege Rossmann, Sie haben es schon gehört: Den Landesregierungen gehören nicht nur Kultusminister an. Es gibt auch Bevollmächtigte beim Bund, die regelmäßig an den Sitzungen teilnehmen, wenn wir über innere Sicherheit und Ähnliches sprechen. Von daher hätte ich die Anwesenheit von Ländervertretern als angemessen empfunden. Ich habe gesagt: In der zweiten und dritten Lesung wird es sicherlich die Möglichkeit geben, das Engagement des Bundes seitens des Bundesrates zu würdigen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich die Kanzlerin? Wie steht die Kanzlerin eigentlich zum Kooperationsverbot?) Das klare Bekenntnis von Politik und Wissenschaft lautet: Die Hochschulen sind das Herzstück unseres Wissenschaftssystems. Dieses Herzstück lag bis dato in der alleinigen Verantwortung der Bundesländer. Diese nehmen aus gesamtstaatlicher Sicht ihre Verantwortung nicht vollumfänglich wahr. Daher hilft der Bund seit vielen Jahren mit ganz besonderen Konstruktionen. Die Pakte, die durch die Grundgesetzänderung von 2006 ermöglicht wurden, sind bereits angesprochen worden. Aber auch diese Pakte haben ihre rechtlichen Grenzen erreicht. Wir wollen – das wurde mehrfach angesprochen – die Auseinanderentwicklung von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen aufhalten. Daher liegt heute dieser Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung vor. Es ist ein historischer Gesetzentwurf, über den wir seit 2010 diskutieren, den wir 2011 auf dem Bundesparteitag der CDU faktisch ein Stückchen vorangebracht haben, den alle Wissenschaftsorganisationen seit langem gefordert haben und der einen breiten gesellschaftlichen Konsens aufgreift. Es hat etwas lange gedauert; da hat Herr Gehring durchaus recht. Man kann aber ohne Goethe sagen: Gut Ding will Weile haben. Wir haben nun einen Formulierungsvorschlag gefunden, der auch den Bundesrat zufriedenstellt. Erinnern wir uns an die letzte Legislaturperiode: Da haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der im Bundesrat aufgehalten, blockiert wurde. Wir brauchen für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit bei Bundesrat und Bundestag. Von daher freue ich mich, dass der Bundesrat jetzt zustimmt. Das KIT in Karlsruhe wurde angesprochen. Wir haben dort mittlerweile Erfahrungen gesammelt, wie Kooperationen zwischen Unis und außeruniversitären Einrichtungen laufen können. Ich finde sehr spannend, was die Fraunhofer-Gesellschaft gegenwärtig vorschlägt: regionale Leistungszentren, wo sich um die Universitäten herum ein Konzept zur Zusammenarbeit entwickelt. Ich denke, das ist mit Blick auf Artikel 91 b Grundgesetz ein interessanter Vorschlag. Für uns ist wichtig, dass Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen auf Augenhöhe verhandeln. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Dieser Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes macht es erstmals möglich, dass sich der Bund institutionell engagiert. Für uns ist klar, dass wir das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern dass wir dies – genau so, wie es im Gesetzentwurf steht – an gewissen Kriterien festmachen. Die überregionale Bedeutung wurde angesprochen. Es geht um Ausstrahlungskraft. Dies muss nicht international sein, sondern kann auch national sein. Wir wollen – auch das steht in der Gesetzesbegründung – mit dieser Verfassungsänderung Exzellenz in Breite und in Spitze verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Breite und Spitze!) – So ist es, Breite und Spitze. Die vorgeschlagene Verfassungsänderung löst keinesfalls nur die Hälfte des Problems, wie es von den Grünen formuliert wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Drittel oder ein Viertel!) Es ist auch nicht nur der kleine Finger einer Hand, sondern wir strecken den Bundesländern die ganze Hand entgegen, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir haben zwei Hände!) um unsere Kooperationskultur zu vertiefen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben aber nur Sie! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man braucht beide Hände!) Wir modernisieren den Föderalismus, der in sich selbst bereits ein Kooperationsgebot enthält. Daher ist die oft verwendete Vokabel Kooperationsverbot hier falsch. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Der war gut!) Wenn man den Populismus hinsichtlich des Schulbereichs in dieser Debatte hört, muss man sagen, dass jedes Bundesland bereits jetzt die Möglichkeit hat, einheitliche Schulbücher und einheitliche Lehrpläne einzuführen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Sie sind gegen Einheitsschulen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um Einheitlichkeit!) Jedes Bundesland hat die Möglichkeit, Sozialpädagogen einzustellen, digitale Bildungsangebote zu etablieren, Ganztagsschulen und Horte einzuführen sowie Inklusion zu betreiben. Dafür bedarf es keiner Grundgesetzänderung. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: In welchem Land leben Sie denn?) Leider machen die Bundesländer das nicht; aber das ist nicht unsere Aufgabe. Die Länder haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich über ihre Landesgrenzen hinweg zu verständigen, welche Standards, welche Prüfungen gelten und welche Bücher in Gesamtdeutschland verwendet werden sollen. Auch dazu bedarf es keiner Grundgesetzänderung. Ich verweise auf die Homepage der Kultusministerkonferenz, die ja gerade tagt: Es gibt knapp 150 Vereinbarungen zu gemeinsamen Bildungsstandards, Aufgabenpools, Zentralprüfungen und der Anerkennung von Abschlüssen. Das sind 150 Vereinbarungen für mehr Vergleichbarkeit und Einheitlichkeit im deutschen Schulwesen. Ich appelliere, diese Vereinbarungen nunmehr in einen verbindlichen Staatsvertrag zwischen den Ländern aufzunehmen. Somit hätten wir mehr Transparenz, mehr Verbindlichkeit, und wir könnten dem Eindruck eines Wirrwarrs, der hier entsteht, ein ganzes Stück entgegentreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Klar ist: Die Defizite in der Zusammenarbeit der Bundesländer untereinander können nicht mit einer Verfassungsänderung behoben werden. Das muss unser Koalitionspartner anerkennen. Liebe Frau Gohlke, das hat auch nichts mit Ideologie zu tun. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Nein!) Eine Grundgesetzänderung im Bereich der Schule wird nicht dazu führen, dass es in den Schulen plötzlich iPads regnet oder Schulen renoviert werden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es regnet rein in die Schulen, das ist das Problem! Weil der Bund kein Geld geben darf!) Wir haben eine klare, ausgewogene und funktionale Aufgabenverteilung in unserem Bundesstaat. Damit verbunden sind föderale Finanzbeziehungen. Wir haben, lieber Herr Röspel, auch einen Länderfinanzausgleich, der für genau diese Chancengleichheit in den einzelnen Bundesländern sorgen soll. (Zuruf des Abg. René Röspel [SPD]) Die Bundesländer müssen lernen, dass der Bund keine zu melkende Kuh ist, die ausgleicht, wenn man in den Landeshaushalten falsche Schwerpunkte setzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin – aber es gab ja die Zwischenfrage, ohne dass die Uhr gestoppt wurde –: (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Die melkende Kuh!) Dem Bund liegt das Gesamtwohl sehr am Herzen. Daher freuen wir uns auf diese Beratungen. Wir geben den Hochschulen mehr Planungssicherheit. Es geht um Innovationskraft, um die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems. Von daher: Stimmen Sie, liebe Damen und Herren der Opposition, diesem Gesetzentwurf zu. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Oliver Kaczmarek das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob das jetzt die ganze Hand, der kleine Finger, ein Drittel oder wie auch immer ist, ich will es mal so formulieren: Zur Kooperation im gesamten Bildungsbereich ist das heute der erste wichtige Schritt. Der Süden der Republik – es ist ja nicht nur Herr Kretschmann zu überzeugen, sondern Herr Spaenle auch noch – braucht noch ein bisschen Zeit auf dem Weg der Erkenntnis. Die räumen wir denen auch ein. Es ist wichtig, dass wir mit dieser geplanten Grundgesetzänderung auch etwas anfangen. Das ist ja hier bereits in einigen Beiträgen deutlich geworden. (Beifall bei der SPD) Es stehen einige Entscheidungen an. Der Blick in den Koalitionsvertrag hilft, um zu sehen, was auf der Agenda steht: Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation, Qualitätspakt Lehre – das sind Elemente, die das Wissenschaftssystem strukturell beeinflusst und die internationale Sichtbarkeit Deutschlands als Wissenschaftsstandort nach vorne gebracht haben. Diesen Impuls wollen wir inhaltlich und strategisch nachhaltig aufgreifen, weiterentwickeln. Das ist die Herausforderung für diese Wahlperiode. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Darüber hinaus haben wir vereinbart, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbessern – das steht im Koalitionsvertrag –, die akademische und berufliche Bildung besser miteinander zu verzahnen sowie planbare und verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft zu schaffen. Deswegen mein Appell an dieser Stelle: Der Bund muss seinen Gestaltungsraum, der ihm neu eröffnet wird, umfassend sehen. Exzellenz, damit auch die internationale Sichtbarkeit des Wissenschaftsstandortes, und die Breitenförderung sind für uns untrennbar mit-einander verbunden. Das müssen wir konzeptionell untermauern. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, Kooperation bedeutet, dass mindestens zwei gleichrangige Partner auf Augenhöhe miteinander kooperieren. Deswegen möchte ich gerne zwei Anmerkungen zum Föderalismus machen. Die erste ist: Der natürliche Kooperationspartner des Bundes – das ist doch banal – in der Bildungspolitik, in der Wissenschaftspolitik sind die Länder. Unser Föderalismusverständnis unterstreicht auch vor diesem Hintergrund in Zukunft die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder für die Wissenschaft. (Beifall bei der SPD) Das belegt auch ein Blick in die Zahlen. Die Gesamtausgaben – ich habe es bereits an diesem Platz gesagt, möchte es aber wiederholen – für die Hochschulen tragen die Länder zu etwa zwei Dritteln, und der Bund leistet einen wichtigen Beitrag von – gesteigert – etwa einem Achtel. Wir sollten bei unseren Debatten im Deutschen Bundestag nicht den Eindruck erwecken, als wäre es genau umgekehrt. Die Länder haben die Grundzuständigkeit, und das wird auch so bleiben. Und die leisten damit auch eine ganze Menge. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Eine zweite Anmerkung zum Föderalismus: Die Aufhebung des Kooperationsverbotes bedeutet eben nicht die Aufhebung des Subsidiaritätsprinzips. Alles das, was in den Ländern entschieden werden soll und muss, muss auch dort entschieden werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Und wir haben auch die Aufgabe, das zu respektieren. Das betrifft beispielsweise auch die Entscheidung der Niedersächsischen Landesregierung, in die frühkindliche Bildung zu investieren. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da gibt es eine Vereinbarung!) Das ist doch eine Entscheidung – ich lasse jetzt mal beiseite, dass es weltexklusiv ist, wenn einige hier behaupten, vorschulische Bildung habe nichts mit schulischer Bildung zu tun –, die der Landtag getroffen hat, weil es offensichtlich einen Bedarf gibt. Und wir – das ist unser Föderalismusverständnis – haben diese Entscheidung an der Stelle zu akzeptieren. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass die Bundesländer mit der BAföG-Entlastung nicht richtig umgehen können. Gestern ist hier Nordrhein-Westfalen genannt worden. Ich finde, man muss damit redlich umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die können überhaupt nicht mit Geld umgehen!) An der Stelle ein Hinweis: Allein für die Ausfinanzierung des Hochschulpaktes II – dieses Bundesland trägt allein die Hälfte des Aufwuchses, den die KMK jetzt noch einmal oben draufgelegt hat, weil dort so viele Leute studieren – werden zwischen 2015 und 2020 2,4 Milliarden Euro mehr aufgewendet. Die BAföG-Entlastung – ich sage dies nur, weil es ganz wichtig ist; ohne dem wäre es nämlich gar nicht möglich, in den Hochschulpakt weiter zu investieren, auch was den Hochschulpakt III angeht – wird in dem gleichen Zeitraum 1,7 Milliarden Euro betragen. Das ist also ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der Länder. Aber wir sollten nicht so tun, als wenn die mit dem Geld nicht umgehen könnten. Sie investieren genau in diesen Zweck, nämlich in die Verbesserung der Studienbedingungen und der Wissenschaft. (Beifall bei der SPD) Deshalb komme ich zu der Schlussfolgerung: Wer Kooperationen will, der braucht auch eine Kultur der Kooperation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die drei Hochschulpakte sind ein gutes Beispiel für gelungene Kooperation; andere Beispiele sind hier schon angesprochen worden. Aber von diesem Platz soll mir bitte keiner erzählen, dass diejenigen, mit denen wir kooperieren wollen und müssen, zur Kooperation gar nicht in der Lage oder willens sind. Das entspricht nicht den Tatsachen. Wir sollten im Interesse des Parlaments eine andere Tonart einschlagen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kaczmarek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rupprecht? Oliver Kaczmarek (SPD): Ja, gerne. Albert Rupprecht (CDU/CSU): Eine Frage zu stellen, nachdem ich heute schon reden konnte, ist fast schon unfair, aber diese Sache brennt mir auf den Nägeln. Sie sprechen von einer Kooperationskultur. Ich glaube, zur Kooperation gehört Vertrauen. Es ist doch so: Wir haben aus unserem Haushalt 1,17 Milliarden Euro bereitgestellt, um 35 Prozent der von den Ländern zu tragenden BAföG-Kosten zu übernehmen. Wir schultern diesen Kraftakt. Es gibt eine Vereinbarung zwischen den Vertretern von Bund und Ländern, dass diese freiwerdenden Mittel Schulen und Hochschulen zugutekommen. Wenige Tage später sagt der Ministerpräsident von Niedersachsen: Diese Vereinbarung interessiert uns nicht, wir investieren das Geld da, wo wir wollen. – Ich möchte ernsthaft die Frage stellen, ob das vertrauensfördernd ist. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt so nicht! Das ist nach der Vereinbarung ausdrücklich möglich! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie sich die Vereinbarung genau an! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie die Vereinbarung?) Ich bitte um Verständnis: Zur Kooperation, zur Zusammenarbeit gehört Vertrauen. Vertrauen heißt, Vereinbarungen einzuhalten. Oliver Kaczmarek (SPD): Vertrauen heißt, dass wir darauf vertrauen, dass die Länder verantwortungsvoll mit dem Geld umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir werden nur dann dagegen protestieren, wenn wir Grund zu der Annahme haben, dass das nicht der Fall ist. Ich sage noch einmal: Die Annahme, dass die vorschulische Bildung nichts mit der schulischen Bildung zu tun habe, teile ich nicht. Deswegen können wir es einer Landesregierung, die einen offensichtlichen Bedarf aufgreift, nicht vorwerfen – das wäre absurd –, dass sie in frühkindliche Bildung investiert. Das halte ich für keinen Beitrag zu einer Kooperationskultur. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kaczmarek, es gibt den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage, und zwar vom Kollegen Hubertus Heil. Oliver Kaczmarek (SPD): Gern, natürlich. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist ungewöhnlich, sich hier zu Wort zu melden; denn wir beide, Herr Rupprecht und ich, haben in der Debatte bereits gesprochen. Aber als Niedersachse fühle ich mich doch herausgefordert, etwas dazu zu sagen. Herr Kaczmarek, könnten Sie dem Kollegen Rupprecht, unserem geschätzten Koalitionspartner, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Betonung auf „geschätzt“!) bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass es eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern gibt, die die Verwendung der Mittel schwerpunktmäßig im Bereich Hochschule und Schule sieht? Das macht Niedersachsen im Übrigen auch. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das macht es nicht!) Schwerpunkt heißt aber auch: Man kann bei Bedarf davon abweichen. Da die Vorgängerregierung – das war eine schwarz-gelbe – zu wenig im Bereich von Kitas gemacht hat, gehört das Geld in den Kitabereich. Der Bildungsbegriff ist umfassend. Die Verwendung der Mittel auf diese Weise ist rechtlich möglich. Das ist keine falsche Verwendung der Mittel, was der Fall wäre, wenn das Geld beispielsweise in den Ausbau von Parkbuchten gesteckt würde. Das Geld geht in Niedersachsen eins zu eins in die Bildung: in Schule, Hochschule und Kita. Könnten Sie den Kollegen einfach bitten, dass er das zur Kenntnis nimmt? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Soweit dies in Form einer Frage geschieht, wird den Anforderungen Rechnung getragen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Oliver Kaczmarek (SPD): Herr Kollege Heil, ich bedanke mich für den Hinweis und werde Ihre Worte bei geeigneter Gelegenheit in einem Gespräch übermitteln. (Heiterkeit) Ich will zum Schluss kommen. Ich glaube, wir sollten verhindern, dass Kooperationen in Zukunft eine Sache – mit Verlaub, Frau Ministerin – der Staatssekretäre und Minister auf der Verwaltungsebene werden. Wir sollten ein Interesse daran haben, dass das Parlament bei zukünftigen Kooperationen deutlich mehr mitarbeitet. Deswegen brauchen wir inhaltliche Debatten, um diesen großzügigen Rahmen, den wir geschaffen haben, voll auszunutzen. Wenn das der Kerngehalt und das Wesen der Debatten für die Zukunft sind, dann bin ich da sehr zuversichtlich. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Dinges-Dierig das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Eindruck der gerade geführten Debatte will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich war vorgestern, am Mittwochabend, in Bad Honnef und habe dort an einem Treffen von über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Funktionären unserer Hochschulen, aber auch außeruniversitärer Forschungseinrichtungen teilgenommen, bei dem es zu einer sehr heftigen Diskussion kam. Sie war deshalb heftig, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht wussten, dass ein Vertreter der Politik im Raum war. Ich war zwar anwesend, irgendwo zwischendrin, aber ansonsten waren sie unter sich. Sie haben dann über die Politik hergezogen und gefordert, dass die Politik das einmal zur Kenntnis nehmen sollte. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist aber normal!) Auf der einen Seite war es amüsant. Auf der anderen Seite denke ich: Das, was wir hier heute abgeliefert haben, ging ein Stück in diese Richtung. Ich habe das Gefühl, dass wir uns vielleicht doch ein bisschen zu viel mit uns selber, der Verteilung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern und nicht so sehr mit dem Kern, nämlich der Zukunft unserer Gesellschaft und dem Beitrag der Wissenschaft dazu, beschäftigen. An dieser Stelle sollten wir die Emotionen hier im Saal ein bisschen runterfahren und sagen: Unser Wissenschaftssystem, wie wir es heute haben, übt international unglaubliche Anziehungskraft aus. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie üben jetzt das Politiker-Bashing, das Sie selber kritisieren! Unglaublich!) Auch Stefan Hell, der bekanntermaßen gerade den Nobelpreis erhalten hat, hat das vor zwei Tagen gesagt. Die Wissenschaftslandschaft in Deutschland wird international nun ganz anders wahrgenommen. Das ist natürlich ein Verdienst von Bund und Ländern, die einen gewissen Rahmen gesetzt haben. In allererster Linie ist es aber ein Verdienst der Wissenschaft selber. Deshalb möchte ich an der Stelle einfach einmal Danke an die Wissenschaft sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt eine Botschaft!) Wir wissen natürlich auch, dass wir nicht stehen bleiben dürfen. Deshalb diskutieren wir ja auch und fragen uns: Wie könnte es denn weitergehen? Was haben wir für Erkenntnisse aus den letzten Jahren und Jahrzehnten gewonnen? Wir lagen weit zurück. Herr Rossmann, ich glaube, Sie haben Ihre Ausführungen mit einer Rückbetrachtung auf das Jahr 1969 angefangen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: 1949!) – 1949 sogar. Entschuldigung. – Wo wollen wir denn nun eigentlich hin, und welche Rolle spielt denn jetzt der Artikel 91 b Grundgesetz in dieser ganzen Ausführung? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da bin aber gespannt, was Sie uns erzählen!) Ich möchte vorab an dieser Stelle betonen: Ich selber bin überzeugt vom Föderalismus. Föderalismus bedeutet für mich auch die Achtung der Entscheidungen derjenigen, die Verantwortung tragen. Das sind in dem Fall die Länder, die hier heute leider nicht vertreten sind; darüber haben wir aber schon gesprochen. Föderalismus bedeutet aber auch: Wir haben eine Chance, um die besten Wege zu ringen und dann voneinander zu lernen. Auch das haben wir immer getan. Ich weiß, wie schwierig es ist, nach draußen verständlich zu machen, warum es eigentlich sinnvoller ist, dass mehrere Länder eine Verantwortung haben, als dass der Bund sagt: Da soll es langgehen. – Das ist sehr schwierig. Wenn man vor Ort mit den Bürgerinnen und Bürgern spricht – hier greife ich ein Stück weit auf meine Zeit vor meiner Mitgliedschaft im Bundestag zurück –, muss man ihnen deutlich machen, dass nicht allein der Wechsel der Schule wegen eines Umzugs von einem Bundesland in ein anderes ein Problem ist, sondern dass jeder Wechsel einer Schule, auch innerhalb eines Bundeslandes, nicht unerhebliche Probleme mit sich bringt. Das liegt daran, dass die handelnden Personen vor Ort die Qualität bestimmen. Die Schulen kennen ihre Kinder vor Ort, und auch die Universitäten und Fachhochschulen wissen, mit welchen Studierenden sie es zu tun haben und mit welchem Lehrpersonal die größten Chancen bestehen, das Beste aus ihnen herauszuholen. Deshalb unterstütze ich die föderale Grundordnung hundertprozentig. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Dinges-Dierig, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehring zu? Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Ja, gerne. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nachdem wir eben Zeuge öffentlicher Verhandlungen innerhalb der Koalition über die Interpretation einer Bund-Länder-Vereinbarung in Bezug auf das Bildungs- und Wissenschaftspaket wurden und Sie für die Unionsfraktion gerade ausgeführt haben, dass Sie unseren Föderalismus sinnvoll finden und die Entscheidungen der Länder achten, möchte ich Sie fragen: Achtet denn die Unionsfraktion die Handlungsfreiheit der 16 Bundesländer, die auf der Basis der gemeinsamen Vereinbarung zum 6-plus-3-Milliarden-Paket jetzt 16 individuelle Bildungs- und Wissenschaftspakete schnüren und genau von dieser Freiheit, die die Vereinbarung lässt, Gebrauch machen? Es wäre am Ende einer solchen Debatte sicherlich eine spannende und wichtige Klarstellung gegenüber den Ländern, die, wie Sie gerade betont haben, im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung Handlungsfreiheit haben und diese jetzt 16-mal ausüben. Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Herr Gehring, ich sage hier ganz deutlich, dass ich die Entscheidungen der Länder respektiere, sofern sie sich an Vereinbarungen, und zwar Vereinbarungen im Sinne des ehrbaren Kaufmanns – nicht im Sinne eines Staatsvertrags –, halten. (Beifall bei der CDU/CSU – Rainer Spiering [SPD]: Das war keine schlechte Antwort! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Die Frage war gut und die Antwort auch!) Meine Damen und Herren, die grundlegende Verantwortung für die Hochschulen haben die Länder, und das wird und soll auch so bleiben; das hatte ich eben ausgeführt. Es stellt sich aber jetzt die Frage, in welchen Wissenschaftsbereichen wir durch eine Veränderung des Artikels 91 b Grundgesetz noch mehr und stärker kooperieren können als bisher. Was bringt uns das für Vorteile? Ich sage ganz klar: Wenn wir auf die Herausforderungen der Zukunft eine Antwort haben wollen und wenn wir dabei Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit – das Thema hatten wir neulich im Ausschuss – berücksichtigen wollen, das heißt, wenn wir der Gesellschaft von morgen etwas hinterlassen wollen, worauf sie aufbauen kann, dann brauchen wir einerseits eine verlässliche Grundfinanzierung durch die Länder und andererseits eine stetige Zusammenarbeit von Bund und Ländern in ausgewählten Bereichen. Das halte ich für sehr wichtig. Deshalb appelliere ich ganz deutlich an die Länder, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und nicht – das befürchte ich ein bisschen – zu denken, sie könnten aufgrund der erweiterten Bund-Länder-Zusammenarbeit vielleicht an der einen oder anderen Stelle bei der Grundfinanzierung sparen. Das darf nicht passieren. Die Zusammenarbeit bedeutet ein Plus und kein Substitut. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte noch einmal auf die Tagung zurückkommen. Es ging dort schwerpunktmäßig um die Exzellenzinitiative und deren Zukunft. Ich glaube, es ist wichtig, einmal zu erkennen, was durch die Kooperation eigentlich erreicht worden ist. Deshalb ärgere ich mich immer über den Begriff „Kooperationsverbot“; (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der stimmt!) denn das gab es ja gar nicht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist 2006 eingeführt worden!) Die Kooperation der vergangenen Jahre hat zu einem Paradigmenwechsel im Wissenschaftsbereich geführt. Wir haben eine Dynamik im Wissenschaftsbereich, die uns niemand vorausgesagt hat. Kanada und die USA haben vor 15 Jahren noch nicht einmal mit dem linken Auge geblinzelt, wenn es um den Wissenschaftsstandort Deutschland ging. Heute lädt Kanada Deutschland ein, um uns zu fragen: Wie macht ihr das eigentlich? Was habt ihr in den letzten zehn Jahren gemacht? Ihr seid ganz oben. – Kanada wird demnächst sogar unsere Exzellenzinitiative in den wichtigen Linien übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben in diesem Bereich drei ganz wichtige Punkte: Wir haben die Nachwuchsförderung – ohne die besten Köpfe geht es nicht –, wir haben die Kooperation zwischen den Wissenschaftseinrichtungen, und zwar sowohl zwischen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen als auch zwischen Hochschulen und Fachhochschulen, und wir haben veränderte Hochschulstrukturen. Genau da können wir jetzt Entwicklungen verstetigen, und dazu leisten wir mit der Änderung des Artikels 91 b unseren Beitrag. Exzellente Forschung schafft auch exzellente Lehre; das ist ganz wichtig. Exzellente Forschung und exzellente Lehre motivieren junge Menschen, diesen Weg zu gehen. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir hier weitermachen. Nur dort haben wir die gut ausgebildeten Köpfe, die wir morgen brauchen, in Ergänzung zu unserem hervorragenden Berufsbildungssystem. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz wird uns – davon bin ich fest überzeugt – die für die Hochschulen und damit für die Gesellschaft entscheidenden Zukunftsfragen im gemeinsamen Ringen besser beantworten lassen. Deshalb begrüße ich die neue Formulierung für den Hochschulbereich sehr. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die deutsche Forschungslandschaft das genauso sieht wie wir. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe diese wirklich spannende Debatte. Es ist doch sehr schön, wenn man feststellt, dass Entscheidungen, die manchmal hoch strittig durchgesetzt werden mussten, anschließend von vielen für gut gehalten werden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/2710 und 18/2747 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesetzliche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite Drucksache 18/2741 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Begrenzung und Vereinheitlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Begrenzung von Dispositions- und Überziehungszinsen Drucksachen 18/807, 18/1342, 18/2777 Ich weise noch einmal darauf hin, dass nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen sind, und frage die Kolleginnen und Kollegen, ob es dazu Widerspruch gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Die Kolleginnen und Kollegen haben inzwischen ihre Plätze eingenommen. Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Ich erteile als erster Rednerin der Kollegin Caren Lay das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum wiederholten Male beschäftigt sich das Hohe Haus mit einem Antrag der Linken, der zum Gegenstand hat, dass Dispozinsen endlich gedeckelt werden sollen. Ich sage bewusst: zum wiederholten Male. Die CDU/CSU-Fraktion war in der Ausschusssitzung diese Woche so freundlich, das nachzurechnen. In der Tat, der erste linke Antrag zu diesem Thema wurde schon vor fünf Jahren eingebracht. Das wurde uns nicht nur vorgerechnet, sondern auch ein Stück weit vorgeworfen. Diesen Vorwurf kann ich aber nicht verstehen. Denn an dem Problem hat sich nichts geändert. Ich darf Ihnen versprechen, dass die Linke dort, wo Probleme bestehen, dranbleiben wird und wir das Thema Deckelung der Dispozinsen immer wieder auf die Tagesordnung setzen werden. (Beifall bei der LINKEN) Das Problem ist in der Tat seit langem bekannt. Die Dispozinsen sind viel zu hoch. Wir haben nach wie vor die Situation, dass sich die Banken ihr Geld zu einem historisch niedrigen Leitzins bei der Europäischen Zen-tralbank leihen können. Dort liegt der Leitzins gerade einmal bei 0,05 Prozent. Aber sie verleihen es weiter zu einem durchschnittlichen Dispozinssatz von 10,65 Prozent. Dazwischen liegt eine Spanne von über 10 Prozentpunkten, wodurch sich die Banken auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher bereichern. Das ist zu viel. Das ist kein fairer Preis, und das können wir als Linke nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) In der Analyse bestand zumindest am Ende der letzten Legislaturperiode kurz vor dem Wahlkampf in diesem Hohen Haus Einigkeit. Ich bin sehr gespannt, ob wir uns wenigstens noch in der Analyse einig sind. Bisher bestand die Differenz in der Frage, wie wir mit dem Problem umgehen. Insbesondere die CDU/CSU, aber auch die FDP haben die Position vertreten, noch einmal mit den Banken zu reden. Die Ministerin hat damals die Banken zu Kamingesprächen eingeladen und es ansonsten bei freundlichen Appellen belassen. Alle diese freundlichen Appelle haben nichts genützt. Deswegen sagen wir: Die Politik muss endlich handeln. Wir brauchen einen gesetzlichen Deckel für die Dispozinsen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser Vorschlag ist eine Deckelung auf 5 Prozentpunkte über dem Leitzins der Europäischen Zentralbank. Daran würden die Banken immer noch genug verdienen, aber bei fairen Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deswegen möchte ich mich gerne im zweiten Teil meiner Rede mit Ihren Einwänden beschäftigen, die sicherlich gleich kommen werden. Erstens wird mit Hinweis darauf, dass man keine Preisvorschriften machen kann, infrage gestellt, ob man überhaupt eine gesetzliche Deckelung einführen kann. Ja, meine Damen und Herren, das kann man. Eine vergleichbare gesetzliche Vorschrift gibt es bereits bei den Verzugszinsen. Daran haben wir uns orientiert. Der Deckel liegt ebenfalls bei 5 Prozentpunkten. Deswegen sagen wir: Was beim Verzugszins gesetzlich möglich ist, das muss auch beim Dispo möglich sein. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens wird gerne auf den Markt verwiesen und gesagt, man solle die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht bevormunden; das könne der Markt regeln, und jeder könne sich doch eine andere Bank suchen. Davon abgesehen, dass die Höhe des Dispozinses nicht das einzige Kriterium bei der Auswahl der Bank ist – es geht schließlich auch um ein gutes Filialnetz oder eine wohnortnahe Beratungsmöglichkeit –, empfehle ich Ihnen, diesen Test in Ihrem eigenen Wahlkreis durchzuführen. Ich habe das gemacht und mir den Landkreis Bautzen angesehen. Sie finden keine Filialbank, die einen Dispozins von unter 10 Prozent anbietet. Deswegen ist dieses Argument eine Illusion. Es läuft ins Leere. (Beifall bei der LINKEN) Das verschärft sich mit Blick darauf, welche Klientel zum Großteil betroffen ist. Das sind diejenigen Menschen, die keine andere Chance haben, die vielleicht keinen Ratenkredit kriegen oder aus einer ökonomischen Notlage heraus gezwungen sind, einen Dispokredit aufzunehmen. Wenn jemand schon knietief im Dispo steckt, ist es illusorisch, zu sagen: Such dir doch eine andere Bank! – Bei welcher anderen Bank kann man in dieser Situation ein Konto eröffnen? Diese Argumentation ist nicht tragfähig. (Beifall bei der LINKEN) Das, was im Koalitionsvertrag steht, und das, was vonseiten des Ministers angekündigt wurde, nämlich dass man Transparenz herstellt und dafür sorgen will, dass die Banken ausweisen, wie hoch die Dispozinsen sind, kann man durchaus machen. Aber solange keine niedrigeren Dispozinsen angeboten werden, wird das ins Leere laufen. Deswegen sagen wir: Transparenz ist gut, aber eine gesetzliche Regelung ist besser. (Beifall bei der LINKEN) Das dritte und letzte Gegenargument, auf das ich eingehen möchte, lautet, die Banken brauchten die Einnahmen aus den hohen Dispozinsen wegen der hohen Kosten des Verwaltungsaufwands und wegen des hohen Ausfallrisikos. Der Verwaltungsaufwand der Banken bei einem Dispokredit kann nicht höher sein als der bei einem Ratenkredit. Zum Ausfallrisiko hat das Ministerium selbst eine Studie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist: Das Ausfallrisiko bei Dispokrediten ist mit 0,3 Prozent lächerlich gering. – Diese Gegenargumentation ist also nichts anderes als eine Schutzbehauptung. Diese können wir nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie sich von der CDU/CSU, wie ich vermute, heute wieder gegen eine gesetzliche Deckelung des Dispozinses aussprechen, dann sollten Sie den Menschen reinen Wein einschenken. Die Stiftung Warentest hat berechnet, dass die Banken mit jedem Prozentpunkt, den sie bei den Dispozinsen ansetzen, 380 Millionen Euro im Jahr verdienen. Das heißt, wenn der Deutsche Bundestag einen gesetzlichen Deckel beschließen würde, entginge den Banken ein Milliardengeschäft. Es ist aber ein Geschäft, das unfair ist und auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher geht. Deswegen sagen wir: Schenken Sie den Menschen reinen Wein ein! Wenn Sie das nicht wollen, dann knicken Sie vor der Bankenlobby ein. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) In den Bundesländern gibt es Druck. Beispielsweise im Saarland, im Heimatland des Verbraucherministers – er ist offenbar nicht anwesend; aber vielleicht kann man ihm das mit auf den Weg geben –, hat ein entsprechendes Bürgerbegehren der Linken die erste Stufe des Volksbegehrens erreicht. Das ist ein Erfolg und sollte Ihnen ein Signal sein, endlich tätig zu werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Ein weiteres Argument für unser Anliegen ist: Die Verbraucherschutzministerkonferenz hat auf Vorschlag des rot-rot regierten Brandenburg eine gesetzliche Deckelung der Dispozinsen gefordert. Ich kann nur sagen: Das ist eine richtige Forderung. Folgen Sie diesem Beispiel! Setzen Sie diese Forderung der Verbraucherschutzministerkonferenz um! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Mechthild Heil das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Und sie bewegen sich doch“ – mit dieser positiven Nachricht beginnt der Artikel über die Dispozinssätze in der Oktoberausgabe der Zeitschrift -Finanztest. Gemeint sind die Banken, die dem politischen und dem öffentlichen Druck nachgegeben haben – das gebe ich zu – und ihre Dispozinssätze gesenkt haben. Seitdem wir über die Höhe der Dispozinssätze sprechen, werden sie von Monat zu Monat gesenkt, und das ist auch gut so. Das ist genau das, was wir erreichen wollten. Die Banken haben sich bewegt, und das ganz ohne staatlichen Eingriff. (Beifall bei der CDU/CSU) Das belegt auch die aktuelle Studie der Stiftung -Warentest. Rund drei Viertel der über 100 Banken, die noch im letzten Jahr besonders hohe Zinssätze gefordert haben, sind günstiger geworden. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Schade, dass sich Grüne und Linke nicht darüber freuen können. Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir sind hier noch nicht am Ende der Entwicklung. Liebe Banken, es ist noch viel Luft nach oben. Nicht jeder in der Branche scheint den Pfiff gehört zu haben. In Deckung zu gehen, den Kopf einzuziehen mit der Vorstellung: „Der Sturm wird schon an uns vorüberziehen; die Politik beruhigt sich schon wieder“, das ist zu kurz gedacht. Das werden wir nicht akzeptieren. Unsere Erwartungen an die Bankenbranche sind klar: Gehen Sie mit Ihren Kunden fair um! – Erst wenn die große Mehrheit der Kunden die Höhe der Dispozinsen für angemessen hält, sind wir, aber auch Sie von den Banken, zufrieden und am Ziel. Vorher werden die öffentlichen Debatten und auch die politische Diskussion – das garantiere ich – nicht enden. Deshalb sei noch einmal ganz klar gesagt: Wir erwarten ein Austarieren der Interessen der beiden Beteiligten, der Banken und der Kunden. Aber wir wollen, wenn irgend möglich, keinen staatlichen Eingriff. Denn die Nachteile, die ein staatlich verordneter Deckel für die Verbraucher hätte, liegen auf der Hand: Der erste Nachteil. Wenn wir staatlich bestimmen, welche Höhe für einen Dispozinssatz vertretbar ist, werden sich alle Banken an diese Höhe halten. Nehmen wir an, er liegt, wie Sie gefordert haben, bei 7 Prozent. Warum sollte eine Bank dann noch billigere Zinssätze anbieten? Warum sollte eine Bank, die heute Zinssätze von 4 oder 5 Prozent anbietet – es gibt sogar Banken, die 2 Prozent oder einen Zinssatz von null anbieten –, den Zinssatz dann nicht auf 7 Prozent erhöhen? Heute bieten Banken niedrigere Zinsen an, weil sie sich einen Wettbewerbsvorteil erhoffen. Kommt der Deckel, wird jede Bank sofort sagen: 7 Prozent gilt allgemein als fair, also halten wir uns daran. Mehr verlangt keiner von uns. Warum sollten wir mehr tun? – Das kann doch nur zulasten der Verbraucher gehen. Deswegen sind wir dagegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich gebe Ihnen einen zweiten Aspekt zu bedenken: Wenn wir das zulassen, scheren wir wieder alle Banken über einen Kamm. Wir wissen aber natürlich alle – ich habe das schon mehrmals gesagt –, dass die Banken nicht gleich sind. Man kann eine Direktbank nicht mit einer Filialbank vergleichen. In Bezug auf die Bereitstellung der Infrastruktur ist eine Filialbank natürlich komplett anders aufgestellt als eine Direktbank. Sie hat deshalb auch andere Kosten zu tragen. Ein Dispodeckel kann dem nicht gerecht werden. Ich komme zu einem zweiten Nachteil für die Verbraucher, den Sie mit Ihrem Dispodeckel aushecken. Die Höhe des Zinssatzes spiegelt auch immer das Ausfallrisiko wider. Für manche Kunden würde der von Ihnen vorgeschlagene Deckel bedeuten, dass sie keinen Dispokredit mehr erhalten. Sie hätten dann in einem Monat, in dem das Geld vielleicht ganz knapp ist, keine Möglichkeit, in den Dispo zu gehen und ihr Konto zu überziehen. In der Sachverständigenanhörung zu diesem Thema – auch Sie waren da anwesend – wurde vonseiten der Schuldnerberatung zwar auch der Wunsch geäußert, dass die Banken dem einen oder anderen Schuldner zum Eigenschutz keinen Dispo einräumen mögen. Das ist aber etwas komplett anderes. So etwas wäre eine Übereinkunft zwischen der Bank und dem Kunden, der sich in Begleitung eines Schuldnerberaters befindet – also quasi eine Selbstverpflichtung. Das wäre auch absolut sinnvoll. Dagegen haben wir überhaupt nichts. Was aber für diesen speziellen Einzelfall sinnvoll ist, taugt noch lange nicht als Prinzip für die Kunden, welche hier und da einmal einen Dispo beanspruchen wollen. Ein Dispo nur für Reiche kann doch wohl nicht im Sinne der Opposition – der Linken und der Grünen – sein! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schwadronieren da wieder mal was zusammen!) Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, den die Schuldnerberater in die Diskussion einbringen. Ein niedriger Dispozinssatz – wie Sie ihn fordern – kann auch verführerisch sein und die Verschuldung verstärken. Als Banken angekündigt haben, den höheren Zinssatz abzuschaffen, haben einige Schuldnerberater aufgeheult, damit werde eine Hürde auf dem Weg zur weiteren Überschuldung abgeschafft. Frau Künast, das ist die Argumentation der Schuldnerberater, nicht meine. Die Schuldnerberater befürchten, dass die Schuldner nach dem Motto „Mir fehlt Geld; dann gehe ich halt zur Bank, wo ich einen Dispo habe und Geld bekomme“ handeln. Diese Entwicklung wollen wir von der CDU/CSU – ich hoffe, das gilt auch für die SPD – nicht befeuern. Ich komme zum dritten Nachteil, den der Deckel hätte. Der Dispozins ist nur eine von mehreren Preiskomponenten bei einem Girokonto. Wenn wir ihn deckeln – also auch die Kosten für die Verbraucher an dieser Stelle deckeln –, kann das nur zu einer Verlagerung der Gebühren führen. Die Banken werden sich ihr Geld irgendwo anders holen. Vielleicht werden dann die Kontoführungsgebühren erhöht. Vielleicht werden sie überhaupt erst eingeführt. Oder sonstige Dienstleistungen – zum Beispiel Buchungen und TAN-Erstellungen – würden kostenpflichtig. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Solch ein Misstrauen gegen die Banken!) Auch das ist nicht im Sinne der Verbraucher, und unterm Strich wäre es für sie auch teurer. Es könnte natürlich sein, dass Sie von den Linken und von den Grünen auch diese Kosten deckeln wollen. Was wäre dann Ihr nächster Schritt? Würden Sie immer weiter auf dem Weg der Regulierung durch den Staat gehen? „Durch den Staat“ ist eigentlich falsch formuliert; denn die Linken und die Grünen wissen selbst immer besser, was für den Einzelnen gut ist nach der Devise „Wenn der Verbraucher nicht mehr entscheiden kann, ist er am besten in dieser schönen grün-roten Welt geschützt“. In einer Welt ohne Selbstbestimmung will ich nicht leben. Deshalb sagen wir auch ein ganz klares Nein zu Ihren Forderungen. Einmal abgesehen von diesen ideologischen und manchmal vielleicht auch populistischen Zielen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch die Partei des Populismus!) frage ich: Was wollen Sie denn eigentlich mit diesem Deckel erreichen? Wenn es Ihnen darum geht, dem Verbraucher zu günstigen Konditionen zu verhelfen, ist Ihr Antrag eigentlich überflüssig. Es gibt schon Banken, deren Zinssätze unter 5 Prozent liegen. Sie sehen: Der Wettbewerb funktioniert. Sie haben eben erwähnt, es sei sehr kompliziert, eine Bank zu wechseln. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, eine Zeitung, die zu lesen ich nur jedem empfehlen kann, stand ein wunderbarer Artikel einer Journalistin, die versucht hat, die Bank zu wechseln. Ich rate jedem: Kaufen Sie sich die Zeitung – sie ist letzten Sonntag erschienen –, lesen Sie den Artikel, und dann werden Sie sehen, dass dieser Artikel keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann. Es ist ein einzelner Bericht einer einzelnen Journalistin. Wenn es Ihnen darum geht, die Menschen mit dem Dispodeckel vor Überschuldung zu schützen, dann setzen Sie komplett an der falschen Stelle an. (Caren Lay [DIE LINKE]: Wir wollen faire Preise!) Sie wollen ein Symptom bekämpfen, ignorieren aber die Ursachen. Der Dispozinssatz ist nicht die Ursache für Verschuldung. Der Dispokredit ist ein flexibles Produkt, das nicht dazu gedacht oder geeignet ist, dauerhaft in Anspruch genommen zu werden. Deswegen finde ich den Vergleich des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Georg Fahrenschon sehr treffend. Er sagte: Der Dispokredit ist vergleichbar mit einem Taxi. Ein Taxi ist kurzfristig abrufbar, der Kunde ist flexibel, und er kann jederzeit aussteigen. Wenn er allerdings zum Beispiel von Berlin nach München fahren möchte, dann sollte er sich nach einer anderen Fahrgelegenheit umsehen. So ist es eben auch beim Dispokredit. Er ist geeignet, um flexibel Engpässe auszugleichen, aber nicht, um dauerhaft genutzt zu werden. Wenn das aber passiert, macht es wenig Sinn, am Produkt herumzuschrauben, sondern man muss stattdessen die Ursachen für die Überschuldung angehen. Deshalb werden wir die Banken verpflichten, Kunden, die erheblich oder dauerhaft ihr Konto überziehen, über Umschuldungsmöglichkeiten mit besseren Konditionen zu beraten. Ich halte es auch für völlig inakzeptabel, wenn Banken ihre Zinssätze nicht transparent machen. Es gibt heute zwar schon weitreichende Informationsverpflichtungen – die Konditionen müssen veröffentlicht werden –, aber ich frage mich wirklich: Warum findet man sie bei manchen Banken nicht im Internet? Ist das kundenfreundlich? Da kann ich nur sagen: Das ist es nicht. Warum muss man bei manchen Banken bis in die letzte Ecke der Filiale gehen, um den Aushang zu finden, auf dem die Konditionen stehen? Ist das kundenfreundlich? Auch da muss ich sagen: Natürlich ist das nicht kundenfreundlich. Warum gelingt es dem einen oder anderen Journalisten überhaupt nicht, die Zinssätze herauszufinden? Das ist sicherlich nicht in Ordnung. Da muss sich etwas ändern. Das ist in erster Linie eine Sache der Aufsicht. Wenn sich das nicht ändert, dann müssen wir als Politiker – das garantiere ich – da herangehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber, ehrlich gesagt, so weit muss es nicht kommen. Deshalb mein Appell an die Banken: Es kann auch anders funktionieren. Die vergangenen Monate haben es gezeigt. Viele Banken haben ihre Zinssätze für die eingeräumten Überziehungen gesenkt und für die darüber hinausgehende eingeräumte Überziehung abgeschafft. Diesem guten Beispiel müssen einfach noch mehr Banken folgen. Aber ein rot-grüner Deckel ist einfach der falsche Weg. Er ist nicht zum Vorteil der Verbraucher. Wir lehnen deshalb Ihre Forderungen ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Nicole Maisch. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Heil, Sie haben sich gefragt, warum so viel in den Banken schiefläuft, warum man bis in die letzte Ecke der Filialbank gehen muss, um die Konditionen zu erfahren, und warum das nicht alles im Internet steht. Das kann ich Ihnen sagen: weil die Union seit Jahren bei Fehlverhalten der Banken vorsichtig anmahnt, dass sich etwas ändern sollte, aber im gleichen Atemzug so wie Sie verspricht, dass es so schlimm dann doch nicht kommen wird und den Banken die Regulierungen erspart bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE)] So verhallen natürlich gut gemeinte Appelle im Nirgendwo. So kann man finanziellen Verbraucherschutz nicht machen. In der Anhörung wurde deutlich: Der Markt für Dispo- und Überziehungszinsen funktioniert nicht gut. Es gibt keinen funktionierenden Wettbewerb. Die Kollegin Caren Lay hat gesagt, dass sie sich in ihrem Wahlkreis auf die Suche nach einer Filialbank mit günstigen Dispozinsen gemacht hat. Auch ich habe das getan. Die findet man nicht. Sie haben zwar gesagt, dass es Angebote von Banken von 4 Prozent gibt – die gibt es sicher –, aber ich glaube nicht, dass Sie die letzte Rentnerin auf dem Land in Ihrem oder meinem Wahlkreis dazu bringen werden, ein Onlinekonto bei der Deutschen Skatbank zu eröffnen. Das heißt, die guten Bedingungen, die niedrigen Zinsen sind nur einer bestimmten Gruppe von Verbraucherinnen und Verbrauchern überhaupt zugänglich. Ein großer Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher wird immer noch abgezockt mit Zinssätzen, die deutlich im zweistelligen Bereich über dem Leitzins liegen. Wenn sie in die geduldete Überziehung kommen, dann wird es noch schlimmer; dann grenzt das teilweise an Wucher. Hier, muss ich sagen, finde ich es nicht staatsinterventionistisch oder sonst irgendwie schlimm, einen gesetzlichen Deckel zu fordern. Ein solcher Deckel in Abhängigkeit von einem Leitzins wäre die sauberste Lösung gewesen. Das hat die SPD im Wahlkampf noch so vertreten. Aber wir müssen feststellen: Es gibt derzeit keine politische Mehrheit für eine solche saubere und vernünftige Lösung. Das finde ich sehr ärgerlich, aber bei manchen Dingen braucht es ein bisschen Zeit, bis die Erkenntnisse auch bei den großen Parteien eingesickert sind oder aber die Mehrheiten so sind, dass man Verbraucherschutz betreiben kann. Was hier schon deutlich wird: Unsere beharrliche Kritik und auch die Möglichkeit einer politischen Mehrheit für mehr Regulierung haben im Markt schon etwas bewegt. Wenige Banken – aber immerhin: einige – haben sich bewegt und haben die unseligen Strafzinsen bei der geduldeten Überziehung abgeschafft. Was besonders erfreulich ist: Auch die Regierung hat sich bewegt, zumindest laut Bild am Sonntag. Da sagt der Minister: Da bislang alle Mahnungen seitens der Bundesregierung nichts geholfen haben, werden wir jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen, – ein Gesetz! – das die Banken verpflichtet, ihre Dispozinssätze auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen. Hier haben wir einen kleinen Streit zwischen Schwarz und Rot. Frau Heil sagt: Es muss nicht zu einem Gesetz kommen. Der Minister sagt: Es wird ein Gesetz geben, ein Transparenzgesetz für Dispozinsen. – Hier muss man der SPD mit auf den Weg geben: Die BamS ist nicht mit dem Gesetzblatt zu verwechseln. Sie sollten nicht anfangen, „herumzuaignern“ und PR statt Politik zu machen, sondern dieses Transparenzgesetz, das Sie uns versprochen haben, hier im Deutschen Bundestag auch vorlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Ich fände es schön, wenn die Menschen, die knietief im Dispo stecken und informiert werden, dann auch darüber informiert würden, was die roten Zahlen auf dem Kontoauszug denn gerade in Euro und Cent bedeuten. Darüber hinaus hat Herr Maas versprochen, die Kreditinstitute zu verpflichten, Kunden, die den Dispo dauerhaft nutzen, einen Weg aus der Dispofalle aufzuzeigen. Es geht also um ein Anrecht auf ein Beratungsgespräch. Das finde ich gut. Ich finde es grundsätzlich gut, wenn man zum Beispiel ein Angebot für einen günstigen Ratenkredit bekommt. Allerdings wünsche ich mir, dass die Verbraucher dann nicht mit einer Hausratversicherung oder so etwas nach Hause gehen, wenn sie eigentlich nur einen günstigen Kredit brauchen. Man muss also durchaus die Gefahren sehen, die in einer solchen Beratungspflicht der Bank bestehen. Das Europäische Parlament hat im April dieses Jahres eine Richtlinie angenommen, mit der verschiedene verbraucherrelevante Aspekte im Bereich der Kontoführung geregelt werden. Da sollen Kontogebühren transparenter werden. Der Kontowechsel, über den wir hier auch schon gesprochen haben, soll vereinfacht werden. Und – besonders wichtig –: Jeder Mensch soll ein Konto haben, das Girokonto für jedermann; auch der Minister hat es in Interviews bereits mehrfach versprochen. Ich fände es gut, wenn Sie diese Richtlinie jetzt zeitnah umsetzen würden und alle Aspekte, die sie umfasst, auch hier regeln würden. Sie als SPD haben sich entschieden, es beim finanziellen Verbraucherschutz ein bisschen kleiner zu machen. Ich finde, zumindest diese kleinen Dinge, die Sie versprochen haben, sollten Sie jetzt auch angehen. Ich bin mir ganz sicher: Beim Thema Dispozins hören und sehen wir uns wieder. Dies war sicher nicht die letzte Debatte darüber. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland ist leider nach wie vor viel zu hoch. Nach Auskunft der Schufa sind immer noch rund 6,5 Millionen Menschen überschuldet. Hinter dieser hohen Zahl stecken Einzelschicksale, Menschen, die nicht aus eigener Kraft die Schuldenspirale verlassen können, in die sie oft unverschuldet geraten sind, und die ihre Kredite eben nicht mehr aus eigener Kraft bedienen können. Es ist nicht so, dass jetzt alle Banken ihre Zinsen gesenkt hätten. Es ist auch nicht so, dass Betroffene aus diesem Personenkreis von sich aus in der Lage wären, in jedem Fall der Schuldenspirale zu entrinnen. Gerade deswegen ist es unsere Pflicht als Politik, diesen Menschen zu helfen, und genau das tun wir, indem wir als SPD schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt haben, dass wir die Banken zu mehr Transparenz und vor allem zu deutlich weitergehenden Beratungen verpflichten wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist angekündigt – dafür bin ich dem Bundesjustizministerium sehr dankbar –, dass noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, mit dem wir zwei wesentliche Ursachen der Schuldenspirale beseitigen wollen: Eine Ursache ist die fehlende Transparenz. In der Anhörung war es hochinteressant, zu hören, dass ein Sachverständiger den prägnanten Begriff des Transparenzversagens verwendet hat. Wir wollen deshalb die Banken verpflichten, ihre Dispozinsen und die Überziehungszinsen transparenter zu machen. Denn viele Kundinnen und Kunden schließen die Verträge ab, ohne genau zu wissen, wie hoch die Zinsen sind. Die Schwierigkeiten, das herauszubekommen, wurden von Vorrednern schon -beschrieben. Deswegen wollen wir die Banken verpflichten, ihre Zinsen im Internet zu veröffentlichen und insofern für Transparenz zu sorgen, damit sich die Verbraucherinnen und Verbraucher entweder auf den Internetseiten der Banken oder auf den Seiten der Vergleichsportale informieren können. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, weil wir dadurch das Transparenzversagen beseitigen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens wollen wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern helfen, indem wir die Beratungspflichten der Banken erweitern. Die betroffenen überschuldeten Verbraucher sind ja oft geschäftsunerfahren und kennen sich mit Kreditverträgen und Zinshöhen nicht genau aus. Allzu oft haben sie auch zeitgleich soziale Probleme durch Krankheiten, Arbeitslosigkeit. Genau diese Menschen brauchen die kompetente Beratung, weil sie allein nicht aus der Schuldenspirale herauskommen. Deswegen ist es unser Ziel, die Banken gesetzlich zu verpflichten, Wege aus der Dispofalle aufzuzeigen, indem sie ganz konkret Alternativangebote, angepasst an die jeweilige Situation, vorlegen. Das ist der entscheidende Punkt: Die Banken sind verpflichtet, über günstigere Alternativangebote ganz genau zu informieren, um so dem Kunden den Weg aus der Dispofalle aufzuzeigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kritik daran, die wir oft gehört haben, dass dies für die Banken einen hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeuten würde, hat sich aus meiner Sicht in der Anhörung gerade nicht bestätigt. Einige Banken beraten ja schon sehr umfangreich und machen das, was wir beabsichtigen, schon heute. Da haben die Vertreter in der Anhörung ausdrücklich bestätigt, dass dadurch unter dem Strich keine nennenswerten Mehrkosten entstehen. Einen Satz möchte ich natürlich auch zur beantragten gesetzlichen Deckelung der Dispozinsen sagen. Das ist für die SPD nach wie vor eine sinnvolle und gute Idee. Dass es in der Praxis funktioniert, zeigen sehr viele Banken, die schon heute auf diese Überziehungszinsen verzichten. Ich bin deshalb nach wie vor der Meinung, dass unsere Idee, eine Deckelung bei 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gesetzlich festzulegen, richtig ist. Ich bedauere ausdrücklich – ich will kein Geheimnis daraus machen –, dass da aufseiten der Union keine Bereitschaft besteht, obwohl auf der Verbraucherministerkonferenz – da waren auch Ihre Parteifreunde – ausdrücklich gesagt wurde, dass das eine sinnvolle Maßnahme wäre. Leider sind wir hier in der Großen Koalition nicht zu einer Einigung gekommen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber weiter daran arbeiten können Sie doch trotzdem!) Dennoch will ich am Ende meiner Rede festhalten: Wir werden einige ganz deutliche Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher beschließen, wir werden für mehr Transparenz sorgen, und wir werden die Banken verpflichten, die Kundinnen und Kunden, die Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu beraten. Also Sie sehen – so viel auch zu den Oppositionsanträgen –: Wir handeln. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie kündigen an!) Ihre Handlungsaufforderungen in Ihren Anträgen sind deshalb aus meiner Sicht schlicht nicht erforderlich. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU spricht jetzt Dr. Volker Ullrich. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dispo- und Überziehungszinsen sind auf einem hohen Niveau. In vielen Fällen sind sie schlichtweg zu hoch. Wir haben Verständnis für viele Verbraucher, die diesen Umstand als richtiges Ärgernis und in manchen Fällen auch als existenzielles Problem betrachten. Das Wissen um die aktuell niedrigen Zinsen und der Blick auf den eigenen Kontoauszug vermitteln sicherlich kein schönes Gefühl. Eine gesetzliche Deckelung der Dispozinsen ist durchaus eine mögliche Lösung, sie ist aber bei weitem nicht die wirksamste und die beste. Das Problem liegt darin, dass wir hier einen Umstand haben, den die Ökonomen als Informationsasymmetrie bezeichnen oder auch als ein Auseinanderfallen zwischen dem, was die Banken tun, und dem, was die Verbraucher wissen. Wenn sie ein Konto eröffnen, dann denken sie gar nicht sofort an die Dispozinsen, sondern erst dann, wenn der Umstand eintritt, dass sie einen Dispo in Anspruch nehmen, beschäftigen sie sich mit dieser Frage. Des Weiteren haben wir den Umstand, dass es ihnen, wenn sie bei einer Bank gelandet sind, die hohe Dispozinsen anbietet, nicht einfach gemacht wird, das Konto zu wechseln. Das fängt mit der 22-stelligen neuen Kontonummer an und endet bei den Daueraufträgen und anderen Unannehmlichkeiten. Vor diesem Hintergrund ist der tatsächliche und wahre Hebel zu mehr Verbrauchermacht die Möglichkeit, das Konto zu wechseln, seine eigene Bankverbindung in die Hände zu nehmen und dorthin zu tragen, wo es niedrigere Zinsen gibt. Das ist wahre Verbrauchermacht. Das steckt im Wesentlichen hinter unseren Überlegungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn die Verbraucher stärker aufgeklärt werden, auf die Höhe der Dispozinsen zu achten, wenn der Kontowechsel erleichtert wird und wenn auch die Banken gesetzlich verpflichtet sind, auf Alternativen wie Ratenkredite und andere Möglichkeiten der Umschuldung hinzuweisen, dann ist das wesentlich wirksamer als ein Zinsdeckel, der die sonstigen Möglichkeiten des Verbrauchers beschneidet und dazu führen wird, dass in vielen Fällen ein Dispokredit teurer oder nicht mehr gewährt wird. Das ist nicht das, was wir unter verbraucherfreundlicher Politik verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das glauben Sie aber nicht wirklich!) Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber auch mit der Frage beschäftigen, weshalb hohe Dispozinsen zu einem Problem in diesem Land geworden sind. Zum einen liegt das an der finanziellen Bildung als Teil des Allgemeinwissens. Ich glaube, hier haben wir in Deutschland etwas Nachholbedarf, auch an den Schulen, wo die Sozialisation in Bezug auf finanzielle Beziehungen, Dispokredite oder Ausgabeverhalten dazu führen könnte, dieses Problem zu minimieren. Zum anderen müssen wir auch über die Dauerverschuldung mancher Menschen in Deutschland sprechen. Ja, es ist so, dass viele Menschen in Deutschland in zunehmendem Maße von dem betroffen sind, was man eine negative Sparquote nennt. Das Einkommen, das sie beziehen, reicht nicht, um ihr Leben zu bestreiten. Gerade im Hinblick auf diesen Punkt hat die Große Koalition gehandelt. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist nämlich nichts anderes als ein Instrument, um die Kaufkraft zu stärken und damit auch wieder mehr Geld in die Geldbörsen der Menschen zu bringen. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja das Herzensprojekt der Union!) Das ist ein Erfolg, und das ist viel wirksamer als ein Dispodeckel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wir sind überzeugt, dass die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen, dass die Stärkung der Einnahmen der Menschen und dass eine höhere Flexibilität und Transparenz viel wirksamer sind als das alleinige Einführen eines Dispodeckels. Wir sind für tatsächliche Lösungen und nicht für Scheingefechte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Dennis Rohde das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dennis Rohde (SPD): Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Entwicklung auf dem Zinsmarkt in den letzten Jahren einmal genauer anschaut, dann kann man mit Blick auf die Dispozinsen eigentlich nur von einem Marktversagen sprechen. Auf der einen Seite erleben wir, dass der EZB-Leitzins und der Euribor stetig unter 1 Prozent verharren. Für das Guthaben auf seinem Konto bekommt man kaum noch Zinsen. Die Zinsen bei Verbraucherkrediten, aber auch bei Immobilienkrediten sind seit langem im Keller. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite haben die wenigsten Banken ihre Dispozinsen wirklich spürbar gesenkt. Der Durchschnitt liegt immer noch – das konnte man jüngst in der Zeitschrift Finanztest nachlesen – bei 10,65 Prozent. Es gibt nicht wenige Banken, die immer noch Dispozinsen in Höhe von 13 oder 14 Prozent erheben. Wir müssen festhalten: Der Markt reguliert sich derzeit nicht selbst. Es gibt keinen funktionierenden Wettbewerb bei den Dispozinsen. Es stellt sich die Frage, warum das so ist. Da kann ich jedem nur empfehlen, einmal zu seiner Verbraucherzentrale zu gehen und sich schildern zu lassen, wie sie an ihre Zahlen kommt, wenn sie Erhebungen macht. Das ist schon spannend. Sie schildert einem nicht nur, dass man die Zahlen bei vielen Banken nicht im Internet findet, sondern auch, dass man bei vielen Banken, selbst wenn man gezielt telefonisch nachfragt, keine Auskunft bekommt. Man wird aufgefordert, in die Filiale zu kommen. Selbst dort findet man den Aushang nur in der letzten Ecke. Zusammenfassend kann man sagen: Wir finden einen vollkommen intransparenten Markt vor. Marktmechanismen können gar nicht greifen, weil es überhaupt keine funktionierende Vergleichbarkeit gibt. Boshaft ausgedrückt könnte man von einer gezielten Verschleierung sprechen. (Beifall bei der SPD) So weit zur Analyse. Aber die Frage ist doch: Welche Antwort geben wir darauf, welche Antwort gibt die Politik darauf? Für uns ist klar: Es muss mit der Politik des guten Zuredens Schluss sein, wie sie zuletzt Ilse Aigner bemüht hat. Warme Worte allein haben nicht geholfen, und sie werden auch in Zukunft nicht helfen. Für uns als Koalition ist aber auch klar: Eine gesetzliche Deckelung kann und darf nur Ultima Ratio sein. Sie kann und darf nur die letzte Lösung sein. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Gibt es Instrumente, um den Wettbewerb wieder zu fördern und das Marktversagen zu beseitigen? Der Vorschlag, den der Bundesjustizminister gemacht hat, ist richtig. Wir müssen zunächst einmal die Banken zu Transparenz zwingen. Wir müssen sie zumindest zwingen, ihre Disposätze in das Internet zu stellen, damit man sich nicht nur selbst gezielt informieren kann, sondern damit zum Beispiel Vergleichsportale auflisten können, welche Bank welchen Disposatz nimmt, damit hohe Dispozinsen wieder zu dem werden, was sie eigentlich sein sollten, nämlich nichts anderes als ein Wettbewerbsnachteil, meine sehr geehrten Damen und Herren. Für die SPD-Fraktion möchte ich aber auch deutlich machen: Wenn die Maßnahmen nicht greifen und wenn wir in ein, zwei Jahren feststellen, dass die Dispozinsen nicht gesunken sind, dann werden wir wieder eine Diskussion über die gesetzliche Deckelung von Dispozinsen führen müssen. Für uns ist klar: Es darf keine übermäßige Bereicherung zulasten von überschuldeten Menschen geben. Das gehört sich nicht. (Beifall bei der SPD) Machen wir uns nichts vor: Die Debatte, die wir hier führen, ist auch eine Gerechtigkeitsdebatte. Hohe Zinsen sind für viele Menschen gefühlt ungerecht. Deshalb ist die Forderung, hier einzugreifen, nicht nur richtig, sondern auch populär. Ich habe schon, als wir das erste Mal über die Anträge debattiert haben, gesagt, dass wir auch den Blick auf die überschuldeten Menschen legen müssen, auf diejenigen, für die Dispozinsen vielleicht ein unangenehmes Symptom, aber längst nicht die Ursache sind, weil die Ursache bei ihnen wesentlich tiefer sitzt. Wir müssen Menschen helfen, einen Weg aus der Schuldenfalle zu finden. Deshalb ist das, was Johannes Fechner vorhin angekündigt hat, genau richtig. Diese Menschen müssen gezielte Beratungsangebote bekommen. Wir müssen auch die Banken in die Pflicht nehmen. Wenn sie feststellen, dass sich seit langer Zeit jemand im Dispo befindet, dann kann man das nicht ignorieren. Wir müssen die Banken verpflichten, eine Beratung anzubieten und eine für die Situation passende Lösung zu erarbeiten. Das muss auch Verpflichtung der Banken sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Maisch, ich gebe Ihnen recht, die Debatte ist nicht beendet, sie fängt gerade erst an. Unsere Gesetzentwürfe werden kommen. Wir sind wirklich guten Mutes, dass wir Regelungen auf den Weg bringen werden, die die Dispozinsen endlich nach unten korrigieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Carsten Sieling, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss der heutigen Debatte möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir das Problem der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite heute zum x-ten Mal diskutieren. Ich erinnere mich an Debatten in der letzten Legislaturperiode. Das Problem wurde immer wieder herausgearbeitet. Passiert ist gar nichts. Jetzt – das ist der wichtige Punkt – handeln wir endlich. Wir haben endlich eine Regierung, die das Problem erkannt hat und seine Lösung in ihr Programm aufgenommen hat. Wir werden für Transparenz sorgen und das Thema aus den dunklen Ecken der Banken herausholen. Für alle wird deutlich werden, was sie zahlen müssen. Wir lassen denen Hilfe zugutekommen, die sie brauchen. Mit diesen Forderungen sind wir als SPD in die Regierung gegangen. Bundesminister Heiko Maas wird sie umsetzen. Das ist eine gute Nachricht zum Wochenende. (Beifall bei der SPD – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wir werden es umsetzen!) – Sie werden es umsetzen. Dazu möchte ich hier festhalten: Im Koalitionsvertrag steht, dass wir die Banken verpflichten werden. Verpflichten kann man in Deutschland nur mit einem Gesetz. Deshalb brauchen wir an dieser Stelle ein richtiges Gesetz und keine schwammigen Regelungen. (Beifall bei der SPD) Wir müssen aber auch beobachten, dass der Markt dort sehr verkrustet ist. Meine Vorredner haben das angesprochen. Wir haben es mit einer Betonwand zu tun, die seit der Finanzkrise 2008, 2009 aufgebaut wurde. Ich glaube aber, dass unsere Maßnahmen helfen werden, dass sich Banken am Markt bewegen werden. Aber wir könnten auch mit der Situation konfrontiert werden – das ist eventuell zu befürchten –, dass die Zinssätze starr bleiben. Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Entwicklung beobachtet wird. Aber ich sage auch klar und deutlich: Wenn sich zeigt – und damit müssen wir rechnen, so die Einschätzung der SPD –, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, dann müssen wir eben eine gesetzliche Obergrenze einführen. Ich möchte hier nicht das Argument hören, eine solche Grenze würde dazu führen, dass der Markt nicht mehr funktioniert. Das Gegenteil ist richtig: Die Akteure werden sich weiterhin auf dem Markt tummeln, aber zu vertretbaren Dispozinsen, die deutlich niedriger und wieder an den Leitzins gekoppelt sind. Sollte das Problem bestehen bleiben, dann werden wir uns von der SPD verstärkt für eine gesetzliche Beschränkung von Dispozinsen einsetzen. Das ist der richtige Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen, dass wir uns im finanziellen Verbraucherschutz nicht nur um die Dispozinsen kümmern. Wir werden noch weitere Maßnahmen ergreifen. Einige weitere Themen sind bereits angesprochen worden. Erstens. Wir beschränken die Dispozinsen und machen sie transparent. Zweitens. Wir wollen ein Girokonto für jedermann. Drittens. Wir sorgen für die Einführung eines Finanzmarktwächters. All das sind gute Signale. Seit die SPD wieder das Verbraucherschutzministerium innehat, spielt Verbraucherschutzpolitik in unserem Land wieder eine Rolle. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die hat schon vorher eine Rolle gespielt!) Das ist die beste Nachricht zum Wochenende; alles Gute. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Angesichts all der guten Wünsche kann am Wochenende ja nichts mehr passieren. (Heiterkeit) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2741 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 23 b. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/2777. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/807 mit dem Titel „Begrenzung und Vereinheitlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1342 mit dem Titel „Begrenzung von Dispositions- und Überziehungszinsen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Europa – Vorreiter im Kampf gegen die Todesstrafe Drucksache 18/2738 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Todesstrafe weltweit ächten Drucksache 18/2740 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist klar: Man kann eine solche menschenrechtspolitische Debatte nicht beginnen, ohne Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi zur Verleihung des Friedensnobelpreises zu gratulieren. (Beifall im ganzen Hause) Ich komme zu einem unerquicklicheren Thema, zum Kampf gegen die Todesstrafe. Ich will mit Erlaubnis der Präsidentin ein bisschen länger zitieren. Albert Camus schrieb in seinem wirklich sehr eindringlichen Text Der Ruf nach dem Henker – ich glaube, bis heute gibt es für dieses Thema keinen besseren und eindringlicheren Text; ich empfehle jedem, den Text zu lesen, auch wenn das nicht ganz leicht ist –: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde ein Mörder wegen eines ungewöhnlich scheußlichen Verbrechens (er hatte eine ganze Bauernfamilie, Eltern und Kinder, umgebracht) in Algier zum Tode verurteilt. Es handelte sich um einen Landarbeiter, der in einer Art Blutrausch getötet hatte, dessen Fall jedoch durch den Umstand erschwert wurde, daß er seine Opfer außerdem bestahl. Der Prozeß erregte großes Aufsehen. Die Öffentlichkeit war der Meinung, daß für ein solches Ungeheuer selbst die Enthauptung eine zu milde Strafe sei. Dies war auch, wie mir versichert wurde, die Ansicht meines Vaters, den insbesondere die Ermordung der Kinder empört hatte. Jedenfalls gehört zu dem wenigen, das ich von ihm weiß, die Tatsache, daß er zum erstenmal in seinem Leben beschloß, einer Hinrichtung beizuwohnen. Er stand mitten in der Nacht auf, um sich mit vielen anderen Leuten zusammen ans andere Ende der Stadt auf den Richtplatz zu begeben. Was er an jenem Morgen sah, erzählte er keinem Menschen. Meine Mutter berichtet nur, daß er mit verstörtem Gesicht überstürzt nach Hause kam, sich ohne ein Wort der Erklärung einen Augenblick auf sein Bett legte und sich plötzlich erbrach. Er hatte eben die Wirklichkeit entdeckt, die sich hinter den hochtrabenden, bemäntelnden Redensarten verbarg. Wenn die Vollstreckung des Rechts dem ehrbaren Bürger, zu dessen Schutz es da ist, nur Übelkeit bereitet, kann schwerlich behauptet werden, sie sei dazu angetan, ihrer eigentlichen Aufgabe getreu mehr Frieden und Ordnung in das Gemeinwesen zu bringen. Es wird im Gegenteil deutlich, daß sie genauso empörend ist wie das Verbrechen und daß dieser weitere Mord die der Gesellschaft zugefügte Beleidigung nicht nur nicht wiedergutmacht, sondern durch eine neue Schmach verschärft. Das ist das, was Albert Camus dazu schreibt. Ich finde, viel eindrücklicher kann man nicht beschreiben, worum es bei dem Thema geht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Zweifellos – das ist das Positive – ist die Todesstrafe weltweit auf dem Rückzug. Die Zahl der Länder mit Todesstrafe ist deutlich abnehmend. Knapp 100 haben sie mittlerweile abgeschafft, weitere 36 praktizieren sie nicht mehr, und in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gibt es eine klare Mehrheit, die sich gegen die -Todesstrafe ausgesprochen hat. Umso bitterer ist, dass über 90 Prozent der Hinrichtungen durch fünf Länder in der Welt vollzogen werden: China, Iran, Saudi-Arabien, Pakistan und leider auch die USA. Ich will es ausdrücklich sagen, auch in Anwesenheit von Ministerpräsident Li aus China: Wir haben große Achtung vor China, aber es ist in der Tat eine Schande – anders kann ich das nicht benennen –, dass China an der Spitze der Zahl der Hinrichtungen weltweit steht. Das werden wir immer wieder benennen. Ich bin davon überzeugt, dass andere das bei den Gesprächen in diesen Tagen auch benennen werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe die positive Entwicklung geschildert. Umso mehr erzürnt es mich und andere, dass es kürzlich eine Veränderung der Position auf den Malediven gab. 60 Jahre lang währte ein Moratorium gegen die Todesstrafe. Dieses wurde mittlerweile aufgegeben. Sogar Kinder und Jugendliche sind auf den Malediven mittlerweile von der Todesstrafe bedroht. Damit das, was ich jetzt noch sage, nicht falsch verstanden wird: Die Todesstrafe ist falsch und ein Verbrechen, egal wie und an wem sie vollzogen wird. Besonders abscheulich ist sie allerdings, wenn Menschen dabei ermordet werden – wie soll man das anders benennen? –, die unschuldig sind. Auf Spiegel Online konnte man erst gestern den Fall von Manuel Velez nachlesen, der zum Glück nach neun Jahren aus der Todeszelle entlassen wurde, weil klar geworden ist: Er kann den Mord, der ihm zur Last gelegt wurde, gar nicht verübt haben. Besonders abscheulich ist die Todesstrafe auch, wenn sie an psychisch Kranken vollzogen wird. Deswegen ist es gut, dass genau diese Fälle in diesem Jahr im Mittelpunkt der Kampagne zum Welttag gegen die Todesstrafe der Menschenrechtsorganisationen stehen. Zwei Staaten muss ich am Ende meiner Rede besonders – in Anführungsstrichen – würdigen. Der eine ist der letzte Staat in Europa, der die Todesstrafe vollzieht, weswegen er nicht Mitglied des Europarates sein kann: Weißrussland. Auch das ist eine Schande. Es gibt eine gute Situation in Europa, wir haben an der Stelle weltweit eine Vorbildfunktion, aber diese wird leider von Weißrussland ein Stück weit unterminiert. Das muss sich dringend ändern. Ich will auch noch einmal die USA und auch Japan nennen. Genau deshalb, weil wir in vielen Fragen gemeinsame Werte haben, auch was die Menschenrechte betrifft, ist es besonders betrüblich, dass die USA und auch Japan die Todesstrafe vollziehen. Wie gut wäre es für die Welt, welchen Vorbildcharakter würde es haben, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika endlich die Todesstrafe abschaffen würden! Ich denke, das müssen wir bei unseren Gesprächen immer wieder deutlich machen. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Annette Groth, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Internationalen Tag gegen die Todesstrafe müsste ein Aufschrei mit der Forderung durch die Welt gehen: Verbietet endlich diese barbarische Strafe und ächtet Regierungen und Verantwortliche, die die Verhängung der Todesstrafe zulassen und die Tötung von Menschen anordnen! Wir dürfen nicht mehr schweigen, wenn wir Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter treffen, in deren Ländern die Todesstrafe immer noch nicht abgeschafft ist. Leider hat die Zahl der Hinrichtungen im Jahre 2013 wieder deutlich zugenommen. Das ist eine Schande. Schon lange fordert die Linke ein Verbot der Todesstrafe; denn sie ist grausam und in keiner Weise zu rechtfertigen. Ich kann – Frank Schwabe geht es wahrscheinlich genauso – nicht begreifen, dass Staaten wie die USA noch immer die Todesstrafe anwenden. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich auch gegenüber den Vereinigten Staaten deutlicher als bisher zu der brutalen Ermordung von Verurteilten äußert. Mit 79 Todesurteilen wurden im Jahr 2013 in den USA mehr Todesurteile verhängt als im Jahr zuvor, 2012. Die in jüngster Zeit durchgeführten Hinrichtungen mit der Giftspritze in den USA haben zu weltweiter Empörung geführt. Es ist -barbarisch, Menschen mit der Todesspritze zu quälen und erst nach langem Leiden qualvoll sterben zu lassen. Auch wenn 150 von 193 Staaten die Todesstrafe abgeschafft haben, leben noch immer zwei Drittel aller Menschen in Ländern, die Todesurteile verhängen. In diesen Staaten werden jedes Jahr mehrere Tausend Menschen zum Tode verurteilt und viele Tausend hingerichtet. Das ist doch eine Schande für uns alle. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Allein für China geht Amnesty International von mehreren Tausend Hinrichtungen jährlich aus. In 22 weiteren Ländern, darunter Saudi-Arabien, Kuwait und Indonesien, wurden 2013 fast 800 Menschen hingerichtet. Von den USA fordern wir, als ersten Schritt ein Moratorium für die Todesstrafe zu erlassen und dann in allen US-Bundesstaaten die Todesstrafe zu verbieten. Wir müssen den Verantwortlichen in den USA deutlich zu verstehen geben, dass eine Regierung, die diese Form der barbarischen Justiz im eigenen Land anwendet, international nicht glaubwürdig für die Durchsetzung von Menschenrechten eintreten kann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist einfach ein Skandal, dass wir Waffen und Ausrüstungen für Militärs und Polizeieinheiten in Länder liefern, die noch immer die Todesstrafe verhängen und durchführen. Die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, erneut Waffen nach Saudi-Arabien zu liefern, ist einfach empörend und darf nicht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Saudi-Arabien werden Menschen brutalst hingerichtet. Das Abhacken von Händen oder das Amputieren von Gliedmaßen sind dort gängige Strafen. Saudi-Arabien wird auch seit längerem verdächtigt, am Aufbau der Mörderbanden des sogenannten Islamischen Staates mit Geld und Waffen beteiligt gewesen zu sein. Saudi-Arabien gehört neben dem Iran und dem Irak zu den drei Ländern, die fast 80 Prozent aller Hinrichtungen außerhalb Chinas durchführen. Ich fordere von der Bundesregierung einen sofortigen Waffen- und Ausrüstungsstopp für die saudischen Militärs und Polizeieinheiten. Das ist doch das Mindeste, das man erwarten kann. (Beifall bei der LINKEN) Die Ermordung von Menschen durch Staaten und Regierungen ohne Gerichtsurteil nimmt zu. Mit den sogenannten gezielten Tötungen hat sich eine neue Form der Ermordung von Menschen ohne jegliche gerichtliche Prüfung durchgesetzt. Diese Form der Todesstrafe ohne Richter durch Spezialkommandos des Militärs oder mit bewaffneten Drohnen wird auch von engen NATO-Verbündeten Deutschlands praktiziert. Wir Linke fordern von der Bundesregierung, dass sie diese völkerrechtswidrigen Exekutionen, denen insbesondere zahlreiche Zivilisten zum Opfer fallen, ächtet und dies auch gegenüber Staaten wie den USA oder Israel, einem der Hauptdrohnenproduzenten, deutlich zum Ausdruck bringt. (Beifall bei der LINKEN) Ich fordere die Bundesregierung auf, im Rahmen der UN die Einführung eines Registers anzuregen, in dem alle Todesurteile und deren Begründung erfasst werden. Dieses Register kann Grundlage für eine juristische Aufarbeitung dieser Fälle werden. Von den deutschen Botschaften fordere ich, dass sie bei Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe grundsätzlich protestieren und die Betroffenen in den Gefängnissen besuchen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit. Annette Groth (DIE LINKE): Ich bin sofort fertig. – Wir alle, insbesondere Sie, die Regierungsvertreter, müssen endlich klar sagen, dass wir alle für ein Verbot der Todesstrafe kämpfen. Wir wollen eine Welt ohne Todesstrafe und ohne Drohnen! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank.- Nächster Redner ist Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Es ist mehrfach gesagt worden: Heute ist der Internationale Tag gegen die Todesstrafe. Heute vor einem Jahr – daran mögen sich die einen oder anderen erinnern – konnten wir diesen Tag im Plenum noch nicht adressieren, angehen – „feiern“ kann man ja nicht sagen, sondern höchstens „erinnern“ –. Da steckten CDU, CSU und Sie als SPD noch in langwierigen Koalitionsverhandlungen. Manche Position war umstritten. Um viele Formulierungen wurde gefeilscht. Aber es gab auch Positionen, die unstrittig und eindeutig waren. So wurde unter anderem unter der Überschrift „Schutz und Förderung von Menschenrechten“ der knappe und eindeutige Satz formuliert: Wir engagieren uns weiterhin konsequent für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe … In Deutschland wurde die Abschaffung der Todesstrafe 1949 in Artikel 102 des Grundgesetzes festgeschrieben, nicht zuletzt durch die Erfahrung des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Wem stehen nicht die Beispiele wie die zynischen Todesurteile eines Roland Freisler gegen Hans und Sophie Scholl und andere Mitglieder der Weißen Rose bis heute abschreckend vor Augen? Ich selber konnte mich letzte Woche mit einer Chemnitzer Gruppe aus meinem Wahlkreis in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand davon überzeugen. Durch den Rest des Tages geht man dann nicht beschwingt. Die Todesstrafe ist eine Menschenrechtsverletzung ohne Wenn und Aber; darin sind wir uns ja quer durch das Parlament einig. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Kein Mensch kann diese seine Würde unwiderruflich verlieren. Deshalb beginnt der Antrag auch genauso. Der Ruf nach Rache und Vergeltung ist möglicherweise menschlich nachvollziehbar, gerade in solchen Fällen, von denen Sie erzählt haben. Doch führt das zu Spiralen von Gewalt und im Kern zu Entmenschlichung. So hält der UN-Sonderberichterstatter gegen Folter jede Form der Todesstrafe für nicht vereinbar mit dem Verbot der Folter und grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung und Strafe. Der Verzicht auf die Todesstrafe ist ein hohes zivilisatorisches Gut, ein Grundwert europäischer Identität, eine Errungenschaft, hinter die wir nicht zurückfallen dürfen. Die Todesstrafe ist grausam und öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Justizirrtümer werden durch die Todesstrafe unwiderruflich. Nach dem letzten Bericht des UN-Generalsekretärs vom Juli letzten Jahres zur „Question of the Death -Penalty“ werden unverhältnismäßig oft sozial Schwache und Angehörige ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten zum Tod verurteilt. Mein Kollege Schwabe hat es gerade gesagt. Die Pressemitteilung von Amnesty -International geht insbesondere auf diese besonders abscheuliche Form der Todesstrafe bei Menschen, die psychisch krank sind, ein. Seit Jahren gibt es außerdem kritische Diskussionen über Hinrichtungsmethoden. Darauf ist bereits Bezug genommen worden. Besonders barbarisch sind Enthauptungen und Steinigungen. Weltweite Empörung haben die geschilderten Hinrichtungen mit der Giftspritze ausgelöst, die erst nach langem Leiden zum Tod geführt haben. Aus den genannten Gründen lehnt Deutschland die Todesstrafe ab und steht damit glücklicherweise in Europa nicht alleine. Seit 1997 kam die Todesstrafe in Europa nicht mehr zur Anwendung, außer in dem schon genannten Land Belarus, das geografisch zu Europa gehört. Bisher liefen alle Bemühungen von Europarat, von uns, von der EU, Belarus wenigstens zu einem Hinrichtungsmoratorium zu bewegen, ins Leere. Dieses Jahr wurden bereits zwei Gefangene durch Kopfschuss exekutiert, und zwei weiteren droht die Hinrichtung. Trotzdem gilt: Europa hat einen legitimen moralischen Anspruch, im weltweiten Kampf gegen die Todesstrafe als Vorreiter aufzutreten. Ich zitiere von der Website des Auswärtigen Amtes aus den „Leitlinien der EU zur Todesstrafe“: Die Leitlinien definieren die Bekämpfung der Todesstrafe als zentrales menschenrechtliches Anliegen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik … Auch in ihrem Strategischen Rahmen und Aktionsplan zählt die Europäische Union die Bekämpfung der Todesstrafe und der Folter zu ihren Prioritäten auf dem Gebiet der Menschenrechte. Das ist ein guter und deutlicher Trend – der Menschenrechtsbeauftragte Strässer hat das heute Morgen in einer Pressemitteilung deutlich gemacht – und weltgeschichtlich betrachtet ein bemerkenswerter humanitärer und menschenrechtlicher Fortschritt, den wir hier nicht vergessen dürfen. Und doch: Der Kampf gegen die Todesstrafe ist noch lange nicht ausgekämpft. Wie notwendig auch europäische Anstrengungen heute noch sind, zeigt ein Blick in aktuelle Statistiken; ich will die Zahlen nicht wiederholen, einige sind genannt worden. Amnesty International geht davon aus, dass letztes Jahr in mindestens 22 Staaten die Todesstrafe vollstreckt worden ist, 778 Menschen wurden getötet. Das waren 96 mehr als im Jahr davor. 1925 Menschen wurden zum Tode verurteilt, und 23 392 Menschen sitzen in Todeszellen und warten auf ihre Strafe. Manche Länder machen aus diesen Zahlen ein Staatsgeheimnis, wie zum Beispiel China. In vier Ländern – diese nenne ich bewusst, um auf sie hinzuweisen –, Indonesien, Kuwait, Vietnam und Nigeria, wurde nach einem Moratorium die Todesstrafe wieder vollzogen. China behandelt diese Zahlen, wie gesagt, wie ein Staatsgeheimnis und gibt keine Zahlen bekannt. Amnesty International schätzt die Zahl der hingerichteten Menschen auf Tausende. Die Todesstrafe ist häufig ein Mittel staatlicher Gewalt zur Einschüchterung von Dissidenten sowie von ethnischen und religiösen Minderheiten. In vielen islamischen Staaten wird die Apostasie, die Abkehr vom Islam zu einem anderen Glauben, mit dem Tode bestraft. Wir haben dieses Jahr – das ging durch die Medien und war in vielen Ländern ein Thema – den Fall der hochschwangeren Meriam Jahia Ibrahim Ischag im Sudan erlebt. Die Tochter einer Christin und eines Muslims war zum Tode verurteilt worden, weil sie nicht den Glauben ihres Vaters annehmen wollte. Es waren internationale Proteste, die zu ihrer Freilassung führten. Hier mache ich die Klammer auf: Das kann also einen Unterschied machen. Es braucht nicht nur Politik – diese braucht es sehr wohl auch –, Regeln und Konventionen, sondern es braucht auch Sie, die Bürger, die mit aufstehen. Doch zeigt das Beispiel: Mit der Todesstrafe gehen weitere Menschenrechtsverletzungen, wie in diesem Fall die Einschränkung der Religionsfreiheit, einher. Christoph Strässer als Menschenrechtsbeauftragter hat diese Woche auf die Hinrichtung von fünf Männern hingewiesen, die im September dieses Jahres eine grausame Tat begangen haben, eine brutale Vergewaltigung mehrerer Frauen in Paghman in Afghanistan. Diese Männer wurden innerhalb von drei Wochen von mehreren Instanzen verurteilt und dann erschossen. Ein faires Verfahren hat in dem System keinen Platz gehabt. In Spiegel Online war vorgestern von der 26-jährigen Reyhaneh Jabbari im Iran zu lesen. Sie hat in Notwehr einen Exagenten umgebracht, der sie vergewaltigen wollte. Nun wartet sie wegen Mord auf ihre Tötung. Erschütternd für Europa ist, dass mit den USA und Japan zwei befreundete westliche Nationen, die beim Europarat Beobachterstatus haben, die Todesstrafe praktizieren. Bisher sind alle Appelle zur Abschaffung oder für ein Moratorium ohne Ergebnis verhallt. Immerhin sinkt die Zustimmung zur Todesstrafe auch in den Vereinigten Staaten. Letztes Jahr hat Maryland als 18. Bundesstaat die Abschaffung der Todesstrafe beschlossen. Aber wir sind mit diesem Zwischenstand ganz und gar nicht zufrieden. Um den Kampf gegen die Todesstrafe weiter voranzutreiben, formulieren wir im Antrag deshalb eine Reihe von Forderungen, die sich etwas anders anhören, aber in die gleiche Richtung gehen wie die von Ihnen in Ihrem Antrag formulierten. Ich möchte abschließend zumindest einige davon zitieren. Wir fordern die Bundesregierung auf: Initiativen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe voranzutreiben …, insbesondere bei den Staaten China, Iran, Irak, Saudi-Arabien, USA, Japan, Somalia, Sudan und Jemen; … gezielt jene Staaten, die den UN-Zivilpakt und das Zweite Fakultativprotokoll zum UN-Zivilpakt noch nicht ratifiziert haben, zur Ratifizierung ohne Vorbehalt aufzufordern; … bilateral und auf europäischer Ebene mit allen diplomatischen Mitteln Belarus von einem Hinrichtungsmoratorium zu überzeugen; – wir sind einig mit dem, was Amnesty an dieser Stelle fordert – weiterhin – u. a. über das Ministerkomitee des Europarates – auf die USA und Japan einzuwirken; – Sie merken vielleicht, dass ich das zum dritten Mal nenne; es tut mir weh, dass wir das immer noch machen müssen – … bei allen Initiativen gegen die Todesstrafe eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenzuarbeiten und diese in ihrer Arbeit zu unterstützen. Ich möchte meinen Dank denjenigen aussprechen, die sich in den letzten Jahren in diesem Bereich besonders engagiert haben. Eine Organisation habe ich genannt; da sind aber noch andere. Auch von dieser Stelle: Es ist klasse, was Sie da treiben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Todesstrafe ist grausam, erniedrigend und menschenrechtswidrig. Sie „verstößt gegen das Recht auf Leben und verletzt die Würde des Menschen“. Lasst uns gemeinsam dagegen kämpfen, auch gemeinsam in Europa. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Omid Nouripour. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, mit der guten Nachricht von heute anzufangen – das hat auch der Kollege Schwabe völlig zu Recht gemacht –, und zwar mit der Vergabe des Friedensnobelpreises an Malala Yousafzai und an Kailash Satyarthi. Ich hatte die Ehre, diese zwei Persönlichkeiten kennenzulernen. Sie setzen sich schon sehr lange für einen Kernbereich der Menschenrechte ein – wenn ich „lange“ sage, dann muss man anmerken, dass das bei einer 17Jährigen schon etwas Besonderes ist –, insbesondere für die Frauen- und Kinderrechte. Das ist eine sehr freudige Nachricht, dass gerade diese beiden heute ausgezeichnet wurden. (Beifall im ganzen Hause) Ich habe in den letzten Jahren immer wieder selbst eine Person für den Nobelpreis vorschlagen dürfen, und zwar einen Geistlichen aus dem Iran. Das klingt erst einmal ein wenig befremdlich. Aber Ajatollah Borudscherdi ist ein Mann, der sich seit Jahren als Quietist ausgezeichnet hat. Er hat immer wieder heftigst für eine klare Trennung von Religion und Politik geworben, gekämpft und argumentiert. Er hat viele spannende Schriften verfasst, die man einem iranischen Geistlichen – so zumindest lautet ja das Klischee – nicht zutraut, beispielsweise zur Zweistaatenlösung aus theologischer Sicht. Deshalb ist er zum Tode verurteilt worden. Denn genau diese Art Theologie, die Staat und Religion auseinanderhalten will, erscheint für eine islamische Republik natürlich ganz unerträglich. Der Mann sitzt seit 2007 im Gefängnis. Er ist schwerst gefoltert worden und hat mittlerweile sein Augenlicht verloren. Seit wenigen Tagen soll er Berichten zufolge in der Todeszelle sitzen. Iran ist ein besonderes Land im Hinblick auf Hinrichtungen, nicht nur weil es sich quantitativ leider in der Spitzengruppe befindet, sondern weil es dort sehr häufig zu öffentlichen Hinrichtungen kommt. Das ist eine besonders perverse Art und Weise, die Würde derjenigen, die hingerichtet werden, zu zerstören, und das auch noch vor den Augen von Kindern, die das ihr Leben lang nicht mehr werden vergessen können. Es ist daher umso wichtiger, dass man nicht nur über das Thema redet, sondern auch auf die vermeintlich kleinen Details dieser perversen Techniken, die dort angewendet werden, hinweist. Auf diese Weise kann man Druck machen, damit das aufhört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die anderen Länder in der sogenannten Spitzengruppe sind bereits genannt worden. Ich kann nur wünschen, dass die Frau Bundeskanzlerin beim heutigen Gespräch mit dem Regierungschef Chinas das Thema anspricht und die Hinrichtungen dort zur Sprache kommen, gerade weil China eine unglaubliche Zahl an Hinrichtungen vorweist. Ich glaube, dass wir sehr gut daran tun, heute diese Diskussion zu führen. Wir müssen sie natürlich auch weiterhin führen. Ich bin sehr dankbar für die vorliegenden Anträge, die anregen, dass man über einzelne Mechanismen diskutiert. Wir werden dem Antrag der Koalition zustimmen, auch wenn uns das eine oder andere fehlt. Beispielsweise verzichten Sie in toto auf die Einzelfälle. Das ist eine Frage der Denkschule; das finden wir so nicht richtig. Aber es ist zumindest nachvollziehbar, warum Sie es tun. Es ist, glaube ich, auch notwendig, darüber zu sprechen, welche große Rolle deutsche diplomatische Vertretungen spielen können. Wir haben viele Fälle erlebt, in denen Botschafter ein sehr großes persönliches Risiko auf sich genommen haben, um auf einzelne Fälle hinzuweisen, und sie haben damit auch sehr viel erreicht. Dafür kann man nur herzlichen Dank sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Antrag der Linken finden wir sehr vieles richtig. Was aber dazu führt, dass wir uns enthalten werden, ist die Forderung nach der Aussetzung der Kooperation – gerade im Sicherheitsbereich – mit den Staaten, die die Todesstrafe haben und vollziehen. Hier gibt es Länder, die zwar Demokratien und unsere Wertepartner sind, die wir aber mit mehr und nicht mit weniger Engagement davon zu überzeugen versuchen müssen, dass sie von der Praxis der Todesstrafe abkommen. Die USA sind genannt worden. Zu dem Gesagten will ich nichts hinzufügen, außer zur Praxis der Todeszelle. Wir kennen einzelne Fälle, in denen Menschen nach der Urteilsverkündung 40 Jahre lang in der Todeszelle gesessen haben. In dieser Zeit – jeden Tag, 40 Jahre lang – weiß man nicht, ob man nicht am nächsten Morgen zur Hinrichtung abgeholt wird. Dabei geht es nicht darum, dass die Menschen hingerichtet werden, sondern darum, dass die Todeszelle teilweise systematisch eingesetzt wird, um die Leute doppelt zu bestrafen. Das ist eines Rechtsstaates absolut unwürdig. Ich möchte eine zweite Demokratie nennen, nämlich Indien. Es gab diese fürchterlichen Fälle von Vergewaltigungen brutalster Art inklusive Todesfolge. In der Folge ist in Indien für solche Fälle die Todesstrafe gesetzlich verankert worden. Das stieß, muss ich zugeben, in der Öffentlichkeit zunächst auf großes Verständnis. Es gab eine tiefe Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Nur, wir haben in diesen Wochen einige Expertinnen und Frauenrechtlerinnen gesprochen, die sagen, dass das unter anderem dazu führt, dass gerade in den ländlichen Regionen, in kleinen Dörfern, in denen man für Anzeigen endlich eine Bresche geschlagen hatte, die Zahl der Anzeigen zurückgehen wird; denn teilweise sind es Vergewaltigungen innerhalb der Familie. Das sind kleinste soziale Einheiten. Die Frau, die einen Mann anzeigt, muss nun damit rechnen, dass er hingerichtet wird, was die gesamte soziale Struktur und das gesamte Gefüge des Dorfes auf Dauer zerstören würde. Das heißt, dass das, was zunächst als Gerechtigkeit empfunden wurde, eher dazu führt, dass bei Vergewaltigungen wieder mehr geschwiegen wird. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzter Satz. – Das zeigt, dass die Todesstrafe nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat, sondern ausschließlich mit der Zerstörung von Menschenwürde. Diese irreversible Art und Weise von Justiz, die immer auch mit vielen Irrtürmern verbunden ist, stößt im Hohen Hause völlig zu Recht auf unser aller Ablehnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion. Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rizana Nafeek, Ramiro Hernandez-Llanas und Rygor Yuzepchuk, diese Namen stehen stellvertretend für Tausende von Hingerichteten weltweit pro Jahr, von denen Amnesty International berichtet. Rizana Nafeek ist am 9. Januar 2013 in Saudi-Arabien hingerichtet worden. Ihr wurde vorgeworfen, ein Kind getötet zu haben. Sie hatte unzureichenden anwaltlichen Beistand. Ramiro Hernandez--Llanas wurde am 9. April 2014 im US-Bundesstaat Texas durch Gift hingerichtet. Er war geistig behindert. Ihm wurde Mord an seinem Arbeitgeber vorgeworfen. Rygor Yuzepchuk wurde im April 2014 in Weißrussland wegen Mordes an einem Mithäftling hingerichtet. Weißrussland ist von Berlin keine 800 Kilometer entfernt. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle wären jetzt eigentlich Zahlen zu nennen: In wie vielen Ländern der Erde vergiftet, hängt, erschießt, steinigt der Staat noch Menschen? Wie viele Hinrichtungen waren es 2013? Ich verzichte darauf. Jeder Mensch, der heute in einer Todeszelle auf seine Ermordung wartet, ist einer zu viel. (Beifall im ganzen Hause) Ich halte fest: Wir fordern, die Todesstrafe weltweit zu ächten und abzuschaffen. Die Gründe hierfür sind einfach: Die Todesstrafe widerspricht dem wichtigsten Menschenrecht, dem Recht auf Leben, und die Todesstrafe lässt sich bei einem Justizirrtum nicht korrigieren. Unser Antrag enthält genau diese Botschaft. Er beschreibt den Prozess, wie wir uns diesem Ziel annähern und gegenüber welchen Ländern wir besonders aktiv werden müssen. Darüber hinaus ist unser Antrag realistisch. Denn wenn schon in einem Land die Todesstrafe nicht sofort abgeschafft wird, dann sind zumindest – als erster Schritt – Mindestnormen in Bezug auf die Todesstrafe einzuhalten. Mindestnormen, das hört sich zynisch an. Diese Forderung ist aber notwendig, wenn man sich anschaut, aus welchen Gründen Menschen in den verschiedenen Ländern mit der Todesstrafe bestraft werden: Das sind Wirtschaftsdelikte, Ehebruch, Gotteslästerung oder einvernehmlicher, gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Erwachsenen. In Ländern wie Iran, Saudi-Arabien und Sudan steht auf Homosexualität die Todesstrafe. Meine Damen und Herren, die Abschaffung der Todesstrafe in der Welt zu fordern, ist wichtig. Darüber hinaus haben wir aber durchaus auch in Deutschland Handlungsbedarf. Zwei Zitate: Findet diese Dreckschweine und hängt sie auf! Und: Todesstrafe für so einen Abschaum! Und alle, die mitgemacht haben, gleich mit verrecken lassen! Diese Zitate stammen aus dem Oktober 2014, und diese Zitate stammen von deutschen Facebook-Nutzern. Sie finden sofort Kommentare dieser Art, sobald über schwere Verbrechen berichtet wird. Natürlich sind solche Kommentare nicht überzubewerten. Geschützt durch die Anonymität des Netzes lässt so mancher User jede Zurückhaltung fallen. Mich erschrecken der Hass und die Aggression, die in diesen Kommentaren zum Ausdruck kommen. Die Kampagne „No Hate Speech“, die vom Europarat unterstützt wird, hat sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen für jede Form der Hassrede zu sensibilisieren. Solche Kommentare gehören dazu, und sie machen etwas mit unserer Gesellschaft. Denn auch aktuelle sozialwissenschaftliche Daten können uns nicht egal sein: Umfragen zeigen, dass 25 Prozent der Deutschen der Meinung sind, der Staat dürfe die Todesstrafe für Schwerverbrecher einführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn wir schon seit längerem keine Diskussion in Deutschland mehr zur Todesstrafe führen, müssen wir trotzdem immer wieder deutlich machen, dass die Todesstrafe zivilisatorischen Rückschritt bedeutet. (Beifall im ganzen Hause) Reyhaneh Jabbari und Iwao Hakamada: Diese Menschen leben noch, veranschaulichen jedoch die Grausamkeiten der Todesstrafenpraxis. Reyhaneh Jabbari – Sie sagten es schon, Herr Heinrich – sitzt im Iran in der Todeszelle, weil sie einen Mann getötet hat, aus Notwehr, wie sie sagt, weil er sie vergewaltigen wollte. Iwao Hakamada veranschaulicht wie kein anderer, dass die Todesstrafe abgeschafft werden muss. Er saß 45 Jahre in der Todeszelle in Japan. Vor kurzem hat sich durch einen DNA-Test herausgestellt, dass er Opfer eines Justizirrtums sein könnte. Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Unsere bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass Wissenschaft, Gesetzgebung und Erfahrung sich vereinigen, um darzutun, dass die Zeit nahe ist, in welcher die Todesstrafe als Überbleibsel alter Zeiten aufgehoben wird. Wann diese Zeit eintreten wird, steht in höherer Hand; sobald aber die Überzeugung siegt, dass die Todesstrafe weder notwendig noch nützlich ist, dass ihre Beibehaltung selbst Nachteile erzeugt, wird sie verschwinden, eben so wie die Blätter im Herbste abfallen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Worte stammen von Carl Joseph Anton Mittermaier, dem bedeutendsten deutschen Strafrechtler des 19. Jahrhunderts, Professor in Heidelberg und nicht zuletzt Mitglied der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche. Das Zitat stammt aus einer umfassenden Monografie Mittermaiers zur Todesstrafe aus dem Jahre 1862. Denn das Verbot der Todesstrafe gemäß § 139 der Paulskirchenverfassung war wie die vielen anderen fortschrittlichen Ideen dieses Verfassungsdokuments mit seinem politischen Scheitern Theorie geblieben. Mittermaier kämpfte nun aber akademisch gegen ein Relikt an, dem er schon 1862 keine lange Zukunft mehr gab. Doch auch im Herbst 2014 ist die Todesstrafe noch keineswegs verschwunden. Überhaupt irrte -Mittermaier, wenn er davon ausging, dass die Todesstrafe so verschwinden würde, wie die Blätter im Herbst abfallen. Als Mittermaier dies 1862 schrieb, stand die schrecklichste Phase dieser furchtbaren Strafe, die tausendfach an Unschuldigen im Dritten Reich vollstreckt wurde, in unserem Land noch bevor. Nach dem Erscheinen von Mittermaiers Werk sollten noch mehr als 100 Jahre vergehen, bis die Todesstrafe 1987 endlich auch in der DDR und damit in ganz Deutschland abgeschafft sein sollte. Vielen ist heute gar nicht mehr bewusst, dass das SED-Regime die Todesstrafe noch bis in die jüngste Vergangenheit dazu missbrauchte, Regimegegner und abtrünnige Funktionäre zu verfolgen. Selbstverständlich gab es für die Delinquenten keinen fairen Prozess. Ein Wink der SED-Oberen entschied über Leben und Tod im Unrechtsstaat DDR. Der lange Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe lehrt uns: Auf das Verschwinden der Todesstrafe darf man nicht warten wie auf das Verschwinden der Blätter im Herbst. Es ist die Verpflichtung unserer Politik, aktiv gegen diese grausame Strafe zu kämpfen. Dabei ist es richtig, dass wir auch 24 Jahre nach der Wiedervereinigung und der verfassungsrechtlichen Ächtung dieser Strafe in ganz Deutschland dieses Thema nicht vergessen. Heute ist die Abschaffung der Todesstrafe nämlich nicht bloß eine Abwägung von Für und Wider. Im Gegenteil: Das Grundgesetz hat uns als höchsten Wert unserer Rechtsordnung die Würde des Menschen verdeutlicht. Dies entspricht unserer geschichtlichen Erfahrung. Zugleich hat sich in Europa die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Anerkennung der Würde des Menschen die Konsequenz der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen und Teil des gemeinsamen europäischen, christlich-jüdischen Erbes ist. Deswegen ist es richtig, dass die Forderung nach der Abschaffung der Todesstrafe seit langem ein wesentlicher Bestandteil der Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland ist, wo der besondere Wert eines Menschen im Mittelpunkt steht. Es ist gut, dass wir heutzutage – Weißrussland wurde bereits mehrfach als Beispiel genannt – nicht nur auf das allmähliche Verschwinden der Todesstrafe in Europa hinweisen, sondern auch darauf hinwirken, dass Länder wie Saudi-Arabien, China, der Irak und der Iran, aber auch gefestigte Demokratien wie die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan die Todesstrafe endlich abschaffen oder zumindest deren Vollstreckung aussetzen. Besonders deutlich müssen wir das dort zum Ausdruck bringen, wo zur Todesstrafe hinzutritt, dass sozusagen im Vorlauf zu der Vollstreckung der Strafe die wichtigsten Grundsätze des Rechtsstaates nicht beachtet werden. Länder wie China, Saudi-Arabien oder der Iran richten ohne fairen Prozess hin. Es kommt sogar vor, dass Minderjährige hingerichtet werden. Dort wird die Todesstrafe nicht nur für schwerste Verbrechen verhängt, sondern häufig genug auch dazu genutzt, Oppositionelle zu verfolgen und schließlich umzubringen. Mich persönlich erschüttert – das wurde schon angesprochen –, wie viele Länder bis heute noch immer Exekutionen zum öffentlichen Spektakel und den Verurteilten damit zum Objekt von Gaffern machen, die sich am Leid eines wehrlosen Menschen ergötzen. Gleichviel welch ein Verbrechen ein Mensch begangen haben mag, öffentliche Enthauptungen auf den Marktplätzen Saudi-Arabiens, an Kränen aufgeknüpfte Verurteilte im Iran und in gefüllten Fußballstadien erschossene Delinquenten in China, das sind Bilder staatlicher Verrohung. Uns muss schmerzlich bewusst werden, welche Gräben sich zwischen unserer Auffassung von Menschenrechten und der in Saudi-Arabien, im Iran oder in China auftun. Wenn wir diese Länder heute kritisieren, dann ist das kein Zeichen westlicher Arroganz oder Überheblichkeit, sondern Ausdruck unserer unerschütterlichen Überzeugung. Wir sind der Überzeugung, dass Menschenrechte unveräußerlich sind. Sie gelten für jeden Menschen und stehen nicht zur Disposition der Politik. (Beifall im ganzen Hause) Dabei vergessen wir natürlich nicht, unsere Freunde, mit denen wir viele Grundwerte teilen, daran zu erinnern, welche Konsequenzen unserer Auffassung nach aus diesen Grundsätzen zu ziehen sind. Es ist deshalb richtig, dass wir alle auch darauf hingewiesen haben, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Position zur Todesstrafe überdenken müssen. Ich weiß, dass eine weltweite Abschaffung der Todesstrafe nur in kleinen Schritten erfolgen kann. Oft genug geht die Verhängung der Todesstrafe Hand in Hand mit der Verletzung von zahlreichen anderen Menschenrechten. Deswegen sollten wir, finde ich, hier deutlich sagen: Eine diskriminierende Anwendung der Todesstrafe gegenüber Minderheiten ist verwerflich und nicht hinnehmbar. Die Verhängung der Todesstrafe gegen zur Tatzeit Minderjährige ist ein schreiendes Unrecht, und die Hinrichtung von Schwangeren ist schlicht und einfach ein Verbrechen. Ein fairer Prozess sowie ein rechtskräftiges Urteil sind das Mindeste, was jemandem gewährt werden muss, dem die Todesstrafe droht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur die Blätter fallen von selbst im Herbst vom Baum. Beim Thema „Todesstrafe“ müssen wir hingegen dranbleiben und aktiv werden. Mittermaiers Argumente gegen die Todesstrafe sind inzwischen Bestandteil der Verfassungsdogmatik unseres Grundgesetzes und wurden mit dem Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen noch weiter vertieft. Kämpfen wir weiter dafür, dass die Todesstrafe verschwindet! Der Herbst kann für sie eigentlich nicht früh genug kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/2738 mit dem Titel „Europa – Vorreiter im Kampf gegen die Todesstrafe“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. (Beifall im ganzen Hause) Tagesordnungspunkt 24b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die LINKE auf Drucksache 18/2740 mit dem Titel „Todesstrafe weltweit ächten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Vereinbarte Debatte Weltmädchentag – Bildung und Gesundheit von Mädchen als Voraussetzung für Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Claudia Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Menschenrechte sind Frauenrechte!“, „Frauenrechte sind Menschenrechte!“: eine Selbstverständlichkeit? Mitnichten! Zur Geschichte der Menschenrechte gehört die Geschichte der Ausgrenzung von ihnen. Ihre Versprechungen galten die längste Zeit nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Frauen und Mädchen gehörten meistens nicht dazu. Dabei reden wir nicht von grauer Vorzeit. Erst 1993 konnten die Frauenrechte als universelle Menschenrechte in den Abschlussdokumenten der UNO-Menschenrechtskonferenz in Kairo – immerhin auf dem Papier – verankert werden. Als ich dann 1995 hochmotiviert als Mitglied der deutschen Delegation an der 4. UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking teilnehmen konnte, war ich von dem Glauben beseelt: Jetzt haben wir Frauen es bald geschafft. Mitnichten! Die letzten Jahre und die aktuellen schrecklichen Erfahrungen zeigen uns, dass es nicht immer nur zum Guten vorangeht, sondern sich Entwicklungen in fürchterlicher Weise auch umkehren können. Die Berichte von Frauenrechtlerinnen aus dem Nordirak, die wir vor kurzem in der Gruppe der Frauen unserer Fraktion zu Gast hatten, hörten sich an wie Berichte aus einen Horrorfilm: Frauen und Mädchen als Freiwild, systematisch vergewaltigt, als Sklavinnen verkauft und von den eigenen Familien als angeblich Entehrte verstoßen. Wir debattieren heute aus Anlass des morgigen dritten internationalen Weltmädchentages. Dieser weltweite Aktionstag, für den sich unser Haus 2011 interfraktionell eingesetzt hat, ist 2014 wichtiger denn je; denn über die Jahre haben wir lernen müssen: Mädchen werden nach wie vor vielfältig benachteiligt, diskriminiert, sind Gewalt oft schutzlos ausgeliefert. Der aktuelle Bericht der Weltbank zeigt dies in erschreckenden Zahlen. Die Unterdrückung von Mädchen, ihre Ungleichbehandlung und Entrechtung beginnt dabei nicht erst im Kindesalter, nicht erst mit der Geburt, sondern oft genug schon im Mutterleib. Ultraschall macht es möglich, unerwünschten weiblichen Nachwuchs schon während der Schwangerschaft zu töten. Wo kein Ultraschall verfügbar ist, werden unerwünschte Mädchen bis heute noch in manchen Fällen kurz nach der Geburt einfach getötet. Ich war in Dörfern in Indien, wo das Ersticken eines Säuglings mit einer Handvoll Reis nach wie vor gesellschaftlich akzeptiert war. Mütter, die sich weigerten, dabei mitzumachen, bekamen den ganzen Druck ihres -sozialen Umfeldes zu spüren. Dabei waren es oft ökonomische Gründe: Mädchen waren einfach zu teuer; denn die Mitgift treibt die Familie in den Ruin und ihre Arbeitskraft geht nach der Hochzeit zudem an die Schwiegerfamilie verloren. Eine niederschwellige Geburtenregistrierung, wie sie es leider in vielen Ländern immer noch nicht gibt, würde schon helfen, um die Neugeborenen besser zu schützen und später auch ihre Rechte zu schützen. Bis 2015 sollten eigentlich die acht Millenniumsziele der Vereinten Nationen, die sogenannten MDGs, erreicht sein. Hierzu gehören auch Dinge wie Gleichstellung von Mädchen und Jungen, Grundschulbildung für alle, Senkung der Kindersterblichkeit und die Verbesserung der Gesundheit von Müttern. Aber – wir wissen es alle – in vielen Ländern sind wir von diesen Zielen nach wie vor weit entfernt. Wenn wir jetzt zudem in den Irak, nach Syrien oder nach Nigeria blicken, dann wissen wir: Wir sind erst recht zum Handeln gezwungen. Zwar wurde schon 1995 in Peking gefordert, dass Mädchen weltweit einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung erhalten, aber davon sind wir ebenso weiterhin weit entfernt. Nichts ist daher enttarnender als der Name „Boko -Haram“, der übersetzt etwa bedeutet: Westliche Bildung ist gottlos. Heute Vormittag – wir haben es wahrscheinlich alle mitbekommen – wurde bekannt, dass das pakistanische Mädchen Malala den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält. (Beifall im ganzen Hause) Herzlichen Glückwunsch auch von dieser Stelle! Ich freue mich und wir freuen uns offensichtlich alle über diese Entscheidung. Sie ist nicht nur eine wichtige Symbolfigur, sondern man kann fast sagen: Sie ist Märtyrerin für Bildung geworden. Schon gestern hatte ich mir ein Zitat von ihr vor der UN-Jugendgeneralversammlung aufgeschrieben, das ich jetzt erst recht, nach der Preisverleihung, hier vortragen möchte. Sie sagt: Bildung ist weder islamisch noch westlich, Bildung ist menschlich. Sie fährt dann fort: … für Bildung ist Frieden unerlässlich. In vielen Teilen der Welt, vor allem in Pakistan und Afghanistan, halten Terrorismus, Kriege und Konflikte Kinder davon ab, zur Schule zu gehen. Wir alle sind diese Kriege leid. … Lasst uns zu unseren Büchern und Stiften greifen. Das sind unsere mächtigsten Waffen. Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern. Bildung ist die einzige Lösung. Bildung geht vor. Besser kann man es wohl kaum formulieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen aus Erfahrung: Mädchen Bildung zu ermöglichen, sie über ihren eigenen Wert und ihre Rechte aufzuklären, ihnen praktisches Wissen für ein selbstbestimmtes Leben zu vermitteln, verändert ganze Gesellschaften. Frauen mit Schulbildung heiraten in der Regel später, bekommen weniger Kinder und sind dann besser in der Lage, für diese zu sorgen. Jedes zusätzliche Schuljahr für ein Mädchen erhöht später bei der jungen Frau das potenzielle Einkommen um 10 bis 20 Prozent. Das sind wichtige Schritte, um den Kreislauf der Armut nachhaltig zu durchbrechen. Lassen Sie uns also alles tun, damit Mädchen ihr Recht auf Bildung verwirklichen können. Damit setzen wir den Hebel an der richtigen Stelle an. Dabei geht es um formale Schulbildung ebenso wie um sexuelle Aufklärung und Gesundheitsversorgung. Unser Augenmerk muss dabei verstärkt auf die Gruppen unter den Mädchen gerichtet sein, die noch einmal in besonderer Weise gefährdet und benachteiligt sind – man braucht es nicht zu erklären –: Flüchtlingsmädchen – sie erleiden nicht nur vielfach besondere Gewalt, sondern müssen auch enorme Anpassungsleistungen vollbringen –, arbeitende Mädchen – sie brauchen Unterstützung, damit ihre Lage überhaupt gesellschaftlich sichtbar wird –, traumatisierte Mädchen, Mädchenwaisen – sie sind ganz allein auf der Welt –, Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel. Die Stellung der Mädchen reflektiert dabei eins zu eins die Stellung der Frauen in der Gesellschaft. Darum trete ich dafür ein, dass wir in der Post-2015-Entwicklungsagenda die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen sowie die Wahrung von Frauen- und Mädchenrechten als eigenständige Ziele aufnehmen. (Beifall im ganzen Hause) Das muss vor allen Dingen folgende Aspekte beinhalten: Beendigung der Diskriminierung von Mädchen, Beseitigung von gewaltsamen Praktiken, vor allen Dingen bei Früh- und Zwangsverheiratung, Beendigung der weiblichen Beschneidung, gleichberechtigte gesellschaftliche und politische Teilhabe von Mädchen und Frauen, und das heißt in der Regel: vollständige ökonomische Unabhängigkeit durch gute eigene Arbeitsmöglichkeiten. Der morgige Weltmädchentag erinnert an unsere Verantwortung, zu handeln. Als Parlamentarier müssen wir uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, eine gleichberechtigte Entwicklung von Mädchen überall auf der Welt zu ermöglichen. Wir müssen darauf achten, dass wir bei allen Maßnahmen, die wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit vornehmen, die Interessen von Mädchen und Frauen im Blick behalten. Wir müssen darauf achten, dass sie vor Ort bei allen Entscheidungen mit einbezogen werden und dass unsere Fachkräfte nicht nur mit den Männern vor Ort verhandeln. Es geht um Empowerment. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass bald der Tag kommt, an dem der Satz „Frauenrechte sind Menschenrechte“ nicht nur auf dem Papier gilt. Noch ist es bis dahin ein weiter Weg. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Annette Groth, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlässlich des internationalen Mädchentages beklagen wir einmal die weltweite Benachteiligung, Diskriminierung und Gefährdung von Mädchen in vielen Ländern der Welt. Ein Mädchen zu gebären, gilt bei vielen immer noch als Enttäuschung. Mädchen werden zwangsverheiratet, sexuell weit häufiger missbraucht als Jungen und auch noch bestraft, wenn sie infolge des Missbrauchs schwanger werden. Weltweit sind etwa 150 Millionen Frauen Opfer von Genitalverstümmelung. 2 Millionen Mädchen sind jedes Jahr davon bedroht. Das ist eigentlich unglaublich, und ich finde, wir alle sind aufgerufen, aktiv gegen diese brutale Art der Körperverletzung zu kämpfen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ein zunehmendes Problem – meine Vorrednerin hat es schon angesprochen – ist das Kidnapping von Mädchen und Frauen, um sie zwecks Zwangsheirat nach China zu bringen. Wir hatten heute ein Gespräch mit Leuten aus Kambodscha, die uns genau das erzählten. Kidnapping von Frauen gibt es nicht nur in Kambodscha; das gibt es auch in Myanmar, in Laos und in anderen Teilen der Welt. In China fehlen Millionen von Frauen, weil – Sie haben es schon gesagt – viele Mädchen abgetrieben wurden. Jetzt besteht dort ein großes Problem, nämlich Frauenmangel, und man holt sich Frauen gewaltsam aus anderen Ländern. Es ist eigentlich ein Non-Thema. Darum sollten wir uns viel stärker kümmern. Weltweit besuchen 31 Millionen Mädchen im Grundschulalter keine Schule, 5 Millionen mehr als Jungen. 31 Millionen Mädchen, die im Grundschulalter sind, gehen nicht zur Schule! Zwei Drittel aller Analphabeten weltweit sind weiblich. Das ist kein Zufall, sondern ein strukturelles Problem. Über die Hälfte der Weltbevölkerung sind Mädchen und Frauen. Weltweit erbringen sie – oder wir – zwischen 60 und 70 Prozent der Arbeitsleistungen. Bezahlt wird davon aber nur ein Drittel. Es ist ein Skandal, dass Frauen nur einen Bruchteil des Welteinkommens erhalten und nur etwa 1 Prozent des weltweiten Eigentums besitzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei werden allein in Afrika circa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugnisse nur von Mädchen und Frauen produziert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen und Mädchen geht es – das wurde schon gesagt – am schlimmsten in Kriegen und bei anderen Katastrophen. In solchen Ausnahmesituationen wird deutlich, wie verletzlich Mädchen sind. Sie kommen bei Naturkatastrophen nicht nur vierzehnmal häufiger um als Jungen, sondern sie werden in deren Folge auch viel öfter Opfer von Gewalt und Zwang. Jedes Jahr werden weltweit 1,7 Millionen Mädchen unter 15 Jahren verheiratet; bei Mädchen unter 18 Jahren sind es immerhin noch 10 Millionen. Das ist eigentlich ungeheuerlich. Ich bin am Dienstag von einer Reise an die syrisch-türkische Grenze bei Kobane zurückgekommen. Dort habe ich Flüchtlingslager besucht und war tief beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der lokalen Bevölkerung. Sie versorgen die Flüchtlinge praktisch allein, ohne internationale Hilfe, die aber angesichts des nahenden Winters dringend erforderlich ist. In einem Lager, das ich besucht habe, waren von den circa 2 100 Flüchtlingen 85 Prozent Frauen und Kinder. „Es ist ein Krieg gegen Frauen“, sagten mir türkische und kurdische Feministinnen, die wie ich eine Solidaritätsreise in diese Region machten. Viele der Frauen sind schwer traumatisiert und waren auf ihrer Flucht teilweise massiver Gewalt ausgesetzt. Die IS-Terroristen benutzen Frauen als Druckmittel, verkaufen sie, vergewaltigen sie und zwingen sie in Ehen. Ganze Menschenhändlerringe haben sich auf den Handel mit syrischen Mädchen „spezialisiert“. Fast die Hälfte der Opfer ist noch minderjährig. Das Geschäft mit den Mädchen, die für etwa 600 Euro verkauft werden, boomt, so zum Beispiel in Ägypten, weil sich viele Ägypter eine Heirat mit Ägypterinnen aus finanziellen Gründen nicht leisten können. In vielen Fällen sind die Käufer dieser syrischen Mädchen Scheichs aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten, aber auch Männer aus Frankreich und sogar aus Deutschland, wie ich in der Türkei erfahren musste. Das ist doch finsterstes Mittelalter und muss wirklich von uns allen bekämpft werden. (Beifall im ganzen Hause) Meine Vorrednerin hat es gesagt: Statt immer mehr Gelder in Rüstung zu stecken, in unproduktive Waffen, die töten, (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie aber nicht gesagt!) sollten wir viel mehr Geld in Bildung stecken und insbesondere ins Gesundheits- und Bildungssystem. Das bietet Mädchen die einzige Möglichkeit, etwas für sich zu tun. Das sollten Sie bitte auch in den anstehenden Haushaltsberatungen beherzigen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist Michaela Engelmeier, der ich auch ganz herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren darf. (Beifall) Michaela Engelmeier (SPD): Danke schön. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vorab möchte ich natürlich ein besonderes Mädchen würdigen. Ich bin tief berührt, dass Malala den Friedensnobelpreis erhalten hat. Ich finde, Malala steht wie keine andere als Symbol – Sie haben es schon angedeutet, Frau Lücking-Michel – dafür, dass sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat, um ihr Recht auf Bildung einzufordern. (Beifall im ganzen Hause) Heute möchte ich über die gesellschaftliche Gruppe sprechen, die von extremer sozialer und ökonomischer Ungleichheit und Ungerechtigkeit betroffen ist: die Mädchen. Wir haben diesen internationalen Weltmädchentag eingeführt, um auf die Lage von Mädchen aufmerksam zu machen, denn sie sind immer noch besonders häufig Opfer von Gewalt, Ausbeutung, Ausgrenzung und Benachteiligungen, und das weltweit. „Because I am a Girl“, „Die Welt wird Pink“, damit begehen wir morgen den internationalen Weltmädchentag. Mit dem Zeichen Pink soll ein Zeichen gesetzt werden. Das kräftige Pink der „Because I am a Girl“-Kampagne hat eine starke Signalkraft. Sie vermittelt Lebensfreude und Mut zur Offensive, genau das, was Mädchen motivieren kann, selbst für ihre Rechte zu kämpfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch wir hier im Deutschen Bundestag wollen uns einsetzen, die Rechte von Mädchen Wirklichkeit werden zu lassen. Wir wollen mit parlamentarischen Initiativen dafür sorgen, dass Mädchen mehr Gleichberechtigung erfahren, dass 4 Millionen Mädchen mindestens neun Jahre zur Schule gehen oder eine vergleichbare Bildung erhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Probleme, die wir lösen müssen, gibt es genug. Laut UNICEF werden mehr als 60 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr gegen ihren Willen verheiratet. In Bangladesch werden 66 Prozent aller Mädchen Opfer von Zwangs- oder Frühverheiratung. Sie werden nicht nur ihrer Kindheit beraubt, sondern auch ihrer Chancen auf Bildung und Beruf. Mädchen aus den ärmsten 20 Prozent der Haushalte haben ein dreifach höheres Risiko, als Kind verheiratet zu werden. Schwangerschaften und Geburten sind die Haupttodesursache von Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren. Es besteht angesichts dieser Zahlen dringender Handlungsbedarf, auch zur Unterstützung politischer Reformen. Auf ein Problem möchte ich besonders aufmerksam machen. Viele Mädchen werden nach ihrer Geburt nicht offiziell registriert; aber nur wer registriert ist, hat Mitbestimmungsrechte und Zugang zu Bildung. Ohne Eintrag in ein Geburtenregister erhält man keinen Pass, hat man keine Bürger- und Wahlrechte, kann man keinen Besitz erwerben oder erben und wird man häufiger -Opfer von Menschenhandel. Für nicht registrierte Kinder ist zudem der Zugang zu staatlicher Bildung schwierig bis unmöglich. Ich werbe dafür, möglichst niederschwellige Registrierungsangebote zu schaffen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei der Impfdokumentation die Papiere gleich um die Registrierung zu erweitern oder etwa mittels einer Registrierung via Handy zu agieren, die zum Beispiel in Afrika weit verbreitet sind, das wären Möglichkeiten. Ich werbe hier dafür, unsere Kraft und Energie gemeinsam dafür einzusetzen, die besondere Situation von Mädchen nicht nur zu beachten, sondern alles dafür zu tun, um sie zu verbessern. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie unbefriedigend die Situation in Sachen Bildung ist, verdeutlicht „Plan International Deutschland“. Ich lege Ihnen den Mädchenbericht von „Plan“ besonders ans Herz. Laut „Plan International Deutschland“ gehen weltweit rund 75 Millionen Mädchen nicht zur Schule. Etwa ein Drittel aller Mädchen ist von der Sekundarbildung, also der Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen, völlig ausgeschlossen. Wenn wir sicherstellen, dass Mädchen von Geburt an die gleichen Chancen wie Jungen erhalten, dann helfen wir ihnen und ihren Familien dabei, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen, und geben ihnen die Chance, selbstbewusste Frauen, Mütter, Berufstätige und Leitfiguren zu werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ein zusätzliches Jahr weiterführender Schulbildung kann das spätere Einkommen eines Mädchens um durchschnittlich 15 bis 25 Prozent erhöhen. Mit der Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften zu können, wird sie sich und ihre Kinder aus der Armut befreien können. Sie wird das, was sie verdient hat, in ihre Kinder investieren, in deren Gesundheit, Bildung und Zukunft. Ein gebildetes Mädchen wird mit größerer Wahrscheinlichkeit später heiraten als eines ohne Bildung, weniger und gesündere Kinder zur Welt bringen. Mit jedem zusätzlichen Jahr Schulbildung einer jungen Mutter sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder sterben, um 5 bis 10 Prozent. In Nigeria gehen 10,5 Millionen Kinder im schulpflichtigen Alter nicht zur Schule. Zwei Drittel davon sind Mädchen. Wir erinnern uns – tun wir das noch? – an die entführten Schülerinnen, die zu einem Symbol im Kampf gegen Boko Haram geworden sind. 211 Mädchen sind verschwunden. Die entführten Mädchen sind ein Symbol des Terrors und für das ausgesprochene Schulverbot. Ihre Entführung und ihr ungewisses Schicksal soll eine Drohung an alle Eltern und Mädchen sein, den Schulbesuch für Mädchen zu vergessen. Momentan ist die Befreiung der Mädchen völlig aus den Augen des öffentlichen Interesses und der Medien geraten. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass das Interesse an der Freiheit der Mädchen nicht stirbt. (Beifall im ganzen Hause) Mein Appell für den Weltmädchentag lautet: Machen wir nicht nur darauf aufmerksam, vor welcher Herausforderung Mädchen vor allem in Entwicklungsländern stehen, sondern handeln wir. Von Gesetzesänderungen und einem Politikwandel werden 400 Millionen Mädchen und Jungen profitieren. Nutzen wir das kommende Jahr, wenn die Staatengemeinschaft neue Ziele im Rahmen der Post-2015-Agenda verhandelt. Was dort entschieden wird, wird die Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten 15 Jahren beeinflussen. Was in diesen Zielen nicht verankert wird, das wird vergessen bleiben. Dafür muss nicht nur Gleichberechtigung ein eigenes Ziel in der Agenda sein, sondern es müssen auch die Rechte von Mädchen und jungen Frauen in alle anderen Ziele der neuen UN-Entwicklungsagenda einfließen, wenn wir sie erreichen wollen. Nur dann ist eine nachhaltige Veränderung machbar. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Frau Präsidentin, wenn Sie erlauben, möchte ich Ihnen gerne den Mädchenbericht und den Sticker „Because I am a Girl“ überreichen. Bitte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Eigentlich ist es umgekehrt. Das Geburtstagskind bekommt etwas geschenkt, aber ich nehme das auch gerne an. Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist dies heute ein schönes Thema. Wir zele-brieren heute einen Tag, den es vor drei Jahren noch nicht gegeben hat. Es war eine Initiative der Kanadier, diesen Mädchentag einzuführen. Wir haben uns im AwZ, im Ausschuss für Entwicklungspolitik, intensiv damit auseinandergesetzt und uns zunächst einmal die Frage gestellt: Noch ein Tag, der gefeiert werden muss und an dem gedacht werden soll? Wir sind aber ganz schnell zu der Überzeugung gekommen, dass es durchaus ein sinnvoller Tag ist; denn wir Entwicklungspolitiker wissen natürlich, dass die Frau letztendlich die Trägerin der Entwicklung in vielen Ländern dieses Globusses ist. Wir wissen natürlich auch: Wenn die Frau die Trägerin der Entwicklung ist, müssen wir dazu beitragen, dass die Frau nicht nur Bildung hat. Es wird immer wieder von Bildung gesprochen. Das ist richtig. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Bildung unbedingt dafür sorgen muss, dass das Selbstbestimmungsrecht, das Selbstbewusstsein, die Persönlichkeitsbildung dominieren müssen. Eine Frau, die nur lesen und schreiben lernt, muss nicht unbedingt eine Führungspersönlichkeit sein. Sie muss auch nicht unbedingt Selbstbewusstsein haben. Wir müssen das Selbstbewusstsein der Frauen fördern. Wir haben ein schönes Beispiel – das ist heute schon mehrfach genannt worden –: Malala. Die damals Elfjährige hat die Initiative ergriffen und einen Internetblog gestaltet, in dem sie für das Bildungsrecht für Mädchen eingetreten ist. Sie hat das unter einem Pseudonym gemacht; denn sie wusste sehr wohl, wie gefährlich es in Pakistan sein kann, mit dem richtigen Namen öffentlich zu werden. Irgendwann schafften es die Taliban, herauszufinden, wer hinter diesem Pseudonym steckte. Am 9. Oktober 2012 kam es zum Mordanschlag auf Malala. Zwei Schüsse wurden abgefeuert. Einer traf sie am Kopf, einer am Hals. Sie schwebte sehr lange in Lebensgefahr. Gott sei Dank wurde sie gerettet. Eine Devise, die Malala schon immer hatte, hieß – das Zitat wurde schon genannt –: Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Buch, ein Stift können die Welt verändern. Das ist genau der Grund, warum die Taliban sagten: Diese Frau, dieses Mädchen ist eine Gefahr für uns. Die Taliban wollen alles, nur keine Veränderung. Deswegen haben sie auch auf Malala geschossen. Der Antrag zur Einführung des Mädchentages wurde von allen Fraktionen mitgetragen. Unsere Aufgabe wird allerdings sein, diesen Antrag auch mit Leben zu füllen. Es gibt schon Erfolge. Wir diskutieren im Deutschen Parlament über den Mädchentag. Ich bitte Sie, dazu beizutragen, dass die Thematik, die hinter dem Mädchentag steht, auf keinen Fall vergessen wird und dass wir durch viele unserer Entscheidungen die Gendergerechtigkeit immer in den Mittelpunkt stellen. Es gibt inzwischen viele positive Entwicklungen. Wenn wir uns einmal die MDGs anschauen, die im Jahr 2000 verabschiedet wurden: Dort wurden zum ersten Mal Forderungen zur Stärkung von Mädchen und Frauen positiv formuliert. Sie haben Wirkung gezeigt. Allerdings sind wir mit dem Ergebnis absolut nicht zufrieden. Gerade im Bereich der Bildung müssen wir sagen, dass in vielen Ländern 80, 90, manchmal 96 Prozent der Kinder eingeschult werden. Wie viele dieser Kinder bis zum sechsten Jahr in der Schule sind, wird nirgendwo erfasst. Es wird auch nirgendwo erfasst, welche Qualität diese Schulbildung hat. Also: Hier muss noch sehr viel mehr geschehen. Es sollte im Rahmen der Entwicklungspolitik mehr Hilfestellung geleistet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen uns aber auch die globale Entwicklung stets vor Augen halten. Fragile Staaten sind eine Bedrohung für gesamte Gesellschaften. Aber, wie so oft, gibt es in den Gesellschaften eine Bevölkerungsgruppe, die stärker und empfindlicher von der jeweiligen Situation betroffen ist als andere: Mädchen und Frauen. Denken Sie nur an die Situation in den Flüchtlingslagern. Ich habe die Ortschaft Dadaab in Kenia besucht. Die Frage, wie Frauen in den UN-geführten Lagern geschützt werden können, ist dort ein riesiges logistisches Problem, das bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst worden ist. Das Thema Menschenhandel wurde angesprochen, das ist bis zu 95 Prozent Frauen- und Mädchenhandel. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die Mädchen schlechtergestellt sind als die Jungen. Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Die MDGs laufen 2015 ab, die SDGs folgen. Wir haben mit „Plan Deutschland“ darüber gesprochen, ob sie zufrieden sind mit der Ausformulierung der Ziele der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf Mädchenförderung und die Gleichstellung der Frau. Es wurde klipp und klar gesagt: Nein, das, was bisher in den SDGs formuliert worden ist, bleibt hinter den MDGs zurück. – Das darf aber nicht sein. Es wird also unsere Aufgabe im nächsten Jahr sein, die Diskussion über die SDGs fortzuführen und sie mit Leben zu füllen. Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Martin Patzelt, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte zunächst meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass diese Debatte geführt wird. Sie ist richtig und wichtig, und meine Vorredner haben bereits ausgeführt, warum das so ist. Uns obliegt die Aufgabe – auch wenn wir an diesem Freitagnachmittag in relativ kleiner Zahl versammelt sind –, die Aufmerksamkeit, zumindest in unserem Land, auf die Problematik zu richten, die vielfach mit Fakten, Zahlen und Daten beschrieben wurde. Es kann einen grausen. An die vorhergehende Debatte über die Todesstrafe schließt sich nun die Debatte über den Weltmädchentag an. Ich gebe Ihnen recht, Herr Kekeritz: Es ist ein Anlass zur Freude, dass es Mädchen gibt. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Dass es den Tag gibt!) Ich bin sehr dankbar, dass ich als Mann hier reden darf. Ich tue das aus ganzem Herzen, weil wir alle unser Leben einer Frau verdanken (Annette Groth [DIE LINKE]: Das ist wahr!) und weil ich glaube, dass die Frauen eine gewisse Verantwortung dafür tragen, wie Männer werden. Die primäre Sozialisation, die wir alle erfahren, wird von unseren Müttern geleistet. Wenn man das Übel an der Wurzel packen will – meine Vorredner haben richtige und empfehlenswerte Vorschläge gemacht, die ich aufgreifen will –, dann muss man meiner Meinung nach den Fokus auf die Rolle der Mutter richten; denn Frauen leisten Sozialisationshilfe für ihre Kinder. Das Thema Bildung ist diskutiert worden. Herr Kekeritz, ich denke, das ist doch etwas vielschichtiger; denn wer lesen und schreiben kann, der hat auch die Möglichkeit, sich zu informieren und über Medien und Literatur andere Bilder von Welt, von Gesellschaft und von Selbstverständnis zu entwickeln. Das ist die Voraussetzung dafür, dass eine Frau, die ein Kind zur Welt bringt und in seinen ersten Lebensjahren begleitet, für sich selbst ein Gefühl der Würde und des Wertes entwickelt. Ich will all die Zahlen und Fakten, die genannt worden sind, nicht wiederholen. Der Report von „Plan International“ ist wirklich eine sehr umfängliche und hilfreiche Analyse dessen, was sich im Moment in der Welt abspielt. Ich kann dem Verein „Plan International“ nur danken, dass er damals die Initiative ergriffen hat. „Plan Canada“ hat dafür gesorgt, dass die UN diesen Aktionstag initiiert haben. Wir als Deutsche haben uns ein paar Jahre später diesem Mahntag angeschlossen. Mit dem Report hat der Verein „Plan International“ den Ball wieder aufgenommen. Er bleibt kontinuierlich dran, und dafür wollen wir danken. Das macht einmal mehr das Zusammenspiel von zivilen Trägern und von Initiativen aus der Gesellschaft heraus deutlich, die solche Themen im Zusammenwirken mit der Politik immer wieder ins Bewusstsein rücken. So können wir einen größtmöglichen Effekt erzielen. Da hier schon vieles gesagt wurde, was ich nicht wiederholen möchte, will ich den Blick auf die gegenwärtige Situation richten: Jeder Mann, der mordet, der tötet, der ein schlechtes Bild von Frauen hat, der sich Massenbewegungen anschließt und sich unkontrolliert verhält, ist – das habe ich schon gesagt – irgendwann einmal erzogen worden. Wir haben in den letzten Tagen von Minister Müller gehört, was er durch Augenzeugen erfahren hat; er war sichtlich berührt davon. Eine Frau hat ihm berichtet, wie ein ganzes Dorf von der IS-Truppe behandelt wurde: 500 Männer mussten beiseitetreten und wurden vor den Augen der Kinder, ihrer Kinder, erschossen. Die Frauen mit Kindern wurden ausgesondert. Alle jungen Frauen, alle Mädchen wurden an die Soldaten vergeben, jeweils zwei oder drei, und die übrig gebliebenen wurden in vergitterten Autos davongefahren, zum Verkauf auf dem Sklavenmarkt weitergeschickt. – Das alles passiert gegenwärtig, heute und jetzt. Deswegen ist auch die Frage nach den Waffen nicht so einfach zu beantworten, Frau Groth. Wir haben alle die Pflicht, das nach unserem Selbstverständnis und vor dem Hintergrund unseres Grundgesetzes Mögliche zu tun, um solchen entarteten, archaischen, furchtbaren Geschehnissen entgegenzutreten, notfalls auch mit Gewalt, mit international abgestimmter Gewalt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Blick nach innen, in unser Land, ist wichtig. Die Medienberichte aus den Flüchtlingslagern zeigen, dass dort auch kleine Mädchen leben, dass Kinder und Frauen in Massenlagern unter Männern leben. Personen, die sich fremd waren, müssen vielleicht jahrelang zusammen weiterleben. Wir haben auch die Aufgabe, in unserem Land, in unserer unmittelbaren Nähe zu schauen, wo es Mädchen und Frauen gibt, die unter menschenunwürdigen Zuständen leben; denn auch sie stehen unter dem Schutz unseres Grundgesetzes. Wir haben alle Anstrengungen darauf zu richten, dass die Rechte und die Würde von Frauen und Mädchen auch in unserer unmittelbaren Nähe gewahrt bleiben. Alle Appelle, die wir in die weite Welt hinaussenden, was wir richtigerweise tun, verpuffen und verlieren ihre Wirkung, wenn wir nicht ganz deutlich und für alle nachvollziehbar sagen: Dort, wo wir Verantwortung übernommen haben, handeln wir unter Achtung der Menschenwürde. In diesem Zusammenhang möchte ich an meinen Appell erinnern, darüber nachzudenken, Frauen und Kinder – vornehmlich – in privaten Verhältnissen unterzubringen, um sie so schnell wie möglich aus den Massenunterkünften zu befreien. Das ist nur eine Anregung. Das kann aber nur, wer dazu in der Lage ist. Das ist aber ein Baustein in der Palette möglicher Initiativen. Ich bin froh, dass es jetzt, wo sich die Nachrichten über die Situation in den Flüchtlingslagern verdichten, in Deutschland in vielen Städten und Gemeinden bürgerliche und kirchliche Initiativen und Hilfen für die Flüchtlinge gibt, die hoffentlich nur vorübergehend, aber vielleicht auch dauerhaft bei uns bleiben. Die Hilfe für bedrängte Mädchen und Frauen in der Welt ist ein ethisches Gebot. Das ist auch etwas, was wir für uns tun; denn die furchtbaren Geschehnisse, die wir alle jetzt zur Kenntnis nehmen müssen, beängstigen uns zunehmend, die einen mehr, die anderen weniger. Grund für all diese Geschehnisse ist, dass es in den Entscheidungsetagen Männer gibt und auch Frauen, die mit Gewalt Konflikte lösen wollen, die mit alten, archaischen Weltbildern agieren, die den Krieg und die Gewalt als Lösungsmuster bei Konflikten und Ungleichheiten betrachten. Ich kann nur immer wieder nachdrücklich und aus tiefster Überzeugung dafür werben, Folgendes zu bedenken: Die Entwicklungshilfe, die wir leisten, alle Gelder, die wir für Bildungsinitiativen in Ländern ausgeben, in denen es kein funktionierendes Bildungssystem gibt, dienen dazu, den Frieden auf der Welt zu mehren und die Situation von Frauen und Kindern zu verbessern. Wir müssen mit unseren NGOs Gespräche darüber führen, in welcher Weise sie in den Ländern Unterstützung leisten, an welche Bedingungen sie ihre Unterstützung knüpfen und – auch das wurde schon genannt – wen sie für ihre Aufgaben in Anspruch nehmen und zu Hilfe rufen. Wir alle sagen: Bildung kostet Geld. Das ist wahr. In vielen Ländern mangelt es auch deshalb an Bildung, weil die Länder das dazu notwendige Geld nicht haben. Bei den Preisen, die wir für Produkte aus Entwicklungsländern zahlen, schließt sich der Kreis. Wenn wir als einer der reichsten Teile dieser Welt so wenig für Produkte zahlen, dann kann die Armut, die letzten Endes auch Bildungsarmut bedeutet, nicht beseitigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, Sie denken an die Zeit, ja? Martin Patzelt (CDU/CSU): Ja. – Sie sehen also, hier schließt sich der große Kreis. Wir müssen Verständnis dafür schaffen, dass es nicht dabei bleiben kann, dass wir nur die eine Gruppe im Auge behalten. Ich sage Ihnen: Heute Nachmittag feiern wir unser jährliches Herbstfest. Meine sechs Enkeltöchter werde ich dort wiedersehen. Ich freue mich darauf. Ich werde dies auch vor dem Hintergrund der Diskussion, die wir hier geführt haben, erleben. Ich glaube, wir alle haben genug zu tun, um hier am Ball zu bleiben. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Schulte, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ursula Schulte (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir würdigen heute den 11. Oktober, den Tag, den die Vereinten Nationen zum Weltmädchentag ausgerufen haben. Das ist auch gut so. Denn einen solchen Tag können wir dazu nutzen, um auf die Rechte von Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen, und er gibt uns Gelegenheit, zu verdeutlichen, dass die Forderung auf ein selbstbestimmtes, chancengleiches und erfolgreiches Leben für Mädchen noch lange nicht überall erfüllt ist. Ja, wir sind in einigen Ländern sogar noch meilenweit von der rechtlichen Gleichstellung entfernt. Das müssen wir uns und der gesamten Weltöffentlichkeit immer wieder ins Gedächtnis rufen. Ich bin sicher: Wir verspielen unsere Zukunft, wenn wir in unseren Forderungen nachlassen. Mädchen müssen gefördert werden. Mädchen brauchen gleiche Chancen und gleiche Rechte, und das weltweit und in allen Bereichen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dennoch ist der Weltmädchentag vielleicht am Ende nur ein Symbol. Reiht sich der Mädchentag nur in die endlose Kette von Feier- und Gedenktagen ein? Nach dem Muttertag, dem Frauentag und dem Weltkindertag auch noch einen Weltmädchentag? Immer wenn ich über diese speziellen Frauenfeiertage rede, sehe ich verdrehte Männeraugen. Glauben Sie mir, ich kann die Gedanken dieser Männer lesen. Viele Männer fragen sich auch heute noch: Muss das denn sein? Was wollen die Frauen denn noch? Haben sie noch nicht genug erreicht? (Annette Groth [DIE LINKE]: Nein, haben wir nicht!) Ihre alles entscheidende Frage lautet: Wo bleiben eigentlich wir Männer? Vor kurzem hielt Emma Watson, die Ihnen als Schauspielerin aus den Harry-Potter-Filmen vielleicht bekannt ist, ihre erste Rede als UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte. Sie sagte zu genau diesem Problemfeld: Sowohl Männer als auch Frauen sollten sich sensibel fühlen dürfen, sowohl Männer als auch Frauen sollten sich stark fühlen dürfen. Wir wollen nicht darüber sprechen, dass Männer in geschlechtstypischen Stereotypen gefangen sind, aber ich kann sehen, dass sie es sind. Mein Ansatz ist, dass wir einen Weltmädchentag brauchen, weil Mädchen in vielen Ländern immer noch aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert werden, weil sie keinen Zugang zu Bildung haben, weil sie keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, weil sie anders als ihre Brüder keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, weil sie immer wieder Opfer sexualisierter Gewalt werden und – im schlimmsten Fall – weil sie gar nicht erst geboren werden. Weibliche Föten werden abgetrieben, und neugeborene Mädchen werden getötet. Hierzu ein kleines Beispiel. Ich kenne eine junge Neonatologin, also eine Ärztin, die sich um Frühchen kümmert. Sie hat mir erzählt, dass sie während ihrer Hospitanz in einem indischen Krankenhaus einem gesunden kleinen Mädchen auf die Welt geholfen hat. Niemand hat sich über die Geburt dieses kleinen Mädchens gefreut, selbst die eigene Mutter nicht. Es war halt nur ein Mädchen, kein Junge, kein Stammhalter. Das Mädchen war, wie gesagt, gesund. Aber am anderen Tag war es aus unerklärlichen Gründen verstorben. Hier beginnt Diskriminierung. Ich finde, das ist eine viel zu harmlose Beschreibung. Selektierung ist wohl passender. Das dürfen wir nicht länger zulassen. Dagegen müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln einschreiten. Ich weiß nur zu gut, dass sich hier kulturelle Traditionen und Menschenrechte gegenüberstehen. Ich will auch kein westliches Sendungsbewusstsein. Ich möchte nur, dass man jedem Menschen unabhängig vom Geschlecht das Recht auf ein menschenwürdiges Leben einräumt, nicht mehr, aber auf keinen Fall weniger. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was können wir nun mit Blick auf die Entwicklungsländer tun? Wir müssen den Gordischen Knoten von Armut und begrenztem Zugang zu guten Bildungs- und Arbeitsmarktchancen durchbrechen. Bildung ist und bleibt der Schlüssel zur Veränderung. Gelingt es einem Entwicklungsland, die Alphabetisierung von jungen Mädchen voranzutreiben, sinken erfahrungsgemäß Geburtenrate und Kindersterblichkeit, und das Pro-Kopf-Einkommen steigt. Die Ausbildung von Mädchen wirkt sich positiv auf die gesamte Entwicklung eines Landes aus. Die bisher jüngste Friedensnobelpreisträgerin ist heute schon oft zitiert worden, aber ich tue es noch einmal, weil das, was sie zum Thema „Bildung in den Entwicklungsländern“ gesagt hat, so einfach und klar ist. Dies sollten wir verinnerlichen. Malala hat an ihrem 16. Geburtstag gesagt: Lasst uns zu den Büchern und Stiften greifen. Das sind unsere mächtigsten Waffen. Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern. Bildung ist die einzige Lösung. Bildung geht vor. Was soll man dazu noch sagen? Das muss man einfach umsetzen. Wir sollten aber nicht nur auf die Entwicklungsländer schauen. Auch bei uns in Europa, auch bei uns in Deutschland ist die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Mädchen und jungen Frauen noch nicht überall Realität. Grundsätzlich haben Mädchen und junge Frauen in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Wir können bei ihnen einen Anstieg von guten und sehr guten Bildungsabschlüssen feststellen. Wir sehen, dass 53 Prozent der Studierenden in der Europäischen Union weiblich sind, in Deutschland sind es 49,5 Prozent. Darauf können wir stolz sein. Dennoch: Bei Schulbesuchen und vielen Gesprächen in den Schulen musste ich feststellen, dass sich die Berufswahl von Mädchen und jungen Frauen heute noch immer auf einige wenige Berufe verengt, eben auf die traditionellen Mädchenberufe, die zudem noch geringe Bezahlung und vor allem einen Mangel an Aufstiegsmöglichkeiten aufweisen. Aus diesem Grund brauchen wir eine noch gezieltere Berufsorientierung für Mädchen, die nicht auf festgefahrenen Rollenklischees aufbaut, sondern das Interesse an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik weckt. Mädchen sollten auch hier ihre Kreativität entwickeln können. Nach wie vor gibt es bei uns auch benachteiligte Mädchen. Ihnen werden der Zugang zu Bildung und der Einstieg in das Berufsleben erschwert. Das trifft in ganz besonders hohem Maße auf Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund zu. Wir dürfen davor die Augen nicht verschließen, sondern müssen Angebote machen, die diesen Mädchen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Schulte, achten Sie bitte auf die Redezeit. Das Minus auf der Anzeige weist darauf hin, dass Sie Ihre Redezeit schon über eine Minute überzogen haben. Ursula Schulte (SPD): Ich komme zum Schluss und sage nur noch, dass ich finde, dass die Männer mit ihren rollenden Augen dennoch in einem Punkt recht haben: Bei aller Förderung von jungen Frauen und Mädchen dürfen wir die Förderung der Jungen nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen deren Interesse für Familienarbeit, für Kindererziehung, für Hausarbeit wecken. Nur wenn diese Aufgaben in Zukunft partnerschaftlich verteilt werden, kann Gleichberechtigung gelingen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es Mädchen und Frauen gut geht. Denn dann geht es auch den Männern und Jungen gut. Und das ist doch das, was wir gemeinsam erreichen wollen. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das war der letzte Beitrag in der vereinbarten Debatte zum Weltmädchentag. Ich schließe die Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Anja Hajduk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fördermitteltransparenz erhöhen Drucksachen 18/980, 18/1676 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Andrea Wicklein (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser sehr bewegenden und emotionalen Debatte fällt es natürlich etwas schwer, eine Antragsberatung durchzuführen. Aber wir haben jetzt die Aufgabe, über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu diskutieren, die Fördermitteltransparenz zu erhöhen. Das ist in der Tat ein sehr wichtiges Anliegen, das wir teilen. Auch wir wollen weitgehende Transparenz bei der Vergabe von Fördermitteln. (Zuruf der CDU/CSU: Haben wir doch!) Es ist richtig und notwendig, die Bürgerinnen und Bürger, die gesamte Öffentlichkeit darüber zu informieren, was mit den Steuergeldern in Milliardenhöhe passiert. Aber trotzdem kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, jetzt schon sagen, dass wir Ihren Antrag leider ablehnen müssen. Ich werde Ihnen auch die Gründe, die dazu führen, im Einzelnen erläutern. In Ihrem Antrag bleiben wichtige Fragen und Fakten unerwähnt. Sie erwecken den Eindruck – das verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht –, dass es noch keine Transparenz darüber gibt, wer, was und in welchem Umfang durch den Bund gefördert wird. Ich finde, mit dem Förderportal des Bundes sind wir auf einem sehr guten Weg. Jede Bürgerin, jeder Bürger, jedes Unternehmen und auch Ihre Fraktion hat die Möglichkeit, sich im Internet bei www.foerderportal.bund.de über die Fördermaßnahmen von fünf Bundesministerien umfassend zu informieren. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Maßnahmen, nicht die Verteilung!) In einer öffentlichen Datenbank sind dort mehr als 110 000 abgeschlossene und laufende Fördervorhaben abrufbar. Sie können dort täglich recherchieren und erhalten bereits heute Informationen über Namen und Ort des Zuwendungsempfängers sowie über Fördersumme, Laufzeit, Thema, Projektträger und darüber hinaus sogar noch viele andere Informationen mehr. Ich jedenfalls schaue regelmäßig auf diese Seite und informiere mich über die Förderprojekte in meinem Wahlkreis. Auch Sie sollten das bei Gelegenheit vielleicht einmal tun. Wir haben darüber hinaus die Förderdatenbank, die dort integriert ist und die einen vollständigen und aktuellen Überblick über die Förderprogramme des Bundes, der Länder und auch der Europäischen Union gibt. Diese Förderdatenbank ist sehr benutzerfreundlich. Sie umfasst eine Förderberatung als Erstanlaufstelle für alle Fragen rund um die Forschungs- und Innovationsförderung als auch das Onlineantragssystem mit den Antragsformularen. Auch die Förderrichtlinien sind dort veröffentlicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, all das erwähnen Sie in Ihrem Antrag nicht. Im Übrigen beziehen Sie sich in Ihrem Antrag auf die Transparenzinitiative der EU im Zusammenhang mit den EU-Agrarfonds. Ich gebe Ihnen zwar recht, dass die Veröffentlichung der Förderung an Landwirte durchaus positiv ist. Allerdings stehen diese Informationen nur zwei Jahre im Netz und dann nicht mehr. Im Gegensatz dazu das Förderportal des Bundes: Ich habe für meinen Wahlkreis, für Potsdam, nachgeschaut und festgestellt, dass die Daten von 1 227 Fördermaßnahmen seit 1990 abrufbar sind. Das heißt also: 25 Jahre Transparenz. Was wollen wir mehr? Wo finden Sie das? Aber es gibt noch einen weiteren Grund für unsere Ablehnung. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass – ich -zitiere – „eine Abwägung zwischen dem Transparenz-interesse der Öffentlichkeit und dem Schutz personen-bezogener Daten der Fördermittelempfängerinnen und -empfänger erfolgen“ soll. Wer soll das denn bitte bei Zehntausenden von Förderungen im Einzelfall entscheiden? (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) Welcher bürokratische Aufwand ist damit verbunden, dies rechtssicher zu entscheiden? (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Ganz -richtig!) Ist der Nutzen Ihres Vorschlages wirklich so groß, dass er diesen bürokratischen Aufwand rechtfertigt? Auch darauf geben Sie keine Antwort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch bei einem weiteren Punkt kann ich Ihnen nicht folgen – dieser Punkt ist für mich eigentlich der entscheidende –: Unter Ziffer 10 Ihres Antrages fordern Sie, dass „die Ziele und wesentlichen Resultate“ von Forschungsprojekten veröffentlicht werden sollen. In Ihrer letzten Rede, Frau Andreae, zu diesem Thema wurden Sie noch konkreter, da sagten Sie: Es braucht diese gute Datenlage auch für uns Parlamentarier, um besser entscheiden zu können, ob Förderprogramme fortgeführt, aufgestockt oder lieber beendet werden sollten. Wären Sie wirklich in der Lage, wissenschaftliche Ergebnisse zu bewerten, die oftmals erst nach vielen Jahren Früchte tragen? Der aktuelle deutsche Nobelpreisträger Stefan Hell ist das beste Beispiel dafür, dass sich wissenschaftliche Arbeit oftmals erst nach sehr vielen Jahren auszeichnet. Da wollen Sie uns sagen, dass wir Parlamentarier über Sinn und Unsinn von Förderprogrammen anhand der von Ihnen geforderten Daten entscheiden könnten? Ich glaube das nicht. Insofern sind aus unserer Sicht die bereits heute im Förderportal veröffentlichten Daten zu geförderten Projekten ausreichend; eine hohe Transparenz ist gegeben. Reserven und Verbesserungsmöglichkeiten sehe ich bei dem Umfang der eingestellten Förderprogramme. Insofern begrüße ich ausdrücklich das Anliegen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, zukünftig alle Förderprogramme und Projekte des Ministeriums mit einzustellen. Ich denke, das ist noch mal ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ihrem Antrag aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, werden wir heute leider aus den besagten Gründen nicht zustimmen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr vergibt der Bund sehr viele Fördermittel an Unternehmen, aber auch an Verbände und Vereine. Und die Grünen wollen jetzt, dass dies transparenter geschieht. Die Linke wird dem Antrag zustimmen und die für meine Begriffe sehr bedauerliche Beschlussempfehlung des Ausschusses ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Im Grunde fordern doch die Grünen nichts anderes, als dass die Europäische Transparenzinitiative aus dem Jahr 2007 nun auch im eigenen Land umgesetzt wird. Was ist denn, bitte schön, dagegen einzuwenden? – Es wurden doch schon auf europäischer Ebene – auch im Hinblick auf die Punkte, die gerade angesprochen wurden – positive Erfahrungen gemacht. Dass die Bundesregierung und die Regierungskoalition jetzt hier auf die Bremse treten und „Nein, danke“ zu einer Erweiterung der Transparenz sagen, finden wir falsch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nachvollziehbar, dass die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger, auf EU-Ebene das Recht haben, diese Informationen über Förderungen abzurufen, im eigenen Land aber nicht. Warum eigentlich? – Die Bundesregierung sollte nicht hinter die EU zurückfallen und muss diesen Missstand für meine Begriffe umgehend beheben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die das alles finanzieren, haben das Recht darauf, zu erfahren, wie ihr Geld verwendet wird. Uns ist wichtig, dass den Empfängern der Fördermittel kein zusätzlicher Aufwand entsteht. Die erweiterten Informations- und Dokumentationspflichten dürfen für meine Begriffe nicht zulasten der Antragsteller, also derjenigen, die die Fördergelder bekommen, gehen. Oft sind dies nämlich kleine Unternehmen oder auch ehrenamtlich tätige Vereine und Verbände, die keine eigene Rechtsabteilung oder keine eigene Abteilung zur Akquise von Fördergeldern haben. Sie wollen mit dem Geld, das sie bekommen, arbeiten und es nicht fast ausschließlich verwalten. An dieser Stelle sei wirklich angeregt, den Prozess der Antragstellung generell zu vereinfachen und auch zu entbürokratisieren, damit noch mehr Fördermittel bei kleinen Unternehmen oder bei kleineren Verbänden ankommen. Ich bestreite nicht, dass die zunehmende Transparenz im Ergebnis dazu führt, dass ein zunehmender Aufwand betrieben werden muss und dies zulasten der Verwaltung geht. Aber wir können uns nicht hier hinstellen und sagen – so wie es meine Vorrednerin gerade angedeutet hat –: Wir haben kein Personal, damit haben wir auch keine Finanzmittel, und deswegen können wir das alles nicht machen. – Wir brauchen eine leistungsfähige Verwaltung und eine angemessene Ausstattung dieser Verwaltung, damit diese Aufgaben übernommen werden können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bürgerinnen und Bürger haben schlichtweg ein Anrecht darauf. Auch wir nehmen es ernst, wenn Unternehmen heute sagen, dass zusätzliche Transparenz zur Offenlegung von betrieblichen Geheimnissen führen kann. Insbesondere viele kleine Unternehmen befürchten, dass mit der Veröffentlichung eines Projekttitels die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten offengelegt werden. Ebenso fürchten sie, dass ihre Finanzkalkulationen der Konkurrenz bekannt werden. Die im Antrag der Grünen vorgesehene Regelung besagt, dass in Einzelfällen von einer Einzelveröffentlichung abgesehen werden kann. In der Realität allerdings besteht zumindest die Gefahr, dass jeder Fördermittelempfänger versuchen wird, sich bei jeder Gelegenheit darauf zu berufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein reales Problem. Dafür brauchen wir eine Lösung. Man muss darüber entscheiden können – und das möglichst in allen Einzelfällen –, wie man damit umgeht. Das wird sicherlich nicht ganz einfach. Aber die Lösung im Umkehrschluss darf nicht heißen: Wir machen weiter mit Intransparenz. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Jurk [SPD]: Intransparenz? Quatsch!) Denn umgekehrt ist auch klar, dass kein Unternehmen verpflichtet ist, einen Antrag auf Fördermittel zu stellen. Dennoch: Der Antrag der Grünen geht in die richtige Richtung. Alles in allem unterstützen wir den Antrag, auch wenn wichtige Details noch weiteren Klärungsbedarf nach sich ziehen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist in Ordnung!) Denn Transparenz – das ist die Meinung der Linken – schafft immer auch Akzeptanz bei der Vergabe öffentlicher Mittel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Mark Hauptmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Wir befassen uns mit dem Thema der Fördermitteltransparenz. Zuallererst ist festzuhalten: Das Ansinnen ist im Kern richtig und begrüßenswert. Trans-parenz ist gerade bei der Verteilung von Fördermitteln seitens des Bundes nicht nur wünschenswert, sondern schlichtweg notwendig. Staatliche Maßnahmen müssen kontinuierlich auf ihren Erfolg überprüft werden, und die Datenbanken mit den entsprechenden Informationen müssen dafür öffentlich zugänglich sein. Außerdem müssen die Beantragung von Fördermitteln und der Zugang zu entsprechenden Formularen für den Antragsteller einfach gestaltet werden. Kritisch hingegen sehen wir in dem Antrag der Fraktion der Grünen die Vorschläge, wie Sie dieses lobenswerte Ziel erreichen möchten. Sie fordern erstens die Einführung einer gesetzlichen Regelung, zweitens die Ausweitung bereits bestehender Datenbanken und drittens die Offenlegung sensibler Daten. Lassen Sie mich also kurz auf diese einzelnen Punkte eingehen, um Klarheit in der Debatte zu schaffen. Per Gesetz soll die Fördermitteltransparenz erhöht werden, da die derzeitige Datenlage intransparent und durch die Zivilgesellschaft sowie durch uns Parlamentarier kaum zu kontrollieren sei. So steht es im Antrag. Neue Gesetze sind jedoch nur dann erforderlich, wenn ihr Erlass wirklich notwendig ist. Das wäre dann gegeben, wenn die aktuelle Datenlage tatsächlich so schlecht wäre, wie Sie es in Ihrem Antrag darstellen. Der Antrag spricht von einem berechtigten und wachsenden Interesse der Bürgerinnen und Bürger, über die Verwendung ihrer Steuergelder in Form von staatlichen Fördermitteln informiert zu werden. Hier suggerieren Sie gewissermaßen, dass es heute gar keine oder nur unzureichende Möglichkeiten gibt, sich darüber zu informieren. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, erwecken den Anschein, als ob geradezu willkürlich und ungeprüft Mittel seitens des Bundes verteilt würden. Deshalb möchte ich Ihnen noch einmal fünf wesentliche Informationsmöglichkeiten nennen, die es bereits heute gibt und die sehr umfassend und transparent sind. Da ist zum Ersten die Förderdatenbank des Bundes. Sie gibt einen Überblick über die aktuellen Förderprogramme des Bundes, der Länder und der EU für die gewerbliche Wirtschaft. Zweitens haben wir den Förderkatalog des Bundes. Er eröffnet allen interessierten Bürgern die Möglichkeit, sich online über abgeschlossene Fördervorhaben der beteiligten Bundesministerien – für Bildung und Forschung, für Wirtschaft und Energie, für Umwelt, für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Verkehr und digitale Infrastruktur – zu informieren. Drittens haben Sie die Möglichkeit, in der Datenbank des Förderkataloges nachzuforschen und Auskunft über 110 000 abgeschlossene und laufende Förderprojekte zu erhalten; weitere sollen aufgenommen werden. Viertens werden die aktuellen Leitlinien der Subventionspolitik jedes Jahr im Subventionsbericht der Bundesregierung dargestellt. Das ist eine weitere Möglichkeit, sich darüber zu unterrichten, ob wir mit diesen Förderprogrammen tatsächlich Arbeitsplätze schaffen und Wachstum in unserem Land generieren, was wir ja als Zielstellung haben. Schlussendlich schafft fünftens das Informationsfreiheitsgesetz für alle Bürger einen Rechtsanspruch, sich über einzelne Förderprojekte des Bundes zu erkundigen. Verständlicherweise – so sehen wir es von der Unionsfraktion – muss es jedoch bei aller Transparenz auch Ausnahmen geben; denn gerade bei der Förderung wirtschaftlicher Vorhaben ist ein angemessener Umgang mit sensiblen Daten erforderlich. Laut Ihrem Antrag fordern Sie die grundsätzliche Veröffentlichung des genauen Förderprogramms, des Namens der Firma, der Postleitzahl, der Gemeinde des Unternehmenssitzes sowie die Angabe, wer Empfängerin oder Empfänger der Fördermittelzahlungen ist. Eine solche Regelung kann in einzelnen Bereichen sinnvoll sein; das wollen wir nicht abstreiten. Beispiele dafür, wo es sinnvoll sein kann, sind Förderprojekte in der Regionalentwicklung, im Tourismus oder zur Kulturförderung. Jetzt komme ich zu dem Punkt, den auch mein Vorredner angesprochen hat: Was spricht eigentlich dagegen? Für nicht sinnvoll oder sogar schädlich halten wir die Veröffentlichung von unternehmensbezogenen Daten. Denn was bedeutet es, hier völlige Transparenz zu schaffen und alle betriebsbezogenen sensiblen Daten aufzugreifen und zu veröffentlichen? Unternehmen, insbesondere mittelständische Unternehmen, sind auf die Entwicklung innovativer Produkte angewiesen. Wir alle kennen zum Beispiel das ZIM-Projekt und andere Projekte, für die Fördermittel vergeben werden. Nur mit einer hohen Innovationskompetenz können zukunftsrelevante Produktentwicklungen auf den Markt gebracht werden. In letzter Konsequenz bedeuten Ihre Vorschläge, dass die Unternehmen Daten veröffentlichen müssen, die in sehr starkem Maße sensible Bereiche betreffen. In der Luftfahrtbranche, aber auch in anderen Bereichen können wir schon heute sehen, dass die Veröffentlichung sensibler Daten dazu beiträgt, dass sich Konkurrenten einen sehr genauen Blick über andere Unternehmen verschaffen können, so zum einen, wie viele staatliche Mittel dieses Unternehmen seitens des Bundes bekommt, und zum anderen, woran andere Unternehmen forschen. Es gibt in gewisser Weise auch in der Unternehmenskommunikation einen gewissen Schutz des geistigen Eigentums. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen an einer Patentlösung arbeitet, dann hat es ein berechtigtes Interesse daran, sicherzustellen, dass es als Innovations- und Impulsgeber für eine neue Idee letztendlich diese Idee auch verwirklichen kann. Wenn es aber vorher bereits alle sensiblen Daten bis in den Bereich der Verteilung einzelner Kosten veröffentlichen muss, (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen sie doch gar nicht! Das ist doch Unfug! Glatter Unfug!) dann sehen wir dies politisch als schädlicher an als mehr Fördermitteltransparenz. Mein letzter Kritikpunkt greift auf, was bereits die Kollegin Wicklein angesprochen hat. Wir sehen die Gefahr, dass Sie mit diesen neuen Kriterien hinsichtlich der Fördermitteltransparenz in Ihrem Antrag einen hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand kreieren werden. Sie haben nicht darauf hingewiesen, welche Folgekosten gerade auch im Hinblick auf die Dokumentationspflicht entstehen werden. Daraus wird unserer Meinung nach mehr Bürokratie entstehen, und es wird zu einem verstärkten administrativen Ausbau kommen. Dabei wollen wir als gemeinschaftliches Ziel insgesamt einen Bürokratieabbau, also eine Verschlankung der staatlichen Bürokratiemechanismen. Sie verstecken allerdings den Transparenzgedanken und schaffen unter dem Deckmantel der Informationsfreiheit ein Bürokratiemonster. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Transparenz, sehr geehrte Damen und Herren, ist notwendig und erforderlich. Das gestehen wir sehr gerne zu. Gerade bei der Verteilung von Bundesmitteln muss Transparenz herrschen. Transparenz ist jedoch kein Selbstzweck – das ist der feine Unterschied zu Ihnen, sehr geehrte Kollegen der Grünen –, vor allem dann nicht, wenn er in letzter Konsequenz mehr Schaden als Nutzen bringt. Ihr Antrag übersieht die bereits vorhandenen Informationsmöglichkeiten; ich habe Ihnen fünf sehr umfangreiche Informationsmöglichkeiten genannt. Er verletzt letztendlich den Datenschutz der Unternehmen im Hinblick auf innovative Forschungen, und er schafft überflüssige Bürokratie, die wir eigentlich verhindern -wollen. Deshalb lehnen wir gemeinsam mit der Koalitionsfraktion Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schön, dass Sie alle die Intention des Antrags, Transparenz zu schaffen, für richtig halten; das freut mich. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein wachsendes Interesse daran, zu erfahren, was mit ihren Steuergeldern geschieht; und das ist auch richtig so. Schließlich werden die Fördermittel aus Steuergeldern finanziert. Nun gehe ich auf Ihre Kritikpunkte ein. Sie erinnern sich sicherlich noch an die Debatte über die Mittel aus dem EU-Agrarfonds. Big Player der Agrarwirtschaft wie Südzucker, große Molkereien und die Queen von England waren Empfänger von Agrarmitteln. Deswegen wurde damals die EU-Transparenzrichtlinie in Kraft gesetzt. Nun kann man im Internet in einer Datenbank sehen, wer wie viel erhält. Wunderbar! Das hat geklappt, funktioniert, ist machbar. Das können wir auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Wicklein [SPD]: Das machen wir ja auch!) Wenn Sie nun sagen, es handele sich hier um Datensammelwut, dann entgegne ich Ihnen: All die Daten sind bereits vorhanden. Sie haben des Weiteren eingewendet, dass wir viel Bürokratie aufbauen, und gefragt, wer prüfen würde, ob es im Einzelfall gerechtfertigt ist, zu sagen, dass es nicht funktioniert. Aber ein Unternehmen, das sich an Förderprojekten beteiligen will, muss doch einen Antrag stellen. Dann sind die Daten da, und es wird geprüft, ob das betreffende Unternehmen berechtigt ist, Fördermittel in Anspruch zu nehmen. Und dann kann man auf Basis dieser Prüfung im Normalfall sagen: Das machen wir transparent. – Das geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Richtig ist: Transparenz ist kein Selbstzweck. Deswegen haben wir alles mit dem damaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar besprochen. Er hat gesagt: Ihr müsst eine Bagatellgrenze von 25 000 Euro einführen. Er hat gesagt: Natürlich müsst ihr sorgsam abwägen zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Daten. Es geht auch nicht um eine kleinteilige Kostenauflistung. Worum geht es dann? Es geht darum, zu erfahren, wer von welchen Fördertöpfen profitiert, wer Fördermittel bekommt. Es geht nicht um die Maßnahmen selbst. Sicherlich gibt es dazu diverse Datenbanken. Aber bisher liegt im Dunkeln: Wer profitiert? Wie werden die Mittel verteilt? (Thomas Jurk [SPD]: Nein!) Hier wollen wir Transparenz schaffen. Das ist der Ansatz, den wir in unserem Antrag gewählt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich nenne Ihnen als Beispiel die Plattform E-Mobility. Wissen Sie, wer die Profiteure der Millionen aus diesem Programm sind, das aufgelegt wurde, um die Entwicklung der Elektromobilität anzuschieben? Die Mittel verteilen sich auf diverse Ministerien. Das Wirtschaftsministerium jedenfalls fährt die Mittel von 280 Millionen Euro auf 220 Millionen Euro zurück. Mich interessiert, wen das eigentlich betrifft. Natürlich habe ich als Abgeordnete mehr Möglichkeiten; das weiß ich. Ich kann beispielsweise das Ministerium fragen etc. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann muss man aber auch eine gescheite Antwort kriegen! Das ist das Nächste! – Thomas Jurk [SPD]: Genau das ist der Punkt! Es gibt Transparenz!) Der Unterschied ist allerdings, dass wir Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger schaffen wollen. Nicht nur wir Abgeordnete, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger sollen Bescheid wissen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist richtig, dass Sie im Bundeswirtschaftsministerium jetzt die Förderprogramme stärker evaluieren. Ich finde die Ansätze, die Sie, Frau Gleicke, im Ausschuss vorgestellt haben, richtig. Aber dann sollten wir auch schauen, ob die Förderung beim Mittelstand, bei den Innovativen, den jungen Unternehmen, den Start-ups ankommt. Lassen Sie uns hier doch Transparenz schaffen, damit wir mehr wissen. Ja, es geht um eine effizientere Arbeit und eine bessere Haushaltskontrolle. Was geschieht mit den Milliarden in den Fördertöpfen? Sie können nicht ernsthaft dagegen sein, dass hier Transparenz geschaffen wird. Ihre Argumente sind aus der Luft gegriffen. Weder wollen wir ein Bürokratiemonster schaffen, noch leiden wir unter Datensammelwut. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erfahren, was mit ihren Steuergeldern im Fördermittelbereich geschieht. Wir als Abgeordnete wollen gleichzeitig, wenn es im Haushaltsverfahren um die Aufstockung von Fördermitteln geht, besser einschätzen können: Sind die Mittel richtig eingesetzt, oder haben wir Spielraum, um die Mittel besser einzusetzen? Das ist das, was wir erreichen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Forderung nach mehr Transparenz ist in der heutigen Zeit absolut erforderlich. Wir sollten alles daransetzen, hier immer wieder nachzulegen. Es ist in Ordnung, wenn Sie unseren Antrag kritisieren, weil er noch nicht alle Fragen beantwortet und nicht jedes Detail klärt. Wir können über alles reden. Was mich nur so erstaunt, ist, dass wir im Ausschuss über diese Kritikpunkte gar nicht gesprochen haben. Wo sind denn Ihre Initiativen, die die Transparenz, die Sie hier zumindest in der Prosa loben, einfordern? Wir haben nicht den Eindruck, dass Sie wirklich daran arbeiten, Transparenz bei den Fördermitteln zu schaffen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wollen die nicht!) Ich hätte mich gefreut, wenn wir hier zusammen weiter daran gearbeitet hätten, wenn Sie hier nicht nur kritisiert, sondern Ihrerseits Vorschläge gemacht hätten; denn das sind wir den Menschen in diesem Land schuldig. Die sollen erfahren, was mit ihren Steuergeldern passiert. Außerdem wollen wir unsere Arbeit an der Stelle besser kontrollieren. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Gedanken an anderer Stelle noch einmal aufgreifen würden. In diesem Sinne noch einen schönen Nachmittag! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Jurk für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Jurk (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offensichtlich sind wir uns alle einig. Auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unterstützen grundsätzlich Forderungen nach einer höheren Transparenz bei der Vergabe von Fördermitteln. Allerdings – das unterscheidet uns, sehr verehrte Frau Vorrednerin – sehen wir keinen dringenden und erst recht keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf; denn die mit Ihrem Antrag verbundene Forderung nach Veröffentlichung von Informationen über die Vergabe von Fördermitteln ist in wesentlichen Politikbereichen längst Realität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) So veröffentlichen die Ministerien für Wirtschaft und Energie, für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, für Ernährung und Landwirtschaft, für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie für Bildung und Forschung mit dem Förderkatalog des Bundes im Internet Informationen über laufende und abgeschlossene Fördervorhaben. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, es sind die Maßnahmen, nicht die Beträge!) Dabei handelt es sich – mit wenigen Ausnahmen – um alle Fördermaßnahmen in den genannten Ressorts, die über das Projektinformationssystem „profi“ adminis-triert werden. Um mit Zahlen zu argumentieren: Allein im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums werden knapp 27 000 Vorhaben – davon rund 4 500 laufende – aufgeführt. Allein diese Zahlen machen doch deutlich, was bereits verfügbar ist. Das Bundeswirtschaftsministerium plant zudem, die Transparenz bei der Fördermittelvergabe dadurch weiter zu erhöhen, dass mittelfristig weitere Fördermaßnahmen im Förderkatalog des Bundes veröffentlicht werden. Außerdem stehen mit der Förderdatenbank des Bundes die von Ihnen geforderten Informationen über die Förderprogramme für die Öffentlichkeit, aber auch für interessierte Abgeordnete bereits zur Verfügung. Ebenso erfolgt die unter Ziffer 4 Ihres Antrags geforderte „Vorabinformation der Fördermittelempfängerinnen und -empfänger über die Veröffentlichung“ in der Regel schon jetzt. Das geschieht nämlich entweder durch die Förderrichtlinie an sich oder durch den jeweiligen Zuwendungsbescheid. Zudem erlaube ich mir an dieser Stelle den dezenten Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz, das wohl jedem Bürger das Recht einräumt, Zugang zu amtlichen Informationen – auch von Bundesbehörden – zu erlangen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das schon einmal gemacht?) Dass der Antrag der Grünen, sehr verehrte Damen und Herren, im Detail wenig durchdacht ist, zeigt sich auch an einer anderen Stelle. So soll – ich zitiere – „die öffentliche Hand“ gesetzlich verpflichtet werden, Informationen über Förderleitlinien und die Empfänger von Fördermitteln zu veröffentlichen. In der Begründung Ihres Antrages nehmen Sie jedoch nur auf den Bund Bezug. Ihnen ist offensichtlich selbst nicht klar, was Sie wollen. Soll denn nur der Bund oder sollen auch die Länder und Gemeinden sowie die Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts dazu verpflichtet werden? Ich vermisse in Ihrem Antrag – die Debattenredner haben bereits darauf hingewiesen – Finanzierungsvorschläge für die von Ihnen angedachten gesetzlichen Regelungen. Hat sich bei Ihnen eigentlich schon jemand einmal darüber Gedanken gemacht, wie aufwendig die von Ihnen geforderte Ausnahmeprüfung bei der Veröffentlichungspflicht in Fällen ist, in denen es – ich zitiere aus dem Antrag – „durch die Veröffentlichung zu Rückschlüssen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kommen kann“? – Der Kollege von den Linken hat darauf hingewiesen, dass man so etwas wie eine Einzelfallprüfung vornehmen könne. Entschuldigung! Der Einzelfall muss doch aber erst einmal definiert werden. Das heißt, dass alle Anträge geprüft werden müssen, (Andrea Wicklein [SPD]: Wer soll das, bitte, tun?) um den Einzelfall herauszufiltern, der dann wieder herausgenommen wird. Schönen Dank auch! Das ist Bürokratie pur. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Haben wir doch gesagt! Schönen Dank für die Wiederholung!) – Schönen Dank, dass Sie es verstanden haben! Oder haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, welche Kosten es verursacht, wenn in jedem Einzelfall – ich zitiere erneut aus dem Antrag der Grünen – „eine Abwägung zwischen dem Transparenzinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz personenbezogener Daten der Fördermittelempfängerinnen und -empfänger erfolgen“ soll, indem – jetzt kommt es – „die Erforderlichkeit der Veröffentlichung nach Bezugsdauer, Häufigkeit sowie Art und Umfang der Zuwendung geprüft wird“? – (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles im Antrag drin!) Ich hoffe, Sie konnten Ihrem eigenen Text jetzt noch folgen, Frau Andreae. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, steht alles im Antrag drin!) Klar ist jedenfalls, dass Sie, ob Sie es nun wollen oder nicht, ein unfinanzierbares Bürokratiemonster schaffen. Das Gegenteil von gut ist bekanntermaßen gut gemeint. Frau Kollegin Andreae, ich habe interessiert zur Kenntnis genommen, dass Sie in der von Ihnen in der letzten Debatte zu Protokoll gegebenen Rede darauf hingewiesen haben, dass insbesondere die neuen Regelungen, die Sie uns per Antrag hier unterjubeln wollen, Ihnen die Chance zu neuen Möglichkeiten der Haushaltskontrolle einräumen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Da muss ich Sie wirklich fragen, ob Sie sich und Ihrer Arbeit ein Armutszeugnis ausstellen wollen. Hinter Ihnen sitzt Frau Kollegin Hajduk. Wir sind gemeinsam Berichterstatter zum Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Frau Kollegin Hajduk, geben Sie mir recht, dass das Ministerium tatsächlich bemüht ist, auf Ihre Anfragen sehr transparent und offen zu antworten, dass also für unsere Arbeit als Abgeordnete noch andere Möglichkeiten bestehen, Informationen zu erlangen und unserem grundgesetzlichen Auftrag gerecht zu werden, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger nachzuvollziehen, was die Verwaltung gerade treibt oder nicht? – Nun gut, Frau Hajduk widerspricht mir gerade nicht. Also stelle ich fest, dass das im Hinblick auf das BMWi durchaus der Fall ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Jurk, sie hat sich aber auch nicht gemeldet, um Ihre Redezeit zu verlängern. Deshalb muss ich Sie jetzt darauf aufmerksam machen, dass Sie zum Schluss kommen müssen. (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Thomas Jurk (SPD): Frau Präsidentin, ich hatte genau das jetzt erwartet. Ich freue mich, dass sie es nicht getan hat, weil sie mich gerade bestätigt hat. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da macht sich jemand wieder einmal die Welt, wie sie ihm gefällt!) Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen überflüssig, unausgegoren und unfinanzierbar ist. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Hansjörg Durz. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Reden in dieser Debatte verfolgt, dann wird deutlich, dass wirklich alle das gleiche Ziel verfolgen, nämlich dass insbesondere dann, wenn Steuergelder für Fördermittel eingesetzt werden, größtmögliche Transparenz sichergestellt sein muss, dass die politischen Entscheidungsprozesse transparent gemacht werden müssen und dass die Verwendung von finanziellen Mitteln für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sein muss. Wenn man den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es in Deutschland mit der Transparenz bei Fördermitteln nicht sehr weit her ist. Dem ist aber nicht so; vielmehr ist genau das Gegenteil der Fall. Wir haben im Rahmen der Debatte eine ganze Reihe von Möglichkeiten gehört, wie man sich informieren kann, (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über die Maßnahmen! Aber es geht um die Verteilung! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Welche Firmen kriegen was, und wer spendet?) wie nicht nur wir als Abgeordnete uns informieren können – auch über die Verteilung –, sondern wie auch die Bürgerinnen und Bürger sich genauer informieren können. Ich will die eine Maßnahme noch einmal herausstellen: 110 000 bereits abgeschlossene und noch laufende Vorhaben der Projektförderung sind im Förderkatalog des Bundes nachzulesen. Da kann man genau sehen, wer gefördert wird, wer fördert, was gefördert wird, wie lange gefördert wird und wie viel gefördert wird. Es gibt also sehr detaillierte Informationen. In Ihrem Antrag beschreiben Sie aber auch einen ersten Konflikt im Zusammenhang mit Transparenz. Ich zitiere: Um einen ausreichenden Schutz der Grundrechte und der personenbezogenen Daten zu gewährleisten, muss sorgsam zwischen dem Transparenzinte-resse der Öffentlichkeit und dem Schutz personenbezogener Daten von Fördermittelempfängerinnen und -empfängern abgewogen werden. Sie weisen also darauf hin, dass Transparenz auch Grenzen hat und dass zwischen Transparenz und dem Schutz personenbezogener Daten abgewogen werden muss. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich möchte auf einen zweiten Konflikt hinweisen, ein zweites Themenfeld, in dem es auch abzuwägen gilt. Sie orientieren sich in Ihrem Antrag – Sie erwähnen das an mehreren Stellen – am EU-Agrarfonds. Bei diesen EU-Agrarfördermitteln geht es ganz konkret um Direktzahlungen, um sogenannte Betriebsprämien, die unabhängig von Art und Umfang der landwirtschaftlichen Produktion gewährt werden, die einerseits an ganz konkrete Auflagen gebunden sind, andererseits aber vor allem einen klaren Maßstab haben, nämlich die Fläche. Hier sind die Richtlinien klar, hier ist der Maßstab klar, hier kann auch miteinander verglichen werden. Aber wie ist der Maßstab zum Beispiel bei der Förderung von Innovationen? Abstrakt gesehen klingt „Herstellung von Transparenz“ immer sehr einleuchtend. Wenn es aber konkret wird, wird es etwas schwieriger. Betrachten wir zum Beispiel ganz konkret das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, das von allen hier positiv gesehen wird. Das ist ein Programm zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Der größte Teil der Antragsteller beschäftigt 10 bis 49 Mitarbeiter. Die Förderung über ZIM ist sehr heterogen. Es werden sehr viele verschiedene Technologiefelder unterstützt. Es gibt natürlich klare Förderrichtlinien, nicht aber den einen Maßstab, mit dem die einzelnen Empfänger der Förderung verglichen werden können. Es findet eine regelmäßige Evaluation statt, die den Erfolg und den sinnvollen Einsatz der Mittel belegt. Der Bericht darüber wird auch regelmäßig veröffentlicht. Bei der Evaluation, aber auch bei der Befragung der Unternehmen und der Projektträger kommt auf die Frage, warum denn ZIM so erfolgreich ist, stets die Antwort, dass es unbürokratisch in der Antragstellung, aber auch in der Abwicklung ist. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es! – Andrea Wicklein [SPD]: Richtig!) Sollte man hier noch mehr Transparenz schaffen wollen, so ist zusätzlicher bürokratischer Aufwand zwingend erforderlich – für die Projektträger, aber eben auch für die KMU. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Somit wäre genau ein entscheidender Faktor, ein Erfolgsfaktor von ZIM, nämlich das Unbürokratische, zunichtegemacht. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach falsch, was Sie sagen! – Gegenruf des Abg. Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Es ist absolut richtig!) Das Pendant zu ZIM auf EU-Ebene ist das Techno-logieförderprogramm Horizon 2020. Dieses Programm wird seitens der Unternehmen und der Projektträger wegen der Amtshürden und vor allem wegen des bürokra-tischen Aufwands kritisiert. Es wird von deutschen Unternehmen sehr wenig in Anspruch genommen, wenn überhaupt, dann eher von größeren und nicht von KMU, eben wegen dieses bürokratischen Aufwands. Das Augenmerk sollte unseres Erachtens viel eher darauf gelegt werden, wie wir es schaffen, mehr Informationen für die Unternehmen bereitzustellen und damit mehr Licht ins Dickicht der Förderlandschaft von Bund, Ländern und EU zu bringen. Hier brauchen wir eine Transparenzoffensive. Wir wollen mehr Informationen über die Chancen und Möglichkeiten der Programme für die Unternehmen. Wir wollen, dass sich noch mehr kleine und mittelständische Unternehmen auf den Weg machen, um Innovationen anzugehen und umzusetzen. Das bedeutet zusammenfassend: Transparenz, Fördermitteltransparenz – ja, aber mit Maß und Ziel. Wir sind der Auffassung, dass die richtige Balance zwischen Transparenz und bürokratischem Aufwand gegeben sein muss, und lehnen daher den Antrag der Grünen ab. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Fördermitteltransparenz erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1676, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/980 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Oktober 2014, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen erholsamen Nachmittag, wenn das möglich ist. (Schluss: 15.38 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 10.10.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 10.10.2014 Bartz, Julia CDU/CSU 10.10.2014 Dr. Castellucci, Lars SPD 10.10.2014 Da?delen, Sevim DIE LINKE 10.10.2014 Dr. De Ridder, Daniela SPD 10.10.2014 Evers-Meyer, Karin SPD 10.10.2014 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 10.10.2014 Gastel, Matthias BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Golze, Diana DIE LINKE 10.10.2014 Göppel, Josef CDU/CSU 10.10.2014 Grindel, Reinhard CDU/CSU 10.10.2014 Grütters, Monika CDU/CSU 10.10.2014 Hartmann, Sebastian SPD 10.10.2014 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Klare, Arno SPD 10.10.2014 Dr. Kofler, Bärbel SPD 10.10.2014 Kolbe, Daniela SPD 10.10.2014 Kretschmer, Michael CDU/CSU 10.10.2014 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Meiwald, Peter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 10.10.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Pitterle, Richard DIE LINKE 10.10.2014 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 10.10.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 10.10.2014 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 10.10.2014 Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 10.10.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 10.10.2014 Schwartze, Stefan SPD 10.10.2014 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 10.10.2014 Steffen, Sonja SPD 10.10.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 10.10.2014 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 10.10.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.10.2014 Ulrich, Alexander DIE LINKE 10.10.2014 Veit, Rüdiger SPD 10.10.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 10.10.2014 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 10.10.2014 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 10.10.2014 Dr. Zimmer, Matthias CDU/CSU 10.10.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2013) Drucksachen 18/933, 18/1379 (neu) Nr. 1.2 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO 58. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 9. bis 12. November 2012 in Prag, Tschechische Republik Drucksachen 18/1923, 18/2530 Nr. 2 Finanzausschuss Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Bericht des Ausschusses für Finanzstabilität zur Finanzstabilität in Deutschland Drucksachen 18/1795, 18/2048 Nr. 1.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/1393 Nr. A.10 EP P7_TA-PROV(2014)0209 Drucksache 18/1935 Nr. A.1 EuB-BReg 49/2014 Drucksache 18/1935 Nr. A.2 EuB-BReg 51/2014 Drucksache 18/2055 Nr. A.1 EuB-BReg 53/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.3 EuB-BReg 62/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.4 EuB-BReg 65/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.5 EuB-BReg 70/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.6 EuB-BReg 71/2014 Drucksache 18/2533 Nr. A.8 Ratsdokument 10279/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.9 Ratsdokument 10551/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.10 Ratsdokument 11221/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.11 Ratsdokument 11980/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.12 Ratsdokument 12127/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.13 Ratsdokument 12206/14 Drucksache 18/2677 Nr. A.1 Ratsdokument 12785/14 DCL 1 Drucksache 18/2677 Nr. A.2 Ratsdokument 12796/14 DCL 1 Innenausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.20 EP P7_TA-PROV(2013)0376 Haushaltsausschuss Drucksache 18/2533 Nr. A.33 Ratsdokument 11121/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.34 Ratsdokument 11473/14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/2055 Nr. A.11 Ratsdokument 10824/14 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/2533 Nr. A.64 Ratsdokument 10412/14 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 58. Sitzung, Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 58. Sitzung, Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 5379 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 5440 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 58. Sitzung, Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 58. Sitzung, Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 5439