Plenarprotokoll 18/92 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 92. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. März 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 19: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Drucksachen 18/3784, 18/4053, 18/4227 8739 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4228 8739 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen (Führungskräftegesetz) Drucksachen 18/1878, 18/4227 8739 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz – (Berichtszeitraum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfter Gremien-bericht der Bundesregierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz – (Berichtszeitraum 30. Juni 2005 bis 30. Juni 2009) Drucksachen 17/4307, 17/4308 (neu), 18/4227 8739 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 8739 D Caren Lay (DIE LINKE) 8741 B Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 8743 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8744 C Birgit Kömpel (SPD) 8746 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 8747 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 8748 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8750 A Sönke Rix (SPD) 8751 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) 8752 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 8754 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) 8755 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8756 B Dr. Eva Högl (SPD) 8757 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 8757 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) 8758 C Christina Jantz (SPD) 8760 B Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortmaßnahmen für die Agrar-wende – Für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen Drucksache 18/4191 8762 B Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8762 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) 8763 C Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 8764 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 8766 A Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) 8767 A Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) 8768 C Niema Movassat (DIE LINKE) 8770 C Rita Hagl-Kehl (SPD) 8771 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8772 B Rita Stockhofe (CDU/CSU) 8773 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8774 D Johann Saathoff (SPD) 8775 B Marlene Mortler (CDU/CSU) 8776 C Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199 8778 A Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 8778 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 8779 D Rüdiger Veit (SPD) 8780 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8782 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 8784 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8785 C Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs Drucksache 18/4186 8786 A b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr Drucksache 18/3746 8786 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale -Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern Drucksachen 18/2494, 18/4080 8786 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 8786 C Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) 8787 D Sabine Leidig (DIE LINKE) 8788 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 8789 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8789 D Kirsten Lühmann (SPD) 8790 D Sabine Leidig (DIE LINKE) 8791 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) 8792 A Andreas Schwarz (SPD) 8793 C Michael Donth (CDU/CSU) 8794 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Perspektiven für Klimaschutz und Energieeffizienz nach Absage der Bundesregierung an einen Steuerbonus für eine energetische Gebäudesanierung 8795 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8796 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 8797 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 8798 B Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi 8799 C Ingbert Liebing (CDU/CSU) 8800 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 8802 A Dr. Nina Scheer (SPD) 8803 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8804 A Olav Gutting (CDU/CSU) 8805 B Johann Saathoff (SPD) 8806 B Hansjörg Durz (CDU/CSU) 8807 C Klaus Mindrup (SPD) 8808 D Jan Metzler (CDU/CSU) 8809 D Nächste Sitzung 8810 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 8811 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und Kathrin Vogler (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) 8812 A Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) 8812 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) 8812 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 8812 D Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU) 8813 B Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 8813 B 92. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. März 2015 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsidentin Petra Pau: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Drucksachen 18/3784, 18/4053 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/4227 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4228 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen (Führungskräftegesetz) Drucksache 18/1878 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/4227 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz (Berichtszeitraum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Gremienbericht der Bundesregierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz (Berichtszeitraum 30. Juni 2005 bis 30. Juni 2009) Drucksachen 17/4307, 17/4308 (neu), 18/4227 Beschlussfassung Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der erste Internationale Frauentag 1911 war eine Kundgebung für das Frauenwahlrecht. In der Resolution hieß es damals – Zitat –: Millionen Frauen erheben mit allem Nachdruck Anspruch auf soziale und politische Gleichberechtigung. – 2015 erheben wir Frauen immer noch diesen Anspruch; denn die tatsächliche Durchsetzung der sozialen und politischen Gleichberechtigung steht noch aus. Aber zwei Tage vor dem Internationalen Frauentag machen wir in Deutschland einen historischen Schritt für die Gleichberechtigung der Frauen. Die Quote kommt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) So selbstverständlich wie die Frauen heute wählen und gewählt werden können, so selbstverständlich werden zukünftig Frauen in Führungsetagen von Unternehmen und im öffentlichen Dienst mitbestimmen. So fremd uns heute die Vorstellung ist, dass Frauen politisch nicht mitbestimmen dürfen, so fremd muss in Zukunft die Vorstellung sein, dass Frauen in Unternehmen nicht mitbestimmen dürfen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) zum Beispiel in einem DAX-30-Unternehmen der Gesundheitswirtschaft: 178 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit, 54 000 davon in Deutschland, zwei Drittel Frauen. Diese Frauen organisieren diesem Unternehmen Milliardenumsätze und -gewinne. Ich kenne diese Frauen; sie arbeiten zum Beispiel im Catering, im Putzdienst, in Krankenhäusern. Sie haben bis vor kurzem weniger als den Mindestlohn bekommen. Sie sind teilweise ungewollt auf Teilzeit gedrückt worden. Wer glaubt, dass sich für diese Frauen etwas ändert, wenn es in der Führungsetage der Unternehmen keine Frau gibt, die dort mit hinschaut? In diesem Unternehmen ist keine einzige Frau im Vorstand, keine einzige Frau im Aufsichtsrat. Das muss sich ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Frauen müssen dort, wo über Lohn und Arbeitsbedingungen entschieden wird, präsent sein. Sie müssen an der Spitze dieser Unternehmen vertreten sein. Das zeigt, dass dieses Gesetz nicht nur auf die Führungsetagen wirkt, sondern ganz konkret bei den Frauen vor Ort ankommt. Es ist ein Gesetz, das für Millionen von Frauen wirkt: für die Frauen, die in den großen Unternehmen mit der festen Quote arbeiten, aber auch für die Frauen, die in mittleren Unternehmen arbeiten, für die Zielvorgaben gelten. Sehr geehrte Abgeordnete, ein Gesetz mit einer Idee, die seit 1982 diskutiert wird, braucht auf seinem Weg zur Verabschiedung viele Unterstützerinnen und Unterstützer. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich sagen: Das hätte ich alles alleine geschafft. – Aber das bin ich zum Glück nicht. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich hatte viele Unterstützerinnen und Unterstützer aus Verbänden, Initiativen, aus der Wissenschaft, und es gab politischen Druck von starken Frauen und modernen Männern. Viele davon sind heute hier. Einer dieser modernen Männer ist unser Bundesjustizminister Heiko Maas. Vielen Dank, lieber Heiko! Es hat Spaß gemacht, mit dir diese Schlacht zu schlagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine starke Frau ist Andrea Nahles, die dieses Gesetz mit gestaltet hat. Vielen Dank, liebe Andrea! Es hat Spaß gemacht, diese Schlacht mit dir zu schlagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In allen Fraktionen, in den Regierungsfraktionen, die zum großen Teil an meiner Seite gestanden haben, aber auch in den Oppositionsfraktionen, gibt es Frauen, die die Berliner Erklärung initiiert haben, die auch heute Grundlage ist. Deshalb werbe ich: Unterstützen Sie dieses Gesetz im Geiste der Berliner Erklärung! Das heißt: Über Klein-Klein hinweggehen, den Konsens suchen und heute ein starkes Signal an die Frauen geben! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mitstreiterinnen sitzen auch auf der Besuchertribüne. Ich will stellvertretend Frau Schulz-Strelow von FidAR danken, die seit 2006 an unserer Seite kämpft. (Beifall im ganzen Hause) Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind. Das ist heute auch Ihr Tag. (Beifall im ganzen Hause) Ich möchte mich auch bei denen bedanken, die Widerstand geleistet haben. Dieser Widerstand hat gezeigt, welche Widerstände Frauen in der Arbeitswelt aushalten müssen: dass ihre Kompetenzen nicht honoriert werden, dass ihre Leistung nicht anerkannt wird, dass sie oft schlechter bezahlt werden, dass sie Nachteile haben, wenn sie Beruf und Familie vereinbaren wollen, und dass sie trotz guter Qualifikation nicht in den Führungsetagen ankommen. Diese Widerstände zeigen: Veränderung und Gerechtigkeit für Frauen kommen nicht von allein. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Widerstand zeigt auch: Veränderung ist möglich; der Kulturwandel kommt. – Allein die Diskussion um dieses Gesetz hat zu Veränderungen geführt: in den Unternehmen, aber auch in Bereichen, die gar nicht vom Gesetz betroffen sind. Zum Beispiel sagt der Deutsche Caritasverband: 80 Prozent der Menschen, die bei uns arbeiten, in Bereichen wie Kita oder Pflege, sind Frauen. Aber in den Führungsetagen sind nur 20 Prozent Frauen. Auch das muss sich ändern. – Sie sehen: Dieses Gesetz strahlt in viele Bereiche aus, in denen Frauen mehr Anerkennung für ihre Leistung verdient haben: in die Gesellschaft, in die Wirtschaft, in den öffentlichen Bereich. Ich freue mich, dass der Verfassungsjurist Professor Joachim Wieland in der Anhörung dargestellt hat, dass dieses Gesetz verfassungsfest ist. Es ist mit dem Anspruch, moderne Gleichberechtigung für Frauen und Männer zu schaffen und auch moderne Männer zu fördern, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, verfassungsgemäß. Man muss sich politisch entscheiden, welchen Weg man gehen will. Ich habe mich entschieden: Ich möchte moderne Gleichberechtigung, die auf Frauenförderung setzt, die aber auch die modernen Männer mitnimmt: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wollen wir nicht alle Männer mitnehmen?) die Männer, die mit ihrer Partnerin partnerschaftlich zusammenleben wollen, die Männer, die ihre Partnerin bei der Berufstätigkeit unterstützen, die modernen Männer, die sagen: Auch ich möchte Zeit für Familie haben; auch ich nehme einmal Elternzeit oder arbeite Teilzeit. – Das müssen wir unterstützen. Es gibt Gleichberechtigung für Frauen nur, wenn wir diese modernen Männer mitnehmen und sie starkmachen, sodass die Männer von gestern weniger werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren, zum Abschluss: Es ist ein weiter Weg bis zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Das Motto der Vereinten Nationen zum Internationalen Frauentag 2015 heißt „Make It Happen“. – Sorgt dafür, dass es passiert. – Das werden wir tun. Heute ist ein Tag, auf den wir stolz sein können. Wir feiern den Internationalen Frauentag seit 1911. Dieses Mal werden wir erstmalig einen Internationalen Frauentag feiern, an dem der Deutsche Bundestag eine Quote beschlossen hat. Das ist ein historischer Schritt. Die Quote kommt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung. (Langanhaltender rhythmischer Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein bisschen die Woche der klitzekleinen Fortschritte. (Widerspruch bei der SPD) Gestern ging es um ein Mietpreisbremschen, und heute diskutieren wir ein Frauenquötchen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Frauenknöllchen?) Wissen Sie, eines ist völlig unstrittig: Die Frauenquote für die Wirtschaft ist längst überfällig. (Christine Lambrecht [SPD]: Genau!) Die jahrelangen Appelle an die Wirtschaft haben nichts genutzt. Selbstverpflichtungen haben nicht geholfen. In den meisten Führungsetagen gibt es nicht per Gesetz, aber doch in der Praxis eine Männerquote von gut und gerne 80 Prozent. Das müssen wir wirklich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Viele Frauen scheitern auf dem Weg nach oben nicht etwa daran, dass sie schlechter ausgebildet sind oder weniger können, sondern sie scheitern an Männerbünden in den Vorstandsetagen und an der unsichtbaren gläsernen Decke. Auch das kann tatsächlich nur eine Quote beheben. Deswegen freuen wir uns natürlich im Prinzip, dass die Quote für die Privatwirtschaft endlich kommt. (Beifall bei der LINKEN) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Lichte betrachtet muss man natürlich unterm Strich feststellen, dass die feste Quote gerade einmal für 180 Frauen in dieser Republik kommt. 180 Frauen in dieser Republik dürfen sich jetzt über die Quote, die wir heute beschließen, freuen. (Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch super!) Ich finde, das ist besser als nichts, aber ich finde auch, da wäre mehr drin gewesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Mehr geht immer!) Für die restlichen 3 500 Unternehmen, die entweder börsennotiert oder mitbestimmungspflichtig sind, soll es lediglich Zielgrößen geben. Dazu sagen wir: Das ist eigentlich nichts anderes als die Selbstverpflichtung im neuen Gewand, und die ist schon einmal gescheitert. Deswegen sagen wir als Linke ganz deutlich: Eine wirkliche Frauenquote muss für alle Unternehmen gelten. (Beifall bei der LINKEN) Gerade weil wir hier tatsächlich über gerade einmal 180 Frauen reden, die von diesem Gesetz profitieren werden, kann man sich natürlich schon fragen: Warum eigentlich der ganze Widerstand? Warum mussten die Frauen aus Initiativen und Verbänden sowie aus allen Fraktionen so lange dafür kämpfen? Der ganze Widerstand, der vor allen Dingen aus Wirtschaftskreisen kam, aber auch aus der Union mitgetragen wurde, begleitet auch von dem einen oder anderen sexistischen Spruch, war einfach völlig unangemessen und steht in gar keinem Verhältnis zu dem, was im Gesetzentwurf tatsächlich geregelt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt schreiben wir heute für die 108 Unternehmen eine feste Frauenquote von 30 Prozent vor. Warum so zaghaft? Wir hätten uns schon gefreut, wenn wir hier eine Frauenquote von 50 Prozent hätten beschließen können. Ich stelle fest – das ist in der Tat begrüßenswert –, dass in dieser Frage die Debatte tatsächlich weitergegangen ist. Das erkennt man, wenn man – vor ein paar Tagen habe ich das gemacht – beispielsweise die Lokalzeitungen aufschlägt. Da ging es um den Schützenverein im niederbayerischen Obergessenbach. Der hat sich in der Lokalpresse damit gerühmt, dass er einen neuen Vorstand gewählt und eine Frauenquote von fast 50 Prozent eingeführt hat. (Sönke Rix [SPD]: Sehr gut! Und das ohne Gesetz!) Dazu muss ich sagen: Daran hätte sich die CSU in den letzten Jahren einmal ein Beispiel nehmen können. Diese Praxis, die es jetzt in Niederbayern gibt, hätte auch locker bundesweit zur Geltung kommen können. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Leider, verehrte Kollegen aus der Union, ist der Fortschritt mit Ihnen eine Schnecke. Wenn wir mit dieser Geschwindigkeit weitermachen, müssen wir noch weitere 100 Jahre warten, bis wir endlich eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Unternehmen haben. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir einfach noch ein bisschen mehr Tempo machen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist uns unverständlich – das wird ja auch von Gewerkschaftsseite heftig kritisiert –, dass die 30-Prozent-Quote für den gesamten Aufsichtsrat gelten soll. Das Problem ist, dass die Quote von der Arbeitnehmerseite häufig schon eingehalten wird, von der Kapitalseite aber so gut wie gar nicht. Bei einer Gesamtbetrachtung kann sich die Arbeitgeberseite also ein Stück zurücknehmen und muss an diesem Fortschritt selber nicht teilhaben. Deswegen sagen wir: Die Gesamtbetrachtung des Aufsichtsrates ist eine falsche Regelung. Man hätte das mit minimalem Aufwand ändern können. Ich verstehe nicht, warum wir das heute nicht einfach tun. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es auch sehr bedauerlich, dass bei Nicht-einhaltung der Quote eigentlich nichts folgt. Wenn die 108 Unternehmen die Quote nicht einhalten, heißt das: Der Stuhl bleibt leer. Bei den anderen 3 500 Unternehmen folgt bei Nichteinhaltung der Quote im Grunde nichts. Das macht die sogenannte Flexiquote endgültig wirkungslos. Meine Damen und Herren, trotz all dieser Einschränkungen begrüßen wir natürlich den ersten Einstieg in eine Frauenquote in der Privatwirtschaft und können diesem Teil des Gesetzentwurfs bei einer getrennten Abstimmung auch zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber leider ändern Sie ohne Not – mir erschließt sich nicht, warum – gute Gesetze zum Schlechteren. Ja, Sie hören richtig: Die Einführung der Frauenquote in der Privatwirtschaft wird erkauft mit einer deutlichen Verschlechterung im öffentlichen Dienst. Das finde ich wirklich absurd. (Beifall bei der LINKEN) Eine bestehende Quote von 50 Prozent bei Bundesgremien wird nun auf 30 Prozent gesenkt. Es ist völlig klar, dass es an der Umsetzung der Quote hapert; aber die Quote abzusenken, anstatt zu schauen, wie wir sie durchsetzen können, ist nun wirklich der falsche Weg. Noch umstrittener sind die Änderungen im Bundesgleichstellungsgesetz. Hier ging es um die klassische Frauenförderung. Nach einem neumodischen Grundsatz der Geschlechteransprache soll es nun darum gehen, dass nicht länger Frauen gefördert werden, sondern das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht, also beispielsweise im Vorzimmer die Männer. In der Anhörung ist Ihnen diese sogenannte Männerquote ordentlich um die Ohren geflogen. Ich muss sagen, dass ich wirklich selten eine Anhörung erlebt habe, in der ein Gesetzentwurf von den Sachverständigen, die von den Koalitionsfraktionen benannt wurden, so eindeutig verrissen wurde. Diese Männerquote ist nichts anderes als die Verkennung der Tatsache, dass es Frauen sind, die immer noch strukturell benachteiligt werden, wie es die Regierung selber feststellt. Aber wir sind froh, dass im Ausschuss mit einem Änderungsantrag auf den letzten Metern zumindest dafür gesorgt wurde, dass die diesbezügliche Formulierung vielleicht nicht mehr verfassungswidrig ist, was viele Sachverständige befürchtet haben. Aber es ist noch völlig unklar, was die neue Formulierung in der Praxis bedeutet. Ich möchte ganz ehrlich sagen: Auch wir begrüßen einen Ansatz, der Männer mitnimmt. Auch ich fände es sehr begrüßenswert, wenn wir mehr Männer in Vorzimmern, als Grundschullehrer oder als Kindergärtner hätten. Die Frage ist nur: Wie kann man das tatsächlich regeln? Die Männer sind in diesen Berufen ja nicht deswegen unterrepräsentiert, weil sie strukturell benachteiligt sind, sondern weil diese Berufe so schlecht bezahlt sind. Deswegen sagen wir: Sorgen Sie für eine bessere Bezahlung in diesen Berufen! Das ist der beste Weg, damit sich endlich mehr Männer für diese Berufe bewerben. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich noch sagen, was aus meiner Sicht der richtige Weg gewesen wäre: Wir als Linke fordern eine Frauenquote von 50 Prozent (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bloß?) ohne Wenn und Aber, die nicht nur für die Aufsichtsräte, sondern bitte schön auch für die Vorstände gelten sollte. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Verlangen Sie das auch in der Fraktionsführung? 50 Prozent?) Das wäre konsequent. Ich finde es bedauerlich, dass wir uns darauf heute nicht verständigen können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Nadine Schön hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Liebe Besucher der Debatte, die Sie heute sehr zahlreich anwesend sind! Ich sehe auf der Tribüne auch Kämpferinnen für mehr Frauen in Führungspositionen: Frau Schulz-Strelow, Frau Süssmuth, Rita Pawelski, die dieses Thema in den letzten Jahren sehr engagiert vorangebracht haben. Herzlich willkommen auch von unserer Seite! Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Ministerin hat gesagt, dass heute ein guter Tag für Frauen ist. Ich sage: Der Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen, wird der beste Tag für Frauen sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Das wird der Tag sein, an dem wir keine gesetzlichen Maßnahmen mehr brauchen, um sowohl im öffentlichen Dienst als auch in den Unternehmen zu mehr Frauen in Führungspositionen zu kommen. Das wird der Tag sein, an dem wir keinen Gleichstellungsplan mehr brauchen, um mehr Familienfreundlichkeit zu ermöglichen und die Karrierewege von Frauen im öffentlichen Dienst besser zu gestalten. Der Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen, wird der wahre gute Tag für die Frauen in unserem Land sein. Deshalb freue ich mich heute auf den Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr schade, dass wir überhaupt gesetzliche Regelungen brauchen, um für mehr Frauen in Führungspositionen zu sorgen. Klar ist: Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungen ist vorbei. Man hat sich 2001 unter Rot-Grün zusammengesetzt und gesagt: Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Die Frauen sind heute gut ausgebildet und kommen jetzt von alleine nach oben. – 14 Jahre später müssen wir feststellen, dass das leider nicht der Fall ist. In den 200 größten Unternehmen sind 18 Prozent Frauen in Aufsichtsräten und – noch viel erschreckender – gerade einmal 5 Prozent in Vorständen. Mir kann wirklich niemand sagen, dass es nur eine Handvoll Frauen in ganz Deutschland gibt, die fähig und willig sind, in den Vorstandsetagen, in den Führungsetagen der deutschen Unternehmen ihre Arbeit zu verrichten. 5 Prozent in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen, das ist wirklich sehr schade. Deshalb ist es gut, dass wir uns jetzt mit mehr Engagement zusammen mit der Wirtschaft auf den Weg machen, diese erschreckende Zahl zu verbessern, zu höheren Prozentzahlen zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Gegensatz zu manch anderen glaube ich noch nicht einmal, dass es böser Wille der Männer ist, Frauen nicht nach oben zu lassen. Nein, es sind die Strukturen in den Unternehmen, die dazu führen, dass es für Frauen offensichtlich schwierig ist, nach oben zu kommen, obwohl wir sehr viele gut ausgebildete Frauen haben, obwohl wir sehr viele gute Ökonominnen und Juristinnen haben, die auch in den Aufsichtsräten sitzen könnten. Wir haben eine gläserne Decke. Deshalb ist es Zeit, dass wir uns zusammen mit der Wirtschaft fragen: Was kann man konkret tun, um das besser zu machen? Deshalb führen wir heute eine Quote ein, eine Quote mit Augenmaß, und zwar eine feste Quote für die Aufsichtsräte der großen Unternehmen, die Vorbildcharakter haben, auch weil sie börsennotiert sind, und eine flexible Quote für viele andere Unternehmen. Es ist eben so, dass ein Stahlunternehmen anders zu betrachten ist als eine Bank, weil hier einfach andere Voraussetzungen herrschen. Ich weiß, dass sich der Koalitionspartner für die breite Mehrheit der Unternehmen eine Quote von 40 Prozent gewünscht hätte. Aber wir sagen: Man kann hier nicht mit der Brechstrange vorgehen. Wir brauchen konkrete Zielvorgaben. Es ist entscheidend, dass sich etwas in den Unternehmen ändert. Aber ein Stahlunternehmen ist anders zu betrachten als eine Bank. Deshalb ist die Mischung aus Flexiquote für eine Vielzahl von Unternehmen und deren Führungsetagen und fester Quote für die Aufsichtsräte der Unternehmen, die einen besonderen Vorbildcharakter haben, genau richtig. Deswegen bringen wir heute ein Gesetz auf den Weg, das ausgewogen ist, die Quote mit Augenmaß einführt, für die Unternehmen in unserem Land absolut machbar ist und sie nicht, entgegen vielen Befürchtungen, mit zu viel Bürokratie überfordern wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht im öffentlichen Dienst darum, Strukturen aufzubrechen. Auch hier ist nicht derjenige am fleißigsten, der am längsten im Büro sitzt. Auch hier stellen wir leider fest, dass es heute immer noch so ist, dass diejenigen – Männer und Frauen –, die familiären Verpflichtungen nachgehen, die ihre Kinder erziehen, die wegen der Kinder eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen, es danach schwerer haben, bei ihrer Karriere im öffentlichen Dienst nach oben zu kommen. Deshalb sagen wir: Was wir von den Unternehmen in Deutschland verlangen, verlangen wir auch im öffentlichen Dienst. Deswegen ändern wir das Bundesgleichstellungsgesetz und das Bundesgremienbesetzungsgesetz mit dem Ziel, auch bei den Unternehmen, in denen der Bund besetzt, mehr Frauen in die Gremien zu entsenden, und mit dem Ziel, auch in der öffentlichen Verwaltung Strukturen zu ändern. Uns als Unionsfraktion ist wichtig, dass das Thema Familienfreundlichkeit zukünftig eines der Leitbilder im öffentlichen Dienst sein wird. Das stand immer schon im Gesetz, aber sowohl Männer als auch Frauen, die wegen der Erziehung ihrer Kinder eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen, haben es schwer. Deshalb ist ein moderner Ansatz von Gleichstellungspolitik, dass sich für beide Geschlechter etwas ändert, wenn sie denn Familienaufgaben wahrnehmen wollen. Deshalb haben wir den Gesichtspunkt der Familienfreundlichkeit in das Gesetz hineinverhandelt. Ich bin meinen Kolleginnen und Kollegen auch aus dem Innenbereich sehr dankbar, denen dies ebenfalls ein großes Anliegen war. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Lay, Sie haben angesprochen, dass verschiedene Sachverständige gesagt hätten, das Gesetz sei verfassungswidrig. Sie haben aber außer Acht gelassen, dass wir im Ausschuss zahlreiche Änderungsanträge eingebracht haben, die die Union in den letzten Tagen ausgehandelt hat. (Caren Lay [DIE LINKE]: Die aber in der Praxis untauglich sind!) Sie führen dazu, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist, dass es wesentlich weniger bürokratisch ist als noch vor zwei Wochen und dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, auch im öffentlichen Dienst. Gleichmacherei auf allen Ebenen macht gar keinen Sinn. Wir wollen, dass sich in den Führungspositionen etwas ändert. Wir wollen, dass die Behörden Spielraum haben, um ihre Frauenförderung vorzunehmen. Wir wollen aber nicht mit der Brechstange auf allen Ebenen 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen durchsetzen. Das würde die Verwaltungen überfordern. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Och!) – Ja, das führt dazu, dass man keine Zeit mehr hat, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Deshalb haben wir diesen Punkt im Gesetz geändert. Dadurch wird das Gesetz weniger bürokratisch. Dadurch wird das Gesetz verfassungsgemäß. Ich bin sehr dankbar, dass wir das in den letzten Tagen noch mit dem Koalitionspartner aushandeln konnten. (Beifall bei der CDU/CSU) Insgesamt ist es ein gutes Gesetz, das die Strukturen in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst verändern wird. Es wird dazu führen, dass wir mehr Frauen in Führungspositionen bekommen. Es wird dazu führen, dass sich die Mentalität in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst ändert. Deshalb ist heute ein guter Tag für Frauen. Ich freue mich ganz besonders auf den Tag, an dem wir diese Gesetze nicht mehr brauchen, weil wir dann die Gleichberechtigung erreicht haben und ebenso viele Frauen in Führungspositionen sind wie Männer. Herzlichen Dank für die guten Beratungen! Herzlichen Dank an alle, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen engagiert haben! Ihre Arbeit ist noch nicht vorbei – da bin ich mir sicher. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, dass wir in Deutschland mehr Gleichberechtigung, mehr Frauen in Führungspositionen und ein gutes Miteinander der Geschlechter haben; denn nur so können wir wirtschaftlich international erfolgreich sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, das ist heute ein großer Tag. Das ist heute ein Meilenstein in der Debatte um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) So viele Frauen haben dafür gekämpft, dass es endlich gleiche Rechte gibt. Heute muss man tatsächlich einigen ganz persönlich für die Quote danken. Ich will Ramona Pisal vom Deutschen Juristinnenbund danken. Sie haben hart gekämpft, und zwar schon richtig lange. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Natürlich danke ich den Frauen von FidAR. Frau Schulz-Strelow, Sie sind erwähnt worden. Es waren auch viele andere, die sich immer wieder auf den Weg gemacht haben und nicht nur Eulen nach Athen getragen haben, sondern hart gekämpft und gesagt haben: Wir hören nicht auf, wir lassen euch nicht in Ruhe, und, ja, wir nerven. – Herzlichen Dank dafür! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das hat gezeigt: Es gibt sie, die Frauen, die in Führungspositionen am besten und gut aufgehoben sind. Herzlichen Dank an die Frauen, die hier im Parlament gemeinsam gekämpft haben, die Berliner Erklärung initiiert haben und parlamentarisch wie außerparlamentarisch miteinander gefightet haben. Ich will Ekin Deligöz danken, ich will Rita Pawelski danken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das war ein schwerer Weg für Sie, und heute kriegen Sie die Belohnung dafür. Ich will Dagmar Ziegler danken, und ich will Renate Künast danken. Sie waren diejenigen, die bei der Berliner Erklärung ganz vorn standen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will danken für Mut. Ich will danken für Ausdauer. Ich will danken für Ihre Geduld, dafür, dass Sie die Sprüche ausgehalten haben: Wollen Sie etwa eine Quotenfrau sein? (Ulli Nissen [SPD]: Genau!) Frauen bestehen doch durch Qualität! – Stimmt schon. Bei Männern kommt es darauf nicht nur an; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) da reichen im Zweifel auch die entsprechenden Netzwerke. Deswegen hier ein klares Bekenntnis: Ja, ich bin eine Quotenfrau, und ich bin stolz darauf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Die heutige Abstimmung über diesen Gesetzentwurf ist nicht das Ende des Kampfes, sondern ein Anfang für mehr: für mehr Chancengleichheit, aber vor allem auch für mehr unternehmerischen Erfolg, für mehr Frauen ganz oben und in den Ebenen darunter. Deswegen ist es schon richtig, von einem Durchbruch zu sprechen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Es ist nicht nur ein Durchbruch, weil sich so viele Frauen unterschiedlicher Parteien zusammengetan haben, sondern auch, weil die gläserne Decke endlich zumindest Risse bekommt. Es ist ein Durchbruch; denn die heutige Abstimmung zeigt, dass die Diskussionen der letzten 30 Jahre nicht umsonst waren; auch wenn wir nicht zufrieden sein können. Es ist schon traurig, dass der Prozess so lange gedauert hat. Eigentlich waren wir im Dezember 2011 schon einmal genauso weit, wie wir es heute sind. Dann haben Sie von der Union allerdings die Zeit genutzt, zu bremsen, zu bremsen, zu bremsen. Frau Schwesig, wenn Sie ehrlich sind, dann werden auch Sie sagen: Das ist eher eine Quote light, und das nervt. – Vielleicht liegt es ja daran, dass die Union nur ein Drittel Frauen hat, in der Großen Koalition insgesamt liegt der Anteil bei nicht einmal 32 Prozent. Ich sage Ihnen: Das wird nur der Anfang sein. Wir werden weiterkämpfen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Eine Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen. Das Theater um die Quote, das Sie in den letzten Monaten hier untereinander aufgeführt haben, ist symptomatisch für das, was die Große Koalition macht. Die Serie heißt „Großer Streit in der Großen Koalition“; ich habe allerdings vergessen, die wievielte Folge das gerade ist. In den letzten zehn Tagen ging es dabei um Stromtrassen, Maut, Mindestlohn, Mietpreise, Einwanderung, Soli und Kindergeld; (Mechthild Rawert [SPD]: Kita!) das ist eine unvollständige Aufzählung. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Ordentlich regieren tut man so nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Was?) Sie nerven die Öffentlichkeit, und Sie nerven auch das Parlament. Ich will zur Quote zurückkommen. Es gibt eine Sache, die nichts mit dem Streit untereinander zu tun hat, sondern damit, dass auch noch schlampig gearbeitet wird. „Schlecht gemacht“ war noch das Netteste, was die Sachverständigen in der Anhörung gesagt haben. Ja, meine Güte! Wie lange hatten Sie eigentlich Zeit? Gibt es in den Ministerien tatsächlich niemanden, der ein solches Gesetz auf Verfassungsfestigkeit prüft? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Schwesig, ich sage Ihnen: Die Frauen haben es verdient, dass Sie professionell an einem solchen Gesetzentwurf arbeiten. Sosehr ich mich über Risse, Durchbruch und Anfang freue, so ehrlich muss man sagen, wie klein die Maus ist, die den großen Elefanten „Gleichstellung“ schlucken soll. Wenn wir heute hier von der Quote sprechen, dann sprechen wir über etwas mehr als 100 Unternehmen; ehrlich gesagt, die Heulerei bei vielen dieser Unternehmen nervt auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das heißt, die Arbeitgeberseite muss in den nächsten Jahren immer mal 60 Frauen finden, die bereit sind, die es können und die es wollen. Wir reden von 60 Frauen! Das ist wirklich nur ein Anfang. Man kann nicht sagen: Das ist ein großer Erfolg. Ich bin mir ganz sicher: Diese 60 Frauen könnten wir innerhalb eines Monats finden. Wir müssten nicht Jahre warten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn man sich die Geschichte der Gesetzentwürfe anschaut, dann muss man wahrlich sagen: Das war ein schwerer Weg. Und es wurde ja alles versucht: mit gutem Zureden, mit Frauen, die deutlich besser waren, als die männlichen Kandidaten, mit Selbstverpflichtung und wieder mit Reden. Ehrlich gesagt: Manchmal hatte man den Eindruck, diese Debatte hat die Dimension von aufsuchender Sozialarbeit. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Der Grund für den Widerstand gegen die Quote ist und bleibt Machterhalt. Seit Jahren reden wir im Bundestag mit der Wirtschaft über Frauen in Führungsetagen. Aber die Appelle an Freiwilligkeit haben nichts bewegt. Es ändert sich nur etwas, wenn es einen relevanten Anteil von Frauen in den Führungsetagen gibt. Es wird sich nur etwas ändern, wenn es dafür eine Verpflichtung gibt. Ja, uns wäre ein Frauenanteil von 40 Prozent lieber gewesen. Ja, es wäre uns sehr viel lieber gewesen, Sie hätten die 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen miteinbezogen; das ist heute auch unser Angebot an Sie. Sie könnten noch dafür stimmen. Aber, ehrlich gesagt, so wie Sie aufgestellt sind, ist das noch nicht einmal eine kleine Mutprobe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin mir nach vielen Gesprächen mit Vertretern von Unternehmen, bei denen ich Argumente gehört habe, die mich echt fassungslos gemacht haben, ganz sicher: Die Quote wird auch für die Unternehmen gut sein. Alle reden selbstverständlich von Diversity, und das hat mit unternehmerischem Erfolg zu tun. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Argument, das ich immer wieder gehört habe, war, Frauen seien für solche Jobs zu wenig vorbereitet. Aha. Wie ist das eigentlich bei der Bankenkrise gewesen? War da das Problem, dass die Männer, die die Mehrheit in den Aufsichtsräten gestellt haben, zu wenig vorbereitet waren? Dann wird gesagt, Frauen wollten ja gar nicht. Super Argument! Vielleicht sollte man sich mal darüber Gedanken machen, warum manche Frauen sagen, sie wollen nicht! Vielleicht haben sie keine Lust auf eine Kultur, bei der es weniger um die Sache geht als um Konkurrenz und Wichtigtuerei. Klar ist aber auch: Heute ist der Tag, wo die Frauen sagen müssen: Ja, ich will, und selbstverständlich kann ich das auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen in unserer Wirtschaft das Potenzial von Frauen für gute Führungskultur, wir brauchen das Potenzial für neue Impulse. Und: Nein, wir sind immer noch nicht müde, wir halten noch eine ganze Menge Macho-sprüche aus; da können Sie sich sicher sein. Und damit das klar ist: Frauen bilden Banden, weiterhin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Birgit Kömpel hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Sehr geehrte Frau Ministerin Schwesig! Sehr geehrter Herr Minister Maas! Und Sie sind heute noch nicht genannt worden: Liebe Frau Scherb vom Deutschen LandFrauenverband! Meine Damen und Herren! Der norwegische Wirtschaftsminister Trond Giske sagte zur Einführung der gesetzlichen Frauenquote in seiner Heimat: Brechen wir diese Männerbastion nicht, schaffen wir nie die Gleichberechtigung. – Und es stimmt: Die freiwilligen Selbstverpflichtungen sind auf ganzer Linie gescheitert, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aber nicht daran, meine Damen und Herren, dass es nicht genügend qualifizierte Frauen gibt. Die gibt es mehr als genug: besser ausgebildet und besser qualifiziert als ihre männlichen Mitstreiter. In unseren Führungsetagen aber sitzen nur Männer – weil Männer immer noch Männer fördern, weil Netzwerke immer noch männlich dominiert sind. Das bedeutet, meine Damen und Herren: Nicht die Besten gelangen auf die Führungspositionen, sondern nur die am besten vernetzten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU]) Frauen stoßen auf ihrem Weg nach oben noch immer an die gläserne Decke. Die Quote schafft jetzt faire Wettbewerbsbedingungen. Nun zum Bundesgleichstellungsgesetz. Warum kein reines Frauenförderungsgesetz? Zunächst einmal möchte ich betonen: Der SPD war die Frauenförderung schon immer wichtig und wird es weiterhin sein. Sie ist auch in diesem Gesetz klar verankert. (Beifall bei der SPD) Aber wir sind – unsere Ministerin Manuela Schwesig hat es gesagt – für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern. Was bedeutet das? Das heißt, wir wollen Rollendenken aufbrechen, wir wollen die sogenannten Männer- bzw. Frauenberufe neu bewerten, und wir möchten, dass Frauen und Männer sich Familienarbeit partnerschaftlich teilen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn bisher ist Frauenarbeit – auch gemäß unserem Rollendenken – fast immer weniger wert. Krankenschwestern und Erzieherinnen, die wahrlich Verantwortung tragen, werden oft viel schlechter bezahlt als die meisten männlichen Werksarbeiter. Das ist schwer zu verstehen, und hier müssen wir ansetzen; denn dann erst gewinnen wir männliche Erzieher und mehr Frauen für unsere Polizei. Das, meine Damen und Herren, ist gerechte Teilhabe im Berufsleben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber Gleichberechtigung fordert noch viel mehr: Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, das muss gleichermaßen von Frauen und Männern übernommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bisher leisten diese Arbeit in der Regel eben die Frauen. Das neue Gesetz richtet die Vereinbarkeitsangebote daher ausdrücklich auch an Männer. Diese haben Vereinbarkeitsangebote in der Vergangenheit bisher meist ausgeschlagen, natürlich auch weil sie berufliche Nachteile befürchtet haben. Und jetzt? Jetzt haben wir ein Benachteiligungsverbot. Wer eine Vereinbarkeitslösung wählt, darf zukünftig nicht mehr benachteiligt werden, nicht bei der Beförderung, nicht bei der Rückkehr in Vollzeit, nicht auf dem Karriereweg. So geht Gleichstellung, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD) Wir müssen den Mädchen und den jungen Frauen aber auch sagen: Auf geht’s, ihr seid am Zug! Geht euren Weg! Macht Karriere! – Ich habe eine 17-jährige Tochter und bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sie von der Quote profitieren wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie wird nicht mehr gegen die gläserne Decke stoßen – trotz hervorragender Leistungen. Noch ein Beispiel. Seit über 20 Jahren arbeite ich in einem Bereich, in dem ich mit Personalentscheidungen zu tun habe. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen – frei nach Maggie Thatcher –: Willst du etwas gesagt haben, frag einen Mann. Willst du etwas getan haben, frag eine Frau. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Frauen sorgen nachweislich für mehr Effizienz in Führungsteams. Das beschränkt sich aber nicht darauf, dass Besprechungen und Konferenzen kürzer werden. Gemischte Führungsteams sind auch kreativer und produktiver. Endlich gibt es mal geistreiche Witze, Begeisterung und Inspiration. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Aber auch Top-down verändert sich einiges. Plötzlich gibt es dann familienfreundliche und flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreuung, Angebote für Teilzeit- und Tele-arbeit auch für Männer. Quote sorgt für ein besseres -Arbeitsklima. Quote sorgt für eine neue, bessere Unternehmenskultur. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weil es gerade so perfekt passt, noch ein Beispiel. Mein Büro in Berlin wird in Teilzeit geführt. Ja, Sie haben richtig gehört: Meine Büroleitung arbeitet in Teilzeit. Wir sehen also: Führungspositionen und Teilzeit sind kein Widerspruch, auch im Deutschen Bundestag nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sehen also: Die Wahrnehmung von Führungspositionen klappt auch in Teilzeit. Darum, meine Herren in der Wirtschaft: Hören Sie auf zu jammern und zu klagen! Die Quote wird kommen. Sie wird keinesfalls schaden, sondern wird vielfachen Nutzen bringen. Sie ist überfällig; denn Sie, meine Herren, hatten Ihre Chance. Diese haben Sie vertan. (Thomas Oppermann [SPD]: Was? – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut Ding will bekanntlich Weile haben. Viele Monate wurde über den Gesetzentwurf diskutiert. Rekordverdächtige sechs Referentenentwürfe gingen diesem Entwurf voran. Gerade die Wirtschaft jaulte am lautesten auf. Die Widerstände von Unternehmen, aber auch von Teilen der Union waren teilweise aberwitzig. Wie immer wurde der Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland heraufbeschworen – wie immer zu Unrecht. Aus linker Sicht gibt es durchaus einige Kritikpunkte an diesem Gesetzentwurf; darauf hat meine Kollegin Caren Lay schon deutlich hingewiesen. Aber ich muss hier auch sagen: Gut Ding musste nicht nur Weile haben, sondern es musste zusammen mit Initiativen und Verbänden auch beharrlich Druck aufgebaut werden. Ich bin froh, dass es gemeinsam gelungen ist, auch unter Beteiligung der Linken, dass es in Deutschland zumindest ein bisschen Quote gibt, ein bisschen „gut Ding“, woran wir alle teilhaben können und in Zukunft teilhaben werden. (Beifall bei der LINKEN) So können wir zumindest den Regelungen für den Bereich der Privatwirtschaft zustimmen; denn es ist in der Tat ein guter Schritt, ein guter Anfang. Natürlich muss die Tendenz sein, weiterzumachen. Dabei brauchen die Gegner einer generellen Quotierung und sonstige Hard-liner gar nicht blass zu werden und den Untergang des männlichen Abendlandes heraufzubeschwören; denn die Frauenquote soll gar nicht für alle Unternehmen gelten. Es geht nicht um eine Quote im Sinne von fifty-fifty, sondern um schüchterne 30 Prozent. Und diese Quote soll ja nur für die Aufsichtsräte, allerdings nicht für die Vorstände gelten. Trotzdem: Es ist ein wichtiger, ein historischer Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Vor allen Dingen ist der heutige Tag nicht nur ein guter Tag für Frauen, sondern eigentlich auch ein guter Tag für Männer (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und für die Unternehmen, die jetzt keine Ausreden mehr haben, auf den Sachverstand und die Qualität von Frauen in ihren Reihen zu verzichten. Eine feste Quote von 30 Prozent soll es nur für die Aufsichtsräte der ungefähr 100 Großunternehmen geben. Aber ich möchte an dieser Stelle schon noch einmal fragen: Was passiert eigentlich mit den 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen? Selbstverpflichtungen haben schon bei den Banken nichts genützt. Sie nützen auch hier nicht. Bessern Sie hier nach. Sanktionen bei Nichterfüllung der selbst gesteckten Zielvorgaben sind nicht vorgesehen. Einfach einen Bericht hinzuschludern, reicht nicht aus. Das alles hat im Nachgang die Durchschlagskraft eines Pappschwerts. Ich möchte Sie auffordern, diese Leerstelle zu füllen und vor allen Dingen die 30-Prozent-Quote rasch auf alle börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen auszuweiten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich kämpft die Linke auf lange Sicht für eine Ausweitung der Quote auf 50 Prozent in den Aufsichtsräten, aber vor allen Dingen in den noch wichtigeren Vorständen. Grundsätzlich fordern wir das ja nicht nur für die Privatwirtschaft, sondern auch für den öffentlichen Dienst und die gesamte Arbeitswelt. Wir sollten sehen, dass diese Quote ein Mittel zur Gleichstellung ist. Sie ist aber nicht deren Ziel. Wir müssen die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft beseitigen. Um es klar zu sagen: Wir müssen weiter die Weichen dafür stellen, damit Frauen – erst recht bei gleicher Qualifikation und Eignung – in den Führungsetagen zur Selbstverständlichkeit werden und keine exotischen Ausnahmen sind. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte hier noch einmal betonen, dass Frauen nicht nur im Alltag und im gesellschaftlichen Zusammenleben, sondern auch in der Arbeitswelt gleichgestellt werden müssen. Gerade Frauen sind von Niedriglöhnen und von prekärer Beschäftigung betroffen. Nicht nur für sie, aber gerade auch für sie brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn – ohne Löcher, ohne Hintertüren und ohne Tricksereien. Es muss weiter bei den Löhnen und bei den Arbeitsbedingungen angesetzt werden, meine Damen und Herren von der Regierungsbank. Wir Linke stehen nach wie vor für gute Arbeit und gute Löhne. Das gilt gleichermaßen für Frauen wie für Männer. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte mit einem Wunsch für die Zukunft schließen: Ich wünsche mir für alle Frauen, aber natürlich auch für die Männer und für die Unternehmen, dass die Nachfrage, ob man eine Quotenfrau sei, endlich der Vergangenheit angehört. Vielmehr muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich genauso wie bei den Männern Qualität durchsetzt – und das nicht nur, weil übermorgen Frauentag ist. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Der siebte Redner ist der erste Mann. Das ist, glaube ich, gut so. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will jetzt nicht die Reihe der Personen, denen zu danken ist, fortsetzen. Ich will aber sagen: Es gibt auch einige Männer, die für die Quote gekämpft haben. Auch ihnen sei einmal Dank ausgesprochen für die Arbeit der letzten Wochen und Tage – wie ich glaube, auch zu Recht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte anknüpfen an das, was gesagt wurde. Wir haben immer Folgendes gesehen: Die Quote ist nicht das Ziel. Die gleichberechtigte Teilhabe ist das Ziel. Die Quote ist ein Hilfsmittel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage das als jemand, der wie viele von uns Freiheit als das grundlegende Ideal ansieht. Quoten und Quoren bedeuten immer eine Einschränkung der Freiheit. Insofern ist das, was Nadine Schön gesagt hat, richtig. Das Ziel muss es sein, dass wir eines Tages auf dieses Gesetz verzichten, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der wir die gleichberechtigte Teilhabe verwirklicht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zwei Dinge wurden gesagt, die auch durch Studien immer wieder belegt werden: Erstens. Frauen werden, was Führungspositionen angeht, weiterhin benachteiligt. Zweitens wurde gesagt: Viele in Verantwortung stehende Personen, insbesondere Männer, hatten die letzten Jahre viele Chancen. Viele Unternehmen hatten Chancen, freiwillig dafür zu sorgen, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Aber jetzt ist angesichts der weiterhin geringen Anzahl von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und auch im öffentlichen Dienst der Zeitpunkt gekommen, an dem der Gesetzgeber den Auftrag des Grundgesetzes umsetzt. Denn das Grundgesetz schreibt uns in Artikel 3 vor, Gleichberechtigung sicherzustellen. Deswegen ist es durchaus ein historischer Tag; das ist richtig. Noch schöner wird der Tag sein, an dem wir auf dieses Gesetz verzichten können. Noch einmal: Wir machen eigentlich nicht mehr, als das Grundgesetz zu beachten. Das Ziel ist es, eine echte und tatsächliche Chancengleichheit zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte gleich noch auf einzelne Punkte des Gesetzesvorhabens eingehen. Zuvor möchte ich allerdings noch zwei, drei Sätze zu grundsätzlichen Fragen einer Gleichstellungspolitik und Frauenpolitik sagen. Denn es lohnt sich immer, in der Politik zu fragen: Was ist eigentlich das Staatsverständnis, hinter dem wir stehen? Worum geht es eigentlich grundsätzlich bei der Debatte über Gleichstellungspolitik? Frauen und Männer sind nicht gleich. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Dr. Eva Högl [SPD]: Gott sei Dank!) Sie sind gleichberechtigt, und sie sind gleichwertig. Gleichstellungspolitik muss nach unserer Meinung immer vom gleichen Selbstbestimmungsrecht und dem gleichen Recht eines jeden Individuums ausgehen, nach einem glücklichen Leben zu streben und sein Leben so zu leben, wie er oder sie es möchte. Das Recht auf Selbstverwirklichung ist Kerngedanke der Freiheit. Die freiheitliche Grundordnung unserer Verfassung verpflichtet den Staat, das Recht auf Chancengleichheit zu ermöglichen und durchzusetzen. Echte Gleichstellungspolitik ist daher eine Politik der Freiheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitik kann nicht das Ziel haben, die Geschlechter unabhängig von ihren Interessen und ihren Neigungen gleichzumachen. Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitik kann auch nicht das Ziel haben, ein bestimmtes Frauen- oder Männerbild vorzuschreiben. (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielmehr ist das Ziel: Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitik konzentriert sich darauf, dort Nachteile zu beseitigen, wo sie für ein Geschlecht gegeben sind. In alle anderen Bereiche hat sich der Staat nicht einzumischen. Das setzen wir jetzt mit diesem Gesetz tatsächlich um. Wir sagen: Dort, wo es Benachteiligungen gibt, werden wir jetzt aktiv. Deswegen ist es auch an der Zeit, dass dieser Gesetzentwurf jetzt verabschiedet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben im parlamentarischen Verfahren lange und sehr intensiv diskutiert. Wir haben im privatrechtlichen Teil noch einige Veränderungen durchsetzen können, die gut und sinnvoll waren, (Ulli Nissen [SPD]: Na, na!) weil sie einerseits dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechen und andererseits dafür sorgen, dass wir kein Übermaß an Bürokratie haben. Dazu werden die Kollegen gleich noch einiges sagen. Beim öffentlich-rechtlichen Teil hatten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion allerdings erheblichen Nachbesserungsbedarf. Denn unser Ziel ist es nicht, Parität auf allen Ebenen der Bundesverwaltung zu haben, sondern unser Ziel ist es nur, Benachteiligungen abzubauen. Das heißt, statt Frauenförderung sah der Gesetzentwurf auf allen Ebenen der Bundesverwaltung das Prinzip der Geschlechterparität vor. Um eines klarzustellen: Auch ich sage, dass wir in vielen Bereichen, zum Beispiel in Kitas oder in Grundschulen, mehr Männer brauchen. In anderen Bereichen brauchen wir natürlich mehr Frauen. Aber Parität kann kein Staatsziel sein. Das Ziel des Staates ist es, Benachteiligungen im Sinne der Freiheit abzubauen, und nicht, mit einem jeweiligen Anteil von 50 Prozent Parität und Gleichheit zu schaffen. Das ist nicht Ziel des Staates. (Beifall bei der CDU/CSU) Das haben auch mehrere Sachverständige bei der Anhörung deutlich herausgearbeitet; dies wurde in der Debatte schon angedeutet. Hauptkritikpunkt der Sachverständigen war das Ziel der Geschlechterparität im Bundesgleichstellungsgesetzentwurf. In der Praxis hätte es bedeutet – das wurde häufig angesprochen –, dass die Bundesverwaltung auf allen Ebenen hätten schauen müssen, wie es mit der Parität aussieht und wie sie sie erreicht. Das wollten wir als Union mit unserem freiheitlichen Staatsverständnis nicht. Denn unser freiheitliches Staatsverständnis beruht darauf, dass der Staat nur dann gesetzlich eingreifen soll und darf, wenn bestehende Nachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen. Das Ziel der Geschlechterparität unabhängig von der Benachteiligung, also nur um der Parität willen, ist mit unserem Staatsverständnis nicht vereinbar. Deshalb war es gut, dass wir im parlamentarischen Verfahren – wir sind ja selbstbewusste Parlamentarier – das eine oder -andere noch geändert haben. Damit kommt jetzt zur Geltung, worauf es ankommt: Frauen, die strukturell benachteiligt werden, werden weiterhin gefördert. Das muss unser Ziel sein. Im Bereich der Privatwirtschaft wollen wir mit der festen Quote deutlich machen, dass dieses Ziel umgesetzt werden muss. Wir sind mit dem Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung zufrieden. Das Gesetz ist ein notwendiger Türöffner. Es soll einen kulturellen Wandel mit sich bringen, und zwar in allen Ebenen der Gesellschaft. Dieses Gesetz soll sich eines Tages überflüssig machen, sowohl hinsichtlich der Verwaltung als auch hinsichtlich der Privatwirtschaft. Ziel muss sein, dass wir über diese Themen gar nicht mehr diskutieren müssen, weil wir etwas erreicht haben, was unserem freiheitlichen Staatsverständnis entspricht. Dieses Ziel ist, dass wir eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen, und zwar nicht nur in Führungspositionen, erreichen und endlich eine Gesellschaft haben, in der wir nicht mehr über Quoten und Quoren diskutieren müssen, weil die Gleichberechtigung eine Selbstverständlichkeit ist. Dazu ist dieses Gesetz der vorletzte Schritt. Der letzte Schritt wird sein, dass wir dieses Gesetz, weil es überflüssig ist, „beerdigen“ können. Das wäre ein wirklich guter Tag für die Gleichstellungspolitik in Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Das werden wir beide nicht mehr erleben, Marcus!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich sage: Heute ist ein guter Tag für die Gleichstellung in unserem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denn die gesetzliche Quote für die Aufsichtsräte wird endlich Realität. Das ist ein großer Erfolg. Ich will sagen: Das ist wirklich großartig. Viele von uns hier im Parlament haben jahrelang dafür gestritten. Das war allerdings nicht nur im Parlament der Fall. Denn ohne die Unterstützung der Frauen aus Verbänden wie dem Deutschen Juristinnenbund, FidAR, dem Verband deutscher Unternehmerinnen, den Landfrauen und vielen anderen wären wir nicht so weit gekommen. Ich möchte stellvertretend Ramona Pisal, Monika Schulz-Strelow, Brigitte Scherb und auch meine Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk nennen. Ohne diese großartigen Frauen wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir alle haben immer wieder die gesetzliche Quote eingefordert, weil es keinen einzigen Grund gibt, den vielen hochqualifizierten Frauen irgendeinen Karriereweg zu verweigern, weil die jahrelange freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft den Frauen nichts gebracht hat und weil es mittlerweile zu einem echten Imageproblem für deutsche Unternehmen geworden ist, dass wir bei den Aufstiegschancen und der Bezahlung von Frauen eher Entwicklungsland sind. Für dieses großartige Engagement und für ihren langen Atem möchte ich allen Beteiligten herzlich danken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, liebe Bundesregierung, es ist schade, dass Sie Ihre Mehrheiten nicht genutzt und mehr daraus gemacht haben. Die 30-Prozent-Quote ist gut, sie ist aber kein wirklich großer Wurf. Wir fordern in unserem Gesetzentwurf 40 Prozent; das EU-Parlament fordert dies ebenso. Ich sage Ihnen ehrlich: Das hätten wir sehr gerne heute mit Ihnen hier beschlossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!) Was ich aber wirklich kritisieren muss, ist, dass Sie diese 30 Prozent nur für Aufsichtsräte in gerade einmal 108 Unternehmen festschreiben wollen. Da springen Sie deutlich zu kurz. Was wir brauchen, ist eine Quote für börsennotierte oder mitbestimmungspflichtige Unternehmen. Wir brauchen eine Quote, die für 3 500 Unternehmen gilt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das fordern wir Grüne, und das fordert FidAR. Damit würden wir in Sachen Gleichberechtigung wesentlich schneller nach vorne kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch beim Bundesgremienbesetzungsgesetz ist von Ihrer Ankündigung, die öffentlichen Unternehmen müssten mit gutem Beispiel vorangehen, nicht viel übrig geblieben. Erst war eine Quote von 50 Prozent vorgesehen. Jetzt ist nur noch eine 30-Prozent-Quote im Gesetz zu finden. Von einer Vorreiterrolle kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein. Liebe Ministerin Schwesig, lieber Minister Maas, ich muss Ihnen auch sagen: Was die technische Umsetzung angeht, war das abenteuerlich, was Sie hier gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Anhörung im Ausschuss letzten Montag hagelte es kurz vor Toresschluss heftige Kritik vonseiten der Sachverständigen. Der Tenor war: handwerklich schlecht gemacht, praxisuntauglich und in sich widersprüchliche Regelungen. – Mal ganz davon abgesehen, dass wir eine Sondersitzung des Ausschusses am Mittwochnachmittag einberufen mussten, weil noch Fehler gefunden wurden, ist das, finde ich, starker Tobak für einen Gesetzentwurf, für den ein Jahr lang Zeit war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Bundesgleichstellungsgesetz wurde zu Recht insbesondere die neu eingeführte Männerquote als verfassungswidrig kritisiert. Eines ist doch klar: Dass es zu wenige männliche Sachbearbeiter, Erzieher und Grundschullehrer gibt, liegt daran, dass sich Männer auf diese immer noch schlecht bezahlten Jobs schlichtweg nicht bewerben und diese Berufe als Frauenberufe gelten. Mit einer strukturellen Benachteiligung von Männern hat das nichts zu tun. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das haben Sie sozusagen in letzter Minute behoben, und das war ja wohl auch das Mindeste. Das Ziel, das Gesetz zu verschärfen, haben Sie aber nicht erreicht. Entscheidende Punkte wurden nicht angefasst. Es gibt keine Sanktionen, wenn das Gesetz nicht eingehalten wird. Außerdem gibt es immer noch kein Klagerecht für die Gleichstellungsbeauftragten. Deswegen sind diese auch dagegen Sturm gelaufen. Daher sage ich Ihnen: Streichen Sie Artikel 2 Ihres Gesetzentwurfs! Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Überarbeiten Sie das Bundesgleichstellungsgesetz auf einer soliden Grundlage! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alles andere ist der Versuch, ein totes Pferd wiederzubeleben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden deshalb heute getrennte Abstimmung beantragen und das Bundesgremienbesetzungsgesetz und das Bundesgleichstellungsgesetz ablehnen. Der Änderung des Aktienrechts werden wir Grünen zustimmen, und zwar trotz der Tatsache, dass unser eigener Gesetzentwurf der weiter gehende ist. Trotz meiner Kritik will ich am Schluss eines in aller Deutlichkeit sagen: Dass besonders Sie, Frau Schwesig, bei allem Gegenwind aus den Reihen der Union und der Wirtschaft so konstant und beharrlich geblieben sind, war bemerkenswert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Darum ist klar, dass wir als Grüne unsere Aufgabe als Oppositionskraft auch genauso beharrlich weiterverfolgen werden wie bisher und frauenpolitisch mehr einfordern. Denn nur so, nur in diesem Zusammenspiel der parlamentarischen Demokratie, nur so können wir am Ende gemeinsam mehr für Frauen in diesem Land erreichen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich an die Ausführungen meiner Vorrednerin anknüpfen: Wenn die Gemeinsamkeiten groß genug sind, dann kann man auch Großes bewirken. Das zeigt der heutige Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es waren die Frauen der SPD, der Linkspartei, der Grünen und auch der Union, die sich aufgemacht und sich über die Berliner Erklärung für die Quote eingesetzt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Druck, den wir alle durch unsere weiblichen Frak-tionsmitglieder erfahren haben, hat dazu beigetragen, dass wir heute diesen historischen Schritt gehen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Da haben wir hart dran gearbeitet!) Deshalb gilt mein Dank insbesondere diesen Pionierinnen, die sich gegen den Widerstand insbesondere aus der Wirtschaft aufgemacht haben. Aber auch die Arbeitnehmerseite – das muss man auch einmal sagen – hat das Ganze sehr kritisch betrachtet. Diese Frauen haben sich dennoch auf den Weg gemacht und gesagt: Gemeinsam sind wir stark. Deshalb verbünden wir uns und treiben die Kerle vor uns her. – Einige mussten mehr getrieben werden, andere weniger. Stimmt’s, Marcus? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben dazu beigetragen, dass wir als Große Koalition jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegen können und diesen heute auch beschließen werden. Ich will mich auch bei den Grünen bedanken, die angekündigt haben, Artikel 3 zuzustimmen. Natürlich kann man immer mehr machen und immer weiter gehen. Es ist aber wichtig, diesen wichtigen Schritt zu gehen und zu dokumentieren, dass sich dieser gemeinsame Kampf gelohnt hat. Deshalb bedanke ich mich für die Zustimmung außerhalb der Großen Koalition zu diesem Punkt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist gerade die Frage aufgeworfen worden, ob dieses Gesetz irgendwann einmal überflüssig wird. Das ist der Wunsch. Thomas Oppermann hat soeben gesagt, dass wir das wohl nicht mehr erleben werden. Ich glaube eher, dass wir irgendwann einmal darüber diskutieren werden, ob die 30 Prozent nicht zu wenig sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Natürlich muss das das Ziel bleiben. Überlegen wir aber einmal, wie lange wir die Freiwilligkeit gehabt und gedacht haben, dass auch das irgendwann einmal klappen wird. Deshalb bezweifele ich, dass dieses Gesetz in nächster Zeit zu einem überflüssigen Gesetz wird. Wir werden an dieser Stelle eher eine Verschärfung vornehmen. Das werden aber die Erfahrungen zeigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Ich will noch etwas zum Bundesgleichstellungsgesetz sagen, weil das auch Bestandteil der parlamentarischen Auseinandersetzung oder zumindest der Anhörung war. Dort ging es auch um die Frage, ob das Ganze verfassungskonform war. Der Verfassungsrechtler hat uns dies in der Anhörung jedoch bestätigt, und ich weiß, dass die Bundesregierung einen verfassungsgemäßen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es stellte sich auch noch die Frage, warum wir im Bundesgleichstellungsgesetz jetzt plötzlich beide Geschlechter ansprechen. Diese Frage ist natürlich berechtigt, weil nach wie vor die Frauen in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in der Politik strukturell benachteiligt sind. Deshalb ist die Frauenförderung ja auch nach wie vor ein großes Ziel, das mit dem Bundesgleichstellungsgesetz verfolgt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Aber warum Parität? Ich glaube, dass es wichtig ist, innerhalb der Gleichstellungspläne auch Geschlechter-stereotypen aufzugreifen und zu verändern. Das betrifft nicht nur den männlichen Sekretär, sondern auch die weibliche Polizistin. Ich glaube, es ist sinnvoll, dass sich der öffentliche Dienst auch an die eigene Nase fasst und fragt, warum dort zu wenige Männer Sekretäre und zu wenige Frauen bei der Polizei sind. Deshalb ist es gut, dass wir beide Geschlechter im Gesetz angesprochen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wird behauptet, das alles würde sich dann verändern, wenn man die Bezahlung erhöhen würde. Wenn man beispielsweise die Bezahlung für Erzieherinnen oder Sekretärinnen erhöhen würde, dann würden auch mehr Männer diesen Beruf ergreifen. Dazu will ich an dieser Stelle deutlich sagen: Es kann nicht sein, dass man die Tarife für die Erzieherinnen und Erzieher nur erhöht, damit mehr Männer diesen Beruf ergreifen; denn auch wenn in diesem Job ausschließlich Frauen tätig sein würden, würde es sich lohnen, hier für Lohngerechtigkeit zu kämpfen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Über das Thema „Gleicher Lohn für beide Geschlechter bei gleicher Arbeit“ werden wir uns in diesem Bundestag aber beim nächsten Mal wieder intensiv auseinandersetzen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Uns alle in diesem Haus eint das Ziel, Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Unser Wunsch ist, dass dieses Ziel in erster Linie nicht durch Normen und Paragrafen, sondern durch innere Überzeugung erreicht wird, dass es die Menschen also als selbstverständlich empfinden, dass jemand in diesem Land völlig unabhängig von seinem Geschlecht Erfolgschancen wahrnehmen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies ist für uns eine Gerechtigkeitsfrage und auch wichtig im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie ist die Ausgangslage? Der Weg bis zur vollständig gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in unserer Gesellschaft ist lang. Es gibt aber Bereiche, in denen schon einiges erreicht wurde. Ich nenne zum Beispiel die Politik. Der einflussreichste, erfolgreichste und angesehenste Politiker Europas ist seit vielen Jahren eine Frau: unsere Bundeskanzlerin. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass sich die Menschen wünschen, dass das noch möglichst viele Jahre so bleiben möge, ist ein Zeichen für die gesellschaftliche Normalität, die wir hier erreicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Daneben nenne ich die öffentliche Verwaltung, die Justiz, die Wissenschaft und die Kultur. Im Bereich der Wirtschaft fällt das Bild gemischt aus. Man kann feststellen, dass viele Führungsebenen, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Händen von Männern waren, heute zu einem erheblichen Teil von Frauen besetzt werden. Man muss aber auch feststellen, dass dies nicht für die absoluten Spitzenpositionen in unserer Wirtschaft gilt. Dort sind Frauen sehr rar gesät. Dass es auch anders sein kann, zeigt uns ein Blick über den Großen Teich. In Amerika stehen an der Spitze vieler Konzerne Frauen. Ich nenne exemplarisch nur IBM, General Motors, Pepsi, Yahoo, Hewlett-Packard und DuPont. Wenn uns in Deutschland mehr Namen amerikanischer Unternehmensführerinnen als deutscher Topmanagerinnen einfallen, dann zeigt das, dass wir in Deutschland einen Missstand haben; (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) einen Missstand, der übrigens nicht nur etwas mit den Unternehmen selbst zu tun hat, sondern der seine Ursache schon im Bereich der Ausbildung hat. Wenn man sieht, dass Frauen und Mädchen in den MINT-Berufen, in den technischen Berufen und den Ingenieurwissenschaften noch immer unterrepräsentiert sind, braucht man sich nicht zu wundern, wenn eines Tages in Führungspositionen bei Maschinenbauern wenig Frauen vertreten sind. Insofern ist die Gesellschaft insgesamt gefragt. Im Jahre 2001 gab es die freiwillige Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. Wir müssen feststellen: Diese Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft hat nicht wirklich funktioniert. (Dr. Eva Högl [SPD]: Tja!) Sie hat möglicherweise auch deshalb nicht funktioniert, weil dem politischen Impetus die Glaubwürdigkeit gefehlt hat. Das war die Zeit, in der wir einen Bundeskanzler hatten, der Frauen- und Familienpolitik als „Gedöns“ verspottet hat. (Zurufe von Abgeordneten der SPD) Wenn man das auf der einen Seite tut und auf der anderen Seite mehr Frauen in Führungspositionen fordert, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn dann die Glaubwürdigkeit fehlt. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte an dieser Stelle Angela Merkel dafür danken, dass sie nun im zehnten Jahr Frauenpolitik und Familienpolitik in diesem Land nicht mit abwertenden Sprüchen, sondern mit innerer Hingabe begleitet. (Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Das sehen wir ja! Wo ist sie denn?) Wir haben die Aufgabe, gemäß dem erkannten Regelungsbedarf zu handeln. Uns geht es um folgendes Ziel: Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wir wollen aber keine gleichmacherische, keine pauschalierende Lösung für alle Unternehmen in Deutschland, sondern wir wollen maßgeschneiderte Lösungen. Deshalb differenzieren wir hier zwischen verschiedenen Unternehmen. In vielen mittelständischen Unternehmen in Deutschland ist es längst eine Selbstverständlichkeit, dass das Kind des Eigentümers in der nächsten Generation den Betrieb, völlig unabhängig von seinem Geschlecht, übernimmt. Den Betrieb kann also in der nächsten Generation die hochqualifizierte Tochter genauso wie der hochqualifizierte Sohn übernehmen. Für diese Betriebe brauchen wir in Deutschland keine Quote. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier keine Quote haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Für ungefähr 3 500 Unternehmen in Deutschland führen wir eine Quote ein: für ungefähr 97 Prozent dieser Unternehmen eine flexible Quote und für ungefähr 3 Prozent eine starre Quote. Wir sind der Überzeugung, dass die flexible Quote richtig ist, weil die Unternehmenswirklichkeit eine ganz unterschiedliche ist. Es gibt Branchen, etwa den Maschinenbau oder die Baubranche, in denen der Frauenanteil sehr niedrig ist. Es gibt andere Branchen, etwa den Dienstleistungsbereich, die Verlage und Ähnliches, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist. Deshalb ist unsere Überzeugung, dass es richtig ist, hier nicht zu sagen: Es gibt für all diese Unternehmen trotz ihrer Verschiedenartigkeit eine einheitliche, eine pauschale Quote. Vielmehr gibt es eine selbstgesteckte, eine passgenaue Quote für diese Unternehmen. Dies entspricht unserem Gesellschaftsverständnis, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Für die Aufsichtsräte von 108 Unternehmen gibt es eine Quote von 30 Prozent. Das sind die Unternehmen, die sowohl börsennotiert sind als auch über 2 000 Mitarbeiter haben. In diesen Unternehmen ist das Problem am größten. Dort sind Frauen in den absoluten Toppositionen am rarsten. Deshalb ist es richtig, dass wir hier eine Quotenregelung vorsehen. Für uns war es in der Ausgestaltung insgesamt wichtig, dass wir hier mit Augenmaß statt mit Ideologie vorgehen. Wir wollten auch nach den Erfahrungen im Mindestlohnbereich vermeiden, dass hier ein Bürokratiemaximierungsgesetz geschaffen wird. (Widerspruch bei der SPD) Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren an vielen Stellen nachgebessert. (Beifall bei der CDU/CSU) In der entsprechenden Sachverständigenanhörung wurden in der Tat noch viele Mängel offengelegt. Deshalb haben wir dann ein parlamentarisches Verfahren durchgeführt. In diesem parlamentarischen Verfahren haben wir in guter Zusammenarbeit mit den Ministerien, wofür ich sehr herzlich danke, in guter Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wofür ich sehr herzlich danke, viel erreicht. Wir haben geregelt, dass – wie es einem modernen Verständnis von der Zusammensetzung eines Aufsichtsrates entspricht – Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter nicht als zwei getrennte Bänke betrachtet werden, sondern als ein gemeinsames Gremium zu sehen sind. Wir haben darauf geachtet, dass die Berichtspflichten nicht übermäßig bürokratisch ausgestaltet werden, sondern dass sich die Unternehmen einmal Ziele setzen, über die sie dann nicht jedes Jahr, sondern erst am Ende des selbstgesteckten Zeitraums berichten müssen. Wir haben das Inkrafttreten der Zielvorgaben noch einmal um drei Monate nach hinten verschoben, damit sich die Unternehmen in den nächsten Wochen darauf einstellen können. Wir haben an vielen Stellen darauf geachtet, dass das Gesetz in der Praxis mit der erforderlichen Flexibilität und mit der erforderlichen Rechtssicherheit angewendet werden kann. Dafür haben wir eine Vielzahl von Änderungen vorgenommen. Wenn wir heute das Gesetz beschließen, dann können wir zusammenfassend festhalten: Wir haben uns an dem Ziel orientiert, für die Frauen in diesem Land etwas zu bewegen. Wir haben uns an der Frage orientiert, in welchen Bereichen wir welche Lösungen brauchen. Es gilt nämlich nicht für alle Unternehmen in Deutschland das Gleiche. Kleine Unternehmen sind in der Regel gar nicht betroffen, sie sollen aber nach Möglichkeit den Frauen ebenfalls die gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen, wie es in vielen dieser Unternehmen übrigens schon längst der Fall ist. Des Weiteren gibt es eine Gruppe von 3 500 Unternehmen, die sich selbst Ziele stecken. Wir werden die Unternehmen dabei beobachten. Außerdem gibt es die Unternehmen, die eine starre Quote von 30 Prozent für Frauen im Aufsichtsrat haben. Das sind die 108 großen Unternehmen in Deutschland. Auf diesem Weg wollen wir in den nächsten Jahren weiterkommen. Wir wollen, dass gleichberechtigte Teilhabe für Frauen in diesem Land eine Selbstverständlichkeit wird. Wir werden die Unternehmen auch in puncto Vereinbarkeit von Familie und Beruf beobachten. In Amerika ist dies längst eine Selbstverständlichkeit. In Deutschland wollen wir die gläserne Decke für Frauen beseitigen; es geht aber nicht an, dass gleichzeitig eine gläserne Decke für Mütter eingezogen wird. Auch das werden wir in den nächsten Jahren sehr genau beobachten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Auch die Männer in der Regierung freuen sich über dieses Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Sönke Rix [SPD]: Zeigt das mal!) – Ich kann Ihnen das aus vielen Beratungen bestätigen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt Ole Schröder?) Liebe Frau Göring-Eckardt, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass die Regierung die Opposition und die Öffentlichkeit genervt hat, weil wir uns so lange mit diesem Gesetz befasst haben und weil wir gestritten haben. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht lange genug scheinbar! Es gibt noch zu viele Fehler!) – Aber, Frau Göring-Eckardt, in der Demokratie – das müsste doch gerade in der Opposition bekannt sein – gehört der Streit dazu. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber schlampige Arbeit gehört nicht dazu! Ihr hattet wahrscheinlich so viel Spaß und habt deshalb so geschlampt!) Wenn Sie sagen, diese Große Koalition stehe für großen Streit, dann sage ich: Sie steht vor allem für viele gute Ergebnisse, und heute legen wir wieder eins vor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Begriff „historisch“ sollte man sparsam umgehen. Sonst nutzt er sich schnell ab. Aber bei dem Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, kann man ihn, wie ich finde, verwenden. Die Frauenquote für Führungskräfte ist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit der Einführung des Frauenwahlrechtes. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das Gleichstellungsgesetz war das!) Nach der politischen Macht bekommen Frauen endlich auch einen fairen Anteil an der wirtschaftlichen Macht. (Beifall bei der SPD) Gustav Heinemann hat einmal gesagt: Rechtspolitik darf sich nicht darauf beschränken, den bereits erreichten Stand des Rechtsbewusstseins in Gesetze zu fassen. Vielmehr hat sie auch die Aufgabe, das Sozialleben nach den Leitbildern einer besseren Ordnung zu gestalten. Das ist jetzt 50 Jahre her, und es ist heute genauso aktuell wie damals. Weil die Frauenquote dieses Land und die Wirtschaft zum Besseren verändern wird, setzen wir das mit diesem Gesetz um. Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um Gleichberechtigung und Fairness, sondern auch um wirtschaftliche Vernunft. Die demografische Entwicklung ist eine Tatsache. Wir haben die bestausgebildete Generation von Frauen, die es je gegeben hat. Wir haben mehr Hochschulabsolventinnen als Hochschulabsolventen. Wer dieses Potenzial ungenutzt lässt, der gefährdet nicht nur die Gleichberechtigung, sondern letztlich auch Wohlstand und Wachstum. Auch dazu leistet die Quote einen Beitrag. Das wird viel zu selten gesagt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, wir brauchen auch eine gesetzliche Quote. Leider ist das so. Manuela Schwesig und ich – ich weiß gar nicht, wie viele Gespräche wir in diesem Prozess im sogenannten vorpolitischen Raum geführt haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie Armer!) Ich muss Ihnen sagen: Da ist mir deutlich geworden, dass wir vielleicht gesellschaftlich noch nicht so weit sind, wie wir das gerne hätten. Was gab es für Argumente: Es gibt gar nicht genug Frauen, zumindest sind sie nicht gut genug ausgebildet. Das Gesetz über die Besetzung der Aufsichtsräte sei eine Zumutung, denn es gebe nur so wenige Frauen. Die müssten in so viele Aufsichtsräte gehen, und deshalb würden wir den Frauen nichts Gutes tun. Meine Damen und Herren, wenn man noch kein Anhänger der Frauenquote gewesen wäre, bei diesen Gesprächen wäre man einer geworden. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden deshalb in einigen Jahren zurückblicken und uns fragen, wieso wir uns überhaupt so lange damit auseinandergesetzt haben und es so viel Aufregung um dieses Gesetz gegeben hat. Es ist gut, dass eine jahrzehntelange kulturelle Auseinandersetzung mit diesem Gesetz wirklich beendet wird. Die Kollegin Künast hat bei der Anhörung im Ausschuss gesagt, dies sei ein Vorhaben, von dem man später sagen werde, man sei stolz darauf, dabei gewesen zu sein. Sie, Frau Künast, haben vollkommen recht. Auch das zeigt die Dimension dieses Gesetzes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Manchmal, nicht immer, aber manchmal gibt es Gesetze, die in ihrer Wirkung weit über ihren eigenen Regelungsgehalt hinausreichen. Die sind Gesellschaftspolitik im besten Sinne des Wortes. Dieses Gesetz heute ist so eines. Es ist ein Meilenstein für die Gleichberechtigung, und es wird Deutschland und seine Unternehmen moderner machen. Ich meine, darauf können wir alle sehr stolz sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Gudrun Zollner das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein denkwürdiger Tag! Nach teils sehr emotional geführten Debatten schließen wir heute ein Kapitel, das vor Jahren aufgeschlagen wurde, aufgeschlagen von vielen Mitstreiterinnen wie Frau Staatsministerin Professor Böhmer und von den vielen Frauen, die heute als Gäste bei uns auf der Tribüne sitzen. Wir alle kennen inzwischen die Zahlen, wir haben sie oft genug diskutiert. Der Anteil von Frauen in Spitzenpositionen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bundesverwaltung ist immer noch marginal. Sicherlich gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte. Lag der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne vor vier Jahren bei knapp 14 Prozent, so sind es heute gut 25 Prozent. Betrachtet man alle börsennotierten Unternehmen, ist die Bilanz allerdings ernüchternd. Noch immer sind weniger als 20 Prozent aller Aufsichtsräte von Frauen besetzt. Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem Jahr 2001 ist gescheitert. Wäre dies anders, würden wir heute hier nicht stehen. Der Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz und der Gremienbericht zum Bundesgremienbesetzungsgesetz zeigen außerdem auf, dass auch in der Bundesverwaltung immer noch Handlungsbedarf besteht. Auch hier gab es zwar in den vergangenen Jahren Fortschritte, aber leider nur in Zeitlupe. Gleichzeitig wissen wir, dass die Zahl der hochqualifizierten Frauen noch nie so hoch war wie heute. Ich möchte aber betonen: Jede Frau soll den für sie richtigen Weg gehen können. Wir müssen nur dafür sorgen, dass für Karrierewege gerechte Chancen bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Über unseren Gesetzentwurf, mit dem wir genau das erreichen wollen, stimmen wir heute ab. Am Ende langer und intensiver Verhandlungen haben wir eine Balance zwischen der Förderung von Frauen und den Interessen der Wirtschaft gefunden. Wir konnten in den Verhandlungen der vergangenen Woche noch einige wesentliche Punkte im Entwurf präzisieren. Klar, der eine wünscht sich mehr, und der andere fordert weniger. Auch ich hätte mir gewünscht und vorstellen können, für bestimmte Branchen noch Ausnahmen in Form einer Härtefallregelung aufzunehmen, was meines Erachtens sinnvoll gewesen wäre. Schlussendlich steht aber ein Gesetz, mit dem wir zufrieden sein können, ein Gesetz, das die Familienfreundlichkeit insgesamt stärker betont und das vor allem praxistauglich und rechtssicher ist. Insbesondere hervorheben möchte ich, dass im Bundesgleichstellungsgesetz die von vielen besonders in der Anhörung kritisierte Geschlechteransprache geändert wurde. In Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Es geht also nicht um eine paritätische Besetzung auf allen Ebenen, sondern um die Herstellung echter Chancengleichheit. Frauenförderung ist kein Synonym für Geschlechtergleichmacherei, und Unterrepräsentanz hat nicht automatisch etwas mit Diskriminierung zu tun. Mit der neugefassten Regelung stellen wir jetzt auf eine strukturelle Benachteiligung ab. Es wird damit deutlich, dass es um Frauenförderung geht und nicht um Männerförderung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sichergestellt ist damit außerdem, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist. Der CSU war es neben der Frauenförderung besonders wichtig, eine rechtssichere Regelung für privatrechtliche Unternehmen ohne ausufernden Bürokratismus herzustellen; denn nur gemeinsam mit der Wirtschaft wird eine gute Umsetzung gelingen. Bei der fixen Quote haben wir klargestellt, dass nur ein Mehrheitsbeschluss der Bank der Anteilseigner oder der Bank der Arbeitnehmervertreter der Gesamterfüllung der Quote widersprechen kann. Für mitbestimmungspflichtige oder börsennotierte Unternehmen haben wir die Frist zur Festlegung ihrer Zielquote um drei Monate verlängert, und zwar auf den 30. September 2015. Außerdem müssen die Unternehmen nicht jährlich, sondern erst nach Ablauf der selbst festgesetzten Frist über die Einhaltung der Zielgrößen berichten. Es gibt somit keine Zwischenberichte. Diese Klarstellung reduziert den Bürokratieaufwand für die Wirtschaft erheblich. Wir haben auch Rechtsunsicherheiten beseitigt. Bei der Feststellung von Zielgrößen für die beiden Führungsebenen zum Beispiel haben die Unternehmen viel Spielraum erhalten und können so passende und angemessene Lösungen finden – ein Mehrwert in Sachen Flexibilität und Rechtssicherheit. Mit den Vorschriften zu den Europäischen Gesellschaften haben wir zudem eine zukunftsorientierte Lösung für die Konzerne geschaffen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass eine Quote auch auf europäischer Ebene eingeführt wird. (Beifall der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]) Außerdem haben wir festgelegt, dass bei der Evaluierung des Gesetzes nach drei Jahren die Bürokratiekosten besonders in den Blick genommen werden müssen. Ich bin überzeugt, dass die geforderte Transparenz und die Veröffentlichungspflichten dazu beitragen werden, dass im öffentlich-rechtlichen wie auch im privatrechtlichen Bereich Anstrengungen unternommen werden, die jeweiligen Quoten zu erfüllen. Was gibt es Schlechteres für ein Unternehmen als negative PR? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zum Gesetzentwurf der Grünen möchte ich nur Folgendes sagen: (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gut, nicht wahr?) 40 Prozent Frauenquote, wie es die Grünen in ihrem Gesetzentwurf fordern, oder sogar 50 Prozent Frauenquote, wie oft von den Linken gewünscht, gehen über das Ziel hinaus. (Caren Lay [DIE LINKE]: Warum?) Es ist Aufgabe des Staates, zu handeln, wenn bestehende Nachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen; aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Parität um jeden Preis zu erzwingen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Wieso um jeden Preis?) Es ist richtig, dass die Selbstverpflichtung der Wirtschaft nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: In Bayern vielleicht!) Deshalb ist es auch richtig, dass wir jetzt eine gesetzliche Regelung beschließen. Auch unsere Partei, die bayerische CSU, hat eine Frauenquote. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Zollner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Künast? Gudrun Zollner (CDU/CSU): Bitte schön. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Zollner. – Sie haben gerade zu unserem Gesetzentwurf gesagt, es sei nicht Aufgabe des Staates, Parität zu erzwingen. Da würde ich von Ihnen doch gerne wissen, wo Sie in unserem Gesetzentwurf ein solches Erzwingen von Parität sehen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir an dieser Stelle eines immer genau wussten: dass für den öffentlichen Dienst die klassische Parität gar nicht zulässig ist, dass vielmehr zur Beseitigung von strukturellen Nachteilen Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen sind, solange es diese Differenz gibt. Das ist kein Erzwingen von Parität. In dem ganzen Prozess ist mir das Erzwingen von Parität nur im Gesetzentwurf der Koalition untergekommen; die entsprechende Formulierung haben Sie nach Hinweisen bei der Anhörung auf ihre Verfassungswidrigkeit wieder gestrichen. (Sönke Rix [SPD]: Nicht gestrichen!) Parität wird auch nicht erreicht, wenn man sagt: Die Mindestquote von 40 Prozent in den Aufsichtsräten der Privatunternehmen gilt für jedes Geschlecht. Sie müssen unserem Gesetzentwurf – vielleicht ist es dafür noch zu früh – nicht folgen. Aber etwas zu behaupten, was nicht drinsteht, gefällt mir auch nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Frau Kollegin Künast, ich habe 40 Prozent nicht mit Parität verwechselt, vielmehr habe ich die 50-Prozent-Parität auf die Linken bezogen. Das ging, glaube ich, aus meinem Satz hervor. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war es jetzt?) Wir wollen eine Quote, die Frauen den Weg ebnet, um künftig auch ohne Gesetz in Spitzenpositionen zu kommen. Unser Ziel muss doch sein, der gläsernen -Decke adieu zu sagen, damit sich in den Topetagen eine andere Denkweise etabliert. Aus diesem Grund halten wir eine Quotenvorgabe von 30 Prozent für angemessen und ausreichend. Nun sind aber auch die Frauen gefragt, dieses Gesetz als Türöffner aktiv zu nutzen. Es geht darum, männliche Monokulturen in den Vorstandsetagen aufzubrechen, und darum, die Unternehmen bzw. Firmen dahin zu bewegen, ihre Rahmenbedingungen, Strukturen und Präsenzzeiten frauen- und familienfreundlicher zu gestalten, Karriereplanung und Familienplanung in Einklang zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies muss das Ziel für die Zukunft sein, und das geht nur mit einem großen Mehr an Frauen und natürlich einem großen Plus an weiblichen Blickwinkeln in den Führungsetagen. Denn eines ist klar: Das Gesetz allein wird kein Allheilmittel sein. Es ist nur ein Baustein von vielen. Wie das fertige Bauwerk zum Schluss aussehen wird, entscheiden die Menschen, entscheidet nicht allein das Gesetz. Veränderungen sind das Ergebnis der Diskussionen um die Quote bzw. der intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen sagte einmal: Eine Frau ist nicht besser oder schlechter, sie ist anders. Dieses Andere etablieren wir hier und heute. Wir liefern den Anstoß für uns, die Unternehmen, die Wirtschaft und natürlich die Frauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte mit einem Zitat von Robert Lembke enden: Der einzige Geschäftszweig, bei dem die Mehrzahl der leitenden Positionen von Frauen besetzt ist, ist die Ehe. Vielleicht ab heute nicht mehr! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den 6. März 2015 streichen wir uns alle ganz dick in unserem Kalender an. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist ein richtig guter Tag für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Mit der Einführung der Frauenquote in Wirtschaft und Verwaltung schreiben wir die Geschichte der Gleichstellung von Frauen fort und gehen einen wirklich riesengroßen Schritt weiter auf dem Weg zur vollständigen Gleichstellung von Männern und Frauen. Dass wir dieses Kapitel aufschlagen können, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist vielmehr das Ergebnis eines kontinuierlichen Kampfes für mehr Gleichberechtigung, eines unermüdlichen Engagements vieler Frauen und auch vieler Männer. Viele sind schon genannt worden. Ich schließe mich dem Dank an. Einige sitzen auf der Tribüne. Nur dieses Engagement von vielen einzelnen Personen hat das möglich gemacht. Dafür herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich erinnere sehr gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, an 1918. Da wurde das aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt. 82 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben bei den Wahlen 1919 ihre Stimme ab, und 37 weibliche Abgeordnete zogen ins Parlament ein. Als erste Frau erhielt Marie Juchacz hier im Reichstag im Februar 1919 das Wort und hielt die erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament. Das war richtig klasse! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ging weiter – leider erst nach einer Durststrecke von knapp 30 Jahren –: Elisabeth Selbert hat es ermöglicht, dass im Grundgesetz, das im Mai 1949 verabschiedet wurde, ein wirklich wegweisender Satz steht, nämlich in Artikel 3 Absatz 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Damit genoss die Gleichstellung von Frauen und Männern erstmals Verfassungsrang. Wir wissen aber, dass eine Verfassungsnorm nicht automatisch Alltagsrealität ist. Deswegen haben wir in den mehr als 60 Jahren seit Bestehen des Grundgesetzes wesentliche Schritte unternommen. Ich erinnere noch einmal daran, dass erst vor wenigen Jahrzehnten – man kann es sich kaum vorstellen – das erste Gleichberechtigungsgesetz es Frauen ermöglichte, ohne Zustimmung des Ehemannes arbeiten zu gehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 1977 wurde mit der Reform des Ehe- und Familienrechts das Leitbild der Hausfrauenehe abgeschafft, und erst 1980 wurde die vollständige Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beschlossen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Högl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler? Dr. Eva Högl (SPD): Selbstverständlich. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, liebe Kollegin. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, mich für die Einladung zu bedanken, die Sie und die Kollegin Carola Reimann an uns alle geschickt haben. Sie wollen diesen großen Erfolg, wie Sie das nennen, im Fraktionssaal der SPD mit Quotentorte und Sekt feiern. Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich diese Einladung ablehnen muss. Ich finde, dass dieses Gesetz eher Anlass wäre für Zwieback und Selters. (Zurufe von der SPD: Oh! – Mechthild Rawert [SPD]: Können Sie ja mitbringen!) Deswegen bedanke ich mich für die Einladung, lehne sie aber ab. Dr. Eva Högl (SPD): Liebe Frau Vogler, wie humorlos ist das denn, bitte? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin sprachlos. Wir haben eine so große Einigkeit, auch hier im Parlament, trotz allem Streit im Detail. (Sigmar Gabriel, Bundesminister: Eva, wir besorgen auch Zwieback!) – Nein, wir besorgen keinen Zwieback. – Wir schneiden um 12 Uhr die Torte an, und wir feiern, liebe Frau Vogler. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zurück zu unseren Schritten in Sachen Gleichstellung. Ich möchte daran erinnern, dass wir 1994 – das ist noch nicht so lange her; viele hier im Raum haben dafür gekämpft – nach der deutschen Einheit etwas ins Grundgesetz geschrieben haben, was der Grund dafür ist, dass wir heute hier die Quote beschließen. Da steckt so viel Engagement drin; deswegen zitiere ich es: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das ist für uns als Gesetzgeber ein Auftrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diesen Auftrag erfüllen wir, indem wir heute die Quote beschließen. Natürlich wäre es viel schöner – ich möchte das ausdrücklich sagen; einige haben das schon erwähnt –, wenn wir die Quote nicht brauchten. Es wäre viel schöner, wenn wir im Jahr 2015 sagen könnten: Wir haben alle Führungspositionen in Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Politik, in allen Bereichen der Gesellschaft, paritätisch mit Frauen und Männern besetzt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht paritätisch! Der Befähigung entsprechend!) Das wäre großartig. Aber so lange das nicht so ist, brauchen wir die Quote. Die Verwirklichung der vollständigen Gleichberechtigung bleibt weiterhin unser Ziel. (Beifall bei der SPD) Ein kleiner Ausblick; denn es geht weiter mit unserem Engagement: Am Sonntag ist der Internationale Frauentag. Tausende Frauen und auch Männer werden unter dem diesjährigen Motto „Heute für morgen ein Zeichen setzen“ auf die Straße gehen und sich für mehr Gleichberechtigung in Deutschland, in Europa, in allen Teilen der Welt engagieren. Wir dürfen uns richtig freuen, dass die Quote vor dem Internationalen Frauentag heute hier beschlossen wird und wir das am Sonntag ordentlich feiern können. Wir sollten uns aber nicht zu lange darauf ausruhen, dass wir das geschafft haben. Wir haben noch etwas vor. Unser Engagement in Sachen Gleichstellung ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir wollen als Nächstes die Entgeltgleichheit hier gemeinsam beraten und beschließen, und wir wollen die Aufwertung typischer Frauenberufe hier im Deutschen Bundestag beschließen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich erhoffe mir bei diesen beiden Themen – das sage ich heute so deutlich – hier im Bundestag viel Unterstützung und vor allem große Einigkeit; denn eines ist klar: In Sachen Gleichstellung muss es weitergehen. Wir wollen die vollständige Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen, und wir wollen vor allen Dingen, dass die fast 100-jährige Geschichte der Gleichstellung von Frauen und Männern keine unendliche Geschichte wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und an den Fernsehgeräten! Es geht schon mit dem Beginn meiner Rede los: In meinem Konzept stand „Sehr geehrter Herr Präsident“, das habe ich jetzt handschriftlich in „Sehr geehrte Frau Präsidentin“ geändert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der SPD: Oh!) Ich darf mich dem Dank an all die engagierten Frauen, die zu dieser Frauenquote beigetragen haben und schon mehrfach erwähnt wurden, ausdrücklich anschließen. Neben Frau Ministerin Schwesig war es insbesondere unsere vom Kollegen Harbarth bereits gelobte Bundeskanzlerin. Ohne Bundeskanzlerin Merkel hätte es diese Quote in dieser Form nicht gegeben. Herzlichen Dank an die Kanzlerin, dass sie sie so engagiert auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wo ist sie denn?) Ich darf Ihnen bestätigen, weil ich etwas Unruhe bei meinem Koalitionspartner vernehme: Frau Kanzlerin ist jetzt fast zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Diese zehn Jahre waren gute Jahre für Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir hiermit ein gutes Best-Practice-Beispiel haben, zu welchen Leistungen Frauen in Führungspositionen fähig sind. Direkt vor mir sitzt meine Landesgruppenchefin, Frau Gerda Hasselfeldt. Sie führt unsere Landesgruppe absolut tough und souverän. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!) Liebe Gerda, herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann müsst ihr ihr aber immer folgen, gell!) – Lieber Fraktionsvorsitzender, meistens folgen wir ihr. Meine Damen und Herren, nach Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes – die Kollegin Högl hat bereits darauf hingewiesen – sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung von Nachteilen hin. – Das war die Ausgangslage. Auf dieser Verfassungsnorm basierend haben wir den heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf erstellt. Und genau das, meine sehr geehrten Damen und Herren, tun wir mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. Ja, wir sind bereits in der Vergangenheit dem Verfassungsauftrag zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern nachgekommen und haben schon früher auf eine Beseitigung von Nachteilen hingewirkt. Fakt ist aber auch, dass der in den vergangenen Jahren gestiegene Anteil von Frauen in der Arbeitswelt zum großen Teil auch auf die von politischer Seite initiierten Gesetze und Maßnahmen sowie Initiativen von Politik und Wirtschaft zurückzuführen ist. Wir sind auf einem guten Weg, die Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen zu verbessern, müssen diesen aber auch sukzessive und konsequent fortsetzen. Mit dem Zweiten Gleichberechtigungsgesetz von 1994, also vor 21 Jahren, haben wir erstmals die Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung in gesetzliche Regelungen gegossen und zudem das Frauenfördergesetz, welches 2001 durch das Bundesgleichstellungsgesetz modernisiert wurde, und das Bundesgremienbesetzungsgesetz auf den Weg gebracht. Im Jahr 2001 hat die Bundesregierung dann mit den Spitzen der Wirtschaft die Vereinbarung getroffen, den Frauenanteil in Führungspositionen in der Wirtschaft signifikant zu erhöhen. 2011 unterzeichneten die DAX-30-Unternehmen auf Initiative der Politik schließlich eine Selbstverpflichtung zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wir haben zudem – das ist ganz wichtig, und darauf wurde von manchen Vorrednern hingewiesen – mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, dem Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, dem sogenannten Kinderförderungsgesetz, aber auch zahlreichen Unternehmensprogrammen und Initiativen die Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen. Gerade erst zum 1. Januar 2015 sind mit dem ElterngeldPlus, dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf und dem Gesetz zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung zahlreiche weitere familienpolitische Maßnahmen in Kraft getreten, die sowohl die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern als auch den Unternehmen neue Chancen und Perspektiven bieten. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Familienpolitik der unionsgeführten Bundes-regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie es den Familien und insbesondere den Frauen mit unseren fami-lienpolitischen Maßnahmen ermöglichen will, familiäre Aufgaben zu übernehmen und gleichzeitig ihre beruflichen Ziele weiterverfolgen zu können. Frau Kollegin Kömpel – ich kenne Sie als nette Kollegin im Ausschuss –, Sie haben vorhin ausgeführt: Der erhöhte Frauenanteil in den Aufsichtsräten wird zu kürzeren Konferenzen und Gremiensitzungen führen. – Wir werden einmal schauen, ob es stimmt. Zwei Minuten später habe ich gemerkt, dass Sie die erste Rednerin waren, die ihre Redezeit erheblich überschritten hat. Wir sollten uns vom -Geschlechterkampf verabschieden. Wir können lange reden, Sie können auch lange reden. Wir gucken einmal, wie die Verbesserung der Gremiensitzungen ausschauen wird. Meine Damen und Herren, all diese Maßnahmen haben ohne Zweifel zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen, einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen und einem zunehmenden Anteil von Frauen in Führungspositionen beigetragen. Aber es ist auch unsere Aufgabe, die Umsetzung des eingangs angesprochenen verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrags den sich stetig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen und an den jeweiligen Herausforderungen unserer Zeit auszurichten. Dazu gehört, dass wir unsere bisherigen Maßnahmen überprüfen. Hier müssen wir feststellen, dass die bisherigen Initiativen zwar einen großen Beitrag zur Verbesserung der Karrierechancen von Frauen geleistet haben, jedoch eine Erhöhung des Frauenanteils an Führungspositionen bislang nicht in dem signifikanten Ausmaß erreicht werden konnte, wie wir uns dies gewünscht hätten. Aufgrund der Tatsache, dass die Frauen in unserem Land so hochqualifiziert und gut ausgebildet sind wie nie zuvor, jedoch in den Führungsetagen der Unternehmen und der Bundesverwaltung nicht in gleichem Maße repräsentiert sind, ist nunmehr eine gesetzliche Regelung notwendig geworden. Trotz stetig steigender Frauenerwerbsbeteiligung und zunehmender Qualifikation von Frauen liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten Unternehmen derzeit bei lediglich 15 Prozent. In den 30 DAX-Unternehmen ist nur etwa jeder fünfte Aufsichtsratsposten mit einer Frau besetzt. Im öffentlichen Dienst liegt der Anteil der Frauen auf der ersten Führungsebene bei nur etwa 38 Prozent und der Frauenanteil an Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden bei lediglich 27 Prozent. In Gremien, die der Bund vollständig oder teilweise besetzt, beläuft sich der Anteil von Frauen auf lediglich 25 Prozent. Frauen nehmen aber mit fast 50 Prozent nicht nur gleichberechtigt am Arbeitsleben teil, sondern machen auch häufiger Abitur als Männer, beginnen häufiger ein Studium und schließen dies auch häufiger und erfolgreicher ab. Jeder zweite Absolvent des Studiums der Betriebswirtschaftslehre ist weiblich, und die Top-Staats-examina des Studiums der Rechtswissenschaften stammen ebenso von Frauen. Ich hoffe, es gelingt uns – gestern gab es dazu Medienberichte –, auch den Eltern das Bewusstsein zu vermitteln, dass man nicht nur den Söhnen ein Studium eines MINT-Fachs, ein naturwissenschaftliches Studium zutrauen kann, sondern auch den Töchtern, dass man also die Förderung der Männer in gleicher Weise auf die Frauen übertragen kann. Ich glaube, das würde unserer Wirtschaft und unserer Industrie sehr guttun. Nicht nur aufgrund des demografischen Wandels können und dürfen wir auf diese enormen Potenziale künftig nicht mehr verzichten. Die Zahlen zeigen, dass das bestehende Ungleichgewicht bei der Besetzung von Führungspositionen nicht mit Qualifikationsunterschieden zu rechtfertigen ist. Meine Damen und Herren, es wurde von den Vorrednern sehr viel Sinnstiftendes dazu gesagt. Wir hatten am 23. Februar eine über dreieinhalbstündige Anhörung des Familienausschusses und des Rechtsausschusses. Ich darf mich bei den Kollegen des Rechtsausschusses für die konstruktive Arbeit an dem Gesetzentwurf bedanken. Ich darf mich bei der Ministerin und der Bundeskanzlerin bedanken. Frau Bundeskanzlerin, ich habe Sie vorhin in Abwesenheit gelobt. (Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Danke schön!) Ohne Sie gäbe es dieses tolle Gesetz nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Sie haben es mit verfochten. Sie sind eine der Mütter des Gleichstellungsgesetzes. Herzlichen Dank! Frau Kömpel, ich habe es geschafft: Ich habe meine Redezeit um keine einzige Sekunde überschritten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Kömpel [SPD]: Ganz toll!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Christina Jantz hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Christina Jantz (SPD): Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, Frau Bundeskanzlerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frauenquote ist ein Meilenstein für unser Land – (Beifall bei der SPD) historisch! Das Gesetzespaket stärkt die Frauen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst. Es ist ein tatsächlicher Quantensprung hin zu einer echten Gleichberechtigung. Es war ein beschwerlicher Weg – sicherlich ist der Weg weiterhin beschwerlich –, Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes umzusetzen. Darin heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dieser Satz wurde 1949 von den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes geschrieben, auf dessen Grundlage wir heute unseren sozialen Rechtsstaat und unsere Demokratie aufbauen. Die Gleichberechtigung war und ist ein wichtiger Teil davon. 1994 wurde dieser Satz folgendermaßen ergänzt – Eva Högl hat es angesprochen –: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Bereits seit 1994 befähigt das Grundgesetz also den Staat und fordert ihn zur Beseitigung von Nachteilen auf. Der daraus abgeleiteten Verantwortung werden wir heute als Parlament gerecht. Heute, am 6. März, nimmt das Parlament diesen Auftrag an und macht einen wichtigen Schritt, um die Benachteiligung von Frauen in der Wirtschaft zu beseitigen. Mein Dank gilt – stellvertretend für Sie alle, die darum gekämpft haben – unserer Ministerin Manuela Schwesig und unserem Minister Heiko Maas, die gemeinsam mit ihren Häusern das Gesetzespaket vorlegen, das wir heute beschließen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich füge hinzu: Es war eine Kraftanstrengung, diesen Gesetzentwurf endlich auf den Weg zu bringen. Die Benachteiligung von Frauen bei Führungsaufgaben in der deutschen Wirtschaft ist real und weit ver-breitet. Ein Beispiel: 2013 lag der Anteil von Frauen in Aufsichtsratspositionen bei nur 15,3 Prozent. Auch die Entwicklung dieser Zahlen war über Jahre hinweg -besorgniserregend. Der Anteil von Frauen in Aufsichtsratspositionen verbesserte sich von 2012 auf 2013 um lediglich 0,2 Prozentpunkte. Diese Entwicklung ist zu langsam und wird mit der Umsetzung des Gesetzes endlich ein Ende finden. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf führen wir – wie meine Vorredner schon erläutert haben – eine Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte in Unternehmen ein, die börsennotiert und voll mitbestimmungspflichtig sind. Dies betrifft über 100 Unternehmen. Zusätzlich werden 3 500 größere Unternehmen verpflichtet, Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und Führungsebenen festzulegen. Ich bin mir sicher: Wenn wir das Gesetz nach drei Jahren überprüfen, dann werden wir feststellen, dass nicht nur Frauen in Führungspositionen davon profitieren. Die gläserne Beförderungsdecke wird brüchig gemacht. Die Unternehmen und damit unsere Wirtschaft insgesamt werden davon profitieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Leistungen der Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen werden es den Frauen in der gesamten Wirtschaft ermöglichen, für bessere Berufschancen und gleiche Bezahlung zu streiten. Auch an diesem Effekt des Gesetzes zur Quote sollten wir zum Weltfrauentag am Sonntag erinnern. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. Mir liegen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung von den Kolleginnen Vogler, Sitte, Schröder und Deligöz und dem Kollegen Bareiß vor. Wir nehmen sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1 Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4227, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3784 und 18/4053 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/4240? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum einen über Artikel 1 und Artikel 2 und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte nun diejenigen, die Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 1 und Artikel 2 sind mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir stimmen jetzt über die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind einstimmig angenommen. (Langanhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das reicht noch nicht! Wir müssen noch in dritter Beratung abstimmen! – Gegenruf des Abg. Sönke Rix [SPD]: Herr Kauder, wir feiern noch dreimal! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied: Wir arbeiten, ihr feiert – ihr auf dem Sonnendeck, wir im Maschinenraum!) Ich stelle fest: Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich gebe den Mitgliedern der Bundesregierung gern die Möglichkeit, als Abgeordnete von ihrem Platz in den Reihen der Fraktionen mit abzustimmen, wenn sie das wollen. – (Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und weitere Mitglieder der Bundesregierung begeben sich von der Regierungsbank in die Reihen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Lang-anhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? – Wer enthält sich? – (Dr. Eva Högl [SPD], an die Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gewandt: Eigentlich ist dieses Gesetz doch ein Meilenstein!) Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. (Langanhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt davonströmen wollen, wir sind noch nicht fertig mit diesem Tagesordnungspunkt, wir haben noch mehrere Abstimmungen vor uns. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD gewandt: Gehen Sie nicht raus! Wir haben jetzt die Mehrheit! Wir beschließen jetzt 40 Prozent!) Wir sind jetzt beim Tagesordnungspunkt 19 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen – Führungskräftegesetz. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4227, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1878 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feige!) Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 19 c. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 18/4227 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter den Buchstaben c und d seiner Beschlussempfehlung, die Berichte der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz auf Drucksache 17/4307 und zum Bundesgremienbesetzungsgesetz auf Drucksache 17/4308 (neu) zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? (Zurufe von der CDU/CSU und der SDP) – Wir können hier vorne im Moment noch keine Mehrheitsverhältnisse feststellen, da wir kein einhelliges Abstimmungsverhalten in den einzelnen Fraktionen hat-ten. – Wir stimmen über die Kenntnisnahme der gerade genannten Drucksachen ab. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es auch nicht zur Kenntnis nehmen!) Ich habe festgestellt, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke diese zur Kenntnis nehmen wollen. (Sönke Rix [SPD]: Und der Abgeordnete Rix!) In den Koalitionsfraktionen war das leider nicht feststellbar. Ich wiederhole also die Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? (Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke: Kenntnisnahme!) – Also für die Kenntnisnahme laut Beschlussempfehlung? Das meine ich ja; Entschuldigung, aber ich habe vorhin auch nach der Kenntnisnahme gefragt. – Wer stimmt gegen die Kenntnisnahme? – Wer enthält sich? – Dann haben wir auch das gemeinsam geschafft. Die Beschlussempfehlung, die genannten Unterrichtungen zur Kenntnis zu nehmen, ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen Drucksache 18/4191 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Während sich das Haus umorganisiert, übergebe ich die Leitung der Sitzung an die Kollegin Bulmahn, die dann zu gegebener Zeit die Aussprache eröffnen wird. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist eröffnet, da die meisten Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben. Als erster Redner erhält Dr. Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Herr Kollege. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zehn Jahren ist das Landwirtschafts- und Ernährungsministerium in der Hand der CSU. Herrn Minister Schmidt – er ist bei dieser Debatte noch nicht anwesend – muss ich fragen: Was haben die Ministerinnen und Minister der CSU in diesen zehn Jahren erreicht? Wenn man sich die Bilanz anschaut, dann stellt man fest, dass diese einfach grauenhaft ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Zahl der Bauernhöfe hat in dieser Zeit um 30 Prozent abgenommen; bei den Schweinehaltern mussten sogar 70 Prozent aufgeben. Es werden in den Ställen tonnenweise Reserveantibiotika verwendet. Die Hälfte der Grundwassermessstellen schlägt inzwischen Alarm wegen Nitratbelastung. Monsanto rollen Sie vonseiten der Großen Koalition den roten Teppich aus, um Gentechnik in Deutschland endgültig zu etablieren. Den Tierschutz überlassen Sie einfach weiterhin der Industrie. Die CSU hatte in den letzten Jahren dieses Ministerium zu verantworten. Die CSU verantwortet also, dass viele Menschen, viele Familien unseren Lebensmitteln inzwischen nicht mehr trauen. Die CSU ist dafür verantwortlich, dass viele Menschen Angst vor multiresistenten Keimen haben. Und die CSU ist auch dafür verantwortlich, dass viele anständige Landwirte inzwischen Sorge haben, dass sie ihren Betrieb nicht mehr weiterführen können, dass viele anständige Landwirte aufgeben mussten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist deshalb schlichtweg höchste Zeit für eine Agrarwende in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, auch die Kollegen von SPD und CDU, Sie hätten doch die Mittel dazu in der Hand. Sie könnten doch die Fördermittel gerechter verteilen. Sie könnten doch die Fördermittel an Umwelt- und Tierschutz koppeln. Stattdessen haben Sie dafür gesorgt, dass die Fördermittel weiter ungerecht verteilt werden. 5 Prozent der Betriebe erhalten 45 Prozent der Steuermittel. Das ist doch nicht gottgegeben. Das könnte man doch verändern, wenn man wollen würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie könnten doch die Flächenbindung der Landwirtschaft wiederherstellen; Seehofer hat diese damals unter der ersten Großen Koalition abgeschafft. Dann hätten wir eine Möglichkeit, diese Riesenställe in den Griff zu bekommen. Warum tun Sie das nicht? Warum koppeln Sie nicht die Tierhaltung wieder an die Fläche? Das würde bedeuten, dass man eine bestimmte Flächengröße nachweisen muss, wenn man eine bestimmte Anzahl an Tieren hält. Seehofer hat das abgeschafft. Warum führen Sie das nicht einfach wieder ein? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es besteht doch die Möglichkeit, ein neues Tierschutzgesetz einzuführen, das diesen Namen verdient, ein Tierschutzgesetz, das Qualzucht wirklich verbietet, ein Tierschutzgesetz, das das Töten von Küken und Maßnahmen wie das Schnabelkürzen bei Hühnern verbietet. Das wäre doch mal was. Stattdessen haben Sie irgend so eine intransparente Tierwohl-Initiative gestartet. Sie schieben damit die Probleme weiterhin auf die lange Bank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der CSU und der SPD – die CDU ist ja für Gentechnik; aber CSU und SPD sind angeblich gegen Gentechnik –, warum hören Sie nicht einfach auf die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und verbannen Gentechnik aus Deutschland? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Stattdessen überlegen Sie sich eine vollkommen durchlöcherte Regelung. Machen Sie doch was ganz Einfaches: Sorgen Sie per Gesetz dafür, dass das nationale Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen, das die EU uns ermöglicht – wir hätten das gerne EU-weit verboten –, auch umgesetzt wird. Sie haben eine 80-Prozent-Mehrheit. Beschließen Sie es doch einfach. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine weitere Möglichkeit, die wir Ihnen vorschlagen: Sie könnten dem Beispiel von Dänemark und den Niederlanden folgen. Dänemark und den Niederlanden ist es gelungen, den Antibiotikaverbrauch in den Ställen zum Teil um bis zu zwei Drittel zu senken. Warum folgen Sie nicht dem Beispiel von Dänemark und den Niederlanden und senken den Verbrauch von Antibiotika in den Ställen oder wenigstens den Verbrauch von Reserveantibiotika? Das ist besonders wichtig, wenn man Menschen, die von multiresistenten Keimen befallen sind, wenigstens noch eine Chance geben will. Warum verbieten Sie nicht wenigstens den massenhaften Einsatz von Reserveantibiotika in den Ställen? Sie könnten es. Warum tun Sie es nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wenn man sich die Bedingungen anschaut, unter denen viele Menschen in den Schlachthöfen arbeiten, dann muss man sagen: Das sind sklavereiähnliche Bedingungen. Es ist unseres Landes doch vollkommen unwürdig, wie diese Menschen behandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Wenn Sie darüber stöhnen oder lästern, schauen Sie sich die Bedingungen an, unter denen diese Menschen arbeiten. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Hofreiter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priesmeier zu? Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, klar, wenn er Lust dazu hat. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Herr Kollege Hofreiter, wenn Sie das dänische Beispiel loben, wie erklären Sie dann die Tatsache, dass in Dänemark in den letzten zwei Jahren das Vorkommen von MRSA-Keimen in den Proben der Lebensmittelüberwachung drastisch zugenommen hat? Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Dänemark hat das Vorkommen deshalb zugenommen, weil dort inzwischen vernünftig kontrolliert wird. Ein Teil der Antibiotikastrategie in Dänemark ist nämlich auch, für entsprechende Kontrollen zu sorgen und nicht nur das Ausmaß des Einsatzes von Antibiotika zu senken. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Wir könnten ein weiteres Beispiel nehmen: Es ist inzwischen in den skandinavischen Ländern gelungen, wie zum Beispiel in Norwegen, die Schweinebestände komplett von resistenten Keimen zu befreien. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel. Es gibt gute Beispiele. Kommen Sie nicht immer mit irgendwelchen Ausreden. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Schwimmen!) Nur weil woanders vernünftig gearbeitet wird, glauben Sie, nichts machen zu müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das war eine Ausrede!) Herr Kollege Priesmeier, es tut mir leid, dass ich Sie vorhin nicht gesehen habe. Ich habe wahrscheinlich zu sehr auf die Kollegen der CDU/CSU geachtet, die, ehrlich gesagt, bei diesem Thema dominanter sind. (Rita Stockhofe [CDU/CSU]: Darauf kann man gar nicht genug achten!) Aber vielleicht auch eine Frage an die Kollegen von der SPD: Warum sorgen Sie nicht dafür – die Möglichkeit dazu hätten Sie –, dass jedes Kind, egal welches Einkommen die Eltern haben, ein vernünftiges Schulessen, ein vernünftiges Kitaessen bekommt? Warum kümmern Sie sich als Sozialdemokraten nicht stärker darum? Sie hätten die Möglichkeit dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wie ist das in den grünen Bundesländern? – Rita Stockhofe [CDU/CSU]: So wie in den Ländern, wo die Grünen das Sagen haben!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, liebe Bundesregierung, Sie haben die Mittel in der Hand, um entsprechend etwas zu tun. Warum tun Sie es nicht? Es geht dabei nicht um wenig. Es geht um Klima- und Verbraucherschutz, es geht um Tierschutz, und es geht um Artenreichtum, ja, und es geht um eine Branche mit mehr als 1 Million Arbeitskräfte. Deshalb: Sorgen Sie dafür, dass wir zu einer vernünftigen Agrarwende kommen, sorgen Sie endlich dafür, dass die Landwirte nicht mehr gezwungen sind, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten. Wir Grüne wollen, dass diese 1 Million Jobs erhalten bleiben. Wir wollen, dass diese Menschen faire Möglichkeiten und die Landwirte gute Chancen haben. Wir wollen faire Arbeitsbedingungen statt Ausbeutung. Wir wollen keine Steuergelder mehr für die Großunternehmen; vielmehr sollten die Steuergelder an die kleinen und mittelständischen Unternehmen gerecht verteilt werden. Wir wollen Investitionen in den Tierschutz und in die Umwelt. Wir wollen die Lebensmittelstandards verbessern und wollen nicht, dass sie bei TTIP und CETA verhökert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition – der Herr Minister ist ja nicht da –, sorgen Sie dafür, dass es endlich zu einer Agrarwende kommt! Sorgen Sie endlich dafür, dass Sie Verantwortung übernehmen, und steuern Sie bei Ihrer Agrarpolitik um! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Schwach! Äußerst schwach!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich kann nur sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier. Heute nun wieder mal die Forderung nach der Agrarwende: weg von der marktwirtschaftlichen Landwirtschaft, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es nicht schaffen, müssen wir es täglich wiederholen!) hin zu kleinstrukturierten Betrieben; das Ganze verbunden mit der Forderung, dass bäuerliche Betriebe wieder besser von der Landwirtschaft leben können sollen. Ich sehe nicht, wie Sie das mit Ihren Forderungen, mit Ihrer Schwarz-Weiß-Malerei erreichen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Trends des Betriebsgrößenwachstums und der wachsenden Tiereinheiten je Betrieb sind auch zu Zeiten grüner Regierungsverantwortung von 2001 bis 2005 nicht gestoppt worden, ja nicht einmal verlangsamt worden. Denn Landwirtschaft – das müssen auch Sie endlich einsehen – hat auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun. Wir Bauern leben nun einmal nicht in einer isolierten Märchenwelt, auch wir müssen auskömmliche Einkommen erwirtschaften können. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Umsetzung der EU-Agrarreform erreichen wir durch Zuschläge von 50 Euro für die ersten 30 Hektar und weiteren 30 Euro für die folgenden 16 Hektar bereits eine Besserstellung für kleine und mittlere Betriebe bis 95 Hektar. Auch für Junglandwirte ist ein Programm aufgelegt worden, durch das es Zuschläge von 44 Euro pro Hektar für die ersten 90 Hektar gibt. Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, was das Überleben der kleineren Betriebe, die Sie ja so vehement fordern und von denen wir Gott sei Dank auch noch -einige haben, erschwert. Das sind auch die ständigen neuen Anforderungen, die an die Betriebe gestellt werden. Denn eines ist klar: Zusätzliche Auflagen, Nachforderungen an Stallumbauten, Stalleinrichtungen, überbordende Bürokratie etc. können die größeren Betriebe viel leichter stemmen als die kleinen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb dürfen wir nicht in einen blinden Aktionismus verfallen, wenn wir Prozesse ändern wollen, sondern wir sollten Änderungen nur problembezogen, wissenschaftlich fundiert und praxistauglich durchführen. (Beifall bei der CDU/CSU) Da hilft dann eben kein blinder Aktionismus. Da reicht es auch nicht, die simple Formel aufzustellen: Tierwohl ist gleich kleine Einheit. Vielen Tieren – das müssen Sie zur Kenntnis nehmen – geht es heute in größeren Einheiten deutlich besser als früher in kleinen, dunklen Ställen mit schlechten Luftverhältnissen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Rita Hagl-Kehl [SPD]) Dabei haben die Landwirte auch immer bewiesen, dass sie durchaus bereit sind, praktikable und sinnvolle Wege mitzugehen. Die Düngenovelle befindet sich zurzeit in Überarbeitung. Wir treten für eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes ein. Ja, wir sind das Land, das bereits eine -Antibiotikadatenbank besitzt, in der jede Gabe dokumentiert wird. Wir haben das Baugesetzbuch verändert. Dadurch haben Kommunen bessere Steuerungsmöglichkeiten bei Stallneubauten. Vieles befindet sich also auf dem Weg. Es wird für einige Betriebe nicht leicht sein, das umzusetzen. Zusätzlicher, verfrühter und unnötiger Aktionismus hilft jetzt keinem weiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu möchte ich Ihnen gern ein Beispiel aus meiner niedersächsischen Heimat aufzeigen, wo ein grüner Landwirtschaftsminister, der als Höfesterben-Minister bekannt ist (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo leben Sie denn?) – so viel zu der Forderung nach mehr landwirtschaftlichen Betrieben –, (Beifall bei der CDU/CSU) das große Problem des Schwanzbeißens bei Schweinen mal so eben mit dem Einsatz von 28 Millionen Euro in den Jahren 2016 bis 2020 in den Griff bekommen will. Ich rede von der sogenannten Ringelschwanz-Prämie. Jeder niedersächsische Bauer, der sein Tier mit komplettem Schwänzchen, unkupiert von seinem Halter und unangeknabbert von seinen Artgenossen zum Schlachthof bringt, soll 16, 17 oder 18 Euro extra bekommen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig viel Geld!) Das Problem ist nur, dass diese 28 Millionen Euro bei den in Niedersachsen anfallenden Schlachtungen, wenn jedes erzeugte Mastschwein prämiert würde, gerade einmal für einen Monat reichen würden. Das ist keine Nachhaltigkeit. Das nenne ich Aktionismus, Augenwischerei und Geldverbrennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie lehnen selbst den Anfang ab! Schritte in die richtige Richtung lehnen Sie also rundweg ab!) Diese 28 Millionen Euro hätte man sinnvoller einsetzen können. Solche unausgegorenen Pläne gibt es leider reichlich. Ende Februar fand in meiner Heimatstadt der niedersächsische Junglandwirtetag statt. Ich bin unserem Bundesminister im Nachhinein sehr dankbar, dass er sich die Zeit genommen hat, den landwirtschaftlichen Nachwuchs aufzubauen, indem er ihm Zukunftsängste nahm und Perspektiven für den ländlichen Berufsstand aufzeigte. Diese jungen Menschen – die übrigens mit zu der bestausgebildeten Berufsgruppe zählen – verzweifeln inzwischen manchmal an den ständig wachsenden Anforderungen der Politik und fragen sich, warum sie überhaupt noch an diesem Beruf festhalten sollen, bei dem sie unter Generalverdacht gestellt und als Umweltsünder und Tierquäler diskreditiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Zurück zum Thema Schwanzbeißen. Das Schwanzbeißen in Schweinebeständen bekommt man eben leider nicht durch das Verbot des Schwänzekupierens in den Griff. Es gibt Betriebe, in denen es bei drei oder vier Durchgängen super gut läuft. Dann aber geht das Verbeißen ohne erkennbare Gründe – gleiches Futter, gleicher Ferkellieferant, gleiches Stallklima, ausreichend Spielzeug – los. Das ist übrigens kein alleiniges Problem der Intensivtierhaltung. Von diesem Phänomen wird bei allen Haltungsformen berichtet. Da hilft reiner Aktionismus nicht. Vielmehr muss erst einmal die Forschung weiter betrieben werden. Denn glauben Sie mir: Jeder Landwirt wäre froh, wenn er diese lästige Arbeit nicht machen müsste. Verbissene Schwänze sind für Schweine schmerzhaft, führen zu Krankheiten und Entzündungen und damit zu unnötigem Medikamenteneinsatz. Wem ist damit geholfen? (Beifall bei der CDU/CSU) Sie fordern den Stopp des angeblich ausufernden Antibiotikaeinsatzes. In Niedersachsen ist Ihr grüner Landwirtschaftsminister, ein Jahr nachdem die Bundesregierung die Änderung des Arzneimittelgesetzes mit einem Antibiotika-Minimierungskonzept auf den Weg gebracht und die Kontrollbefugnisse der Länderbehörden erheblich erweitert hat, noch immer nicht in der Lage, sein angekündigtes Antibiotikamonitoring umzusetzen. Also bitte: Erforderlich ist die Abkehr von einer Ideologie hin zu einer Versachlichung. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Thema „gesunde Ernährung“. Nirgends auf der Welt gibt es sicherere Lebensmittel als in Deutschland. Lebensmittel auf höchstem Niveau sind hier zu bezahlbaren Konditionen zu erhalten. Was noch viel besser ist: Deutsche Verbraucher haben die Wahl. Sie können die Lebensmittel kaufen, die ihrer Lebensweise und ihren Ansprüchen und auch ihrem Geldbeutel entsprechen. Wir sind dabei, die Kennzeichnung weiter zu verbessern, um die Entscheidung der Verbraucher zu erleichtern. Wir fordern Wahrheit statt Klarheit. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Wahrheit und Klarheit, Entschuldigung. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Freud’scher Versprecher!) Wir wollen die Verbraucher nicht für dumm verkaufen. Die simple Ampelvariante unterfordert die Verbraucher; die sind nämlich schon viel weiter, als Sie denken. Die Ampelvariante reicht nicht aus. Allergieauslösende Stoffe müssen heute deklariert sein. Der Verbraucher will zunehmend mehr über verarbeitete Lebensmittel wissen. Das fordern Sie, und da bin ich auch bei Ihnen. Ich bin auch bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass das Wissen über Ernährung besser in die Breite der Gesellschaft getragen wird. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also, dann mal los!) In diesem Bereich gibt es bereits viele gute Ansätze. Ich verweise auf die Initiative „IN FORM“, Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung; „SchmExperten“ und „Fit im Alter“ sind nur zwei weitere Beispiele. An dieser Stelle sind aber natürlich auch die Länder gefragt. Auch die grünen Bundesländer dürfen wir nicht aus der Verantwortung entlassen. Tun Sie mir also folgenden Gefallen: Packen Sie Ihren Antrag beiseite, und gehen Sie mit uns die von unserem Minister eingeschlagenen Wege, gern auch mit kritischen Anregungen, aber bitte ohne ideologische grüne Brille, Diffamierungen und Pauschalverurteilungen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD] – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ganz schlecht!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Kirsten Tackmann von der Linken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich habe monatlich eine Sprechstunde auf den Marktplätzen zwischen Perleberg und Neuruppin. Da hört man ziemlich gut, was die Leute so bewegt. Es gibt kaum ein Thema, auf das man öfter angesprochen wird als die Landwirtschaft. Die Kritik richtet sich aber nicht gegen die Landwirtschaft an sich, sondern gegen Megaställe, gegen zu viel Chemie auf dem Acker – weswegen es zu wenige Bienen gibt –, gegen Agrogentechnik oder gegen den Missbrauch von Antibiotika. Ich finde, dass die Bürgerinnen und Bürger ein sehr feines Gefühl für die Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft haben. Ich finde, dass man diese Kritik auch ernst nehmen muss. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig sage ich als Linke: Ich möchte den Landwirtschaftsbetrieben die Hand reichen; denn wir brauchen sie als Verbündete, wenn wir diese Situation verändern wollen. Hoffnung habe ich vor allen Dingen bei den Betrieben, bei denen, die das Sagen haben, die auch vor Ort wohnen; denn diese sichern Arbeit und Einkommen in der Nachbarschaft. Sie helfen auch einmal beim Dorffest oder beim Winterdienst; das ist selbstverständlich. Mit ihnen kann man und soll man auch diskutieren, wie die Probleme gelöst werden können. Ich finde, Landwirtschaft und Dorf müssen wieder enger zusammenrücken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ob das klappt, ist nach meiner Erfahrung eben nicht eine Frage der Größe des Betriebs. Positive Beispiele erlebe ich sowohl bei Familienbetrieben als auch bei klug geführten GmbHs, aber vor allen Dingen auch bei Genossenschaften. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum man diese gute Erfahrung aus Ostdeutschland in Westdeutschland so sehr ignoriert. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Gegenmodell zu dieser regional verankerten Landwirtschaft sind Agrarholdings wie jene, die auch im Umfeld meines Dorfes im Nordwesten Brandenburgs die Flächen bewirtschaftet. Laut Internet betreibt sie auf 22 000 Hektar reinen Ackerbau an 40 Standorten – wenn ich auf der Karte richtig gezählt habe –, fast ausschließlich in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Der Hauptsitz liegt aber in Niedersachsen. „Land Grabbing“ findet also nicht nur in Afrika statt, sondern auch vor unserer Haustür. Mit Landwirtschaft im Interesse unserer Region hat das wenig zu tun. Dafür lässt sich mit diesem Geschäftsmodell aber offensichtlich kurzfristig sehr viel Geld verdienen. Deshalb kauft das vagabundierende Kapital nun Äcker, Wiesen oder ganze Betriebe. Auch die bundeseigene BVVG verkauft in politischem Auftrag die ehemalig volkseigenen Flächen der DDR an Meistbietende, und zwar europaweit, mit der Folge, dass die Bodenkauf- und Pachtpreise in vielen Regionen unterdessen so hoch sind, dass sie mit landwirtschaftlicher Arbeit nicht mehr zu bezahlen sind. Das Ergebnis sind kapitalgesteuerte, regional entkoppelte Agrarunternehmen. Das ist eine ferngesteuerte Landwirtschaft, die wir nicht wollen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) In Gefahr ist damit aber auch ein ganz wichtiger politischer Konsens seit dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die Sicherung einer breiten Streuung des Bodeneigentums. Die Linke weist seit langem auf diese Fehlentwicklung hin, häufig leider vergeblich, aber jetzt tut sich Gott sei Dank etwas. Unter anderem liegen jetzt die Vorschläge des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften auf dem Tisch. Ein Vorschlag ist zum Beispiel, dass Veräußerungen von Gesellschaftsanteilen landwirtschaftlicher Unternehmen genehmigt werden müssen. Ich finde, es ist höchste Zeit zum Handeln, damit nachhaltig wirtschaftende Betriebe eine Chance haben. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kurz vor dem 8. März habe ich mir noch mal angeschaut, wie viele landwirtschaftliche Betriebe von Frauen geleitet werden. Eine Übersicht für die EU-Mitgliedstaaten liegt leider nur für die Jahre 1999 und 2000 vor. Damals bildete Deutschland mit 8 Prozent gemeinsam mit Dänemark und den Niederlanden das absolute Schlusslicht. Ich finde das wirklich peinlich. An der Spitze standen übrigens Österreich mit 31 Prozent und Griechenland mit 24 Prozent Frauenanteil. Nicht dass Sie denken, dass es 2013 besser ausgesehen hat. Im Jahr 2013 waren sogar nur noch 6,4 Prozent der Betriebsleiter in der Landwirtschaft weiblich. Ich finde, Mädels, hier muss sich dringend etwas ändern. Dann ändert sich auch noch schneller etwas in der Landwirtschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hofreiter, ich hätte bei Ihrer Rede ein bisschen mehr Wissenschaftlichkeit erwartet. Als Diplombiologe wären Sie dazu sicherlich in der Lage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielleicht halten Sie demnächst eine Rede über „Urban Farming“ in München. Dazu sind Sie mit Sicherheit qualifiziert. Die Welt ist nicht ganz so einfach, wie wir uns das vorstellen. Die Agrarwende datiert ja schon vom Jahr 2001 und war letztendlich die Konsequenz aus den Erkenntnissen der BSE-Krise und aus der damaligen Systemkrise. Daraus haben wir Sozialdemokraten und auch die Grünen Konsequenzen ziehen müssen. Die Konsequenzen sieht man ja schon; denn die Landwirtschaft hat sich in den vergangenen 14 Jahren bewegt. Die Landwirtschaft ist dialogbereit geworden. Die Landwirtschaft stellt sich natürlich den Herausforderungen. Es nützt also nichts, wenn man Ängste schürt oder Hunderttausende von Landwirten an einen Pranger stellt, an den sie nicht gehören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist untauglich, zu versuchen, Menschen, die zur Landwirtschaft unter Umständen keine unmittelbare Beziehung haben, für seine politischen Ziele und Zwecke zu instrumentalisieren und in der gesamten Gesellschaft Ängste zu erzeugen. Damit kommen wir weiß Gott nicht weiter. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Man sollte konkrete Optionen dafür entwickeln – Ihre Länderminister tun das ja auch relativ konstruktiv –, im Hinblick auf all die Probleme, die unzweifelhaft vorhanden sind, im Dialog voranzukommen. Man kann das alles nicht differenziert betrachten, wenn man, wie Sie in Ihrem Antrag, in einem Satz von „gefährlichen Keimen“, „tierquälerischen Missständen“, „Riesenställen“, „Monokulturen“, „Artensterben“, „Klimakrise“, „Landraub“, „Umweltzerstörung“ und „verseuchtem Grundwasser“, von Dumping und der Zerstörung bäuerlicher Strukturen spricht. Das ist wirklich viel zu einfach. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hier stimmt Ihre Analyse nicht zur Gänze. Vielmehr muss man im Einzelnen schauen, wo die Ursachen liegen. 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind Familienbetriebe. Wir haben keine sich entwickelnde großräumige, großflächige Agrarindustrie. Es gibt Entwicklungen, die wir nicht gutheißen können. Die SPD will keine KTG Agrar, die SPD will keine Straathoffs, und die SPD will auch nicht Haßleben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Daher darf man aber auch nicht das Bild der Landwirtschaft diskreditieren. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb redet man bloß und handelt nicht! Das ist typisch SPD: Laber, laber, laber, und nichts tun!) Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wir wollen eine bäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft, die von Unternehmern geprägt ist, die Verantwortung tragen und Verantwortung in dieser Gesellschaft übernehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen Sie?) Wir haben heute Unternehmen, die wettbewerbsfähig sind und Arbeitsplätze schaffen. Ihre Wertschöpfung im ländlichen Raum und auch in der gesamten Gesellschaft ist erheblich. Wir haben die Agrarwende gemeinsam vorangetrieben. Als Folge der Agrarwende und verschiedener anderer Beschlüsse haben wir auch ganz wichtige Entscheidungen in Brüssel getroffen. Renate Künast war dafür verantwortlich, dass wir das alte Prämiensystem mit der Kopplung an Produkte abgeschafft und Flächenprämien eingeführt haben. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Genau!) Das hat die deutsche Landwirtschaft in besonderer Weise wettbewerbsfähig gemacht. Wir haben den Außenschutz reduziert und mit den Beschlüssen von damals dafür gesorgt, dass es heute nicht mehr notwendig ist, mit Exporterstattungen auf den Weltmärkten Dumping zu betreiben. Das ist auch ein Erfolg von Rot-Grün. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Davon kann man sich nicht distanzieren. Wenn man sich mit der Landwirtschaftspolitik ausei-nandersetzt, dann wird klar: Die Landwirtschaftspolitik ist heute Gesellschaftspolitik. Die Agrarpolitik und die Landwirte sind mitten in der Gesellschaft angekommen. Ich glaube, es ist ungerecht, den Landwirten den Dialog zu verweigern und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Für mich ist die Akzeptanz des landwirtschaftlichen Sektors, des Agrarsektors, der Kern und die Voraussetzung für die weiteren Perspektiven, die die Landwirtschaft in unserem Lande haben muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Darüber hinaus brauchen wir nicht nur eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft, sondern auch den Außenhandel und den Import. Mit dem Import sichern wir auch in anderen Ländern Arbeitsplätze. Wir importieren im Bereich der Landwirtschaft im Wert von 71,6 Milliarden Euro und exportieren im Wert von 64,2 Milliarden Euro. Ich finde, auch das hat nichts mit Dumping zu tun, sondern zeigt, dass unsere Landwirtschaft Chancen hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir als SPD sind natürlich nicht blind. Ich glaube, dass die Subventionen, die wir zahlen, nicht dauerhaft Bestand haben können. Subventionen, die falsch orientiert sind, sind aber nicht dafür verantwortlich, dass 70 Prozent der Betriebe keinen Hofnachfolger finden. Dafür sind Strukturveränderungen verantwortlich, die es immer schon gab und denen wir uns auch politisch so schnell nicht entziehen können. Auch in den anderen europäischen Ländern gibt es die gleiche Entwicklung beim betrieblichen Wachstum, und auch dort sinkt die Anzahl der Betriebe. So falsch kann unsere Agrarpolitik, betrachtet man den gesamten Kontext Europa, also nicht gewesen sein – auch nicht die von Rot-Grün. (Beifall bei der SPD) Welche Auswirkungen Standards haben, die wir alle umsetzen wollen, wird auch deutlich, wenn man sich die Entwicklung anschaut. Wir haben die Käfighaltung Gott sei Dank verboten. In der Folge sind alle kleineren Betriebe, die weniger als 5 000 bis 10 000 Hühner in ihren Käfigen hatten, aus der Haltung von Legehennen ausgestiegen. An ihrer Stelle haben andere Unternehmen investiert, sodass wir heute wieder einen Versorgungsgrad von 75 Prozent haben. Das macht deutlich: Jede Maßnahme, die wir beschließen, und jeder höhere Standard, den wir in Teilen zu Recht umsetzen, führen automatisch dazu – und das gilt auch für die Maßnahmen, die Sie fordern –, dass dieser Strukturwandel vorangetrieben wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Mit Blick auf die Zukunft hat die deutsche Landwirtschaft, die deutsche Agrarwirtschaft innerhalb Europas und auch innerhalb dieser Welt eine besondere Aufgabe: Wir können Modell für eine nachhaltige Landwirtschaft, für eine vielgestaltige Landwirtschaft sein. Wir erhalten auf diese Art und Weise unsere Kulturlandschaft und tragen wesentlich dazu bei, dass die Verhältnisse in den ländlichen Räumen stabil bleiben. Dafür, finde ich, lohnt es sich, Politik zu machen, und dafür macht die SPD Agrarpolitik. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hans-Georg von der Marwitz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Beim Durchlesen des heutigen Antrags von den Grünen ging mir ein Zitat von Christian Morgenstern durch den Kopf: (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht schlecht!) Die Hälfte allen Unglücks – vom gröbsten bis zum feinsten – geht auf Unwissenheit oder Denkfehler zurück, gewollte oder ungewollte … (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD]) Dabei könnte ich es bewenden lassen, wäre da nicht der von den Grünen gewollte Denkfehler – das haben wir bei der ersten Rede sehr deutlich gehört –, den Sie wie eine Monstranz, wie eine alleinige Wahrheit vor sich hertragen. „Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“, so lautet der Titel Ihres Antrags. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann unterstützen Sie das doch einfach!) Als Landwirt, auch ökologisch arbeitend, fühle ich mich bei Ihrem Rundumschlag im wahrsten Sinne des Wortes vor den Kopf gestoßen. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn gegen gutes Essen?) Als ob die deutsche Landwirtschaft und die Lebensmittelverarbeiter ein Haufen unverbesserlicher Ganoven wären, denen das Handwerk gelegt werden müsste, vermengen Sie alle negativ besetzten Begriffe wie Massentierhaltung, Artenschwund, verseuchtes Grundwasser, Aufheizen der Atmosphäre, Klimawandel, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt der Fehler? Was ist daran falsch?) Welthunger, Ausbeutung von Arbeitskräften, Preisdumping, Antibiotikaresistenz, Tierqual und nicht zuletzt Zerstörung der Natur in einem Schierlingsbecher und vergiften damit den landwirtschaftlichen Berufsstand. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD]) Justus von Liebig hat wohl recht, wenn er sagt: Wir neigen viel zu sehr dazu, Dingen, die das Ergebnis vieler Ursachen sind, einer einzigen zuzuschreiben. Das tun Sie. Mit Ihrem heutigen Antrag haben Sie bei mir manche Sympathie für das eine oder andere Ihrer Themen verspielt; denn es geht Ihnen nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit Problemen, die es natürlich auch in der deutschen Landwirtschaft gibt, sondern allein um die Lufthoheit über ein Problem und die Besetzung eines Themas, das ihnen bei zukünftigen Wahlen Stimmen verschaffen soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Darum geht es Ihnen und nur darum, nicht etwa um konkrete Veränderungen in einem landwirtschaftlichen Problemfeld; denn ein fachlicher Diskurs über mögliche Verbesserungen in der deutschen Landwirtschaft muss im Dialog und darf nicht mit einer pauschalen Vorverurteilung geführt werden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht die bitte?) – Lies doch bitte einmal den gesamten ersten Teil eures Antrags. Um die Funktion der modernen Landwirtschaft in der heutigen Wirtschaftsordnung zu verstehen, hilft, wie so oft, ein Blick in die Geschichte. Mit dem Landwirtschaftsgesetz von 1955 wurde die Stützungsbedürftigkeit des Agrarsektors herausgestellt. Allerdings müssen Förderungen zielgenau sein und sich in einem gewissen Rahmen bewegen. Vor allem dürfen die Kräfte des Wettbewerbs nicht ausgehebelt werden. Sie wissen, dass auch ich einer Kappung der Direktzahlungen positiv gegenüberstand. Auch heute noch bin ich der Meinung, dass wir darüber diskutieren müssen. Aber haben wir nicht mit dem Umverteilungsprämiengesetz vor einem Jahr in den letzten GAP-Verhandlungen einen Kompromiss erreicht, dem auch Sie hier im Bundestag zugestimmt haben? (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt verlangen Sie eine Umverteilung von 30 Prozent der Mittel aus der ersten Säule für die ersten 46 Hektar. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mal Ihr Zitat von Morgenstern gegoogelt! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das würde bedeuten, dass über 1,4 Milliarden Euro an Förderungen für alle Betriebe per annum umgeschichtet werden müssten. Ich denke, dass das eher zu Mitnahmeeffekten und zu weiteren Konzentrationen führen würde als zu einer produktiven und vor allem auch gerechten Landbewirtschaftung. Außerdem dürfte es zu einer Pachtpreisexplosion kommen, die nur den Landeigentümern zugutekommt. Auch Ihre nächsten Punkte können aus meiner Sicht so nicht stehen bleiben. Sie fordern eine pauschale Obergrenze für die Anzahl der gehaltenen Tiere. Es sollten Ihrer Ansicht nach nicht mehr als zwei Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche je Betrieb gehalten werden, um Massentierhaltung zu vermeiden. Natürlich – darin sind wir uns in mancher Hinsicht einig – kann es kein ungebremstes Wachstum geben, vor allem nicht in masttierstarken Regionen. Um die Entwicklungen effektiver steuern zu können, haben wir uns bereits Anfang 2013 die Novelle zum Baugesetzbuch vorgenommen. Angenommen, wir würden die von Ihnen geforderten 2 GV pro Hektar umsetzen, würde das nach dem GV-Schlüssel für Hähnchen 66 000 Mastplätze für einen 46-Hektar-Betrieb bedeuten. Kann sich der Verbraucher eine 66 000 Plätze umfassende Mastanlage überhaupt vorstellen? Ist diese Größenordnung etwa keine Massentierhaltung? Was ist Massentierhaltung? (Beifall bei der CDU/CSU) Auch ökologisch produzierende Landwirte, die Hühner, Schweine oder Rinder mästen, sind letztlich Massentierhalter. Legen wir doch bitte diesen Kampfbegriff beiseite und fragen lieber: Kann man Tiere so halten, dass sie sich offensichtlich wohlfühlen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sind in dieser Frage gar nicht weit voneinander entfernt, Harald. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch!) Wie muss der Stall zum Wohlfühlen beschaffen sein? Wie muss ich Stallklima und Platzangebot optimieren, um den Einsatz von Antibiotika so gering wie möglich oder vielleicht sogar überflüssig zu machen? Sie haben vorhin gefragt, warum zum Teil in größeren Anlagen immer weniger Antibiotika eingesetzt werden. Das kommt daher – damit verrate ich kein Geheimnis –, dass der Bau dieser Stallanlagen inzwischen optimiert worden ist. Wenn wir diese Optimierung vornehmen, dann haben wir für den Tierschutz, den Verbraucher und für die Menschen insgesamt sehr viel erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht allein die Bestandsgröße, sondern auch die Tierzahl in einer Region muss diskutiert werden, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das tun wir doch mit den GV!) aber nicht nur aufgrund des Tierwohls, sondern auch mit Blick auf die regionalen Voraussetzungen, die Agrarstrukturen und den volkswirtschaftlichen Sinn. Apropos Tierwohl: Herr Hofreiter, ich habe vorhin sehr wohl vernommen, dass Sie auch das kritisch begleiten. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlimm! Das ist echt schlimm, wenn die Opposition Dinge kritisch begleitet! Das ist ganz ungewohnt für die CDU/CSU!) Die in diesem Jahr gestartete Initiative Tierwohl ist ein Bündnis aus Verbänden und Unternehmen der Landwirtschaft, der Fleischwirtschaft und des Einzelhandels. Es ist das erste Mal, dass die private Wirtschaft branchenübergreifend und freiwillig für eine Verbesserung des Tierwohls eintritt. Meiner Auffassung nach ist die Initiative ein guter Ansatz, um den Spagat zwischen Tierschutz, Verbraucher- und Erzeugerinteressen zu schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo wird denn das Erzeugerinteresse bedient? Das erzählen Sie mal! Der Verbraucher erkennt doch gar nicht, was es ist! Der kriegt es auf den Teller und weiß es nicht!) Wir sind auf einem guten Weg und arbeiten konsequent daran, Missstände zu beheben und das Ansehen der Tierhalter in der Öffentlichkeit weiter zu verbessern. In einem Punkt sind wir uns allerdings einig; darüber brauchen wir uns nicht die Köpfe heißzureden. Lieber Minister Schmidt, letzte Woche haben wir alle fraktionsübergreifend gefordert, dass die Umsetzung der Opt-out-Regelung rechtssicher gestaltet werden muss. Eine erfolgreiche Klage eines Gentechnikkonzerns oder auch zum Beispiel eine Nichtnutzung der Opt-out-Option durch ein Bundesland wäre aus meiner Sicht ein Super-GAU. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Der mühsam gefundene Kompromiss zur Grünen Gentechnik wäre zunichtegemacht und die Glaubwürdigkeit der Politik massiv geschädigt. Insofern denke ich, dass eine bundesgesetzliche Regelung weniger Angriffsfläche bieten würde als eine länderorientierte. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Nun komme ich zum Schluss. Liebe Grünen, verabschiedet euch vom Schüren von Zukunftsängsten, von gesetzlicher Regelungswut und der Bevormundung des Bürgers! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe das Gefühl, ihr habt aus eurem letzten Wahlkampfdesaster keine wirklichen Konsequenzen gezogen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie Ihr Wahlergebnis in Hamburg?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Gestatten Sie mir nach dem heute Erlebten noch eine Bemerkung in eigener Sache: Wer sich allzu grün macht, sagte Goethe, den fressen am Ende die Ziegen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner in dieser Debatte hat der Kollege Niema Movassat von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag hungern 800 Millionen Menschen auf der Welt. Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist dafür mitverantwortlich. Immer mehr produzieren, das ist das Credo. Die EU unterstützt das. 45 Prozent des gesamten EU-Haushalts fließen in die Landwirtschaft. Das sind von 2014 bis 2020 386,5 Milliarden Euro. Das nützt vor allem den großen Agrokonzernen. Das schadet nicht nur vielen Bauern bei uns, sondern zerstört auch die Existenz von Millionen Kleinbauern in den Entwicklungsländern, schafft dort Armut und Hunger. Um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, brauchen wir endlich eine Agrarwende. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bis heute überschwemmen europäische Lebensmittel viele Märkte in Afrika. So wird bei uns deutlich mehr Hähnchenfleisch produziert, als wir essen. Ein großer Teil der Geflügelreste wird nach Afrika verschifft. In Ghana wird Geflügel dann für 90 Cent pro Kilogramm verkauft, ein Dumpingpreis, der nur dank der besagten EU-Gelder möglich ist. Das Fleisch wird subventioniert und so künstlich verbilligt. Der Kilopreis des Geflügels einer ghanaischen Hähnchenzüchterin liegt bei 1,80 Euro. Sie kann mit dem Spottpreis aus Europa nicht mithalten; sie muss ihren Betrieb aufgeben, sie verarmt, sie hungert. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das ist ein Skandal!) Die deutsche Fleischindustrie hingegen macht Profit. Die europäischen Geflügelexporte nach Afrika haben sich seit 2009 verdreifacht, die deutschen gar versiebenfacht. Dasselbe gilt für Milch und Schweinefleisch. Die Bauern in Europa und Afrika sind Opfer Ihrer Politik, werte Bundesregierung, weil Sie Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft über alles stellen. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Ursache, warum die Billiglebensmittel auf afrikanische Märkte kommen, sind Freihandelsvereinbarungen. Diese sehen vor, dass Entwicklungsländer ihre Märkte nicht schützen dürfen. Sie müssen Zölle senken. Sie können nicht, wie es in Europa gelaufen ist, erst einmal ihre eigene Landwirtschaft aufbauen, bevor sie sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Seit Januar gelten neue Freihandelsvereinbarungen, die EPAs. Diese zwingen zu noch mehr Marktöffnung. Viele afrikanische Länder haben sich lange dagegen gewehrt. Sie wissen, dass die Existenz ihrer Bauern auf dem Spiel steht. Die EU-Kommission hat aber die EPAs mit massivstem Druck durchgesetzt. Die Kleinbauern in Afrika haben nun noch weniger Chancen, sich gegen die übermächtige europäische Agroindustrie zu behaupten. Sie, die Bundesregierung, müssen sich dafür einsetzen, dass diese Freihandelsvereinbarungen ausgesetzt werden. (Beifall bei der LINKEN) Die europäische Agrarindustrie exportiert aber nicht nur Nahrungsmittel. Mithilfe der Bundesregierung arbeitet sie intensiv daran, das europäische Modell einer -industriellen Landwirtschaft in den globalen Süden zu exportieren, oft in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften, PPPs. Bei einem dieser PPPs fördert das deutsche Entwicklungsministerium unter dem Label der Hungerbekämpfung in Zusammenarbeit mit Konzernen wie Bayer und Syngenta die Kartoffelchips- und Pommesproduktion in Nigeria und Kenia. Damit bekämpfen Sie nicht den Hunger der Menschen, sondern stillen vor allem den Hunger der beteiligten Konzerne nach Gewinnen und neuen Märkten. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) In Afrika leben bis zu 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Eine Industrialisierung der Landwirtschaft nach europäischem Vorbild bedeutet für viele von ihnen den Verlust ihrer Arbeit. Sie können auch nicht in andere Jobs ausweichen. Es fehlt an alternativen Einkommensmöglichkeiten. Es gibt oft keinen funktionierenden Arbeitsmarkt, beispielsweise im Industriesektor. Die Folge: Hunger und Armut. Deswegen ist es falsch, das europäische Landwirtschaftsmodell zu exportieren. (Beifall bei der LINKEN) Im Weltagrarbericht wurde 2008 festgestellt, dass die Kleinbauern, die in den Entwicklungsländern 80 Prozent der Lebensmittel produzieren, der Schlüssel im Kampf gegen den Hunger sind. Liebe Bundesregierung, nehmen Sie das endlich ernst! Unterstützen Sie Kleinbauern statt Agrokonzerne! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Rita Hagl-Kehl von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie mein Kollege Wilhelm Priesmeier gerade erläutert hat, besteht die Basis einer zukunftsfähigen -Agrarpolitik nach unserer Auffassung aus lebendigen ländlichen Räumen und einer nachhaltigen Landbewirtschaftung. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist es, eine Landwirtschaft zu fördern, die flächendeckend wirtschaftet, multifunktional ausgerichtet ist und ressourcenschonend produziert. In diesem Sinne fördern wir das nachhaltigste Produktionssystem, nämlich den ökologischen Landbau. Deswegen finde ich es sehr schade, dass im Antrag der Grünen auf diesen Punkt nicht konkret eingegangen wird. Viele Themen, die im Antrag angesprochen worden sind, hängen sehr eng mit dem ökologischen Landbau zusammen. Genau aus diesem Grund halte ich es für sinnvoll, die Förderung des ökologischen Landbaus nicht nur im Rahmen der heutigen Debatte, sondern allgemein für die Zukunft der deutschen Landwirtschaft in den Vordergrund zu stellen. (Beifall bei der SPD) Die ökologische Landwirtschaft ist ein Produktionssystem, welches qualitativ hochwertige und gesunde -Lebensmittel herstellt. Darüber hinaus erbringt der Ökolandbau eine Vielzahl gesellschaftlich erwünschter Leistungen. Er erhält und schont die natürlichen Ressourcen im besonderen Maße und hat vielfältige positive Auswirkungen auf den Boden-, Gewässer- und Tierschutz sowie auf die Artenvielfalt. Diese nachhaltige Form der Landwirtschaft verzichtet auf leichtlösliche mineralische Stickstoffdüngemittel, chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und gentechnisch veränderte Organismen. Damit vermeidet er Verunreinigungen von Grund- und Oberflächenwasser mit zu viel Nitrat und Phosphaten. An dieser Stelle landen wir wieder bei der laufenden Novellierung der Düngeverordnung und der Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie, zu der ich hier bereits des Öfteren gesprochen habe. Im Hinblick auf diese Argumente sollte uns daran gelegen sein, die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland zu stärken. Nur so kann die Agrarwende in der Tat realisiert werden. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden sich für gesunde und ökologisch erzeugte regionale Lebensmittel, wodurch sich der Biolebensmittelmarkt dynamisch entwickelt und ständig wächst. Es wurde zum SPD-Anliegen, die Tätigkeit der heimischen Biobauern zu fördern, damit diese ebenfalls vom Wachstum profitieren können. Die Nachfrage ist da; aber auch ein passendes Angebot soll vorhanden sein. Unser politisches Ziel ist, dass immer mehr Betriebe mit unterschiedlicher Größe, Produktionsausrichtung und Beschäftigungsstruktur auf eine ökologische Produktionsweise umstellen – und nicht nur kleine Betriebe, wie im Antrag gefordert wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine Ausweitung der Ökoanbaufläche käme Landwirten, Verbrauchern, landwirtschaftlichen Nutztieren und der Umwelt gleichermaßen zugute. Damit das alles möglich wird, müssen noch einige Schritte unternommen werden. Als Erstes bedarf es eines verlässlichen und eindeutigen europäischen Rechtsrahmens. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bereits im September letzten Jahres haben wir auf unsere Initiative hin zusammen mit dem Koalitionspartner einen Antrag zur Novellierung der EU-Öko-Verordnung erarbeitet, dem fraktionsübergreifend zugestimmt wurde. Dieser Antrag unterstützt die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit der Kommission zur Weiterentwicklung des europäischen Rechtsrahmens. Als Zweites bedarf es eines abgestimmten Maßnahmenbündels zur Förderung des ökologischen Landbaus auf europäischer, aber natürlich auch auf nationaler Ebene. Damit diese Maßnahmen umgesetzt werden, muss eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung stehen. Bislang gibt es in Deutschland keine einheitliche und auf Dauer angelegte Strategie zur Förderung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft. Wenn wir das 20-Prozent-Ziel erreichen wollen, das Minister Schmidt in seinem „Zukunftsplan Öko“ angekündigt hat, müssen wir diese Fördermaßnahmen strategisch besser koordinieren. Daher fordern wir für den Haushalt 2016 mehr Geld für das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft“. (Beifall bei der SPD) Damit die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland zu einem Erfolg wird, halte ich es für notwendig, dass alle an diesem Produktionssystem Beteiligten kooperieren. Wir als Gesetzgeber legen den Rechtsrahmen fest, bezogen auf die Interessen der Verbände, der Landwirtschaft und der Verbraucher. Die anderen Teilnehmer in diesem System haben aber auch eine sehr wichtige Rolle. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen darauf achten, was sie essen und auf welche Art und Weise es produziert wurde. Der Preis eines Produkts entspricht meistens der Qualität, und die Qualität entspricht meistens einer gerechten Landwirtschaft. Auch die Produzenten sollten darauf achten, dass sie mit dem Boden und den Ressourcen schonend umgehen. Die Nachhaltigkeit ist wichtig, damit auch in Zukunft regionale und gesunde Lebensmittel zur Verfügung stehen. Wir alle müssen dabei auf unsere Rolle achten und diese auch wahrnehmen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Friedrich Ostendorff von Bündnis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Hans-Georg von der Marwitz, hättest du doch nur bei den Zitaten von Morgenstern etwas weiter gegoogelt. Da heißt es, wie du weißt: Die Zaghaftigkeit – wo Gutes gewollt wird – ist zu nichts nütze. Sie ist nur die Quelle immer weiterer Schwäche und damit immer weiterer Mißerfolge. Das gilt für dich ganz besonders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Toll, dass sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, für die Lage der Bäuerinnen und Bauern mehr interessiert als der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. Aber was sollte Volker Kauder hier auch sagen? Dass die angebliche Bauernpartei CDU in den vergangenen Jahren keinen einzigen Antrag, keine einzige Initiative vorgelegt hat, um dem massiven Höfesterben etwas entgegenzusetzen? Dass die angebliche Bauernpartei CDU das Höfesterben lieber Strukturwandel nennt und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, diesen Strukturwandel gar nicht so schlecht finden? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland lieber in ein EU-Vertragsverletzungsverfahren laufen lassen, als endlich eine vernünftige Düngeverordnung zum Grundwasserschutz gegen die Beharrungskräfte im Bauernverband durchzusetzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie seit der Aigner'schen Kuhschwanz-Prämie keinen Finger mehr für die Milchbauern krumm gemacht und den Bäuerinnen und Bauern zum Ende der Milchquote am 1. April nicht mehr als marktradikale Plattitüden anzubieten haben? Beispielhaft zitiere ich den CDU-Kollegen Kees de Vries: Wer für 32 Cent nicht melken kann, sollte Beamter werden. – Herr Minister Schmidt empfiehlt den Milchbauern – ich zitiere –: Hilfreich wird es sein, die Produktion am Markt zu orientieren. Schönen Dank, Herr Minister; das tun wir Bauern bereits seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Das haben Bäuerinnen und Bauern immer getan. Unsere Höfe machen aber trotzdem reihenweise zu. Meine Damen und Herren, Herr Minister, hilfreich wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis nehmen würden, dass in den letzten zehn Jahren fast die Hälfte der Milchviehbetriebe und zwei Drittel der Schweinehalter aufgegeben haben und dass wir auf dem besten Wege sind, die bäuerliche Landwirtschaft insgesamt zu verlieren. Hilfreich, Herr Minister, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wäre es aber auch, wenn Sie die Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Stärkung bäuerlicher Betriebe endlich nutzen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hilfreich wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis nehmen würden, dass Grundwasserbelastung, Antibiotikamissbrauch und Massentierhaltung Realitäten sind, die man nicht einfach leugnen oder wegpöbeln kann. Insbesondere dir, Hans-Georg von der Marwitz, sei das gesagt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wollen Sie sich denn beim Thema Antibiotika auch noch von McDonald's überholen lassen? Ich will das nicht, wir Grünen wollen das nicht. Wir wollen, dass wir gemeinsam hier im Hause das Heft des Handelns in der Hand behalten und dieses Problem lösen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hilfreich wäre es aber auch, wenn Sie bei TTIP endlich zur Kenntnis nehmen würden, dass die Interessen der Agrarindustrie in der Regel das Gegenteil der Interessen von Bauern und Bäuerinnen sind. Hilfreich für eine zukünftige Debatte wäre es aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wenn Sie aufhören würden, die Bäuerinnen und Bauern in Unmengen von Watte einzupacken und sie einzulullen, anstatt den konstruktiven Dialog mit der Gesellschaft zu suchen. Ihr ewiges Mantra, das wir gleich wieder rauf und runter hören werden – „Wir stehen vor und hinter euch, rechts und links von euch sowie über und unter euch“ –, löst kein einziges Problem, Frau Mortler, und ist auch nicht zukunftsfähig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Haben Sie doch endlich den Mut, die Wagenburg, in der Sie sich befinden, einzureißen! Gehen Sie auf die Gesellschaft zu! Dann kommen wir weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Rita Stockhofe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Rita Stockhofe (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt sich mir als populistischer Rundumschlag gegen die zurzeit bestehende Landwirtschaft dar. Jeder Punkt dieses Antrags ist ideologisch besetzt, ohne sich inhaltlich in der Tiefe damit auseinanderzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einige Themen sind übrigens bereits abgearbeitet, andere sind in der Bearbeitung. Wenn eine Partei aber sonst keine Themen mehr hat, weil die anderen Parteien – beispielsweise die Union – sie bereits abgearbeitet haben, muss sie sich mit aller Kraft hierauf stürzen und gucken, wie sie da ihre Themen unterbringt, ob es passt oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Das führt zwangsweise zu unsachlichen und ideologischen Darstellungen, die nicht wirklich nützlich sind. Ich empfinde es als Frechheit, die Leistung der praktizierenden Landwirte so negativ darzustellen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die Leistung der Regierung!) Wir kommen in der Diskussion über die Lebensmittelherstellung nicht weiter, wenn die Grünen ständig das Bild des Bauern aus den Bilderbüchern der Kinder als Realität darstellen. Das Wort „Landwirtschaft“ beinhaltet den Begriff „Wirtschaft“. Das heißt, es gibt Familien, die von der Bewirtschaftung ihrer Betriebe leben. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört?) Viele Menschen wissen und schätzen das. Jeder neunte Arbeitsplatz steht in Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Wenn wir die Ernährungswirtschaft hinzunehmen, die zwangsläufig dazugehört, sind wir bei jedem vierten Arbeitsplatz. Das wird in Ihrem Antrag völlig igno-riert. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ihn nicht gelesen?) Die Weiterentwicklung der Landwirtschaft wird überhaupt nicht angesprochen. Häufig werden in den Diskussionen die Zustände von früher in den Vordergrund gestellt. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir aber zugeben, dass früher, als angeblich alles gut war, annähernd jeder Hausbesitzer einen kleinen Stall nebenan hatte, in dem er ein paar Schweine gehalten hat. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber nicht in unserem Antrag!) Diese Ställe hatten im Regelfall eine niedrige Decke, waren dunkel, und dort hat es auch nicht wirklich gut gerochen. Bei der heutigen Haltung stehen die Schweine nicht mehr in ihren eigenen Exkrementen. Tageslicht ist vorgeschrieben, gekoppelt an Lux-Vorgaben, die eingehalten werden müssen. Den Schweinen steht Beschäftigungsmaterial zur Verfügung. Die Fütterung wird bedarfsgerecht und in hoher Qualität durchgeführt, und Lüftungsanlagen sind zwingend vorgeschrieben. Angeschimmeltes Brot, welker Salat und andere Küchenabfälle werden längst nicht mehr verwendet. Früher soll das alles gut gewesen sein. Heute haben wir das gegen eine hochwertige, angepasste Fütterung ausgetauscht. Diese Verbesserungen in der Tierhaltung sind unter anderem durch technische Weiterentwicklungen erreicht worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) An dieser Stelle soll auch gesagt werden, dass die technischen Errungenschaften ebenso wie in anderen Wirtschaftsbereichen anerkannt und geschätzt und nicht schlechtgeredet werden sollten. Bei der Milchvieh- und Rinderhaltung haben sich die Ställe dahin gehend verändert, dass es nun anstelle der einzeln angebundenen Kühe – das war angeblich so gut – Laufställe gibt mit Funktionsbereichen, die von den Kühen aufgesucht werden können je nach Bedürfnis, ob sie fressen, liegen oder laufen wollen. Dass die Kühe nicht mehr von Hand gemolken werden, ist ebenfalls ein Gewinn, nicht nur für den Bauern als Melker, sondern auch für die Kuh, die somit gleichmäßig und nach sensorischen Messungen fast individuell angepasst gemolken wird. Diese Ausführungen könnte ich auf alle Bereiche ausdehnen. Allerdings möchte ich noch auf andere Punkte eingehen. Einer dieser Punkte ist die Forderung in dem vorliegenden Antrag nach mehr ökologischer Landwirtschaft. Ich bin der Meinung, dass wir den Menschen, die solche Produkte konsumieren möchten, konsequent biologisch hergestellte Lebensmittel anbieten sollten, um uns von den Bioprodukten aus Ländern, die nicht so konsequent handeln, abzuheben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Produktion sollte sich an der Nachfrage orientieren, also dem Markt angepasst sein und nicht künstlich hochgehalten werden. Wenn wir lesen, dass die Nachfrage nach Bioprodukten kometenhaft angestiegen ist, müssen wir überlegen, woran das liegt. Kann das daran liegen, dass einige Produkte, die biologisch hergestellt worden sind, in den Discountern zu den gleichen Preisen angeboten werden wie konventionell hergestellte Produkte? Kann es sein, dass deswegen die Nachfrage steigt? Ich bin der Meinung: Wenn wir Bioprodukte anbieten, dann muss der komplette Kreislauf der Herstellung biologisch sein. Das heißt, das Ferkel, das aus konventionell arbeitenden Betrieben stammt – darauf zeigen die Grünen immer mit dem Finger –, darf nicht durch Biomast auf einmal zu einem Bioschwein werden und somit auch zum Bioschnitzel. Wenn, dann komplett und konsequent biologisch. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das vorgeschrieben, wie Sie wissen! Man sollte die Wahrheit sagen! Es ist immer wichtig, dass man die Wahrheit sagt!) Wenn das nichtbehandelte Stroh aus Biobetrieben einen starken Pilzbesatz aufweist, besteht die Möglichkeit, dieses Stroh auf den Äckern zu belassen. Das Stroh, das in den biologischen Betrieben dann zur Einstreu herhalten muss, kommt aus konventionellen Betrieben, aus denen es zugekauft wurde. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Bei wem?) – Ich kann Ihnen praktische Beispiele nennen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie nicht!) – Das kann ich wohl. Unterstellen Sie mir das nicht. Ich werde es nachreichen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine glatte Lüge, was Sie erzählen!) Wenn wir die ökologische Produktion unterstützen wollen, dann müssen die Menschen, die für diese Produkte deutlich mehr Geld ausgeben, davon ausgehen können, dass der komplette Kreislauf ökologisch, biologisch ist. Ansonsten haben wir hier eine Mogelpackung, die die Akzeptanz dieser Produkte schmälert. Der Verbraucher will durch höhere Zahlungen bestimmte Wirtschaftsweisen unterstützen und vorantreiben, und das sollten wir ihm ermöglichen. Vielleicht können wir so auch die heimische Landwirtschaft stärken. Zum Beispiel könnten wir die Biofrühkartoffeln aus Israel und Ägypten, die meines Erachtens schon deshalb nicht als bio bezeichnet werden dürfen, weil sie eine große Distanz zurückgelegt haben, etwas kritischer hinterfragen. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum soll ich den Bauern verbieten, biologisch zu erzeugen? Das wollen wir Grünen nicht!) Mich ärgert besonders, dass die Grünen das sensible Thema Ernährung ständig ausnutzen, um ihre Ideologien zu verbreiten. Oft finden sie bei diesen Machenschaften auch noch die Unterstützung von Medien, die entweder schlecht recherchieren oder damit leben können, dass sie mit Halbwahrheiten ihre Auflagen oder Einschaltquoten steigern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Unterteilung „bio – gut“ und „konventionell – böse“ ist auch sehr unsachlich. Wie ist aber sonst die Berichterstattung zu erklären, dass über 20 Jahre lang im Zusammenhang mit BSE das gleiche Bild von der toten Kuh, die am Kran über dem Container hängt, veröffentlicht wird, und in Deutschland niemand erkrankt, geschweige denn gestorben ist? Über die Ehec-Sprossen – 53 Tote, noch heute sind Leute an der Dialyse – wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Wir gehen davon aus, dass es nichts damit zu tun hat, dass es Biosprossen waren. Grundsätzlich dürfen wir uns über eine reiche Auswahl an hochwertigen, leckeren Lebensmitteln erfreuen. Wir können uns aussuchen, wo wir sie kaufen: im Discounter, im Supermarkt oder beim Bauern, der seine Produkte selber vermarktet. Diejenigen, die gut und gerne kochen, können diese Produkte dann zu leckeren Menüs oder Snacks verarbeiten. Aber selbst hier haben wir die Möglichkeit, einen Teil oder alle Verarbeitungsprozesse anderen zu überlassen und somit Teilfertig- oder Fertigprodukte zu erwerben. Das alles können wir selber entscheiden und selber wählen, immer mit dem guten Gefühl: Auf unsere Bauern, die Erzeuger dieser Lebensmittel, und auf die Verarbeiter können wir uns verlassen. Die hohen Qualitätsstandards sind erfüllt. (Beifall bei der CDU/CSU) Zusammenfassend halte ich also fest, dass wir unsere Bauern und Landwirte dabei unterstützen sollten, weiterhin so hochwertige und leckere Produkte herzustellen, wie wir sie jeden Tag auf unseren Tischen haben, und nicht zwei Klassen von Landwirten schaffen sollten, von denen eine Klasse dann diffamiert wird. Ich hoffe, mit dieser Darstellung erreicht zu haben, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr gleich anstehendes Mittagessen noch einmal mehr genießen und zu schätzen wissen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Stockhofe, lassen Sie zum Schluss noch eine Zwischenfrage zu? Ich lasse sie jetzt zu, bitte aber um eine zügige Antwort. Rita Stockhofe (CDU/CSU): Ich habe sie erwartet, deswegen gerne. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwischenfrage am Ende zulassen. – Sie haben in Ihrer ganzen Rede von Ideologie gesprochen und schwarz-weiß gemalt, statt auf unseren Antrag und auf das Grundpro-blem, das wir am Anfang skizziert haben, einzugehen. Es ist das Problem des andauernden – „Höfesterben“ will ich es gar nicht erst nennen, „Strukturwandel“ schon gar nicht – Strukturbruchs, der uns allen wehtut. Er tut der Landwirtschaft weh. Ich hätte gerne eine Antwort darauf gehört. Welche Antwort haben Sie darauf? Statt permanent die Ideologienummer zu ziehen, möchte ich eine Antwort auf die Frage des Strukturwandels. Was tun Sie da politisch? In welche Richtung geht Ihr Weg? Rita Stockhofe (CDU/CSU): Wenn Sie zu Beginn meiner Rede genau zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ich auf Ihren Antrag eine Antwort gegeben habe, nämlich dass Sie inhaltlich keinen Punkt differenziert betrachtet haben, sondern einen Rundumschlag gemacht haben. Die Forderungen, die Sie ständig an die Landwirtschaft stellen, sind immer mit Dokumentationspflichten verbunden, weil Sie immer auch das Misstrauen gegenüber den Landwirten voranstellen und alles aufgeschrieben werden muss, statt die gute fachliche Praxis, die in der Ausbildung vermittelt worden ist, einfach anzuerkennen und denen zuzugestehen, die es gelernt haben. Es muss nicht irgendeiner von außen kommen, der weiß, wie es besser geht, und aufschreibt, was er gerne hätte. Dies führt zum Höfesterben und nicht das, was Sie hier genannt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) So erhalten wir den „Strukturwandel“, wie Sie es bezeichnen. Dies ist ein ganz fürchterlicher Begriff, wie viele andere Begriffe, die Sie benutzen, wie „Agrogentechnik“, „Agroindustrie“ und Ähnliches. Wir haben eine Grüne Gentechnik, das alles kann man auch positiv besetzen. Aber Sie schüren lieber Ängste und sehen zu, dass die Verbraucher gar nicht mehr wissen, wo sie stehen, und verunsichern sie. Das ist der Fehler, den Sie machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner in der Debatte hat Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag zur Agrarwende, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, besteht eigentlich aus mehreren, nämlich aus acht Anträgen, zu denen es sich jeweils lohnt, eine eigene Debatte zu führen. Diese Debatte haben wir zum Teil schon geführt, andere stehen uns mit Sicherheit in dieser Legislaturperiode noch bevor. Bei einer derartigen Themenfülle macht es Sinn, sich in der Kürze der Zeit unemotionalisiert auf einige Teile des Antrags zu fokussieren. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen: Bei diesem Ziel des Antrages, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, sind wir uns alle schon einmal einig; denn genau diese Parole haben wir, die SPD, als langfristiges Ziel unserer Agrarpolitik ausgegeben. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir beieinander!) Wir verfolgen eine Strategie, die langfristig den Erhalt öffentlicher Gelder an die Erbringung öffentlicher Leistungen koppelt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!) Ich hätte gerne gesehen, dass der Paradigmenwechsel schon bei der Umgewichtung der EU-Agrarförderung von der ersten in die zweite Säule deutlicher wird. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Allerdings bedeutet ein Paradigmenwechsel auch, dass man ihn nicht von einem Tag auf den anderen durchführen kann, sondern dicke Bretter zu bohren hat. Wir wollen diesen Paradigmenwechsel – wir wollen diese Bretter bohren –, aber er muss so gestaltet werden, dass sich die Landwirtschaft darauf einstellen kann. Das dürfen die Landwirte von einer verantwortungsvollen Agrarpolitik erwarten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber müssen wir reden!) Auch die Gentechnikfreiheit ist Teil Ihres Antrags. Wir haben dazu letzte Woche eine Debatte hier im Bundestag gehabt. Ich möchte heute noch einmal deutlich machen, dass wir alles unternehmen wollen, um zu einer bundeseinheitlichen Opt-out-Lösung zu kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. In diesem Sinne hat es auch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 entschieden. Deshalb kann es für uns keinen anderen Weg als eine bundeseinheitliche Lösung geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich wollen wir auch, dass Deutschland bei jedem Anbauzulassungsantrag davon Gebrauch macht. Die Beschränkung auf ein Bundesland macht faktisch einfach keinen Sinn, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) da gentechnisch veränderte Organismen nicht an der Grenze zu einem Bundesland haltmachen. Dabei sind wir längst nicht das einzige Land mit dieser Einstellung. So wie Deutschland bei der Novelle der EU-Öko-Verordnung angeblich anfangs – meine Kollegin Rita Hagl-Kehl hat das beschrieben – eine Solitärstellung eingenommen hat und sich mittlerweile die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Position des Bundestages angeschlossen haben, so sehen wir auch bei der Gentechnikfreiheit gute Chancen, dass die meisten Mitgliedstaaten den deutschen Weg mitgehen werden. Die Gentechnikfreiheit ist für uns, wie für Sie, auch bei den Futtermitteln ein Thema. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir schauen dabei aber nicht nur auf die Kennzeichnung. Ein zentraler Ansprechpartner ist für uns der Handel. Dort ist festzustellen, dass das gentechnisch veränderte Soja mit Entwicklungen im Zusammenhang steht, die die deutschen Verbraucher nicht gutheißen. Eine Tendenz des Handels beispielsweise zum Angebot von Hähnchen, die ohne Gentechnik gefüttert wurden, zeichnet sich deutlich ab. Der Dialog ist für uns also neben den gesetzlichen Regelungen ein ganz wichtiges Instrument. Wir sollten uns vor Augen führen, was passiert, wenn man unkritisch an die Gentechnik herangeht. In den USA gibt es bereits über 20 glyphosatresistente Kräuter. Das ist nur der Beginn einer Schraube, die sich immer weiter dreht und sich nicht mehr zurückdrehen lässt. Durch den Einsatz von Gentechnik verändert sich das Bewirtschaftungssystem in der Landwirtschaft langfristig dahin gehend, dass eine gute landwirtschaftliche Fachpraxis nicht mehr nötig ist. Dadurch erleidet man einen nicht verantwortbaren Verlust an nachhaltiger Wirtschaftsweise. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In unserem Koalitionsantrag „Gesunde Ernährung stärken – Lebensmittel wertschätzen“ ist eine ganze Reihe von Forderungen enthalten, die Sie in Ihrem Antrag zum Thema gute Ernährung aufgreifen. Zum Beispiel setzen wir uns dafür ein, dass die gesundheitlichen Risikofaktoren einer unausgewogenen Ernährung im Präventionsgesetz und in einer nationalen Präventionsstrategie angemessen berücksichtigt werden. Des Weiteren sollen die Schulvernetzungsstellen weiterhin finanziell und darüber hinaus von der DGE fachlich bei der Verbesserung der Qualität der Verpflegung unterstützt werden. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner wollen wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein Leitbild gesunder, nachhaltig erzeugter und vielfältiger Kita- und Schulverpflegung erarbeiten, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Kindern und Jugendlichen über Schulgärten, Bauernhofpatenschaften und Ähnliches den Ursprung des Essens vermitteln und die Ernährungsaufklärung in den Lehrplänen der deutschen Schulen verankern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) All das wurde in unserem Antrag, den wir am 15. Januar dieses Jahres beraten haben, bereits so von uns formuliert. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass wir Sie mit im Boot haben. Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft und der Ernährungsindus-trie an. Die Niedersächsische Landesregierung bringt dazu genau heute einen Antrag in den Bundesrat ein, der zum Ziel hat, dass Werkvertragsbeschäftigte ihre Rechte besser vertreten können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Bundesarbeitsministerium erarbeitet gerade einen Gesetzentwurf, um den Missbrauch bei Werkverträgen zu verhindern. Wie anfangs schon erwähnt, enthält der vorliegende Antrag also einen ganzen Strauß von Maßnahmen der Agrarpolitik der Zukunft. Stück für Stück – oder „een nah’t anner“, wie man in meiner ostfriesischen Heimat sagen würde – wollen wir uns mit den jeweiligen Themen befassen. Ich freue mich auf einen konstruktiven Dialog mit Ihnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines muss klar sein: Wir, die Union, distanzieren uns klar von schwarzen Schafen in der Land- und Ernährungswirtschaft, egal ob groß, ob klein, ob bio oder konventionell. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir distanzieren uns aber auch ganz klar von den pauschalen Vorwürfen im vorliegenden Antrag und heute auch im Plenum, von dieser unsäglichen Inszenierung gegen unsere Bauern und Bäuerinnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hast du den Antrag gelesen? Lies den Antrag selbst! Dann reden wir weiter!) Offensichtlich sind Sie immer noch auf der verzweifelten Suche nach Themen und sind bei der Landwirtschaft gelandet. Aber wir lassen es nicht zu, dass unsere Bäuerinnen und Bauern in Deutschland am Ende die Leidtragenden Ihrer Themensuche werden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Bauern sind die Leidtragenden der Unionsfraktion! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die alte Leier wieder! Durch Wiederholen wird es nicht besser!) Landwirtschaft heute hat das Recht, zeitgemäß zu produzieren und zu wirtschaften und den technischen Fortschritt offensiv anzugehen, ob im Stall, auf dem Acker oder im Büro. Sie hat auch das Recht, ihre Familien zu ernähren. Gleichzeitig hat sie die Pflicht, gesellschaftliche Ansprüche zu erfüllen. Noch nie waren die Lebensmittel in unserem Land so sicher, so vielfältig, so gut und gleichzeitig so preiswert. Das ist eine tolle Errungenschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie schrauben die gesellschaftlichen Ansprüche allerdings immer höher und höher. Das Wort „Bio“ haben wir heute von Ihnen nicht gehört, aber jahrzehntelang war das Ihr Zauberwort. Seien wir ehrlich: Viele Biobetriebe von heute unterscheiden sich weder in Größe noch in Struktur von konventionellen Betrieben. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn auch?) Das kritisiere ich nicht, das ist die Realität. Wenn ich die Fachmesse Biofach bei mir um die Ecke in Nürnberg besuche, dann stelle ich fest: Big Business! Unsere Biobauern von gestern und von heute sind bestenfalls schmückendes Beiwerk. Ich zitiere eine Leserbriefschreiberin: Wer sich noch vom eigenen Gemüsebeet und von Eiern von Nachbars Hühnern ernährt, dürfte das aktuelle Bioangebot schwer verstehen und hier nur wenige natürliche Bezüge finden. Mit diesem Vorverständnis entdeckte man in den Hallen der Biofach zu circa 90 Prozent Produkte, die man zum gesunden Essen überhaupt nicht braucht. So hoch ungefähr war der Anteil der Fertigwaren, von deren fremdländischen, mit hohem Transportaufwand verbundenen Zutaten man hier vielleicht zum ersten Mal hörte. Man beginnt zu begreifen, warum es deutsche Biobauern schwer haben, wenn der neue vegetarische oder vegane Trend auf Zutaten wie Quinoa und Hanf beruht. Immerhin war ein Stand mit Fleischersatzspeisen aus Lupinensamen dabei und weckt Hoffnung, dass uralte robuste heimische Anbaupflanzen auf unsere Äcker zurückkehren, sofern die politischen Vorgaben überhaupt mitspielen. Bio ist Luxus geworden, ein Alibi der Wohlstandsgesellschaft. Angesichts der Kosten dieser diffizilen Produkte versteht man auch, warum Krankenhäuser oder Kindergärten solche Nahrung nicht auftischen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich frage Sie: Können Ihre Luxusantworten wirklich die richtigen auf die Fragen dieser Welt sein? Ist es angesichts des weltweiten Hungers, den Sie in Ihrem Antrag ansprechen, sinnvoll, einen ideologischen Kampf gegen Industrie und Handel zu führen? Ich sage Ihnen eines: Eine stabile Lebensmittelversorgung braucht produktive lokale Landwirte, eine Landwirtschaft vor Ort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sowohl unser Ministerium, das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, als auch das Ministerium des Entwicklungshilfeministers sind hier aktiv. Minister Müller zum Beispiel nimmt aktuell 1,4 Milliarden Euro in die Hand, um 13 innovative Zentren in Entwicklungsländern zu installieren und Landwirtschaft vor Ort zu fördern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zurück zu unserem Ministerium. „Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“, das war die Überschrift der Agrarreform, und das wird auch die Überschrift unserer Politik und unseres Selbstverständnisses in Sachen Agrarpolitik bleiben. Das wird unser Leitbild bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zu den Antibiotika. Das Antibiotika-Minimierungskonzept, die AMG-Novelle, all das sind Dinge, die wir längst auf den Weg gebracht haben. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: McDonald’s schmeißt das heraus! Haben Sie das gelesen!) Nebenbei gesagt: Auch ein Tier hat das Recht auf Behandlung, wenn es Behandlung braucht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind uns mit Bundesminister Gröhe einig, dass es nur eine Gesundheit gibt. Deshalb ist das Screening – da bin ich mit Ihnen einig; das sieht auch Minister Gröhe so – ein Gebot der Stunde, um Antibiotikaresistenzen vorzubeugen. Zum Thema „gute Ernährung“. Fragen Sie doch einmal in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren, nach, ob diese ihre Hausaufgaben gemacht haben! Ich weiß aus Bayern: Schulmilchprogramm – voll ausgeschöpft, Schulobstprogramm – voll ausgeschöpft. Letzte Woche hat Bayern sogar eine Plattform installiert – zusammen mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband – für regionale Produkte. Aber noch einmal zurück zum Thema Schulversorgung: Wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, dann setzen Sie sich für Schulgärten statt für Hanfgärten ein! (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. So wie es die eine Welt gibt – für uns, für mich –, so gibt es nur die eine Landwirtschaft. Egal ob Bio- oder konventionelle Landwirtschaft: Wir haben die Herausforderung – im Sinne bäuerlicher Familienbetriebe –, mit weniger Ressourcen mehr Menschen noch besser, noch effizienter und nachhaltiger zu versorgen. Das ist die Herausforderung der Zukunft. In diesem Zusammenhang biete ich Ihnen die Zusammenarbeit gerne an. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4191 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen, damit wir dann mit der Debatte beginnen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält der Bundesminister Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort. – Sie haben das Wort. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe hiermit einen Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung ein. Dieses Gesetz enthält zwei klare Botschaften: Bleiberecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer einerseits und Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, andererseits. Beide Botschaften gehören zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich beginne mit dem Bleiberecht. Es betrifft Menschen, die sich hier auch ohne offiziellen Aufenthaltsstatus während ihrer Duldungsphase gut integriert haben. Dieser Gesetzentwurf soll die Rechtsstellung dieser Menschen ganz erheblich verbessern. Wir schaffen erstmals ein Bleiberecht für nachhaltig integrierte geduldete Menschen, das nicht mehr von deren Alter oder einem Stichtag abhängt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wer viele Jahre hier lebt, wer hier wesentliche Integrationsleistungen erbringt, wer unsere Sprache spricht, wer seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichert und – natürlich – wer keine großen Straftaten begangen hat, der soll nun auch eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland erhalten. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Von dieser Regelung können mehrere Zehntausend bisher nur geduldete Menschen profitieren. Mit diesem Gesetz senden wir ihnen ein klares Signal: Ihr dürft jetzt bleiben. Macht mit! Verdient euer eigenes Geld! Ihr gehört zu uns. – Das ist ein gutes und wichtiges Signal. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zum Zweiten schaffen wir mit dem Gesetzentwurf von Anfang an eine verbindliche Bleibeperspektive für Opfer von Menschenhandel. Wer bereit ist, mit unseren Strafverfolgungsbehörden gegen die Täternetzwerke vorzugehen, kann in Deutschland bleiben, auch nach einem Strafverfahren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung eines der widerlichsten Verbrechen. Ohne die Opfer, die eingeschüchtert werden, denen die Zuhälter die Ausweispapiere wegnehmen, kommen wir nicht an die Täter heran. Gerade den Frauen, die Opfer von Zwangsprostitution waren, senden wir jetzt das klare Signal: Ihr dürft bleiben. Auch ihr gehört zu uns. Wir helfen euch. Ihr habt eine Perspektive in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Drittens enthält der Gesetzentwurf substanzielle Verbesserungen im Recht des Familiennachzugs. Ausländer, die in bestimmten Fällen bis jetzt vom Familiennachzug ausgeschlossen waren, können künftig gemeinsam mit ihren Familien hier leben. Das betrifft Opfer von Menschenhandel. Es betrifft auch sehr viele Menschen, die hier einen sogenannten subsidiären Schutz genießen, Menschen, um es einfacher zu formulieren, die zwar nicht politisch verfolgt werden, die aber aus anderen schwerwiegenden Gründen, zum Beispiel wegen drohender Folter, nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Für diese Menschen verbessern wir jetzt den Familiennachzug. Auch das ist eine zentrale Verbesserung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Viertens. Wir stärken mit dem Gesetzentwurf auch die Zuwanderung von Fachkräften, gerade in Engpassberufen; das hat jetzt nichts mit Asyl zu tun, ist aber auch ein Element dieses Gesetzentwurfs. Künftig wird es möglich sein, notwendige Anpassungsqualifizierungen in Deutschland durchzuführen, damit der Abschluss anerkannt und eine Beschäftigung aufgenommen werden kann. Das, meine Damen und Herren, ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass wir sicherstellen wollen, dass diejenigen Menschen, denen letztendlich unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zusteht, unser Land auch tatsächlich wieder verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein zentrales Anliegen aller staatlichen Stellen muss es sein, das erhebliche Vollzugsdefizit in der Aufenthaltsbeendigung abzubauen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Es kann nicht sein, dass, wer im Asylverfahren trickst und täuscht, dafür später mit einem Bleiberecht belohnt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Genau hier setzt der zweite Teil unseres Gesetzentwurfs an. Drei Aspekte möchte ich hervorheben. Erstens. Eines der wesentlichen Vollzugshemmnisse – die mangelnde Möglichkeit zur Identitätsklärung – gehen wir mit diesem Gesetzentwurf an. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen – das sage ich insbesondere den Kolleginnen und Kollegen von der Linken und den Grünen –, es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch, der in Deutschland Schutz haben will, korrekt sagt, wie er heißt und aus welchem Land er kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist nicht zu viel verlangt, ein Ausweispapier aufzuheben und nicht im entscheidenden Moment wegzuschmeißen. Wenn der Antragsteller seine Identität oder Staatsangehörigkeit verschleiert, dürfen die Behörden künftig deshalb seine Datenträger auslesen, um festzustellen, wer er eigentlich ist und woher er kommt. Eine Kapitulation der staatlichen Stellen vor den Menschen, die täuschen und die Behörden über ihre Identität und Herkunft belügen, dürfen wir nicht länger hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Und weiter: Das bisherige System von Ausweisungen, die durchgeführt werden müssen – die sogenannten Ist-Ausweisungen, wenn man so will –, die durchgeführt werden sollen – die Soll-Ausweisungen – oder die durchgeführt werden können – die Kann-Ausweisungen –, ist nur noch auf dem Papier klar. Unser Ausweisungsrecht ist durch europäisches Recht und durch die Rechtsprechung so durchlöchert, dass es praktisch kaum mehr handhabbar ist; das sagen alle Praktiker. Wenn da Herr Mayer und Herr Veit nicken, dann ist das für mich die gute Botschaft, dass der Sachverhalt so richtig beschrieben ist. Das ändern wir nun mit diesem Gesetz. Zum zweiten Aspekt, auf den ich hinweisen möchte – ich weiß, dass Frau Jelpke gleich darauf abheben wird –: Damit Abschiebungen künftig tatsächlich wieder wirksam durchgeführt werden können, stellen wir den Behörden mit einem neuen, kurzen Ausreisegewahrsam ein taugliches Vollzugsmittel zur Verfügung. Mit Blick auf diejenigen, die nicht freiwillig ausreisen wollen und die gezeigt haben, dass sie nicht an den notwendigen Verfahren mitwirken, weil sie über ihre Identität täuschen, ist ein Gewahrsam von wenigen Tagen nur zur Durchsetzung der Abschiebung absolut angemessen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier wird es darauf ankommen, dass die Länder diese neue Option bei der Durchsetzung der Ausreisepflichten dann auch tatsächlich nutzen. Drittens setzen wir mit diesem Gesetzentwurf europarechtliche Verpflichtungen um. Dazu nehmen wir eine Bestimmung der Fluchtgefahr in das Gesetz auf. Das ist ja, wie man hört, hochumstritten. Ich wiederhole: Dies ist europarechtlich geboten und eine Umsetzung von -Europarecht. Bisher haben wir keine Definition von „Fluchtgefahr“ im Gesetz, und das ist rechtsstaatlich ein Problem. Die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Definition entspricht inhaltlich genau dem, was Rechtsprechung und Verwaltung schon heute als Indiz für eine Fluchtgefahr betrachten, nicht mehr und nicht weniger. Jede Polemik dagegen – die wir gleich hören werden – ist blanker Unsinn. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt schon im Voraus!) Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetzentwurfs – Bleiberechte und Aufenthaltsbeendigung – bedingen sich gegenseitig. Verbesserungen für Schutzbedürftige sind für einen klugen Umgang mit dem -Asylrecht ebenso wichtig wie konsequente Aufenthaltsbeendigung und notfalls Abschiebung von nicht Schutzbedürftigen. Langfristig – aber auch kurzfristig – brauchen wir beides: um der Sache willen, aber auch, um die Akzeptanz für legale Zuwanderung und für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland zu erhalten und zu stärken. Gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung lässt sich Flüchtlingspolitik nicht machen. Deswegen müssen wir um diese Mehrheit in der Bevölkerung nachhaltig werben und für sie eintreten. Diese Mehrheit ist da. Sie ist aber immer gefährdet. Nur wenn wir klarmachen: „Wir schützen die wirklich Schutzbedürftigen, und diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind und tricksen und täuschen, werden mit Schutzbedürftigen nicht gleichbehandelt“, dann gewinnen wir die Herzen und die Köpfe der Mehrheit unserer Bevölkerung. Darauf kommt es an. Deswegen bitte ich um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, es ist keine faire Art der Debatte, schon im Vorhinein alles als Unsinn zu bezeichnen, was die Opposition hier an Kritik vorbringt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Gesetzespaket, das Sie heute hier vorgelegt haben, enthält mit Abstand die schärfsten Einschnitte in das Aufenthaltsrecht seit 1993. (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ja Unsinn!) Schon damals wurde das Grundrecht auf Asyl weitgehend aufgehoben. Jetzt wird es noch einmal massiv beschnitten. Die Bundesregierung legt hier ein regelrechtes Inhaftierungsprogramm für Asylsuchende auf, (Zurufe von der SPD: Oh!) nach dem Motto „Wer Asyl beantragt, wird eingesperrt, abgeschoben und darf nie wiederkommen“. Die Linke hält dieses Gesetzespaket für ein ganz fatales Signal. Es ist ein Verrat am Asylrecht und im Übrigen ein schänd-licher Kotau gegenüber der rassistischen Hetze von Pegida und jenen Neofaschisten, die zunehmend Asyl-unterkünfte angreifen. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Pfui! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ja Unsinn!) Meine Damen und Herren, die Koalition will die Abschiebehaft derart massiv ausbauen, dass sie praktisch jeden Flüchtling treffen kann. Als Grund genügt zum Beispiel, dass vom Asylsuchenden ein Schleuser bezahlt worden ist. Aber ohne diese Schleuser können die Flüchtlinge häufig gar nicht den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen. Wenn in der EU keine legalen Wege geschaffen werden, wie Flüchtlinge auch hier nach Deutschland kommen können, und das sogar eine Auflage der EU ist, dann darf man sich nicht wundern und hier nicht solche repressiven Maßnahmen einführen. Ein weiterer Grund für die Abschiebehaft soll nun sein, wenn die Flüchtlinge keinen Pass besitzen – der Minister hat es schon erwähnt – oder wenn sie über -einen anderen EU-Staat nach Deutschland kamen. Das betraf im vergangenen Jahr 35 000 von insgesamt 173 000 Asylsuchenden. Merken Sie denn gar nicht, wie zynisch es ist und wie Sie hier reagieren? Über welche Länder sollen die Flüchtlinge denn einreisen, wenn nicht über EU-Staaten? Vom Himmel können die Flüchtlinge nicht fallen. Man kann doch diese Menschen, die froh sind, Gewalt und Krieg entkommen zu sein, nicht einfach einsperren, nur weil sie einen falschen Fluchtweg genommen haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was soll denn mit diesen Flüchtlingen geschehen? Sie werden in völlig überfüllte Flüchtlingslager in Bulgarien, Ungarn und anderen Staaten gebracht. Wir alle hier wissen, dass eine menschenwürdige Versorgung dort nicht stattfindet, geschweige denn rechtliche Voraussetzungen für die Flüchtlinge vorhanden sind. Flüchtlinge sind Menschen in Not und keine Kriminellen. Sie verdienen unsere Hilfe und nicht einen solch schäbigen Umgang, wie ihn die Koalition hier plant. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber es gibt noch mehr Verschärfungen. Abgelehnte Asylsuchende sollen künftig mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt werden, sogar dann, wenn sie freiwillig ausgereist sind. Das hätte beispielsweise im vergangenen Jahr 12 000 Menschen getroffen. Treffen wird diese Verschärfung vor allen Dingen Roma aus den Balkanstaaten. Ihnen wird damit jede legale Möglichkeit der Einwanderung versperrt, und sie können nicht einmal mehr Verwandte in der EU besuchen. Ich frage Sie: Mit welcher Berechtigung werden Schutzsuchende derart bestraft? Flüchtlinge verhalten sich wie Flüchtlinge. Sie haben nur ein Recht in Anspruch genommen, das immer noch im Grundgesetz steht. Sie stellen einen Antrag, dieser wird abgelehnt, sie reisen wieder aus. Sie dafür mit einem Einreiseverbot zu belegen, das im Übrigen für die gesamte EU gilt, ist nichts anderes als eine absolut willkürliche Verzerrung unseres Rechtssystems. Das wird die Linke nicht mitmachen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich noch auf das Bleiberecht zu sprechen kommen. In der Tat: ein kleiner Fortschritt. Insgesamt gibt es zurzeit 113 000 Menschen in Deutschland, deren Aufenthalt nur geduldet ist. Davon lebt etwa ein Drittel länger als fünf Jahre in Deutschland. Aber Ihre Regelung, Herr Minister, besagt jetzt, dass diese Menschen als Alleinstehende seit mindestens acht Jahren oder als Familien seit mindestens sechs Jahren in Deutschland leben müssen und auf jeden Fall eine eigenständige Sicherung ihres Lebensunterhalts leisten müssen. Das können gerade einmal 11 Prozent. Zuvor haben Sie diese Menschen mit Arbeitsverboten belegt. (Rüdiger Veit [SPD]: Das stimmt nicht, Ulla!) – Doch. Sie konnten jedenfalls nicht einfach arbeiten gehen. – Integrationsmaßnahmen gab es für sie auch nicht. Jetzt sollen sie plötzlich solche Leistungen erbringen, um hierbleiben zu können. Wie gesagt, nur 11 Prozent haben überhaupt eine Beschäftigung. Das heißt, sehr wenige werden wirklich diese Bleiberechtsregelung in Anspruch nehmen. Wir sagen hier ganz klar: Alle anderen leben doch im Grunde genommen in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden, obwohl beispielsweise ihre Kinder hier aufgewachsen sind und sie oft sehr gut integriert sind. Um es zusammenfassend zu sagen: Das neue Bleiberecht greift viel zu kurz. Die verschärfte Abschiebepolitik ist zynisch und inhuman. Das wird die Linke nicht mittragen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Rüdiger Veit von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ulla Jelpke, bei aller persönlichen Wertschätzung kann ich dem Zerrbild, das hier von dir von dem Gesetzentwurf entworfen worden ist, nun wirklich nicht folgen. Ich werde versuchen, das im Einzelnen zu widerlegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe eine ähnliche Debatte im Jahr 2007 mit den Worten Aristide Briands eingeleitet: Ein guter Kompromiss sei immer dann gegeben, wenn alle Beteiligten über das Ergebnis gleichermaßen unzufrieden seien. – Das war damals richtig. Da ging es um das Richtlinienumsetzungsgesetz. Auch ich war nicht zufrieden. Heute sind wir, wie ich finde, ein großes Stück weiter, und zwar aufgrund der Umsetzung einer Koalitionsvereinbarung, die in einigen Punkten über das hinausgeht, was mancher für möglich gehalten hätte. Das betrifft zum Beispiel auch die Fragen von Arbeitsverboten und Residenzpflicht. Hier hat diese Koalition in den zurückliegenden Monaten bereits wichtige Verbesserungen vorgenommen. Wir haben in diesen Wochen immer wieder über die Frage der Einwanderung geredet. Wir wollen Menschen, die noch nicht bei uns leben, gewinnen, zu uns zu kommen. Im Rahmen der Debatte über das Bleiberecht reden wir über das Schicksal derjenigen, die schon hier sind, was sachlich und logisch gesehen eigentlich vorrangig ist. Deswegen bin ich froh, dass wir uns mit diesem Gesetz dieser Personengruppe zuwenden können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit eines klar ist – da will ich einmal in die Vergangenheit zurückblenden –: Wir Sozialdemokraten wollten, als wir das Zuwanderungsgesetz entworfen und dann in den Jahren 2003 und 2004 in den Gremien behandelt haben, die Duldung gänzlich abschaffen. Wir wollten nur noch zwei Aufenthaltstitel haben: den befristeten und den unbefristeten. Wir wollten dazu übergehen, zu sagen: Wenn jemand nicht ausreisen kann oder nicht abgeschoben werden kann, dann muss er nach spätestens 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes würde ich gerne unverändert lassen. Herr Minister, darüber und über die Streichung des Verweises auf § 11 des Aufenthaltsgesetzes werden wir hoffentlich noch reden. Das ist dann aber eine Fachdebatte, die wir an anderer Stelle führen müssen. Wir wollten die Duldung eigentlich grundsätzlich abschaffen. Das ging damals mit der Union aber nicht. Die Union musste zu rot-grünen Zeiten als Partner in Anspruch und ernst genommen werden, weil es damals im Bundesrat keine Mehrheit für diese Vorschriften gegeben hat; daran will ich einmal erinnern. Insofern versuchen wir seit über zehn Jahren, dieses Problem zu lösen. Schon im Zusammenhang mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz wollten wir dann bereits im Jahre 2007 eine sehr viel weiter gehende Bleiberechts- und Altfallregelung schaffen. Bei der Gelegenheit – wenn man so lange dabei ist, bleibt es nicht aus, dass man sich erinnert – ist mir wieder eingefallen, wie es damals war. Das möchte ich gerne einmal in Form einer Anekdote zum Besten geben. Damals, als wir über das Richtlinienumsetzungsgesetz und eine Bleiberechtsregelung gesprochen haben, hat Ihr Amtsvorgänger, der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble, gemeinsam mit Franz Müntefering, der damals Arbeitsminister war, eine sehr weitgehende Bleiberechtsregelung und Altfallregelung entworfen und vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde aber im Ergebnis der politischen Realität nur ungefähr vier Tage alt, weil er dann in einer Länderinnenministerkonferenz – das war am 17. November 2006 in Nürnberg – von Innenministern der Union zerrupft worden ist. Es gab damals erheblichen Ärger von den auf der Seite der Union Beteiligten. Davon ist im Augenblick keiner im Raum. Ich kann mich aber noch gut an die Berichte dieser Innenministerkonferenz erinnern. Die herbste Kritik war übrigens diejenige des vormaligen niedersächsischen Innenministers Schünemann, der damals zu Herrn Schäuble gesagt hat, er – der Herr Schäuble – habe keine Ahnung von der Praxis. Das war schon eine ziemliche Unverschämtheit, weil Wolfgang Schäuble zuvor schon einmal Innenminister war, und zwar zu einer Zeit, als jedenfalls Herr Schünemann noch lange nicht Innenminister, sondern vielleicht bestenfalls dem Grundschulalter entwachsen war. Da wir hier große Volksparteien repräsentieren, vertreten nicht alle die gleiche Meinung. Ich erinnere mich noch – diesen Teil der Anekdote gebe ich auch noch zum Besten –, dass wir auf einer Klausurtagung der SPD-Fraktion in Brüssel im Plenarsaal des Europäischen Parlaments über die richtige Umsetzung der Bleiberechts-regelung gesprochen haben. Damals hat ein anderer Ihrer Amtsvorgänger, Otto Schily, uns davor gewarnt, eine Bleiberechtsregelung gesetzlich festzuschreiben, die mehr als höchstens 20 000 oder 30 000 Menschen begünstigt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal in die Verlegenheit kommen würde, einen gemeinsamen Vorschlag von Franz Müntefering und Wolfgang Schäuble gegen Otto Schily verteidigen zu müssen. Es kam dann übrigens nicht mehr dazu. Der Flieger ging, und deswegen kam meine Wortmeldung nicht mehr zum Tragen. – So viel zur Geschichte. Heute sind wir Gott sei Dank, wie ich finde, mit einer derartigen Bleiberechtsregelung sehr viel weiter. Dem Nichtfachpublikum sei einmal gesagt, worum es hier geht. Menschen, die in Deutschland nicht abgeschoben werden können oder nicht ausreisen können, die aber nicht den Status eines Flüchtlings oder Asylberechtigten zuerkannt bekommen, halten sich mit sogenannten Duldungen in Deutschland auf. Das ist nichts anderes als der Abschiebeverzicht vonseiten des Staates. Das ist aber kein Titel. Man sollte meinen, dass die Duldungen nicht länger als ein paar Monate dauern. Das ist mitnichten so. Die Statistik weist aus, dass es 11 000 Menschen gibt, die mit Duldungen schon mehr als 15 Jahre in der Bundesrepublik leben. Immerhin 31 000 Menschen leben bereits seit über sechs Jahren hier. Für die Betroffenen und ihre Familien heißt das, dass ihnen in der Regel alle drei Monate gesagt wird, ob sie abgeschoben werden und ausreisen müssen oder ob sie hier bleiben dürfen. In der Zwischenzeit durften sie nach altem Recht nicht einmal arbeiten und so sich und ihre Familien versorgen. Den Teufelskreis, nicht arbeiten zu dürfen, weil man keine Aufenthaltserlaubnis hat, aber keine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, weil man keine Arbeit hat, haben wir schon bei der letzten Änderung des Bleiberechts – damals § 104 a – durchbrochen. Das setzen wir jetzt konsequent fort. Dafür bin ich im Interesse der betroffenen Menschen und insbesondere im Interesse der in Deutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen außerordentlich froh und dankbar. (Beifall bei der SPD) Deswegen ist das ein gutes und hoffentlich auch bald zu Ende kommendes Gesetzgebungsvorhaben, hinter dem ich auch persönlich stehe. Herr Minister – auf kritische Punkte komme ich noch zu sprechen, damit keine Verwirrung eintritt –, Sie haben zu Recht erwähnt, dass wir mit diesem Gesetz erfreulicherweise den Status der Opfer von Menschenhandel verbessern werden. Sie haben – hierzu gab es insbesondere Kritik aus dem NGO-Bereich – darauf hingewiesen, dass der Familiennachzug bei subsidiär Geschützten neu geregelt wird. Sie haben noch einen Punkt vergessen, der mir aber auch wichtig ist und den ich vielleicht ergänzen darf. Wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür, sogenannte Resettlement-Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und ihnen ebenfalls die Möglichkeit des Familiennachzugs einzuräumen. Denjenigen, die nicht Bescheid wissen, möchte ich erklären, dass es sich beispielsweise bei den Flüchtlingen, die aus Syrien kommen, um Resettlement-Flüchtlinge handelt. Diese haben nach der Flucht aus ihrer Heimat in Nachbarstaaten oder anderswo vorläufig Zuflucht gefunden. Wir haben sie dann aus humanitären Gründen – im Falle Syriens vorbildlich, aber auf europäischer Ebene immer noch zu wenige – aufgenommen, um ihnen hier auf Dauer eine Perspektive zu geben. Es gibt aber auch eine kritische Bewertung. Ein bisschen Kompromiss heißt aus unserer Sicht auch, ein bisschen nachzugeben. Richtig ist: Das Ausweisungsrecht insgesamt musste dringend geändert werden. Da ich -daran, ob wir das in jedem einzelnen Punkt perfekt -hinbekommen haben, meine Zweifel habe, melde ich Gesprächsbedarf an. Das betrifft insbesondere die Haftgründe. Insoweit hat Ulla Jelpke zu Recht darauf hingewiesen, dass es als Flüchtling technisch kaum anders machbar ist, nach Deutschland zu kommen, als sich eines Schleusers zu bedienen. Das muss man deswegen nicht gutheißen. Das tue ich auch nicht. Das tut niemand von uns. Das ist aber ein aus den geografischen Gegebenheiten resultierendes Faktum, das wir nicht negieren können. (Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Automatisch kann man deswegen also nicht auf Fluchtgefahr schließen. Damit sind wir bei der Fluchtgefahr angekommen. Bei der Abschiebehaft von sogenannten Dublin-Flüchtlingen verlangt die Richtlinie eine erhebliche Fluchtgefahr als Voraussetzung. Das haben wir in diesem Gesetzentwurf so noch nicht übernommen. Insofern ist es durchaus notwendig, an dieser Stelle nachzubessern. Schöner wäre übrigens auch gewesen – wenn ich auch diesen kritischen Punkt ansprechen darf –, wenn wir an den ursprünglich vorgesehenen 27 Lebensjahren als zeitliche Grenze für einen Antrag auf Aufenthalts-erlaubnis festgehalten hätten. Jetzt sind wir wieder auf 21 Lebensjahre zurückgegangen. Auch darüber wird man noch reden können. Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, bei dem wir hoffentlich parteiübergreifend zu einer Lösung kommen werden. Es handelt sich dabei um die Rechtsstellung derjenigen jungen Leute, die sich in einer Berufsausbildung oder in einem Studium befinden. Nehmen wir als günstigen Fall an: Es ist einem Flüchtling gelungen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Wenn er nur eine Duldung hat, ist das nicht immer ganz so einfach. Dieser Flüchtling muss damit leben, eventuell abgeschoben zu werden, noch bevor er seine Ausbildung abgeschlossen hat. Es gibt zu Recht eine Initiative der Ministerpräsidenten und des Bundesrates, die darauf abzielt, den betreffenden jungen Leuten bis zum Erreichen ihres Ausbildungsabschlusses eine gesicherte Aufenthaltsperspektive zu bieten. Ich persönlich bin der Meinung, dass eine Duldung allein dafür nicht ausreichend ist. Ich will versuchen, kurz zu begründen, warum. Wenn ein Handwerksmeister vor der Frage steht, ob er einen jungen Mann oder eine junge Frau mit einer Duldung als Auszubildenden einstellt, dann muss er davon ausgehen, dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung – so sie denn erfolgreich war, was hoffentlich in der Regel der Fall ist – gehen muss und nicht bei ihm im Betrieb bleiben kann. Das macht keinen Sinn und führt zu Verwerfungen. Obwohl ein solcher Handwerksmeister die Verantwortung und die Last bzw. die Kosten der Ausbildung trägt, ist er anschließend nicht in der Lage, den betreffenden Auszubildenden zu übernehmen. Es ist wünschenswert und richtig – das könnte uns in diesem Gesetzgebungsvorhaben noch gelingen –, eine Regelung zu finden, die besagt: Wer hier berechtigterweise bzw. erlaubterweise eine Ausbildung absolviert, der erhält zu diesem Zweck eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis. Das ist ein ganz konkreter Wunsch vor unseren jetzt beginnenden Koalitionsgesprächen zu diesem Gesetzentwurf. Nach der Anhörung werden wir beginnen, darüber zu beraten. Ich wünsche mir, dass wir auch in diesem Punkt zu einer Einigung kommen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um das gleich vorwegzunehmen: Dieser Gesetzentwurf ist Schatten, aber auch Licht. Der Kürze halber fange ich mit dem Licht an. Wir freuen uns, dass sich die Bundesregierung endlich dazu durchgerungen hat, die Rechtsgrundlage für das Resettlement-Programm – das wurde noch nicht erwähnt – zu schaffen. Gut ist auch der Vorschlag, eine stichtags- und altersunabhängige Bleiberechtsregelung ins Leben zu rufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Damit sollen langjährig hier lebende Menschen mit dem Status der Duldung – wie wir gehört haben, leben diese zum Teil seit 10, 16 oder sogar seit 20 Jahren hier – endlich eine Perspektive zum Bleiben bekommen. Dieses Ziel verfolgen wir alle hier schon lange, und es ist gut, dass jetzt entsprechende Regelungen auf den Weg gebracht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie gut ein solches Gesetz und wie ehrlich solch grundlegende Bekenntnisse sind, entscheidet aber nicht die Prosa, sondern die Praxis. Damit sind wir beim Schatten, der über Ihrem Gesetzentwurf liegt. Die Bundesregierung hat die prekäre Situation von langjährig in Duldung lebenden Menschen zwar erkannt, unterläuft in unseren Augen mit kleineren diskriminierenden Regelungen im eigenen Gesetzentwurf aber das Ziel, dass diese Menschen auch bleiben können. Das wird durch § 11 Absatz 6 des Gesetzentwurfs deutlich. Dieser zielt nämlich auf die typische Duldungssituation ab. Wer zum Beispiel nicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist ausgereist ist, obwohl die Pflicht dazu bestand, kann vom Bleiberecht ausgeschlossen werden. Dieses „Kann“ ist ganz entscheidend. Der Gesetzgeber ermöglicht es den Behörden damit, das Bleiberecht zu gewähren oder eben auch nicht – je nach Ermessen. Allein der Umstand, dass diese Anwendungspraxis von Behörde zu Behörde und von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sein kann, gibt Anlass zu einer Neuregelung bzw. Präzisierung dieses Paragrafen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Schutzsuchenden können es sich nämlich nicht aussuchen, an welchen Ort sie kommen und welche Behörde sie betreut. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen, die hier mit einer Duldung leben und das hiesige Bildungssystem durchlaufen – das wurde eben angesprochen –, haben genauso wie alle anderen Menschen sehr viele Potenziale. Diese sollten wir nutzen, und wir sollten ihnen die Chance geben, sie zu entfalten; denn davon profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch unsere gesamte Gesellschaft und insbesondere unser Arbeitsmarkt. Genau diesen jungen Menschen bleiben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf leider eine Antwort schuldig. Für die Dauer der Ausbildung brauchen sie in unseren Augen eine Aufenthaltserlaubnis, und diese muss bei erfolgreichem Abschluss auch verlängert werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist kein Populismus, Herr Minister; denn die Industrie- und Handelskammern und auch die Handwerkskammern liegen uns seit Ewigkeiten in den Ohren. Schleswig-Holstein konnte im letzten Jahr 1 000 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Man sieht: Es liegen Puzzleteile auf dem Tisch, die zusammenpassen, aber man geht nicht den entscheidenden Schritt, das Puzzle zu vervollständigen. Die Betriebe fordern Sicherheit. Sie wollen, dass die jungen Menschen, die eine Ausbildung machen, vor der Abschiebung geschützt werden. Das unterstreiche ich ausdrücklich, und das gilt auch für den Gedanken meines Kollegen Rüdiger Veit, den er am Ende seiner Rede geäußert hat. Es wäre nicht nur pragmatisch gesund und wirtschaftlich gedacht, sondern für diese Menschen auch eine große Chance auf eine verlässliche Perspektive, diesen Schritt zu gehen, und das wollen Sie mit diesem Gesetz erreichen. Auch hier gibt es also noch Nachbesserungsbedarf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Nachdem wir eben beim Schatten waren, muss ich jetzt natürlich auch noch auf die Dunkelheit, die Finsternis dieses Gesetzentwurfs eingehen, die es durchaus gibt. Ich will sehr deutlich sagen: Haft ist das schärfste Schwert, das unser Staat in die Hand nehmen kann. Es ist das höchste Strafmaß in unserem Rechtsstaat, das mit Bedacht eingesetzt werden muss; denn es greift in fundamentale Grundrechte ein. Anders als bei der Strafhaft hat ein Abschiebehäftling keine Straftat begangen. Ihre Pläne, Herr Minister, die Haft auf all die Menschen auszuweiten, die über einen anderen EU-Staat -eingereist sind, ist wirklich – so positiv und wohlmeinend man diesem Gesetzentwurf auch gegenüberstehen möchte – eine nur schwer zu schluckende Kröte. Bislang verlangt das Gesetz den begründeten Verdacht, dass sich der oder die Betroffene einer Abschiebung entziehen will. Auch das ist schon sehr subjektiv formuliert. Dieser „begründete Verdacht“ spielt jetzt gar keine Rolle mehr; denn seit neuestem findet das Innenministerium, dass eine Fluchtgefahr schon allein dann gegeben ist, wenn eine Person über einen anderen EU-Staat nach Deutschland gekommen ist. Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es kaum andere legale Wege nach Deutschland gibt; meine Kollegin Ulla Jelpke hat das schon angesprochen. Da niemand, der aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea flieht, über Deutschland einfach vom Himmel fällt, ist dieser Ansatz wirklich mehr als zynisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Darüber einmal nachzudenken, Herr Minister, ist nicht zu viel verlangt und auch kein Populismus. Wir stehen im Übrigen mit dieser Kritik nicht alleine. Kirchen, Wohlfahrtsverbände und NGOs sehen das genauso. Darüber hinaus ist das nicht mit Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung vereinbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion vertritt die Auffassung, dass wir mehr darüber reden sollten, welche Alternativen es zur Abschiebehaft gibt. Zumindest aber sollte die Abschiebehaft immer Ultima Ratio bleiben. So wird das in den Ländern auch gehandhabt. Viele inhaftieren de facto gar nicht mehr. Diese werden sich angesichts dieser Pläne bei Ihnen bedanken; denn die Kosten für die Vorhaltung von Abschiebehaftplätzen verbleiben bei den Ländern. Zum Schluss ein Punkt, der auch noch wichtig ist: der Spracherwerb beim Ehegattennachzug. Wir haben im Petitionsausschuss – ich weiß nicht, ob gerade Kollegen aus diesem Ausschuss da sind – eigentlich jede Woche damit zu tun, dass Familienmitglieder voneinander getrennt sind, Ehepartner für Jahre auseinandergerissen werden, weil der Sprachennachweis nicht erbracht werden konnte. Das alles geschieht, obwohl die Bundesregierung die Familie besonders schützen will. Das passt nicht zusammen. Auch hier brauchen wir eine Überarbeitung dieses Gesetzentwurfs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt noch viele Themen, die dabei eine Rolle spielen und die wir noch ansprechen könnten. Der Gesetzentwurf in der jetzigen Form könnte die Überschrift tragen: mehr Haft, mehr Restriktionen und weniger Schutz für Schutzsuchende. – Ich glaube, das können wir besser. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte erhält Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die weltweiten Krisen machen sich auch in diesem Jahr in Deutschland nach wie vor bemerkbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartet erneut einen massiven Anstieg der Asylbewerberzahlen von zuletzt 203 000 auf 300 000 Asylanträge in diesem Jahr. Die Strategie der Großen Koalition zur Stabilisierung unseres Asylsystems hat zwei zentrale Ziele: Erstens. Die Schutzberechtigten sollen besser integriert werden. Zweitens. Unberechtigte Asylanträge sollen schneller abgeschlossen werden. Bereits im letzten Jahr haben wir zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Wir haben im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zahl der Stellen um rund 30 Prozent aufgestockt. Wir haben drei Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, um unbegründete Anträge schneller abschließen zu können. Wir haben in diesem Jahr Länder und Kommunen um 556 Millionen Euro bei der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen entlastet. Im Jahr 2016 wird das novellierte Asylbewerberleistungsgesetz zu noch mehr Entlastungen führen. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, können Sie das gleich machen!) Gleichzeitig haben wir die Strukturen zur Integration von Flüchtlingen verbessert. Der Arbeitsmarktzugang wurde erleichtert, und die Residenzpflicht und die Vorrangprüfung wurden eingeschränkt. Wer bei uns Schutz bekommt, der soll sich zügig integrieren und Arbeit finden können. Um das Asylsystem nachhaltig zu stabilisieren, müssen wir aber die große Zahl der unberechtigten Asylanträge spürbar reduzieren. Allein im Januar dieses Jahres wurden 11 700 Asylanträge aus den Balkanstaaten registriert, obwohl die Ablehnungsquote in diesen Fällen bei fast 100 Prozent liegt. Die Zahl der Asylanträge von syrischen Flüchtlingen war im selben Zeitraum nicht einmal halb so hoch. Die Zahl der offensichtlich unberechtigten Asylanträge muss zügiger zurückgeführt werden, um Nachahmer davon abzuhalten, Geld an kriminelle Schleuser zu verschwenden. Gerade in den Balkanstaaten müssen wir noch besser über unser Asyl- und Migrationssystem aufklären; denn manch einer könnte auf ganz legalem Weg als Arbeitskraft zu uns kommen, statt einen aussichts-losen Asylantrag zu stellen. Seit Jahren wird nur ein Bruchteil der ausreisepflichtigen Ausländer tatsächlich abgeschoben. Ende 2014 waren 113 221 Geduldete hier in Deutschland registriert. Abgeschoben wurden im letzten Jahr lediglich 10 800 Personen. Ja, für die Abschiebung sind die Länder zuständig, aber der Bund hat die Verfahrensregeln zu verantworten. An diesem Punkt setzt der vorliegende Gesetzentwurf an und sieht umfangreiche Verbesserungen im Asylsystem vor. Ausländer, die schon lange in Deutschland geduldet sind und sich erfolgreich integriert haben, sollen ein alters- und stichtagsunabhängiges Bleiberecht bekommen. Als gut integriert gilt jemand, der seit acht Jahren hier lebt, über Sprachkenntnisse verfügt und seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern kann. Gut integrierte Jugendliche unter 21 sollen bei ähnlichen Voraussetzungen bereits nach vier Jahren ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten können. Mit § 17 a Aufenthaltsgesetz schaffen wir einen neuen Aufenthaltstitel in Deutschland, der es ermöglicht, die ausländische Berufsqualifikation bei uns durch Fortbildungsmaßnahmen vollständig anerkennen zu lassen. Damit verbessert der Bundesinnenminister ganz gezielt das Ausländerrecht und erleichtert die Zuwanderung von Fachkräften. (Beifall bei der CDU/CSU) Gleichzeitig soll die bisherige dreistufige Kann-, Soll- und Mussregelung im Ausweisungsrecht grundlegend reformiert werden. Das ist richtig. Die Gerichte haben bei den meisten Klagen ohnehin reine Ermessensentscheidungen getroffen. Wir reagieren damit auf den Wandel in der Rechtsprechung. Die Gerichte werden in Zukunft – das wird die Verfahren erheblich beschleunigen – die Entscheidung der Behörde entweder bestätigen oder ersetzen. Es wird also nicht an die Behörde zurückverwiesen. Auch damit werden wir schneller Rechtssicherheit für die Asylbewerber schaffen, ob sie bleiben können, weil sie einen entsprechenden Anspruch haben, oder ob sie ausgewiesen werden müssen. Wir werden klare Ausweisungs- und Bleibeinteressen formulieren und gewichten. Auch das ist richtig. Ein Bleibeinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwer bei Minderjährigen und bei Ausländern, die in Deutschland geboren wurden oder hier eigene Kinder haben. Das Ausweisungsinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwer, wenn ein Ausländer zu Hass oder Gewalt aufruft, den Terror unterstützt oder zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Auch das ist richtig. Wir werden für die Abschiebehaft klare Kriterien definieren, wann von einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann. Damit machen wir nichts anderes, Frau Kollegin Jelpke, als die Dublin-III-Verordnung und den Beschluss des BGH vom Juni 2014 umzusetzen. Der BGH hat nämlich festgestellt, dass die Verankerung im nationalen Recht fehlt. Wir sind daher gehalten, entsprechende Regelungen zu formulieren. Wann geht man von einer Fluchtgefahr aus? Es gibt zunächst einmal Indizien. Wenn sich zum Beispiel jemand dem Zugriff der Behörden entziehen will, über seine Identität täuscht oder die Mitwirkung verweigert, dann sind das erst einmal Indizien für eine Fluchtgefahr, die aber wohl begründet ist. Denn derjenige, der bei uns bleiben möchte, hat an entsprechenden Verfahren mitzuwirken; er hat sich zu beteiligen. Auch das ist bei der Ausweisung von Interesse. Auch hier muss der Rechtsstaat reagieren können, wenn das von dem Asylbewerber nicht erfüllt wird. Im Übrigen bleibt es bei der Einzelfallprüfung. Damit wird Willkür ausgeschlossen; die Haft muss verhältnismäßig sein. Ich denke, hier sorgt der Rechtsstaat für ausreichende Sicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Lieber Kollege Rüdiger Veit, wir haben gestern Abend über den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen debattiert. In der Debatte wurde gesagt, dass jemand, der als Geduldeter eine Ausbildung in Deutschland macht, zum Beispiel in einem Handwerksbetrieb, die ganze Zeit damit rechnen muss, dass er abgeschoben wird. Nein, das stimmt nicht. § 60 a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass es aus persönlichen Gründen möglich ist, für die gesamte Dauer der Ausbildung bei uns eine Duldung zu erhalten. Es ist also bereits möglich. (Rüdiger Veit [SPD]: Eben nur eine Duldung!) – Ja. Ich verwahre mich aber dagegen, dass immer wieder gesagt wird, die Handwerksbetriebe bzw. Ausbildungsbetriebe könnten keine jungen Asylbewerber einstellen. (René Röspel [SPD]: Das ist doch ein unbestimmter Rechtsbegriff!) Natürlich ist das nach unserem Gesetz bereits möglich. Das muss nur noch von den Ländern entsprechend verankert werden. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg zu? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ja, wenn ich gerade noch meinen Satz zu Ende bringen darf. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Selbstverständlich. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Aus § 39 Aufenthaltsgesetz geht hervor, dass man nach einer entsprechenden Ausbildung als Fachkraft oder mit der Bluecard eine Arbeitserlaubnis erhalten kann. Insofern bleibt allenfalls die Frage zu beantworten, ob wir es noch deutlicher klarstellen müssen. Darin stimme ich vielleicht mit Ihnen überein. Aber es trifft schlicht nicht zu, dass unser Gesetz das nicht schon regelt. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Das Problem bei den Auszubildenden und jungen Flüchtlingen, die einen unsicheren Status haben, ist für die Ausbildungsbetriebe nicht der rein rechtliche Aspekt, sondern die Tatsache, dass sie ausgewiesen werden können, während sie in der Ausbildung sind. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nein. Das ist schlicht falsch. Schauen Sie in das Gesetz! Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist de facto so. – Die Unsicherheit, die sich daraus ergibt, veranlasst viele Betriebe, lieber auszuweichen und den Menschen keine Chance zu geben. Da Klarheit zu schaffen, wäre doch eigentlich ein gutes Anliegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Auch über die Ausbildung hinaus!) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Frau Kollegin Amtsberg, es ist nur leider sachlich falsch. Schauen Sie in das Gesetz! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gucke auf die Fälle, die ich kenne, wo das nicht so ist!) Dort steht ausdrücklich, dass aus persönlichen Gründen – dazu gehört die Ausbildung – die Abschiebung ausgesetzt und eine Duldung bis zum Abschluss der Ausbildung ausgesprochen werden kann. Es tut mir leid. Es ist einfach falsch, wenn Sie etwas anderes behaupten. Schauen Sie einfach einmal in das Gesetz! Dann könnte man sich manchen Wortbeitrag ersparen. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Realität ist eine andere!) – Realität ist, wenn die Gesetze, die wir hier machen, auch überall angewendet werden. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn sie nicht angewendet werden, müssen sie geändert werden! – Gegenruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt!) Aber nur neue Gesetze zu machen, ersetzt keine Realität. Wir stimmen daher dem Gesetzentwurf zu. Wir begrüßen ihn ausdrücklich. Wir hoffen, dass auch das ein weiterer Schritt ist, um unser Asylrecht effektiver zu machen, auch im Sinne der Betroffenen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/4097 und 18/4199 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs Drucksache 18/4186 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr Drucksache 18/3746 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Federführung strittig c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern Drucksachen 18/2494, 18/4080 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Wir reden heute über drei Anträge meiner Fraktion. Mit diesen Anträgen kämpft die Linke für ein besseres Fernreiseangebot auf der Schiene. (Beifall bei der LINKEN) Fakt ist, dass seit Jahren Fernzüge gestrichen werden, zuletzt – das ist eigentlich der Anlass dieser neuen Initiative, die wir ergriffen haben – einige wichtige europäische Nachtzugverbindungen. Der Bundestag könnte diesen Trend umkehren. Deshalb haben wir den Antrag „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern“ eingebracht. Sie alle haben sicher mitbekommen, dass es eine tolle Kampagne gibt: Nachtzug bleibt. – Da haben sich Reisende und Beschäftigte mit Bahninitiativen zusammengeschlossen und haben für dieses Thema, übrigens grenzüberschreitend, eine ganze Menge Aufmerksamkeit bewirkt. Nachher, um 14.30 Uhr, könnten Sie sich an einer kleinen Kundgebung beteiligen, die hier vor dem Reichstag stattfindet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute Nachmittag wird auf der Internationalen Tourismus-Börse ein Journalistenpreis für die Reportage des Deutschlandfunks mit dem Titel „Der letzte Nachtzug nach Paris“ verliehen. Das ist eine tolle Dokumentation darüber, warum das Reisen im Nachtzug praktisch, umweltfreundlich und preiswert ist oder es sein kann. Alle, die das noch nie ausprobiert haben, wie übrigens auch der zuständige Bahnvorstand, Herr Homburg, könnten sich diese Radiosendung anhören und sich wenigstens einen Eindruck davon verschaffen. Es ist mit diesen Nachtzugreisen eine Reisekultur verbunden, die sich einfach wohltuend von dem hektischen Flugverkehr unterscheidet und außerdem klima- und umweltfreundlich ist. Aus der Expertenanhörung, die wir zu diesem Thema im Verkehrsausschuss gemacht haben – Sie erinnern sich –, gibt es ein paar wichtige Erkenntnisse. Erstens. Nachtreisezüge sind zeitgemäß und zukunftsfähig, wenn der Wille dazu da ist und wenn in moderne Züge investiert werden kann. Zweitens. Die Nachfrage nach diesem Angebot ist keineswegs desaströs, sondern kann – das wurde auch von Herrn Homburg von der Deutschen Bahn bestätigt – als stabil bezeichnet werden. Die Zahl der Reisenden mit Reservierung über Nacht ist in den letzten zehn Jahren um 4 Prozent gestiegen – immerhin –, und die Zahl der Reisenden, die in den Pendlerwagen mitfahren, frühmorgens oder spätnachts, ist sogar um 54 Prozent gestiegen. Dass die Bahn mit diesem Angebot keinen Gewinn einfährt, liegt vor allen Dingen an den hohen Trassengebühren und an anderen Kosten, über die politisch entschieden wird. Allerdings ist das reale Defizit mit 5,4 Millionen Euro halb so groß wie zunächst behauptet. Deshalb haben wir guten Grund, Sie aufzufordern, den Kahlschlag im Nachtreisezugangebot zu stoppen und dafür zu sorgen, dass zumindest Berlin–Paris und Berlin–Kopenhagen wieder in den Nachtzugfahrplan kommen, so lange, bis ein vernünftiges, tragfähiges Konzept auf die Schiene gebracht ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein solches Konzept könnte bis zur Fußballeuropameisterschaft 2020 durchaus zustande gebracht werden. Daran beteiligen sich 13 europäische Länder, und es wäre doch verrückt, wenn man den Fußballfans nur den Billigflieger anbieten könnte und nicht die nachhaltige Alternative Nachtzug. Mit ein wenig gutem Willen können die politischen Rahmenbedingungen so geändert werden, dass die Bahn nicht weiter benachteiligt wird, beispielsweise gegenüber dem klimaschädlichen Flugverkehr. Deshalb beantragen wir in einem zweiten Antrag, dass die Mehrwertsteuer für Bahntickets abgesenkt wird und im Gegenzug Schluss gemacht wird mit der Subvention von Flug-tickets. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heute zahlt man für jedes Fernzugticket volle 19 Prozent Mehrwertsteuer; (Margaret Horb [CDU/CSU]: Genau!) auf Flugtickets zahlt man 0 Prozent Mehrwertsteuer. Das ist ungerecht. Das ist klimaschädlich und muss geändert werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Diskussion um die Nachtzüge hat der Kollege Dirk Fischer von der CDU, der hier sitzt, darauf aufmerksam gemacht, dass die ganze Misere gar nicht zustande gekommen wäre, wenn die damalige rot-grüne Regierung dem Unionsantrag zugestimmt hätte, ein Schienenpersonenfernverkehrsgesetz zu verabschieden, in dem festgelegt wird, welche Angebote auf der Schiene im Fernverkehr die Bahn zu erbringen hat, an den Bedürfnissen der Bevölkerung und natürlich auch an Klimazielen ausgerichtet. Tatsächlich hat die CDU/CSU 2001 beantragt, dass die Bundesregierung ein solches Gesetz vorlegt. Dem hat die PDS-Fraktion damals übrigens zugestimmt; eine interessante historische Konstellation. Inzwischen ist die Notwendigkeit für ein solches Gesetz noch viel größer geworden. Deshalb haben wir den damaligen Antrag heute wortgleich eingebracht. Es ist höchste Eisenbahn, dass der Bund endlich seinem grundgesetzlichen Auftrag nachkommt und dass wir als Abgeordnete ein destruktives Parteiengezänk vermeiden und einfach das beschließen, was notwendig ist. (Beifall bei der LINKEN) Weil ich weiß, dass Sie es niemals übers Herz bringen werden, einem Antrag der Linken zuzustimmen, auch wenn er noch so richtig ist, bitte ich Sie, Kollege Fischer, in diesem Falle zum Wiederholungstäter zu werden. Sie könnten ihren damaligen Antrag einfach noch einmal einbringen. Ich bin sicher: Wir hätten nicht nur eine Mehrheit aus CDU/CSU und Linken; vielmehr würden auch die Kollegen der Grünen und der SPD zustimmen. Denn in der Zwischenzeit ist ja vieles passiert: Über 100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern haben ihren Anschluss an den Fernverkehr verloren. Da hält kein ICE mehr und kein IC und natürlich auch kein Inter-regio, weil diese Zugart völlig zerstört worden ist. Das bedeutet aber für die Bewohnerinnen und Bewohner in Chemnitz, in Zwickau, in Potsdam, in Landau und in vielen anderen Städten, dass sie öfter umsteigen müssen, dass die Chance größer ist, dass sie einen Anschluss verpassen, dass sie viele Wartezeiten haben. Es bedeutet, dass die Attraktivität der Bahn schlechter wird und dass die Attraktivität dieser Städte schlechter wird. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Leidig, ehe Sie jetzt noch durch ganz Deutschland reisen, darf ich Sie an die Zeit erinnern. Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich finde, da kann der Bund nicht zuschauen. Sie als Bundestagsabgeordnete haben die Möglichkeit, Herrn Grube sozusagen in den Arm zu fallen und dafür zu sorgen, dass wir eine vernünftige, zielgerichtete Entwicklung des Schienenfernverkehrs haben. Ich kann Sie nur auffordern, die Möglichkeiten zu nutzen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es liegen uns drei Anträge der Fraktion Die Linke vor. Nach dem einen Antrag soll die Mehrwertsteuer im Schienenpersonenfernverkehr von 19 Prozent auf 7 Prozent abgesenkt werden. Daneben sollen Flugtickets im internationalen Verkehr mit 19 Prozent Umsatzsteuer belastet werden. Außerdem soll eine Gegenfinanzierung über die Luftverkehrsteuer vorgenommen werden. Das heißt, die Verrechnung von Einnahmen aus dem Emissionshandel soll gestrichen werden; die Deckelung auf 1 Milliarde Euro Einnahmen soll gestrichen werden; zur Deckung der Einnahmeverluste sollen die Steuersätze entsprechend angehoben werden. Aus Sicht meiner Fraktion ist der Luftverkehrsstandort durch die Luftverkehrsteuer im internationalen Wettbewerb schon sehr stark belastet. Wir sind entschieden gegen jede weitere Zusatzbelastung, die die Probleme für unsere Flughäfen und unsere Airlines noch verschärft. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und werden uns auch in der Ausschussberatung dazu entsprechend einlassen. Dann gibt es einen Antrag zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs. Das heißt, deutlich gesagt: Aus einem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr soll – so wie beim Schienenpersonennahverkehr – ein bezuschusster Verkehr gemacht werden. Wir haben gerade gestern das Regionalisierungsgesetz beraten, wo zwischen Bund und Ländern noch über eine Spannweite zwischen 7,4 Milliarden Euro bis 8,5 Milliarden Euro verhandelt wird. Nun soll die Finanzierung des nicht mehr eigenwirtschaftlichen, sondern bezuschussten Fernverkehrs über Verkehrsdurchführungsverträge sichergestellt werden. Das ist eine klare Abweichung von den Beschlüssen der Bahnreform. Da wird ein sehr großes finanzielles Fass aufgemacht. Die Linke verspricht allen alles, koste es, was es wolle. Sie ist ohne jede haushaltspolitische Verantwortung. Die Staatsverschuldung ist ihr völlig egal. (Caren Lay [DIE LINKE]: Mein Gott!) Dazu sagen wir ganz deutlich: Nicht mit uns! (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Leidig? Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Gerne, ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Frau Kollegin Leidig. Sabine Leidig (DIE LINKE): Kollege Fischer, es stimmt natürlich, was Sie sagen: Es geht darum – vergleichbar dem, was die Länder beim Nahverkehr machen –, praktisch die notwendige Zugleistung zu bestellen. Das soll auf Bundesebene auch für die Fernzüge gemacht werden. Sie selbst haben diesen Antrag 2001 genau so eingebracht, also mit genau demselben Bestellerprinzip. Ich möchte Sie erstens gerne fragen, was sich aus Ihrer Sicht in der Zwischenzeit so entscheidend verändert hat. Denn die Begründung war damals genau dieselbe, dass nämlich die Fernverkehrsanbindungen von der Bahn gekappt werden und es deshalb notwendig ist, dass der Bund diese Aufgabe übernimmt. Die zweite Frage bezieht sich auf die Größenordnung. Ich erinnere mich, dass wir 2009 eine Anhörung zur Fernverkehrsanbindung von Oberzentren hatten. Da wurde uns dargelegt, dass man mit 100 Millionen Euro im Jahr – das ist nun wirklich weit von den vielen Milliarden entfernt, über die wir im Verkehrsbereich immer reden – alle Oberzentren in der Bundesrepublik Deutschland an den Schienenfernverkehr anbinden könnte. Halten Sie diese Zahl für unverhältnismäßig? Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Zum Ersten: Meine Fraktion hat niemals einen Antrag eingebracht, aus einem eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenfernverkehr einen bezuschussten Verkehr zu machen. Es steht aber eine Gewährleistung darin. Wenn man das entscheidende Jahr der Bahnreform nimmt, ging es damals um 180 Millionen Zugkilometer im Fernverkehr. Dieses war für uns immer eine Zielmarke, an der sich auch die Unternehmenspolitik zu orientieren hat. Damals hat die im Amt befindliche rot-grüne Bundesregierung eine Gewährleistung von Zugkilometern über Jahre strikt zurückgewiesen und gesagt: Es geht nur darum, dass die Infrastruktur vorgehalten wird, auf der dann der Schienenpersonenverkehr erfolgen kann. Zweitens. Ich halte es für völlig illusionär, zu glauben, man könne einen Schienenpersonenfernverkehr mit einem Zuschuss von 100 Millionen Euro finanzieren. Ich halte das für eine absolute Illusion. Ich glaube, man sollte sich an solchen Zahlen überhaupt nicht orientieren. Dabei geht es um erhebliche Milliardenbeträge und nichts anderes. Im Unterschied zum Schienenpersonennahverkehr würden wir dadurch auch die Tickets für den internationalen Verkehr in erheblichem Maße aus dem Bundeshaushalt subventionieren. Ich glaube, das kann vernünftigerweise nicht unser Ziel sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ich würde gerne was zitieren!) Der dritte Antrag, den Sie gestellt haben, trägt den Titel „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern“. Wir haben dazu ein Hearing durchgeführt. Wir haben dabei erfahren – darauf haben wir auch in den Beratungen deutlich hingewiesen –, dass der Vorstand der DB AG in eigener Verantwortung zu handeln hat. Wenn Sie sich etwas stärker mit dem Aktiengesetz befassen würden, wüssten Sie, dass in § 76 Absatz 1 steht: Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Wenn Sie ein bisschen weiterblättern, kommen Sie zu § 93 Absatz 1, in dem es heißt: Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. § 93 Absatz 1 Satz 2 bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds vorliegen würde, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise nicht annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Sie können auch mit Anträgen im Deutschen Bundestag das Aktiengesetz nicht aushebeln und den Vorstand zu Handlungen veranlassen bzw. zwingen, die nach dem Aktiengesetz eine Pflichtverletzung darstellen. Das können wir als Deutscher Bundestag unter gar keinen Umständen machen. Wir haben eine Aktiengesellschaft. Wir haben ein geltendes Gesetz, und danach ist vorzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das heißt in der Konsequenz: Wenn in einem Geschäftsfeld seit Jahren Verluste eingefahren werden, wenn das rollende Material am Ende der technischen Nutzungsdauer ist, das heißt, größere Neuinvestitionen erforderlich sind, ist der Vorstand aufgefordert, zu handeln. Der Vorstand hat uns mitgeteilt, dass man an einem neuen Konzept arbeite; man habe einige Linien aufrechterhalten; man wolle im Jahr 2017 endgültig entscheiden. Insoweit ist Ihr Antrag nach den Erklärungen der DB AG sogar überflüssig. Man hat eine Zwischenlösung gefunden: Pkws auf den Lkw und die Passagiere in den Zug. Dies soll Ende 2017 evaluiert werden. Man kann sich denken, dass ein Verkehrspolitiker nicht jubelt, wenn eine Rückverlagerung von der Schiene auf die Straße stattfindet. Das veränderte Verbraucherverhalten muss zur Kenntnis genommen werden. Gegenüber früher haben wir viel mehr High-Speed-Fernverkehre mit deutlich verkürzten Reisezeiten. Wir haben heute sehr ausgeprägte Mietwagen- und Carsharing-Systeme, sodass es für viele nicht mehr sinnvoll ist, den eigenen Pkw über Hunderte von Kilometern zu transportieren, um am Zielort ein Fahrzeug zur Verfügung zu haben. Seit eh und je handelt es sich hierbei um ein Saisongeschäft. In der Urlaubs- bzw. Reisezeit gibt es eine sehr viel größere Nachfrage als zu den anderen Zeiten. Für uns kommen öffentliche Zuschüsse in diesem Bereich überhaupt nicht infrage. Frau Kollegin Leidig, wir haben eine AG, aber wir haben auch das Bestellerprinzip. Würden Sie mit Ihrem heißen Herzen eine Sabine Leidig GmbH & Co. KG gründen, könnten Sie über diese solche Leistungen bestellen und bezahlen. Sie könnten als Komplementärin oder Kommanditistin sogar eine Haftungsbeschränkung vorsehen. Ich würde der DB AG allerdings dringend raten, von der Sabine Leidig GmbH & Co. KG Vorkasse zu verlangen und nicht hinterher zu kassieren. In diesem Sinne müssen wir auch diesen Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grünen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Frau Präsidentin!) – Die Redezeit war zu Ende, Frau Kollegin Leidig. Dann kann man keine Frage mehr stellen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Kurzintervention!) – Die ist nicht angemeldet. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dann würde ich die gerne anmelden! – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Sie ist Rednerin gewesen!) – Die müsste Frau Karawanskij anmelden. – Ausnahmsweise. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) – Die müssen die Geschäftsordnung noch lernen. Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich sehe mich zu dieser Kurzintervention veranlasst, weil der Kollege Fischer mich hier quasi der Unwahrheit geziehen hat. Ich habe hier Ihren Antrag, den Antrag, der von der CDU/CSU-Fraktion eingebracht wurde, Drucksache 14/5451, und ich zitiere daraus nur zwei Punkte: Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit bei Verkehrsangeboten des Schienenpersonenfernverkehrs auf dem Schienennetz der Eisenbahnen des Bundes Rechnung getragen wird … An anderer Stelle des Forderungsteils fordern Sie: … die Finanzierung der Verkehrsdurchführungsverträge wird im Bundeshaushalt sichergestellt. (Michael Schlecht [DIE LINKE]: Guter Antrag!) Sie haben dies damals beantragt. Dass Sie jetzt so tun, als wenn es völlig aus der Luft gegriffen wäre, das kann ich einfach nur zurückweisen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Fischer, wollen Sie erwidern? (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nein!) – Gut. – Dann hat jetzt der Kollege Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor einem Jahr standen wir hier und haben über die Bilanz von 20 Jahren Bahnreform diskutiert. Damals war es mir ein besonders großes Anliegen, dass wir diese Bilanz ehrlich ziehen, insbesondere im Hinblick auf die Situation des Schienenfernverkehrs. Leider wurde sie hier von der Mehrheit eher geschönt dargestellt, und dementsprechend ist seither auch nichts zur Stärkung des Fernverkehrs auf der Schiene und nichts zur Stärkung des Systems Schiene insgesamt geschehen. Ganz im Gegenteil: Die Schiene wurde im Wettbewerb mit dem Auto, mit dem Fernbus, mit dem Flugzeug und mit dem Lkw einseitig weiter belastet. Hinzu gekommen sind die Belastung bei der EEG-Umlage – 70 bis 80 Millionen Euro zusätzlich –, die Senkung der Lkw-Maut. Das macht umgerechnet eine Wettbewerbsungerechtigkeit von etwa 200 Millionen Euro aus. Außerdem hat sich nichts geändert beim Wettbewerb zwischen der Schiene und anderen Verkehrsmitteln. Die Bus-Maut fehlt nach wie vor. Der Zug zahlt für jeden Kilometer Trasse, die er benutzt, aber der Fernbus bezahlt nichts für die Straßennutzung. Wir unterstützen den Antrag der Linken bezüglich der Mehrwertsteuer von der Stoßrichtung her. Der Flugverkehr zahlt teilweise keine Mehrwertsteuer, aber bei der Schiene muss man 19 Prozent Mehrwertsteuer auf das Ticket bezahlen. Beim Lärmschutz – er ist uns sehr wichtig, um die Akzeptanz der Schiene auch im Güterverkehr zu erhöhen – ist es so, dass die Bahnen selber dafür bezahlen müssen, während der Straßenverkehr für den Lärmschutz nichts bezahlen muss; das ist steuerfinanziert. Wenn man weiter schaut, wie es im System Schiene aussieht, dann muss man leider feststellen: Die Politik lässt die Länder und die Kommunen im Stich bei der Finanzierung des Nah- und Regionalverkehrs. Es gibt keine Klarheit darüber, wie es mit dem auslaufenden -Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz weitergeht. Wer wird künftig die Investitionskosten schultern und unterstützen? Es gibt keine vernünftige Regelung bei den Regionalisierungsmitteln. Die Große Koalition bleibt mit ihrem Gesetzentwurf sogar hinter den Empfehlungen ihres eigenen Gutachters zurück. Damit ist die Große Koalition drauf und dran, den einzigen unstrittigen Erfolg der Bahnreform, nämlich die Regionalisierung, regelrecht gegen die Wand zu fahren, weil sie nicht für die Sicherheit bei der Bestellung des Nah- und Regionalverkehrs sorgt, die so dringend notwendig wäre. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Ich würde einmal die Verhandlungsergebnisse abwarten!) Dann schauen wir einmal, welche Anforderungen die Politik, auch der Eigentümer der Deutschen Bahn, an den Konzern stellt. Er möchte, dass die Schulden – inzwischen 17 Milliarden Euro – abgebaut werden, dass mehr in den Erhalt der Infrastruktur investiert wird, dass vorhandene Lücken in der Infrastruktur geschlossen werden, dass die Dividende höher ausfällt als bisher. Der Konzern wird genötigt, ein unsinniges Projekt wie Stuttgart 21 zu bauen und die Mehrkosten – zuletzt 2 Milliarden Euro – selber zu stemmen. All diese Anforderungen, die der Eigentümer an diesen Konzern stellt, gehen nie und nimmer zusammen. Die Deutsche Bahn steht von allen Seiten unter Druck. Einerseits besteht die ungerechte Wettbewerbssituation mit Blick auf andere Verkehrsträger; andererseits müsste die DB und/oder der Eigentümer, der Bund, mehr in den Erhalt der Infrastruktur investieren. Dringend notwendig ist auch neues rollendes Material. Man muss sich einmal anschauen, mit welchen Mängeln die Züge jeden Morgen auf das Gleis gesetzt werden: mit nichtfunktionierenden Behinderten-WCs, mit defekten Türen, ohne Speisewagen, mit zu wenigen Wagen, sodass Reservierungen der Fahrgäste nicht gewährleistet sind. Wir brauchen dringend neue Züge. Wie sollen sie finanziert werden? Sie sind aber als Reserve notwendig. Sie sind auch notwendig, weil die Fahrgäste entsprechende Anforderungen haben, die das bestehende Wagenmaterial nicht erfüllt. Steckdosen, WLAN, Barrierefreiheit, funktionierende Gastronomie – all das sind die Anforderungen des Fahrgastes von heute. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was passiert stattdessen? Das Nachtzugangebot wird ausgedünnt, obwohl die Nachfrage – das gibt inzwischen auch der DB-Konzern zu – sehr hoch ist. Wir fordern, dass jetzt schleunigst ein Konzept für die Zukunftsfähigkeit des Nachtzuges vorgelegt wird. Wir fordern, dass die DB Investitionen in neue Nachtzüge tätigt. Ohne neues Wagenmaterial hat der Nachtzug nämlich keine Chance. Wir als Grüne werden hier nicht nachlassen und Druck machen, bis wir das Konzept für die Zukunft des Nachtzuges tatsächlich auf den Tisch bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Hauptproblem ist jedoch die mangelnde Wertschätzung seitens eines großen Teils dieses Parlamentes und der Bundesregierung gegenüber dem System Schiene. Das drückt sich in der Summe der Beträge aus, die in die Schiene investiert werden. Pro Kopf und Jahr werden in Deutschland 54 Euro investiert, in der Schweiz aber beispielsweise 366 Euro. Das macht deutlich, wie gering die Wertschätzung ist. Die Schweizer sind stolz auf ihre Bahn. Wir wollen, dass auch wir Deutschen stolz auf unsere Bahn sein können, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf eine Bahn, die pünktlich, zuverlässig und umweltgerecht Menschen und Güter transportiert. Mit der Politik, die Sie betreiben, ist das aber leider nicht möglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Kirsten Lühmann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD): Was wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erarbeiten wollen, ist ein Satz von Rahmenbedingungen, sowohl unternehmensintern wie extern, die in der Lage sind, eine Basis dafür zu schaffen, dass man Nachtzugverkehre dauerhaft betreiben kann. Das, sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, hat uns der Bahnvorstand Ulrich Homburg in der Anhörung des Verkehrsausschusses zu dem Thema gesagt. Das ist für Kunden und Kundinnen und auch für die vielen Beschäftigten in diesem Bereich ein wichtiges Signal. Das begrüßen wir. Die Bahn erarbeitet Lösungen. Und welches Bild malen die Anträge, die wir hier heute beraten? Die Bundesregierung soll der Bahn ein Moratorium vorgeben. Die Bundesregierung soll ein Konzept in Auftrag geben. Die Bundesregierung soll den Fernverkehr subventionieren. – Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir der Bahn so in den Fernverkehr reinreden, ist das eine 180Grad-Wende zu allem, was wir damals bei der Bahnreform verabschiedet haben, und das wollen wir so nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Warum wollen wir das nicht? Weil das Konzept aufgeht. Der Nahverkehr – das ist hier mehrfach gesagt worden – ist eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Geld des Bundes organisieren die Länder, dass mehr Menschen pünktlicher mit der Bahn fahren können. Das Netz wird nicht nur über Nutzerentgelte finanziert, sondern auch mit Steuermitteln subventioniert, da es sich um Daseinsvorsorge handelt. Im letzten Jahr haben wir die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II abgeschlossen. Sie ist gegenüber der ersten verbessert. In ihr wird eine bürokratiearme Steuerung über Qualitätsmerkmale festgeschrieben. Der eigenwirtschaftliche Güterverkehr mit über 300 privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen – es gibt dort echten Wettbewerb – ist ein Erfolgsmodell. Die Nutzungszahlen steigen so sehr, dass es sogar zu Netzengpässen kommt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Lühmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig? Kirsten Lühmann (SPD): Ja, bitte. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. (Unruhe bei der CDU/CSU) Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich höre, Sie stöhnen; aber ich finde, es geht hier auch um etwas Wichtiges. – Ich würde gerne Ihnen, Frau Lühmann, eine Frage stellen. Sie haben gerade davon gesprochen, dass bei der Bahnreform klar geregelt wurde, dass der Bund mit der Bahn nichts zu tun hat und der Bund hier nicht reinreden soll. Ich möchte Ihnen jetzt den Grundgesetzartikel vorlesen, der damals mit der Bahnreform zusammen beschlossen und ins Grundgesetz eingefügt wurde. Artikel 87 e Absatz 4 Grundgesetz lautet: Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Wie würden Sie das interpretieren? Kirsten Lühmann (SPD): Ich interpretiere das so – wir haben ja gesagt: der Nahverkehr ist Daseinsvorsorge, und darum finanzieren wir ihn aus Steuern –, dass wir uns in dem Moment Gedanken machen müssen, wenn klar ist, dass den vorhandenen Bedürfnissen im Fernverkehr eigenwirtschaftlich nicht mehr entsprochen werden kann. Der eigenwirtschaftliche Fernverkehr – das hätte ich im nächsten Satz meiner Rede gesagt – ist kein Selbstläufer. Darum warten wir alle gespannt darauf, was kommt. Die Deutsche Bahn hat für den 18. März ein Fernverkehrskonzept angekündigt, und ich möchte erst einmal abwarten, wie dieses Fernverkehrskonzept aussieht. Wenn durch das Fernverkehrskonzept ein bedarfsgerechter Fernverkehr auf Deutschlands Schienen gewährleistet ist, dann sehe ich keinen Grund dafür, dass sich der Bund in irgendeiner Art und Weise einmischt. Das Grundgesetz schreibt das auch nicht vor. In der Anhörung wurden uns schon Einzelheiten eines Konzepts für Nacht- und Autozüge dargelegt. Klar ist: Nachtzüge sind gut nachgefragt, aber aufgrund des alten Materials und des veränderten Komfortverhaltens der Kundschaft ist niemand bereit, kostendeckende Preise zu zahlen. Die anderen europäischen Staaten haben Nachtzugverkehre bereits eingestellt, und auch die staatlich bezuschussten Strecken, zum Beispiel die DB-Nachtzugverbindung nach Kopenhagen, fallen zunehmend dem Rotstift zum Opfer. Die Deutsche Bahn konnte die defizitäre Strecke nach Dänemark ohne Subventionen nicht länger aufrechterhalten. Gleiches gilt – wenn auch aus anderen Gründen – für zwei weitere Linien. Aber – und das ist uns wichtig, liebe Kollegen und Kolleginnen – Herr Homburg hat uns zugesagt, dass die restlichen zwölf Nachtzugverbindungen aufrechterhalten werden; zumindest bis das angesprochene Konzept vorgelegt ist. Das ist eine gute Nachricht. Der Bahnvorstand hat in der Anhörung neben dem unternehmensinternen Bereich auch den externen Bereich angesprochen; bei letzterem ist die Politik gefragt. Hier sind wir mit der Bahn im Gespräch, in Ruhe und mit der nötigen Sorgfalt. Eine Novelle zum Eisenbahnregulierungsgesetz, die Regelungen zum Kostenfaktor Trassenpreise – die anfallenden Kosten sind erheblich – beinhaltet, wird demnächst vorgelegt. Bei den Autoreisezügen stehen wir allerdings vor einer anderen Situation; denn die Verbindungen sind bereits eingestellt. Die alten Wagen mussten aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden, und für neues Material, das nur vier Monate in der Saison eingesetzt werden kann und somit acht Monate lang auf dem Abstellgleis steht, fehlt der DB einfach das Geld. Aus meiner Sicht ist das verständlich. Herr Homburg hat uns ein Modell vorgestellt, das erfolgreich erprobt wurde: Der Pkw wird auf einem Lkw zum Zielort gebracht, und die Kunden fahren mit der Bahn. Zugegeben, das ist nicht die ökologischste Lösung. Aber für die Bedürfnisse der Kunden und Kundinnen könnte das eine Lösung sein, zum Beispiel: für das ältere Ehepaar, das mir geschrieben hat, sie möchten, dass ihnen ihr vertrautes Fahrzeug am Urlaubsort zur Verfügung steht, aber sie würden die lange Autofahrt scheuen, oder für die Familie mit kleinen Kindern, die relativ entspannt mit dem Zug fahren möchte, während das Auto mit dem Gepäck pünktlich an den Urlaubsort gebracht wird. Ob sich dieses Angebot durchsetzen wird, ist noch nicht sicher. Daher wird die Bundesregierung weiterhin in engem Kontakt mit der Bahn bleiben, um zu bedarfsgerechten Lösungen zu kommen, und zwar ohne ideologische Scheuklappen. Das ist der Unterschied zwischen verantwortungsvoller Regierungsarbeit und Schaufensteranträgen, denen wir nicht zustimmen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich lediglich dem Antrag der Linken zur Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr aus Sicht eines Finanzpolitikers zuwenden. Dem Antrag der Linken liegt die Annahme zugrunde, es gebe erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen Bahn- und Flugverkehr. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Als Begründung hierfür führen Sie die unterschiedliche Besteuerung der beiden Verkehrsträger an. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist auch so!) Da stellt sich die Frage: Stehen Bahn- und Flugverkehr wirklich in erheblicher Weise in einem Wettbewerb zueinander? Meines Erachtens, meine Damen und Herren, wird in dem Antrag übersehen, dass die deutschen Fluggesellschaften nicht in erster Linie im Wettbewerb zur Deutschen Bahn stehen – die Konkurrenten deutscher Fluggesellschaften sind die internationalen Fluggesellschaften vom Bosporus oder vom Persischen Golf, und es kann nicht unsere Aufgabe sein, neue Wettbewerbsnachteile für die deutsche Luftverkehrswirtschaft zu schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bahn ist nicht Wettbewerber der Fluggesellschaften, sondern häufig ein wichtiger Kooperationspartner; exemplarisch nenne ich das Projekt „Rail&Fly“ oder „Zug zum Flug“. Wenn Sie mir das nicht glauben – das entnehme ich Ihren Reaktionen –, können Zahlen Ihnen vielleicht ein wenig helfen, zu einer anderen Überzeugung zu kommen: Der Schienenverkehr findet zu 99 Prozent national statt, der Luftverkehr dagegen nur zu 20 Prozent. Passagiere, die in Deutschland ein Flugzeug besteigen, legen im Durchschnitt 2 200 Kilometer zurück, Bahnreisende dagegen durchschnittlich nur 280 Kilometer. Wir sprechen hier also von völlig verschiedenen Verkehrsträgern. Die Zahl – das ist auch ganz interessant – der nationalen Flugreisenden stagniert derzeit, während die Zahl der nationalen Bahnfahrten in den Jahren von 2006 bis 2013 um 10 Prozent gestiegen ist, was ja grundsätzlich eine positive Sache ist. Sie sehen also, meine Damen und Herren von der Linken, die Grundannahme Ihres Antrags ist schon falsch. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir reden nur über den Fernverkehr!) Sie von den Linken lassen auch völlig außer Acht, dass das Finanzierungssystem, das dem Flugverkehr zugrunde liegt, völlig anders ist als das im Bahnverkehr: Der Luftverkehr kommt für seine Infrastrukturkosten – über Luftsicherheitsgebühren, Flugsicherungskosten oder Flughafenentgelte – grundsätzlich vollständig selber auf. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das sieht das Umweltbundesamt völlig anders!) Beim Schienenverkehr sieht das anders aus: Die dort anfallenden Entgelte reichen nicht ansatzweise aus, um die Kosten für Bau und Erhalt der Infrastruktur zu decken. Allein im Jahr 2011 sind, beispielhaft, dafür fast 4 Milliarden Euro ausgegeben worden. Sie vergleichen also in Ihrem Antrag – gleich in der Prämisse – Äpfel mit Birnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Oje! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie setzen keine Prioritäten! Das ist das Problem!) Dies vorausgeschickt möchte ich kurz auf die Forderungen der Linken im Einzelnen eingehen: Sie wollen erstens, dass wir die Bundesregierung dazu auffordern, den Mehrwertsteuersatz für Tickets im Bahnfernverkehr analog zum Nahverkehr von 19 Prozent auf 7 Prozent zu reduzieren, und das bereits ab dem 1. Juli dieses Jahres. Als Finanzpolitiker möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es dafür eine Gesetzesänderung braucht, weil es im Umsatzsteuerrecht keine Verordnungsermächtigung in entsprechender Weise gibt. Wir müssten also ein Gesetzgebungsverfahren einleiten. Auch übersehen Sie meines Erachtens, dass im Mehrwertsteuerrecht das sogenannte Neutralitätsprinzip gilt und die anderen Verkehrsträger bei der Personenbeförderung – wie zum Beispiel die Fernbusse, die schon genannt worden sind – somit ebenfalls die geforderte Privilegierung genießen müssten. Nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums würde das summa summarum zu Steuermindereinnahmen von über 1 Milliarde Euro, eher 1,4 Milliarden Euro, führen. Zweitens fordern Sie, auf alle von Deutschland ausgehenden und nach Deutschland eingehenden grenzüberschreitenden Flüge den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent zu erheben. Man hat in dieser Diskussion teilweise das Gefühl, dass überhaupt keine Mehrwertsteuer für Flüge gezahlt wird. Deswegen möchte ich nur nebenbei erwähnen: Für Inlandsflüge gilt dieser Satz von 19 Prozent. Sie begründen Ihren Antrag unter anderem auch mit den erwarteten Mehreinnahmen von 3,5 Milliarden Euro; Sie haben diese Zahl dem Bericht des Umweltbundesamtes entnommen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass selbst in diesem Bericht festgestellt wird, dass diese Summe voraussetzen würde, dass die gesamte Strecke besteuert wird. Wir dürfen aber aufgrund von rechtlichen Gegebenheiten – ob Chicagoer Abkommen oder EU-Richtlinien – nur den Teil besteuern, der in Deutschland liegt. Und Sie haben völlig vergessen, dass die Geschäftsreisenden logischerweise auch noch einen Vorsteuerabzug geltend machen können, sodass man realistischerweise auf eine Höhe von circa 80 Millionen Euro käme, wie es die Bundesregierung Ihnen in einer entsprechenden Bundestagsdrucksache schon dargestellt hat. Außerdem wäre die Erhebung dieser Steuer mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden, weil bei jedem Flug neu ermittelt werden müsste, wie viele Kilometer tatsächlich – und das für unterschiedliche Flugrouten; denn sie können sich ja durch Windverhältnisse ändern – über deutschem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden sind. Sie wollen also auch damit wieder Wettbewerbsnachteile für die Luftverkehrswirtschaft in Deutschland schaffen. Da machen wir nicht mit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens fordern Sie – der Kollege Fischer hat es angesprochen –, zum Ausgleich die Luftverkehrsteuer zu novellieren. Meines Erachtens würde es dadurch – das haben wir schon bei der Einführung der Luftverkehrsabgabe gesehen – zu einer weiteren Verlagerung des Flugverkehrs weg von deutschen Flughäfen und deutschen Airlines hin zu den internationalen Wettbewerbern und Flughäfen im Ausland kommen. Wer beispielsweise das Glück hat – wie ich höre –, in Baden-Württemberg zu wohnen – ich bin ja nun Niedersachse –, wird einen größeren Anreiz haben, statt von Stuttgart von Zürich aus zu fliegen. Wer bisher via Frankfurt geflogen ist, wird eher Amsterdam oder Istanbul als Drehkreuz wählen. Das würde unserer international orientierten Wirtschaft nur schaden, und das Ziel – die Senkung der CO2-Emissionen – wird es letztendlich auch nicht erreichen helfen, weil die Flüge ja doch stattfinden, sie starten nur woanders. Meine Damen und Herren, wir lehnen deshalb diesen Antrag ab. Er verkennt, dass Bahn- und Flugverkehr völlig unterschiedliche Finanzierungssysteme zugrunde liegen. Er zieht daher auch die falschen Schlussfolgerungen und verkennt die negativen Auswirkungen auf die Luftverkehrswirtschaft, die durch steuerliche Insellösungen herbeigeführt werden würden. Den Vorwurf der mangelnden Wertschätzung der Bahn weise ich zurück. Ich gehe gleich zum Bahnhof. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Andreas Schwarz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andreas Schwarz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Güntzler, wir werden uns dann gleich am Hauptbahnhof Berlin sehen, wie wir das schon öfter am Freitag erlebt haben. Was für ein schönes Thema, mit dem wir diese Sitzungswoche beenden dürfen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist noch kein Feierabend!) Denn – Sie haben es gerade mitbekommen – auch ich bin bekennender Bahnfahrer. Wenn ich nach Berlin komme, dann stets mit der Bahn von Bamberg nach Berlin in gut vier Stunden; mit dem Flugzeug wäre ich, von Haustür zu Haustür gerechnet, auch nicht schneller. Die Bahnfahrt hat natürlich auch Vorteile; das haben wir heute hier gehört. Bahnfahren ist leiser, komfortabler, vielfältiger und auch deutlich umweltfreundlicher. Der Energieverbrauch ist vergleichsweise niedrig, und zumindest für die Personenzüge gilt, dass auch der Emissionsschutz gegeben ist; beim Güterverkehr ist das leider noch nicht ganz gelungen. Aber die Bahn ist nicht nur umweltfreundlich und komfortabel, sondern auch ein wunderbarer Ort, um in Ruhe zu arbeiten, Akten zu wälzen und sich intensiv mit Anträgen der Linken zu befassen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger Ihren Antrag lesen würden, dann würden sicherlich viele auf den ersten Blick sagen: Jawohl, das machen wir; tolle Idee! Das klingt doch alles prima. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist auch prima! Das klingt nicht nur so!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, als Finanzpolitiker – diese Brille muss ich jetzt hier aufsetzen – schaue ich Ihren Antrag natürlich etwas anders an, und leider muss ich Ihnen einen gewaltigen Schluck Wasser in das schöne Glas Wein gießen. Ganz zu Beginn möchte ich etwas zur Begründung Ihres Antrages sagen, bezogen auf etwas, wovon wir alle in diesem Hohen Haus wegkommen sollten. Je nach politischer Großwetterlage und je nachdem, wie es in die Argumentation passt, bedienen wir uns bei verschiedensten Debatten internationaler Steuersätze: Mal ziehen wir sie zum Vergleich heran, eine Debatte später kritisieren wir die Unterschiedlichkeit in Europa. Unterm Strich kann man eins festhalten: Es schafft weder Vertrauen, noch ist es sonderlich glaubwürdig, was hier zum Teil gemacht wird. Wenn Sie die deutschen Mehrwertsteuersätze mit denen von Großbritannien, Irland oder Luxemburg vergleichen wollen und jene auch noch als vorbildlich darstellen, dann sollten Sie offen und ehrlich auch benennen, welche Konsequenzen solche Mehrwertsteuersätze für die Einnahmesituation im Bund, in den Ländern und vor allen Dingen in den Kommunen hätten. Diese partizipieren nämlich alle an den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Sie als Linke sind ja in einigen Ländern in Regierungsverantwortung, und auch in vielen Kommunen gestalten Sie mit. Mein Rat: In der Argumentation mit Mehrwertsteuersätzen sollte man allerhöchste Vorsicht walten lassen. Fragen Sie einmal die Kolleginnen und Kollegen von der FDP! (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Was spricht eigentlich gegen Ihre Forderung, ab dem 1. Juli 2015 einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für den Schienenfernverkehr einzuführen? Einige Anmerkungen hierzu: Ein verringerter Mehrwertsteuersatz suggeriert nach außen erst einmal sinkende Fahrpreise. Sie spielen mit dieser Fata Morgana in Ihrer Antragsbegründung. Ich sage Ihnen aber, dass das nicht funktioniert. Dadurch mag zwar die Rentabilität geringfügig steigen; davon wird aber bei den Bahnfahrerinnen und Bahnfahrern in unserem Land nichts ankommen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Genau!) Dieses Argument war schon beim Geschenk der FDP an die Mövenpicks dieser Welt falsch und wird hier und heute nicht richtiger. Wie schwer es ist, solche Fehlentscheidungen rückgängig zu machen, wissen natürlich auch Sie. In der Realität erzeugen Sie keine Entlastung im Geldbeutel der Menschen dieses Landes, sondern lediglich eine Entlastung der Konzernbilanz der Deutschen Bahn. Steuerrabatte werden von Unternehmen einbehalten und nicht an die Kunden weitergegeben. Ich empfehle dazu einen ernsthaften Blick in die gutgemeinte Petition 8201 aus der letzten Legislaturperiode zum gleichen Thema. In der Antwort des Petitionsausschusses wird ganz klar aufgezeigt, dass die Welt eben nicht so einfach ist, wie es sich hier einige offenbar vorstellen. Denn auch das EU-Recht macht einen isolierten Mehrwertsteuerrabatt für den Schienenverkehr faktisch unmöglich. Sie würden nämlich gegen die Diskriminierungsfreiheit verstoßen. Würden wir diesem Antrag also hier zustimmen, müssten wir den Mehrwertsteuersatz folglich auch für alle anderen Verkehrsträger absenken, also auch für Fernbusse und Taxis, aber auch für den Flugverkehr im Inland. Damit wäre Ihr Antrag ja letztendlich ad absurdum geführt. In der Begründung des Petitionsausschusses heißt es daher: Die isolierte Absenkung des Umsatzsteuersatzes nur für den Schienenverkehr ist unzulässig. – Ihr Antrag würde außerdem einen Ausfall von circa 1,1 Milliarden Euro an Steuergeldern bedeuten. Weder eine positive umweltpolitische noch eine positive verkehrspolitische Lenkung wären gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wir lehnen Ihren Antrag demnach aus mindestens drei Gründen ab: Erstens. Ihr Antrag verbessert nur Konzernbilanzen. Zweitens. Ihr Antrag bedeutet keine Verbesserung für die Menschen und deren Geldbeutel. Drittens. Ihr Antrag brächte eher Schaden als Nutzen für Natur und Umwelt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Andreas Rimkus [SPD]) Michael Donth (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eines vorwegnehmen: Ich halte Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, für einen Schaufensterantrag, der vor allem unternehmerisches Denken und strukturelle Weitsicht vermissen lässt. Er ist außerdem überholt. Nicht jeder Antrag, Frau Leidig, der zur Jahrhundertwende noch richtig war, muss auch heute noch, 14 Jahre später, richtig sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das stimmt! Aber der schon!) Sie beschwören in Ihrem Antrag ein Szenario herauf, als würden das gesamte Bahnnetz und der komplette Reiseverkehr plötzlich zum Erliegen kommen. Sie schreiben, dass das Eisenbahnsystem als solches infrage gestellt wird. Das ist, mit Verlaub, schlichtweg Blödsinn. Es wird aufgrund eines derzeit defizitären Nachtzugverkehrs eine Umgestaltung dieses Segmentes mit Schwerpunktsetzung geben müssen. Daran arbeitet die Deutsche Bahn AG bereits. Eine völlige Abschaffung soll und kann es nicht geben. Auch der Autozug wird nicht komplett abgeschafft. Derzeit läuft das Pilotprojekt der DB namens „Auto + Zug“, das wohl, wie man hört, bei den Reisenden gut ankommt. Die Nachfrage bestimmt das Angebot; das ist Realität in der Marktwirtschaft. Die Deutsche Bahn AG ist, wie es ihr Name schon sagt, eine Aktiengesellschaft und kein gemeinnütziger Verein und erst recht keine Staatsbahn mehr. Diese AG hat die Aufgabe, den Fernverkehr eigenwirtschaftlich zu betreiben. Der Bund gewährleistet dies. Die DB allein trägt dabei die unternehmerische Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit ihres Dienstleistungsangebotes. Ich zitiere: Vor diesem Hintergrund hat die DB Fernverkehr AG entschieden, … verlustbringende Verbindungen aufzugeben. Der Großteil der Verbindungen bleibt jedoch bestehen und wird weiterentwickelt. So hieß es in der Stellungnahme vonseiten der DB AG in der Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur. Auch in einem Gespräch zwischen der Kollegin Daniela Ludwig, dem Kollegen Matthias Lietz und mir hat uns Herr Grube von der DB AG gestern nochmals versichert, dass es sich definitiv nicht um einen Totalausstieg aus diesem Segment handeln wird. Natürlich ist es bedauerlich, wenn ein Status quo nicht mehr gehalten werden kann und wenn liebgewonnene Angebote entsprechend reduziert werden müssen. Aber stagnierende Einnahmen und Verluste in zweistelliger Millionenhöhe in diesen Sektoren sprechen eben eine deutliche Sprache. Sie führen in Ihrem Antrag die goldenen Zeiten von 1852 an, in denen es romantische Nachtzugverkehre gab, oder die Zeiten vor 60 Jahren, als die ersten Autoreisezüge verkehrten. Aber wir leben nun einmal im Hier und Heute, und wir müssen uns den Herausforderungen der heutigen Zeit und den Anforderungen an unsere Zukunftsfähigkeit stellen. Nehmen Sie deshalb zur Kenntnis, dass sich das Reiseverhalten der Menschen in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat. Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass sich auch die Bahnwelt und die Kostenstruktur in ganz Europa ebenfalls verändert haben. Die Bahn wäre schlecht beraten, wenn sie darauf nicht reagieren würde, wenn sie Geld verbrennen würde, das sie anderweitig -erwirtschaften muss. Wir leben heute nicht mehr in einem Zeitalter, in dem Nacht- oder Autoreisezüge zu den Hauptverkehrsmitteln gehören. Die Formen der Mobilität haben sich grundlegend gewandelt und sind vielfältiger geworden. Heute gibt es Hochgeschwindigkeitsverbindungen, Flugverbindungen, Fernbusse, Mitfahrzentralen, eigene Pkws in größerer Anzahl und vieles mehr, womit die Urlauber unterwegs sind. Im europäischen Verkehr geht es auch um die Gesamtkosten einer Linie. Wenn beim Bahnverkehr von Berlin nach Paris in Frankreich 70 Prozent höhere Kosten anfallen, wenn steigenden Betriebskosten stagnierende Einnahmen gegenüberstehen, wenn überalterte Schlafwagenwaggons verlustbringend repariert werden müssen oder wenn neu zu beschaffende Waggons abschreibungsbedingt zu höheren Kosten führen würden, dann müssen wir uns alle miteinander dieser Realität stellen. Das können wir nicht kleinreden. Auch die saisonale Häufung der Nachfrage bedingt geradezu, dass die Wirtschaftlichkeit schwieriger ist als bei anderen Angeboten. Es ist weder im Interesse des Wettbewerbs noch im Interesse der Kunden, dass der Fahrkartenkäufer zum Beispiel für die Verbindung Reutlingen–Berlin den Wunsch mancher Nostalgiker nach Nachtzugverbindungen von München nach Paris subventioniert. Auch die Fernbusnachtverbindungen haben sich in kürzester Zeit als flexible und günstige Alternative zum Nachtzug entwickelt. Sie bilden mittlerweile ein viel dichteres Netz bei günstigeren Preisen. Sie sind damit für den preissensiblen Reisenden offensichtlich attraktiver. Das deutsche Schienennetz ist dasjenige in Europa, das am stärksten dem Wettbewerb geöffnet ist. Da wundert es mich schon, dass kein Mitbewerber aus dem In- oder Ausland hier tätig wird, wo doch das Anbieten von Nacht- und Autoreisezugverbindungen so attraktiv sein soll, wie Sie argumentieren. Aber grundsätzlich stimme ich Ihnen sogar in einem Punkt zu: Die DB AG wird den Markt kritisch prüfen, bewerten und, falls notwendig, selbstverständlich Entscheidungen korrigieren. Aber dafür brauchen wir Ihren Antrag nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 a. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4186 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 b. Die Vorlage auf Drucksache 18/3746 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Strittig ist jedoch die Federführung. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 22 c. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4080, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2494 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Perspektiven für Klimaschutz und Energie-effizienz nach Absage der Bundesregierung an einen Steuerbonus für eine energetische Gebäudesanierung Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei 70 Prozent unseres Gebäudebestandes besteht Bedarf an energetischer Sanierung. Wenn wir es nicht in allernächster Zeit schaffen, jährlich 2 bis 3 Prozent dieser Sanierungen abzuarbeiten, dann können wir alle Klimaschutzziele und auch die Energiewende im Wärmebereich vergessen. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die energetische Gebäudesanierung ist wirklich mehr als nur das Dämmen mit Styropor. Sie nutzt nicht nur dem Klimaschutz, sondern schafft auch Zehntausende Arbeitsplätze in Handwerk und Bauindustrie. Sie verbessert außerdem die Substanz von Wohngebäuden, wovon die Mieter und die Gebäudeeigentümer etwas haben, und reduziert die Multi-Milliarden-Euro-Rechnungen von Herrn Putin und anderen Despoten, die wir jedes Jahr begleichen müssen. Deshalb und vor allen Dingen auch wegen des Klimaschutzes müssen wir uns um dieses Thema kümmern. Es muss ganz oben auf der Agenda stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gut ist, dass es in Deutschland seit langem einen Konsens darüber gibt, dass die Potenziale der energetischen Gebäudesanierung nur zu erschließen sind, wenn wir die notwendigen staatlichen Anreize geben. Ich muss Ihnen offen sagen: Ich habe die Große Koalition gelobt – und ich bin nicht bekannt dafür, dass ich sie oft lobe –, als sie im Rahmen der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz, dem NAPE, gesagt hat: Ja, wir nähern uns dem Thema „Steuerbonus für energetische Gebäudesanierung“ noch einmal. Wir versuchen, ihn einzuführen, weil alle Studien, die uns vorliegen, belegen, dass er ein wirklicher Anreiz sein könnte. Die Hochglanzbroschüre im Wirtschaftsministerium war noch nicht gedruckt, als plötzlich verkündet wurde – da sind wir alle vom Stuhl gefallen –: Nein, die CSU macht da nicht mit. Herr Seehofer will das nicht. – Wo sind wir denn, meine Damen und Herren, angesichts eines politischen Konsenses? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich frage mich schon – Herr Gabriel, es ist gut, dass Sie hier sind –, ob man mit der Großen Koalition Mitleid haben muss. Denn all das, was in diesem Land sinnvoll ist, wird von der CSU blockiert. Überall dort, wo es einen Konsens gibt, steht Herr Seehofer auf der Bremse. Das, was irre und verrückt ist, kommt von der CSU und wird durchgedrückt. Es ist eine Schande, dass die Große Koalition eine solche Politik mit sich machen lässt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Völlig absurd ist die Begründung, die nun hinterhergeliefert wird: Es wird gesagt, die Kürzung des Handwerkerbonus, den man von der Steuer absetzen kann, von 1 200 Euro auf 900 Euro zur Gegenfinanzierung sei nicht verantwortbar. Meine Damen und Herren, es werden nicht weniger Handwerkerrechnungen gestellt und bei der Steuer eingereicht, wenn die Höhe des Handwerkerbonus reduziert wird. Das ist kein Argument dafür, ein Thema wie die energetische Gebäudesanierung zu versenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die CSU treibt es sogar noch absurder. Im Bundesrat wurde ein Antrag des Landes Bayern eingebracht, den ich nur so verstehen kann, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, diesen Steuerbonus aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Meine Damen und Herren, die anderen 15 Länder werden mit dieser Finanzierungsform kein Problem haben. Wir haben auch kein Problem damit. Aber wer, verdammt noch mal, regiert denn hier in Deutschland? Wer ist denn Teil der Großen Koalition? Liebe CSU, beantragen Sie das nicht im Bundesrat, sondern setzen Sie das hier in der Großen Koalition durch! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Die Politik von Herrn Seehofer im Bundesrat – etwas zu beantragen, was er dann selbst im Koalitionsausschuss der Großen Koalition verhindert – ist Bananenrepublik im Lederhosenformat. Das kann einfach nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Olav Gutting [CDU/CSU]: Na, na! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Unerhört!) Ich sage Ihnen auch: Damit ist nicht nur die Einführung eines Steuerbonus gescheitert; denn er ist das zentrale Element von Klimaschutz und Energiewende dieser Bundesregierung. Wenn das nicht mit dem Handwerkerbonus gegenfinanziert werden soll, meine Damen und Herren, dann können wir gerne über andere Vorschläge reden. Ich hätte die Mövenpick-Steuer anzubieten. Die können wir gerne zur Gegenfinanzierung einsetzen. Lassen Sie das an dieser Stelle aber bitte nicht scheitern. Wenn Sie das nicht wollen, dann machen Sie bitte andere Vorschläge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jäger 90!) Zum Schluss möchte ich sagen: Hunderttausende Hausbesitzer, Handwerker, die Bau- und die Heizungsindustrie warten auf diesen Steuerbonus. Die Ankündigung des Steuerbonus durch die Große Koalition hat zu Attentismus geführt, sodass Investitionen verschoben worden sind. Jeder Förder-Euro, den wir in diesem Bereich investieren, löst Investitionen von 7 bis 8 Euro aus. Das ist ein unabhängiges und gutes Konjunkturprogramm. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, das richte ich jetzt an alle, an CDU, CSU und SPD: Wenn Sie das trotz des politischen Konsens nicht hinbekommen, dann haben Sie in diesem Land als Koalition Ihre Existenzberechtigung verloren. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Krischer, das war ein ganz gezielter Versuch, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Das wissen Sie ganz genau. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: So ist es!) Wir, die Große Koalition, die Fraktion der CDU/CSU, stehen zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung, und zwar ohne Wenn und Aber. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es auch!) Es gibt ein altes, lang und vielfach debattiertes, verhandeltes Angebot an die Länder. Die Länder sind aber natürlich bauernschlau. Sie wollen eine doppelte Kompensation. Die Länder sagen: Wir machen das über den Handwerkerbonus. Dann kommt bei uns schon einmal ein fettes Plus an, wenn wir diesen so reduzieren, wie Sie es beschrieben haben. Hinzu kommt die Kompensation durch den Steuerbonus mit seiner konjunkturellen Wirkung. Dann haben wir noch einmal ein Plus gemacht. – Das hat der Kollege Krischer auch gerade beschrieben. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Kanzlerin war doch dabei!) Meine Damen und Herren, das kann so nicht sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anstatt hier so einen Auftritt hinzulegen, hätten Sie besser einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Länderregierungen gesprochen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gab es einen Konsens! Auch mit der Bundesregierung!) Diesen hätten Sie sagen sollen, dass man nicht nur Sonntagsreden halten und sagen kann, wie wichtig der Klimaschutz ist. Man kann doch nicht die Welt retten wollen, aber keinen Cent dafür in der Tasche haben. Das geht doch nicht, Herr Krischer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die große Frage ist doch, wofür die Länder stehen. Sie sagen zwar, dass sie dem Klimaschutz erste Priorität einräumen, stellen aber keine Haushaltsmittel hierfür bereit. Das geht so nicht. Die Länder müssen jetzt endlich auf dieses Angebot eingehen und mitmachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Bayern, nicht um die Länder!) Wir laden Sie ein. Sie machen stattdessen am Freitagnachmittag diese Haltet-den-Dieb-Debatte und tun so, als ob es am bayerischen Ministerpräsidenten liegen würde, dass es an dieser Stelle nicht weitergeht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Wir hatten Konsens – bis auf ihn!) Natürlich muss Ministerpräsident Seehofer ein bisschen weiterdenken als der eine oder andere Lobbyist, der nur seine Branche im Kopf hat. Das haben wir anhand der Kritik erlebt. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Der Handwerkerbonus ist seinerzeit gezielt zur Vermeidung von Schwarzarbeit eingeführt und auch auf dieser Grundlage berechnet worden. Aufgrund der Berechnung kann man da nicht einfach Abstriche machen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon, dass die Handwerkskammer das selber anbietet?) Zweitens muss er daran denken, dass vom Handwerkerbonus eine Menge Gewerbe profitiert. Sie jedoch wollen das auf einige wenige Gewerbe konzentrieren. Drittens – auch das muss man deutlich formulieren –: Vom Handwerkerbonus profitieren nicht nur die Vermieter, sondern auch die Mieter. Die Mieter würden Sie jetzt davon ausnehmen. Für diese machen Sie jetzt eine Steuererhöhung. Das ist eine ganz neue Masche von Ihnen. Ich nehme das zumindest einmal zur Kenntnis und nehme an, dass auch die Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis nehmen werden, was Sie da tun. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, dass wir diese Verhandlungen weiter fortsetzen müssen. Die Förderung nur über KfW-Zuschüsse halte ich persönlich, ganz offen gesagt, für zu wenig. Ich stehe zur steuerlichen Förderung des Ganzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich appelliere nochmals sehr deutlich an die Länder, sich einen Ruck zu geben und sich klarzumachen, dass über diesen Hebel letztendlich auch Geld bei ihnen ankommen wird. Bereits bei einem Förderhebel von 1 : 6 würde sich die 1 Milliarde Euro rechnen. Die Wissenschaftler prognostizieren einen Hebel von 1 : 12. Also könnten damit auch die Länder ein steuerliches Geschäft machen. Ich verstehe nicht, warum es denen so schwerfällt, an dieser Stelle einzuschlagen. Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen: Wenn wir das machen – egal ob über die KfW oder über die steuerliche Förderung –, dann müssen wir uns noch einmal Gedanken über die genaue Ausgestaltung machen. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, an dieser Stelle Prioritäten zu setzen – Stichwort „Heizungssanierung“, Stichwort „Fenster“. Der Idee, ganz Deutschland in Styropor zu packen, stehe ich aber ganz offen kritisch gegenüber. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich würde mir wünschen, dass die Grünen, die hier normalerweise auch entsprechend skeptisch sind, etwas dazu sagen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu habe ich etwas gesagt! Sie haben nicht zugehört! Herr Nüßlein, Sie hören nicht zu!) dass sie das entsprechend formulieren und Position zu den inhaltlichen Fragen beziehen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie blockieren doch, dass ökologische Baustoffe stärker eingesetzt werden!) Ansonsten bitte ich Sie dringend: Lobbyieren Sie bei den Ländern! Machen Sie hier keine Showveranstaltung! Behaupten Sie nicht, die anderen seien schuld! Diejenigen, die in den Ländern regieren (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also die CSU!) – ich meine insbesondere die Regierungen, an denen die Grünen beteiligt sind –, sind verantwortlich dafür, auch einmal die Tasche aufzumachen und etwas für den Klimaschutz zu tun, statt nur flache Reden zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, hat jetzt das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger geben heute für das Heizen und für Warmwasser 10 Milliarden Euro im Jahr mehr aus als noch vor zehn Jahren. 40 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland entfällt auf den Gebäudebestand. Trotzdem sind die Gebäude weiterhin nicht auf der Höhe der Zeit. Über die Hälfte aller Fassaden und mehr als ein Drittel aller Dächer älterer Gebäude haben keine Dämmung. Mehr als jede zweite Heizungsanlage wurde vor 1997 eingebaut. – Das hat in dieser Woche die Deutsche Energie-Agentur gesagt. Auch die Koalition scheint nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Komm, komm!) Ich sage Ihnen: Dieses Hickhack in der Regierung muss aufhören. Das versteht kein Mensch da draußen. Fragen Sie doch einmal die Leute! Sie wollen nämlich Taten und Erfolge sehen. Es tut sich aber nichts. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber Sie predigen zu den Falschen!) Es gibt wirklich keinen schlechteren Moment als jetzt, den Steuerbonus für die energetische Gebäudesanierung auszubremsen. Bei den Bestandssanierungen beklagt die Dämmstoffbranche nach einem Minus von 4 Prozent im Vorjahr einen weiteren Umsatzrückgang um fast 9 Prozent. Das hat allerdings auch etwas mit billigem Heizöl und Risiken bei den Dämmstoffen zu tun. Der Heizungsmarkt stottert ebenfalls. 2014 verkaufte die Branche 4 Prozent weniger als 2013, und der Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmebereich stagniert derweil bei 9,9 Prozent. Das alles sind Alarmsignale, die wir nicht einfach ignorieren dürfen. Wir brauchen eine Sanierungsquote von mindestens 2 Prozent; das wurde schon gesagt. Seit Jahren liegen wir aber unter diesem Wert. Jetzt streiten Sie, und währenddessen wird die Erderwärmung sicher keine Pause einlegen, sondern natürlich weitergehen. An dieser Stelle möchte ich einmal klar sagen, warum der Ärger bei uns Linken so groß ist: Die Bundeskanzlerin persönlich hat der Öffentlichkeit den Steuerbonus versprochen, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) und zwar Ende letzten Jahres, am 11. Dezember 2014, nach ihrem Treffen mit den Länderchefs. Wenige Tage davor war die steuerliche Förderung auch in den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz und das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 aufgenommen worden. Ich erinnere mich noch, dass Ministerpräsident Haseloff aus Sachsen-Anhalt gleich nach der Spitzenrunde den Durchbruch ausgerufen hat. Endlich, nach Jahren der Verhandlungen, sei man so weit – Zitat –, „dass dieses Gesetz im nächsten Jahr … auf den Weg gebracht wird“. 40 Petajoule Energieeinsparung sollte der Steuerbonus bis 2020 bringen. Das wäre ja schon einmal nicht schlecht. Nur 100 Tage hat es dann aber gedauert, bis eine der wichtigsten Säulen des Klimaplans weggebrochen ist. Ich finde, das geht überhaupt nicht; das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Mit dem Umweltausschuss war ich auf der UN-Klimakonferenz in Lima; einige waren dabei. In Gesprächen haben Kollegen aus Dänemark nicht nur über die Massivbauweise der deutschen Häuslebauer geschmunzelt und uns darauf hingewiesen, wir würden unökologisch und teuer für die Ewigkeit bauen: viel Stein statt Holz. Vor allem aber haben sie darüber berichtet, wie man Gebäudeeffizienz richtig machen kann. Am selben Tag hat übrigens Umweltministerin Hendricks vor der Weltgemeinschaft erklärt, dass Deutschland in Sachen Klimaschutz Wort hält. – Haha! Ich finde es schädlich, was die Große Koalition hier für ein Bild abgibt. Ich frage mich: Was ist da los? Lassen sich SPD und CDU von Bayern an der Nase herumführen? Oder wollte Herr Oppermann Herrn Seehofer nur auflaufen lassen? Hat dessen Festhalten am Handwerkerbonus zur Absage an das ganze CO2-Gebäudesanierungsprogramm geführt? Das sagt jedenfalls die Staatskanzlei in München. Wie auch immer: Die Öffentlichkeit tappt im Dunkeln. Ich finde, das geht überhaupt nicht. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was da los ist. Auf der internationalen Ebene wird es ganz schwierig. Wenn die Energiewende im Gebäudebereich in Deutschland scheitert, ob an Regionalpolitikern oder an Koalitionsgezänk: Wie sollen wir da vom Rest der Welt glaubhaft einfordern, sich der globalen Energiewende anzuschließen, meine Damen und Herren? Wir sagen: Steuerliche Förderung ist ein geeignetes Instrument. Auch der Handwerkerbonus macht für viele Sinn. Ich bin der Meinung, dass auch Eigentümer mit einem geringen Einkommen vom Handwerkerbonus profitieren sollten. Das kommt für Sie leider nicht infrage. Diese Förderung können nur Eigentümer ab einem bestimmten Einkommen in Anspruch nehmen. Aber auch andere haben ein Recht darauf. Herr Krischer hat gesagt: Wir können Putin dadurch bekämpfen, indem wir weniger Öl und Gas kaufen. – Dazu kann ich nur sagen: Führen Sie doch einmal im Gebäudebereich Krieg, und sanieren Sie. Nehmen Sie die Gelder aus der Rüstungskasse. Das wäre wirklich sinnvoll. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Machen Sie Ihre Vorschläge doch in den Ländern! Unser Anteil ist doch da!) Dann hätten wir genügend Geld, sowohl zur Finanzierung des Handwerkerbonus als auch für die anderen Dinge. Da muss man gucken, wie man das Geld verteilt. Sie alle miteinander wollen das offensichtlich nicht. Das ist einfach schädlich. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unser Anteil ist doch da! Sie reden mit den Falschen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier ist der Streit angesprochen worden. Ich denke, wir müssen Lösungen präsentieren. Eine Lösung heißt, dass wir etwas für die Umwelt tun. Ich glaube, es liegt im Interesse des ganzen Hauses, dass wir alle uns in Deutschland in der Frage der CO2-Gebäudesanierung anstrengen. Ich denke, das, was in der jüngsten Vergangenheit erreicht worden ist, ist handwerklich eine gute Leistung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Menschen das CO2-Gebäudesanierungsprogramm annehmen. Nun gibt es zurzeit die Diskussion darüber, ob wir uns in der Frage der steuerlichen Förderung einigen. Momentan hakt es da noch ein wenig. Das ist bedauerlich, sage ich an dieser Stelle. Ich höre aus den Reihen der Koalition das Signal, dass man eine Einigung will. Ich sage hier: Das Bundeswirtschaftsministerium ist dafür absolut offen. Wir sind gerne bereit, diesen Prozess zügig anzugehen und umzusetzen. Aber ich will an dieser Stelle auch in aller Deutlichkeit sagen: Die staatliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung ist damit nicht vom Tisch. Die Gebäudesanierung stellt einen wichtigen Baustein im Rahmen der Energiewende dar. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber alles so klein, Herr Beckmeyer!) Das ist und bleibt unser Weg zu einer sicheren, sauberen und bezahlbaren Energieversorgung. Wir sind dabei – auch das will ich an dieser Stelle sagen –, die Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland entschlossen anzupacken. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie? Wie wollen Sie das erreichen?) Das lässt sich auch daran erkennen, dass wir zu keinem Zeitpunkt mehr Mittel für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfügung gestellt haben als momentan. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch seit Jahren stabil! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist frei erfunden, diese Aussage!) Dass das einige in der Berichterstattung über die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung gerne unterschlagen, will ich an dieser Stelle nur anmerken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso haben wir dann nur eine Sanierungsquote von unter 1 Prozent?) Was bleibt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das laufende KfW-Programm. Dieses Programm ist von der aktuellen Diskussion völlig unberührt.Wir haben bislang 2 Milliarden Euro jährlich für das KfW-Programm zur Verfügung gestellt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine 2 Milliarden! 1,8 Milliarden!) Hinzu käme die steuerliche Förderung, über die wir gerade gesprochen haben. Es wäre sehr lobenswert, wenn wir sie bekämen. Aber – das ist der nächste Punkt – wir sind dabei, das aktuelle Programm der KfW, ob Zinsverbilligung oder Zuschuss, zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Zu Jahresbeginn haben wir die Zinsen nochmals gesenkt und die Tilgungszuschüsse erhöht. Antragstellung und Zusagen haben wir gemeinsam mit der KfW deutlich vereinfacht bzw. beschleunigt. Im Sommer wird das Programm erweitert. Künftig werden auch die Sanierung und der Neubau von sogenannten Nichtwohngebäuden – also Hotels, Bürogebäude, Schulen, Kitas, Schwimmbäder, Museen oder auch Werkhallen – gefördert. Zwar nehmen derzeit viele Menschen aufgrund der niedrigen Zinsen vielleicht lieber ein Darlehen bei ihrer Hausbank auf statt bei der Förderbank, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb braucht man den Steuer-bonus!) aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Antragszahlen im Zuschussteil des energetischen Gebäudesanierungsprogramms entwickeln sich überaus positiv, meine Damen und Herren. Die Januarzahlen liegen rund 20 Prozent über den Vergleichswerten des Vorjahres, und bereits die waren gut. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eine Sanierungsrate von unter 1 Prozent, Herr Beckmeyer! Da können Sie nicht von „gut“ reden!) Insofern ist die energetische Gebäudesanierung nicht nur für die Energiewende wichtig, sondern – ich sage das auch in Richtung derjenigen, die sich um das Handwerk kümmern – sie beschert dem gesamten Handwerk viele neue Aufträge. Von meinen Vorrednern wurde das Stichwort „Konjunkturprogramm“ genannt. Es ist richtig: Jeder Euro Förderung entfaltet im Grunde das Zwölffache an Investitionen durch Private. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Zwölffache?) Wir haben in diesem Bereich ein enormes Investi-tionsprogramm von schätzungsweise 70 Milliarden bis 80 Milliarden Euro zusätzlich angestoßen. Auch das sollte man nicht verschweigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Unternehmen und privaten Haushalten werden wir auf diese Art und Weise bis 2020 gut 18 Milliarden Euro Energie-kosten einsparen. Das ist vielleicht dem einen oder anderen verborgen geblieben; deshalb will ich es noch einmal betonen. (Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ich weiß nicht, warum Sie immer dazwischenrufen müssen. Melden Sie sich doch zu Wort. Durch NAPE wird der Primärenergiebedarf im Gebäudebereich um 80 Prozent gesenkt. Das ist unser Ziel. Insofern glaube ich, dass wir auch bei der direkten Reduzierung des Primärenergieverbrauchs gute Erfolge haben werden. Das sind unsere Zielsetzungen, die wir auch schon in den Ausschüssen debattiert haben. Die Energieeffizienzstrategie ist das richtige Stichwort. Ich will an dieser Stelle hinzufügen: Falls die steuerliche Förderung nicht zustande kommt, gilt es, aktuell über eine Alternative nachzudenken. Ich glaube, dass wir eine Alternative haben. Wir führen nämlich zurzeit intensive Gespräche darüber, neben dem Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien auch ein Marktanreizprogramm für Energie-effizienz aufzulegen. Bei diesem Thema geht es um Zuschüsse, zum Beispiel um alte Ölheizungen zu ersetzen. Was die Frage der Dämmung angeht, reicht es nicht aus, über Styropor zu reden. Dämmung, Belüftung und Entlüftung sind aktuelle Themen, zu denen wir Lösungen finden können, zumal wir in Deutschland auch technisch in der Lage sind, dazu etwas anzubieten. Das Thema Brennstoffzellen bei kleinen Wohneinheiten oder kleinen Gewerbebetrieben ist in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht zu unterschätzen. Und – das ist das Entscheidende – wir müssen aufklären, erklären und werben. Das sind, glaube ich, ebenfalls wichtige Stichpunkte in diesem Zusammenhang. Insofern haben wir, glaube ich, gute Ansätze und gute Instrumente. Ich freue mich auf die weitere Entwicklung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Liebing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist völlig unstrittig: Die energetische Gebäudesanierung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass wir die CO2-Emissionen reduzieren. Die steuerliche Förderung ist für uns dabei ein wichtiger Aspekt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konsens!) Es kommt nicht von ungefähr, dass wir als damalige Koalition unter Führung der Union bereits im Jahr 2011 einen Gesetzentwurf in die Beratungen eingebracht haben, der genau dies vorsah. Aber wir kommen auch nicht an der Tatsache vorbei, dass das, was wir damals auf den Weg gebracht haben, als wir uns um einen politischen Konsens in der Sache bemüht haben, den Sie, Herr Kollege Krischer, gerade beschrieben haben, über Jahre hinweg im Bundesrat gescheitert ist. Das ist nicht an uns -gescheitert, sondern das ist an denjenigen Landesregierungen gescheitert, an denen die Grünen beteiligt gewesen sind. Das gehört zur gesamten Geschichte dazu. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Unsinn! Erklären Sie doch einmal, woran es jetzt gescheitert ist!) Deswegen sage ich ausdrücklich: Uns als Union braucht niemand zu überzeugen. Wir brauchen keine Belehrungen bei dem Thema, wie wichtig die energetische Gebäudesanierung ist und wie wichtig auch die steuerliche Förderung ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich doch! Sie lassen es scheitern!) – Lieber Herr Krischer, ganz ruhig, keine Aufregung. Sie haben vorhin schon gesprochen, und das war nicht überzeugend; Ihre Zwischenrufe sind genauso wenig überzeugend. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist es schlichtweg bitter, dass es über vier Jahre hinweg eben nicht gelungen ist, einen Konsens zu erreichen, den Sie hier beschreiben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CSU macht nicht mit!) Es wäre schön, wenn wir ihn erreicht hätten. Er ist 2011 nicht erreicht worden und 2012 nicht. Ich war an den Koalitionsverhandlungen 2013 beteiligt, als wir innerhalb der Großen Koalition wiederum einen Anlauf gemacht haben. Dort ist es am Widerstand der Vertreter von Landesregierungen gescheitert, dieses Thema im Koalitionsvertrag zu verankern. Wir hätten das gerne gemacht. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren aber keine Grünen dabei!) Dann gab es die Geschichte Ende vergangenen Jahres. Ich versuche zu beschreiben, wie sich das Ganze entwickelt hat. Dass Sie das nicht gerne hören mögen, Herr Kollege Krischer, glaube ich Ihnen sehr gerne. Trotzdem müssen Sie sich das vorhalten lassen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal über das Jetzt!) Ende vergangenen Jahres gab es dann den Vorschlag der Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus. Ich finde es schon interessant, wie Sie, Herr Kollege Krischer, über den Handwerkerbonus hier gesprochen haben. Wir als Union sind überzeugt davon, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung des Handwerks und vor allem im Kampf gegen Schwarzarbeit ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist und bleibt nach wie vor das wichtigste Argument für die steuerliche Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nehmen wir die Mövenpick-Steuer! Kein Problem!) – Lieber Herr Krischer, ganz ruhig. – Das war keine Geschichte, die wir aus Überzeugung gemacht haben, als in der Runde verabredet wurde, den Handwerkerbonus abzuschmelzen. Das war vielmehr eine absolute Notlösung, um eine Blockadehaltung aufzubrechen. Nun kommen wir zu dem, was Herr Seehofer und die CSU anschließend gemacht haben. Ich bin als bekennendes Nordlicht sicherlich jemand, der nicht alles sofort unterschreibt, was Herr Seehofer vertritt, auch nicht in der Energiepolitik. Da gibt es manches, worüber man sich kritisch unterhalten kann. (Dr. Nina Scheer [SPD]: Was? Dann fangen Sie doch einmal an damit!) Aber an dieser Stelle möchte ich für Herrn Seehofer ausdrücklich Verständnis äußern; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie tief sind Sie denn gesunken?) denn es kann nicht angehen, dass etwas, das allen Beteiligten dient, dem Bund genauso wie den Ländern – Sie haben selber beschrieben, dass die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung wie ein Konjunkturprogramm wirkt und damit auch bei den Ländern zu zusätzlichen Steuereinnahmen führt –, über Jahre hinweg von den Ländern blockiert wird. Was Sie machen, ist Politik nach dem Fielmann-Prinzip: schön etwas fordern, tolle Leistung, aber nichts zugezahlt. Aber das geht nicht, das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie Herrn Seehofer kritisieren, dann sage ich Ihnen von den Grünen: Sie haben alle Möglichkeiten, zu zeigen, dass Sie es besser machen. Sie tragen in vielen Landesregierungen Mitverantwortung. Ich fordere Sie auf, über Ihre grüne Beteiligung an den Landesregierungen darauf hinzuwirken, dass die steuerliche Abzugsfähigkeit, die steuerliche Förderung der CO2-Gebäude-sanierung unter Beteiligung der Bundesländer kommt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mir ein Bundesland außer Bayern, das blockiert!) – Das kann ich Ihnen nennen: mein eigenes Heimatland, Schleswig-Holstein. Die Landesregierung unter grüner Beteiligung mit einer grünen Finanzministerin verweigert die Zustimmung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Wenn Sie mir die Zustimmung Ihrer grünen Finanzministerin liefern, dann haben wir die Möglichkeit, das Gesetz im Bundesrat zu beschließen. Tun Sie es. Sie können liefern. Sie sollen nicht nur schreien, Sie sollen nicht nur kritisieren, Sie können mit der Zustimmung der Grünen in den Landesregierungen liefern, damit die steuerliche Förderung der CO2-Gebäudesanierung kommt. Damit wäre der Sache gedient. Wir als Bund werden über die KfW-Förderung in begrenztem Umfang handeln, so wie wir eben können. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgebremst von Herrn Seehofer!) Es ist gut, dass diese Förderung ausgebaut wird. Aber noch viel wichtiger wäre es, wenn die Blockadehaltung der Bundesländer im Bundesrat endlich aufhört. Dazu können auch Sie einen Beitrag leisten; dann haben Sie etwas geleistet. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke erhält jetzt der Kollege Ralph Lenkert das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Techniker sehe ich die Gründe für diese Debatte so: Die Koalition wollte etwas für den Klimaschutz erreichen und einigte sich auf eine 10-prozentige Förderung der energetischen Sanierung. Um die eventuellen Steuerausfälle zu kompensieren, sollte der Handwerkerbonus auf kleine Rechnungen wegfallen. Weil Bayern diesen Bonus komplett erhalten will, ist die Förderung der energetischen Sanierung jetzt für die SPD laut Oppermann vom Tisch. Horst Seehofer hat eigentlich recht: Das Streichen des Handwerkerbonus für die energetische Gebäudesanierung wäre kontraproduktiv. (Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] und Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Aber Herr Oppermann hat eigentlich auch recht; denn es würde Steuerausfälle geben. Die Grünen haben auch recht; denn mit diesem Theater, mit diesem Eiertanz wird Energieeinsparung einfach nur noch lächerlich gemacht. Da investiert ein Hausbesitzer in Bayern 10 000 Euro in eine neue Heizung und bekommt im darauffolgenden Jahr 100 Euro erstattet und im Jahr darauf noch einmal 100 Euro, und nach zehn Jahren hat er 1 000 Euro zurückbekommen. In der Zwischenzeit müsste er jährlich den Heizungsmonteur rufen, der die Heizung wartet. Der Monteur kostet über 100 Euro jährlich. Das macht in zehn Jahren mehr als 1 000 Euro, die er jetzt nach Herrn Oppermann nicht mehr von der Steuer erstattet bekommt. Daher ist das Ganze bestenfalls ein Nullsummenspiel. Horst hat recht: (Klaus Mindrup [SPD]: Seid ihr schon per du?) Durch das Kürzen beim Handwerkerbonus bewirkt das Sanierungsprogramm nur Mitnahmeeffekte bei Hausbesitzern, die sowieso die Heizung erneuern wollten. Herr Oppermann hat aber auch recht: Für diese 10 Prozent Förderung wird niemand zusätzlich seine Heizung sanieren. Der Mitnahmeeffekt führt dann zu Steuerausfällen. Die schwarze Null geht flöten, und deshalb wollte ja die Koalition für alle Bürger den Handwerkerbonus streichen – bei den niedrigen Rechnungen. Aber uns Linken liegt es fern, nur zu kritisieren. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus Mindrup [SPD]: Karneval ist vorbei!) Deshalb lassen Sie uns eine echte Förderung beschließen, basierend auf folgenden Punkten: Eine 25-prozentige Förderung der energetischen Sanierung, aber nur dann, wenn auch die Dämmung optimiert und die Heizung darauf abgestimmt wird. Denn was bringt es, die Heizung zu erneuern, bevor die Dämmung optimiert ist? Dann ist die Heizung, wenn später gedämmt wird, falsch dimensioniert. Häuser sind Wärmespeicher; da könnten wir doch extra Wärmespeicher und Tauchsieder spendieren, für kleine Stromkraftwerke, die in Kraft-Wärme-Kopplung mit der Abwärme Wohnungen heizen, damit bei viel Wind und Sonne die Wärme mit Strom erzeugt wird. Wenn dem Wind die Puste ausgeht und die Sonne fehlt, dann könnten diese Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerke ordentlich Strom liefern. Liebe CSUler, wenn wir diese Kraftwerke geschickt nutzen, könnten wir uns die eine oder andere 500-kV-Gleichstromtrasse durch Thüringen und auch durch Bayern sparen. (Beifall bei der LINKEN) Um Herrn Oppermann zu beruhigen: Es werden keine Steuermittel fehlen, wenn Sie das Privileg der Zinsabschlagsteuer streichen, auf Deutsch: wenn Kapitaleinnahmen aus Dividenden statt pauschal mit 25 Prozent mit dem persönlichen Steuersatz belastet werden. Das trifft übrigens – ganz SPD – einmal die Reichen. Liebe Grüne, mit so einem Konzept würde neben der Symbolik auch wirklich etwas für das Klima erreicht werden. Da zerbreche ich mir den Kopf über Wünsche und Sorgen von Union, SPD und Grünen. Wo bleibt die Linke? Wir fordern, dass eine energetische Sanierung von Mietshäusern nur dann gefördert wird, wenn sie warmmietenneutral erfolgt. Damit stoppen wir gleichzeitig das miese Vorgehen einiger Hausbesitzer, die über das Abwälzen der Kosten der energetischen Sanierung Mieterinnen und Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht hätten diese Vorschläge realistische Chancen zur Umsetzung, wären sie nicht von mir, einem Linken aus Thüringen, sondern von Seehofer, einem Bayern aus München, vorgestellt worden. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So ist die Welt!) Die SPD hätte ihr Gebäudesanierungsprogramm, die Union ihre schwarze Null, die Grünen ihren Klimaschutz und die Linke die soziale Gerechtigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Mieterinnen und Mieter hätten stabile Mieten und die Bauwirtschaft mehr Aufträge. Es könnte so einfach sein! (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schöne neue Welt!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion, hat jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist viel zu der betreffenden Thematik gesagt worden. Ich möchte gleich voranstellen, dass uns natürlich allen klar sein muss, dass die enormen Investitionen, die im Komplex „Energetische Sanierung – Wärmewende“ geleistet werden können, fiskalisch gesehen die Fördermaßnahmen um ein Vielfaches übersteigen. Das ist klar, man muss es immer voranstellen. Ich finde folgenden Ablauf – das möchte ich hier ganz deutlich kritisieren – durchaus problematisch: Man bewegt sich auf einem bestimmten Einigungspfad. Zuerst verständigt man sich auf die steuerliche Förderung als ein Instrument des NAPE. Im nächsten Schritt soll gegenfinanziert werden. Dabei lässt man sich dafür loben, dass man eine Einigung erzielt hat. Im letzten Schritt aber wird das Instrumentarium verweigert. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das als ein nicht nur auf diesen Bereich bezogenes grundsätzliches Problem erachte. An dieser Stelle frage ich mich, ob damit auch die Ernsthaftigkeit der Aussage der CDU/CSU anzuzweifeln ist, tatsächlich in der energetischen Sanierung vorankommen zu wollen. Anwesende sind durchaus ausgenommen, Sie brauchen sich jetzt nicht persönlich angesprochen zu fühlen. Wir müssen das aber hier im Hause, wenn wir es in der Aktuellen Stunde diskutieren, durchaus auch dort aufhängen, wo es entschieden wird, bzw. an die adressieren, von denen es entschieden wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Sorge ist, dass wir einen Investitionsstau bekommen. Den haben wir bestimmt schon in den letzten Monaten durch die Ankündigung ausgelöst, dass ein Element die steuerliche Förderung sein wird. Dadurch haben sich wahrscheinlich einige Haushalte zurückgehalten, Investitionsmaßnahmen zu ergreifen. Sie haben auf dieses Instrument gewartet, das jetzt möglicherweise nicht kommt. Ich hoffe darauf, dass es da noch ein Einlenken geben wird. Klar muss aber auch sein, dass wir mit den gerade von Uwe Beckmeyer angekündigten Maßnahmen bzw. Alternativen parallel denken müssen. Auf keinen Fall können wir riskieren, dass sich ein Investitionsattentismus Bahn bricht bzw. dass wir stehenbleiben. Das hat aber auch innerhalb der Koalition – darauf will ich zurückkommen – durchaus eine bestimmte Dimension, die dazu führt, dass man sich fragen muss: Wie wird miteinander umgegangen? Da ist Ihre Situation anders als unsere. Wir sind eine SPD, Sie sind CDU und CSU. Es kann, wie gesagt, nicht sein, dass auf der einen Seite des Koalitionspartners ein Vorschlag als Gegen-finanzierung identifiziert bzw. artikuliert wird, während auf der anderen Seite des angesprochenen Koalitionspartners gesagt wird: So aber nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da muss es eine deutliche Kehrtwende geben. Ich sage jetzt nicht, dass ich schwarzsehe. Aber ich sehe die Zukunft nicht so rosig, wenn wir nicht versuchen, auf diesem Weg Schritt für Schritt – und das Energiepaket hat viele Schritte – voranzugehen, und wenn wir uns nicht um Umsetzung bemühen. Ich möchte dann aber auch noch an das anknüpfen, was Uwe Beckmeyer zu den Alternativen gesagt hat. Bei der ganzen Debatte um die Steuerfinanzierbarkeit bzw. die steuerliche Förderung muss auch immer klar sein, dass es sich hierbei nur um einen Teil eines großen Bereichs handelt. Sie hätte einige angesprochen, bei weitem nicht alle. Sie hätte nur diejenigen angesprochen, die von einem solchen steuerlichen Instrument profitieren können. Es gibt aber noch viele andere Instrumente. Uns darf jetzt aber auch nicht passieren, dass wir den Blick von diesen anderen Möglichkeiten abwenden. Ich möchte an uns alle adressieren, dass wir noch mehr im Bereich der Qualifizierung tun müssen. Energieberatung ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir wissen auch, dass in der Vergangenheit Mittel teilweise nicht abgerufen wurden. Dort einen Schwerpunkt zu setzen, wird jetzt vielleicht auch noch einmal eines neuen Impulses – auch weiterer Qualifizierungsmaßnahmen – bedürfen. Denn ich entdecke auch, dass wir bei Energieeffizienzmaßnahmen sehr verkürzt auf Gebäudesanierung – dort speziell auf die Fassaden – blicken. Es ist auch angeklungen, welche Probleme damit – dabei geht es auch um die Schadstoffe – verbunden sind. Dabei können wir nicht stehen bleiben. Es muss um eine Wärmewende gehen. Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien, die Einführung neuer technologischer Systeme und die dabei zu generierenden Effizienzgewinne müssen zusammen gedacht werden. Ich glaube, wir können unsere Ziele nur dann erreichen, wenn wir diese Bereiche gemeinsam denken. Aber wir müssen, wie gesagt, Schritt für Schritt vorgehen. Es kann nicht sein, dass einzelne Schritte an einem Teil unseres Koalitionspartners scheitern. Das kann so nicht bleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Lisa Paus das Wort, Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Grünen haben diese Aktuelle Stunde angemeldet, weil wir hinsichtlich der steuerlichen Förderung der energetischen Sanierung endlich aus der Endlosschleife herauswollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich selbst bin seit 2011 damit befasst. Wie läuft diese Endlosschleife ab? Der erste Punkt ist die Feststellung – das wurde schon gesagt –, dass der Klimaschutz ganz wichtig ist. Man sagt: Ja, da müssen wir etwas tun. Als zweiter Punkt folgt die Feststellung: Ja, die Ziele sind nur zu erfüllen, wenn auch im Gebäudebereich etwas getan wird; die Sanierungsquote muss mindestens verdoppelt werden. Der dritte Punkt ist das Bekenntnis zur Förderung im Gebäudebereich. Man sagt: Ja, gerade im Gebäudebereich gibt es eine Win-win-Situation. Da gibt es eigentlich keine Verlierer. Alle Bereiche gewinnen: Klimaschutz, Beschäftigung und Handwerk. Vierter Punkt: Keine Einigung bei der Finanzierung. Dann beginnt die Schleife von vorne. Es gibt wieder ein Auf und Ab. Man durchläuft erneut die Punkte eins, zwei und drei, und am vierten Punkt, bei der Finanzierung, gibt es wieder keine Einigung. Jetzt ist man erneut in diese Schleife eingestiegen, allerdings mit einer Änderung: Im Jahr 2015 müsste sich die Sanierungsquote nicht mehr nur verdoppeln, sondern verdreifachen, weil in den letzten vier Jahren nichts, aber auch gar nichts passiert ist. Im Gegenteil: Die Debatte war nicht folgenlos; Frau Scheer hat es gerade gesagt. Natürlich hat diese Debatte zu Attentismus geführt. – Aber auch das ist nicht neu. Das sage nicht nur ich, sondern das sagen auch viele andere. Das Ganze ist großes Kabarett. Ich nenne drei Personen, die darin mitspielen: Dieses Mal ging es los mit der Ankündigung von Frau Merkel, die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung sei eines der besten Mittel zum Klimaschutz. Dann sagte der Bundeswirtschaftsminister: Ja, wir sehen im Rahmen des Energieeffizienzprogramms die steuerliche Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen vor; denn sie gehören zu den wichtigen Maßnahmen. Doch dann kam die abwehrende Reaktion aus Bayern. Der Staatssekretär im Umweltministerium, Herr Flasbarth, antwortete am 27. Februar 2015, es sei besser, diese Förderung vorerst ganz abzublasen, damit nötige Investitionen nicht aufgeschoben würden. Es sei völlig ausgeschlossen, so eine Debatte über Monate hinzuziehen. Genauso äußerte sich der Pressesprecher des BMWi: Wir können uns keine endlose Hängepartie leisten. Der Pressesprecher ergänzte aber: Das heißt nicht, dass die staatliche Finanzierung der energetischen Sanierung tot ist. Die Schleife beginnt also von neuem. Das letzte Mal ist das Vorhaben daran gescheitert, dass die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen konnte, ein KfW-Programm mit 300 bis 400 Millionen Euro zusätzlich für die Kommunen aufzulegen. Das wäre absolut sinnvoll gewesen. Davon hätten alle profitiert. Dabei hätten alle gewonnen. Doch daran ist das Vorhaben beim letzten Mal gescheitert. Dieses Mal scheitert das Vorhaben an Bayern. Wir erkennen an der Reaktion aus Bayern, wie man sich dort den Bund-Länder-Finanzausgleich vorstellt. (Florian Post [SPD]: Die CSU! Nicht Bayern!) – Die CSU aus Bayern. – (Klaus Mindrup [SPD]: Es gibt auch Bayern, die nicht in der CSU sind!) Die CSU hat über die Win-win-Situation nachgedacht und festgestellt, dass es besser ist, wenn man mehr gewinnt als die anderen. Das scheint das Lebensmotto der CSU in Bayern und von Herrn Seehofer zu sein. Die CSU hat festgestellt, dass von dem Handwerkerbonus – für den Bund sind das Steuermindereinnahmen – Bayern ganz besonders profitiert. Bayern muss weniger einzahlen in den Bund-Länder-Finanzausgleich, aber die Wirtschaft in Bayern profitiert überproportional davon. Daher sagt die CSU: „Der Handwerkerbonus muss unbedingt bleiben“, obwohl die Abschmelzung des Handwerkerbonus ein Vorschlag der Handwerkskammer war. Das haben sich nicht Herr Gabriel, die Grünen oder sonst jemand ausgedacht, sondern in der Debatte über die Bekämpfung der Schwarzarbeit wurde gemeinsam festgestellt, dass der Handwerkerbonus nicht das leistet, was gewünscht war, und es deswegen sinnvoll ist, ihn einzuschränken. Das war ein konkreter Vorschlag der Handwerkskammer, der aufgegriffen worden ist. Die CSU in Bayern will das als Einzige nicht akzeptieren. Die CSU sagt: Wir haben netto mehr davon, wenn der Handwerkerbonus erhalten bleibt, weil wir dann weniger in den Bund-Länder-Finanzausgleich einzahlen müssen. Dann setzt sie noch eins drauf – sie kann ja nicht genug kriegen – und sagt: Trotzdem muss die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung ohne Gegenfinanzierung kommen, weil – das ist auch klar – Bayern davon am meisten hat. Die Situation ist: Wir gewinnen alle. Aber die Stadtstaaten zum Beispiel haben weniger Eigennutzer, weniger Einzelgebäude. Deswegen ist es logisch, dass nicht nur Berlin, sondern auch Hamburg und Bremen feststellen, dass sie zwar ebenfalls etwas für den Klimaschutz und die Gebäudesanierung tun wollen, die konkrete steuerliche Förderung aber nicht das ist, was ihnen – wie auch den anderen Städten und Ballungsräumen – den großen Impuls bringt. Deswegen brauchen wir ein gemeinsames Programm und keine isolierte Politik, wie sie die CSU in Deutschland vorhat, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich appelliere noch einmal: Sie müssen sich nicht gleich die grünen Forderungen zu eigen machen. Wir sagen, dass mindestens 6 Milliarden Euro nötig sind. Aber 1 Milliarde Euro zusätzlich sollte doch durchaus drin sein: Wo ist irgendein Engagement für das Thema Klimaschutz? Es ist bisher nicht zu erkennen. Wo ist das Engagement der SPD in dieser Frage? Ich habe an den entsprechenden Tischen gesessen, wo monatelang über 300 Millionen Euro verhandelt wurde. Da ging nichts. Durch einen Federstrich aus Lust und Laune eines Länderchefs gingen 300 Millionen Euro trotzdem als Mindereinnahmen an die Länder, weil der Eingangssteuertarif nicht so schön war. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Theater können wir nicht mehr sehen. Das kann die Republik nicht mehr sehen. Die Leute laufen aus diesem Theater hinaus. Deswegen kommen Sie endlich zum Punkt, und machen Sie einen Schritt hin zur steuerlichen Förderung mit entsprechender Gegenfinanzierung. Eine Chance geben wir Ihnen noch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Olav Gutting das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Ich habe hier an dieser Stelle vor einigen Wochen ziemlich auf die Länder geschimpft. Es ging um den Solidaritätszuschlag und darum, dass die Länder wie immer nur unser Bestes wollen, nämlich unser Geld. Es ging darum, dass die Länder den Hals nicht voll kriegen, und es geht darum, dass sie nicht bereit sind, ihren Beitrag zur Finanzierung dieses wichtigen Projektes zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Haltung „Mir gäbet nix“ wird dieses Thema blockiert, und zwar nicht durch die CSU – wie immer wieder der Anschein erweckt wird –, sondern durch die rot-grün regierten Länder. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können nichts dafür, dass Sie nirgendwo mehr regieren!) Die wertvollste Kilowattstunde Energie ist die, die erst gar nicht verbraucht wird. Die Senkung des Energieverbrauchs bei Gebäuden ist ein ganz wichtiger Baustein bei unserer Energiewende, die wir 2011 beschlossen haben. Das wussten wir auch schon 2011. Deswegen haben wir in diesem Haus 2011 mit der christlich-liberalen Koalition ein Gesetz beschlossen, das die steuerliche Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen vorsieht. Dieses Gesetz wird seit 2011, also seit vier Jahren, immer wieder vom rot-grün dominierten Bundesrat blockiert, bis heute. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist ganz besonders schade, weil die Argumente der Länder damals wie heute nicht stichhaltig sind. Auch damals ging es um Geld. Die Länder wollen zwar auch die Energiewende, aber sie sind nicht bereit, den auf sie entfallenden Finanzierungsanteil zu leisten. Der Selbstfinanzierungseffekt dieser Maßnahmen wird immer wieder vergessen. Die Förderung der energetischen Sanierung – wir haben es schon einige Male gehört – löst ein Vielfaches der eingesetzten Summe an Investitionen aus. Allein der Anteil der Umsatzsteuer bei den Ländern aus den ausgelösten Investitionen würde die befürchteten Steuermindereinnahmen mehr als ausgleichen. Die KfW hat bereits Förderprogramme aufgelegt. Von der KfW wissen wir, dass die Fördermittel das 12- bis 16-Fache an Investitionen auslösen. Mehr Investitionen bedeuten logischerweise mehr Steuereinnahmen. Jetzt haben wir 2015. Durch diese Blockade seit vier Jahren, Frau Paus, haben wir wertvolle Zeit verschenkt. Aber schauen wir nach vorne. Schwamm drüber! Mit der Beteiligung der SPD an der Regierung haben wir die Situation, dass die meisten Länder durchaus bereit sind, die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung aufzugreifen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Länder wollen nicht?) Nur kosten darf es natürlich nichts bzw. nur den Bund darf es etwas kosten. Der Bund allein soll die Zeche bezahlen, oder – noch besser – die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden an anderer Stelle zusätzlich belastet. Da wundert es mich dann schon, dass hier der Vorschlag auf dem Tisch liegt, die Gegenfinanzierung über eine Kürzung beim Handwerkerbonus nach § 35 a EStG vorzunehmen. Die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen im privaten Bereich, meine Damen und Herren, ist das Steuersparmodell des kleinen Mannes. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Genau!) Es ist trotz aller Kritik ein Erfolgsmodell; es hilft bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt wissen wir, dass eine energetische Sanierung im privaten Bereich schon mal ein paar Zehntausend Euro kosten kann; das ist bekannt. Das kann sich nicht jeder leisten. Die Forderung, zwar diejenigen, die es sich leisten können, zu Recht zu entlasten, aber gleichzeitig den kleinen Mann über die Kürzung des Handwerkerbonus zu belasten, kann nicht wirklich der Ernst der linken Seite hier in diesem Hause sein. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das wollte Frau Merkel auch!) Mit uns jedenfalls wird das nicht passieren. Wir werden nicht die Reichen entlasten und dafür die kleinen Leute belasten. Das geht mit der CDU jedenfalls nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Energiewende und die Erreichung der Klimaschutzziele dulden keinen weiteren Aufschub. Die Länder müssen jetzt schleunigst ihre Blockade aufgeben. Sie schaden mit dieser Blockade der Energiewende. Sie schaden dem Handwerk; denn bereits heute ist ein Attentismus zu spüren: Die Leute warten auf eine Regelung und investieren so lange nicht. Sie schaden den Kommunen; denn mit der steuerlichen Förderung der energetischen Sanierung darf natürlich auch das Handwerk vor Ort eine spürbare Auftragsbelebung erwarten, (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: So ist es!) mit allen Konsequenzen: mehr Gewerbesteuereinnahmen, mehr Arbeitsplätze usw. Letztendlich schaden die Länder vor allem sich selbst. Denn durch die steuerliche Förderung gäbe es, wie gerade aufgezeigt, Anreize für zusätzliche Investitionen; es wäre sogar mit Steuermehreinnahmen zu rechnen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit. Olav Gutting (CDU/CSU): Insofern fordere ich die Bundesregierung, aber auch gerade Sie, die Vertreter von Parteien, die in den Ländern Regierungsverantwortung tragen, auf, mit den Ländern zu sprechen, damit sie ihren Anteil an der Finanzierung dieser wichtigen Maßnahme erbringen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie doch mal mit Herrn Seehofer, verdammt noch mal!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Johann Saathoff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gutting, herzlichen Dank für Ihre Sicht auf die Dinge und die rot-grüne Verantwortung in dieser Sache. Es sind jedenfalls aus meiner Sicht vom Deich – das muss ich ganz klar sagen – nicht die Länder, die diese Regelung gerade verhindern, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Diskriminieren Sie mal nicht die Deiche!) sondern es ist ein Land, und es ist ein Ministerpräsident. Ich werde dazu noch ein bisschen mehr sagen. Deswegen entschuldige ich mich schon mal vorab bei allen Bayern. Vom letzten Koalitionsausschuss ging ein – ich möchte es mal diplomatisch formulieren – unglückliches Signal aus, ein ungutes Signal im Hinblick auf die deutschen Klimaschutzambitionen, aber auch ein Signal, das dem deutschen Handwerk eher schadet als nützt. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat im vergangenen Jahr beim Petersberger Klimadialog gesagt, beim Klimaschutz sei eine Kehrtwende nötig. Ich für meinen Teil habe das Gefühl, irgendjemand hat da etwas falsch verstanden. Gefühlt hat Herr Seehofer das Thema „energetische Gebäudesanierung“ schon abgeräumt, bevor Bund und Länder überhaupt ernsthaft über die Finanzierung sprechen konnten. Der Kabinettsbeschluss vom Dezember war ja nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. Es wäre doch überhaupt kein Problem gewesen, mit den Ländern in einem Vermittlungsverfahren andere Lösungen für die Gegenfinanzierung zu finden als das Abschmelzen des Handwerkerbonus. Aber in einer Über-reaktion – aus meiner Sicht – hat Herr Seehofer gleich die Notbremse gezogen, sozusagen auf freier Strecke. Und als er das erkannt hat, war dann auf einmal wieder alles anders: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann hatte plötzlich angeblich Herrn Seehofer falsch verstanden. Bayern wird die kurz- oder mittelfristigen Steuerausfälle im Bereich der Gebäudesanierung einfach tragen und auf die Mehreinnahmen warten – so sieht es ein Antrag vor, der gerade in dieser Woche in den Bundesrat eingebracht wurde. Die Situation der anderen Bundesländer wird dabei aber nicht berücksichtigt. Wenn es der bayerische Ministerpräsident ernst meint, dann wäre jetzt der beste Zeitpunkt für einen konstruktiven Vorschlag zur Gegen-finanzierung, auf den andere Bundesländer dringend angewiesen sind. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die sind falsch regiert!) Denn der zeitliche Verzug bei den Mehreinnahmen vor drei Jahren war doch mehrheitlich dafür verantwortlich, dass sich die Länder nicht zur steuerlichen Absetzbarkeit von Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung durchringen konnten. Einige mögen es schön finden, dass Bayern wieder seinen Willen bekommen hat – nein, Entschuldigung, der dortige Ministerpräsident –, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nein, wir schon auch!) aber die Energiewende ist ein deutschlandweites Projekt, bei dem alle an einem Strang ziehen und sich an gemeinsame Absprachen halten müssen. (Beifall bei der SPD) Solidarität heißt, auch an die anderen zu denken. Bayern scheint sich bei der Energiewende darauf zu verlassen, dass der Rest von Deutschland für den Zickzackkurs der bayerischen Landesregierung mitbezahlt; ich sage nur: Zwei minus x. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schauen Sie sich mal den Länderfinanzausgleich an!) „Ut anner Lü Leer is gaud Reemen schnieden“, sagt der Ostfriese, wenn Verträge zulasten Dritter gemacht werden, und das ist hier der Fall. Kreative Alternativvorschläge zur Gegenfinanzierung der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung haben wir mehr als genug. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wo denn?) Nachdem das jetzt raus ist, sollten wir gemeinsam den Blick nach vorne richten. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ach so!) Jetzt muss die Frage im Mittelpunkt stehen, wie wir weiter vorgehen wollen, welches Signal an die Bevölkerung von der heutigen Debatte ausgehen soll. Das Signal an die Menschen in unserem Sinne soll sein: Lassen Sie sich nicht weiter verunsichern, sondern sanieren Sie weiter! – Dieses Signal hat auch Minister Sigmar Gabriel ausgesandt. Ich möchte zunächst hervorheben, dass der Bundeswirtschaftsminister äußerst pragmatisch mit der Sache umgeht: die Aufstockung der Mittel für die KfW-Programme, mehr Geld für die Kommunen, die Weiterentwicklung des Marktanreizprogrammes für den Wärmemarkt. Von der Bundesregierung und speziell aus dem BMWi kommt da unheimlich viel. Es scheint mir, dass wir heute klar betonen müssen, dass nur die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung derzeit, sagen wir, in einer schwierigen Phase steckt, nicht jedoch die Förderung der energetischen Gebäudesanierung insgesamt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die gibt es seit 2011!) Im Gegenteil: Im Rahmen des NAPE wurde der Anteil der Förderung noch einmal um 200 Millionen Euro aufgestockt. Im kommunalen Sektor müssen wir darauf achten, dass die Gemeinderäte und Kreistage mit der finanziellen Förderung nicht alleingelassen werden. Aus eigener Erfahrung als Bürgermeister kann ich sagen, dass ein Schwerpunkt künftig auch in der Beratung der Kommunen zur energetischen Gebäudesanierung liegen sollte, damit gutgemeinte Entscheidungen für das Klima von heute sich morgen nicht bitter rächen, was die Entsorgung oder die Brandlasten der öffentlichen Gebäude angeht. Eines ist doch allen klar: KfW-Programme kosten nicht nur Steuergeld, sie sorgen auch für mehr Beschäftigung, mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialkosten. Egal ob Investitionsschutz oder günstiges Darlehen oder Tilgungszuschuss: Das Geld ist gut angelegt. Was wir jetzt gar nicht brauchen können, ist eine Phase des Stillstands. Deshalb noch mein Appell: Sanieren Sie weiter – für unser Klima, für unsere Arbeitsplätze und für Ihre Kinder! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle hier im Haus vertretenen Fraktionen – das wird immer wieder deutlich – sind sich einig: Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung muss kommen, vor allem aus zwei Gründen: Erstens brauchen wir sie dringend, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen – übrigens auch die Länder brauchen sie, um ihre Klimaschutzziele zu erreichen –, und zweitens ist die steuerliche Abschreibung ein hervorragendes Konjunkturprogramm für das Handwerk und damit auch aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu begrüßen. Experten gehen von einem enormen Förderhebel aus. Es sind verschiedene Zahlen genannt worden. Der niedrigste Faktor war der Faktor 8, das heißt: Aus 1 Euro Förderung des Staates durch steuerliche Abschreibung erfolgen 8 Euro an Investitionen. Dies bringt Wachstum und Beschäftigung und wiederum mehr Steuereinnahmen. Nun wurde nach dem letzten Treffen des Koalitionsausschusses berichtet, dass die Einigung über die steuerliche Förderung an Bayern gescheitert sei. Es ist ein Leichtes – das ist hier schon mehrfach angeklungen –, den Schwarzen Peter nach München zu schieben. (Ulrich Freese [SPD]: Den brauchen wir nicht hinzuschieben! Der ist schon da!) Aber schauen wir uns doch einmal die Fakten an. Tatsache ist: Die CSU steht zur steuerlichen Abschreibung und versucht seit Jahren, sie einzuführen. Bereits 2008 hat der Freistaat Bayern einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Hört! Hört!) 2011 haben CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundestag einen Antrag, der dasselbe Ziel zum Inhalt hatte, verabschiedet, der dann über eineinhalb Jahre im Bundesrat blockiert wurde und im Vermittlungsausschuss Anfang 2013 endgültig gescheitert ist. Im Mai 2013 ist Bayern gemeinsam mit Sachsen einem Gesetzesantrag des Landes Hessen beigetreten, der ebenfalls das Ziel der steuerlichen Förderung verwirklichen wollte, und schließlich hat die Bayerische Staatsregierung im Dezember 2014 erneut eine eigene Entschließung in die Länderkammer eingebracht, wieder mit demselben Ziel, wieder bis auf Weiteres vertagt. Da gab es mehrere Chancen, aus der sogenannten Endlosschleife, wie das vorhin genannt wurde, herauszukommen. Diese Chancen wurden nicht genutzt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war die Gegenfinanzierung?) Zur Klarstellung: Der aktuelle Antrag wurde bisher nicht abgelehnt, er ist vertagt; es besteht also immer noch die Chance auf Einigung. Und warum gab es bisher keine Einigung? (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Bayern ausgeschert ist!) Die Antwort lautet: wegen der Gegenfinanzierung. Wir wollen dafür nicht den Handwerkerbonus opfern. Im Übrigen – das kann man auch der Presse entnehmen –: Die Gegenfinanzierung über den Handwerker-bonus ist kein Vorschlag, der aus dem Handwerk kam. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Wir wollen auch nicht für die steuerliche Abschreibung den Handwerkerbonus drangeben; denn beides hat miteinander nichts zu tun. Wir wollen nicht das eine gegen das andere ausspielen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und dafür gibt es gute Gründe: Erstens. Von der energetischen Gebäudesanierung profitieren Eigenheimbesitzer und einige Handwerkergruppen. Vom Handwerkerbonus profitieren alle Steuerzahler und werden alle Handwerkerleistungen gefördert. Ist also die Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus richtig? (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) Zweitens. Wir treten dafür ein, dass es keine steuerliche Mehrbelastung geben darf. Eine Einschränkung des Handwerkerbonus wirkt aber – die Zahlen belegen dies – wie eine Steuererhöhung. Sie verwehren also nicht nur einer größeren Zahl von Bürgern eine steuerliche Begünstigung, sondern durch eine Einschränkung des Handwerkerbonus nimmt der Staat nach Berechnungen des BMWi und des BMF wohl sogar mehr ein, als er durch die staatliche Abschreibung an Begünstigungen weiterreicht. Ist das also die richtige Gegenfinanzierung? Drittens. Die geplante steuerliche Abschreibung auf energetische Gebäudesanierung ist auf fünf Jahre angelegt und wirkt ab Inanspruchnahme zehn Jahre, ist also zeitlich befristet. Der Handwerkerbonus würde dagegen sofort und unbefristet, also wohl dauerhaft eingeschränkt werden. Ist das die richtige Gegenfinanzierung? Vor allem aber – viertens –: Der Handwerkerbonus wurde eingeführt, um Schwarzarbeit zu bekämpfen, und hat sich bewährt, er hat erfolgreich dazu beigetragen, die Schwarzarbeit in Deutschland einzudämmen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Studie, die das belegt!) Eine Verrechnung beider Instrumente geht also fehl, da beide völlig unterschiedliche, aber jedes für sich höchst sinnvolle Ziele verfolgen. Noch einmal: Ist das die richtige Gegenfinanzierung? Grundsätzlich stellt sich die Frage: Braucht es denn überhaupt eine Gegenfinanzierung? (Beifall bei der CDU/CSU) – Ingbert Liebing (CDU/CSU): Sehr gute Frage!) Von allen Seiten wird betont, welch konjunkturelle Effekte die steuerliche Förderung hat: Sie löst enorme Investitionen aus, führt zu Wachstum und wieder zu Steuermehreinnahmen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber macht Seehofer mit? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer hat beantragt, der Bundeshaushalt soll das finanzieren! Damit könnte ich leben!) Es rechnet sich also für Bund und Länder – wenn auch zeitversetzt – auch ohne Einschränkung des Handwerkerbonus. Also: Braucht es denn wirklich eine Gegenfinanzierung? Der Antrag liegt im Bundesrat immer noch auf dem Tisch, und gerade für die Länder, die entsprechend verschuldet sind, wäre das ein hervorragendes Programm, um private Investitionen auszulösen. Die steuerliche Abschreibung auf energetische Gebäudesanierung ist nicht gescheitert; aber alle Beteiligten müssen schnellstens an einen Tisch und eine sachgerechte Lösung finden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Klaus Mindrup das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, hat man den Eindruck, dass es nur einen Königsweg zum Klimaschutz gibt, nämlich Steuerboni. Dem möchte ich an dieser Stelle energisch widersprechen. Steuerliche Entlastungen sind wichtig für einige Zielgruppen, aber nicht für alle. Ich bin selbst seit über zwölf Jahren Aufsichtsrat einer Graswurzelgenossenschaft im Prenzlauer Berg. Wir haben unsere 450 Wohnungen saniert und dabei durch intelligentes Vorgehen 70 Prozent des CO2-Ausstoßes eingespart. Wir hatten zweimal die Chance, steuerliche Sonderabschreibungen zu nutzen, die es heute schon gibt, erstens weil unsere Genossenschaft im Sanierungsgebiet liegt und zweitens weil unsere Bestände denkmalgeschützt sind. Beide steuerlichen Möglichkeiten haben wir nicht genutzt, weil es für uns keinen Sinn machte: Wir können keine Gewinne mit Verlusten verrechnen. Es gibt viele Hauseigentümer, die das nicht können, seien es Genossenschaften, kommunale Gesellschaften oder auch Einzeleigentümer. Diese müssen mit dem letzten Cent rechnen; und für sie ist es viel wichtiger, dass es Zuschüsse wie die Tilgungszuschüsse von der KfW gibt, die jetzt geplant sind. Auch wichtig sind Darlehen mit einer langen Laufzeit und mit einer sehr hohen Verlässlichkeit. Wir als SPD wollen auf dem Weg zum Klimaschutz alle mitnehmen: Rentnerinnen und Rentner mit einem kleinen Haus darf man genauso wenig überfordern wie Mieterinnen und Mieter. Wohnen muss bezahlbar bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man kann die Sanierungsrate durchaus auch unter den heutigen Rahmenbedingungen steigern. Das zeigt das Beispiel der InnovationCity Bottrop, die nach ihren eigenen Zahlen bei 8 Prozent ist. Da geht es um Beratung und darum, dass man die Maßnahmen zielgerichtet zuschneidet und auch auf Wirtschaftlichkeit achtet. Ich sehe es als relativ großes Problem, dass bei der energetischen Gebäudesanierung die Wirtschaftlichkeit oftmals nicht betrachtet wird. Es werden Maßnahmen, die nicht unbedingt sinnvoll sind, durchgeführt, weil die Kosten dafür auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden können, weil also ein Dritter zahlt. An dieser Stelle ist es wichtig, genau hinzuschauen und vor allen Dingen die Beratungskompetenzen zu stärken. Denn ohne Akzeptanz wird die Energiewende nicht gelingen. Diese Akzeptanz wird von unten gewonnen: in der Nachbarschaft, im Dorf, im Quartier. Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung verstärkt Quartierslösungen unterstützen will, wie sie bei meiner Genossenschaft schon vor 14 Jahren realisiert wurden. Wir haben unsere Mieterinnen und Mieter, unsere Nutzer intensiv beraten; denn ein richtiges Nutzerverhalten ist das Wichtigste bei der Energiewende. Energieberater sind mindestens so wichtig wie Steuerberater. Eine sinnvolle Dämmung, Optimierung der Heizungen, Einsatz von Solarenergie und Kraft-Wärme-Kopplung sind hier die wichtigsten Stichworte. Auch genossenschaftliche Lösungen bieten sich an, weil sie nämlich langfristig wirtschaftlich sind und die Menschen vor Ort mitnehmen. Wir müssen dabei die oft getrennten Bereiche Strom, Wärme und Transport miteinander verknüpfen, statt alles isoliert zu sehen. Das Internet ist dabei sehr wichtig. Industrie 4.0 muss auch im Quartier stattfinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jan Metzler [CDU/CSU]) Wichtig ist auch, dass die Bundesregierung jetzt schnell die gesetzlichen Grundlagen für die Vermarktung von Grünstrom schafft – wir haben als Bundestag dafür eine Verordnungsermächtigung in das EEG aufgenommen –: Das ist Umweltschutz vor Ort, das ist Wertschöpfung vor Ort, und das macht Sinn, vor allen Dingen dann, wenn man vor Ort auch die Stadtwerke einbindet, wie das in Nürnberg der Fall ist. Allerdings ist die Energiewende ein Gemeinschaftswerk. Sie kann nur dann gelingen, wenn die 16 Bundesländer und der Bund gemeinsam in eine Richtung gehen. Wenn das jetzt der erste Fall gewesen wäre, in dem ein Bundesland etwas aus der Reihe tritt, dann könnte man vielleicht darüber hinwegsehen. Aber das war ja schon mehrfach der Fall. Wir hatten die Debatte um die Atomenergie, die aus einem bestimmten Bundesland kam, dann wurde der Ausbau der Windenergie in einem bestimmten Bundesland eingeschränkt, dann gab es die Debatte um die Stromtrassen, und nun gibt es das Reingrätschen bei der steuerlichen Gebäudesanierung. Hat das Methode? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natür-lich! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atomkraftwerke für Bayern!) Dabei ist es so – das kann man an der Windenergie sehen –, dass es in diesem Bundesland, dessen Namen ich jetzt nicht nenne, durchaus eine hohe Akzeptanz für die Energiewende gibt. In Bayern sind im letzten Jahr 20-mal so viele Windräder gebaut worden wie in Baden-Württemberg. Es sollten sich die Grünen einmal genau anschauen, woran das liegt. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Genau! Hört! Hört!) Insofern gibt es noch Hoffnung. Ich würde mich freuen, wenn wir hier alle wieder an einem Strang ziehen würden, gemeinsam in Richtung energetischer Gebäudesanierung. Wenn Blockaden aufgehoben werden, wenn die Energie, die diese Debatten kosten, in eine andere Richtung gelenkt wird, dann kommen wir alle voran, und dann wird die Energiewende auch gelingen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und eine gute sitzungsfreie Woche. Auf Wiedersehen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jan Metzler. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jan Metzler (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte hat gezeigt, dass – da sind wir uns alle, denke ich, einig – Energieeffizienz ein wichtiger Bestandteil der Energiewende ist. Was wir nicht verbrauchen, das müssen wir auch nicht erzeugen, ganz einfach. Unbestritten ist also, dass Energieeffizienz der Schlüssel zu einer nachhaltigen Energiepolitik ist. Ohne Einsparungen wird die Energiewende nicht zu schaffen sein; da sind wir uns alle einig, und das wurde jetzt auch mehrfach betont. Deutschland hat in den letzten Jahren viel auf den Weg gebracht. Wir sind Vorreiter, sowohl im europäischen als auch im internationalen Vergleich. Vor allem energetische Gebäudesanierungen bzw. energetisches Bauen sind hier wichtige Hebel, die einen entscheidenden Beitrag leisten. In diesem Bereich gehört Deutschland laut der Internationalen Energie-Agentur zur internationalen Spitzengruppe. Seit 2006 hat das CO2-Gebäudesanierungsprogramm Investitionen von über 187 Milliarden Euro in diesem Bereich angestoßen; auch das muss man hier einmal betonen. Mehr als 3,8 Millionen Wohnungen wurden saniert oder besonders energieeffizient neu gebaut. Auch mehr als 2 000 kommunale oder soziale Einrichtungen haben davon profitiert. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sehr gut!) Ich denke, das ist eine Bilanz, auf die wir ein Stück weit stolz sein können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei haben sich Förderprogramme in Form von Zuschüssen oder Krediten grundsätzlich bewährt, doch könnten die Antragsverfahren schlanker und verständlicher gestaltet sein; auch das möchte ich betonen und nicht vergessen. Aber mit diesen Programmen erreichen wir eben nicht jeden; auch das ist mehrfach betont worden. Deshalb ist die Anzahl der geförderten Immobilien rückläufig. Man bedenke: Über 80 Prozent des Gebäudebestandes in Deutschland sind in privater Hand. Die energetische Sanierung eines Einfamilienhauses kostet im Schnitt 60 000 bis 75 000 Euro. Förderungen durch Zuschüsse oder Kredite sind also lange nicht für alle Zielgruppen interessant. Ich denke, diesbezüglich besteht ein allgemeiner Konsens; auch das ist heute schon mehrfach betont worden. Welchen Schluss ziehen wir also daraus? Wenn wir mehr erreichen wollen, brauchen wir ein breiteres Angebot, also Anreize, die schneller wirken. Eine steuerliche Förderung ist ganz sicher eines der interessantesten Instrumente; das möchte ich bilanzieren. Gerade für die privaten Haus- und Wohnungseigentümer ist die steuerliche Förderung eine weitere Option. Steuerentlastungen sind generell wirksam. Sie sind eine echte Alternative für Menschen, die keinen Kredit aufnehmen wollen oder vor komplizierten Antragsverfahren zurückscheuen. Außerdem können durch steuerliche Entlastungen auch Einzelmaßnahmen, wie zum Beispiel eine neue Heizungsanlage, gefördert werden. Das Thema ist nicht ganz neu. Die steuerliche Förderung wurde schon im Rahmen des Gesetzespakets zur Energiewende im Jahr 2011 von uns auf den Weg gebracht, scheiterte aber damals im Bundesrat. Der Kollege Durz hat die Chronologie dieses Vorhabens dargelegt. Ich möchte hier betonen, dass es also schon einmal gehakt hat. Insofern müssen wir uns bewegen, weil es im Bundesrat schon einmal eine entsprechende Blockadehaltung gab. Um trotzdem weiterzukommen, hatte die Bundesregierung damals ein Zuschussprogramm in Höhe von 300 Millionen Euro jährlich für die Jahre 2013 bis 2020 aufgelegt. Von Bauaufträgen für energetische Sanierungen profitieren vor allem örtliche Handwerksbetriebe. Gerade diese Klein- und Kleinstunternehmen sind im ländlichen Raum wichtige Arbeitgeber. Sie genießen – das konnte man auch heute wieder bilanzieren und feststellen – unser aller Wohlwollen und unser aller Unterstützung. -Allein im Jahr 2013 wurden durch energetische Sanierungen rund 440 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. geschaffen. Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung ist also ein entscheidendes Puzzlestück für das Gelingen der Energiewende. Das war 2011 so, und das ist auch im Jahr 2015 so. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Da lässt sich die Union auch nicht auseinanderdividieren, was ja hier von dem einen oder anderen behauptet bzw. versucht wurde. Dazu stehen wir. Das haben wir 2011 getan, und das tun wir auch im Jahr 2015. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir alle sind uns einig, dass das steuerliche Fördermodell eine sinnvolle Sache ist. Die Rahmenbedingungen wurden schon im Nationalen Aktionsplan Energie-effizienz konkret beschrieben und im Dezember 2014 im Kabinett beschlossen. Nun müssen sich also Bund und Länder in zwei Fragen einig werden. Erstens: Wie wird die steuerliche Förderung im Detail ausgestaltet? Zweitens, ob und wie sie gegenfinanziert wird. Ich appelliere an alle, sich konstruktiv zu beteiligen; denn die Energiewende ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Seehofer!) Wir werden unseren Beitrag leisten. Da ich der letzte Redner bin, ist es mir eine Freude, Ihnen allen ein schönes Wochenende zu wünschen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind gleichzeitig am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. März 2015, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Auch ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches Wochenende. (Schluss: 15.09 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Binder, Karin DIE LINKE 06.03.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.03.2015 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 06.03.2015 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 06.03.2015 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 06.03.2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 06.03.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.03.2015 Gottschalck, Ulrike SPD 06.03.2015 Gröhe, Hermann CDU/CSU 06.03.2015 Grötsch, Uli SPD 06.03.2015 Dr. Gundelach, Herlind CDU/CSU 06.03.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 06.03.2015 Heil, Mechthild CDU/CSU 06.03.2015 Held, Marcus SPD 06.03.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 06.03.2015 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 06.03.2015 Klare, Arno SPD 06.03.2015 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 06.03.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 06.03.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.03.2015 Müller (Potsdam), Norbert DIE LINKE 06.03.2015 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 06.03.2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 06.03.2015 Petry, Christian SPD 06.03.2015 Poschmann, Sabine SPD 06.03.2015 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 06.03.2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Scheuer, Andreas CDU/CSU 06.03.2015 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 06.03.2015 Schummer, Uwe CDU/CSU 06.03.2015 Spinrath, Norbert SPD 06.03.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 06.03.2015 Dr. Steinmeier, Frank-Walter SPD 06.03.2015 Tank, Azize DIE LINKE 06.03.2015 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 06.03.2015 Thönnes, Franz SPD 06.03.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.03.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 06.03.2015 Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 06.03.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und Kathrin Vogler (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) Wir haben bei den getrennten Abstimmungen zu Artikel 1 (Bundesgremienbesetzungsgesetz – BGremBG) und Artikel 2 (Bundesgleichstellungsgesetz – BGleiG) abgelehnt, während wir den Regelungen für die Privatwirtschaft zugestimmt haben. Bei der Abstimmung über den gesamten Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir uns enthalten. Unser Abstimmungsverhalten beruht auf folgenden Erwägungen: Der Ausgangspunkt von Gleichstellungspolitik ist es, bestehende Benachteiligungen zu beseitigen – so steht es in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Es ist hingegen nicht ihre Aufgabe alle und alles gleich zu behandeln. Aus der strukturellen Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt ergibt sich daher der staatliche Auftrag der Frauenförderung, nicht zuletzt in den eigenen Strukturen. Obwohl es an einer konsequenten Umsetzung des BGremBG und des BGleiG mangelt, sind darin wichtige Regelungen für die Frauenförderung enthalten. Diese müssten geschärft und durchgesetzt werden. So müsste etwa der gängigen Unterwanderung des § 8 BGleiG – der die bevorzugte Berücksichtigung weiblicher Bewerberinnen bei gleicher Eignung vorsieht – ein Riegel vorgeschoben werden. In der Verwaltungspraxis werden die Vergleichskriterien so stark ausdifferenziert, bis schließlich ein Qualitätsrückstand – meistens der Frau – festgestellt werden kann. Darauf hat auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor -Papier, aufmerksam gemacht. Statt hier nachzubessern, fällt der vorliegende Entwurf einer Neugestaltung dieser beiden Gesetze in zentralen Punkten hinter den erreichten Stand zurück: Im BGremBG wird die derzeitige Regel der paritätischen Nominierung zu einer 30-Prozent-Quote. Nach heftiger Kritik durch fast alle Sachverständigen an der geplanten verfassungswidrigen Männerförderung durch das neue BGleiG haben die Koalitionsfraktionen diese nicht gestrichen, sondern unter den Vorbehalt der „strukturellen Diskriminierung“ gestellt. Ein solches Vorhaltegesetz für bis dato unbekannte gesellschaftliche Entwicklungen ist mehr als absurd und zeigt, dass die Große Koalition sich nicht zur Gleichstellung von Frauen mit Männern bekennt. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verhältnisse ist dieser Perspektivwechsel nicht zu begründen, wird aber in der Praxis zu zahlreichen Problemen führen. Des Weiteren wird für das Votum von Gleichstellungsbeauftragten eine Frist eingeführt, ohne jedoch ihre Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln zu verbessern. Angesichts der ohnehin hohen Belastung von Gleichstellungsbeauftragten – manche sind für bis zu 150 Dienststellen in bis zu fünf Bundesländern zuständig – behindert das faktisch ihre Arbeit. Es ist daher nicht überraschend, aber auch nicht zu rechtfertigen, dass eine Begründung dieser Neuregelung durch die Praxis bisher ausblieb. Die Regelungen für die Privatwirtschaft sind hingegen ein – wenn auch kleiner – Schritt in die richtige Richtung. Gegenüber den nutzlosen freiwilligen Selbstverpflichtungen der Vergangenheit wird nun für börsennotierte oder mitbestimmungspflichtige Unternehmen eine Frauenquote von 30 Prozent gelten. Sicher ist, dass das aber noch nicht das Ende sein kann: Die Linke fordert eine Frauenquote von 50 Prozent für die Aufsichtsräte wie für Vorstände aller Unternehmen – und nicht nur der 108 im jetzigen Geltungsbereich. Der Einführung der Frauenquote in der Wirtschaft haben wir daher zugestimmt, werden uns aber nicht damit zufrieden geben. Die Praxis hat gezeigt: Verbindliche Frauenquoten sind notwendig, um der Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken. Die Anwendung auf nur 108 Unternehmen in der Privatwirtschaft wiegt die Verschlechterungen im öffentlichen Dienst allerdings nicht auf. Bei der Abstimmung über das Gesamtpaket haben wir uns daher enthalten. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ich lehne die Einführung einer gesetzlichen starren Frauenquote ab. Sie verletzt die unternehmerische Freiheit und unterläuft somit ein Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Die Frauenquote nimmt Menschen in Haftung für ihr Geschlecht. Dieser staatliche Eingriff vermindert Chancen des Einzelnen und bringt neue Ungerechtigkeiten hervor, nur weil andere Angehörige seines Geschlechts tatsächlich oder vermeintlich Vorteile genossen haben. Das ist weder mit meinem Verständnis zur Rolle des Staates in unserer Gesellschaft und Wirtschaft noch mit meinem Menschenbild vereinbar. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich werde heute dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungskräften in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst und der Ergänzung: Artikel 3 bis 23 zustimmen. Mit der Berliner Erklärung habe ich mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und mit Frauen aus allen Fraktionen im Bundestag ein Bündnis für die Frauenquote geschmiedet. Für mich ist es ein Teil meiner politischen Glaubwürdigkeit, heute mit meiner Stimme zu diesem Bündnis zu stehen. Politisch habe ich seit jeher für eine Frauenquote gekämpft. Jetzt serviert die Koalition zwar nur ein „Quötchen“, dennoch werde ich zustimmen. Wie vielen anderen geht auch mir das Gesetz nicht weit genug. Meine Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der zeigt, wie es deutlich besser gehen würde. Aber sofern die Richtung stimmt, helfen auch kleine Schritte auf dem Weg in eine geschlechtergerechte Arbeitswelt, in der nicht mehr nur Männerrunden Entscheidungen treffen. Frauen in Führungspositionen können dann nicht nur mitreden, sondern auch nach und nach die Arbeitswelt den Bedürfnissen der Frauen – ihren Bedürfnissen – anpassen. Und ein Kulturwandel, der dazu führt, dass Frauen auch nach vorne streben, weil sie kompetent sind, weil es flexible Kinderbetreuung gibt, weil nicht mehr nur Schein, sondern Sein belohnt wird, weil es möglich ist, Karriere zu machen und dabei auch noch ein Privateben existiert, ein solcher Kulturwandel ist bitter nötig. Und er lohnt sich: Geschlechtergerechtigkeit schreibt schwarze Zahlen, denn heterogene Teams arbeiten erfolgreicher. Die Wirtschaft, die sich immer noch gegen eine Quote sträubt, wird bald erkennen, dass mehr Frauen in verantwortlichen Positionen klare Vorteile bringen. Ein Grundstein wird heute gelegt, der uns anspornen wird, noch mehr für Frauenförderung zu kämpfen, bis sich die Arbeitswelt auch an die Frauen angepasst hat und sich in ihr beide Geschlechter gleichermaßen zurechtfinden. Deshalb ist auch dieser kleine Schritt einer in die richtige Richtung. Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich lehne die Einführung einer gesetzlichen starren Frauenquote ab. Zum einen stellt sie einen empfindlichen Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar. Zum anderen gilt, was gegen die kurzzeitig geplante sogenannte „Männerquote“ vorgebracht wurde, auch in Hinblick auf Frauen in Führungspositionen: Aus einer Unterrepräsentanz lässt sich nicht zwangsläufig auf eine Diskriminierung schließen. Vor allem aber nimmt die Frauenquote Menschen in Haftung für ihr Geschlecht. Sie maßt sich an, durch einen staatlichen Eingriff die Chancen eines Individuums zu vermindern, weil andere Angehörige seines Geschlechts tatsächlich oder vermeintlich Vorteile genossen haben. Diese kollektivistische Logik der Frauenquote führt zu individueller Ungerechtigkeit und ist daher weder mit meinem Menschenbild noch mit meinem Staatsverständnis vereinbar. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Interparlamentarischen Konferenz gemäß Artikel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag) Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die wirtschaftliche und finanzielle Steuerung der Europäischen Union vom 29. bis 30. September 2014 in Rom, Italien Drucksachen 18/3783, 18/3890 Nr. 6 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Fortschrittsbericht Energiewende Drucksachen 18/3487, 18/3617 Nr. 5 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab 1. Juli 2014 Drucksache 18/2200 – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2015 der Bundesregierung Drucksache 18/3840 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rechenschaftsbericht 2013 zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt Drucksachen 17/13390, 18/770 Nr. 28 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a GO-BT Technikfolgenabschätzung (TA) Fernerkundung: Anwendungspotenziale in Afrika Drucksache 18/581 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/3898 Nr. A.6 EP P8_TA-PROV(2014)0103 Drucksache 18/3898 Nr. A.8 Ratsdokument 15164/14 Innenausschuss Drucksache 18/1524 Nr. A.3 Ratsdokument 9212/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.20 Ratsdokument 12013/14 Drucksache 18/3362 Nr. A.1 Ratsdokument 14639/14 Drucksache 18/3898 Nr. A.10 EP P8_TA-PROV(2014)0105 Haushaltsausschuss Drucksache 18/3898 Nr. A.12 Ratsdokument 5093/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/822 Nr. A.23 Ratsdokument 6651/14 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/3898 Nr. A.14 Ratsdokument 17022/14 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/3765 Nr. A.8 EP P8_TA-PROV(2014)0060 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980 Anlagen 1Anlagen 2 und 3 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. März 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8755 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 8745 8814 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. März 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung, Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8813