Plenarprotokoll 18/12 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 12. Sitzung Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 I n h a l t : Zur Geschäftsordnung Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 841 B Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) 842 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 4 des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau Drucksache 18/398 843 B Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin (Fortsetzung der Aussprache) 843 B Verkehr und digitale Infrastruktur 843 B Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 843 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 846 C Sören Bartol (SPD) 848 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 849 C Ulrich Lange (CDU/CSU) 851 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 852 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 853 A Kirsten Lühmann (SPD) 853 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 855 C Gero Storjohann (CDU/CSU) 856 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 857 A Martin Dörmann (SPD) 859 A Reinhold Sendker (CDU/CSU) 860 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 861 B Birgit Kömpel (SPD) 861 D Arnold Vaatz (CDU/CSU) 863 A Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit 864 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 864 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 866 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 866 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 868 A Ute Vogt (SPD) 869 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 869 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 870 D Marie-Luise Dött (CDU/CSU) 872 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 873 B Sören Bartol (SPD) 874 B Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) 875 B Steffen Kanitz (CDU/CSU) 876 D Bildung und Forschung 877 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 878 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) 880 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 881 B René Röspel (SPD) 882 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 883 C Patricia Lips (CDU/CSU) 885 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 886 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 887 B Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 887 C Oliver Kaczmarek (SPD) 888 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 889 D Oliver Kaczmarek (SPD) 890 A Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) 890 B Dr. Simone Raatz (SPD) 891 B Stephan Albani (CDU/CSU) 892 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Vereinbarte Debatte: zur aktuellen Situation in der Ukraine 894 A Franz Thönnes (SPD) 894 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 895 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 895 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 896 D Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) 897 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 898 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 899 B Nächste Sitzung 900 C Berichtigung 900 B/D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 901 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 901 D Inhaltsverzeichnis 12. Sitzung Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 Beginn: 9.01 Uhr Vizepräsidentin Petra Pau: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Wahl von vier Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu erweitern. Die Wahl soll im Anschluss an die Geschäftsordnungsdebatte erfolgen, vorausgesetzt das Anliegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat keinen Erfolg. Das Wort zur Geschäftsordnung hat zunächst die Kollegin Britta Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Gestern sollte kurzerhand per amtlicher Mitteilung dieser Vorgang beschlossen werden. Dagegen haben wir Widerspruch eingelegt, weil wir finden: Das muss heute hier diskutiert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage ausdrücklich: Das richtet sich nicht gegen die Personen, die Sie als Mitglieder vorschlagen. Das wissen auch alle handelnden Personen. Es geht uns hier um das Verfahren. Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht darum, dass der Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode heute teilweise neu besetzt werden soll. Er wird nicht legislaturperiodenscharf besetzt, sondern es werden heute drei Plätze von ausscheidenden Mitgliedern nachbesetzt, die ihren Sitz bis zum 31. Dezember 2013 innehatten. Für die 18. Legislaturperiode – darauf haben wir uns in einem gemeinsamen Antrag zur Geschäftsordnung und zu den Stellenanteilen für die Fraktionen verständigt – haben wir als grüne Fraktion den Anspruch, in diesem Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau vertreten zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Das ist richtig und wichtig; denn dort geht es um ganz viele Förderprogramme und ganz viele Bundesgelder. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir als eine von vier Fraktionen einen Vertretungsanspruch haben – dieser Auftrag ist uns zugebilligt nach der gemeinsamen Vereinbarung nach Sainte-Laguë/Schepers – und dass wir unseren Sitz dort wahrnehmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben gegenüber den Fraktionen von SPD und Union deutlich gemacht, dass, wenn jetzt diese erste Besetzung stattfindet, wir die einzige Fraktion sind, die im Moment nicht in diesem Verwaltungsrat vertreten ist. Wir wollen einen dieser Sitze wahrnehmen, um unserem Auftrag gerecht zu werden, gemeinsam mit den anderen Fraktionen Kontrolle auszuüben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Recht wird uns jetzt verweigert, und zwar mit dem Argument, die Besetzung des Verwaltungsrats wäre nicht an den Beginn der Legislaturperiode gebunden. Okay, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns dieses Argument mal durchgehen. Warum sagen Sie dann in Ihrer Argumentation: Heute beginnt hier sozusagen die 18. Legislaturperiode, und angesichts der Zusammensetzung des Bundestags in der 18. Legislaturperiode besetzt die Union zwei und die SPD einen der freiwerdenden Sitze? Meine Damen und Herren, da kann doch etwas nicht in Ordnung sein. Sie widersprechen sich doch selbst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie beziehen sich bei diesem Benennungsverfahren auf einen Rechtsvermerk der Bundestagsverwaltung. Das halte ich schon mal für ein Unding, weil die Frage der Unterrepräsentanz der Grünen in diesem Rechtsvermerk überhaupt nicht erörtert wird. Wenn man diesem Verfahren und Ihrer Logik folgte, dass jetzt sozusagen die 18. Wahlperiode beginnt und deshalb der Union zwei Sitze und der SPD ein Sitz zustehen, dann wären wir erst 2015 dran. Denn bei der nächsten Besetzung nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren wären erst mal wieder die SPD und die Linken dran, und die Grünen folgen erst auf Platz sechs, im Jahr 2015. Das kann nicht richtig sein. Das ist politisch falsch, und es ist rechtlich höchst zweifelhaft. Wir melden hier ganz deutlich unseren Widerspruch an und werden dieser Besetzung heute auf gar keinen Fall zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Michael Grosse-Brömer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben sich Mühe gegeben, den Sachverhalt möglichst kompliziert darzustellen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Prinzip ist er ganz einfach: Es geht heute um die Besetzung eines Gremiums – das, was wir in den letzten Wochen mehrfach, fast täglich, gemacht haben. Und Sie haben es selbst angesprochen: Wir haben da ein vereinbartes Verfahren. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das halten Sie aber nicht ein!) Wenn, wie in diesem konkreten Fall, sieben Personen in diesem Gremium sind – wir haben eine Berechnung nach Sainte-Laguë/Schepers vereinbart –, dann ergibt sich folgende Zusammensetzung, auch orientiert an der Größe der Fraktionen aufgrund des Wahlergebnisses: Die Union bekommt drei Sitze, die SPD bekommt zwei, die Grünen bekommen einen und die Linken bekommen einen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich nicht! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kriegen ja keinen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor 2015 kriegen wir gar keinen Sitz!) Das bleibt auch so. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass man Ihnen diesen Sitz nicht gönnt. Es bleibt doch dabei. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum fangen wir dann jetzt an, zu zählen?) Es gibt in diesem konkreten Gremium nur eine Besonderheit – da haben Sie völlig recht –: Es wird zu Beginn der Wahlperiode, anders als die anderen, nicht in der Gesamtheit neu besetzt, sondern angesichts der Tatsache, dass die Mitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausscheiden, je nachdem, ob ein Platz frei wird, Schritt für Schritt. (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun scheiden drei Mitglieder aus. Im Übrigen sollen nur die wiedergewählt werden, die schon Mitglieder sind. Von den drei Sitzen stehen logischerweise, nach den Berechnungen nach Sainte-Laguë/Schepers, zwei der Union und einer der SPD zu. Und Sie bekommen natürlich den Sitz, wenn er frei wird und Ihnen rechnerisch zusteht – ganz einfach! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben natürlich bei der Bundestagsverwaltung Rechtsrat eingeholt, weil ich Ihre Interessen immer sehr ernst nehme. Egal, ob es Minderheitenrechte oder Ihre persönlichen Ansichten sind – wir unterhalten uns immer ganz gut. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, damit kommen Sie nicht durch! Wir haben einen Vertretungsanspruch!) Ich gehe gar nicht davon aus, dass nur ich recht habe. Also haben wir ein vernünftiges, sachverständiges Gutachten eingeholt, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Gutachten!) und damit haben wir eine profunde Festlegung durch die Bundestagsverwaltung. Die Kurzfassung dieser Bewertung – – (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenrufe von der CDU/CSU) – Ich weiß, Sie sind jetzt ein bisschen aufgeregt, aber das müssen Sie sich jetzt auch anhören. – Die Kurzfassung dieser Bewertung lautet wie folgt: Das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren ist vereinbart; deswegen ist das, was Grosse-Brömer und die CDU/CSU und die SPD sagen, richtig. – Selbst wenn es nicht vereinbart wäre, gäbe es kein Verfahren, das Ihre Rechtsauffassung widerspiegelt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Rechtsgutachten ist ein Witz!) Nur damit das klar ist: Wir haben das gestern im Ältestenrat besprochen, und es gab nicht eine Fraktion, die Ihrer Auffassung ist. Jenseits der Rechtslage will ich Sie mal eines fragen: Können Sie sich an 2009 erinnern? Da war es in diesem Gremium folgendermaßen: Frau Scheel, eine Grüne, hatte einen Sitz inne, und uns stand er zu. Was haben wir gemacht? Wir haben keine Geschäftsordnungsdebatte geführt, wir haben uns nicht aufgeregt, sondern haben gewartet, bis die Kollegin ausschied, bis ihre Amtszeit abgelaufen war, und dann haben wir nachbesetzt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hatten Sie drei Sitze! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen war es nicht so, dass Sie gar nicht vertreten waren!) So gehört es sich unter Kollegen. Man sollte sich nicht permanent hinstellen und Sonderrechte einfordern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will Ihnen abschließend sagen: Wir, die Union, haben die ganze Zeit – das wird auch in den künftigen Debatten so sein – Wert darauf gelegt, dass die Opposition Minderheitenrechte bekommt, auch wenn sie Quoren nicht erreicht. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht heute!) Aber eines müssen Sie sich abgewöhnen: Sonderrechte für Ihre Fraktion, für Ihre Abgeordneten zu fordern, ausgehend von der Annahme, dass Abgeordnete der Grünen wertvoller sind als Abgeordnete der SPD oder anderer Fraktionen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da machen wir nicht mit, auch wenn Sie hier noch so viele Geschäftsordnungsdebatten beantragen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Thema vorbei!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte zu beachten, dass wir über den Aufsetzungsantrag abstimmen. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir verfahren jetzt weiter gemäß der Tagesordnung. Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 2 auf: Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 4 des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau Drucksache 18/398 Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag auf Drucksache 18/398? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist angenommen. Ich rufe nun wieder Tagesordnungspunkt 1 auf: Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin (Fortsetzung der Aussprache) Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir am Mittwoch für die heutige Aussprache insgesamt 3 Stunden und 36 Minuten beschlossen haben. Wir kommen nun zu den Bereichen Verkehr und digitale Infrastruktur. Das Wort hat der Bundesminister Alexander Dobrindt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesministerium für Mobilität und Modernität hat Aufgaben, die von zentraler Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes sind. (Zurufe von der LINKEN) – Schon Aufruhr beim ersten Satz, nicht schlecht. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Verkehr und digitale Infrastruktur, das sind die Herausforderungen, die wir nicht nur rein technisch diskutieren dürfen, sondern die wir vor allem gesellschaftspolitisch verantworten und organisieren müssen. Wer Mobilität organisiert, der organisiert die Lebensadern unserer Gesellschaft, der stellt die Weichen für Wachstum und zukünftigen Wohlstand in unserem Land. Es war deswegen ein richtiger Schritt, dass wir die Bereiche Verkehrsinfrastruktur und digitale Netze in einem Ministerium gebündelt haben und damit zusammen denken, zusammen planen und zusammen errichten. Das ist genau der Ansatz, der mit über die Zukunftschancen unseres Landes entscheidet und damit über die Zukunftschancen eines jeden Einzelnen von uns. Der Zugang zur digitalen Welt, der über die Netze organisiert wird, wird mit ausschlaggebend dafür sein, ob unsere nächste Generation Zukunftschancen in unserem Land hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich rate dazu, dies unter folgendem Gesichtspunkt zu sehen: Wenn wir für einen Moment die Technik in den Hintergrund und die Gesellschaftspolitik in den Vordergrund treten lassen, dann kann man feststellen, dass die Frage der Digitalisierung vor allem eine Frage der Gerechtigkeit ist. Es ist eine Frage der Innovationsgerechtigkeit, ob ich heute Zugang zur digitalen Welt habe, und damit ist es eine Frage der Teilhabegerechtigkeit. Jeder in unserem Land hat Anspruch darauf, an der neuen Technologie teilzuhaben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben mit der sozialen Marktwirtschaft Ökonomie und sozialen Ausgleich zusammengebracht. Die soziale Marktwirtschaft gibt uns bis heute den Auftrag, die Ökonomie und die Ökologie sowie nunmehr gerade auch die Ökonomie und die digitale Revolution zusammenzubringen; denn das ist der Garant für wirtschaftlichen Erfolg in unserem Land. Neben der Produktivität und der sozialen Verantwortung wird die Teilhabe an der digitalen Welt künftig über Wachstum und Wohlstand mit entscheiden. Dabei darf man sich nicht ausruhen auf dem, was man schon erreicht hat, darauf, dass wir funktionierende Netze in den großen Städten haben und große Datenmengen transportiert werden können. Wir haben in diesem Bereich eine enorme Dynamik zu verzeichnen. Die Datenmenge, die transportiert werden muss, wird in den nächsten Jahren sprunghaft ansteigen. 2020 werden wir fünfzigmal mehr Daten transportieren und speichern müssen, als dies zurzeit der Fall ist. Dabei geht es nicht nur um die Kommunikation, die wir alle mit unseren Handys ausüben, sondern in erster Linie um die Kommunikation der Dinge untereinander. Dadurch werden Daten produziert. Die selbstständige Kommunikation der Maschinen untereinander wird Produktionsprozesse bestimmen. Das, was wir heute als Industrie 4.0 bezeichnen, die Modernisierung der Produktionsprozesse mittels Digitalisierung, ist in vollem Gange. Die wirtschaftliche Bedeutung der digitalen Infrastruktur ist inzwischen so groß, dass wir sie neben der Arbeit, neben den Ressourcen und neben dem Kapital als vierten Produktionsfaktor bezeichnen können. Deswegen dürfen wir in Europa nicht einfach zuschauen, wie unser Wirtschaftsraum in diesem Bereich im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen, beispielsweise dem der Vereinigten Staaten von Amerika oder der asiatischen Länder, Gefahr läuft, technisch abgehängt zu werden. Es ist etwas Neues für uns, darüber nachzudenken, was es für uns in Europa bedeutet, technisch abgehängt zu werden. In anderen Regionen der Erde haben wir 50 Prozent mehr Pro-Kopf-Investitionen in die digitale Infrastruktur als in Europa. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Das heißt, dass die Kluft, die im digitalen Bereich inzwischen zwischen uns, den Vereinigten Staaten von Amerika und den chinesischen Märkten entstanden ist, nicht kleiner, sondern immer größer wird. Es braucht eine Initialzündung, damit wir eine Aufholjagd starten können. Deswegen werden wir eine Netzallianz Digitales Deutschland ins Leben rufen, an der all diejenigen teilnehmen sollen, die willig sind, in unsere digitalen Netze zu investieren. Wir werden die Rahmenbedingungen so gestalten, dass diese Investitionen in die Netze in erhöhtem Maße erfolgen können und das Vorhaben erfolgreich ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir bis 2018 ein flächendeckendes Breitbandnetz mit 50 Megabit pro Sekunde in Deutschland haben wollen. Neben dem Ausbau des Glasfaserkabelnetzes wird man dafür weitere Techniken benötigen. Wir gehen davon aus, dass dieser schnelle Datenzugang in der Fläche nur dann zu erreichen ist, wenn man Hybridtechniken einsetzt, das heißt, die Nutzung unterschiedlicher Netzzugänge gleichzeitig möglich ist. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium zu danken. Das ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit. (Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Bei uns schon! – Beifall bei der SPD) – Mit dem Bundeswirtschaftsministerium schon, habe ich gerade gehört. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sigmar Gabriel scheint das Thema nicht so wichtig zu sein!) – Ich kann ja verstehen, dass Sie Zweifel daran haben, dass wir gut zusammenarbeiten können. Glauben Sie mir: Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und ich haben in dieser Frage exzellent zusammengearbeitet. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da passt kein Blatt dazwischen!) Wir haben uns in der bedeutenden, entscheidenden inhaltlichen Frage, wer zukünftig für die Frequenzpolitik zuständig ist – die Frequenzpolitik kann ein Schlüssel sein, wenn es darum geht, in der Fläche eine echte Breitbandversorgung zu haben –, geeinigt. Das BMVI ist zukünftig für die digitale Dividende und die Frequenzpolitik zuständig. Das ist in unser beider Interesse. Es liegt in der gemeinsamen Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers und mir, dass wir mit dieser Strategie am Schluss im Sinne der Bevölkerung Deutschlands erfolgreich sind und eine flächendeckende Breitbandversorgung haben. Deswegen danke schön an den Bundeswirtschaftsminister dafür, dass dies gelungen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie sehen, wir nehmen diese Herausforderung ernst. Ich erwarte nicht, dass dies einfach gelingen kann. Deswegen ist es umso wichtiger, dass man seine Kompetenzen an dieser Stelle bündelt. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft wird es darum gehen, ob man die Kompetenzen bündeln kann. Wenn Sie sich heute anschauen, welche Topunternehmen es in der digitalen Welt gibt, dann werden Sie darunter kaum noch ein europäisches Unternehmen finden. Der Wettbewerb findet heute zwischen Amerika und den asiatischen Ländern statt. Wer zukünftig Wertschöpfung generieren will, der wird sich an der Spitze der technischen Entwicklung bewegen müssen. (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) Dies ist nicht nur eine rein finanzielle Frage, sondern es ist auch eine Frage der Sicherheit. Ich trete da dem Bundesinnenminister nicht zu nahe, weil auch wir in diesem Bereich an einem gemeinsamen Strang ziehen. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist ja auch nicht da!) Gesetze sind das eine, das Know-how über die Technik ist das andere. Wenn wir in Europa die Kompetenz verlieren, die digitale Technik zu verstehen, und sie nur noch konsumieren, dann ist auch die Sicherheitsfrage nicht lösbar. Deswegen müssen wir uns Kompetenz an dieser Stelle zurückerarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich sage Ihnen: Eine Aufgabe der Netzallianz wird sein, das Interesse derjenigen, die heute in dieser Branche, in der digitalen Welt wirtschaftlich unterwegs sind, zu wecken und zu fördern, in der digitalen Champions League mitzuspielen. Dabei geht es für uns in der Tat um eine digitale Souveränität Europas. Ein Kontinent, der davon lebt, dass er Spitzentechnologien entwickelt, und in der Welt mit dabei ist, wenn es darum geht, Spitzentechnologien zu nutzen, kann schlichtweg nicht akzeptieren, dass er in einem bedeutenden Feld der Zukunft, nämlich der digitalen Modernisierung, nicht ganz vorne mitspielt. Deswegen müssen wir unsere digitale Souveränität in Europa verteidigen, auch gegenüber anderen Ländern der Erde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Modernisierung ist übrigens auch das Schlüsselwort, wenn es um die klassische Infrastruktur geht: um die Straßen, um die Schienen, um die Wasserwege und um den Luftverkehr. Das wollen wir nicht isoliert betrachten, sondern es geht um ein vernetztes Mobilitätsangebot. Wir werden unsere Infrastruktur nicht nur sichern müssen – wir haben ja gut ausgebaute Netze im Bereich der Straßen, der Bahnen und der Wasserwege –, sondern wir wollen sie auch weiterhin ausbauen. Wir haben gerade in diesen Tagen über 20 Jahre Bahnreform diskutiert und sie gefeiert. Die Bilanz ist im Grundsatz sehr positiv. Trotz aller Konkurrenz durch das Auto, den Flugverkehr und inzwischen auch durch Fernbuslinien nimmt die Attraktivität der Bahn weiter zu. Die Fahrgastzahlen steigen weiter an. Wir wollen das System der Schiene stärken und es weiter ausbauen, um einen verlässlichen und sicheren Schienenverkehr zu haben. Das ist notwendig, weil wir ein Höchstmaß an Mobilität für alle garantieren müssen. Mobilität ist ein Grundrecht, und zu Recht fordern die Menschen in diesem Land eine funktionierende Mobilitätsinfrastruktur ein. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht das im Grundgesetz, Herr Dobrindt?) Ich habe in den letzten Tagen bei den Gesprächen mit Vertretern der Bahn deutlich darauf hingewiesen, dass die Bahn inzwischen mehr als ein Reisemittel, mehr als ein Transportmittel geworden ist. Sie ist für viele ein mobiler Arbeitsplatz geworden. Deswegen hat die Bahn die Verantwortung, die digitale Modernisierung voranzutreiben. WLAN an den Bahnhöfen, leistungsfähige Internetanschlüsse in den Zügen – das entspricht einer modernen Kundenorientierung. Wir können von der Bahn verlangen, dass sie hier besser wird und dafür sorgt, dass diese modernen Technologien in die Bahn Eingang finden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen die leistungsfähige Schieneninfrastruktur erhalten und ausbauen. Dafür sind weiterhin Investitionen notwendig. Wir werden in den nächsten Monaten mit der Deutschen Bahn AG in die Verhandlungen über eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung eintreten und wollen darin die finanziellen Rahmenbedingungen für den Erhalt dieser Infrastruktur festlegen. Ich will in diesem Zusammenhang auch festhalten: Wir stehen genauso zu einem gesunden und funktionierenden Wettbewerb auf der Schiene wie zum integrierten Konzern Deutsche Bahn AG. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben uns innerhalb der Koalition auf zusätzliche Infrastrukturinvestitionsmaßnahmen in Höhe von 5 Milliarden Euro geeinigt. Das ist ein wesentlicher Beitrag, um die Substanzsicherung unserer Verkehrswege voranzutreiben. Davon müssen alle Bereiche profitieren, sowohl die Straße als auch die Schiene und die Wasserwege. Wir werden einen erheblichen Teil dieser Mittel für Erhaltungsmaßnahmen einsetzen. Das wiederum heißt, dass die Spielräume für den Neubau natürlich nicht grenzenlos sein werden. Deswegen ist es unsere Aufgabe, für weitere finanzielle Spielräume zu sorgen. Dies geht nur, wenn wir die Weiterentwicklung der Nutzerfinanzierung vorantreiben. Das betrifft auf der einen Seite die Lkw-Maut, die wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, Schritt für Schritt ausweiten werden. Das betrifft auf der anderen Seite die Pkw-Maut, über die wir von den Haltern nicht in Deutschland zugelassener Pkw einen angemessenen Beitrag erheben werden mit der Maßgabe, dass kein Halter eines in Deutschland zugelassenen Fahrzeugs stärker belastet wird als heute. Einen genau dies beinhaltenden Gesetzentwurf werde ich vorlegen. Er wird europarechtskonform sein. Etwas anderes gibt es mit mir auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD] – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tosender Applaus bei der SPD! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich habe nichts gehört!) – Ich freue mich, wie euphorisch sich die Grünen schon wieder diesem Thema nähern. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten die ganze Zeit darauf, dass Sie etwas dazu sagen!) – Betrachten Sie es doch einfach einmal ganz unideologisch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ausgerechnet aus Ihrem Munde! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir sind gespannt!) Wenn in fast allen unseren Nachbarländern die deutschen Autofahrer über eine Nutzerabgabe ganz selbstverständlich an der Finanzierung der funktionierenden Infrastruktur beteiligt werden, dann ist es doch nur eine Frage der Gerechtigkeit, dass Fahrer aus dem Ausland, die unsere Infrastruktur in Deutschland nutzen, auch am Erhalt mit beteiligt werden. Um mehr geht es doch gar nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Wicklein [SPD] – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch eine Frage der Gerechtigkeit! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, ja, starker Auftritt sieht anders aus! – Gegenruf des Abg. Sören Bartol [SPD]: Was hast du heute gefrühstückt? – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch so!) Wir haben das Zukunftsprojekt Elektromobilität auf die Agenda gesetzt. Dafür wurden in der Vergangenheit die Weichen schon gut gestellt. Die deutschen Autohersteller haben angekündigt, dass in diesem Jahr 16 verschiedene Modelle auf dem Elektroautomarkt verfügbar sein werden. Es gab allein im letzten Jahr einen Zuwachs von 32 Elektrofahrzeugmodellen auf dem deutschen Markt. Inzwischen sind über 104 000 Elektrofahrzeuge in Betrieb. Das zeigt: Die Elektromobilität beginnt zu wachsen. Das ist ein ermutigender Schritt. Das heißt aber auch: Wir müssen neue Anreize setzen, damit noch mehr dieser Autos schneller auf den Markt kommen. Deswegen bringen wir ein Elektromobilitätsgesetz auf den Weg, in dem wir vor allem Privilegien für Halter und Fahrer von Elektrofahrzeugen schaffen wie zum Beispiel Sonderparkplätze oder die Möglichkeit zur Nutzung von Sonderfahrspuren. Alles, was hilft, zu überzeugen, dass Elektromotoren ein Automobilantrieb der Zukunft in unserer mobilen Gesellschaft sind, ist es, glaube ich, wert, dass man es organisiert und mit auf den Weg bringt. An dieser Stelle wollen wir den Mehrwert der Elektromobilität über den reinen Umwelt- und Energiegedanken hinaus herausstellen. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Minister, wenn Sie als Abgeordneter sprechen würden, müsste ich Sie schon seit zwei Minuten auffordern, zum Schlusspunkt zu kommen. (Heiterkeit) Sie können natürlich weitersprechen; ich mache Sie aber darauf aufmerksam, dass das Konsequenzen für die Redezeit der Mitglieder Ihrer Bundestagsfraktion hat. Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Präsidentin, ich weiß; aber ich habe zwölf Jahre darauf gewartet, einmal die Chance zu haben, hier länger zu reden, als mir erlaubt ist. Diese Chance will ich jetzt nutzen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Gut. Ich gehe davon aus, dass Ihre Fraktion jedes Verständnis dafür hat und die daraus folgenden Veränderungen klaglos trägt. Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Danke schön. – Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen und in die Elektromobilität investieren und dafür sorgen, dass die Fuhrparks Stück für Stück umgestaltet werden. Nur so kann auch ein funktionierender Gebrauchtwagenmarkt entstehen. Er ist ein Schlüssel dafür, dass diese Autos in breiter Masse zur Verfügung stehen werden. Ich glaube an die Elektromobilität. Gerade die Elektromobilität kann ein Element sein, um den Modernisierungsprozess unseres Landes mit voranzutreiben. Elektromobilität auf der einen Seite und Digitalisierung auf der anderen Seite, das ist ein Beispiel dafür, dass in den Akzenten, die wir in diesem Jahr setzen, die Themen Mobilität und Modernität eng miteinander verknüpft sind. Wir sind fest entschlossen, Mobilität und Modernität weiterzuentwickeln – im Sinne von Wachstum und Wohlstand in unserem Land. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will aus dem weiten Feld der Verkehrspolitik drei Themen ansprechen: die Straße, die Bahn und den ÖPNV. Vorab will ich aber sagen, dass mich Herr Dobrindt überrascht hat: Herr Dobrindt, Sie haben über Infrastruktur und Netze viel interessanter gesprochen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) als ich es bisher vom Verkehrsminister gekannt hatte. Ob der Ausschuss für Mobilität und Modernität, wie Sie ihn nennen, der spannendste in dieser Legislaturperiode wird, das wird sich zeigen. Sie haben festgestellt, dass es nicht um technische Fragen gehe, sondern darum, wie der gesellschaftliche Prozess gestaltet werde; dass es um die Wege gehe, auf denen Menschen und Güter zusammenkommen; und dass Teilhabegerechtigkeit ein wichtiges politisches Ziel sei. – D’accord, das passt hervorragend zu den Anforderungen, die wir an eine gute Verkehrspolitik stellen. In der Tat werden auf diesen Gebieten die Weichen für die Zukunft gestellt. Das heißt aus unserer Sicht: Wir brauchen Mobilität für alle – aber mit weniger Verkehr! Das betrifft zum Beispiel den gesellschaftlichen Prozess der Produktion und Verteilung von Waren. Mit den Lkw-Lawinen, die heute durchs Land rollen, mit immer mehr Lärm, Dreck, Staus und kaputten Straßen muss irgendwann Schluss sein. Wir wissen alle, dass der zerstörerische Klimawandel durch den motorisierten Verkehr entscheidend befeuert wird. In Ihrem Koalitionsvertrag steht allerdings nichts, was zeigen würde, dass Sie sich dieser Probleme bewusst wären, im Gegenteil – ich zitiere –: Das Netzwerk Güterverkehr und Logistik werden wir weiter festigen … Sie gehen einfach davon aus, dass der Lkw-Verkehr in den nächsten 15 Jahren um 70 Prozent wächst. Das ist Transportwahnsinn und den wollen Sie ausbauen mit Ihrer Nutzerfinanzierung. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen endlich so etwas wie eine regionale Strukturpolitik, damit Produkte wie Milch, Zucker, Bier, Tierfutter usw. nicht durch ganz Europa gekarrt werden, sondern regional auf den Markt kommen. Es müssen doch nicht fünf verschiedene Paketdienste eine Ortschaft anfahren, es wäre doch sinnvoll, eine Bündelung vorzunehmen, bevor verteilt wird. Die Linke will, dass schädlicher Verkehr vermieden wird. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt auch im Personenverkehr. Die Leitidee muss sein, den gesellschaftlichen Prozess so zu gestalten, dass die Leute möglichst kurze Wege haben zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt, zum Einkaufen oder zum Freizeitvergnügen. Mehr Grünanlagen, Raum für Fahrräder und autofreie Zonen in den Städten sind in jeder Hinsicht sinnvoll. Aber nichts dergleichen findet sich in Ihren verkehrspolitischen Zielen. Es ist bezeichnend und bedauerlich, dass Fußgänger auch in diesem Koalitionsvertrag überhaupt nicht vorkommen – das war schon bei der letzten Regierung so –, obwohl die meisten Menschen die meisten ihrer Wege zu Fuß zurücklegen und obwohl diese Fortbewegungsart genauso wie das Fahrradfahren am umweltfreundlichsten ist. (Beifall bei der LINKEN) Auch zum Radverkehr steht nur ein ganz dürrer Satz im Koalitionsvertrag ohne konkrete Ansagen zur Förderung. Dabei gibt es in diesem Bereich einen riesengroßen Bedarf, auch weil viele Kommunen selbst beim besten Willen nicht das Geld haben, um Radwege auszubauen und gute Abstellplätze einzurichten. Hier besteht übrigens ein großes Feld für Elektromobilität, wo sie wirklich sinnvoll ist. Die Zahl von E-Bikes und Pedelecs könnte deutlich steigen, wenn es eine vernünftige Infrastruktur gäbe. Elektroautos werden uns an dieser Stelle nicht aus den Problemen herausführen. Deshalb stimmen wir auch nicht in den Chor derjenigen ein, die einfach mehr Geld für Infrastruktur fordern. Denn es kommt darauf an, was man daraus macht. (Beifall bei der LINKEN) Nun zur Bahn. Ich begrüße es sehr, Herr Dobrindt, dass Sie als Verkehrsminister endlich kontrollieren und durchsetzen wollen, dass die Steuergelder in der Tat auch für die Infrastruktur in diesem Bereich eingesetzt werden. Das Bahnnetz ist an vielen Stellen inzwischen nun wirklich in einem desolaten Zustand; darauf hat der Bundesrechnungshof bereits zur Genüge hingewiesen. Es freut uns, wenn endlich Druck auf die Bahn ausgeübt wird, dass das Steuergeld auch vollständig für das Bahnnetz verwendet und nicht als Gewinn in der Bilanz verbucht wird. Allerdings wird das nicht genügen. Der Beherrschungsvertrag zwischen dem Bahnkonzern und den Bereichen Netz und Bahnhöfe ist eine Fehlkonstruktion und wird das auch bleiben. In der Konzernplanung, die ja vom Aufsichtsrat und damit von der Bundesregierung abgesegnet wird, ist vorgesehen, dass steigende Gewinne von DB Netz und DB Station & Service an die Holding fließen. Das müssen Sie ändern. Aber das ist nicht das Einzige. Herr Minister Dobrindt, dass Sie die Bahn modernisieren und die digitale Welt in den Zug holen wollen, ist prima – für Abgeordnete und Geschäftsleute vor allem. Aber wissen Sie, dass die meisten Bahnreisenden, die Mütter mit Kindern, die Beschäftigten, die Jungen und die Alten, im Nahverkehr unterwegs sind, abseits der großen Magistralen? Da gibt es ganz andere Probleme. Der Zustand vieler Bahnhöfe ist beklagenswert: ohne Warteraum, ohne Toilette, mit Durchgängen, in denen es tropft, manche vergammelt und verschlossen und viele ganz und gar nicht barrierefrei. Ich lade Sie ein, mit mir einmal durch das Kinzigtal von Hanau nach Schlüchtern zu fahren. Dort dokumentieren die Auszubildenden der Kreisverwaltung seit Jahren die Missstände an den Bahnhöfen. Es passiert nichts. Wissen Sie, dass jede Bahnstation mit weniger als 1 000 Zustiegen pro Tag von Herrn Gruber einfach als stufenfrei deklariert werden darf, obwohl ein Rollstuhlfahrer oder eine Mutter mit Kinderwagen keine Chance hat, die steilen Treppen zum Bahnsteig zu überwinden? Das ist zynisch. Wir verlangen ein Bahnhofsprogramm, mit dem alle Stationen für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich und kundenfreundlich gestaltet werden. (Beifall bei der LINKEN) Und noch etwas: Es gibt ein Bahnhofsprojekt, mit dem mindestens 6 Milliarden Euro buchstäblich vergraben werden sollen, das dem Schienenverkehr mehr schadet als nützt, weil ein Engpass gebaut wird und weil das Geld an tausend anderen Stellen fehlt. Stuttgart 21 ist nicht nur dauerhafter Zankapfel in und um Stuttgart, das Projekt ist auch unwirtschaftlich und nicht nur finanziell auf Sand gebaut. Noch immer ist ein Aus- und Umstieg möglich. Herr Minister, ich empfehle Ihnen sehr: Richten Sie sich nicht in den Schützengräben ein, die Ihr Kollege Pofalla betoniert hat, sondern beraten Sie sich mit den Expertinnen und Experten aus der dortigen Bürgerbewegung. Sie sehen es außerdem als wichtige Aufgabe an, den Wettbewerb auf der Schiene voranzubringen. Ich bitte Sie: Vielerorts wäre man froh, wenn überhaupt ein Zug fahren würde. Inzwischen sind ganze Regionen vom Bahnverkehr abgehängt. Die Teilhabegerechtigkeit, Herr Minister Dobrindt, die Sie für den Internetzugang fordern, muss auch für die Mobilität gelten. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben politische Planziele ausgesprochen. Das finde ich hervorragend. Solche politischen Planziele brauchen wir auch für den Ausbau des ÖPNV: mindestens stündliche Bus- und Bahnverbindungen auch im ländlichen Raum, (Beifall bei der LINKEN) kurze Wege zur nächsten Haltestelle, integraler Taktfahrplan und einheitliche Tarifbedingungen im ganzen Land, – Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Leidig, achten Sie bitte auf die Zeit. Sabine Leidig (DIE LINKE): – Fahrpreise, die sich alle leisten können, Abbau von Barrieren. Das ist möglich und nötig für einen guten ÖPNV für alle, und das wären moderne Weichenstellungen, für die sich die Linke engagiert. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sören Bartol (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag in einer offenen Debatte darüber diskutieren, was die besten Konzepte im Bereich „Mobilität und digitale Infrastruktur“ sind, um die Probleme in unserem Land anzugehen. Sehr geehrter Herr Minister, herzlichen Dank für Ihre erste Rede als neuer Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, in der Sie viele wichtige Themen der Koalitionsfraktionen aufgegriffen haben. Ich finde, „Mobilität und Modernität“ ist ein gutes Credo, das auch die Aufgabe Ihres Hauses treffend beschreibt. Ich will aber hinzufügen: Ich glaube, wir beide sind uns einig, dass Mobilität ebenfalls sehr modern sein kann. Denken Sie alleine an intelligente Verkehrsleitsysteme oder neue Carsharing-Modelle. – Herr Dobrindt, wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte diese Debatte zunächst damit verbinden, die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die heute schon sehr rege sind, (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Koalition schläft ja auch!) zu einer fairen und offenen Zusammenarbeit einzuladen. Ich glaube, wir sollten den Geist der überfraktionellen Zusammenarbeit, den wir in der letzten Legislaturperiode auch im Ausschuss gepflegt haben, besonders in Zeiten der Großen Koalition unbedingt auch weiterhin pflegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Etwas Applaus von der Opposition wäre jetzt gar nicht so schlecht gewesen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren, Mobilität und das Internet prägen weite Teile unseres Lebens. Morgens und abends nutzen Millionen von Pendlerinnen und Pendlern die Bahn und den ÖPNV, um von zu Hause zur Arbeit zu kommen. Tagsüber ist bei vielen das Arbeiten ohne schnellen Internetzugang nur noch schwer möglich. Deutschland hat als starke Wirtschaftsnation im Verkehrssektor und auch bei der digitalen Infrastruktur bereits viel erreicht, und doch reicht das noch nicht aus. Zu Recht ärgern sich die Passagiere darüber, wenn die Deutsche Bahn unpünktlich und der nächste Anschluss einfach weg ist. Zu Recht kritisieren die Autofahrer, dass sie im Stau stehen und sich nach dem Winter große Schlaglöcher auftun. Zu Recht regt es die Bürgerinnen und Bürger auf, wenn sie das Gefühl haben, dass das Geld an der falschen Stelle in die Verkehrswege investiert wird. Zu Recht fühlen sich Anwohner vom Lärm lauter Güterwagen belästigt und fordern, dass sie nachts endlich wieder ordentlich schlafen können. (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) Zu Recht sind wir alle genervt, wenn wir vor dem Computer sitzen, die Datenübertragung im Internet zur Schnecke wird und der Tatort am Ende an der spannendsten Stelle auch noch stoppt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wählerinnen und Wähler haben am 22. September 2013 entschieden und uns alle damit beauftragt, diese Probleme zu lösen. SPD, CDU und CSU haben diesen Wählerauftrag auch angenommen. Die Koalitionsparteien haben in langen und auch harten Verhandlungen um gemeinsame Lösungen gerungen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat lange gedauert! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu lange!) Ich finde, mit dem Koalitionsvertrag haben wir ein Arbeitsprogramm für die nächsten vier Jahre, dessen Umsetzung die Mobilität und auch den Zugang zum Internet verbessern wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Pendlerinnen und Pendler können sich darauf verlassen, dass wir die Deutsche Bahn als Eigentümer in Zukunft besser steuern werden. Dazu werden wir ein neues Steuerungskonzept des Bundes für die Deutsche Bahn AG erarbeiten und, Frau Leidig, auch dafür sorgen, dass die Gewinne, die im Bereich der Infrastruktur erwirtschaftet werden, am Ende natürlich auch dort wieder reinvestiert werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das wäre ja mal etwas Neues!) Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit müssen wieder zum Markenzeichen der Deutschen Bahn werden. Ich finde, dazu gehört auch – auch das steht im Koalitionsvertrag –, dass die Boni des Bahnvorstandes in Zukunft zum Beispiel stärker an das Erreichen dieser Ziele gebunden sind. (Beifall bei der SPD) Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler können darauf vertrauen, dass wir ihre Steuergelder und auch Mautzahlungen in Zukunft nur noch dort investieren, wo sie am Ende den höchsten Nutzen für das gesamte Verkehrsnetz haben. Die Koalitionsfraktionen haben vereinbart, dass in Zukunft 80 Prozent der Investitionsmittel in den Neu- und Ausbau von Projekten investiert werden, die von überregionaler und nationaler Bedeutung sind. Das Bauen ausschließlich nach Himmelsrichtung gehört damit der Vergangenheit an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Autofahrerinnen und Autofahrer können sicher sein, dass wir mehr in bröckelnde Brücken und löchrige Straßen investieren werden. Wir haben ganz klar gesagt: Erhalt wird vor Ausbau gehen. (Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher soll das Geld kommen?) Wir werden die Nutzerinnen und Nutzer, die die Straßen am meisten beanspruchen, stärker an der Finanzierung des Erhalts der Straßen beteiligen. CDU/CSU und SPD haben miteinander fest vereinbart, dass die Lkw-Maut in dieser Legislaturperiode auf alle außerörtlichen Bundesfernstraßen ausgedehnt wird, und die zusätzlichen Einnahmen sollen eins zu eins in die Infrastruktur investiert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich persönlich denke, Herr Dobrinth, dass wir schnell zu grundsätzlichen Entscheidungen kommen müssen, mit welchen Partnern wir die Ausdehnung der Lkw-Maut bis zum Ende dieser Legislaturperiode wirklich umsetzen können. Die Bevölkerung an den Hauptbahnstrecken kann darauf vertrauen, dass wir alles dafür tun werden, dass ab dem Jahr 2020 keine lauten Güterwagen mehr durch Deutschland fahren; denn auch dies ist eine klare Vereinbarung der Koalitionsfraktionen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bereits in zwei Jahren werden wir schauen, wie viele laute Güterwagen bis dahin umgerüstet sind. Wir haben vereinbart, dass wir dann, wenn bis dahin nicht mindestens die Hälfte der Wagen mit neuen leisen Bremsen ausgerüstet ist, in dieser Legislaturperiode darüber diskutieren, aber auch entscheiden müssen, ob wir zum Beispiel in Deutschland ein Nachtfahrverbot für lärmende Güterwagen verhängen. (Beifall bei der SPD) Die Gesellschaft in unserem Land kann darauf bauen, dass wir die digitale Spaltung zwischen Stadt und Land nicht auf sich beruhen lassen werden. Wir wollen ein Internet für alle. Die Koalitionsfraktionen werden alles dafür tun, dass die Breitbandversorgung in unserem Lande besser wird. Ich glaube, wir alle haben uns dort ambitionierte Ziele gesetzt. Zum Schluss. Aus den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages müssen jetzt konkrete Projekte werden. Ich finde, wir alle haben genug miteinander verhandelt, miteinander gerungen, teilweise auch miteinander geredet. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wollen jetzt Taten sehen. Deswegen freue ich mich darauf, wenn wir uns jetzt alle gemeinsam an die Arbeit machen. Los geht’s! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Koalition – das hat die Rede des neuen Verkehrsministers eindrucksvoll bestätigt – verweigert sich den zentralen verkehrspolitischen Herausforderungen. Sie haben gesagt, Sie wollen Ökonomie und Ökologie zusammenbringen. Das Thema Energiewende im Verkehr und Verringerung der hohen Erdölabhängigkeit des Verkehrssektors kommt im Koalitionsvertrag praktisch nicht vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es werden keine übergeordneten Ziele für die Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor genannt. Die Große Koalition versteht Verkehrspolitik fast ausschließlich als Instrument der Wirtschaftspolitik. Die Begriffe „Klimaschutz“ und „Nachhaltigkeit“ tauchen noch nicht einmal im Prosateil des Koalitionsvertrages auf. Ich habe sie auch in Ihrer Rede nicht gehört. Wer Klimaschutz im Verkehrsbereich nicht als die zentrale Gestaltungsaufgabe begreift, wird den Herausforderungen nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sich zu dem Ziel zu bekennen, bis 2020 die Zahl von 1 Million batterieelektrischen Fahrzeugen zu erreichen, reicht nicht und hat die gleiche Qualität wie der Satz im Koalitionsvertrag: Wir bekennen uns zum Bau des Berliner Hauptstadtflughafens. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Bau, nicht zur Fertigstellung!) Ich komme zu Ihrem Vorschlag, Herr Dobrindt, dass Elektroautos in den Städten die Busspuren zustellen dürfen. Gerade die öffentlichen Verkehrsmittel sind die Problemlöser bei der Energiewende. Sollen sie jetzt auch noch ausgebremst werden? (Gustav Herzog [SPD]: Sie sollen die Busspuren nutzen, nicht zuparken!) Welchen Stellenwert der Umweltverbund in der Großen Koalition hat, wird schon daran erkenntlich, dass der Führerscheinentzug als Alternative zu Freiheitsstrafen eingeführt werden soll. Ich übersetze das einmal: Bus- und Bahnfahren, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen wird zur allgemeinen Strafe erklärt. Kein Wunder also, dass im Koalitionsvertrag die soziale Dimension von Mobilität, nämlich die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen durch bezahlbare Mobilität in Stadt und Land zu sichern, maximal ein Randthema ist. Verbraucherschutz findet man im Koalitionsvertrag auch nicht. Ich habe lange etwas zu dem Thema Fahrgastrechte gesucht, aber nichts gefunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit der Diskussion um eine Pkw-Maut für Ausländer lenken Sie geschickt von den eigentlichen Problemen bei der Infrastrukturfinanzierung ab. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So ist es!) Während das Wunschprojekt der bayerischen Regionalpartei im Koalitionsvertrag verankert wurde, wird der von der Bodewig-Kommission ausgewiesene Sanierungsbedarf bei der Infrastruktur in Höhe von jährlich 7 Milliarden Euro zusätzlich für alle Verkehrsträger in Bund, Ländern und Gemeinden mit keiner Silbe erwähnt. Selbst wenn dem Berliner Statthalter von Horst Seehofer die Quadratur des Kreises gelingt, nämlich eine Vignette für im Ausland zugelassene Fahrzeuge, europarechtskonform und ohne Mehrbelastung für deutsche Fahrzeughalter, löst sie in keiner Weise den Sanierungsstau bei Straßen, Schienen und Brücken auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider schließt sich Schwarz-Rot nicht dem sinnvollen Vorschlag der Bodewig-Kommission an, einen Fonds mit jährlich 2,7 Milliarden Euro für die nachholende Sanierung aufzulegen. Über die gesamte Legislaturperiode von vier Jahren wäre also der Bedarf für die Bundesinfrastruktur für nachholende Sanierung etwa 10,8 Milliarden Euro. Das wäre mehr als doppelt so viel wie das, was derzeit eingestellt werden soll, nämlich 5 Milliarden Euro in vier Jahren. Nach Ihrer Rede, Herr Minister, hat man den Eindruck, Sie wollen uns weismachen, mit Ihren Digitalisierungsplänen könnte man die Schlaglöcher in den Straßen stopfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, das funktioniert nicht. Sie wollen Minister für virtuelle Realitäten werden. Den Zahn werden wir Ihnen ziehen. Wie passt es, dass Sie jetzt auf Datenautobahnen statt Autobahnen setzen, damit zusammen, dass ausgerechnet Ihr Heimatbundesland Bayern für den neuen Bundesverkehrswegeplan Straßenprojekte mit einem Volumen von 16 Milliarden Euro – also genug Projekte für die nächsten 150 Jahre – eingereicht hat? (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?) Wie ernst meinen Sie es mit der Festlegung im Koalitionsvertrag zum neuen Bundesverkehrswegeplan, wonach 80 Prozent der Mittel für Neu- und Ausbau in den Vordringlichen Bedarf Plus, also in das Kernnetz, fließen sollen? (Gustav Herzog [SPD]: Ganz einfach! Wir machen den Plan, nicht die Bayern!) Nur dass wir uns richtig verstehen: Die Abkürzung BVWP steht nicht für „Bayerischer Verkehrswegeplan“, sondern für Bundesverkehrswegeplan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan ist das Bekenntnis zum Deutschland-Takt lobend hervorzuheben. Ebenso ist es zu begrüßen, dass Sie sich jetzt den Zustand des Schienennetzes und damit den zweckgerechten Einsatz der Bundesmittel für den Erhalt genauer ansehen wollen. Aber das ist leider nicht ausreichend. Wir brauchen bei der Überprüfung des bestehenden Bahnnetzes endlich strecken- und stationsgenaue überprüfbare Qualitätsmerkmale statt nichtaussagekräftiger Durchschnittswerte. Sie können die Testfahrzeuge noch so viele Kilometer weit durch die Lande schicken: Wenn wir keine Qualitätsparameter festgelegt haben, werden wir den Zustand nicht genau ermitteln können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genug gelobt; denn beim Nahverkehr auf der Schiene sieht es ganz anders aus. Es gibt keine klaren Aussagen zur Erhöhung der Regionalisierungsmittel. Die Zukunft der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs wird an eine Bund-Länder-Kommission delegiert, die vielleicht irgendwann am Ende der Legislaturperiode Ergebnisse bringt. So schaffen Sie keine langfristige Planungssicherheit für Kommunen, kommunale Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger. Eine Offensive für den öffentlichen Verkehr sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Interessant ist, dass die Große Koalition beim Schienenlärm sogar mit Nachtfahrverboten droht; beim Luftverkehr darf es aber weiter laut bleiben. Auffällig unkonkret sind hier die Forderungen. Es gibt Appelle an die Luftfahrtbranche, sie möge doch schneller leiseres Fluggerät einführen, und es sollten auch ein bisschen mehr lärmreduzierende Flugverfahren eingesetzt werden. Meine Damen und Herren, das sind Textbausteine, die Sie eins zu eins von der Luftverkehrslobby abgeschrieben haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Niemand streitet die wirtschaftliche und verkehrliche Bedeutung der Luftverkehrsinfrastruktur ab, auch wir nicht. Aber das darf nicht dazu führen, dass die Gesundheit der von Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bürger eine untergeordnete Rolle spielt. Genau das sehen wir aber in Ihrem Koalitionsvertrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein nationales Luftverkehrskonzept, das wir richtig und notwendig finden, muss deshalb dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm eine zentrale Bedeutung beimessen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen auf die Menschen zugehen!) Wir erwarten, Herr Dobrindt, dass Sie sich nicht nur um Ihre Pkw-Maut für Ausländer kümmern, sondern im nächsten halben Jahr endlich eine politische Agenda für ein solches nationales Luftverkehrskonzept vorlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Aus dem vorgelegten Koalitionsvertrag und Ihren heutigen Verlautbarungen kann ich nur das Fazit ziehen: Der kleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition reicht nicht aus, um die verkehrspolitischen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Oder anders ausgedrückt – um mit den Worten des ehemaligen Vorsitzenden des Verkehrsausschusses zu sprechen –: Je größer die Mehrheit, desto kleiner der Anspruch. – Ich befürchte, dass wir vier verlorene Jahre in der Verkehrspolitik vor uns haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kühn, diese Große Koalition ist eine Koalition (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Löcher!) für Infrastruktur und – das ist mir aufgefallen, als ich Ihnen zugehört habe – gegen die Verweigerungshaltung der Grünen, die in den letzten Jahren im Verkehrsausschuss immer wieder zu spüren war. Darauf werde ich beim Bundesverkehrswegeplan noch explizit zu sprechen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden in den nächsten vier Jahren Straßen bauen. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie sanieren!) Wir werden in den nächsten vier Jahren das Schienennetz ausbauen und sanieren. Wir werden die Übertragungsnetze ausbauen und so einen weiteren Schritt hin zu mehr Informationsgerechtigkeit gehen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Schiene vergessen Sie!) Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unserem neuen Verkehrsminister Alexander Dobrindt und den Parlamentarischen Staatssekretären. Deshalb sind wir auch bereit, lieber Herr Minister, Ihren Wunsch, nach zwölf Jahren endlich länger sprechen zu dürfen, zu erfüllen. Wir kürzen einfach unsere gesamte Redezeit um ein paar Minuten. Die Koalition hat ein schlüssiges und realistisches Programm auch und gerade beim Bundesverkehrswegeplan, lieber Kollege Kühn. Unser nationales Prioritätenkonzept wird sich als schlüssig und überzeugend erweisen. Da Sie argumentieren, dass nun zu viele Projekte angemeldet sind: Die Bürgerinnen und Bürger insbesondere in Baden-Württemberg warten – das sage ich ganz bewusst als jemand aus dem bayerischen Grenzland – auf ihre Ortsumgehungen und die damit verbundenen Entlastungen. Wenn Sie über Lärm sprechen, dann dürfen Sie den Autolärm nicht vergessen. Um diesen zu reduzieren, brauchen wir Ortsumfahrungen und einen Bundesverkehrswegeplan. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden in den nächsten vier Jahren 5 Milliarden Euro mehr in die Infrastruktur stecken können. Das ist ein Baustein – wenn auch kein ganz kleiner –, um der zugegebenermaßen nicht gerade üppigen Ausstattung in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung etwas nachzuhelfen. Der Ausbau der Nutzerfinanzierung ist ein anderer, ebenso wichtiger Baustein. Dazu gehört die Lkw-Maut genauso wie die Pkw-Maut für Nichtdeutsche, liebe Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners. Wir werden die Begeisterung, die vorhin noch etwas zurückhaltend geäußert wurde, in stürmischen Applaus umwandeln, wenn der entsprechende Gesetzentwurf vorliegt und beraten wird; darin sind wir uns sicher. (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lach mich tot!) Wir werden die Kommunen und die Länder nicht alleine lassen – darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt –, wenn es um die Regionalisierungs- und die Entflechtungsmittel geht. Ich glaube, dass wir in einem guten Dialog mit den Ländern hier zu vernünftigen Lösungen kommen werden. Das angekündigte Elektromobilitätsgesetz wird – davon sind wir überzeugt – den notwendigen kräftigen Schub dafür geben, dass wir hier die Schritte vorankommen, die wir uns für diese Legislaturperiode vorgenommen haben. Der Schienenverkehr muss langfristig sicher finanziert sein. Eine neuer Vertrag, eine neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die Ersatzinvestitionen, aber auch – ich sage das so offen – bessere Planungsreserven bei der Bahn gehören dazu. Es gehört auch dazu, dass die Bahn notwendige Eigenmittel aufbaut und diese Eigenmittel wieder in die Infrastruktur investiert werden. Ich glaube, dass die Schritte, die der Minister angekündigt hat, die richtigen sind. Wir stehen zum integrierten Konzern DB, wir stehen aber genauso dazu, dass Regulierung und Wettbewerb im Schienenverkehr unbedingt notwendig sein müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Thema Verkehrslärm, lieber Kollege Kühn, nehmen wir sehr ernst. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, hoffentlich!) Wir nehmen den Lärm ernst beim Schienenverkehr, (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch beim Flugverkehr?) – beim Flugverkehr natürlich auch –, aber auch beim Straßenverkehr. Dabei verweise ich wieder auf die Ortsumfahrungen. Dass wir dafür sorgen müssen, dass der Luftverkehr in Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, haben wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen. Wir können es uns also nicht leisten, unsere Flughäfen von gewissen Nachtflügen freizuhalten. Ich sage das ganz offen; denn auch das ist ein Teil der Wahrheit. Mögen Sie nicht so tun, als ob es bei Ihnen anders ginge. Das Maritime Bündnis ist fortzusetzen. Ich will hier nur die wichtigsten Stichworte nennen: nationales Hafenkonzept und Schifffahrtsförderung. Ich bin mir sicher, dass wir auch in diesen Punkten ein gutes Stück vorankommen können. Die digitale Infrastruktur – dazu hat der Minister wirklich gut und ausführlich Stellung genommen – ist wichtig. Sie ist wichtig für das ganze Land, insbesondere für die ländlichen Regionen; denn diese Infrastruktur heißt Arbeitsplätze, diese Infrastruktur heißt Teilhabe an der neuen digitalen Welt. Hier werden wir ganz besonders auf die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland hinarbeiten müssen. (Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Lange. Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich bin froh, dass die mir gekürzte Redezeit jetzt doch wieder verlängert wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam machen. Der Kollege Janecek hätte gern das Wort zu einer Frage oder Bemerkung. Ulrich Lange (CDU/CSU): Jetzt haben Sie schon so wenig Redezeit und verlängern unsere auch noch. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es war mein Anliegen, Herr Kollege Lange, dass Sie mehr Zeit erhalten. Ich stelle Ihnen folgende Frage. Ich bin aus Bayern Ankündigungen gewohnt, auch von Minister Dobrindt. Er spricht von Champions League, Weltmeister, Netzallianz und sagt Asien und den USA den Kampf an. Wie bringen Sie denn das mit der Tatsache zusammen, dass Sie es nicht geschafft haben, in Ihrem Koalitionsvertrag Ihre Breitbandstrategie mit einem Finanzkonzept zu versehen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ulrich Lange (CDU/CSU): Lieber Kollege Janecek, ich glaube, dass wir die entsprechenden Mittel und die entsprechenden Strategien in den nächsten vier Jahren auflegen können. Der Koalitionsvertrag ist ein Arbeitsvertrag und kein Finanzierungskonzept. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie es mal gesagt haben!) Deshalb werden wir diesen Koalitionsvertrag umsetzen können. Seien Sie beruhigt. Ich kann nur wie die Kanzlerin vorgestern im Zusammenhang mit der Maut sagen: Warten Sie es ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden hier die richtigen Anreize – auf die kommt es ganz wesentlich an – setzen, um auch privates Kapital zum Einsatz bringen zu können. Die vorgeschlagene Netzallianz ist insoweit ein ganz wichtiger Baustein. Die Branche hat eine Menge Innovationspotenzial. Ich bin mir sicher: Wir können und werden es heben. Wir haben einen guten und überzeugenden Fahrplan. Diese Koalition arbeitet zusammen mit unserem Minister für Mobilität und Modernität. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir auf einmal ein neues Ministerium, nämlich das für Mobilität und Modernität. Bis gestern war es noch das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Es ist aber nicht die Frage des Labels, unter dem wir arbeiten – um diesen Begriff einmal zu verwenden –, sondern es kommt darauf an, wie viel Substanz in den Vorschlägen steckt, die Sie als Minister uns vorlegen wollen. Kritische Anmerkungen haben Sie eben schon gehört. Ich will meinen Beitrag kurz mit einem positiven Beispiel beginnen, damit klar wird, wie wir uns digitale Infrastruktur vorstellen. In der Integrierten Gesamtschule in meinem Heimatort Osterholz-Scharmbeck tauschen sich Schülerinnen und Schüler in Videokonferenzen in englischer Sprache mit ihren Mitschülern aus Finnland aus. Sie arbeiten an gemeinsamen Projekten und lösen zusammen ihre Schulaufgaben. Das alles ist nur durch das Internet möglich. Damit das kein Einzelbeispiel bleibt, brauchen wir flächendeckend eine digitale Infrastruktur auf dem neuesten Stand der Technik. Die Linke will deshalb schnelles Internet für alle, ob Jung oder Alt, ob in der Stadt oder auf dem Land. (Beifall bei der LINKEN) Die neue Bundesregierung befasst sich mit diesem Thema jetzt in gleich fünf Ministerien; aber egal, bleiben wir erst einmal beim Ministerium – ich nenne es einfach noch einmal so – für Verkehr und digitale Infrastruktur. In der Koalitionsvereinbarung heißt es: Für ein modernes Industrieland ist der flächendeckende Breitbandausbau eine Schlüsselaufgabe. So weit, so gut. Aber ein Bekenntnis reicht nicht aus – in einigen Diskussionsbeiträgen ist das schon angemerkt worden –, die Bundesregierung muss auch Geld in die Hand nehmen. Es soll ein Sonderfinanzierungsprogramm „Premiumförderung Netzausbau“ geben und außerdem ein Breitbandbürgerfonds eingerichtet werden. Beides ist hilfreich, aber es wird nicht reichen, um die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Der TÜV Rheinland hat nachgerechnet und kommt auf Kosten von 20 Milliarden Euro für einen flächendeckenden Breitbandausbau. Für Glasfaserversorgung wird mit 80 Milliarden Euro gerechnet. Zusätzlich muss in die Datensicherheit investiert werden, um Industriespionage und das Ausforschen der Privatsphäre zu verhindern. Der Minister muss sagen, wie er das umsetzen will, und er muss erklären, wie er die Übertragungsrate von 50 Megabit pro Sekunde erreichen will. Appelle an Investoren, doch bitte schön Milliarden in den Breitbandausbau zu investieren, reichen nicht. (Beifall bei der LINKEN) Datenverbindungen sind schneller geworden – keine Frage –, doch die Datenmengen steigen schneller als die Bandbreiten. Noch vor zwei Jahren galten 2 Megabit als ordentliche Grundversorgung. Das war gestern. Heute ist in den Niederlanden ein Netzbetreiber dabei, ein flächendeckendes Glasfasernetz bis zum Hausanschluss aufzubauen. In Zürich sind Leistungen von 300 Megabit lieferbar. Wer sich mit Korea vergleicht, Herr Dobrindt, der muss wissen, dass dort an einem Netz gearbeitet wird, über das innerhalb einer Sekunde 800 Megabyte Daten geschickt werden können. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Nord- oder Südkorea? – Gegenruf des Abg. Gero Storjohann [CDU/CSU]: Sonst nehmen sie immer Nordkorea!) 800 Megabyte! Das muss man sich auf jeden Fall auf der Zunge zergehen lassen. Sie sprechen von einer Aufholjagd, um Deutschland an die Weltspitze des digitalen Fortschritts zu führen. Eine solche Aufholjagd sieht anders aus. Sie bleiben weit dahinter zurück. Nur Glasfasertechnik bringt die nötigen Geschwindigkeiten. Deshalb fordert die Linke eine klare Weichenstellung für den Glasfaserausbau. (Beifall bei der LINKEN) Herr Dobrindt, genauso wenig, wie Sie zur Finanzierung Stellung nehmen, sagen Sie konkret etwas dazu, wie den Menschen in Stadt und Land, in Ost und West gleicher Zugang zum schnellen oder, in Ihren Maßstäben, zu etwas schnellerem Internet – das ist das, was Sie vorhaben – garantiert werden soll. Tausende Mittelständler und Selbstständige warten im ländlichen Raum darauf, über schnelles Internet zu verfügen. Ihre geschäftliche Existenz hängt davon ab. Ihnen helfen keine Ankündigungen. Sie brauchen Entscheidungen. Ein zweites Thema zum Schluss: die unsinnige Pkw-Maut, auch „Ausländer-Maut“ genannt. Da blickt doch inzwischen keiner mehr durch. Jahresgebühr oder doch Wochen- oder Monatsvignette? Ökorabatt oder Steuersenkung? 2014 oder doch erst 2016? Wenn es nicht so ernst wäre, dann wäre es eigentlich eine Lachnummer. Herr Dobrindt, die Pkw-Maut ist für Sie in Ihrem Amt ein klassischer Fehlstart. Packen Sie die Pläne zusammen und in die unterste Schublade, wo sie hingehören! Wenn Sie nicht mehr auf den ADAC hören können, dann hören Sie auf Ihren Koalitionspartner SPD. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Gottfried Daimler hat einmal festgestellt: Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren. (Heiterkeit) Wenn es so gekommen wäre, benötigten wir heute deutlich weniger Finanzmittel für die Instandhaltung unserer deutschen Infrastruktur. Deutschland würde aber auch anders aussehen. Persönliche Freiheiten, Möglichkeiten und Entwicklungschancen für die Menschen in unserem Lande wären andere, es wären schlechtere. Gottlieb Daimler scheint mit seiner Einschätzung, dass der Mangel an verfügbaren Chauffeuren ein Problem darstellt, schon recht zu haben, wenn man sich die Logistikbranche in Deutschland anschaut. Darum hat sich die Bundesregierung in dem Koalitionsvertrag dieses Themas angenommen. Was allerdings die Zahl der Kfz betrifft, war die Prognose von Gottlieb Daimler falsch. Wir hatten im letzten Jahr in Deutschland knapp 59 Millionen Kraftfahrzeuge, davon allein 43,5 Millionen Pkw. Weil das so ist, stehen wir vor deutlichen Herausforderungen in der Verkehrspolitik. Die zentralen Themen, die unsere Gesellschaft bewegen und die unser politisches Handeln bestimmen, sind, Kollege Kühn, die Energiewende, der Klimaschutz, die demografische Entwicklung und die Daseinsvorsorge. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn im Koalitionsvertrag?) Bei all diesen Themen kann eine richtige – oder eine falsche – Verkehrspolitik viel bewirken. Es ist also unsere Aufgabe, Verkehr nicht nur beschränkt auf einzelne Verkehrsträger wie Straße, Schiene, Wasserstraße und Luft zu denken, sondern wir müssen berücksichtigen, dass weder die Menschen noch die Güter, die wir täglich transportieren, von Tür zu Tür nur mit einem Verkehrsmittel unterwegs sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Um hier für alle eine bezahlbare, sichere und klimafreundliche Mobilität zu ermöglichen, müssen jetzt die Weichen richtig gestellt werden. Diese Bundesregierung hat dazu im Koalitionsvertrag die entscheidenden Themenfelder angesprochen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum Beispiel zu der Frage: Was ist zu tun, damit der Verkehrssektor einen deutlichen Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz leistet? Wir lesen dazu im Koalitionsvertrag: Die von uns geförderte Mobilitätsforschung wird zukünftig verstärkt die gesamte Breite von Mobilitätsangeboten auch unter gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Aspekten in den Blick nehmen. Etwas weiter heißt es: Wir setzen zudem auf die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik für eine vernetzte, sichere und effiziente Mobilität. Infrastruktur und Mobilität müssen neu gedacht werden, um größtmöglichen Schutz der Menschen, des Klimas und einen schonenden Umgang mit Ressourcen zu erreichen. Dazu sind in den verschiedenen Bereichen Systemvorteile zu nutzen. Die sogenannte Intermodalität, das heißt die Verknüpfung der unterschiedlichen Transportmittel, ist unsere zentrale Aufgabe. Mehr Güterverkehr auf die Wasserstraße und die Schiene – auch das ist eine Verabredung der neuen Bundesregierung, und zwar eine gute. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Und eine klimafreundliche, liebe Freunde von den Grünen!) Wir wissen aber auch, dass dies Grenzen hat. Die Kapazität der Schiene reicht derzeit nicht aus, um den gesamten prognostizierten Zuwachs an Güterverkehren aufzunehmen. Der Kapazitätsausbau ist nicht nur an finanzielle Grenzen gestoßen, auch die deutliche Verringerung der Belastung der Anwohner durch Schienenlärm wird für uns eine genauso zentrale Rolle bei den Ausbaumaßnahmen spielen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei den Bestandsstrecken?) Ein wichtiges Thema, das ich schon in der letzten Legislatur gerne bearbeitet habe, ist, die Bedingungen auf den Straßen zu verändern, um den Transport von Menschen und Gütern zu verbessern. Dazu bedarf es eines verstärkten Telematikeinsatzes und eines Ausbaus von Verkehrssteuerungsanlagen. Auch dazu haben wir uns verabredet; denn unser Ziel ist es, die Mobilität der Menschen und die Intermodalität als Gradmesser für Modernität zu berücksichtigen. Abgestimmte Fahrpläne beim Schienennah- und -fernverkehr, gute Anschlussangebote beim öffentlichen Personennahverkehr, Rufbusse, Carsharing sowie Mietmöglichkeiten von Fahrrädern und Pedelecs werden es möglich machen, ohne Verlust von Lebensqualität vermehrt auf einen eigenen Pkw zu verzichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sehen wir doch schon in den Großstädten. Aber unsere Herausforderung ist es, dieses Angebot auch und besonders in den ländlichen Räumen, in den strukturschwachen Regionen, wo ältere Menschen und Menschen mit weniger finanziellen Mitteln genau auf diese neuen Konzepte angewiesen sind, durchzusetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Wunderbar! Genau richtig!) Das ist übrigens auch eine Verpflichtung, die uns das Grundgesetz auferlegt. Dort steht nämlich, dass wir dafür zu sorgen haben, dass in Deutschland gleichwertige Lebensbedingungen bestehen. Zu dieser Verpflichtung steht diese Bundesregierung. Sie hat sehr viele Konzepte vorgelegt. Wir werden unser Augenmerk noch stärker auf umweltfreundliche Fahrzeuge legen. Die Koalition hat sich verpflichtet, die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie weiterzuentwickeln und die Forschung zu intensivieren. Zusammen mit den Kommunen müssen Privilegierungen von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben im Straßenverkehr diskutiert werden. Wichtig dabei ist jedoch, dass dies nicht zu einem Nutzungskonflikt mit dem öffentlichen Personennahverkehr führt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Lietz [CDU/CSU]) Ein Anreizsystem in Form von Prämien beim Kauf, zum Beispiel von Elektrofahrzeugen, halten wir für nicht erforderlich. Sinnvoller sind die schon umgesetzten zeitweise geltenden Steuerbefreiungen für diese Fahrzeuge oder auch die Energiesteuerermäßigung für klimaschonendes Autogas und Erdgas. Wir haben vereinbart, diese Steuerbefreiung über das Jahr 2018 hinaus fortzuführen. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) – Danke schön. (Heiterkeit) Unser immer besser ausgebautes Verkehrsnetz wird aber in Teilen auch zu einer Belastung. Was die Menschen in unserem Lande in diesem Zusammenhang am meisten beeinträchtigt, ist der Verkehrslärm. (Gustav Herzog [SPD]: Ja!) Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Bürger und Bürgerinnen nicht länger bereit sind, größere Lärmbelästigungen hinzunehmen, und dass die Bürgerinitiativen zu diesen Themen immer stärker werden. Dem hat diese Regierung in doppelter Hinsicht Rechnung getragen, und zwar zum einen mit mehr Lärmschutz und zum anderen mit mehr Bürgerbeteiligung. Die Mittel für die Lärmschutzprogramme im Bereich Straße und Schiene werden erhöht, und somit wird der Lärmschutz für die Anwohnenden deutlich verbessert. Dabei – das ist jetzt neu – soll die Gesamtlärmbelästigung an Bundesfernstraßen und Bundesschienenwegen Grundlage der Bemessung sein. Grundlage dafür soll also nicht mehr wie bisher die Einzelmessung des jeweils einzelnen Verkehrsträgers sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Ein sehr guter Bürgerschutz!) Bei all dem sind aber die Interessen der Güterverkehrsbranche und somit auch die Interessen aller Konsumenten und Konsumentinnen, die die Waren, die dort transportiert werden, letztendlich kaufen und nutzen wollen, nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist eine Herausforderung für uns, und wir werden sie meistern. Hierbei erteilen wir Extrempositionen, wie wir sie teilweise hörten, zum Beispiel, dass Betriebszeiten von Flughäfen allein an wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu orientieren sind, aber auch einem generellen Nachtflugverbot für Deutschland eine deutliche Absage. Jedoch: Wenn man diesen Koalitionsvertrag genau liest, Kollege Kühn, sieht man, dass darin auch steht, dass wir vereinbart haben, die Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzes zu überprüfen. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, die Überprüfung hat auch Ergebnisse!) Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte zum Schluss ganz ausdrücklich meinem ehemaligen stellvertretenden Parteivorsitzenden Helmut Schmidt widersprechen, der gesagt hat: Wer Visionen hat, soll zum Psychiater gehen. – Ich sage: Wer Visionen hat, sollte Infrastrukturpolitik betreiben, am besten mit dieser Bundesregierung. Ich freue mich auf die nächsten vier Jahre. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Tabea Rößner das Wort. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundesminister Dobrindt, bis 2018 wollen Sie, so steht es im Koalitionsvertrag, Deutschland flächendeckend mit Breitbandgeschwindigkeiten von bis zu 50 Megabit pro Sekunde versorgen. Das ist mal eine Ansage! Sie ist aber auch nicht neu. Kanzlerin Merkel hat schon vor einigen Jahren versprochen, dass 75 Prozent aller Haushalte Highspeed-Internet bekämen – bis 2014. Jetzt haben wir 2014 und sehen: Verheißungen helfen nicht weiter – das Internet sollte schon gar keine sein und bleiben –, man muss auch etwas dafür tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nein, das ist noch Neuland!) Eigentlich mag ich ja Menschen mit Visionen. Ich habe auch eine, nämlich dass die Menschen rund um Peißenberg einen schnellen Anschluss bekommen. Der Breitbandatlas zeigt, dass die weißen Flecken bei Ihnen, Herr Minister Dobrindt, direkt vor der Haustür anfangen. Rund um den Sitz Ihres Wahlkreisbüros ist derzeit maximal 1 Megabit pro Sekunde möglich. Bis da eine Mail bei einem Wahlkreisabgeordneten ankommt, hat man sie schneller persönlich vorbeigebracht. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja Schnecken in Bayern! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ganz armselig!) Das sind nicht die einzigen weißen Flecken. Auch bei Staatssekretärin Doro Bär – schade, dass sie jetzt nicht mehr da ist – sieht es vor Ort nicht so rosig wie auf ihrer Homepage aus. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn sich die Wähler in Münnerstadt die Homepage von Doro Bär mit den vielen schönen bunten Fotos ansehen wollen, müssen sie richtig viel Geduld haben. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) So sieht es 2014 in vielen Regionen Deutschlands aus. Die Menschen in diesen Regionen hätten lieber heute als morgen schnelle Internetverbindungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen vor zwei gewaltigen Herausforderungen: Erstens: Wie stopfen wir die Löcher im Breitbandnetz möglichst schnell? Zweitens: Wie bauen wir mittel- und langfristig das Glasfasernetz aus? Das brauchen wir nämlich wirklich, wenn wir ein Hightechland sein wollen. Denn ohne gibt es kein Cloud-Computing, kein Smart Grid und auch keine intelligente Logistik. Gewaltige Aufgaben, die Sie da zu bewältigen haben! Bis ein Runder Tisch „Netzallianz“ Ergebnisse liefert, dauert es. Dabei warten wir jetzt ja schon seit Jahren darauf, dass sich die Lage insbesondere in den ländlichen Regionen deutlich verbessert. Die Grundversorgung hätten wir schnell und ohne zusätzliche Haushaltsmittel haben können, nämlich mit dem Universaldienst. (Martin Dörmann [SPD]: So geht es aber wirklich nicht!) Danach würde jeder Haushalt einen einigermaßen schnellen Internetanschluss kriegen, so wie jeder von der Post beliefert werden muss oder einen Telefonanschluss bekommt – und da ist es völlig egal, ob auf der Alm, auf der Hallig oder im Westerwald. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist ein Konzept, das bis zur Wahl übrigens auch von der SPD gefordert wurde. Nach den Koalitionsverhandlungen wollten Sie aber leider nichts mehr davon wissen. Hier, werte Kollegen von der SPD, haben Sie sich über den Tisch ziehen lassen. (Sören Bartol [SPD]: Ja, ja! Ist klar!) Bis 2018 ist es noch lange hin. Bis dahin gibt es ja bereits eine neue Bundesregierung. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) Wahrscheinlich müssen Sie sich für das Nichteinlösen dieser Versprechungen dann gar nicht mehr rechtfertigen. Das Ziel ist also nicht nur auf den ersten Blick mutig, es ist auch auf den zweiten vor allen Dingen bequem. Eines halte ich Ihnen aber zugute: Die neue Regierung hat immerhin verstanden, wie wichtig der Breitbandausbau ist. Das ist nicht nur eine Frage von Teilhabe, wie Minister Dobrindt betont, sondern auch eine Zukunftsinvestition. Flächendeckendes Breitband birgt für Deutschland auch enorme Wirtschaftskraft. Ein Anstieg der Breitbandversorgung um 10 Prozent kann laut EU-Kommission zu einem jährlichen BIP-Wachstum von 1 bis 1,5 Prozent führen. Breitbandverbindungen bewirken Innovationen in Unternehmen, sie fördern Beschäftigung und bieten das Potenzial, bis 2020 2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Ohne Ausbau läuft die Energiewende nur mit angezogener Handbremse. Wir könnten bis zu vier Kohlekraftwerke einsparen, hätten wir externe klimaneutrale Rechenzentren. Dafür brauchen die Unternehmen aber eben Breitbandverbindungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind leider wenig vielversprechend. Es gibt weder Geld noch ein Konzept und auch kein Anreizprogramm. Die ursprünglich geplante 1 Milliarde Euro für den Ausbau ist in den Koalitionsverhandlungen gestrichen worden. Was bleibt, sind bloße Ankündigungen. Aber die alleine machen noch keinen Breitband-Frühling. Die Einberufung eines Runden Tisches und Ihr Auftritt im Ausschuss hinterlassen einen engagierten Eindruck. Aber letztendlich kostet der Ausbau viel Geld, das die Regierung eben nicht bereitstellen will und von dem unklar ist, woher es kommen soll. Von Gesprächsrunden wird es nicht vom Himmel fallen. Irgendeiner wird die Zeche zahlen müssen. Die Frage bleibt nur: Wer? Herr Dobrindt, als Sie im Dezember letzten Jahres bei Ihrer Vereidigung hier vorne standen, konnte ich beobachten: Hier ist ein Mann, der es gar nicht erwarten kann, Minister zu werden. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Martin Dörmann [SPD]: Zwölf Jahre!) Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen zwischen Peißenberg und Runden Tischen die Puste nicht ausgeht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gero Storjohann (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Image macht man am Anfang. Deswegen bin ich dem neuen Verkehrsminister sehr dankbar, dass er hier seine Prioritäten auf den Tisch gelegt hat. Wir hatten vorher ein Ministerium, das auch mit Wohnungsbau zu tun hatte. Wir Mitglieder des Ausschusses hatten immer den Eindruck, dass der Wohnungsbau ein Anhängsel war und es in erster Linie um Verkehrspolitik ging. Alexander Dobrindt hat jetzt deutlich gemacht, dass digitale Infrastruktur sehr wichtig ist, dass er hier sehr viel Arbeitskraft einbringen wird und dass Verkehrspolitik und digitale Infrastruktur in diesem Ministerium gleichwertig behandelt werden sollen. Das ist die Botschaft. Wir als Ausschuss sollten uns dieser Aufgabe intensiv annehmen. Ich möchte etwas zu der Kritik von Frau Rößner sagen. Ich glaube, Sie waren von 2002 bis 2005 mit in der Regierung. Da hatten Sie die Möglichkeit, in die Zukunft zu schauen und zu erkennen, ob ein Breitbandnetz zur Daseinsvorsorge gehört. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon ganz schön lange her!) Sie haben das nicht in das Telekommunikationsgesetz geschrieben. – Es ist lange her, und wir brauchen lange Wege, um etwas umzusetzen. Wir haben es in der letzten Koalition auch nicht gemacht, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorletzte auch nicht!) auch vor dem Hintergrund, dass die finanziellen Mittel nicht da sind. Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Storjohann, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage des Kollegen von Notz? Gero Storjohann (CDU/CSU): Ja, gerne. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege, vielen Dank. – Herr Storjohann, wir kommen aus dem schönen Schleswig-Holstein. Auch da ist es mit dem Breitbandausbau ähnlich traurig bestellt wie in vielen Kreisen in Bayern. Sie haben auf Rot-Grün verwiesen. Ich sage: Das waren noch gute Zeiten. Es ist aber schon eine Weile her. Sie regieren nun schon seit acht Jahren. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast neun!) Seit acht Jahren regiert die CDU/CSU, und in dem Bereich ist nichts passiert. Jetzt kündigen Sie großartig wieder Dinge an – Breitbandausbau –, stellen dafür aber keinen Euro zur Verfügung. Was soll der Verweis auf rot-grüne Zeiten, wenn Sie heute nicht bereit sind, Geld dafür auszugeben? Wie können Sie den Vorwurf entkräften, dass dies alles Ankündigungspolitik und reiner Budenzauber ist und Sie am Ende doch wieder nicht liefern werden, wie in den letzten acht Jahren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gero Storjohann (CDU/CSU): Ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis, Herr von Notz. Ich sehe darin überhaupt kein Problem. Ich glaube, es wäre falsch, mit Geld den Infrastrukturausbau befördern zu wollen. Das möchte ich Ihnen auch gerne begründen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn sonst? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Moos nix los, Herr Storjohann!) – Lassen Sie es sich jetzt bitte erklären. Ich war gerade bei meiner Erklärung. In meinem Wahlkreis haben wir drei Anbieter – neben Telekom und Vodafone –, die den Breitbandausbau intensiv vorantreiben. In Norderstedt gibt es seit über zehn Jahren ein schnelles Internet, mit das schnellste in Deutschland. Der Kreis hat einen Zweckverband gegründet, um kleinen Kommunen mit 200 bis 400 Einwohnern Fiber-to-the-Home zu ermöglichen. Die ersten Dörfer sind angeschlossen, weitere kommen. Wir haben einen privaten Investor – die Deutsche Glasfaser, ein niederländisches Unternehmen –, der das jetzt auch macht. Das heißt, unser Kreis Segeberg wird in den nächsten drei Jahren versorgt sein. In Ihrer Region machen es die Stadtwerke. In Neumünster machen es die Stadtwerke. Die Dinge nehmen also zurzeit einen guten Lauf. Wenn jetzt plötzlich 1 Milliarde Euro als Fördermittel bereitgestellt würden, würde jede Kommune überlegen: Warten wir noch ein bisschen, ob wir das Fördergeld bekommen können! Wie sind die Ausschreibungsbedingungen? – Wir haben in den letzten drei Jahren erlebt, dass Fördermittel meistens nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und letztlich das ganze Vorhaben gefährden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit dem Konzept, das wir im Kreise Segeberg, aber auch bei Ihnen haben, einen großen Schritt vorankommen. Deswegen meine ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, grundsätzlich begrüße ich – um auf das andere Thema, das Thema Verkehr, zu sprechen zu kommen –, dass wir im Bundesverkehrswegeplan die Planung netzorientiert vornehmen. Wir werden also Lücken in unserem Verkehrsnetz schließen. Es geht auch darum, mit Mobilität unserem Land die Zukunft zu erhalten. Dabei handelt es sich einmal um die digitale Mobilität und zum Zweiten um die Infrastruktur. Wir müssen in unserem Bundesverkehrswegeplan über das nationale Prioritätenkonzept definieren, welche Vorhaben bedeutsam sind. Das wird eine spannende Diskussion, auch bei uns in den Ausschüssen. Es gibt unterschiedliche Interessen, die wir bündeln müssen. In diese Projekte werden zukünftig 80 Prozent der Mittel für den Neu- und Ausbau fließen. Welche Projekte werden das sein? Das sind die Seehafenhinterlandanbindungen, der Ausbau hochbelasteter Knoten, die Schließung wichtiger, überregional bedeutsamer Netzlücken sowie die Einbindung von Achsen, die schon in transeuropäischen, völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind. Als Beispiel für die Notwendigkeit des Ausbaus von Seehafenhinterlandanbindungen kann ich nur den Hamburger Hafen nennen, der eine wichtige Bedeutung für ganz Deutschland hat. Der Hamburger Hafen ist vom Funktionieren des Nord-Ostsee-Kanals abhängig. Vom Funktionieren des Nord-Ostsee-Kanals sind natürlich auch Warenströme nach Bayern und Baden-Württemberg betroffen. Es geht also um ein Gesamtkonzept. Ich bin froh, dass wir die Finanzierung der Maßnahmen bei den Brunsbütteler Schleusen sichergestellt haben. Weitere Maßnahmen sind erforderlich; (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie das mal!) ich setze mich dafür ein, dass wir das jetzt machen. Ich freue mich, Herr von Notz, dass Sie uns da unterstützen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, volle Kanne!) – Wunderbar! (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur Spatenstiche, sondern auch bauen! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Virtuelle Spatenstiche!) – Sie sind ja nur verärgert, dass Sie damals nicht dabei waren. Ich weiß, Sie wären gerne dabei gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bringt unser Land voran und ist auch Grundlage für unseren Wohlstand. Ich halte es für wichtig, dass wir uns im Koalitionsvertrag für ÖPP-Projekte starkmachen. Das ist eine Finanzierungsform, die es uns über die bisherige Haushaltsfinanzierung hinaus und über größere Zeiträume hinweg ermöglicht, Projekte auf den Weg zu bringen. Dafür gibt es gute Beispiele. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) Ich bin hoffnungsvoll, dass wir darüber neue Projekte anschieben können, zum Beispiel den Weiterbau der Küstenautobahn A 20, den Sie von den Grünen nicht wollen. Wir sehen durchaus Möglichkeiten, hier ein gutes Konzept auf den Weg zu bringen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Träumereien!) Was mich natürlich besonders interessiert, ist der Klimaschutz, insbesondere die Förderung des Fahrrads als umweltfreundliches Verkehrsmittel. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben den Nationalen Radverkehrsplan auf den Weg gebracht; er steht explizit im Koalitionsvertrag. Jetzt zu behaupten, das Fahrrad sei im Koalitionsvertrag nicht enthalten, finde ich nicht in Ordnung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das lässt sich Gero nicht sagen!) Im Bereich des Fahrradverkehrs werden wir viele Dinge auf den Weg bringen. Im Koalitionsvertrag steht explizit, dass wir die gesetzliche Grundlage dafür schaffen werden, an Bundeswasserstraßen mehr Fahrradwege zu bauen. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stellen Sie auch das Geld in den Haushalt ein!) – Sie haben unter Rot-Grün einmal 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und es nicht geschafft, dieses Geld auszugeben. Deswegen ist der Haushaltsansatz inzwischen auf 3 Millionen Euro gefallen. Wir haben nur 300 000 bis 600 000 Euro ausgeben können. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Mittel gekürzt!) Wir wollen da was machen. Das ist touristisch hochinteressant und fördert auch die Akzeptanz des Fahrrads im Alltag. Die jährlichen Verkaufszahlen bei Fahrrädern steigen. Die Zukunft des Pedelecs ist positiv einzuschätzen. Nicht alle Fahrräder werden zukünftig Pedelecs sein; aber die Pedelecs fördern den Fahrradverkehr gerade in den Regionen, in denen es nicht flach ist. Aber da der Wind dort, wo es flach ist, immer aus der falschen Richtung weht, sind Pedelecs eigentlich für ganz Deutschland interessant. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist nur in Schleswig-Holstein so!) – In Schleswig-Holstein kommt der Wind immer von vorne. Ihr glaubt gar nicht, wie viele kleine Hügel wir haben, bei denen es auch anstrengend sein kann. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr seid nicht so gut trainiert! Das ist alles!) Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema ist die Verkehrssicherheit. Darauf werden wir ebenfalls einen Schwerpunkt setzen. Wenn auch die Zahl der Verkehrstoten kontinuierlich zurückgegangen ist, bleibt es Aufgabe der Bundesregierung, hier weitere Fortschritte zu erzielen. Wir haben die Alkoholgrenze für Fahranfänger auf 0 Promille gesetzt. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie für alle machen!) Wir haben den Führerschein mit 17 auf den Weg gebracht. Hier gibt es weiteren Gesprächsbedarf. Wir wollen die Ausbildung der Fahranfänger verbessern, die Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer erhöhen, das begleitete Fahren optimieren und in der Fahranfängerausbildung ein Mehrphasenmodell entwickeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zum Abschluss komme ich zu einem Punkt, der nicht im Koalitionsvertrag steht. Wir werden auch über die Promillegrenze bei Fahrradfahrern sprechen müssen. 1,6 Promille erreichen wir ja nicht mal unter normalen Gegebenheiten. (Heiterkeit) Ich halte den Wert für zu hoch und werde mich gerne persönlich für eine Herabsetzung einsetzen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit unserem neuen Verkehrsminister. Wir sind hochmotiviert, uns auch in den Bereichen Fahrrad, Verkehrssicherheit und Infrastrukturausbau zu engagieren. Auf, an die Arbeit! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Martin Dörmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schnelles Internet in ganz Deutschland zu verwirklichen, ist ein zentrales Anliegen der Koalition. Wir wollen allen Menschen und Regionen die Teilhabe an den kommunikativen und wirtschaftlichen Chancen unserer Informationsgesellschaft ermöglichen. Eine digitale Spaltung unseres Landes dürfen wir nicht zulassen. Genau die droht aber. In größeren Städten erleben wir eine dynamische Entwicklung von Breitbandangeboten, angetrieben durch den Infrastrukturwettbewerb. Kabelunternehmen, die früher nur TV-Angebote unterbreitet haben, vermarkten heute mit modernster Technik Internetgeschwindigkeiten von 100 Megabit und mehr pro Sekunde. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und im ländlichen Raum?) Die Telekommunikationsunternehmen sind gezwungen, nachzuziehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. So baut die Deutsche Telekom beispielsweise ihre VDSL-Leitung mit moderner VDSL-Technik aus, um hohe Bandbreiten zu realisieren. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist doch inzwischen alte Technik!) Ergebnis des beschriebenen Infrastrukturwettbewerbs wird sein, dass bald zwei Drittel der deutschen Haushalte mit Bandbreiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde versorgt sein werden. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die anderen?) Rund ein Drittel der Haushalte profitiert von dieser Entwicklung nicht oder nur sehr verzögert. In vielen ländlichen Regionen lohnt sich eine Investition in den Breitbandausbau für die Unternehmen derzeit nicht, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau das ist das Problem!) weil die Kosten pro Haushalt dort besonders hoch sind – das TÜV-Gutachten ist bereits erwähnt worden –: Es können 800 Euro pro Anschluss sein; bei 5 Prozent dieser Haushalte sind es sogar mehrere 1 000. Diese Wirtschaftlichkeitslücke ist somit das zentrale Ausbauhindernis, wenn es um eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet geht. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD in Bezug auf den flächendeckenden Breitbandausbau ein äußerst ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis 2018 wollen wir erreichen, dass jedem Haushalt Internetgeschwindigkeiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung stehen. Ja, das ist eine echte Herkulesaufgabe, und sie kann nur gemeistert werden, wenn zwei Bedingungen erfüllt werden: Erstens. Alle Akteure müssen zusammenwirken: Unternehmen, Regulierungsbehörde, Bund, Länder und Kommunen, aber auch die EU. Zweitens. Die Investitionsbedingungen für die Unternehmen müssen weiter optimiert und Wirtschaftlichkeitslücken konsequent abgebaut werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat übrigens in der vergangenen Legislaturperiode in einem einzigartigen Dialogprojekt mit Experten ein Breitbandkonzept erarbeitet, das hierzu Lösungsvorschläge anbietet. Ich freue mich sehr, dass viele der von uns formulierten Punkte in den Koalitionsvertrag eingeflossen sind. (Beifall bei der SPD) Dazu gehören insbesondere eine investitionsfreundliche Regulierung und der Abbau von Wirtschaftlichkeitslücken. Hierbei sind zwei Punkte von entscheidender Bedeutung. Zum einen müssen beim Breitbandausbau zusätzliche Synergiepotenziale erschlossen werden, beispielsweise dadurch, dass TK-Unternehmen bereits vorhandene Netze in anderen Infrastrukturbereichen nutzen, zum Beispiel Straßen, Schienen und Energieleitungen. Zum anderen – das ist richtig – brauchen wir verbesserte Fördermöglichkeiten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ohne zusätzliche Mittel werden die angestrebten Ausbauziele in der Tat kaum zu realisieren sein. Von daher wäre es wünschenswert gewesen, wenn wir die 1 Milliarde Euro, über die wir in den Koalitionsverhandlungen diskutiert haben, schon jetzt in den Bundeshaushalt hätten aufnehmen können. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und? Wo sind sie?) Wir müssen anerkennen, dass nur ein begrenztes Budget zur Verfügung stand. Das Geld wurde für andere sehr wichtige Projekte eingesetzt, die jetzt in der Realisierung sind. Wir sind aber mit unseren Überlegungen keineswegs am Ende. Die Koalition hat sich im Koalitionsvertrag auf ein neues Sonderfinanzierungsprogramm „Premiumförderung Netzausbau“ bei der KfW-Bankengruppe verständigt, um bestehende Programme zu ergänzen. Außerdem wollen wir einen Breitbandbürgerfonds einrichten, um zusätzliche Gelder für den Breitbandausbau zu organisieren. Zudem ist es durchaus wahrscheinlich, dass der Bund im Laufe dieser Legislaturperiode Einnahmen aus Frequenzversteigerungen realisieren kann, die für den Breitbandausbau nutzbar gemacht werden sollten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie das letzte Mal!) Hinzu kommt, dass nach der Umstellung der terrestrischen Rundfunkversorgung auf den neuen Standard DVB-T2 zusätzliche Frequenzen zur Verfügung stehen, die wir ebenfalls für einen zügigen Ausbau von Breitbandangeboten mit dem neuen Funkstandard LTE Advanced, der hohe Bandbreiten ermöglicht, nutzen wollen. Sie sehen, die Koalition hat sich ehrgeizige Ziele vorgenommen. Sie will die flächendeckende Versorgung mit Hochleistungsnetzen, um zusätzliche Wachstumsimpulse zu setzen. Dabei sind wir uns sehr wohl bewusst, dass es außerordentlicher Anstrengungen bedarf, und zwar aller Beteiligten, um diese Ziele tatsächlich realisieren zu können. Deshalb hat Bundesminister Alexander Dobrindt unsere volle Unterstützung bei diesen ehrgeizigen Vorhaben. Herr Minister, wir sollten alle Beteiligten motivieren, diese Ziele gemeinsam mit uns zu verfolgen; denn wir alle sollten das Ziel haben, Deutschland zum Internetland Nummer eins in Europa zu machen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Reinhold Sendker für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reinhold Sendker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Legislaturperiode ist es uns trotz notwendiger Haushaltskonsolidierungen gelungen, für die Verkehrsinfrastruktur weitere Investitionsmittel einzuwerben, nicht zuletzt durch die bekannten Investitionsbeschleunigungsprogramme der beiden letzten Jahre. Ja, wir sind vorangekommen. Diesen erfolgreichen Weg wird die Koalition in den nächsten Jahren fortsetzen: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) mit zusätzlichen 5 Milliarden Euro plus weiteren Mitteln aus der Nutzerfinanzierung, mit der Absicht, nicht verbrauchte Investitionsmittel überjährig und ungekürzt zur Verfügung zu stellen, mit der Absicht, stabile Finanzierungskreisläufe zu statuieren, mit mehr Bürgerbeteiligung, vor allen Dingen mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan, und schließlich mit dem neuerlichen Bekenntnis „Erhalt vor Neubau“ angesichts gewaltiger Erhaltungs- und Sanierungsaufgaben, zum Beispiel bei den Brückenbauwerken. Das sind ganz hervorragende Aufschläge im gemeinsamen Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die Eckpfeiler wurden richtig gesetzt für eine erfolgreiche Verkehrspolitik unserer Regierung in den nächsten Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für den Aus- und Neubau bleiben allerdings – das ist schon gesagt worden – wenig Spielräume übrig. Die Spielräume bleiben eng. Folglich werden wir uns gemeinsam mit unserem Minister für einen weiteren Aufwuchs der Investitionsmittel einsetzen. Schließlich hat unser Land eine zentrale Bedeutung für die europäischen Verkehre, ist Wachstumslokomotive im Herzen Europas. Im Interesse der Sicherheit der Menschen und der Prosperität unserer Volkswirtschaft, der Sicherung von Arbeitsplätzen, müssen wir weiter die Voraussetzungen dafür schaffen, dass gebaut werden kann, was gebaut werden muss. Den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sage ich: Eine Verweigerungshaltung beim Straßen-, Schienen- und Wasserwegeausbau, die wir hier oft vernommen haben, kann sich unser Land schon lange nicht mehr leisten. (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch alte Grabenkämpfe! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch albern!) Erforderlich ist vor allem Transparenz in Form eines Verkehrsinfrastrukturberichtes alle zwei Jahre. Erforderlich ist darüber hinaus die unvoreingenommene Prüfung, wie weit im Einzelfall die Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Geldgebern als zusätzliche Beschaffungsvariante genutzt werden kann. In der Diskussion um öffentlich-private Partnerschaften kann ich uns nur raten, Fakten sprechen zu lassen, sprich: Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Qualität der Bauausführung, verbunden mit einem hochwertigen Betriebsdienst, einem schnelleren Ausbau und dergleichen mehr. Diese Vergleichsfaktoren gilt es sorgsam zu prüfen. Danach muss entschieden werden und nicht nach ideologischen Bedenken. (Beifall bei der CDU/CSU) Als jemand, der viele Jahre im Landes- und Kommunalparlament mitwirken konnte, bin ich hocherfreut darüber, dass dieser Koalitionsvertrag einige kommunalfreundliche Ansätze hat, darunter die Vereinbarungen zur Gemeindeverkehrsfinanzierung, zu den Regionalisierungsmitteln und zu den NE-Bahnen, also dem nicht bundeseigenen Schienengüterverkehrsnetz. Dass der Bund im Zusammenhang mit der Ausbauhilfegesetzgebung trotz Föderalismusreform bis ins Jahr 2019 weiterhin 1,33 Milliarden Euro per annum für die Gemeindeverkehrsfinanzierung bereitstellt, war Beschlussfassung der bisherigen Regierung und – lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal betonen – fürwahr eine herausragende Leistung. (Beifall bei der CDU/CSU) Da unsere Kommunen mit Recht Verlässlichkeit und Planungssicherheit bei der Gemeindeverkehrsfinanzierung einfordern, ist auch die Zielsetzung erfreulich, eine Anschlussfinanzierung für die Entflechtungsmittel im Rahmen des GVFG für die Zeit nach 2019 zu erreichen. Machen wir uns nichts vor: Viele Städte und Gemeinden hätten schon jetzt ohne die Hilfe des Bundes eine zusätzliche Finanzierungsaufgabe bei schwieriger Kassenlage. Deshalb sind unsere Vorschläge, die Vorschläge der Koalition, gut für unsere Kommunen. Noch deutlicher: Das ist kommunalfreundliche Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesem Jahr, in 2014, steht die Revision der Regionalisierungsmittel an. Auch beim Schienenpersonennahverkehr ist es gut und richtig, die Finanzierung im Sinne der Bedürfnisse der Menschen und im Sinne guter Standortpolitik zu sichern. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte man das auch in den Koalitionsvertrag schreiben können!) In der zurückliegenden Wahlperiode hatten wir, wenn ich daran noch erinnern darf, für das Haushaltsjahr 2013 erstmals Fördermittel für die NE-Bahnen eingestellt, also eine über die Netze der Bahn AG hinausgehende Investitionsförderung für die Güterverkehrsstrecken, die von Kommunen und Privaten betrieben werden. Diese Förderung ist absolut zielführend; denn wenn sich die Betreiber der NE-Bahnen diese nicht mehr leisten können, haben wir am Ende womöglich noch mehr Schwerlastverkehr auf unseren Straßen. Deshalb ist die Absicht, die Förderung der NE-Bahnen fortzusetzen, in ihrer Auswirkung kommunal- wie umweltfreundlich und damit absolut richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insgesamt gesehen werden wir also in dieser Legislaturperiode über mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur verfügen können. Wir wollen die gegebenen Finanzierungsstrukturen weiter optimieren und ÖPP als zusätzliche Beschaffungsvariante prüfen. Wir wollen noch mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung erreichen. Wir erblicken im Koalitionsvertrag ausgesprochen kommunalfreundliche Ansätze. Wir wollen mehr Lärmschutz und eine bessere Verzahnung unserer Verkehrsträger herstellen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Sendker. Reinhold Sendker (CDU/CSU): Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie müssen noch nicht zum Ende kommen. Vielmehr haben Sie die einmalige Chance, weiterzureden, wenn Sie dem Kollegen Gastel die Möglichkeit geben, eine Bemerkung zu machen oder eine Frage zu stellen. Reinhold Sendker (CDU/CSU): Bitte schön. Gerne. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Gelegenheit habe, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie haben in Ihrem Beitrag unter anderem gesagt, wir Grüne würden uns bei Investitionen verweigern. Sie haben von Ideologie gesprochen. Sie haben davon gesprochen, dass mehr investiert werden muss. Jetzt möchte ich auf das Thema Schiene zu sprechen kommen. Hier wurde viel investiert und soll weiterhin viel investiert werden. Wie erklären Sie sich, dass im Personenfernverkehr, aber auch im Güterverkehr der Anteil der Schiene am Verkehrsaufkommen trotz dieser milliardenschweren Investitionen in den letzten Jahren nicht gestiegen ist? Wie wollen Sie das Investitionsverhalten in der Zukunft steuern, sodass es gelingt, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen und im Fernverkehr mehr Personen? Reinhold Sendker (CDU/CSU): Das ist eine berechtigte Frage, Herr Kollege Gastel. Wir werden daran arbeiten. Wir haben schon in der Vergangenheit über dieses Thema diskutiert, also über eine stärkere Verlagerung der Verkehre auf die Schiene. Da haben wir noch einiges zu erledigen. Ich darf Ihnen mit den Worten der Bundeskanzlerin antworten: Bitte haben Sie Geduld. Da werden wir liefern. Wenn Sie uns das nicht zutrauen, dann darf ich Ihnen sagen: Die Bürgerinnen und Bürger, jedenfalls die Wählerinnen und Wähler trauen es uns zu. Sie haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit 42 Prozent der Stimmen ausgestattet. Wir sind auf einem guten Weg. Vertrauen Sie uns. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf fortfahren, Frau Präsidentin. – Wir wollen vor allen Dingen Zukunftsoptionen weiter voranbringen: von der Elektromobilität über noch mehr Verkehrssicherheit bis hin zu einer hervorragenden digitalen Infrastruktur. Wir werden der Gesamtverantwortung für unser Land mit einer modernen und zukunftsfähigen Verkehrspolitik gerecht. Lassen Sie uns gemeinsam sachlich und ohne ideologische Verrenkungen an dieser hervorragenden Aufgabe und Zielsetzung gemeinsam weiterarbeiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit Kömpel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Besuchertribüne! Bei aller Brisanz und der großen Bedeutung der digitalen Infrastruktur sollten wir nicht vergessen, dass zu Mobilität und Infrastruktur auch das Thema Verkehrssicherheit gehört. Herr Kollege Storjohann hat es vorhin ganz kurz erwähnt. Ich möchte dazu weiter ausführen. Wir hatten im Jahr 2013 die niedrigste Anzahl von Verkehrstoten seit der Einführung der amtlichen Unfallstatistik zu verzeichnen. Diese positive Entwicklung wäre ohne die wertvolle Arbeit der Verkehrssicherheitsverbände und der vielen Ehrenamtlichen nicht denkbar. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön dafür. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) So erfreulich diese Zahl auch ist, so gibt sie uns dennoch Anlass, etwas genauer hinzuschauen. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Zahl auch ein wenig dem schlechten Wetter in den Monaten April und Mai des letzten Jahres geschuldet ist. Sie fragen sich jetzt vielleicht: Was hat das Wetter damit zu tun? Ganz einfach: Bei Regen und Kälte, wie es eben leider in den beiden Monaten – Entschuldigung, das ist meine erste Rede; ich bin sehr nervös – (Beifall) Mai und Juni des letzten Jahres der Fall war, lassen zum Beispiel die Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer ihre Maschinen in der Garage stehen. Wir können aber nicht auf schlechtes Wetter in diesem Frühjahr hoffen, damit sich die Zahl der Verkehrstoten im Straßenverkehr verringert. Ich denke, das will hier niemand. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Apropos Wetter: Gerade im Winter geschehen immer wieder Unfälle an unseren Bahnhöfen, weil der Streupflicht nicht rechtzeitig nachgekommen wurde oder nachgekommen werden konnte. Sehr geehrter Herr Minister Dobrindt, im Zusammenhang mit dem Vorhaben, die Bahn strenger zu kontrollieren, möchte ich Sie herzlich bitten, auch ein wachsames Auge auf die Verkehrssicherheit an unseren Bahnhöfen zu haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ganz sicher ist die Technik – das ist ein Segen – heute so weit fortgeschritten, dass besonders im Straßenverkehr niemand mehr so schnell an den Folgen eines Unfalls sterben muss. Das gilt ganz besonders für die Insassen eines Pkw. Doch dieser Fortschritt birgt auch eine Gefahr. Viele Autofahrerinnen und Autofahrer verlassen sich auf Airbag, ABS, Bremsassistent und deutlich verbesserte Kindersitze. Wer nach dem Motto „Es geht noch ein bisschen schneller, mein Auto ist sicher“ ins Fahrzeug steigt, der oder die hat verkannt, dass die Gefahr stets vorhanden ist. Die neuen Sicherheitssysteme können Autofahrerinnen und Autofahrer tatsächlich dazu verleiten, schneller und mit mehr Risiko zu fahren. Wer frontal mit einem anderen Fahrzeug zusammenprallt oder gegen einen Baum fährt, mag heute vielleicht nicht mehr so schnell sterben wie noch vor einigen Jahren. Es ist aber nun nicht so, dass er oder sie sich nach dem Aussteigen zweimal schüttelt und sich dann entspannt das zerstörte Fahrzeug betrachten kann. Das mag in der Formel 1 manchmal so sein, aber im normalen Straßenverkehr ist dem nicht so. Schwerverletzte Autofahrerinnen und Autofahrer mit bleibenden körperlichen Schäden gibt es bis heute genug. Es besteht also gar kein Grund, sich zurückzulehnen und das Thema Verkehrssicherheit auf die lange Bank zu schieben. Wir befinden uns nicht zu Unrecht in der Dekade der Verkehrssicherheit, die von den Vereinten Nationen ausgerufen worden ist. Es sind hervorragende Projekte wie „Begleitetes Fahren mit 17“ oder das absolute Alkoholverbot für Autofahrer bis zum Alter von 21 Jahren auf den Weg gebracht und umgesetzt worden. Aber auch dem zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung muss die Verkehrssicherheitsarbeit mit neuen Maßnahmen Rechnung tragen. Ältere Menschen über 65 und Kinder im Grundschulalter verunglücken als Fußgänger dreimal so oft wie 35- bis 44-Jährige. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am meisten rasen die Eltern vor den Kitas, mit den dicksten Autos!) Auf schwächeren Verkehrsteilnehmern, zu denen ältere Menschen und Kinder gehören, aber auch auf ungeschützten Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern, Fahrradfahrern und Motorradfahrern muss in der Verkehrssicherheit unser besonderes Augenmerk liegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier helfen jedoch nicht immer strengere Verkehrsregeln, sondern hier muss in unserer Gesellschaft für Einsicht, Rücksicht und Verantwortungsbewusstsein geworben werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wichtige Grundsteine dafür werden vor allem in der Verkehrserziehung an den Grundschulen und in den Kindertagesstätten gelegt. Diese Maßnahmen müssen weiterhin unterstützt werden, um das Verständnis für und die Akzeptanz von Verkehrsregeln bereits in jungen Jahren zu fördern – frei nach dem Motto: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Kommen wir jetzt zu einem heiklen Thema, zur verkehrsmedizinischen Beratung für unsere lieben Senioren. Keine Angst! Im Koalitionsvertrag steht, dass die Anzahl der – ich glaube, das ist das Zauberwort – freiwilligen Gesundheitschecks erhöht wird. Auch wenn unsere Senioren über mehr Erfahrung und Fahrpraxis verfügen als die jungen Verkehrsteilnehmer, so ist die Zahl der Unfälle, die durch ältere Bürgerinnen und Bürger verursacht werden, noch immer hoch. Wir müssen die Hausärzte dazu auffordern, die gegebenenfalls notwendigen Fortbildungen zu absolvieren; sie sollen in einer ständig älter werdenden Gesellschaft als Ansprechpartner für unsere Senioren hinsichtlich der Fahrkompetenz agieren – ich betone: agieren, nicht reagieren; denn dann ist es meist schon zu spät. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. Wir alle kennen jemanden, der einen Freund oder eine Freundin oder einen Angehörigen durch einen Verkehrsunfall verloren hat; vielleicht sind wir sogar selbst betroffen. Wir wissen, welch unermessliches Leid dann über die Angehörigen hereinbricht. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir hier im Parlament alles dafür tun, dass die Zahl der Menschen, die um einen Angehörigen trauern müssen, weiter sinkt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Kömpel, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses viel Erfolg für Ihre weitere Tätigkeit. (Beifall) Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letztem Redner kommt mir die Aufgabe zu, ein paar zusammenfassende Bemerkungen aus Sicht unserer Fraktion zu machen. Die erste dieser Bemerkungen ist folgende: Die digitale Infrastruktur zu einem zentralen Aufgabengebiet aufzuwerten, das sich im Namen des Ministeriums widerspiegelt und dort auch strukturelle Folgen haben wird, halte ich für eine der wichtigsten strategischen Entscheidungen der Großen Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn diese Aufgabe gehört dort angesiedelt, wo die Verantwortung für Mobilität wahrzunehmen ist. Zur Mobilität von Menschen gehört die Mobilität von Daten und Informationen, heute mehr denn je und morgen mehr als heute. Der Grund ist ganz einfach: Die Mobilität von Daten ist eine der vielversprechendsten und wichtigsten Komponenten, auf die wir vertrauen können, wenn wir daran arbeiten, die Attraktivität des ländlichen Raumes zu heben. Wir wissen, dass die Landwirtschaft dort längst nicht mehr das prägende Element ist. Wenn wir diese Aufgabe geschickt angehen, wird es uns gelingen, auf diese Weise auch im ländlichen Raum wieder Erwerbsmöglichkeiten und Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist eine große Chance, die wir damit wahrnehmen. Bei aller Kritik: Dass das Konzept hierfür am Anfang der Regierungstätigkeit noch nicht fertig sein kann, dass am ersten Tag noch keine Resultate geliefert werden können, sondern dass mit diesem Aufgabengebiet ein Arbeitsauftrag umrissen ist, das sollten vernünftige Menschen begreifen und für selbstverständlich halten. Unterstützen wir unseren Minister darin, dass er zu einem guten Ergebnis kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Über dieser zusätzlichen Aufgabe darf selbstverständlich das Brot- und Buttergeschäft der Verkehrspolitik nicht in den Hintergrund geraten – und das wird es auch nicht. Wir wissen, dass die gut ausgebaute Infrastruktur in Deutschland eine der zentralen Erfolgsgarantien für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist. Das wird sie auch bleiben. Dabei muss uns allerdings klar sein, dass wir einen weiteren Werteverzehr bei unserer Infrastruktur nicht zulassen können. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl, das trifft zu!) Das bedeutet, dass der Akzent „Erhalt vor Neubau“ richtig ist und von allen – das wird dem Einzelnen von uns in seinem Wahlkreis möglicherweise schwerfallen – unterstützt werden sollte. Das erfordert Mäßigung, aber auch die Sorge dafür, dass diese Mittel so eingesetzt werden, dass sie optimale Wirkung entfalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Thema Finanzierung. Der Akzent „Erhalt vor Neubau“ bedeutet nicht, dass es keinen Neubau geben soll. Selbstverständlich brauchen wir auch weiterhin Neubauvorhaben, um unsere Infrastruktur weiterzuentwickeln. Nur muss das natürlich maßvoll und nach transparenten Prinzipien geschehen. Das bedeutet wiederum, dass wir alle gemeinsam eine große Aufgabe zu schultern haben, wenn es um den gegenseitigen Interessenausgleich bei der Aufstellung unseres Bundesverkehrswegeplanes 2015 geht. Dessen Qualität wird sich danach bemessen, inwieweit die Realisierbarkeit im Vordergrund stehen wird und nicht das Wünsch-dir-was. Das erfordert meines Erachtens große Disziplin, Kollegialität und Transparenz. Auch in diesem Punkt werden wir unseren Minister unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik darf auch in Zukunft nicht allein ein innenpolitisches Thema sein. Der Eiserne Vorhang ist ein für alle Mal weg. Die Durchdringung des Raumes, der sich auf diese Weise eröffnet hat, ist im Ansatz noch längst nicht weit genug entwickelt. Deshalb hat die Europäische Union auch mit dem Vorstoß zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen – Grünbuch, Weißbuch, Netzkonzept – reagiert. Auch diese Aufgabe müssen wir schultern. Das ist eine langfristige Aufgabe, die wir nicht heute und nicht morgen schaffen. Aber wir müssen dranbleiben, wenn wir ein solches Verkehrsnetz jemals realisieren wollen. Das ist eine der zentralen Aufgaben bei der Weiterentwicklung der Zusammengehörigkeit der Gesellschaften in Europa. Das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe. Demzufolge dürfen wir das nicht aus den Augen verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Übrigen ist hier bis jetzt sehr wenig zum Thema Schifffahrt gesagt worden. Auch dazu will ich, auch wenn ich es mir eigentlich nicht vorgenommen hatte, etwas sagen. Außerordentlich wichtig sind die Hafenhinterlandanbindungen, aber auch – das dürfen wir nicht vergessen – der Binnenschiffsverkehr. (Sören Bartol [SPD]: Sehr richtig, Herr Kollege!) Dies dürfen wir auch aus ökologischen Gründen nicht außer Acht lassen. Wir müssen auch in diesem Bereich den Ausbau fortführen, müssen die Aufgaben identifizieren, die sich wiederum nach dem Jahrhunderthochwasser ergeben haben, und müssen zügig dafür sorgen, dass wir an dieser Stelle nicht ins Hintertreffen geraten. Auch das muss sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt, wie Sie sehen, jede Menge Aufgaben. Packen wir es an. Wir wissen alle – das sage ich hier ausdrücklich –, dass wir im Infrastrukturbereich unterfinanziert sind. Aber es nützt nichts – das sage ich insbesondere an die Adresse der Grünen –, über Jahre durch immer neue Umweltstandards alle Großprojekte entweder zu verhindern oder zu verteuern und hinterher zu schimpfen, dass wir nicht genug Geld haben. Das ist nicht der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Primitiv!) Meine Damen und Herren, wir müssen nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen, die tatsächlich tragfähig sind. Deshalb haben wir an zwei Punkten wirklich einen vernünftigen Umdenkungsprozess vollzogen – ich komme zum Ende, Frau Präsidentin –: (Heiterkeit im ganze Hause) Erstens. Wir haben 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Infrastruktur bereitgestellt, die nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Das ist eine große Leistung der Koalition. Zweitens. Wir werden weiter auf dem Weg zur Nutzerfinanzierung anstatt der Steuerfinanzierung gehen. Auch das ist ein wichtiger Weg. Außerdem werden wir darauf achten, dass die Infrastrukturhaushalte in Zukunft aufhören, der ständige Steinbruch für alle Einsparungen im Bundeshaushalt zu sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Ich denke, dass uns das gemeinsam gelingen wird. Ich bedanke mich ganz herzlich, Frau Präsidentin, (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) dass ich zu Ende reden durfte, und wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Liberalität dieses Parlaments unter besonderer Berücksichtigung des jeweils amtierenden Präsidiums ist schwerlich zu überbieten. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Das nehmen wir mit besonderer Rührung zu Protokoll. Im Übrigen hoffe ich doch sehr, dass Sie nicht am Ende sind, Herr Kollege Vaatz. (Heiterkeit im ganzen Hause) Leider muss dennoch jede Rede irgendwann einmal an ein gesetztes Ende kommen. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sie haben hinter meinem Rücken den Vorsitz ausgetauscht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ja, es ist nicht völlig unüblich, dass ein Wechsel im Präsidium während laufender Plenarsitzungen erfolgt. Dass das aber selbst stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ohne Vorwarnung passiert, ist schon eine arge Zumutung; das räume ich ausdrücklich ein. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor, sodass wir jetzt zu den Bereichen Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit kommen. Wenn die dazu vereinbarte Redezeit von 60 Minuten eingehalten wird, droht das gleiche Risiko wie eben bei den Rednern in dieser folgenden Debatte nicht. Wir beginnen mit der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Barbara Hendricks, die hiermit das Wort erhält, sobald sich die Plenarbesetzung wieder etwas neu sortiert hat. Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Agenda der Bundesregierung in der Umwelt- und Baupolitik ist lang. Sie ist aber nicht nur lang, sondern auch vielfältig und ambitioniert, und sie steht unter einer Überschrift, nämlich: Alle unsere Lebensgrundlagen sind auf Nachhaltigkeit angewiesen. – Damit haben wir beim Strom begonnen, das müssen wir bei der Wärme sowie beim Natur- und Flächenverbrauch fortsetzen, und darum muss es mehr noch als bisher schon auch beim Planen und Bauen gehen. Es ist richtig, Umweltschutz, Stadtentwicklung und Bauen in einem Haus zusammenzuführen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) weil zum Beispiel 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemission aus dem Gebäudebereich kommen, weil 80 Prozent der Energie und Ressourcen in Städten verbraucht werden und vor allem, weil Nachhaltigkeit eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale Dimension hat. Wir alle sehen, wie groß die Widerstände gegen eine Politik der Nachhaltigkeit gerade auch auf der internationalen Bühne sind. Ich kann Ihnen versichern: Diese Bundesregierung wird Kurs halten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wird nicht einfach sein, am Ende des nächsten Jahres auf der UN-Konferenz in Paris ein globales, rechtlich bindendes und vor allem substanzielles Klimaschutzabkommen zu erreichen. Wir werden aber – alle Ressorts zusammen – jeden diplomatischen Hebel in Bewegung setzen, und ich werde mich natürlich auch persönlich der UN-Klimaverhandlungen annehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) So muss es natürlich auch in Europa sein, weil wir das Ziel, bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, brauchen, und weil wir eine Reform des Emissionshandels wollen, die ihren Namen verdient und auf marktwirtschaftliche Weise die Verstromung von Kohle zurückdrängt; denn nur so wird der Emissionshandel endlich zu dem Innovationstreiber werden, der er sein kann. Auch in Deutschland müssen wir mehr tun, indem wir nämlich die Verlässlichkeit für das Langfristprojekt Klimaschutz schaffen und für Investitionen und Planungssicherheit sorgen. Ein Langfristziel ist für uns das Jahr 2050. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr einen nationalen Klimaschutzplan mit klaren Zwischenzielen für die nächsten Jahrzehnte vorlegen. Damit ist es aber nicht getan. Auch kurzfristig müssen wir handeln. Ich möchte hier ankündigen, dass ich mich um ein ressortübergreifendes Sofortprogramm für den Klimaschutz kümmern werde, und zwar umgehend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nach allen Daten, die uns vorliegen, werden wir mit den bisher beschlossenen Maßnahmen unser nationales Ziel bis 2020 nicht erreichen können. Mit den Maßnahmen, die schon auf dem Weg sind, erreichen wir allenfalls ein Minderungsziel von 33 Prozent, aber nicht von 40 Prozent. Bei einer schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung würden wir ein Minderungsziel von 35 Prozent erreichen, aber es kann nicht unser Wunsch sein, das Ziel auf diese Weise zu erreichen. Also müssen wir weitere Anstrengungen unternehmen, um die Lücke, die sich auftut, bis zum Jahr 2020 zu schließen. Deswegen braucht es auch ein Sofortprogramm; denn bis 2020 ist es, wie wir wissen, nicht mehr lange hin. Das Ziel von 40 Prozent haben wir im Jahre 2007 gemeinsam definiert. Das werden wir auch gemeinsam umsetzen wollen. So viel für heute zum Klimaschutz. Es gibt natürlich vielfältige weitere Herausforderungen. Der Atomausstieg – das ist eine Selbstverständlichkeit – ist für uns unumkehrbar. Nun geht es um eine professionelle Umsetzung und darum, bis zuletzt maximale Sicherheit zu gewährleisten. Es geht darum, ein geeignetes Endlager zu finden. Ich finde, das ist eine Aufgabe von wahrhaft nationaler Bedeutung. Wir haben die Erkundung in Gorleben beendet und werden nun in einem transparenten Verfahren die Kriterien für eine ebenso transparente Standortentscheidung bestimmen. Dazu wird der Bundestag sehr bald die Endlagerkommission ins Leben rufen. Mein Ministerium wird dafür sorgen, dass das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgung im Sommer seine Arbeit aufnehmen kann, damit es dann, wenn die Kriterien bis zum Ende des Jahres 2015 gemeinschaftlich bestimmt sind, auf Basis dieser dann bestimmten Kriterien auf die Suche gehen kann. Stichwort „Sommer“ – das ist jetzt eine ganz gewagte Überleitung –: (Heiterkeit der Abg. Ute Vogt [SPD]) Im Sommer dieses Jahres wird das neue Bundesamt seine Arbeit aufnehmen, und im Sommer des vergangenen Jahres standen weite Teile unseres Landes nach einem verheerenden Hochwasser still. Das ist natürlich nicht vergessen, gerade in den betroffenen Gebieten nicht, aber auch darüber hinaus nicht. Gemeinsam mit den Ländern arbeiten wir an einem nationalen Hochwasserschutzprogramm. Wir brauchen – das wissen wir alle – mehr Raum für die Flüsse, genauso wie wir mehr Raum für die Natur überhaupt brauchen. Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiode unser Nationales Naturerbe erheblich ausweiten, und zwar um mindestens 30 000 Hektar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kommen wir zum Bauen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sind es heute die Städte, die im Fokus der Nachhaltigkeitsdiskussion stehen; denn dort, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben, entscheidet sich, ob Nachhaltigkeit wirklich gelingt. Ein Schwerpunkt dieser Legislaturperiode wird darin bestehen, die Städte zukunftsfähiger zu machen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, weil wir lebenswerte Städte wollen, in denen auch in Zukunft Menschen aller Einkommensgruppen, jeden Alters und jeder Herkunft, deutscher oder anderer Herkunft, nicht nebeneinander, sondern miteinander leben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 6, 7 oder 8 Prozent Mietanstieg pro Jahr in manchen Ballungsräumen muss uns natürlich beunruhigen. Das ist eine ernste Bedrohung für ein sozial ausgewogenes Miteinander. Ich danke dem Kollegen Justizminister, dass er unmittelbar dahin gehend tätig geworden ist, den Rechtsrahmen entsprechend anzupassen, so wie wir das in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um aber an die Wurzeln des Problems zu kommen, werden wir den Wohnungsbau in Deutschland stärken, nicht zuletzt den sozialen Wohnungsbau, für den wir bis zum Jahr 2019 weiterhin 518 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Ich werde darüber hinaus ein Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen auf den Weg bringen: mit den Ländern, mit der Immobilienwirtschaft, mit Baufachleuten und mit den Sozialverbänden. Ich freue mich, dass wir uns in der Koalition darauf verständigt haben, die Städtebauförderung zu einem wirklich schlagkräftigen Gestaltungsmittel mit einem Volumen von 700 Millionen Euro jährlich zu machen. Das ist ein deutlicher Aufwuchs im Verhältnis zu den vergangenen Jahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hierdurch können wir unter anderem das Programm „Soziale Stadt“ ausbauen, mit dem wir Städte und Gemeinden gezielt unterstützen, den demografischen, den sozialen und den ökonomischen Wandel zu gestalten. Wandel gestalten, Umweltschutz, wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Frieden zusammenführen, Nachhaltigkeit ernst nehmen. Um es begrifflich zusammenzuführen: das gute Leben in Deutschland fördern. Darum wird es in meinem Ressort in den kommenden Jahren gehen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Hendricks, die zwei Sofortprogramme zum Klimaschutz und Hochwasserschutz waren so ziemlich das erste Konkretere, was ich von dieser Koalition zum Umweltschutz gehört habe. Allein die Neugestaltung der Bundeswehr nimmt im Koalitionsvertrag mehr Platz ein als das globale Thema Umweltschutz, so als gäbe es keine globalen Herausforderungen. Die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015 wird Deutschland nicht erfüllen. Die EU hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, unter anderem wegen der Versalzung der Werra im thüringisch-hessischen Grenzgebiet. Wie will die Regierung damit umgehen? Kein Wort dazu. Der Konzern Kali und Salz kann also weiter ungestört Salz in die Werra einleiten. Sollte Deutschland Strafzahlungen leisten müssen, dann zahlt die nicht der Konzern. Die zahlen dann die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. So macht man keine Politik für die Umwelt. (Beifall bei der LINKEN) Richtig schlimm wird es, wenn ökologisch sinnlose Maßnahmen als Umweltschutz verkauft werden. Ich hätte mich gerne an ihnen abgearbeitet; das fällt aber schwer. Deswegen nenne ich ein paar warnende Beispiele aus der Vergangenheit: Erstens. Energiesparlampen sind gesamtökologisch schädlich. Die Energieeinsparung wurde nie über den gesamten Lebenszyklus der Energiesparlampen betrachtet. Sie ist zweifelhaft. Das Lichtspektrum macht Menschen krank. Die Entsorgung ist nicht geklärt. Die Lampen landen auf dem Müll; das Quecksilber verdampft oder wird einfach unter Tage abgelagert. Bei einem Bruch der Lampen in geschlossenen Räumen besteht die Gefahr einer Quecksilbervergiftung. Aber der Preis einer Energiesparlampe ist deutlich höher als der Preis einer Glühbirne. Das nennen wir Pseudoumweltschutz zur Profitmaximierung. (Beifall bei der LINKEN) Das zweite Beispiel: Das Land Nordrhein-Westfalen ordnet an, alle Hausanschlüsse von Abwasserleitungen auf Dichtheit zu prüfen. Das kostet zwischen 500 und 3 000 Euro je Anschluss für den Gutachter. Es geht angeblich um Trinkwasserschutz. Der ist wichtig. Aber der Schadstoffeintrag durch undichte Hausanschlussleitungen ist ein Bruchteil dessen, was aus anderen Quellen stammt. Zum Beispiel stammen 60 Prozent des Stickstoffeintrages aus der Landwirtschaft. Wo sind da Ihre Maßnahmen? Da ist nichts, gar nichts. Sie greifen immer dort zu, wo Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlen müssen. Wenn es die Industrie oder Ihre Lobbygruppen treffen würde, lassen Sie schön die Hände davon. Eine solche Politik werden wir bekämpfen. Damit solcher Irrsinn künftig unterbleibt, erwarte ich – Sie haben die Chance, das zu ändern – konsequente und effektive Umweltschutzmaßnahmen: für eine salzfreie Werra, für Mindestabstände von Hochspannungsleitungen von 800 Metern, für mehr Lärmschutz an Straßen, Schienen und Flughäfen und für einen Hochwasserschutz, der Menschen und Natur berücksichtigt. Das wäre Umweltschutz, wie ihn die Menschen erwarten. Dafür sind wir verantwortlich. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Georg Nüßlein das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Lenkert, die neue Ministerin hat die schwierige Aufgabe übernommen, in wenigen Minuten den Rahmen für die Verzahnung von zwei Politikbereichen zu beschreiben. Das hat sie gut und umfassend gemacht, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch wenn sie auf Ihre regionalen Anliegen nicht eingegangen ist – das konnte Sie logischerweise nicht – und die von Ihnen immer wieder vorgetragenen Vorurteile über Lobbypolitik nicht entkräften konnte. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber der Koalitionsvertrag ist deutlich!) Das wird wohl niemand von uns in den kommenden vier Jahren schaffen. Nichtsdestotrotz will ich deutlich unterstreichen, dass der Wegfall eines Teils der Energiepolitik uns Freiraum für andere Themen gibt, und zwar neben dem Bau für Umweltfragen sowie für Fragen des Naturschutzes. Insofern ist das gar nicht so problematisch. Ich will unterstreichen, dass in Zukunft die Energiepolitik im Umweltministerium sehr wohl noch verortet ist. Das Problem ist, dass wir in diesem Land über das Thema Energiepolitik zu sehr unter der Überschrift Strom diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich halte das angesichts der Potenziale und Spielräume, etwas für Umwelt- und Klimaschutz sowie gegen den Ressourcenverbrauch zu tun, sowieso für falsch. Man darf von hier aus das Signal an diejenigen, die in Zukunft das EEG ändern werden, geben, dass das EEG Teil eines mittlerweile eifrig beschriebenen Problems ist, aber seine Änderung auch nur Teil der Lösung sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wer glaubt, dass man eine Energiewende einleiten kann, indem man nur das EEG ändert, der wird frustriert dastehen und auch seine Wählerinnen und Wähler frustrieren; denn wir sind maximal in der Lage, die Kostendynamik des Ganzen zu bremsen. Aber wir können keine Wende bei den Kosten herbeiführen. Deshalb ist es unser Anliegen, mit den Kollegen, die für die Neuerungen zuständig sind, über die Frage zu reden, wie sich das Marktdesign so ändern lässt, dass die Erneuerbaren in die energiepolitische Landschaft passen. Nun muss ich allerdings nach gut zehn Jahren Energiepolitik aufpassen, dass ich nicht zurückfalle und über das rede, was ich üblicherweise getan habe. Das räume ich ein. Ich will betonen, dass wir als Umweltpolitiker bei den erneuerbaren Energien – jenseits des Themas Wärme –, auch wenn es um Strom geht, ein kräftiges Wörtchen mitzureden haben müssen. Das, was die Europäische Union in der Energiepolitik bis zum Jahr 2030 plant, ist aus nationaler Sicht extrem problematisch; denn das drängt uns in eine schwierige Wettbewerbssituation. Das kann dazu führen, dass wir, wenn wir keine separaten national verbindlichen Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren in ganz Europa vereinbaren, aufgrund unserer Vorreiterrolle in eine sehr schwierige Wettbewerbslage kommen. Deshalb halte ich es für eine ganz wichtige Aufgabe, dass auch die Umweltpolitik auf die Vereinbarung nationaler Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren auf europäischer Ebene drängt. Das halte ich für ganz zentral. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es kann uns natürlich nicht kaltlassen, dass der Anteil der Erneuerbaren steigt, dass aber gleichzeitig die CO2-Emissionen zunehmen; auch darüber müssen wir reden. Hier ist der Emissionshandel ein Schlüssel. Aber ich sage ganz klar: Wenn man ein Marktinstrument implantiert hat und auf den Markt setzt, dann kann es nicht sein, dass die Politik bei jeder Gelegenheit steuernd eingreift. Das bringt uns aus meiner Sicht von marktwirtschaftlichen Lösungen weg. Deshalb ist es wichtig, dass die Konjunktur in ganz Europa so anspringt, dass die CO2-Zertifikate wieder einen Wert bekommen. Wir haben nun steuernd eingegriffen. Aber das können wir – das haben wir in der Koalition klar formuliert – nicht ständig tun. Ich habe einleitend gesagt, dass wir die Chance haben, noch mehr für den Natur- und Landschaftsschutz zu tun, als es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Das will ich nochmals betonen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Länderöffnungsklausel eingehen, in der wir den Ländern zugestehen wollen, die Abstände zwischen den Windrädern selber zu definieren. Das haben wir so vereinbart, und das wollen wir so tun. Darüber hinaus geht es natürlich um ganz andere Fragestellungen. Ich erlebe, dass der Strukturwandel in der Landwirtschaft natürlich ein Problem für die Landschaft und für die Natur bei uns darstellt. Dass wir dieses Thema Hand in Hand und nicht gegen die Landwirtschaft miteinander bearbeiten sollten, halte ich für ganz wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) Wenn die Landwirte im Zusammenhang mit den Ausgleichsflächen Kritik üben, dann geht es ihnen um zwei Themen: zum einen um die Problematik, dass bearbeitbares Land tatsächlich knapp und knapper wird; zum anderen sehen sie, was mit den Ausgleichsflächen manchmal passiert. Oft werden einfach bürokratische Regelungen getroffen, wobei am Schluss der Beitrag für den Landschafts- und Naturschutz überschaubar ist. Wir müssen uns noch einmal Gedanken darüber machen, wie man es macht, dass alle verstehen, warum wir das tun und was das Ganze bringen soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) Es gibt ein weiteres Thema, das wir angehen wollen: die Ressourceneffizienz. Das ist ein auch für die Wirtschaft wichtiges Thema. Die Wertstofferfassung muss zielorientiert an Recyclingquoten festgemacht werden. Es darf nicht nur um die Frage gehen, wer das organisiert. Ich glaube, dass wir uns einig sind, dass wir weder eine Rekommunalisierung noch eine Zwangsprivatisierung haben wollen. Am Schluss kommt es auf das Ergebnis an. Es muss so laufen, dass etwas dabei herauskommt, nämlich hohe Recyclingquoten. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun haben wir schon in der letzten Legislatur partei- und fraktionsübergreifend ein hohes Maß an Verantwortung für nachfolgende Generationen übernommen, indem wir die von der Ministerin angesprochene Standortsuche für ein Endlager hochradioaktiver Abfälle konsensual behandelt haben und beschlossen haben, wieder bei null anzufangen. Wir wollen das Thema miteinander angehen. Ich glaube, das ist eine der vornehmsten Aufgaben der Großen Koalition. Ich will aber auch sagen: Wenn man dazu dann eine Kommission einsetzt, in der sich die Politik ganz bewusst zurücknimmt, weil das in besonderer Weise eine Aufgabe der Zivilbevölkerung ist, dann kann es nicht angehen, dass Teile der Umweltverbände sich zurückziehen und sagen: Wir sind dazu da, um zu protestieren und Nein zu sagen. – Das ist falsch. Damit wird man seiner Verantwortung nicht gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb an dieser Stelle ein leidenschaftlicher Appell, den auch schon Teile der Grünen formuliert haben, sich bitte einzubringen und mitzumachen; denn es geht wirklich darum, ein großes Problem gemeinschaftlich so zu lösen, dass es am Ende auch gemeinschaftlich akzeptiert wird. Ich wünsche mir, dass wir diese großen Aufgaben angehen. Ich glaube, Frau Ministerin, dazu haben wir die Voraussetzungen alle gemeinsam geschaffen. Wir werden jetzt mit großer Tatkraft und Freude ans Werk gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Peter Meiwald ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, zunächst möchte auch ich Ihnen von diesem Ort aus zu Ihrer Ernennung herzlich gratulieren. Aber nun zur Sache. Das Programm, das wir bisher zu hören bekommen haben, ist zunächst einmal lediglich die Fortsetzung der bestehenden Programme, die wir schon aus der alten Regierungszeit kennen – Biodiversitätsprogramm, Hochwasserschutz, Naturerbe –, oder es wird der Umsetzung von EU-Recht, zum Beispiel beim Elektroschrott, Genüge getan. Die Frage ist: Was ist eigentlich neu, was sind die neuen Aspekte, was ist die neue Dynamik in dieser Politik? Was ist mit den Wäldern, was ist mit Monokulturen? Wir haben das eben schon vom Kollegen Lenkert gehört. Es stellt sich die Frage nach der Wasserverseuchung durch Nitrateinträge und Ähnliches. Was ist mit dem Flächenverbrauch? Wenn wir uns das anschauen, können wir sagen: Wenn wir uns den ökologischen Fußabdruck, den unsere Gesellschaft hinterlässt, weiterhin leisten wollen und so weitermachen wie bisher, dann ist das in der Tat nachhaltig, aber nachhaltig schädigend. Der Fußabdruck ist aber nicht enkeltauglich. Das ist ein Punkt, an dem wir noch deutlich mehr von Ihnen zu erwarten haben, als wir bisher gehört haben. Ich hoffe, dass dazu etwas kommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Bereich der Atomlobbypolitik haben Sie mit dem Austauschen des Leiters der Abteilung Reaktorsicherheit einen ersten Schritt getan, der bei uns auf Wohlwollen gestoßen ist, auch wenn das natürlich spät gekommen ist – aber immerhin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie ein Kompetenzzentrum „Naturschutz und Energiewende“ einrichten wollen, finden wir natürlich auch eine gute Idee. Wichtig ist, dass die Umsetzung mit einem vernünftigen Maß an Finanzmitteln nun auch schnell erfolgt, damit es da vorangeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir hören, dass Sie ein Klimaschutzsofortprogramm planen, freuen wir uns als Grüne natürlich; das ist ganz klar. Das findet erst einmal unsere Zustimmung, steht aber den Überlegungen entgegen, die wir gestern zu hören bekommen haben, oder den Maßnahmen, die wir zum Beispiel in den letzten Jahren gerade im Bereich der Braunkohle erleben mussten. Da verdrängt die Braunkohle – das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein – die effizienten Erdgaskraftwerke. Das ist nicht gut für das Klima, das ist aber auch nicht gut für den vorbeugenden Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung; man denke nur an Quecksilber, Feinstaub, Radioaktivität und alles das, was aus diesen Kraftwerken herauskommt. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Da ist es auch nicht damit getan, zu sagen: Wir haben jetzt einmal in den Zertifikatehandel eingegriffen, das reicht, und dann muss der Markt es eben regeln. – Nein, der Markt regelt es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig an dem Punkt ist – das kann ich wirklich nur als herzliche Bitte formulieren –: Überlassen Sie den Klimaschutz nicht dem Wirtschaftsminister. Das hat schon in der letzten Periode nicht geklappt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist: Wer wird sich in Brüssel für die ambitionierten Klimaziele, von denen Sie ja gerade engagiert gesprochen haben, einsetzen? Auf eine Kanzlerin, die einmal eine Klimakanzlerin war, mittlerweile aber ganz andere Interessen im Kopf hat, können wir in dieser Frage, glaube ich, nicht warten. Also: Haben Sie die Macht, haben Sie die Möglichkeiten, innerhalb der Regierung diese ambitionierten Ziele auch durchzusetzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die gestrige Debatte und die gestrige Entscheidung in diesem Haus zum Thema Gentechnik lassen uns zumindest befürchten, dass das Gegenteil der Fall ist. Hier wird weiterhin eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerung gemacht. Bestenfalls ist es Mutlosigkeit der Regierung, schlimmstenfalls sogar neu erwachte Liebe zur Genindustrie, die Ihnen eigentlich sogar der eigene Koalitionsvertrag verbietet. Die Menschen in unserem Land und wir werden Ihnen diese verbotene Liebe zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher und unserer Umwelt nicht durchgehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da müssen Sie als Umweltministerin in dieser Regierung Gewicht entwickeln, Ihre Macht auch einmal einsetzen und sagen: Wir sind hier verantwortlich für Umwelt und Natur, für den Verbraucherschutz und für die Menschen in unserem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erlauben Sie mir noch einen kleinen Abstecher zur Abfallpolitik. Das Thema Plastiktüten ist in den letzten Monaten in aller Munde gewesen und war Gegenstand vieler Fernsehberichte. Viele haben beklagt, dass Fische oder auch Delfine daran zugrunde gehen. Darum geht es aber nicht allein. Es geht dabei auch um Ressourcenverschwendung und um den Meeresschutz. Irland hat mit einer Abgabe auf Plastiktüten ein Zeichen gesetzt und große Erfolge damit. Ruanda hat bereits 2006 Plastiktüten komplett verboten – mit riesigen Erfolgen im Land. Wann folgt Deutschland? Wann werden wir hier dazu kommen, die Plastiktüten endlich auch aus unserem Umfeld zu verbannen? Wann werden wir hier – wir müssen das ja nicht über ein Verbot machen, sondern können das auch über eine Abgabenlösung wie in Irland machen – im Interesse unserer Umwelt weiter vorankommen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Aspekt, der heute noch keine so große Rolle gespielt hat: CETA und TTIP, die internationalen Abkommen, die jetzt anstehen. Setzen Sie sich bitte dafür ein, dass Umweltstandards, die in Deutschland und in der EU mittlerweile selbstverständlich geworden sind, nicht geopfert werden! Gegebenenfalls müssen Sie in der Regierung die Reißleine ziehen und sagen: So kann es nicht gehen. – Wir müssen hier dafür sorgen, dass unser Verbraucherschutz und unser Umweltschutz nicht internationalen Abkommen geopfert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben also einen gewissen Vertrauensvorschuss. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Aber wir erwarten ambitionierte Politik. Wenn ich zum Beispiel im Bereich der Verkehrsinfrastruktur – – Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, ich habe keinen Zweifel, dass Ihnen noch viele Beispiele einfallen, (Heiterkeit) aber irgendwann im Laufe des Vormittags werden Sie zu Ende kommen müssen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich komme zum Schluss, sehr gern. Das ist auch mein letzter Punkt, Herr Präsident. Nur noch zur Verkehrsinfrastruktur: Wenn wir das, was der Kollege Vaatz eben ausgeführt hat, zu Ende denken und uns anschauen, welches Umweltbewusstsein dahintersteht, wird uns angst und bange. Wir haben den dringenden Wunsch an Sie, dass Sie da in der Regierung einen Gegenpol bilden. Wir wünschen Ihnen für diese Arbeit viel Glück. Verlassen Sie sich auf unsere kritische Begleitung in der weiteren Arbeit. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Meiwald, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede (Beifall) und wünsche Ihnen alles Gute für die weitere parlamentarische Arbeit. Sie werden hoffentlich Verständnis dafür haben, dass ich bei Ihren künftigen Reden nicht wieder einen etwa 50-prozentigen Redezeitzuschlag gewähren kann. (Heiterkeit – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz so viel war es nicht!) Das gilt übrigens auch für die Kollegin Ute Vogt, (Zuruf von der CDU/CSU: Kriegt die auch 50 Prozent?) die nun als Nächste zu Wort kommt und nachweislich nicht zum ersten Mal im Deutschen Bundestag redet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ute Vogt (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken. Sie sind noch keine 100 Tage im Amt, und schon können wir in der Klimapolitik feststellen: Deutschland ist wieder da. (Beifall bei der SPD) Unser Einsatz ist dringend notwendig; denn das, was die EU-Kommission vorlegt, sind mutlose Vorgaben. Es gibt keine verpflichtenden Ausbauziele für die erneuerbaren Energien und keine verbindlichen Vorgaben für die Energieeffizienz. Diese Mutlosigkeit wird durch ambitionierte Vorgaben unserer Bundesregierung ersetzt. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind diejenigen, die antreiben und die dafür sorgen, dass auch die EU ihre Vorreiterrolle wieder einnehmen kann (Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und dass die internationalen Standards nach oben gedrückt werden. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Vogt, darf Ihnen schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Kollegin Bulling-Schröter eine Zwischenfrage stellen? Ute Vogt (SPD): Ja, gerne. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Sie sprachen gerade von ambitionierten Klimazielen. Im Koalitionsvertrag steht, dass Backloading, also die Herausnahme von Zertifikaten, ein einmaliger Eingriff sein soll. Die Zertifikate sollen aber wieder auf den Markt zurückkommen können. Aufgrund dieser Einschränkung ist der Zertifikatepreis nicht gestiegen. Er liegt bei 5 Euro. Wir haben im letzten Umweltausschuss gemeinsam darüber diskutiert, dass dieser Betrag wesentlich höher liegen müsste – am besten über 15 Euro –, um relevant zu sein. Wissenschaftler sagen, dass wir, wenn die Klimapolitik der Bundesregierung so weiter geht, nicht bei 40 Prozent CO2-Reduktion im Jahr 2020 landen, sondern nur bei 30 bis 32 Prozent. Das sind realistische Zahlen. Ich frage Sie: Wie können Sie angesichts dessen hier von ambitionierten Klimaaktivitäten und Zielen sprechen? Ute Vogt (SPD): Vielen Dank, liebe Kollegin. – In meiner Eingangsbemerkung habe ich ja gesagt, dass die Ministerin noch nicht einmal 100 Tage im Amt ist. Ich bitte Sie daher, zu beachten, dass sowohl die Frau Umweltministerin als auch – das ist ein Novum – der Herr Wirtschaftsminister in den Debatten der letzten Tage darauf hingewiesen haben, dass hiermit ein erster Schritt beim Thema Emissionshandel vollzogen werden soll. Sie können sich natürlich darauf verlassen, dass die Verhandlungen zur Stärkung des Emissionshandels weitergehen. Aber das kann man nicht alles in den ersten Wochen der Regierungszeit schon vollenden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In dieser Legislaturperiode, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir die Möglichkeiten aber auch nutzen, die Diskussion über einen angeblichen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie zu beenden. Diese Einschätzung beruht in der Regel auf künstlich herbeigeredeten Lobbyinteressen. Wo es – wie in der Klimapolitik – darum geht, das Überleben der ganzen Erde zu sichern, da darf man keinen Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie konstruieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Viele Unternehmen in Deutschland gehen bereits jetzt ökologische Wege, und das mit großem ökonomischen Erfolg. Lassen Sie uns deshalb getrost mehr Ökologie wagen. (Beifall bei der SPD) Dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg wird es nämlich nur geben, wenn wir eine Politik machen, die die Ressourcen schont und auch die Lebensqualität erhöht. Politik, die für gesunde Umwelt und gute Lebensqualität sorgt, ist aus sozialdemokratischer Sicht und sicherlich auch aus Sicht der Großen Koalition eben nicht nur eine Politik für ein begrenztes Feld, sondern es ist auch eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, die darauf abzielt, für alle Menschen ökologisch annehmbare Bedingungen zu schaffen. Gerade in Gegenden, wo es starke Lärmbelastungen und große Luftverschmutzungen gibt, haben die Menschen nur ein geringes Einkommen. Sie können sich kein Haus am Waldrand oder einen schönen Garten mit vielen Bäumen um das Haus herum leisten. Diese Menschen leiden deshalb unter den Umweltbedingungen oft weit mehr als andere. Deshalb ist es das erklärte Ziel unserer Politik, auch in diesem Bereich mehr Lebensqualität zu schaffen. Wir verstehen das als einen Beitrag zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will noch auf ein weiteres Thema eingehen – der Kollege Nüßlein hat es schon angesprochen –, nämlich die Besetzung der Kommission zur Vorbereitung des Standortauswahlverfahrens nach dem Standortauswahlgesetz. Auch bei dieser Frage geht es um Verantwortung für die kommenden Generationen und darum, dass wir für das geradestehen, was wir durch die Nutzung der Atomenergie angerichtet haben. Wir müssen das alles nun in einer Art und Weise auf den Weg bringen, dass kommende Generationen keinen Schaden dadurch erleiden. Insofern ist es wichtig, dass die stimmberechtigten Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung des Standortauswahlverfahrens die Gesellschaft in ihrer Breite widerspiegeln. Stimmrecht in dieser Kommission haben nur die acht Wissenschaftler sowie die acht Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen. Wir müssen daher verstärkt an die Umweltverbände appellieren: Nutzen Sie Ihr Recht zur Mitentscheidung! Begnügen Sie sich nicht mit der Rolle der Kritiker, sondern treten Sie in die Verhandlungen ein und nutzen Sie Ihr Stimmrecht! Setzen Sie es ein! – Ich finde, Umweltverbände haben nicht nur das Recht, in dieser Frage mitzureden, sondern es ist auch ihre Verpflichtung, die Umweltbelange dort zur Geltung zu bringen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In dieser Woche hat uns der Tierfilmer und Moderator Dirk Steffens auf einem parlamentarischen Abend des WWF Trost zugesprochen. Er erinnerte daran, wie häufig wir Abgeordnete an drögen Sitzungen teilnehmen, wie langsam sehr vieles vorangeht und dass wir oft miteinander ringen und uns manchmal fragen: Warum tut man sich das eine oder andere eigentlich an? – In diesen Fällen sollten wir uns daran erinnern: Wir haben nicht mehr, aber auch nicht weniger zu tun, als die Welt retten zu müssen. – Das war ein großes Wort, das sehr pathetisch klang. Ich fand, das war ein schöner Auftrag an uns. Wir alle wissen, dass nicht jeder Einzelne von uns die Welt retten kann, dass wir aber gerade mit einer vernünftigen Verbindung von Ökonomie und Ökologie kleine und große Beiträge dazu leisten können, diese Welt tatsächlich ein Stück stabiler und für die nächsten Generationen zukunftsfest zu machen. In diesem Sinne freue ich mich auf eine gemeinsame, durchaus kritisch diskutierte, aber auf jeden Fall die Welt voranbringende Umweltpolitik. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Bauministerin Hendricks, ich benutze diese Anrede deshalb, weil Ihr Vorgänger diese Bezeichnung nicht verdient hatte. Hier klingt also eine gewisse Hoffnung mit, dass sich in diesem Bereich in Zukunft für Deutschland Wesentliches ändern wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesregierung hat uns mit dem Koalitionsvertrag einen wohnungspolitischen Dreiklang aus Stärkung der Investitionskraft, Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung versprochen. Was Frau Ministerin Hendricks hier heute vorgetragen hat, bestätigt das. Das klingt alles schon einmal viel besser als das, was wir von Vorgängerregierungen gehört haben oder was diese gar umzusetzen vermochten. Deshalb wünschen wir uns sehr, dass aus diesem Dreiklang eine harmonische Melodie mit langem Nachhall werden wird. Allerdings zeichnen sich schon heute einige Dissonanzen ab: Stichwort „Investitionskraft“: Frau Ministerin, weder im Koalitionsvertrag noch in Ihrer Rede heute haben die Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen eine Rolle gespielt. Wir brauchen, so denke ich, die Streichung der Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die SPD hat mit uns gemeinsam noch in der letzten Legislaturperiode entsprechende Anträge gestellt und auch eingereicht. Von alldem steht aber nun nichts im Koalitionsvertrag, und auch Sie, Frau Ministerin, haben dazu nichts gesagt. Wir werden weiterhin fordern, die Altschulden zu streichen und damit die Investitionskraft der Wohnungsunternehmen zum Beispiel für energetische Sanierung oder auch den altersgerechten Umbau der Wohnungen zu stärken. (Beifall bei der LINKEN) Demnächst, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Haushaltsdebatte. Die Regierung will die Mittel für die Städtebauförderung von 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro aufstocken; (Beifall des Abg. Sören Bartol [SPD]) das hat Frau Hendricks hier eben noch einmal bestätigt, ebenso auf der Bauministerkonferenz in dieser Woche. Das begrüßen wir sehr, weil auch wir diese Forderung unterstützen. Herr Pronold hat das allerdings auf meine Anfrage im Ausschuss in dieser Woche schon wieder relativiert. Er sagte nämlich: Über vier Jahre wollen wir zusätzlich 620 Millionen Euro zur Verfügung stellen. – Wenn ich die Differenz zwischen 455 Millionen Euro und 700 Millionen Euro ausrechne, komme ich auf jährlich 245 Millionen Euro mehr, und mal vier Jahre macht das dann 980 Millionen Euro. 620 Millionen Euro wären also schon einmal 360 Millionen Euro weniger, als Sie brauchen würden, um Ihr Versprechen von 700 Millionen Euro pro Jahr einzuhalten. Ich zitiere, was mein Kollege Bartsch in der gestrigen Debatte zu Finanzen und Haushalt sagte: Mathematische Gesetze lassen sich nicht wegbeschließen. – Auch beim Summieren sind die Zahlen für die Regierung die gleichen wie für die Opposition. Aber in 2014 muss das ja auch nicht mehr unbedingt umgesetzt werden; denn wenn wir erst im Juni den Haushalt beschließen, ist das Jahr halb um. Ehe das Geld dann ausgereicht ist, hat man die Hälfte wahrscheinlich schon wieder eingespart. Stichwort „sozialer Wohnungsbau“: Sie wollen diesen wiederbeleben, aber die Mittel von 518 Millionen Euro pro Jahr, die zur Verfügung stehen, werden nicht aufgestockt. Wenn wir genauer hinsehen, stellen wir fest, dass Herr Schäuble in der Verwaltungsvereinbarung bis 2018 nicht einmal darauf bestanden hat, dass durch die Länder kofinanziert werden muss. Außerdem hat er auch noch die Zweckbindung für den sozialen Wohnungsbau aufgegeben. Ich weiß nicht, wie Sie mit den Ländern vereinbaren wollen, dass das Geld dann zukünftig ausschließlich für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben werden soll. Da sind Sie auf das Wohlwollen der Bauminister angewiesen; aber die haben ihre Haushalte längst beschlossen. Und: Selbst das würde nicht reichen, um die fehlenden 4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland zu schaffen oder ausreichend viele Wohnungen aus dem Bestand in die Zweckbindung zurückzuführen. Der Wegfall der Zweckbindung ist also, glaube ich, kontraproduktiv. Da müssen Sie nacharbeiten. (Beifall bei der LINKEN) Stichwort „Klimaschutz im Gebäudebereich“: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und die energetische Stadtsanierung sollen fortgeführt werden. Richtig! Aber auf welchem Niveau und mit welchen Mitteln? Der Koalitionsvertrag spricht von Zusammenfassung von Wohnungsbau und energetischer Gebäudesanierung zu einem Aktionsprogramm. Aber wie? Aus den 518 Millionen Euro Kompensationsmitteln für den sozialen Wohnungsbau? Aus Mitteln der Städtebauförderung und wenn ja, in welcher Höhe? Aus dem EKF, der allerdings jetzt bei Herrn Gabriel verwaltet werden soll? Dazu würde ich in Zukunft gern noch etwas mehr von Ihnen hören, Frau Ministerin. Meine Damen und Herren, die bevorstehende Haushaltsdebatte wird der erste Test für die Ernsthaftigkeit dieser Ankündigungen sein. Es wird sich zeigen, wer den Taktstock führt und ob der versprochene Dreiklang als kräftiges Fortissimo daherkommt oder doch nur ein seichtes Piano bleibt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat Marie-Luise Dött das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Entscheidung, die Umweltpolitik und die Bau- und Wohnungspolitik in einem Bundesministerium zusammenzuführen, hat viel Aufmerksamkeit erzeugt. Ich sehe in dieser Zusammenführung beider Politikfelder eine spannende Herausforderung. Bereits heute gibt es ja sehr viele inhaltliche Verzahnungen. Im Konfliktfall mussten sie aber bisher zwischen zwei Bundesministerien geklärt werden. Nun muss Frau Bundesministerin selbst für die Ausgewogenheit der Entscheidung für beide Politikbereiche einstehen. Wir werden sie dabei unterstützen. Meine Damen und Herren, ich will hier die Gelegenheit nutzen, einige Schwerpunkte unserer Arbeit zu benennen. Wir werden auch in der neuen Legislaturperiode die Umwelt- und Klimapolitik dynamisch weiterentwickeln; Frau Ministerin Hendricks hat das schon ausführlich beschrieben. Wettbewerb, Produktverantwortung und anspruchsvolle Recyclingquoten sind auch zukünftig der Maßstab für die Kreislaufwirtschaft. Dabei bleibt das bewährte effiziente System einer fairen Beteiligung von Kommunen und privaten Entsorgern auch künftig erhalten. Der Schutz der Bürger vor Lärm wird verbessert. Der Schienenlärm soll bis 2020 halbiert werden. Die Belastungen durch Fluglärm werden wir reduzieren und vor allen Dingen die Öffentlichkeit stärker beteiligen. Wir werden, wie schon genannt, das Nationale Naturerbe um mindestens 30 000 Hektar erweitern. Bei Infrastrukturmaßnahmen werden die Belange des Natur- und Hochwasserschutzes stärker berücksichtigt. Es bleibt beim beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie. Wir sorgen für die Sicherheit der Kraftwerke bis zum letzten Betriebstag und setzen uns für verbindliche, ambitionierte Sicherheitsziele sowie Zusammenarbeit und Transparenz in Europa ein. Das ist nicht nur eine Frage, die Deutschland betrifft, sondern das muss für ganz Europa gelten. Wir werden die Suche nach einem geeigneten Endlager für radioaktive Abfälle auf der Grundlage des Standortsuchgesetzes voranbringen. Ich bin froh, dass wir dies mit diesem Gesetz geschafft haben. Ich schließe mich natürlich dem Appell der anderen Redner an die Umweltverbände zur Mitarbeit an. Das ist ganz wichtig. Wir dürfen auch nicht vergessen, die Voraussetzungen für die Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlasse Asse zu schaffen. Meine Damen und Herren, die Umweltpolitik bleibt auch künftig ein Motor für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Neben all diesen Themen bleibt der Schutz des Klimas im Zentrum deutscher und europäischer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das von der Europäischen Kommission vorgelegte Weißbuch zur Weiterentwicklung der europäischen Energie- und Klimapolitik kann nur der Beginn einer umfassenden Diskussion sein. 40 Prozent Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2030 sind ein gutes Signal – ich sage das ganz bewusst – für den Start der Verhandlungen. Es muss zudem bei der Zieltrias – dazu habe ich schon im Ausschuss Ausführungen gemacht – von Klimaziel, Ausbauziel für die erneuerbaren Energien und Steigerung der Energieeffizienz bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das sind drei gleichberechtigte und gleichwichtige Säulen einer modernen, zukünftigen Standortpolitik. Meine Damen und Herren, bau- und wohnungspolitisch steht die Koalition vor wichtigen Aufgaben. Der demografische Wandel, die wirtschaftsstrukturellen Veränderungen und die ambitionierten klimapolitischen Ziele wirken sich stark auf die Stadtentwicklung sowie den gesamten Gebäudesektor aus. Wir brauchen passende Antworten auf die regionalen Unterschiede auf dem Wohnungsmarkt. Wir müssen die erforderlichen Stadtanpassungsprozesse in Schrumpfungsregionen effizient gestalten. Wir wollen die Stadtentwicklung auch auf die Herausforderungen des Klimawandels ausrichten. Und wir wollen, dass Wohnen trotz der erforderlichen Investition in die Energieeffizienz bezahlbar bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Koalitionsvertrag haben wir Vorhaben verabredet, die dazu beitragen sollen, diese Aufgaben zu bewältigen. CDU und CSU haben die SPD von ihrem regionalisierten Konzept der Mietpreisbremse überzeugen können. Das ist sachgerecht. Ergänzt werden muss die Mietpreisbremse jedoch durch eine Stärkung des Wohnungsbaus. Das wäre die nachhaltige Lösung des Problems. Wenn man „nachhaltig“ steigern könnte, dann würde ich sagen: Es ist die nachhaltigste Lösung des Problems. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Länder und Kommunen stehen hier in besonderer Verantwortung. Die beabsichtigte Anhebung der Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro wollen wir ausdrücklich. Das ist ein starkes Signal an die Städte und Gemeinden in Deutschland. Wir unterstützen sie bei den erforderlichen Investitionen in die Stadtentwicklung. Sie werden beim Stadtumbau, beim städtebaulichen Denkmalschutz und bei den spezifischen Herausforderungen der kleinen Städte und Gemeinden im ländlichen Raum nicht alleingelassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die sinnvolle Verknüpfung mit gesellschaftspolitischen Herausforderungen wird in den Programmen „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ sowie „Soziale Stadt“ deutlich. Das Programm „Soziale Stadt“ werden wir als Leitprogramm der sozialen Integration weiterführen – so die Vereinbarung des Koalitionsvertrages. Dazu muss es aber endlich gelingen, die jeweiligen Kompetenzen aus den verschiedenen Bundesministerien sinnvoll zu bündeln. (Sören Bartol [SPD]: Sehr richtig!) Die Politik denkt hier seit Jahren weiter, als es die Ressortstrukturen freiwillig wollen, Herr Bartol. (Sören Bartol [SPD]: Ich bin begeistert!) Ein besonders großer Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele wird vom Gebäudesektor erwartet. Das Umwelt- und Bauministerium muss in der geänderten Zuständigkeit nun verstärkt darauf hinarbeiten, dass die Energiewende für Mieter und Hauseigentümer bezahlbar bleibt. Die Energiewende verliert sonst ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Wir haben im Koalitionsvertrag das geltende Wirtschaftlichkeitsprinzip im Ordnungsrecht und den Verzicht auf Zwangssanierungen bestätigt. Das ist richtig und vertrauensbildend. (Beifall bei der CDU/CSU) Viele Eigentümer von Einfamilienhäusern oder kleineren Mietshäusern sind in dieser Frage genauso schutzbedürftig wie Mieter; und darauf werden wir achten. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das umwelt- und baupolitische Programm der Großen Koalition ist ambitioniert, wachstumsorientiert und sozial gerecht. Jetzt geht es kraftvoll an die Umsetzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile dem Kollegen Christian Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich heute, nicht nur, weil ich meine erste Rede hier im Parlament halte, sondern auch, weil es uns Grünen in der letzten Legislaturperiode gelungen ist, zwei Konzepte zu entwickeln und auf den Weg zu bringen, die in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden haben, nämlich die Mietpreisbremse und das Bestellprinzip bei den Maklerkosten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Sören Bartol [SPD]) 2010 haben es sowohl SPD als auch CDU/CSU noch abgelehnt. Dass es in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird, ist ein grüner Erfolg. Darauf können wir Grüne stolz sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Frau Ministerin, Sie können von uns Grünen in dieser Legislaturperiode eine konstruktive Oppositionsarbeit in der Wohnungs- und Baupolitik erwarten. Wir wollen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das Thema Bauen und Wohnen in diesem Parlament einen größeren Stellenwert bekommt. Ihre ersten Aussagen dazu haben wir sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber Ihren warmen Worten – da will ich Frau Bluhm von der Linken recht geben – müssen haushalterische Taten folgen. Alle wohnungspolitischen, alle baupolitischen, alle mietrechtlichen Instrumente und auch alle Fördermittel müssen auf zwei große Herausforderungen ausgerichtet werden: zur Energiewende auch bei den Gebäuden beizutragen und den demografischen Wandel zu meistern. Wir finden es richtig, dass Sie die Mietpreisbremse schnell umsetzen wollen. Angesichts der vielen Podiumsveranstaltungen, auf denen man im Augenblick ist, warne ich Sie davor, gegenüber denjenigen einzuknicken, die gerade gegen die Mietpreisbremse arbeiten. Bleiben Sie hier in der Großen Koalition standfest, zum Wohle der Mieterinnen und Mieter in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Leider haben Sie ein Konzept von uns nicht übernommen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur eins!) Sie begehen mit der Absenkung der Modernisierungsumlage – das muss man wirklich sagen – einen Konstruktionsfehler, (Sören Bartol [SPD]: Mist!) indem Sie eine zeitliche Befristung einführen wollen. Das wird am Ende zu nichts anderem führen als zu einem Konjunkturprogramm für Anwaltskanzleien. Nichts gegen Anwaltskanzleien – auch Anwälte brauchen Jobs –, aber eines ist ganz klar: Eine Absenkung der Modernisierungsumlage in dieser Form ist nicht sinnvoll. Vielleicht schwenken Sie doch noch auf unser Konzept um, nämlich auf eine inhaltliche Begrenzung der Modernisierungsumlage nur auf die Fälle, wo auf die beiden genannten großen Herausforderungen reagiert wird, also auf den demografischen Wandel in Form des Abbaus von Barrieren und auf die Energiewende in Form energetischer Gebäudesanierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Zusammenhang mit der energetischen Gebäudesanierung haben wir sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie die Sanierungsquote auf 2,5 Prozent erhöhen wollen. Doch wenn man in den Koalitionsvertrag schaut, sieht man, dass dort steht: Sie wollen das KfW-Gebäudesanierungsprogramm „verstetigen“ und das Programm zur energetischen Stadtsanierung „fortschreiben“. – Wenn man aber die Sanierungsquote steigern will, kann man die Programme nicht auf dem gleichen Niveau fortführen. Die jetzige Quote liegt bei unter 1 Prozent. Wenn man darüber hinauskommen will, muss man mehr Mittel einsetzen. Hier gibt es in Ihrem Koalitionsvertrag eine riesige Leerstelle; das zeigen auch Ihre Aussagen. Ich finde es schade, dass Sie nicht bereit sind, gerade in diesem Bereich Mittel einzusetzen. Ich glaube, das zeugt von großer Zukunftsvergessenheit der Großen Koalition bei der energetischen Gebäudesanierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein paar Worte an die Sozialdemokratie. Die Heizkosten steigen dreimal schneller als die Löhne. Gerade deshalb müssten Sie erkennen: Die energetische Sanierung ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ich hoffe, dass Sie hier nachlegen und die Regierung ein bisschen vor sich hertreiben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Die eigentliche Herausforderung, vor der die Große Koalition und auch Sie als Ministerin stehen, ist das, was Sie hier beschworen haben, nämlich die Verzahnung von Umwelt- und Baupolitik. Ich sage ganz klar: Die klassische Antwort der Sozialdemokratie „Mehr Beton hilft mehr“ wird an dieser Stelle nicht helfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Miersch [SPD]: Dann haben Sie aber die Sozialdemokratie falsch verstanden!) Sie müssen klar sagen, was die Verzahnung bedeutet. Sie bedeutet nämlich mehr als das Hin- und Herschieben von Planstellen. Sie dürfen nicht nur Fragen stellen – wie Sie das heute getan haben –, sondern Sie müssen auch Antworten geben auf die Fragen, wie Sie den Flächenverbrauch in Deutschland reduzieren wollen, wie Sie für mehr Nachhaltigkeit auf den Baustellen sorgen wollen, wie Sie ökologische Baustoffe fördern wollen, wie Sie die Energiewende im Gebäudebereich meistern wollen. Das sind die Herausforderungen, vor denen Sie stehen. An deren Bewältigung werden wir Sie messen. Wir Grüne werden Sie dabei als kritische, konstruktive und kluge Opposition begleiten. Ich verspreche Ihnen, dass wir in dieser Legislaturperiode weiterhin die Ideenschmiede in der Wohnungs- und Baupolitik in Deutschland sein werden. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Auch Ihnen, lieber Herr Kühn, herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede. Ich wünsche Ihnen Erfolg bei und Freude an Ihrer parlamentarischen Arbeit. (Beifall) Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sören Bartol (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bau- und Stadtentwicklungspolitik ist zurück auf der politischen Bühne, mit einem neuen Ressortzuschnitt, einer neuen Ministerin und dem Gestaltungsanspruch einer aktiven Stadtentwicklungs- und sozialen Wohnungsbaupolitik. Ihnen, Frau Ministerin, möchte ich zunächst meine herzlichen Glückwünsche zu Ihrem neuen Amt als Umwelt- und Bauministerin übermitteln. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und die gemeinsame Umsetzung dessen, was wir uns als Koalition in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik vorgenommen haben: die Reform des Wohngeldes und die Mietpreisbremse, die Stärkung der Städtebauförderung und die Förderung des Neu- und Umbaus von Wohnungen, die zugleich bezahlbar, energiesparsam und altersgerecht sind. Das alles ist ein Gesamtpaket, und nur als solches ist es auch sinnvoll. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wohn und vor allen Dingen Heiz- und Warmwasserkosten steigen schneller als die Einkommen. Bei Haushalten im unteren Einkommensbereich fressen sie inzwischen bis zu 40 Prozent des Budgets auf. Das Wohngeld ist seit 2009 nicht mehr angepasst worden. Haushalte mit kleinen Einkommen oder Renten werden alleine wegen hoher Wohnkosten in Arbeitslosengeld II oder die Grundsicherung gedrängt. Das ist ein Verschiebebahnhof zwischen den öffentlichen Kassen, und das geht zulasten der Betroffenen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Wohngeldanpassung ist überfällig. Sie zügig anzupacken und zu beschließen, ist eine der ersten Aufgaben. Angesichts der steigenden Energiekosten ist aber auch mehr als deutlich, dass der energetische Umbau weitergehen muss. Wenn ich energetischer Umbau sage, dann meine ich eben nicht nur die Gebäudedämmung, sondern vor allen Dingen auch die quartiersbezogenen Ansätze der Strom- und Wärmeversorgung, den Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich und die Energieberatung. Technologieoffenheit und Bezahlbarkeit sind die Leitlinien, die sich diese Koalition dabei gesetzt hat. Die Mietpreisbremse brauchen wir als kurzfristig wirksames Instrument, damit sich in Städten und Ballungsräumen die Preisspirale nicht weiter nach oben dreht. So sind zum Beispiel nach dem neuen GSW-Wohnungsmarktbericht von dieser Woche die Mieten in Berlin bei neu abgeschlossenen Verträgen weiter deutlich angestiegen: allein von 2012 auf 2013 in Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg im Mittel um 12 Prozent. Ausreißer von bis zu 40 Prozent Mietsteigerungen, die es durchaus auch gibt, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Diese – ich nenne das so – Exzesse wollen wir mit einer Begrenzung bei Wiedervermietung in den Griff bekommen, und ich freue mich, dass der Bundesjustizminister dies in enger Abstimmung mit der Bauministerin im Sinne des Koalitionsvertrages schnell umsetzen will. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer hier Alarm schlägt und das Ende jeder Neubauaktivität sieht, der hat einfach nicht aufmerksam gelesen: Die Mietpreisbremse gilt nicht für den Neubau, sie ist regional begrenzt und zeitlich befristet, und sie ist, wie schon gesagt, Teil des bau- und wohnungspolitischen Gesamtpakets dieser Koalition, eines Pakets, das eben nicht nur Mieterinnen und Mieter besser absichert und ihre Rechte stärkt, sondern das natürlich auch die Investitionsbedingungen der Wohnungswirtschaft ganz klar verbessert und damit, wie ich finde, eine gute Grundlage für das von der Ministerin angekündigte Bündnis für Wohnen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dazu zählen die Fortführung der Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung der Länder, die bis Ende des Jahrzehnts gesichert ist, die gezielte Förderung des genossenschaftlichen Neubaus, die verbilligte Abgabe von ehemaligen Militärliegenschaften für den Wohnungsbau und – das ist in dieser Debatte schon oft genannt worden – die massive Aufstockung der Städtebauförderung von 455 auf 700 Millionen Euro. Sozial stabile Quartiere, ein gesundes und sicheres Wohnumfeld, Einkaufsmöglichkeiten, aber auch der Rückbau von Leerstand – all das steigert die Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner, aber es sichert und erhöht am Ende auch den Wert der Immobilien. Zum guten Wohnen gehört eine intakte Nachbarschaft, in den Stadtquartieren der Metropolen wie auch in den ländlichen Gemeinden. Denn vor Ort entscheidet sich, ob Integration gelingt und demografischer Wandel gestaltet werden kann, ob Menschen in politische Lethargie verfallen oder mitmachen. Deshalb bin ich sehr froh, dass die soziale Wohnungs- und aktive Stadtentwicklungspolitik mit dieser Koalition endlich wieder dort sind, wo sie hingehören, nämlich ganz oben auf der Tagesordnung. Vielen Dank. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Volkmar Vogel freut sich hoffentlich auch. Jedenfalls werden wir das jetzt von ihm hören, wenn er für die CDU/CSU-Fraktion das Wort ergreift. (Beifall Abgeordneten bei der CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich tatsächlich, vor allen Dingen darüber, lieber Kollege Bartol, dass Sie jetzt wieder bei uns auf der politischen Bühne Politik aktiv mitgestalten können, wenngleich ich sagen muss: Wir sind nicht allein auf dieser Bühne. Wir können das auch nicht alleine schultern. Diese Bühne gehört genauso unserer Bauwirtschaft, unserer Wohnungswirtschaft, der Immobilienwirtschaft, ganz besonders natürlich unseren Ländern und Kommunen. Wir müssen das gemeinsam, wie von Frau Ministerin Hendricks dargestellt, in den nächsten Monaten im gemeinsamen Gespräch auf den Weg bringen. (Beifall des Abg. Sören Bartol [SPD]) Wir sollten auch nicht vergessen, dass – das hat sich in den vergangenen Jahren bewährt – der Wohnungsmarkt, die Immobilienwirtschaft zum Glück vielgestaltig sind. Wir haben leistungsstarke kommunale Wohnungswirtschaftsunternehmen, wir haben die Genossenschaften, die eine Menge tun, um das Wohnumfeld zu verbessern, und wir haben viele private Investoren und viele Einzelinvestoren, die dafür sorgen, dass der Wohnungsmarkt in Deutschland – das muss man an dieser Stelle bei aller Kritik und allen Problemen, die wir haben, sagen – stabil ist und eine wesentliche soziale Errungenschaft in Deutschland erhalten bleibt: menschenwürdige und bezahlbare Wohnungen. Wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt. Wie in den vergangenen Jahrzehnten die Herausforderung die Wiederherstellung der Innenstädte in Ostdeutschland war, so sehen wir uns jetzt Herausforderungen gegenüber, die vor allen Dingen mit der demografischen Veränderung und der Energiewende zu tun haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Probleme, die sich aus der demografischen Veränderung ergeben, sind vielschichtig. Auf der einen Seite haben wir Wohnungsmangel in den Metropolen, auf der anderen Seite gibt es große Flächen, bei denen wir mit Leerstand zu kämpfen haben. Wenn es um die Beseitigung des Wohnungsmangels geht, ist die Mietpreisbremse sicherlich eine Möglichkeit; aber sie löst das Problem nicht. Das Problem lösen wir nur durch die Ankurbelung der Investitionstätigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass wir – auch wenn das nicht im Koalitionsvertrag steht – weiterhin über Möglichkeiten der degressiven Abschreibung in diesem Bereich sprechen sollten. Dazu gehört natürlich auch unser Instrumentenkasten der Städtebauförderung. Dazu gehören Dinge wie die verbilligte Abgabe von militärischen Liegenschaften, die nicht mehr gebraucht werden. All das wirkt aber nicht sofort, wenn wir es auf den Weg gebracht haben. Da sich tatsächlich viele die Miete in der Innenstadt in einem normalen Wohnumfeld nicht mehr leisten können, ist es richtig, während einer Übergangszeit dafür zu sorgen, dass eine Mietpreisbremse wirken kann, aber eben nur zeitweise, regional begrenzt – das ist Aufgabe der Länder – und schlussendlich mit der Maßgabe, dass die Länder, in denen es Regionen gibt, die sich in einer solchen Situation befinden, mit einem entsprechenden Maßnahmenplan dafür sorgen, dass das möglichst zeitnah, innerhalb weniger Jahre, abgearbeitet wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine dauerhafte Regulierung des Mietmarktes würde zu dem führen, was ich leidvoll im Feldversuch DDR mitmachen musste, (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Oh!) nämlich dazu, dass der Wohnbereich in einer Art und Weise vernachlässigt wird, dass er nicht mehr lebenswert ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Wohl wahr! Das stimmt!) Trotz alledem, demografische Veränderung hat in einzelnen Regionen auch Leerstand zur Folge. Diesem Leerstand werden wir nach wie vor sehr viel Aufmerksamkeit widmen. Die Stadtumbauprogramme haben sich in den vergangenen Jahren bewährt; wir müssen sie fortschreiben. Lieber Sören Bartol, wir haben ja bereits in der vorhergehenden Legislatur über den dazu vorliegenden Zwischenbericht gesprochen. Im Jahre 2015 werden wir die Evaluierung abgeschlossen haben, und ab 2016 brauchen wir eine neue Regelung. Ich denke, dass wir hier auf ein einheitliches Programm zurückgreifen können, das zum Beispiel Stadtanpassungsprogramm heißen könnte. In diesem Programm sollten manche Dinge besser berücksichtigt werden als in der Vergangenheit, insbesondere wenn es um die Aufwertung und die Umnutzung von Wohnraum geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser Instrumentenkasten ist die Städtebauförderung, die vor allen Dingen natürlich auch die Wohnungspolitik der Länder maßgeblich mit unterstützt. Das Programm „Soziale Stadt“ – wir haben in den Ausschüssen in den letzten Jahren sehr oft darüber gesprochen – ist aus unserer Sicht ein wichtiges Programm. (Sören Bartol [SPD]: Endlich wieder!) Es ist aus unserer Sicht sogar so wichtig, dass wir es, so wie damals von Franz Müntefering sinnvoll angedacht, ressortübergreifend mit den Bereichen Familie sowie Arbeit und Soziales weiterführen wollen. (Ute Vogt [SPD]: Gut, dass Sie den richtigen Koalitionspartner haben!) Das würde es aufwerten, und – machen wir uns nichts vor – wir würden dadurch vielleicht insgesamt finanziell ein bisschen besser gestellt werden, was auch dazu führen würde, dass wir mehr Mittel für die anderen ebenfalls sehr wichtigen Programme hätten. Gerade die Programme zum Stadtumbau sind aus meiner Sicht so wichtig, dass es dort eine Aufstockung der Mittel geben muss. Ich muss sagen: Ich bin auch ein starker Verfechter der ländlichen Region. Leerstand und demografischer Wandel berühren ja gerade unsere ländlichen Regionen und die vielen kleinen Städte. Ich finde, dass wir das Programm „Kleinere Städte und Gemeinden“, so wie von Minister Ramsauer angelegt, weiterführen sollten, um auch die kleinen Städte und die Fläche zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der zweite Schwerpunkt ist die Energiewende. Dazu wurde schon viel gesagt. Ich glaube, es ist richtig und wichtig, dass wir uns die Regelungen, die wir im Baubereich dazu treffen müssen, gut überlegen. Wir sollten die Energieeinsparverordnung, so wie sie jetzt in Kraft ist, wirken lassen. Wir haben eine EnEV 2014. Wir wissen, dass 2021 für den Wohnungsbau der Niedrigenergiehausstandard der EU kommt. Das heißt, wenn wir jetzt nicht noch maßgeblich daran herumdoktern, gibt es Planungssicherheit für alle Beteiligten, für Investoren genauso wie für Hausbesitzer, die dann dafür sorgen können, dass ihre Gebäude nach dem Standard, den wir vorgegeben haben, saniert werden. Es gibt mit dem Niedrigenergiehausstandard auch schon die Perspektive ab 2021. Wir werden dafür sorgen, dass das Programm entsprechend ausgestattet wird und die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung stehen. Auf diese Art und Weise werden wir eine der wichtigen Herausforderungen der nächsten vier Jahre in diesem Bereich bewältigen. Als jemand, der vorher im Verkehrs- und Bauausschuss war, kann ich nur sagen, dass ich mittlerweile keine Sorge mehr habe, was die Verbindung von Umwelt und Bau angeht. Ich finde, dass die Bereiche Umwelt und Bau sehr gut zusammenpassen und dass der Baubereich auch im Umweltbereich einen angemessenen Stellenwert hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Kollege Steffen Kanitz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Energiewende muss ein Erfolg werden. Das hat nicht zuletzt die gestrige Rede des Bundesenergieministers gezeigt, und das ist ja auch gerade in der Debatte noch einmal deutlich geworden. Wir alle sind uns der Bedeutung dieses Themas bewusst. Wir alle wollen, dass Deutschland zum Vorreiter einer modernen Energiepolitik wird, die sicher, sauber und bezahlbar ist. Damit folgen wir dem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens, in Deutschland endgültig ohne die Nutzung der Kernenergie auszukommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) An dieser Stelle wird klar: Die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende steht und fällt nicht allein mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern sie hängt in ganz beträchtlichem Maße auch davon ab, ob uns der Ausstieg aus der Kernenergie gelingt. Wir sprechen insofern von zwei Seiten ein und derselben Medaille. Erfolgreich, das heißt für mich vor allem Sicherheit, Transparenz und Bezahlbarkeit beim Restbetrieb der Kernkraftwerke, ihrem Rückbau und der Entsorgung des radioaktiven Materials. Unser Koalitionsvertrag greift diesen Grundsatz auf und bekräftigt noch einmal: Die Sicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland bleibt oberstes Gebot. Diese Zusicherung umfasst sowohl die Betriebsdauer als auch die Stilllegung und den Rückbau der Kraftwerke. Aber die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke – auch das ist heute schon mehrmals angesprochen worden – reicht allein nicht aus. Wir müssen auch unsere europäischen Nachbarn, die nach wie vor auf Kernenergie setzen, mit einbeziehen. Deutschlands Kernkraftwerke zählen zu den sichersten der Welt. Allein deshalb sind wir verpflichtet, uns engagiert in die europäische Sicherheitsdiskussion einzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Politik hat immer auch etwas mit Verantwortung zu tun, insbesondere gegenüber denjenigen, die noch keine Stimme haben. Deshalb meine ich: Die Generation, die maßgeblich von günstigem Atomstrom profitiert hat, muss nun auch eine Lösung für die Beseitigung und langfristig sichere Endlagerung der radioaktiven Abfälle finden. Wenn man sich die Intensität der Auseinandersetzung und die Dauerhaftigkeit des Konflikts zur Endlagersuche vor Augen führt, dann darf die Einigung, die wir im letzten Sommer gemeinsam erzielt haben und die anschließend zum Standortauswahlgesetz geführt hat, durchaus als historischer Erfolg bewertet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind übereingekommen, dass wir die Hinterlassenschaft der Kernkraft gemeinsam und in Deutschland bewältigen werden, damit von radioaktiven Abfällen keine Gefahr für jetzige und künftige Generationen ausgeht. Entscheidend für den Erfolg ist, dass das verabschiedete Gesetz Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Dialoges ist, den unser ehemaliger Umweltminister Norbert Röttgen einmal als „Verantwortungs- und Sicherheitskonsens für Deutschland“ bezeichnet hat. An dieser Stelle danke ich ganz herzlich allen Beteiligten, die eine solche Verständigung auf Basis von Kompromissbereitschaft und Transparenz ermöglicht haben, insbesondere dem damaligen Umweltminister Peter Altmaier, aber auch den zuständigen Berichterstatterinnen und Berichterstattern in den Fraktionen. Diese Gesprächskultur des Dialogs wollen wir fortsetzen. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft in Form von öffentlichen Anhörungen und Bürgerforen werden wir auch weiterhin sicherstellen. Denn nur so entsteht Transparenz und letztlich die dringend notwendige Akzeptanz für die zu treffende Standortentscheidung. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine umfassende Beteiligung bedeutet für mich, dass sämtliche interessierten Akteure an der Suche mitwirken. Dazu zähle ich neben den Kirchen, der Wirtschaft und den Gewerkschaften ausdrücklich auch die Umweltverbände. Dass es strittige Themen gibt und dass wir einen steinigen Weg vor uns haben, ist, glaube ich, allen klar. Doch im Interesse eines tragfähigen, ausgewogenen Kompromisses halte ich es für unabdingbar, dass alle Betroffenen mit am Verhandlungstisch sitzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mein Dank gilt deshalb unserer neuen Bundesumweltministerin, Frau Hendricks, die gestern noch einmal deutlich an die Umweltverbände appelliert hat, die „Chance des Mitwirkens nicht verstreichen zu lassen“. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich pflichte ihr bei. Eine Beteiligung am Suchprozess von vorneherein abzulehnen, entspricht nicht dem überparteilichen Geist, in dem wir das Standortauswahlgesetz verabschiedet haben. Daher möchte auch ich um die Beteiligung der Umweltverbände am Suchverfahren werben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Suche nach einem Endlager soll laut Gesetz ergebnisoffen und vergleichend gestaltet werden. Daher gibt es keine Vorfestlegungen, weder auf Gesteinsformationen noch auf einzelne Standorte. Das Auswahlverfahren wird durch eine ausgewogen besetzte Kommission vorbereitet. Bis Ende 2015 soll die Arbeit der Kommission abgeschlossen sein und ein Bericht als Grundlage der Standortsuche vorliegen. Das ist ein ambitioniertes Ziel, für das wir alle gemeinsam Verantwortung tragen. Jetzt wird es darauf ankommen, nahtlos an die allgemein akzeptierten und ausgewogenen Vereinbarungen aus dem Sommer 2013 anzuknüpfen. Die Vorgehensweise, auf die wir uns alle geeinigt haben, darf nicht infrage gestellt, sondern muss jetzt umgesetzt werden. Wir als Union werden jedenfalls unseren Beitrag dazu leisten. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin optimistisch, dass wir die anstehenden Herausforderungen, insbesondere die Suche nach einem atomaren Endlager, gemeinsam, verantwortungsvoll und sicher lösen können, genauso wie wir gemeinsam den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen haben. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Kanitz, zu Ihrer ersten Rede und viel Erfolg bei der künftigen parlamentarischen Arbeit. (Beifall) Damit ist auch für diesen Geschäftsbereich die vorgesehene Debatte, heute jedenfalls, zu Ende. Ich rufe nun als nächsten Geschäftsbereich den Bereich Bildung und Forschung auf. Auch hierfür ist eine 60-minütige Debatte vereinbart. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Dr. Johanna Wanka. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie kann es sein, dass Deutschland – dieses kleine Deutschland – das Land in der Welt ist, das absolut betrachtet die meisten Hightechprodukte exportiert, mehr als die riesigen USA und mehr als China, die ja ganz andere Produktionskapazitäten haben? Wie kann es sein, dass Deutschland, wo gerade einmal 1,2 Prozent der Weltbevölkerung leben, die viertstärkste Industrienation ist? Da muss man mit Recht fragen: Was ist die Basis dafür? Die Basis ist Deutschlands starke Innovationskraft. Sie gründet auf Forschung und Entwicklung und Bildung. Wenn man sich – es gibt viele Rankings – die schönen Zahlen anschaut, wird aber auch eines klar: Der globale Wettbewerb wird stärker, wird heftiger. Deswegen ist der Koalitionsvertrag ein starkes Signal, dass gute Bildung und leistungsstarke Forschung in unserem Land weiterhin eine Zukunft haben. Dafür werden wir uns in den nächsten vier Jahren gemeinsam engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir untermauern das im Koalitionsvertrag mit finanziellen Zusagen. Von den 23 Milliarden Euro, die zusätzlich bereitgestellt werden, fließen 9 Milliarden Euro – das ist der größte Brocken, mehr als ein Drittel – in die Bereiche Forschung, Hochschule, Schule, Kita. Davon wollen wir 6 Milliarden Euro so anlegen, dass die Länder entlastet werden. Die Koalition macht damit deutlich, dass Bildung, Wissenschaft und Forschung für sie weiterhin Kernanliegen sind. Für mich resultieren daraus für die nächsten Jahre drei Hauptaufgaben – sie sind entscheidend –: Erstens: die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken, das heißt, die gerade beschriebene Innovationskraft erhalten und nach Möglichkeit ausbauen. Das ist ein zentrales Ziel. Zweitens: die Zukunftsarchitektur des Wissenschaftssystems bauen, das heißt die Leitplanken für die dynamische Weiterentwicklung des Systems. Drittens: Bildungsgerechtigkeit. Wir leben in einem reichen Land. In diesem Land müssen jedem und jeder Lebenschancen durch Bildung eröffnet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie schön! Das passt ja zum Koalitionsvertrag!) Zum Punkt Wettbewerbsfähigkeit. Seit acht Jahren bündeln Bundesregierung, Wissenschaft und Wirtschaft in der Hightech-Strategie ihre Kräfte für Innovation. Das zahlt sich aus. 2012 haben wir zum ersten Mal erreicht, dass 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – dabei ist die Wirtschaft in starkem Maße, zu zwei Dritteln, beteiligt – für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. In zahlreichen Rankings – von der EU und von vielen anderen – steht Deutschland sehr gut da. Wirtschaftsminister Gabriel hat gestern das Thema Batterieforschung angesprochen. Ich will dieses Thema als Beispiel nehmen, um zu illustrieren, wie die Hightech-Strategie funktionieren kann und funktioniert. Batterieforschung ist für die Energiewende von zentraler Bedeutung. Deutschland war im letzten Jahrhundert auf diesem Gebiet weltmarktführend. Im Jahr 2008 dagegen gab es kaum noch Professoren für Elektrochemie, es gab in diesem Bereich nur ganz wenige Wissenschaftler überhaupt, es gab keine nachfragende Industrie. Es war aber schon damals klar, dass dieser Bereich in den nächsten Jahren systemrelevant werden würde. Deswegen wurde im Rahmen der Hightech-Strategie wirklich viel Geld in die Hand genommen, um diesen Bereich zu pushen. Mittlerweile sind wir im Forschungsbereich der modernen elektrochemischen Batterien wieder weltmarktführend. Das reicht aber noch nicht aus. Der Ansatz ist: Es muss transferiert werden. Wir haben einen Industrieverbund, dem alle Firmen, die mit der Wertschöpfung der Batterieproduktion zu tun haben, angehören. Darüber hinaus haben wir in Ulm die Schaffung einer Produktionsanlage unterstützt, in der geforscht werden kann. Diese startet im Sommer ihren Betrieb. Das ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg, vielleicht auch in der Produktion eine Weltmarktführerschaft zu erreichen. Zur Massenproduktion ist aber ein weiterer Schritt nötig. Ich will mich gerne zusammen mit meinem Kollegen Gabriel um dieses Thema kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Eine solche Hightech-Strategie zu verfolgen, die Innovationskraft zu stärken, ist das eine. Darüber hinaus ist es genauso wichtig, dass Deutschland als starke Industrienation eine große Verantwortung für die globalen Aufgaben, die globalen Herausforderungen in der Welt übernimmt. In der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt ging es um Klimawandel. Hier wird sich Deutschland, gerade weil wir auf diesem Gebiet stark sind, auch mit Forschungsleistungen hervortun müssen. Die Hightech-Strategie wollen wir – das haben wir im Koalitionsvertrag beschlossen – ressortübergreifend zu einer allgemeinen Forschungs- und Innovationsstrategie weiterentwickeln. Dabei muss man immer wieder betonen: Es geht nicht nur um wirtschaftliche Innovationen; genauso entscheidend und wichtig sind gesellschaftliche Innovationen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Eckpunkte zu dieser Weiterentwicklung will ich im zweiten Quartal vorlegen. Diese Weiterentwicklung wollen wir sehr eng mit dem Programm Horizon 2020 auf europäischer Ebene verzahnen. Auch die Kooperation mit Entwicklungsländern und aufstrebenden Wissenschaftsländern wollen wir forcieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Im Mittelpunkt stehen natürlich die Bereiche, die Innovationstreiber sind; ich kann das jetzt nicht im Detail ausführen. Als Beispiel nenne ich die Digitalisierung: Wir haben das Wissenschaftsjahr zur Digitalisierung, wo es vor allem um die Diskussion mit der Bevölkerung und deren Ängste geht. Wir werden zum Beispiel im Frühjahr zwei große Kompetenzzentren für Big Data eröffnen. Beim Projekt Industrie 4.0 sind wir gut aufgestellt. Mit dieser Strategie können wir ganz weit oben mitspielen. Daraus ergeben sich riesige Chancen zur Erhaltung des Wohlstands in Deutschland. Zur Energieforschung. Die Energieforschung müssen wir an den Themen der Energiewende ausrichten. Wir haben im letzten Jahr die Forschungsplattform Energiewende gebildet, die in sehr starkem Maße ein Gremium zur Abstimmung auch mit Wirtschaft und Wissenschaft ist. Im Rahmen dieses Forschungsforums werden wir bis Ende dieses Jahres mit allen Beteiligten, das heißt mit Wirtschaft, Umwelt und Wissenschaft, eine Forschungsagenda im Bereich Energie für die nächsten Jahre aufstellen: Was sind die Themen, die zuerst bearbeitet werden müssen? Worauf wollen wir uns konzentrieren? – Diese Agenda steht zum Ende des Jahres. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zum Thema Gesundheitsforschung. Gesundheitsforschung wird weiterhin einen hohen Stellenwert behalten. Dies gilt auch für die anderen Themen, die in der Hightech-Strategie zu finden sind. Im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit sind auch die Fachkräfte ein wichtiges Thema. Wir haben in Deutschland zwei starke Säulen in Bezug auf die Ausbildung von Fachkräften. Die erste Säule ist der akademische Bereich. Hier haben wir in den letzten Jahren sehr viel gemacht; von Bund und Ländern sind Milliarden geflossen. Die Erfolge waren groß, wie man zum Beispiel an der Zahl der Studierenden sehen kann. Es ist auch beabsichtigt, das fortzuführen. Ich nenne nur die dritte Phase des Hochschulpaktes. Die zweite Säule im Bereich Fachkräfteausbildung ist das duale Ausbildungssystem. Dieses wird weltweit gelobt und bewundert. Hier besteht aber Handlungsbedarf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist ein entscheidender Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode. Wir wollen für den Bereich der beruflichen Bildung vieles tun, zum Beispiel mit dem großen Paket „Chance Beruf“. Natürlich geht es – ohne auf Details einzugehen – auch darum, das eine oder andere modellhaft auszuprobieren. Uns geht es in dieser Legislaturperiode aber darum, Dinge, die gut und wichtig sind, flächendeckend umzusetzen. Das ist das strategische Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dass die präventiven Möglichkeiten für junge Leute im Bereich „Chance Beruf“ genutzt werden, ist einerseits natürlich volkswirtschaftlich wichtig – wir brauchen die Fachkräfte –, aber nicht nur. Denn das ist andererseits auch entscheidend für das Lebensglück der Menschen, weil nur eine gerechte Bildung individuelle Zukunftschancen ermöglicht. Deswegen ist das Thema Bildungsgerechtigkeit ganz zentral. Wir werden den Ausbildungspakt gemeinsam mit allen Sozialpartnern weiterentwickeln und das Thema „allgemeine Weiterbildung“ – gerade auch für die Älteren – sehr stark mit in den Fokus nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Ich habe gerade das Wort „Wochenende“ hinter mir im Präsidium gehört und dachte, das bezieht sich auf meine Rede. (Heiterkeit und Beifall) Vizepräsident Peter Hintze: Der Redner sollte sich immer nach vorne konzentrieren, Frau Ministerin, nie nach hinten. (Heiterkeit) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich dachte, das war eine launige Bemerkung zur Weiterbildung. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zu dem Bereich Bildungsgerechtigkeit gehört natürlich auch das Thema Ausbildungsförderung bzw. BAföG. Wir haben vor wenigen Tagen den 20. BAföG-Bericht im Kabinett verabschiedet. Die letzte Novelle im Jahre 2010 hat strukturelle Veränderungen gebracht, sodass wir jetzt sagen können: Migranten erhalten sehr viel häufiger als zuvor BAföG, und unsere deutschen Studenten sind sehr viel flexibler, wenn es um Auslandsaufenthalte geht. Die nächste BAföG-Novelle muss aber kommen, und wir gehen zügig an diese Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich komme zum letzten Punkt. Es geht um die Zukunft des Wissenschaftssystems. Wir müssen die neue Architektur in diesem Bereich weiterbauen. Sie alle wissen: Es gibt Pakte und die Exzellenzinitiative. Wir haben dort ganz viel in Bewegung gebracht; es gibt eine große Dynamik. Wir können jetzt aber nicht damit fortfahren, dass ständig neuer Wettbewerb entsteht, sondern daraus müssen jetzt auch einmal langfristige Strukturen erwachsen. Vor allen Dingen muss die Balance zwischen den außeruniversitären Einrichtungen und den Hochschulen wiederhergestellt werden. Deswegen geht der Bund dort entscheidend heran; er will sich an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn und in welcher Höhe?) Das alles kann man nur in Verhandlungen mit den Ländern erreichen. Der Bund ist hier nicht der alleinige Spieler. Wir versuchen, gemeinsam mit den Ländern einen nationalen Zukunftspakt zu schnüren. Wir müssen weiter über Art. 91 b des Grundgesetzes diskutieren. Ich glaube, wenn wir dort Bewegung erreichen, dann werden wir das Geld sehr viel besser einsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben ehrgeizige Ziele, die für viele Häuser relevant sind. Bei dem einen oder anderen Ziel ist das Herzblut in den Häusern naturgemäß sicher unterschiedlich verteilt; das ist völlig klar. Diese Koalition steht aber gemeinsam für Innovationen, für nachhaltigen Wohlstand und für individuelle Zukunftschancen für alle in diesem Land. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Frau Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich schon wundern: Zwei Monate Koalitionsverhandlungen, und dann kommt so etwas heraus! (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist substanziell!) Wer einen Aufbruch in der Bildung erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht. (Zurufe von der SPD) – Entschuldigung, in der Rede von Frau Wanka kamen die Begriffe „Bildung“, „allgemeine Bildung“ und „schulische Bildung“ noch nicht einmal vor. Die GEW attestierte sehr zu Recht einen „fehlenden politischen Gestaltungswillen“, der studentische Dachverband fzs spricht von einer Fortführung der Politik der „befristeten Finanzspritzen nach Stimmungslage“, und sogar der Deutsche Philologenverband nannte das Ergebnis „konturlos“. (Lachen bei der SPD – René Röspel [SPD]: Das ist wohl eine Organisation der Linken!) – Daran sehen Sie einmal, wie breit die Kritik an Ihrem Vorschlag ist. Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber die Große Koalition setzt auf die unsoziale Politik von Schwarz-Gelb (Zuruf von der CDU/CSU: Oh!) sogar noch eins drauf; denn auf das drängendste Problem, dass die Länder immer weniger Geld für Investitionen im Bildungsbereich haben und aufgrund der Schuldenbremse vor massiven Kürzungen stehen, gibt diese Regierung einfach keine Antwort. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Milliardenentlastung der Länder! – Dagmar Ziegler [SPD]: Was? 6 Milliarden Euro sind keine Antwort?) Sie gibt nicht nur keine Antwort, sondern sie verweigert auch auf der Hand liegende und zum Greifen nahe Lösungen. Das ist nicht nur mangelnde politische Gestaltung, sondern das ist eigentlich schon unterlassene Hilfeleistung. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU) Zwei Dinge wären bitter nötig: erstens eine Steuerpolitik, die auch einmal die Reichen zur Kasse bittet, um die öffentlichen Haushalte überhaupt in die Lage zu versetzen, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir haben hier eine Bildungsdebatte!) die großen Aufgaben in der Bildung anzupacken, und zweitens die Aufhebung des Kooperationsverbotes, damit es dem Bund nicht länger verboten ist, in der Bildung mitzufinanzieren. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir finanzieren die Bildung mit, und zwar mit Milliardenbeträgen!) Aber Sie in der Koalition haben sich bereits vor Beginn der Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, auf Steuergerechtigkeit zu verzichten. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Zum Thema, bitte!) Sprich: Bevor Sie überhaupt wussten, was Sie inhaltlich wollen, wussten Sie bereits, dass Sie es nicht finanzieren können. Dass Sie sich dann aber noch nicht einmal darauf einigen konnten, das Kooperationsverbot abzuschaffen, versteht wirklich niemand. Das ist doch inzwischen einhellige Meinung. Selbst Ihre Ministerin, Frau Wanka, hat im Wahlkampf erklärt, es wäre Zeit, dieses Relikt abzuschaffen. Ich frage mich: Was hindert Sie daran? Wieso tun Sie es nicht einfach mit Ihrer hier existierenden Vierfünftelmehrheit? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie kündigen ein Jahrzehnt der Hochschulen an, haben aber keine Idee, wie Sie das finanziell untersetzen sollen. Es ist vor allem eine finanzielle Frage; denn in den meisten Hochschulen bröckelt mittlerweile etwas mehr als nur der Putz: Da wackelt wirklich das Fundament. In Sachsen werden gerade 30 Studiengänge geschlossen. An der Uni Bremen sollen 140 Stellen gestrichen werden. In Thüringen stehen sogar 500 Stellen zur Disposition. Wenn das der Anfang Ihres Jahrzehnts der Hochschulen ist, dann graut einem wirklich davor, wie es weitergeht. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir zur Haltung der SPD. Ich denke zum Beispiel an Ihren Beitrag, Herr Rossmann, in der Frankfurter Rundschau vor zwei Wochen, als Sie das Ergebnis des Koalitionsvertrages ziemlich treffend, wie ich finde, einen „Flop“ genannt haben. (René Röspel [SPD]: Einen Teil davon!) Da hat man dann doch den Eindruck, die SPD hat Mühe, sich selbst von der propagierten sozialdemokratischen Handschrift im Koalitionsvertrag zu überzeugen. Das ist auch kein Wunder; denn der Abschnitt zu Bildung und Wissenschaft gibt das nicht her. Kein Wort mehr zu den großen SPD-Wahlkampfversprechen: kein Wort mehr zum Ganztagsschulprogramm oder zum Ausbau der Schulsozialarbeit. Die SPD hat für eine BAföG-Reform und für ein Ende des Deutschlandstipendiums Wahlkampf gemacht. Jetzt bekennen Sie sich zur Fortführung dieses Stipendienprogramms. Das Thema BAföG taucht gar nicht mehr auf. Statt der überfälligen BAföG-Erhöhung schönt die Regierung lieber den BAföG-Bericht, wie vor zwei Tagen geschehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind denn Ihre Argumente?) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, ich darf ganz kurz eine Atempause bei Ihnen nutzen: Der Kollege Rossmann von der SPD-Fraktion möchte Ihnen eine Frage stellen. Lassen Sie sie zu? Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ja, gerne. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön, Kollege Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Kollegin, Sie haben sich auf das bezogen, was ich in der Frankfurter Rundschau geschrieben habe. Meine Frage ist: Stimmen Sie darin überein, dass ich nicht den Koalitionsvertrag und die Vereinbarungen zu Bildung und Forschung insgesamt als „Flop“ bezeichnet habe, sondern geschrieben habe, dass wir das BAföG aus dem „schwarzen Loch“ herausholen wollen? Haben Sie auch gehört, dass unsere Bundesbildungsministerin diese Neugestaltung des BAföG in ihrer Erläuterung zum Koalitionsvertrag angekündigt hat? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Das habe ich gehört. – (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut!) Ich finde es trotzdem bemerkenswert, dass Ihre Rolle in der Regierung momentan darin besteht, dass Sie Ihre Meinung in den Medien publizieren und dadurch den Koalitionspartner dazu auffordern, auf bestimmten Gebieten etwas zu tun, weil dazu nichts im Koalitionsvertrag steht. Da ist natürlich das BAföG an allererster Stelle zu nennen. Ich finde es schon erstaunlich, wie eine absolut mickrige Studienfinanzierung wie das Stipendienprogramm Eingang in einen Koalitionsvertrag findet (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Weil es wichtig ist!) und die wichtigste Säule der individuellen Bildungsfinanzierung wie das BAföG nicht einmal erwähnt wird. Das lässt schon tief blicken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD hat sich auch für die Grund- und Ausfinanzierung der Hochschulen starkgemacht. Jetzt lesen wir im Koalitionsvertrag ausschließlich von befristeten Programmen und Wettbewerben, wie der x-ten Auflage des Hochschulpaktes oder der Exzellenzinitiative, was aber doch – das muss man sagen – an den Bedarfen der allermeisten Hochschulen völlig vorbeigeht. Sie wissen doch auch: Genau diese Politik von Pakten und befristeten Programmen ist doch der Grund, warum 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen befristet und prekär beschäftigt sind. Immerhin da sieht die Koalition Handlungsbedarf und will das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren. Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie vor allem die Hochschul- und Wissenschaftseinrichtungen in der Pflicht sehen, dieser Entwicklung gegenzusteuern. Es wäre nicht das erste Thema, bei dem sich die Regierung aus der Verantwortung ziehen will. Die Linke fordert, die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz abzuschaffen und eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festzulegen. (Beifall bei der LINKEN) Es muss für diejenigen, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, der Anspruch auf Verlängerung der Befristungshöchstdauer verbindlich festgeschrieben werden. Das ist natürlich eine Aufgabe des Gesetzgebers. Hören Sie auf, sich davor wegzuducken! (Beifall bei der LINKEN) Das große Problem der Großen Koalition ist doch Folgendes: Sie denken Bildung und Wissenschaft vom Wettbewerb her, als Standort- und Wirtschaftsfaktor; ich denke, die Rede von Frau Wanka gerade war ein guter Beleg dafür. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Bedürfnisse der Studierenden und der Beschäftigten, der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und Schüler sind für Sie doch bestenfalls nachrangig. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, na, na!) Ich sage Ihnen: So kann man an Bildung und ihren individuellen und gesellschaftlichen Anspruch nicht herangehen, und das wird Ihnen noch auf die Füße fallen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen René Röspel von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Oh, schnell noch einen Schluck Wasser zu trinken, wird schon auf meine Redezeit angerechnet. Schade, hätte ich das gewusst! (Heiterkeit) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass sich nur wenige andere Abgeordnete so intensiv mit dem Koalitionsvertrag befasst und auch dafür geworben haben wie die Abgeordneten der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Denn es war eine wirklich gute, aber auch mutige Idee des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, den Mitgliedern der SPD die Entscheidung über den Koalitionsvertrag in die Hand zu geben. Das hat dazu geführt, dass wir in ganz vielen Veranstaltungen nicht nur mit Mitgliedern der SPD, sondern auch mit Nichtmitgliedern den Koalitionsvertrag diskutiert haben. Ich habe das als ungeheuer mobilisierend und motivierend erlebt. Es waren offene Diskussionen. Nicht nur das Erlebnis der Mobilisierung ist positiv. Wir haben, glaube ich, auch eine sehr gute Wahrnehmung bekommen, liebe Kollegin Gohlke, was für die Menschen an diesem Koalitionsvertrag wichtig ist. Dabei hatte ich eine andere Wahrnehmung als Sie. Daher teile ich das, was Sie gerade vertreten haben, nicht; das will ich Ihnen deutlich sagen. Klar ist, dass es ohne bestimmte Abschnitte in diesem Koalitionsvertrag die Zustimmung der SPD nicht gegeben hätte. Der Mindestlohn oder das, was Andrea Nahles jetzt mit der Rente ab 63 auf den Weg bringt, waren definitiv ganz wichtig. Ohne diese Punkte hätte es keine Zustimmung gegeben. Die Mitglieder und auch viele andere Menschen waren sehr begeistert, dass wir das fortsetzen, was 1998 in diesem Haus von einer rot-grünen Koalition begonnen worden ist, nämlich endlich wieder einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung in diesem Land zu setzen und auch mehr Geld in die Hand zu nehmen. Es ist gut, dass alle Regierungen danach, die Große Koalition, aber auch Schwarz-Gelb, diesen Weg fortgesetzt haben. Darüber sind alle froh. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dieser Konsens in Deutschland unterscheidet uns mittlerweile von anderen Ländern und hat uns auch nach vorne gebracht. Gar nicht glücklich waren unsere Mitglieder darüber, dass es nicht noch mehr Geld gegeben hat. Denn mit 9 Milliarden Euro ist weniger Geld als in der letzten Legislaturperiode vorgesehen. Aber das lag auch daran, dass leider mit dem Koalitionspartner in Sachen Steuergerechtigkeit nicht mehr möglich war. Aber das ist einfach so. Ganz unzufrieden – auch das gehört dazu – waren die Mitglieder gerade in meiner Heimatregion, dem Ruhrgebiet, aber auch in vielen anderen Städten darüber, dass wir die Union nicht davon überzeugen konnten, dass die Schulsozialarbeit weiter eine Leistung des Bundes bleibt. Denn das ist unerhört wichtig für die Schulen. Aber wir werden einfach weiter darüber reden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden reicht aber nicht!) – Wir werden versuchen, das zu ändern. Dafür haben wir noch vier Jahre. Aber der Koalitionsvertrag gibt es erst einmal nicht her. Das ist definitiv so. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Moos! Sie müssen Geld reinstecken!) Ich will mich in der restlichen Redezeit auf den Bereich Forschung konzentrieren – der Kollege Kaczmarek wird gleich noch detaillierter auf die Bildung eingehen – und sagen, warum der Forschungsteil in allen Diskussionen, die wir geführt haben, sehr gut weggekommen ist. Das will ich an einigen Punkten deutlich machen. Wir sind und waren uns in diesem Land sicherlich alle einig – Frau Wanka hat das vorhin auch betont –, dass die Stärke, der Wohlstand und der wirtschaftliche Erfolg dieses Landes sich daran bemessen lassen müssen, dass die Menschen in diesem Land gute Arbeit verrichten. Dass vieles nicht in Ordnung ist und dass der Arbeitsmarkt wieder in Ordnung gebracht werden muss, ist das eine. Das wird Arbeitsministerin Andrea Nahles in den nächsten Jahren auch richten. Aber das andere ist, in die Zukunft zu blicken und zu überlegen, wie wir es sicherstellen können, dass in Deutschland weiterhin gute Produkte unter vernünftigen Arbeitsbedingungen und möglicherweise innovativen Arbeitsmodellen hergestellt werden, die es zum Beispiel auch ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren. In diesem Zusammenhang ein Wort zu einer anderen Debatte: Ich fand den Vorschlag von Manuela Schwesig zu dem, was da überhaupt möglich ist, höchst interessant. Dem sollten wir uns noch einmal widmen. Ein wichtiger Punkt, den wir in den letzten Jahren immer wieder gefordert und jetzt in den Koalitionsvertrag hineingebracht haben, ist, dass wir den Bereich der Arbeitsforschung, Dienstleistungsforschung und Produktionsforschung wieder stärken und in Verbindung und enger Abstimmung mit den Sozialpartnern unseren Beitrag zu einer Humanisierung der Arbeitswelt leisten. Auch dieser Bereich wird in Zukunft sicherlich den Wohlstand in Deutschland sichern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein weiterer wichtiger Punkt ist für mich die Generationengerechtigkeit, nämlich die Frage, wie wir diesen Planeten an unsere Kinder und Kindeskinder übergeben. Dabei spielt die Energie- und Klimaforschung eine zentrale Rolle. Ich hätte mir gewünscht, dass schon vor vier Jahren der Satz im Koalitionsvertrag gestanden hätte, den wir nun hineingeschrieben haben, nämlich dass wir die Energieforschung konsequent an der Energiewende ausrichten werden. Ich freue mich, Frau Wanka, dass Sie das schon in allen Medien so deutlich vertreten; das ist dringend erforderlich. Ich hätte mir nur gewünscht, dass das schon früher der Fall gewesen wäre. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Bereich, der uns am Herzen liegt, ist das, was wir als Forschung für die Gesundheit des Menschen bezeichnen. Wir wollen nicht nur schwerpunktmäßig die Entwicklung von Medikamenten, Arzneimitteln und Technologien in den Vordergrund stellen. Gesundheitsforschung ist mehr. Da geht es um Prävention und die Gesunderhaltung des Menschen. Es geht nicht nur darum, Menschen gesund zu machen, wenn sie krank sind, sondern auch darum, die Arbeits- und Lebensbedingungen so zu gestalten, dass Menschen erst gar nicht krank werden. Das umfasst auch eine Altersforschung, die sich mit den Bedingungen befasst, unter denen Pflegende arbeiten und Pflegebedürftige leben müssen. Das ist ein breiterer Begriff von Gesundheitsforschung als in den letzten Jahren. Ich bin froh, dass wir das so im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch beim letzten Punkt bin ich mit Herzblut dabei, und zwar nicht nur weil gestern Abend die Kollegin Hübinger und die Exkollegin Roth den Preis für das Engagement gegen vernachlässigte Krankheiten in der Kategorie „Politischer Wille“ – ich gratuliere dazu – erhalten haben. Als eines der reichsten Länder der Welt, das über eine hervorragende Forschung verfügt, haben wir auch Verantwortung gegenüber jenen Ländern, die nicht in der Lage sind, sich hier stabil aufzustellen. 3 Milliarden Menschen, die an sogenannten vernachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten leiden, ohne dass es nötig wäre, weil es längst entsprechende Medikamente gibt, warten darauf, dass wir ihnen helfen. Deswegen bin ich froh, dass wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben, dass wir die Forschung betreffend die vernachlässigten Krankheiten stärken wollen, um in Entwicklungs- und Schwellenländern unseren Beitrag zu leisten. Mein Dank geht an den Kollegen Helge Braun, der bei den Koalitionsverhandlungen auf der anderen Seite saß. Wir haben offene Türen eingerannt. Wir haben hier eine Verpflichtung. Mit unserem Forschungsprogramm können wir nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt vielleicht ein bisschen besser machen. Ich lade Sie alle dazu ein, daran konstruktiv mitzuarbeiten. Vielen Dank und ein schönes Wochenende, Herr Präsident. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Das Präsidium hat ausnahmsweise dem Kollegen Röspel die Wassertrinkzeit am Anfang seiner Rede wieder an das Ende drangehängt, sodass er zu seinem Recht gekommen ist. (Heiterkeit) Als Nächstem gebe ich das Wort dem Kollegen Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag von Union und SPD trägt die Überschrift „Deutschlands Zukunft gestalten“. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abwarten! Er ist noch nicht mit dem Satz zu Ende!) Das klingt ähnlich gut wie viele andere Überschriften, auch im Bildungs- und Forschungskapitel. – Sie sind leicht zufriedenzustellen, meine Damen und Herren von der Koalition. Schaut man aber hinter die Zukunftsprosa von besserer Grundfinanzierung der Hochschulen, Innovationsstrategie und Bioökonomie, dann fällt auf: Gerade Ihrem Bildungs- und Forschungskapitel fehlen ambitionierte und ausfinanzierte Konzepte. Es fehlen vor allem Schritte zur konkreten Umsetzung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt dürft ihr mitklatschen, liebe Kollegen von der Union!) Sehr konkret wird es dagegen bei den beiden Schwerpunkten dieser Regierung. Mit Ihren Eckpunkten zur Energiewende bremsen Sie die Ausbaudynamik der erneuerbaren Energien aus. Damit verzögern Sie Innovationen und neue Technologien für eine emissionsarme und ressourcensparende Wirtschaftsweise, die dem Klimaschutz dient. Da droht viel Rückschritt und wenig Fortschritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Schwerpunkt, Ihr Rentenpaket. Pro Jahr gehen zusätzlich 10 Milliarden Euro an einzelne, wenige Rentnergruppen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Forschung und Bildung ist jetzt dran! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Trotz dieser großen Summe lösen Sie das große Problem der Altersarmut nicht. Herr Rossmann, im Vergleich dazu sind die pro Jahr vorgesehenen zusätzlichen 2,25 Milliarden Euro für die gesamte Bildungskette – für Kitas, Schulen, Fachhochschulen, Universitäten, Weiterbildung und Forschung – geradezu mickrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das zeigt doch, dass Sie in die junge Generation kaum investieren. Das ist zukunftsvergessen. Schauen wir uns Ihren Koalitionsvertrag genauer an. Darin fehlen Initiativen gegen Kinderarmut und Bildungsarmut. Chancen dürfen aber nicht vom Konto oder von der Postleitzahl des Elternhauses abhängen. Wir wollen endlich Klarheit, wie Sie die Qualität der Kitas verbessern und die entsprechende Finanzierung sicherstellen wollen. Wir halten es weiterhin für falsch, dass Sie an der Bildungsfernhalteprämie Betreuungsgeld festhalten. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Wir halten das nicht für richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dem bundesfinanzierten Programm Schulsozialarbeit haben Sie keine Zukunftsperspektive geschaffen. Das geht zulasten vieler Schülerinnen und Schüler. Das alles ist bildungspolitisch kontraproduktiv und für die Mehrheit der Familien in unserem Land enttäuschend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Ihrem Vertrag fehlt ein Vorschlag für ein Ende des Kooperationsverbotes. Ich hatte wirklich gehofft, dass eine Große Koalition, die uns diese Bildungs- und Wissenschaftsblockade im Grundgesetz vor acht Jahren eingebrockt hat, die Kraft aufbringt, sie auch wieder einzureißen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn sich das nicht ändert, fällt ein dringend notwendiges neues Ganztagsschulprogramm wohl aus. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie mal mit Herrn Kretschmann über dieses Thema!) – Wir reden mit Herrn Kretschmann, Sie reden mit Ihren Ministerpräsidenten. Dass sich aber eine 80-Prozent-Mehrheit des Deutschen Bundestages hinter Herrn Kretschmann versteckt, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es gibt auch einen Bundesrat!) ist auch putzig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Greifen Sie doch endlich unseren Vorschlag auf, einen Reformkonvent einzurichten, in dem sich Bund und Länder zusammensetzen. Wir sollten eine gemeinsame Lösung finden; ich halte sie für möglich. Weil Sie, Herr Heil, das Kooperationsverbot nicht abschaffen, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ist Herr Kretschmann schon in der CSU?) können Sie nämlich Ihr Versprechen eines Masterplans in Höhe von 8 Milliarden Euro für Ganztagsschulen, ein SPD-Versprechen, das Sie im Parlament und im Wahlkampf gegeben haben, wohl nicht einlösen. Das ist fatal; denn der Ganztagsschulausbau ist wichtig, um allen Chancen zu eröffnen. Den Ausbau zu drosseln, ist fahrlässig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe mir eben die Äußerungen von Frau Wanka zum BAföG mit großem Interesse angehört. Ich hoffe, dass ihren Ankündigungen im Plenum und auch in den vielen Interviews wirklich Taten folgen; (Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) denn im Koalitionsvertrag fehlt jede Aussage zum BAföG, und das ist schlicht peinlich. Der BAföG-Bericht, der diese Woche im Kabinett behandelt wurde, hat sehr deutlich gemacht, wie dringend notwendig der Handlungsbedarf ist. Der Reformdruck steigt. Deshalb sage ich: Das BAföG muss noch in diesem Jahr erhöht werden. Das ist extrem wichtig für eine neue soziale Öffnung unserer Hochschulen und für die Studierenden in unserem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Frau Wanka, Sie haben vorhin viel über Innovationen gesprochen. Aber was in Ihrem Koalitionsvertrag auch fehlt, ist die steuerliche Forschungsförderung für KMU. Das heißt, die Große Koalition behält bei, dass staatliche Forschungs- und Innovationsförderprogramme an kleinen und mittleren Unternehmen weitestgehend vorbeigehen. Das bremst Innovationen. Das halten wir für falsch. Wir halten die steuerliche Forschungsförderung weiter für richtig. (René Röspel [SPD]: Dazu sagen die Mittelständler etwas ganz anderes!) In Ihrem Vertrag fehlt die Klarheit, wie Sie die Energieforschung ganz konkret auf die Energiewende ausrichten wollen. Wir sehen durchaus richtige Ansätze, wie die Stärkung der Klimaforschung oder auch der Meeres- und Polarforschung – das ist gut –, wir wollen aber kein öffentliches Geld für Hochrisikotechnologien wie die atomare Fusionsforschung oder CCS. Das wären Fehlinvestitionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Zu den Lücken in Ihrem Koalitionsvertrag kommen noch sehr viele offene Fragen, bei denen Sie sich als Union und SPD offensichtlich nicht einigen konnten. Deshalb frage ich Sie: Wie wollen Sie denn das Dickicht an Warteschleifen des Übergangssektors lichten, um allen Jugendlichen wirklich gute Ausbildungschancen zu geben? (Willi Brase [SPD]: Wird kommen!) Wie geht es denn konkret weiter mit dem Hochschulpakt zur Schaffung der Studienplätze auch nach 2020? Wo ist denn die Antwort der Regierung auf die richtige Forderung nach Erhöhung der Programmpauschale? Keine Aussage dazu im Vertrag. Wie genau wollen Sie denn Hochschulen das Geld für die Grundfinanzierung überhaupt zur Verfügung stellen, wenn sich im Grundgesetz nichts ändert? Wie gehen Sie eigentlich das konkrete Problem der sehr unsicheren Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses und der prekären Arbeitsverhältnissen an den Hochschulen an? (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ist ausführlich im Koalitionsvertrag dargestellt!) – Ja, dann lassen Sie uns doch schnell eine Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz erarbeiten, wie es Rot-Grün im Bundesrat vorgeschlagen hat. Das können wir hier zusammen machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was auch nicht im Koalitionsvertrag steht, ist, wie Sie den Pakt für Forschung und Innovation fortsetzen wollen: Welche Steigerungsraten sollen es denn sein? Wie soll das denn mit den Ländern gemeinsam gehen? Wie führen Sie die Exzellenzinitiative weiter? Ich fände auch sehr spannend, zu erfahren, ob Sie die dritte Säule – wer wird Deutschlands Eliteuni? – endlich auslaufen lassen, so wie wir es für richtig halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist sehr wichtig, dass Sie all diese Fragen schnell beantworten, weil das extrem wichtig für die Planungssicherheit und Verlässlichkeit in der Ausbildungs- und Wissenschaftspolitik ist. Die Fragen waren auch schon lange vor den Koalitionsgesprächen bekannt. Ihr Vertrag benennt sehr viele Baustellen; er beinhaltet aber keinen Bauplan für eine Wissensrepublik oder ein Bildungsaufsteigerland. Hier sieht man einmal mehr, dass Große Koalitionen offenbar keine großen Lösungen liefern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich nenne noch einen ganz wichtigen Punkt: Bei der Finanzierung des Bildungs- und Wissenschaftssystems muss sich Deutschland endlich zu einem Vorreiter entwickeln; denn sonst riskieren wir tatsächlich Teilhabe, und wir riskieren Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Jährlich wären fast 20 Milliarden Euro zusätzlich nötig, um endlich 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bildung und das 3,5-Prozent-Ziel für die Forschung – die Republik redet über ein 3,5-Prozent-Ziel – zu erreichen und entsprechend zu investieren. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir haben das 3-Prozent-Ziel erreicht!) Wir brauchen ehrgeizige Ziele, weil wir sonst bei Bildung, Forschung und Innovation zurückfallen. Deshalb möchte ich an Sie alle dringend appellieren: In dieser Wahlperiode starten die Debatten über die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Ohne ein Gesamtkonzept für eine zukunftsfähige Finanzarchitektur bei Bildung, Wissenschaft und Forschung rutschen diese Bereiche in die generellen Neuordnungsdebatten hinein, und dann laufen Sie alle Gefahr, dass letztlich wieder keine bildungs- und wissenschaftsadäquaten Lösungen dabei herauskommen. Das hat man bei der Föderalismusreform gesehen. (Zurufe von der SPD) Wir hoffen daher, dass Sie sich aus dem engen Korsett Ihres Koalitionsvertrags befreien, eine Finanzarchitektur für Bildung und Wissenschaft auf den Tisch legen und das mit den Ländern verabreden. Falls Ihnen das doch glücken sollte, dann kriegen Sie sogar einmal von uns Applaus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD] – René Röspel [SPD]: Darauf freuen wir uns schon!) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Investitionen in Bildung und Forschung sind zumeist nicht tagesaktuell zu messen; es sind vor allem Investitionen in die Zukunft unseres Landes und seiner Menschen. Die im Vergleich niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, um die uns viele beneiden, ist an sich schon – das richtet sich ein bisschen an meine Vorredner – der beste Beweis für die Qualität unseres Bildungssystems. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Darüber hinaus – die Ministerin hat es bereits erwähnt – gehen Milliarden an die Länder, an die anderen politischen Ebenen, um sie zu entlasten, damit sie eigene Investitionen tätigen können. In den vergangenen Jahren haben so viele junge Menschen ein Studium aufgenommen wie nie zuvor. Allein innerhalb von zehn Jahren gab es fast 15 Prozent mehr Berechtigungen für ein Hochschulstudium. Das ist ein Erfolg, den wir nicht schmälern wollen. Das deutsche Wissenschaftssystem leistet in unserem Land einen entscheidenden Beitrag, auch für die Zukunftsfähigkeit. Nicht zuletzt deshalb müssen die guten Initiativen – sie wurden in verschiedenen Beiträgen bereits genannt: Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und anderes mehr – fortgesetzt und, wo nötig, weiterentwickelt werden. Aber, Kolleginnen und Kollegen, darüber dürfen wir einen anderen Bereich nicht vergessen, der schon im Mittelpunkt unserer Diskussion im Ausschuss stand: die berufliche Bildung in ihrer ganzen Breite und mit ihren Chancen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gerade nach der Krise fragen uns nicht wenige Länder genau an dieser Stelle: Wie macht ihr das? Wie funktioniert das? Verbände, Handwerkskammern, das Ministerium – viele sind bereits unterwegs, um Hilfestellung zu leisten oder auch betroffene Jugendliche in unserem Land entsprechend vorzubereiten. Genau wie wir haben diese Länder erkannt, dass nicht allein die akademische Ausbildung ein Gradmesser für den Erfolg eines Landes ist, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch!) sondern ebenso – das ist ein Zweiklang – die berufliche Bildung. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein Land, das in Wissenschaft und Forschung hohe Achtung genießt, wie das bei uns der Fall ist, das im Gegensatz zu vielen anderen Ländern noch einen erfreulich hohen Anteil an Industrialisierung aufweist und vor allem einen gesunden, stabilen und innovationsfreudigen Mittelstand hat, braucht beides: junge Menschen, die sich für ein Hochschulstudium qualifizieren und den akademischen Weg beschreiten, aber ebenso solche, die sich für eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb begeistern können. (Beifall bei der CDU/CSU) Beides trägt zur Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes bei. Am Ende sollte es kein Ranking und keine Wertung des gewählten Weges geben. Eine Berufsausbildung ist immer die Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Dies betrifft gleichermaßen die Weiterbildung in einer Welt, in welcher der technische Fortschritt immer rasanter Einzug hält. Wir erleben zurzeit eine Verschiebung zugunsten eines akademischen Weges, unabhängig davon, ob dieser Weg von Anfang an oder im Anschluss an eine Ausbildung eingeschlagen wird. Man muss dies im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in unserem Land sehen. Aus Gesprächen kennt jeder von uns die Erfahrungen, die IHKn und Handwerkskammern machen. Den Betrieben fällt es immer schwerer, Nachwuchs zu finden. Wir stellen fest: Die Zahl der Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, ist gestiegen, aber auch die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen. Sie haben vor allem in kleineren und mittelständischen Betrieben einen Höchststand erreicht. Ganz offensichtlich kommen Wunsch und Angebot nicht mehr so recht zusammen. Wir müssen uns deshalb die Frage stellen: Benötigen junge Menschen mehr als in früheren Jahren eine stärkere Orientierungshilfe bei ihrer Berufswahl? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, es gibt einen Fragewunsch des Kollegen Mutlu. Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen? Patricia Lips (CDU/CSU): Ich lasse sie zu. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön, Herr Kollege. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Lips, dass Sie meine Frage zugelassen haben. – Ich habe genau zugehört. Sie haben das Stichwort demografische Entwicklung genannt. Die Frau Ministerin hat in ihrer Rede das Thema Bildungsgerechtigkeit als letzte von drei Überschriften genannt, aber im weiteren Verlauf ihrer Rede kaum etwas dazu gesagt. Wir wissen, dass sich auch in unserem Land die Schere bei der Bildung sehr deutlich öffnet. Nach wie vor ist der Einfluss des sozialen Hintergrunds ein wichtiger Faktor beim Bildungserfolg, wie PISA-Studien immer wieder belegt haben. Da ich in dem Koalitionsvertrag wenig zu diesem Thema finde, möchte ich Sie als Vorsitzende des Bildungsausschusses fragen, ob Sie einige konkrete Maßnahmen nennen können, mit denen Sie die beiden Themen demografische Entwicklung und Ungerechtigkeit in unserem Bildungssystem angehen wollen. Welche Mittel wollen Sie dafür in die Hand nehmen, ohne dabei das Kooperationsverbot zu missachten, sodass der Kollege von der SPD nicht wieder auf Herrn Kretschmann verweisen muss? Patricia Lips (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Mutlu, nicht allein der Bildungsausschuss ist dafür verantwortlich, sich mit der demografischen Entwicklung zu beschäftigen. Viele Institutionen und andere Ausschüsse machen sich ebenfalls darüber Gedanken, vielleicht auch der eine oder andere, der hier sitzt. Wie dem auch sei: Das Thema demografische Entwicklung müssen wir ressortübergreifend angehen. Es ist unser Ziel – wenn Sie den Koalitionsvertrag lesen, dann können Sie das erkennen –, niemanden zurückzulassen und jeden jungen Menschen nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Etwas anderes können wir uns gar nicht mehr erlauben. Wir müssen es schaffen, auch junge Menschen mit Migrationshintergrund in speziell entwickelte Maßnahmen einzubinden. Wir müssen es aber gleichermaßen schaffen, leistungsstarke junge Menschen vom Wert der beruflichen Ausbildung zu überzeugen, sodass sie nicht automatisch den Gang zu einer Hochschule antreten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin der festen Überzeugung – darauf wäre ich später noch eingegangen; Sie haben mir durch Ihre Frage die Möglichkeit eröffnet, schon an dieser Stelle darüber zu sprechen –, dass es uns über den Bereich der beruflichen Bildung hinaus gelingen muss, stärker an die jungen Menschen heranzukommen. Da liegen wir gar nicht weit auseinander. Ich gebe Ihnen in diesem Punkt völlig recht. Aber wir müssen sehen, dass wir nur Stück für Stück vorankommen können. Wir können es uns, wie gesagt, nicht erlauben, jemanden zurückzulassen. Es gibt viele junge Menschen, deren Begabung noch nicht erkannt wurde. Diese müssen wir erreichen. Ich sage ausdrücklich, dass der Bund das nicht alleine schultern kann. Alle politischen Ebenen stehen hier in der Verantwortung. Was der Bund an finanzieller Entlastung beitragen kann, das wird er gerne leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann warten wir ab!) Wir sind uns alle darüber einig, dass wir unser Erfolgsmodell „berufliche Bildung“ – es ist doch ein Erfolgsmodell – aufrechterhalten und stärken wollen. Ich sagte es bereits: Wir können diese jungen Menschen nicht zurücklassen. Demografie und Fachkräftemangel kommen hinzu. Die Probleme beginnen nicht erst, wenn ein junger Mensch unmittelbar im Übergang von der Schule zur Ausbildung ist, und sie hören an dieser Stelle auch nicht auf. Daher haben wir es – ich sage es noch einmal – nicht mit einer Aufgabe allein des Bundes zu tun, sondern es geht nur voran im Dialog mit allen politischen Ebenen, den Betrieben, den Sozialpartnern, kurz: einer Allianz für Aus- und Weiterbildung, Stichwort „Bildungsketten“. Wir brauchen ausbildungsbegleitende Hilfen. Wir brauchen eine Stärkung der Qualifizierung. Wir brauchen eine Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem. Das sind alles Punkte, über die wir reden müssen, die Sie übrigens auch im Koalitionsvertrag finden können. Ich bin mir sicher: Diese Aufgabe wird in der kommenden Zeit einen breiten Raum einnehmen und einen Schwerpunkt bilden. Denn nur wenn wir sie bewältigen, bleibt unser Land auf Dauer stark. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Forschung muss marktnah sein. Forschung muss der Exportindustrie nutzen. – Das ist der Bundesregierung, das war auch heute zu hören, extrem wichtig. Aber von der Erforschung von Risiken – von Technologiefolgen sowie den Risiken unseres Wirtschaftens – hört man nichts. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt!) Was passiert, wenn man Risikoforschung unterlässt, möchte ich Ihnen an einem kleinen Beispiel einmal näher erläutern. Seit den 80er-Jahren wurden Pkw-Klimaanlagen verbreitet eingesetzt. (Dagmar Ziegler [SPD]: Nicht in der DDR!) Damals setzte man auf FCKW, weil es nicht brennt. Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen. Man fing an zu suchen und entdeckte FCKW als Ursache. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Ihr Redebeitrag hat schon einen Nachfragewunsch ausgelöst. Wollen Sie eine Nachfrage des Kollegen Feist zulassen? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ging aber fix!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Ja. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte, Herr Feist. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Sehr geehrter Kollege, Sie haben gesagt, Forschung und Innovation sei uns wichtig, Export natürlich auch – das ist klar –; aber für Technikfolgenabschätzung gäben wir nichts aus. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Nicht so viel. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Was ist Ihrer Meinung nach der Betrag, den wir jährlich für Technikfolgenabschätzung ausgeben? Ralph Lenkert (DIE LINKE): Ich sagte nicht, Sie gäben nichts aus. Ich sagte – wenn Sie genau zugehört hätten, wüssten Sie es –: Davon hört man bei Ihnen nichts. Ich verweise auf die EU-Kommission, der auch Mitglieder Ihrer Partei angehören: Das EU-Forschungsrahmenprogramm stellt 70 Milliarden Euro für Innovation und Forschung und 460 Millionen Euro für – – (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: 2 Millionen Euro im Jahr stehen im Haushalt!) – „2 Millionen Euro“ – Wahnsinn! Wissen Sie, wie viel Sie für Kernenergieforschung ausgegeben haben? 168 Milliarden Euro, allerdings ohne die Folgen zu berücksichtigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fahre fort. Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen, und Sie haben FCKW als Ursache identifiziert. Ihre industrienahen Forscher entwickelten dann R134a als Kältemittel – Problem gelöst. Das dachte man, bis im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung Ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler endlich erkannten: Dieses Mittel wirkt klimaerwärmend; es muss weg. Die EU-Kommission sorgte für ein Verbot ab 2017. Jetzt stellt die industrienahe Forschung ein neues Wundermittel bereit: R1234yf. Nebenwirkung: hohe Brennbarkeit. 1980 wäre so etwas noch verboten gewesen. Ein Zerfallsprodukt dieses Mittels ist Trifluoressigsäure. Sie schädigt Wasserorganismen und baut sich nicht ab. Völlig ausgeblendet wurde: Beim Verbrennen dieses Mittels entsteht Fluorwasserstoff und daraus Flusssäure. Spätestens jetzt sollten Sie begreifen, dass die Risikoforschung unverzichtbar ist und die Mittel dafür maximal aufgestockt werden müssen. (René Röspel [SPD]: Aber es ist doch Aufgabe der Industrie, dafür zu sorgen! Das muss doch nicht schon wieder der Staat tun, oder?) Gefahren durch Weichmacher, Nebenwirkungen von Nanopartikeln – die Risiken dieser Kältemittel wurden stets erst nach dem Auftreten von Schäden erkannt. Bisher hat auch diese Regierung nicht gelernt, dass man Forschung zu Umweltfragen, zu ethischen Gesichtspunkten und zum Schutze der Menschen massiv verstärken muss. Die Linke fordert hier deutlich mehr Mittel. (Beifall bei der LINKEN) Es ist ein Armutszeugnis, dass erst die Deutsche Umwelthilfe mit Versuchen an Pkw nachwies, dass R1234yf, in Pkw eingefüllt, zur tödlichen Konzentration von Flusssäure führen kann. Kein Institut, keine Universität, keine Bundesbehörde untersuchte dies – trotz deutlicher Hinweise. Frau Ministerin Wanka, meist müssen Menschen und Umwelt die Folgen von unterlassenen Risikountersuchungen tragen. Deshalb müssten Sie handeln. Übrigens: Die Automobilindustrie muss mehrere Milliarden Euro einsetzen, um das von R1234yf verursachte Dilemma zu beseitigen. Allerdings hält sich mein Mitleid da in Grenzen. Wenn Sie zukünftig Schaden von Menschen, Umwelt und auch von Ihrer geliebten Industrie abhalten wollen, dann erhöhen Sie die Mittel für die Risikoforschung! Die Linke wird dies unterstützen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie vergiften das Vertrauen! – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Unglaublich!) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit oder vor dem Hintergrund, dass wir in Deutschland insgesamt weniger Menschen werden, dass wir aber zunehmend älter werden und trotzdem den gleichen Wohlstand erwirtschaften müssen, ist es richtig, dass man jetzt in Bildung und Forschung investieren muss. Ich sage auch: 9 Milliarden Euro zusätzlich in den nächsten vier Jahren, das ist eine stolze Summe. Das kann man hier im Plenum auch ruhig mehrmals sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Milliarden für Rente pro Jahr! Damit ist klar, welche Schwerpunkte Sie setzen!) Es ist aber genauso richtig, dass Bildung für die Menschen natürlich noch mehr bedeutet. Bildung kann Menschen aus ihrer Unmündigkeit befreien. Sie kann sie zu kritikfähigen Menschen machen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, für die beste Bildung für alle zu sorgen, und zwar unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben, wo sie herkommen oder was die Eltern besitzen oder waren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir finden uns mit der bestehenden Ungerechtigkeit nicht ab. Deswegen, Frau Wanka, können Sie sicher sein, dass wir Ihre Verbündeten sind, wenn es darum geht, Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Ich will im weiteren Verlauf zu drei zentralen Herausforderungen Anmerkungen machen: Die erste Anmerkung – Frau Kollegin Lips hat das schon angesprochen – betrifft das duale System der Berufsausbildung. Ich glaube, es braucht mehr als schöne Worte. Wir müssen es noch attraktiver gestalten und Brücken für alle bauen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen wir!) Es ist unbestritten – das darf ja in keiner Rede fehlen –, dass das duale System eines der Prunkstücke des deutschen Bildungswesens und natürlich auch das Rückgrat der industriellen Wirtschaft und des Handwerks ist. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn gegen die Warteschleifen?) Wir müssen aber auch feststellen – ich finde, dass auch die offene Diskussion über den Berufsbildungsbericht, die wir im Ausschuss geführt haben, das deutlich gemacht hat –, dass sich die Situation aus Sicht vieler ausbildungswilliger junger Menschen verschlechtert hat. Viele, die ausgebildet werden wollen, finden keinen Ausbildungsplatz, und die Zahl der ausbildenden Betriebe hat sich erneut verringert. (René Röspel [SPD]: Ja!) Wir müssen alles unternehmen, um die Leistungsfähigkeit des dualen Systems zu erhalten. Dazu müssen wir aus meiner Sicht in den nächsten vier Jahren dafür sorgen, dass kein Jugendlicher, der noch eine Brücke in die Ausbildung braucht, Zeit verliert. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es ist natürlich richtig, in den Maßnahmendschungel einzugreifen und eine bessere Instrumentenreform durchzuführen, als es in der vergangenen Wahlperiode der Fall war. (Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] und René Röspel [SPD]) Wir müssen auch dafür sorgen, dass keine Maßnahme, kein Übergang ohne Anschluss bleibt. Das Ziel ist die Berufsausbildung für alle jungen Menschen, die das wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die SPD ist überzeugt, dass das duale System in der Lage ist, sich großen Herausforderungen zu stellen. Wir finden es richtig, dass wir uns in der Koalition darauf verständigt haben, den Ausbildungspakt zusammen mit den Sozialpartnern zu einer Allianz für Aus- und Weiterbildung weiterzuentwickeln. Ich denke, in dieser gemeinsamen Kraftanstrengung muss es uns gelingen, dafür zu sorgen, dass jeder Jugendliche, der einen Ausbildungsplatz sucht, auch tatsächlich einen findet. Wir wollen eine Ausbildungsgarantie verwirklichen, auf die sich junge Menschen verlassen können. Jeder, der einen Ausbildungsplatz sucht, soll auch einen bekommen. Das ist ein wichtiges bildungspolitisches Ziel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite Anmerkung. Es ist natürlich an der Zeit, das BAföG zu modernisieren und zu verbessern. Es ist unstrittig: Auch über 40 Jahre nach seiner Einführung ist das BAföG ein unverzichtbares Element der Studienförderung, das vielen jungen Menschen dabei hilft, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ein Studium überhaupt erst aufzunehmen. Deshalb sind wir gemeinsam, denke ich, der Meinung – das wird auch im BAföG-Bericht nachzulesen sein –, dass die über 3 Milliarden Euro, die Bund und Länder jedes Jahr für das BAföG ausgeben, wirklich sehr gut angelegtes Geld sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber es ist eben auch nicht von der Hand zu weisen, dass es hier Reformbedarf gibt, weil sich die hochschulrechtlichen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern. Deshalb müssen wir gemeinsam mit den Ländern – es liegt auf der Hand, dass es nicht anders geht – einen Modernisierungsschub beim BAföG erzeugen, der die Situation der Studierenden spürbar und substanziell verbessert, und zwar noch in dieser Wahlperiode. Das ist unser gemeinsames politisches Ziel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn Ihr Gesetzentwurf?) Dritte Anmerkung: Bund, Länder und Kommunen müssen sich ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung für die Bildungspolitik gemeinsam stellen. Wir freuen uns, dass so viele junge Menschen wie noch nie in Deutschland ein Hochschulstudium aufgenommen haben. Damit sind große finanzielle Herausforderungen verbunden, die Bund und Länder gemeinsam im Hochschulpakt angegangen sind. Die SPD hat in den vergangenen Jahren immer wieder angemahnt, dass der Bund seine Ausgaben zeitnah an die aktuellen Entwicklungen an den Hochschulen anpassen muss. Deshalb ist es folgerichtig – das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart –, die Verhandlungen über die dritte Phase des Hochschulpaktes zügig aufzunehmen und bundesseitig die Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist uns allen klar, dass der Bund dabei gemeinsam mit den Ländern Verantwortung dafür übernehmen muss, dass die Basis der Bildungsfinanzierung verbreitert wird. Wir müssen deshalb die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Bund und Länder in der Bildung tatsächlich sinnvoll miteinander kooperieren können. Dazu gehört auch die Forderung, das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Wir als SPD wollen das weiterhin nicht nur auf Teilbereiche bezogen sehen, sondern auf die Gesamtverantwortung für das Bildungswesen beziehen. Wir werden jedoch gemeinsam darüber reden, wie wir das umsetzen können. Ich sage noch eines: Ich würde mich freuen, wenn sich die Große Koalition in dieser Frage auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat als Koalition der Einladung begreift, die alle relevanten politischen Akteure in Bundestag und Bundesrat zum Mitgestalten einlädt. „Gemeinsam etwas nach vorne bringen“ – beim BAföG, bei der Hochschulfinanzierung –, das wäre eine schöne Überschrift für die nächsten vier Jahre. Wir freuen uns darauf. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich erteile dem Kollegen Gehring das Wort zu einer Kurzintervention. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich hätte gerne eine kurze, knackige Frage gestellt. Aber da mein Handzeichen nicht wahrgenommen wurde, bleibt nur die Möglichkeit einer Kurzintervention. Herr Kaczmarek, Sie hatten im Mai letzten Jahres mit viel Tamtam einen Antrag zu einem Ganztagsschulprogramm in den Deutschen Bundestag eingebracht. Er beinhaltete einen „Masterplan Gute Ganztagsschule“. In einem ersten Schritt wollten Sie in den ersten vier Jahren 8 Milliarden Euro in den Ausbau von Ganztagsschulen investieren. Sie haben dazu jetzt nichts gesagt. Ich möchte gerne von der SPD-Bundestagsfraktion wissen, was daraus geworden ist, inwieweit Sie sich für Ganztagsschulen weiter einsetzen wollen. Sie haben das Kooperationsverbot angesprochen. (Zuruf des Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]) – Darf ich meine Kurzintervention zu Ende führen? Danke. Sie können sich gerne melden und beteiligen. Wir sind ein Beteiligungsparlament. Vizepräsident Peter Hintze: Ich bitte, geschäftsleitende Bemerkungen dem Präsidium zu überlassen, Herr Kollege. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. – Sie haben gerade zum Kooperationsverbot Stellung bezogen. Wenn es nicht fallen sollte: Welche Umgehungstatbestände plant die SPD, um ihr Vorhaben umzusetzen? Vizepräsident Peter Hintze: Kollege Kaczmarek möchte antworten. Oliver Kaczmarek (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Gehring, für die Gelegenheit, noch einmal darauf eingehen zu können. – Natürlich hält die SPD-Fraktion gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern mit dem Ziel einer Initiative zum Ganztagsschulausbau für wünschenswert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will das noch einmal betonen. Aber Sie kennen auch das Ergebnis der Bundestagswahl. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie regieren doch mit!) Zu diesem Thema konnten wir in der Koalition keine Einigkeit erzielen. Wir beide kommen aus Nordrhein-Westfalen. Wir wissen, dass in Koalitionsverhandlungen, egal in welcher Farbkombination, immer Kompromisse gemacht werden müssen. Leider müssen wir an dieser Stelle akzeptieren, dass wir in diesen vier Jahren hier nicht weiterkommen. Aber wer weiß, was danach ist. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag dem Kollegen Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag zu einem Thema halten darf, das für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von entscheidender Bedeutung ist. Bildung und Forschung sind Grundlage für Wohlstand, Fortschritt und Wirtschaftswachstum. Bildung und Forschung haben in der unionsgeführten Bundesregierung einen hohen Stellenwert. Seit 2005 sind die Investitionen in diesem Bereich stetig gewachsen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch seit 1998!) Nie zuvor wurde in unserem Land so viel in Bildung und Forschung investiert wie unter Angela Merkel, und das trotz des notwendigen Konsolidierungskurses beim Bundeshaushalt. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Jahr sollen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung rund 14 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Bei Regierungsübernahme 2005 lag die Zahl noch bei rund 7,5 Milliarden Euro. (René Röspel [SPD]: Was?) Alleine dadurch wird deutlich: Wir investieren massiv in die Zukunft unseres Landes, und dieses Geld ist gut angelegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist es wichtig, unsere Spitzenstellung auf dem Gebiet der Lehre und Forschung nicht nur zu halten, sondern auszubauen. Wir wollen eine attraktive, wettbewerbsfähige und international vernetzte Hochschullandschaft mit besten Rahmenbedingungen für die Studierenden und den wissenschaftlichen Nachwuchs. In den letzten Jahren wurden nicht nur die Finanzmittel für den Bildungs- und Forschungsbereich spürbar erhöht, sondern auch konkrete Maßnahmen ergriffen, von denen die Hochschulen erheblich profitieren. Lassen Sie mich den Hochschulpakt 2020 herausgreifen, durch den zusätzliche Studienplätze geschaffen werden konnten. Über 500 000 junge Menschen haben im letzten Jahr ein Studium aufgenommen. Das ist absoluter Rekord. Diesen beachtlichen Erfolg verdanken wir dem Hochschulpakt und dem Zusammenspiel von Bund und Ländern, und diese Zusammenarbeit müssen und wollen wir fortsetzen, weil dieser Weg richtig und wichtig ist, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Unsere Hochschulen genießen international einen hervorragenden Ruf. Der schönste Beleg dafür ist die Zahl der ausländischen Studierenden, die zu uns kommen, um hier bei uns in Deutschland zu studieren. Sie kommen gerne nach Deutschland, denn sie wissen um die Qualität der Ausbildung und darum, welche beruflichen Chancen sich für sie im Anschluss ergeben. Lassen Sie mich aber auch ein Augenmerk auf diejenigen richten, die ihr Studium nicht weiterführen. Ihnen wollen wir eine neue berufliche Perspektive eröffnen. Wir müssen aber auch klar kommunizieren, dass der Handwerker für unsere Gesellschaft genauso wichtig ist wie der Ingenieur. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn noch?) Der Fleißige und Lernwillige bekommt vielfältige Chancen und Unterstützung, um weiter voranzukommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine verlässliche Ausbildungsförderung sicherstellen, damit gerade Studierende gefördert werden können, die aus einem finanziell schwächeren Umfeld kommen. Daneben bieten unsere Begabtenförderungswerke zusätzliche Finanzierungs- und Bildungschancen für unseren hochqualifizierten Nachwuchs. Seit 2005 hat sich die Zahl der Stipendien mehr als verdreifacht. Auch das Deutschlandstipendium ist ein Erfolg und wird fortgeführt. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit zeigen wir jungen Menschen, dass sich Leistung lohnt. Bei all diesen Erfolgen sind wir uns natürlich bewusst, dass es weiterhin viel zu tun gibt. Einer Reihe von Herausforderungen wollen und werden wir uns gemeinsam mit den Akteuren im Wissenschaftsbereich stellen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die unionsgeführte Bundesregierung ist klar: Gute Bildung ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Berufsleben. Eine aktive Innovations- und Forschungspolitik ist Basis für Wachstum und Wohlstand. Die Weichen sind richtig gestellt. Der Bildungszug fährt; er fährt in die richtige Richtung und mit Volldampf in die Bildungsrepublik Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Wir sind schon elektrifiziert!) Vizepräsident Peter Hintze: Das Präsidium gratuliert Herrn Dr. Stefinger zu seiner ersten Rede und dankt für die Einhaltung der Redezeit. Es ist nämlich eine Frage der Solidarität: Wenn sich jeder an die Redezeit hält, kommen auch alle zu ihrem Recht. (Beifall) Ebenfalls zu ihrer ersten Rede gebe ich jetzt Frau Dr. Simone Raatz von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich der Ministerin und meinen Vorrednern von der Koalition in einem Punkt sofort anschließen – ich wiederhole gerne, was schon gesagt wurde –: Mit dem Koalitionsvertrag setzen wir ein starkes Signal für die Zukunftsfelder Bildung und Forschung. Wir wollen hier 9 Milliarden Euro zusätzlich bereitstellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden gemeinsam im Ausschuss beraten, wie wir diese Mittel zielgerichtet einsetzen können. Frau Lips, ich gebe Ihnen recht: Das ist in jedem Fall eine gute Investition in die Zukunft. Frau Gohlke, ich habe Ihrem Redebeitrag intensiv gelauscht und kann nicht ganz verstehen, warum Sie immer in einem Totalverriss enden müssen. Wie Sie mitbekommen haben, sind nicht alle Blütenträume gereift. Jedoch sollten Sie sich einmal anschauen, was im Koalitionsvertrag verankert ist. Vielleicht sind einige Punkte dabei, die auch Ihnen gefallen werden. Diese könnten Sie dann in Ihrer Rede ruhig einmal erwähnen. Ich finde, ein bisschen Balance wäre nicht schlecht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Lenkert, ich bin Chemikerin, aber ich muss ehrlich sagen: Ich konnte Ihnen nicht bei allem folgen. Vielleicht sollten wir in einem Zwiegespräch noch einmal darüber reden. In der heutigen Debatte möchte ich jedoch keine weiteren Ausführungen dazu machen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ich helfe Ihnen gerne!) – Gut. Ich möchte meinen Blick auf die Forschung in Ostdeutschland richten, und das nicht, weil das bisher keiner gemacht hat. Das hat zwei andere Gründe. Der erste ist ein ganz persönlicher Grund. Ich komme aus Freiberg, einer Stadt in Mittelsachsen mit Bergbautradition und einer technischen Universität. Es ist ein interessanter Ort mit viel innovativer Kompetenz. Als langjährige Mitarbeiterin an dieser Universität hatte ich viele Gelegenheiten, verschiedenste Förderprogramme kennenzulernen und mich mit ihren Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen. Der zweite Grund ist eher allgemeiner Art. Ostdeutschland verfügt mittlerweile über ein wirklich gutes Netz von Bildungs- und Forschungseinrichtungen mit hoher Innovationskraft. Es hat mich sehr gefreut, dass Frau Ministerin Wanka das Thema Innovation in ihrem Programm und auch heute in ihrer Rede an erste Stelle gestellt hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dieses dichte Netz ist eine gute Grundlage für die Stärkung einer wissensbasierten regionalen Wirtschaft, gerade auch in Ostdeutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. In der letzten Großen Koalition haben wir gemeinsam viel dafür getan. Die SPD hat diese Entwicklung maßgeblich durch Programme wie „Unternehmen Region“ mit initiiert. Mein besonderer Dank gilt hierbei Edelgard Bulmahn – ich bewundere es immer wieder, wie sie sich damals durchgesetzt hat –, die dieses Programm auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD) „Unternehmen Region“ ist ein Innovationsprogramm, das mittlerweile mit acht Einzelinitiativen den Ausbau technologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Kompetenzen in den neuen Bundesländern fördert. Aufgrund der Erfahrungen aus meinem Wahlkreis kann ich bestätigen, dass diese Förderinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in strukturschwächeren Regionen ganz wichtige Wachstumsimpulse gesetzt hat und – so hoffe ich – weiterhin setzen wird. Darüber hinaus leistet diese Initiative einen ganz wesentlichen Beitrag zur Nachwuchsförderung und zur Internationalisierung. Bisher war sie ein sehr großer Erfolg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) So wird an der Freiberger Universität ein Zentrum für Innovationskompetenz mit dem Namen „Virtuhcon“ – Virtuelle Hochtemperaturkonversionsprozesse – mit etwa 17 Millionen Euro gefördert. Ziel ist es, die Region nachhaltig zu stärken. Beschäftigt sind hier 25 Nachwuchswissenschaftler, prima junge Leute aus immerhin neun Nationen – das ist bemerkenswert –, die eng mit der regionalen Wirtschaft kooperieren und nicht nur vor Ort wichtige Impulse setzen. Es ist deshalb absolut richtig und wichtig, dass solche Programme in der Großen Koalition weitergeführt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es freut mich außerordentlich, dass im Bundeshaushalt für 2014 erneut 146 Millionen Euro speziell für die Innovationsförderung in den neuen Ländern vorgesehen sind. Trotz der unbestritten positiven Entwicklung müssen wir an manchen Stellen zukünftig nachjustieren. So gibt es nach wie vor Schwierigkeiten bei der Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen auf die Wirtschaft. Die Lücke zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung auf der einen Seite und kommerzieller Verwertung auf der anderen Seite ist ein chronisches Defizit des deutschen Forschungs- und Innovationssystems. Diese Situation zu verbessern, wird eine unserer Aufgaben in dieser Legislaturperiode sein. Womit ich beim zweiten Punkt bin: Es gibt nach wie vor deutliche Strukturunterschiede zwischen Ost und West. Während in den alten Ländern ein Großteil der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen aus der Wirtschaft direkt kommt, werden diese Aufwendungen in den neuen Ländern meistens staatlich finanziert. So investieren beispielsweise die Unternehmen in Baden-Württemberg 3,6 Prozent des landesweiten BIP in Forschung und Entwicklung. Schauen wir einmal nach Brandenburg oder Sachsen-Anhalt: Dort sind es gerade einmal 0,3 Prozent, also nicht einmal ein Zehntel. Ich denke, da müssen wir etwas tun. Programme wie Industrie 4.0 sind richtige Ansätze, um die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Wirtschaft und Forschungseinrichtungen insgesamt zu fördern und die Industrie zu weiteren Investitionen zu bewegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin. Dr. Simone Raatz (SPD): Ich komme zum Schluss. Sie sehen, wir haben bereits viel Gutes auf den Weg gebracht. Ich hoffe, dass wir dies verstetigen können, um die Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Ich bin mir nach den Worten von Frau Ministerin Wanka sicher, dass wir diese Programme weiterführen werden und dem Ausbau von Programmen wie „Unternehmen Region“ von unserer Seite zukünftig nichts im Wege stehen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin Dr. Raatz, Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Letzter Redner in der Aussprache ist mit seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion. – Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Albani. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Albani (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum eigentlichen Thema meiner Ausführungen komme, möchte ich ganz kurz auf die herbe Wirtschafts- und Industrieschelte eingehen, die wir hier vor 20 Minuten hören mussten. Für mich, der ich seit 20 Jahren an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft arbeite, sind Wissenschaft und Wirtschaft keine Gegenpole. Wissenschaft und Wirtschaft, Hochschule und Industrie sind keine Gegenpole, sondern im Prinzip zwei Elemente einer Prozesskette. Sie muss funktionieren – fraglos –, aber die Elemente sind nicht zu trennen, erst recht nicht in gut und schlecht; das wäre zu einfach. (Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Haben Sie ein Glück, dass das die erste Rede ist!) – Das ist okay. Als Redner bin ich nun zwar der Letzte in der Debatte zur Regierungserklärung. Thematisch stehen Forschung und Innovation aber am Anfang jedes erfolgreichen Projektes der Menschen. Ohne Innovationsfreude wären wir heute nicht hier, in diesem sehr innovativen Haus mit Erdwärmeheizung und Solaranlagen auf dem Dach. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und kreativen Abgeordneten!) – Bitte? (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und kreativen Abgeordneten!) – Und kreativen Abgeordneten. Natürlich, um Gottes willen, nicht zu vergessen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und mit einer hervorragenden Audiotechnik. Diese Bemerkung sei mir erlaubt, da ich aus diesem Bereich komme. Dank der Technik können Sie mich bestens hören und im Wahlkreis sogar sehen. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass Innovationen manchmal zwei Anläufe brauchen – manche werden sich noch erinnern –, bevor sie richtig funktionieren. Gerade diese unsere deutschen Forschungsergebnisse und unsere Innovationskraft waren und sind unsere Stärke. Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung unseres Landes wird durch den Export eben jener Technologiegüter erbracht. Wir haben immer mit Köpfchen kompensiert, was uns an Rohstoffen fehlte. So haben wir es zu Wohlstand gebracht und in der Welt viel Anerkennung bekommen. Wenn es nun um die nachhaltige Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland geht – sie wurde in Meseberg wieder zur Leitlinie erklärt –, dann müssen wir diese Innovationsfähigkeit unseres Landes nicht nur erhalten, sondern auch verstärken und ausbauen. Und wir müssen neue Wege suchen; denn wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein – Philip Rosenthal. Die Tatsache, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2005 mit großer Kontinuität geführt wurde, ist – das möchte ich als jemand, der aus der Forschung kommt, einmal sagen – ein Glücksfall; denn Kontinuität in der Bildungs- und Forschungspolitik war entscheidend für die Erfolge der letzten Jahre. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben in diesem Zeitraum die Anzahl angemeldeter Patente um 16 Prozent steigern können und liegen damit konstant vor den USA und Japan. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Festschreibung des Anteils von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung auch für die nächsten Jahre garantiert die Absicherung dieser Forschungsergebnisse und vieler weiterer Förderprojekte. Wer sich davon überzeugen will, kann dies einfach tun, indem er die Internetseite www.foerderkatalog.de aufruft. 110 000 Projekte von Kreativität und Erfolg sind dort zu sehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen heute säen, wenn wir morgen wirtschaftlichen Erfolg ernten wollen. Das gilt insbesondere für den Bereich Forschung und Innovationen. Das begründet die klare Priorisierung der gesamten Bildungs- und Forschungspolitik. Die Bundesregierung unter Angela Merkel steht dafür, und klare Zahlen belegen das. So ist das Haushaltsvolumen des BMBF von 2005 bis zum jetzigen Zeitpunkt um 82 Prozent gestiegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit kann die Hightech-Strategie als strategische Innovationspolitik gestaltet werden. Sie geht von Deutschlands traditionellen Kernkompetenzen aus, aber sie wird nun auch als umfassende und ressortübergreifende Innovationsstrategie in Deutschland weiterentwickelt. Zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die wir mit dieser Innovationsstrategie bewältigen wollen, gehören vor allen Dingen Veränderungen aufgrund des demografischen Wandels, in der Digitalisierung und auch in der nachhaltigen Wirtschaftsweise. Auch eine weise Energiepolitik kann dank neuer Resultate im Bereich von Speichermedien und der effizienten Nutzung der regenerativen Energien möglich werden. Wir wollen diese Zukunftsaufgabe im Verbund von Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gestalten. Deutschland ist aber auch Schrittmacher in ganz anderen Bereichen, zum Beispiel in der medizinischen Forschung. In diesem Bereich der Gesundheitsforschung, wo Forschung im Dienste der Menschen steht – das ist generell so –, werden von uns zukünftig weitere Projekte in den Fokus genommen werden. Es geht dabei zum Beispiel darum, Krankheiten mit individualisierter Medizin besser therapieren zu können und so nicht nur Forschungsergebnisse zu erreichen, sondern unser aller Zukunft und persönliche Lebensqualität zu verbessern. Im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, wird auch weiterhin Inhalt und Fokus von Forschung sein. Hier zeigt sich, dass zum Beispiel ein weiterer Schwerpunkt kommunale Beratungsstellen unter dem Motto „Besser leben im Alter durch Technik“ sein werden. Dies zeigt, dass Forschung auf der einen Seite und die Vermittlung der Ergebnisse auf der anderen Seite elementare Aufgaben der Forschungs- und Innovationspolitik sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Zu den Forschungsaufgaben gehört auch, die europäischen und internationalen Forschungskooperationen auszubauen und zu vertiefen. Im Austausch mit anderen und vom Wissen anderer können wir nur profitieren. Ja, das alles kostet Geld. Gestern hat Herr Riesenhuber dies charmant mit „gell“ quittiert. Es braucht auch Zeit. Diese Zeit müssen wir geben. Wir investieren in kluge Köpfe, dürfen aber die Herzen nicht vergessen. Wir müssen unseren Wissenschaftlern zur Seite stehen, wenn sie der Mut verlässt, das eine oder andere Forschungsergebnis in tragfähige Produkte zu überführen. Wir sind auf einem richtigen Weg, wenn wir konsequent und kontinuierlich in Forschung und Innovationen investieren, wenn wir jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Mut zur Innovation, den Mut zur Umsetzung ihrer Erkenntnisse in Produkte geben, wenn wir die Hightech-Strategie zu einer umfassenden und ressortübergreifenden Innovationsstrategie weiterentwickeln und mit dem Hochschulpakt den Hochschulen verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit für die nächsten Jahre verschaffen. Denn so können wir mit Freude am Neuen in den Augen, mit Mut zur Umsetzung in den Herzen und aus der Kreativität unserer Köpfe die Zukunft gestalten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Glückwunsch an Kollegen Albani zu seiner ersten Rede. (Beifall) Weitere Wortmeldungen zu dem Themenbereich liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache zu der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin angelangt. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte zur aktuellen Situation in der Ukraine Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Franz Thönnes von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Franz Thönnes (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So wie kein Mieter das Recht hat, in seiner Wohnung Feuer anzuzünden, mit der Berufung auf die Heiligkeit des Heims, so wenig dürfen Staaten ohne Gefährdung des Friedens Innenpolitik auf eigene Faust machen, soweit diese den Frieden in Frage stellt. Wir wohnen nicht mehr in einzelnen Festungen des Mittelalters, wir wohnen in einem Haus. Und dieses Haus heißt Europa. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So hat es der große deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky 1926 formuliert. Heute sind wir an dem Punkt, dass wir uns 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erneut mit einer sehr brisanten Situation auseinandersetzen müssen, über die wir hier im Plenum schon einmal in dieser Woche diskutiert haben, über die wir im Ausschuss diskutiert haben und über die wir heute auch in dieser gemeinsamen Debatte diskutieren. Es geht erneut darum, den Prozess der Einigung Europas zu behandeln und kritisch zu betrachten und dabei eine gute, friedliche Perspektive zu finden. Seit dem 21. November demonstrieren Menschen in der Ukraine für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie, gegen Korruption und soziale Ungerechtigkeit und für eine gute Zukunft ihres Landes. Die Demonstrationen waren am Anfang gewaltfrei. Wir wissen aber: Je länger so etwas dauert, umso gereizter werden die Gemüter und umso eher verbreitet sich auch Gewalt. Ich glaube, uns eint hier die gemeinsame Auffassung, dass eine friedliche Lösung gefunden werden muss, dass eine gewaltfreie Lösung gefunden werden muss und dass die Ukraine eine gute, demokratische, den Menschenrechten gerecht werdende Perspektive in Europa haben muss. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Die Bundesregierung und Außenminister Steinmeier haben mit der notwendigen Klarheit und, ich sage auch, mit der gebotenen Sensibilität reagiert, Telefonate und Gespräche mit Staatspräsident Janukowitsch und den Oppositionsvertretern geführt. Ich denke, dass es gut war, den Einfluss Deutschlands wahrzunehmen. Die heute beginnende Sicherheitskonferenz in München wird eine weitere Gelegenheit sein, Versuche zu unternehmen, die Konflikte zu lösen. Ich glaube, dass diese Perspektive der Ukraine so ausgerichtet sein muss, dass Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eine Zukunft haben. Ich sage auch ganz deutlich: Rechtsextremistische und nationalistisch orientierte Kräfte, die gegen diese Werte kämpfen, werden dabei nicht hilfreich sein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Erste Schritte sind gemacht, repressive Gesetze zurückgenommen worden, insbesondere was die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit angeht. Die Regierung ist zurückgetreten. Das sind gute Zeichen, wenn sie nicht Taktik sein sollen, wenn es nicht darum geht, Zeit zu schinden. Das, was versprochen und zugesagt worden ist, muss jetzt auch belastbar eingehalten und darf nicht mit neuen Bedingungen verknüpft werden. Ich denke, es gilt ganz klar: Die Verhafteten sind freizulassen. Das Schicksal der Verschleppten, deren Situation bis heute nicht geklärt ist, ist aufzuklären. 2 000 Verletzte, 500 aufseiten der Polizei, 6 Tote, 30 Vermisste sind genug. Jetzt muss Schluss sein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu viele!) – Ja, richtig. Es sind zu viele. Bei dem jetzigen Prozess brauchen wir keine Fackelträger nach dem Motto „Augen zu und durch“, weil nur der kleinste Funke dazu führen kann, dass etwas entsteht, was wir alle nicht wollen. Deswegen ist Zurückhaltung angesagt. Es gilt, auch ein bisschen Vorsicht bei den Vermittlern walten zu lassen, die jetzt schon Schlange stehen. Die Betroffenen selbst müssen entscheiden, wer vermittelt. Aber wenn sie Hilfe brauchen, dann sollen sie es sagen. Wir haben ihnen an dieser Stelle dabei Rat zu geben. Ich glaube, dass es auch darum geht, Russland zu sagen, dass das, was mit wirtschaftlichem Druck versucht worden ist, genauso wenig tolerierbar ist wie die Kreativität, mit der Russland hinsichtlich der Zollformalitäten und der Gesundheitsvorschriften für den Warenimport nach Russland agiert. Es ist notwendig, hier zu realisieren: Die Welt in der Ukraine ist nicht schwarz-weiß. Es ist eine schillernde Welt. Die Opposition ist geeint hinsichtlich ihrer Forderung nach Neuwahlen, nach Abdankung des Präsidenten und nach Freilassung der Verhafteten, aber nicht hinsichtlich der Perspektive einer guten Zukunft in der Ukraine. So ähnlich sieht es bei den Oligarchen aus, die ebenfalls unterschiedliche Interessen haben. So ähnlich sieht es auch in der Gesellschaft aus. Deswegen glaube ich, dass auch die Europäische Union sich fragen muss: Haben wir alles richtig gemacht in der Phase der Assoziierungsverhandlungen? Ist nicht leichtfertig übersehen worden, welche ökonomischen und mentalen Verbindungen zu Russland bestehen, wenn man weiß, dass die Geburtsstunde Russlands im Kiew des 8. Jahrhunderts liegt? (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber gibt es einen Historikerstreit!) Das alles zu berücksichtigen wäre wichtig gewesen. Genauso hätte man sich die Fragen stellen müssen: Welche finanziellen Herausforderungen kommen auf uns zu und wie können wir sie gemeinsam schultern? Das bringt mich, wenn ich den Blick nach vorne richte, zu der Frage: Sind nicht Europa und Russland gemeinsam gefordert, eine gute Perspektive für die Ukraine in guter Kooperation zu erarbeiten und zu gestalten, wenn es jetzt zu einer friedlichen und gewaltfreien Lösung gekommen ist? Wir müssen wegkommen von der Schaukel des Entweder-oder, mit der Janukowitsch in den letzten Jahren gespielt hat. Es geht darum, sich Gedanken darüber zu machen, ob an dieser Stelle nicht mehr Kooperation entstehen kann. Europa und Russland sollten mit der Ukraine im wirtschaftlichen Bereich eigentlich große gemeinsame Interessen haben. Es geht darum, der Ukraine dabei zu helfen, eine gute wirtschaftliche Perspektive zu finden: im Energiesektor, bei der Produktion von Stahl und Eisen, aber auch bei der Kooperation im menschenrechtlichen und im zivilgesellschaftlichen Bereich. Es geht darum, dies gemeinsam zu organisieren und die großen ökonomischen Chancen zu realisieren. Es geht darum, zu schauen, wie man, wenn auf der einen Seite eine Europäische Union steht, die sich wieder stabilisieren muss, und auf der anderen Seite eine eurasische Union im Entstehen ist, gemeinsam Verträge machen kann. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur sollte der Prozess freiwillig sein!) Wir reden heute über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen. Wir reden an anderer Stelle darüber, eine Freihandelszone zu schaffen, die von San Francisco bis Wladiwostok reicht. Ich denke, was vor der eigenen Haustür liegt, sollte Vorrang haben. Das ist die gemeinsame Aufgabe, die sich uns allen heute stellt: zu helfen in unserem gemeinsamen Haus Europa, und zwar gewaltfrei, lösungsorientiert und kompromissbereit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächstem erteile ich das Wort unserem Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es völlig in Ordnung, dass wir diese vereinbarte Debatte hier im Bundestag führen; sie ist notwendig und sie ist richtig. Ich denke, dass wir uns darauf verständigen sollten – vielleicht lässt sich das nicht mit allen erreichen, aber doch mit einer Mehrheit –, in welchem Gestus wir diese Debatte führen wollen. Ich möchte nicht, dass in der schwierigen Situation, in der sich die Ukraine befindet – mein Kollege Thönnes hat es gesagt –, vom Deutschen Bundestag aus gezündelt wird, (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Es zündelt doch niemand!) dass von hier Funken ausgehen, die die Situation mit zum Explodieren bringen können. Sich zurückhalten und ausgleichen, das ist das Gebot der Stunde; dieses Signal muss vom Bundestag in dieser Stunde ausgehen. (Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Botschaft nach Moskau! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klare Worte wären schön!) Ich halte überhaupt nichts von der Androhung oder Verhängung von Sanktionen. Das wird nichts lösen, sondern die Situation noch zuspitzen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, was eigentlich die Ursachen dafür sind, dass in der Ukraine Hunderttausende auf die Straße gegangen sind. Zu den Ursachen – das muss man doch begreifen! – gehört die verzweifelte soziale Lage vieler Menschen in der Ukraine, die sich nicht mehr ernähren können, die erfrieren und verhungern in diesem Land. (Xaver Jung [CDU/CSU]: 80 Jahre Sozialismus!) Zu den Ursachen gehört auch, dass viele ihre Zukunft nicht mehr im eigenen Land gesehen haben, sondern darauf gehofft haben, dass sich ihnen in Europa Perspektiven eröffnen. Vielleicht sind sie auch betrogen worden, (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem von Janukowitsch sind sie betrogen worden!) was die Realität in Europa angeht, was die ehrliche Bereitschaft angeht, der Ukraine einen vernünftigen Zugang zu Europa zu öffnen. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege Gehrcke, der Kollege Sarrazin von den Grünen würde gerne eine Frage stellen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ja, klar. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Gehrcke, uns eint, um es einmal so zu sagen, ein Interesse an der Geschichte der Region. Ich habe Freunde in der Ukraine, bin regelmäßig auch privat dort und habe die ukrainisch-polnische Grenze schon mit allen möglichen Verkehrsmitteln überschritten. Ich habe auch Visaeinladungen für Freunde ausgeteilt und Ähnliches. Daraus speist sich meine Frage: Glauben Sie nicht auch, dass eine Ursache für die jetzige Lage der tiefe Wunsch vieler Menschen in der Ukraine ist, zum europäischen Wertesystem zu gehören, an Europa teilhaben zu können und auch Zugang zu Europa zu erhalten, und dass diese Menschen Angst hatten, dass sie in einer historischen Situation sein könnten, in der sie die Chance, diese Ziele in Zukunft zu erreichen, ein für alle Mal verlieren könnten, wenn sie ihren Präsidenten jetzt nicht stoppen? Glauben Sie nicht auch, dass das ebenfalls eine Ursache ist, die vielleicht sogar tiefer reicht als die ebenfalls wichtige soziale Lage im Land? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Sie haben mir doch zugehört: Ich habe die prekäre soziale Lage genannt und die Verzweiflung, die daraus erwächst. Daraus resultiert der Wunsch gerade vieler junger Menschen, Zugang zu Europa zu erhalten, um das, was sie im eigenen Land nicht realisieren konnten, in anderen Teilen Europas zu realisieren. Wenn wir etwas tun wollen – das sage ich hier ganz ernsthaft; das ist in etwa eine Nagelprobe –, dann lassen Sie uns sofort für die Visafreiheit für Menschen aus der Ukraine eintreten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir dürfen nicht drumherum reden und dürfen diese Menschen nicht wieder vertrösten. Ähnlich wie Sie, Herr Sarrazin, habe ich viele Freunde in der Ukraine. Ich war in verschiedenen Teilen der Ukraine unterwegs und habe sehr unterschiedliche Bilder vor Augen. Der Wunsch, ungehindert in andere, auch westeuropäische Länder reisen zu können, ist überall manifest. Warum fangen wir nicht damit an, ihnen das zu ermöglichen? (Beifall bei der LINKEN) Wäre es nicht eine große Geste des Deutschen Bundestages, die Beschränkungen zurückzunehmen, sodass die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine visafrei nach Deutschland kommen könnten? Das verstehe ich unter einer Politik des Nichtzündelns: auf die Menschen eingehen und über Werte diskutieren. Bevor ich auf die Werte zu sprechen komme, komme ich auf die unterschiedlichen Motive der Demonstranten zurück. Die Menschen müssen das Recht haben, zu demonstrieren. Sie haben ein Recht auf Gewaltfreiheit und darauf, nicht eingesperrt zu werden. Ich will mir nicht den Spaß erlauben, darüber zu debattieren, was in Deutschland passieren würde, wenn hier Ministerien besetzt würden – ich träume manchmal davon, dass es passiert – und wie man hier reagieren würde. Es muss mit gleichem Maß gemessen werden. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen: Ich benutze nicht für alle Demonstranten den Begriff „Freiheitskämpfer“. Ein Teil der Demonstranten ist rechtsradikales, nationalistisches Pack, mit dem ich mich nicht verbünde, sondern gegen das ich dagegenhalte. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Pack“ sagt man nicht, Herr Gehrcke!) Das muss auch einmal zur Kenntnis genommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Dass die jüdischen Gemeinden in Kiew einen empörenden und ängstlichen Brief geschrieben haben, dass sie sich am Holocaust-Gedenktag nicht mehr getraut haben, Veranstaltungen durchzuführen, weil sie unter Druck und Angst standen, das muss uns doch erschrecken. (Beifall bei der LINKEN) Uns müssen die Nazifeiern, die auch stattfinden, erschrecken. Wir müssen uns klar davon distanzieren und sagen, der Begriff „Demonstrant“ alleine sagt noch nicht aus, für was demonstriert wird. Wir wollen mit allen zusammenarbeiten, die gewaltfrei eine andere, eine bessere Ukraine wollen, die ein anderes Europa wollen. Ich will aber nicht mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten. Das ist den Preis nicht wert. Das möchte ich hier ganz deutlich machen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege Gehrcke, es gibt den Wunsch zu einer Zwischenfrage von der Kollegin Beck. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Gerne. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Gehrcke, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in westlichen Medien massive Propagandaaktivitäten des FSB gibt, durch die zum einen das Argument, der Maidan sei schon rechtsradikal unterwandert, immer stärker verbreitet wird, und durch die andererseits die Einsatzkräfte von Berkut mit der Information, dass der Maidan jüdisch unterwandert sei, derzeit heiß gemacht werden? Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Hören Sie mir bitte noch einen Moment zu. Mein Argument war, dass ich nicht möchte, dass wir alle, die mit einem Schild auftreten, Freiheitskämpfer nennen. Ich nenne Rechtsradikale, Rechtsextreme, Nazis und Faschisten nicht Freiheitskämpfer, sondern Gegner der Freiheit. Das muss doch gesagt werden. (Beifall bei der LINKEN) Man kann sich ein eigenes Bild machen von dem, was dort passiert, wie dort agiert wird. Das ist doch Realität. Wenn die jüdischen Gemeinden ihre Angst ausdrücken, müssen wir doch ihre Angst aufnehmen. Wir müssen zwischen den Demonstranten differenzieren. Wir müssen ganz klar sagen, mit wem wir zusammenarbeiten wollen und mit wem nicht. Das ist mein Anliegen. Das sollte der Bundestag berücksichtigen, wenn er klug ist. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Missbrauch der jüdischen Sache, der hier passiert!) Eine letzte Bemerkung. Wir müssen auch einen anderen Umgang mit Russland finden. Ich möchte eine neue Ostpolitik der Bundesregierung, in der nicht mit Russland über die Ukraine verhandelt wird, sondern in der die Kooperation gesucht wird und gemeinsame Interessen vertreten werden. Wir werden nie gute, stabile europäische Lösungen erreichen, wenn sie immer gegen Russland gerichtet sind und wir die Ukrainer als Bollwerk gegen Russland einsetzen. Nur mit Russland zusammen wird eine Verbesserung der Situation möglich werden. – Das ist mein Anliegen. Herzlichen Dank für die Fragen, für die Kritik und dafür, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich Karl-Georg Wellmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was sich in der Ukraine im Moment zeigt, ist ermutigend und beängstigend zugleich. Es ist beängstigend, weil es ein großes Ausmaß an Gewalt und staatlicher Willkür, die wir im 21. Jahrhundert nicht mehr sehen wollen, gibt, und das Ermutigende daran ist das Ausmaß an Europabegeisterung und auch die Begeisterung für europäische Werte, die gerade von der jungen Generation dort auf dem Maidan und anderen Plätzen gezeigt wird. Neben der Beschreibung der Situation müssen wir uns doch die Frage stellen, was wir tun können. Was sind unsere Maßstäbe und die Leitplanken unseres jetzigen Vorgehens? Erstens. Die Ukraine ist kulturell und historisch ein europäisches Land, und deshalb muss die Ukraine auch eine europäische Perspektive haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Heranführung der Ukraine an europäische Strukturen heißt aber nichts anderes als eine politische Neuordnung des europäischen Ostens. Hier sollten wir uns noch einmal die Jubiläen dieses Jahres vor Augen halten. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hitler-Stalin-Pakt!) Die Zeit von 1914 bis 1918 ist als Feld politischen Lernens (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rapallo!) – bei Ihnen ist es vielleicht Rapallo, bei uns nicht, Frau Beck – aktuell wieder interessant geworden. Das bedeutet aber, dass die Neuordnung dieses Teiles Europas nicht ohne die Beteiligung Russlands gelingen kann. Das muss uns klar sein, (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: August 1939, Herr Wellmann!) und wir müssen sehr aufpassen, dass wir uns nicht wie die sprichwörtlichen Schlafwandler bewegen. Die EU ist nicht identisch mit Europa. Die Mitte Europas hat sich seit der Wende nach Osten verschoben. Das sollten wir uns auch immer wieder vor Augen halten, wenn wir über die Ukraine reden. Das mag aus der Perspektive eines Portugiesen vielleicht anders aussehen, aber es bleibt ein schwerer politischer Fehler, dass Barroso in Vilnius erklärt hat, die Russen hätten bei dieser Neuordnung Osteuropas nicht mitzureden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Linkspartei klatscht, Herr Wellmann!) Wenn wir die Probleme in der Ukraine im Konflikt mit Russland lösen würden – wir gegen Russland oder Russland gegen uns –, dann würde es politisch und finanziell sehr teuer; das kann man an den russischen Überweisungen erkennen, die jetzt getätigt werden. Außerdem würden wir ein gespaltenes Land und Unfrieden hinterlassen. Das kann man täglich auch empirisch auf den Straßen der Ukraine feststellen. Was tun? In der Ukraine demonstriert in der Tat vor allem die Jugend auf den Straßen. Sie will eine europäische Perspektive und kämpft für europäische Werte. Diese müssen wir den Menschen geben können, wenn wir sie nicht schwer enttäuschen wollen. Es droht die große Gefahr, dass wir diese junge Generation enttäuschen, und deshalb ist es in der Tat wichtig, ganz schnell über eine Liberalisierung des Visaregimes nachzudenken. (Beifall im ganzen Hause) Zweitens. Es fällt ins Auge, dass die Ablösung eines Präsidenten alleine noch kein Konzept für die Zukunft ist und dass stabile Mehrheiten im Parlament für etwas ganz Neues in der Ukraine im Moment auch nicht richtig erkennbar sind. Wir brauchen deshalb für die Ukraine ein umfassendes Reformkonzept, und zwar in einer dreiseitigen Absprache, die nicht ohne Beteiligung Russlands stattfinden kann. Es muss um Investitionen gehen, das heißt, auch um Jobs und Perspektiven für die Menschen in der Ukraine, um die Modernisierung der Indus-trie, um Strukturreformen, um mehr Rechtssicherheit (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei soll Moskau helfen?) und um weniger Korruption. Wir haben mit Russland viel zu besprechen, so viel, dass es in der Tat, wie Außenminister Steinmeier vor einigen Tagen gesagt hat, einem europäischen Offenbarungseid gleichkommt, dass sich der EU-Russland-Gipfel in Brüssel vor drei Tagen schon nach wenigen Stunden erschöpft hat. Hier kann ich Herrn Steinmeier nur vollständig recht geben. (Beifall bei der SPD) – Danke. (Mechthild Rawert [SPD]: Machen wir gerne!) Das Wichtigste ist: Wir brauchen einen soliden und vor allem gewaltfreien Prozess in der Ukraine. – Ich kann es nicht anders sagen: Hier fallen mir die Transparente in der zu Ende gehenden DDR ein. Sie können sich noch an den Aufdruck erinnern: „Keine Gewalt!“ (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) – Ich weiß, das versetzt Ihnen einen Stich ins Herz, Herr Gehrcke, aber ich sage es trotzdem: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich erleide es!) Keine Gewalt, weder vom Staat noch von den Demonstranten. (Beifall bei der LINKEN) Die Unterstützung dieses politischen Reformprozesses ist die wichtigste Aufgabe für uns alle und für die Bundesregierung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als Nächster erteile ich der Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche ist in Lemberg ein junger Mann unter der Anteilnahme von 10 000 Bürgerinnen und Bürgern zu Grabe getragen worden. Er ist im Wald von Sicherheitskräften des Präsidenten Janukowitsch zusammengeschlagen worden und dann erfroren. Wer hier unterstellen möchte, diese Bewegung in der Ukraine sei mehrheitlich rechtsradikal und antisemitisch, (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das hat doch niemand gemacht!) der fällt diesen Menschen in den Rücken, die in der Tat zum ersten Mal unter den Flaggen der Ukraine und der EU gemeinsam für Freiheit kämpfen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das hat niemand gemacht! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist verlogen!) Sie kämpfen auch für Europa, wie sie sagen, obwohl sie eigentlich zu Europa gehören, Herr Kollege Wellmann. Aber für diese Menschen ist Europa ein Synonym: ein Synonym für die Befreiung von Willkür, ein Synonym für die Befreiung von der Kleptokratie, die in der Ukraine in atemberaubender Weise um sich greifen konnte, ein Synonym für die Abschaffung von Wahlbetrug und ein Synonym dafür, dass die Staatsgewalt nicht einfach blindwütig zuschlagen darf. Es gibt die Hoffnung, dass Europa, wie gesagt wird, der nächsten Generation eine Zukunft gibt. Ich weiß, dass Menschen, die von der Entwicklung der Orangenen Revolution enttäuscht gewesen sind und gesagt haben: „Wir gehen nicht noch einmal auf die Straße“, auf die Straße gegangen sind, als sie gesehen haben: Unsere Kinder werden geschlagen. Da kamen die Massen auf die Straße. Unter sie haben sich rechtsradikale Elemente gemischt, aber sie sind nicht die Mehrheit. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das hat auch keiner behauptet!) Sie könnten aber die Mehrheit werden, wenn wir in Europa diese Menschen, die vielleicht mehr an Europa und dessen Werte glauben als wir, bitter enttäuschen und sie sich alleingelassen fühlen. Das stärkt die radikalen Kräfte; denn die werden sagen: Seht ihr, ihr habt von Europa nichts zu erwarten. Wir müssen mit unseren Knüppeln die Sache selber in die Hand nehmen. – Das wäre eine Art von Selffulfilling Prophecy. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Bewegung – ich habe es eben wieder vorsichtig gehört, mehr im Kammerton; gestern Morgen im Ausschuss war das deutlicher zu vernehmen – wird vorgeworfen, sie habe kein gemeinsames Programm. Sie hat gemeinsame Ziele: Sie wollen nach Europa. Sie wollen Befreiung von der Kleptokratie, zum Beispiel die des Präsidentensohns, dessen Vermögen sich innerhalb von drei Jahren von 7 auf 510 Millionen Dollar erhöht hat und der das Geld in den Westen schaffen konnte. Sie wollen Rechtsstaat statt Korruption. Sie wollen Amnestie. Und sie haben ein politisches Ziel: die Rückkehr zur Verfassung von 2004, die Janukowitsch abgeschafft hat. Erst die Einführung der Demokratie würde die Möglichkeit bieten, freie Entscheidungen zu treffen und freie Wahlen in der Ukraine durchzuführen. Diese Menschen vertrauen auf uns. Das sollten wir ernst nehmen. Wer sechs Jahre einen Vertrag verhandelt, hat eine Verantwortung übernommen. Dies gilt nicht nur für Präsident Janukowitsch, der seiner Bevölkerung jahrelang erklärt hat: Ich handle einen Vertrag aus und werde ihn unterzeichnen. – Vielmehr sind auch wir in der Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer jetzt sagt: „Das könnte für uns zu teuer werden“, wird den europäischen Werten in ungeheuerlicher Weise nicht gerecht. Wir müssen da, wo wir Hoffnungen geweckt und Verantwortung übernommen haben, bereit sein, dafür einzustehen. Dazu gehört auch, keine heimlichen Zugeständnisse an den Kreml zu machen und etwa zu sagen, dass die Ukraine eben doch russische Einflusszone sei und dass man dieses Assoziierungsabkommen vielleicht von vornherein nicht hätte verhandeln dürfen. Dazu gehört auch: keine heimliche Akzeptanz eines sehr kalt kalkulierten geostrategischen Machtdenkens von Putin, der dabei ist, die Reste des Imperiums wieder einzusammeln. Dazu gehört auch, ihm nicht zuzugestehen: Das, was Snyder die „Bloodlands“ nennt, der Puffer zwischen Polen und Russland, wird wieder als russisches Glacis anerkannt; wir pfeifen auf die Souveränität dieser Länder. – Diese Zungenschläge müssen wir uns verbitten. Was können wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen tun? Es gibt 28 EU-Länder. Wenn sich aus jedem Parlament nur zwei Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den nächsten Wochen aufmachen und ständig in Kiew, Charkow, Lemberg vor Ort sind – das ist das, was wir tun können –, dann wären immer mehr als 50 Parlamentarier in der Ukraine. Ich meine, wir sollten uns dazu durchringen, das mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten in der EU zu tun. Wir sollten wenigstens das tun: in die Ukraine gehen, vor Ort sein, den Menschen zeigen, dass wir zu unseren Versprechen und zu unseren Werten stehen und dass wir sie schützen wollen, soweit wir nur irgend können. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzter Rednerin in unserer Debatte gebe ich zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag der Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist heute meine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich möchte mich an dieser Stelle für das Vertrauen der Menschen aus meiner Heimatregion bedanken. Ohne gegenseitiges Vertrauen kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. Das zeigt sich in der Ukraine ganz deutlich. Die Jahre der Willkür und der Korruption resultierten dort in einem massiven politischen Vertrauensverlust. Ende 2013 wurde allen klar, dass Janukowitsch kein ernsthaftes Interesse an einem Assoziierungsabkommen mit der EU hat. Seither gibt es massive Proteste der proeuropäischen Bevölkerung. Trotzdem hat der Rat der EU-Außenminister am 20. Januar 2014 bekräftigt, dass die Tür für Verhandlungen mit der Ukraine geöffnet bleiben soll. Die CSU begrüßt das ausdrücklich. Denn wir wollen dem Streben der Menschen nach Demokratie, nach Recht und Freiheit eine reale Perspektive geben. Statt auf den Protest der Menschen ernsthaft einzugehen, beschloss man in Kiew, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken. Am 16. Januar verabschiedete das Parlament ohne jegliche Debatte entsprechende Gesetze. Seither eskaliert die Krise. Obwohl die Gesetze nun zurückgenommen wurden, müssen wir feststellen, dass sowohl der Regierung von Janukowitsch als auch der Oppositionsbewegung um Vitali Klitschko die Kontrolle entglitten ist. Gewaltexzesse breiten sich über das ganze Land aus. Wir bekommen Berichte über die ersten Toten und zahllose Verletzte. Als Christen, Europäer und Nachbarn der Ukraine dürfen und wollen wir dieser Gewalt nicht tatenlos zusehen. Vorrangiges Ziel muss die Vermeidung weiteren Blutvergießens sein. Der Konflikt muss friedlich gelöst werden. Dafür muss Europa aber erstens geschlossen auftreten. Nur gemeinsam können wir genug Druck aufbauen, um Janukowitsch vom Einsatz brutaler Gewalt gegen die Demonstranten abzuhalten und zurück an den Verhandlungstisch zu drängen. Die EU hat mit dem tschechischen Erweiterungskommissar Stefan Füle einen hochrangigen Vertreter vor Ort, der vermitteln, beobachten und berichten kann. Das ist zu begrüßen, reicht aber nicht aus. Zweitens müssen wir auch die Opposition zur Friedfertigkeit drängen. Klitschko und seinen Mitstreitern entgleitet die Kontrolle über die Oppositionsbewegung. An jedem Tag, an dem sie keine Ergebnisse liefern, schwindet ihr Rückhalt bei den Demonstranten. Das öffnet Räume für Extremisten und gewaltbereite Hooligans. Wir müssen daher gezielt die friedlichen und demokratischen Kräfte innerhalb der Oppositionsbewegung stärken. Die Konrad-Adenauer-Stiftung leistet hier wertvolle Arbeit. Die CSU hat heute Vitali Klitschko als ihren Hauptredner auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu Gast. Drittens dürfen wir uns nicht nur auf Janukowitsch konzentrieren. Auch den Funktionsträgern im Umfeld des Präsidenten muss klar sein, dass weiteres Blutvergießen ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen wird. Europa verfügt mit gezielten Visasperren und finanziellen Sanktionen über ein erhebliches Druckpotenzial gegenüber den wichtigen Entscheidungsträgern in der Ukraine. Viertens müssen wir dauerhaft aufmerksam bleiben. Indem wir die Geschehnisse in der Ukraine verfolgen, erhöhen wir den Druck auf die Regierung und errichten Hürden gegen den Einsatz von Gewalt. Leider ist die internationale öffentliche Aufmerksamkeit bei solchen Krisen meistens nicht von Dauer. Wir dürfen nicht zulassen, dass Janukowitsch jetzt auf Zeit spielt und zum Schein Zugeständnisse macht, nur um zum alten Kurs zurückzukehren, sobald die Weltöffentlichkeit wieder wegsieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Fünftens sollte sich die EU zusammen mit den USA auf eine Position gegenüber Russland einigen. Gemeinsam müssen wir deutlich machen, dass auch der Kreml gefordert ist, an der Deeskalation der Krise mitzuwirken. Gerade mit Blick auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi wird man in Moskau internationale Verstimmungen vielleicht vermeiden wollen. Dieser Umstand sollte genutzt werden. Die Bundeskanzlerin hat am Mittwoch ihre Bewunderung für die mutigen Demonstranten in der Ukraine geäußert. In der CSU wird diese Bewunderung aufrichtig geteilt. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkin, hat heute das Engagement der EU und der Bundesregierung zur Beilegung der Krise in seinem Land gelobt. Unzählige Menschen harren seit Wochen und Monaten bei eisigen Temperaturen von teilweise minus 30 Grad auf den Straßen und Plätzen in Kiew aus. Sie riskieren ihre Gesundheit, ihre Freiheit und sogar ihr Leben, um näher an Europa und seine demokratischen, rechtsstaatlichen und freiheitlichen Grundwerte heranzurücken. Auch wenn unser Einfluss insgesamt sicherlich begrenzt bleibt, müssen wir alles versuchen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern und eine friedliche Lösung des Konflikts zu ermöglichen. Vielen Dank, dass Sie mir bei meiner ersten Rede zugehört haben. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Peter Hintze: Das Präsidium gratuliert Frau Kollegin Lindholz zu ihrer ersten Rede. Wir sind am Ende der Aussprache und damit auch am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 12. Februar 2014, um 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.11 Uhr) Berichtigung 10. Sitzung, Seite 657 B, zweiter Absatz, zweiter Satz ist wie folgt zu lesen: „Jetzt will ich nicht, dass wir uns anmaßen, eine Leadership-Funktion zu übernehmen, aber vielleicht könnte es eine „Smart Leadership“-Funktion sein: nicht oberlehrerhaft, nicht selbstgefällig, nicht populistisch, sondern ergebnisorientiert und nachhaltig. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 31.01.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 31.01.2014 Binninger, Clemens CDU/CSU 31.01.2014 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 31.01.2014 Buchholz, Christine DIE LINKE 31.01.2014 Ehrmann, Siegmund SPD 31.01.2014 Freitag, Dagmar SPD 31.01.2014 Gerdes, Michael SPD 31.01.2014 Giousouf, Cemile CDU/CSU 31.01.2014 Grindel, Reinhard CDU/CSU 31.01.2014 Dr. Hahn, André DIE LINKE 31.01.2014 Hardt, Jürgen CDU/CSU 31.01.2014 Heller, Uda CDU/CSU 31.01.2014 Kauder, Volker CDU/CSU 31.01.2014 Krellmann, Jutta DIE LINKE 31.01.2014 Kühn-Mengel, Helga SPD 31.01.2014 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 31.01.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2014 Mast, Katja SPD 31.01.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 31.01.2014 Dr. Murmann, Philipp CDU/CSU 31.01.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 31.01.2014 Nietan, Dietmar SPD 31.01.2014 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 31.01.2014 Pofalla, Ronald CDU/CSU 31.01.2014 Rüthrich, Susann SPD 31.01.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 31.01.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 31.01.2014 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 31.01.2014 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 31.01.2014 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2014 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 31.01.2014 Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 31.01.2014 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 31.01.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Haushaltsausschuss hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 12 Titel 681 12 – Arbeitslosengeld II bis zur Höhe von 700 Mio. Euro Drucksachen 18/131(neu), 18/305 Nr. 5 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Mitteilung gemäß § 4 Absatz 2 Satz 6 des Haushaltsgesetzes 2013 i. V. m. § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung bei Kapitel 15 11 Titel 712 01 – Große Baumaßnahme des Robert Koch-Instituts Drucksachen 18/132, 18/305 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 02 Titel 686 01 Erläuterungsnummer 2 – Zuweisungen an den Fonds für Opfer der Heimerziehung Ost Drucksachen 18/133, 18/305 Nr. 7 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 10 Titel 681 02 – Elterngeld – bis zu einer Höhe von 280 Mio. Euro Drucksachen 18/148, 18/305 Nr. 9 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 25 Titel 893 01 – Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz – bis zur Höhe von 30 Mio. Euro Drucksachen 18/264, 18/305 Nr. 11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 07 04 Titel 632 01 „Verwaltungskostenerstattung an Länder“ bis zur Höhe von 5,556 Mio. Euro Drucksachen 18/265, 18/305 Nr. 12 Anlagen II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung, Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung, Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 901 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 904 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung, Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung, Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 905