Plenarprotokoll 18/39 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 39. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Rudolf Henke, Robert Hochbaum und Herbert Behrens 3315 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 11 und 12 3315 B Erweiterung der Tagesordnung 3315 B Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Drucksache 18/1558 3315 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS 3315 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 3317 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3318 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) 3320 A Michael Schlecht (DIE LINKE) 3321 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) 3321 D Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3322 A Dr. Carola Reimann (SPD) 3323 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) 3324 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 3325 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3326 C Stephan Stracke (CDU/CSU) 3328 A Kerstin Griese (SPD) 3329 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) 3331 A Daniela Kolbe (SPD) 3332 B Albert Stegemann (CDU/CSU) 3333 B Antje Lezius (CDU/CSU) 3334 D Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/1312 3336 A b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/1092 3336 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 3336 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3337 D Sevim Da?delen (DIE LINKE) 3338 D Aydan Özoguz, Staatsministerin BK 3340 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3342 C Helmut Brandt (CDU/CSU) 3344 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3346 D Helmut Brandt (CDU/CSU) 3347 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 3347 C Dr. Eva Högl (SPD) 3348 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3350 D Gerold Reichenbach (SPD) 3352 A Michael Frieser (CDU/CSU) 3352 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3353 C Christina Kampmann (SPD) 3354 B Erika Steinbach (CDU/CSU) 3355 B Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes (Klimaschutzgesetz – KlimaSchG) Drucksache 18/1612 3356 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen Drucksache 18/1619 3356 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3356 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 3358 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 3359 B Frank Schwabe (SPD) 3360 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 3362 B Caren Lay (DIE LINKE) 3364 A Dr. Nina Scheer (SPD) 3365 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3366 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) 3367 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 3369 A Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. September 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/1568 3370 B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Vertragsgesetz EU-USA-Luftverkehrsabkommen – EU-USA-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1569 3370 C c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 15. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen Königreich Jordanien andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Jordanien-Luftverkehrsabkommen – Euromed-JOR-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1570 3370 C d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Moldau über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrsabkommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1571 3370 D e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Besonderen Ausgleichsregelung für stromkosten- und handelsintensive Unternehmen Drucksache 18/1572 3370 D f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes Drucksache 18/1585 3371 A g) Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunft der Hebammen und Entbindungspfleger sichern – Finanzielle Sicherheit und ein neues Berufsbild schaffen Drucksache 18/1483 3371 A h) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – Neustart ohne Drohungen und Fristen Drucksache 18/1615 3371 A i) Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundestagsmehrheit nutzen – Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen Drucksache 18/1617 3371 B j) Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter: Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der Länderkommission Drucksache 18/1178 3371 B Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Georgien-Luftverkehrsabkommen – EU-GEO-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/1224, 18/1641 3371 C b) Antrag der Abgeordneten Richard Pitterle, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter – KOM(2014) 212 endg.; Ratsdok. 8842/14 – hier Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) – Umgehung der Unternehmensmitbestimmung bei Ein-Personen-GmbH verhindern Drucksache 18/1618 3371 D c)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 54, 55, 56, 57, 58 und 59 zu Petitionen Drucksachen 18/1476, 18/1477, 18/1478, 18/1479, 18/1480, 18/1481 3372 A Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG) Drucksachen 18/1307, 18/1579, 18/1657 3372 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1660 3372 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einführung des neuen Entgeltsystems in der Psychia-trie stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen Drucksachen 18/557, 18/574, 18/1657 3372 D Annette Widmann-Mauz, Parl. Staats-sekretärin BMG 3373 A Harald Weinberg (DIE LINKE) 3374 C Dr. Karl Lauterbach (SPD) 3375 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3377 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 3377 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 3378 C Sabine Dittmar (SPD) 3379 D Rudolf Henke (CDU/CSU) 3381 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3381 C Tagesordnungspunkt 8: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/1415, 18/1653 3382 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1654 3383 A Dietmar Nietan (SPD) 3383 A Inge Höger (DIE LINKE) 3384 B Peter Beyer (CDU/CSU) 3385 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3386 D Julia Bartz (CDU/CSU) 3387 C Wolfgang Hellmich (SPD) 3388 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 3389 C Namentliche Abstimmung 3390 D Ergebnis 3392 C Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen Drucksache 18/982 3391 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 3391 A Jana Schimke (CDU/CSU) 3394 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3396 A Daniela Kolbe (SPD) 3397 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 3398 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 3399 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 3400 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 3401 D Tagesordnungspunkt 10: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur -Änderung des Gesetzes zur Zahl-barmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto Drucksachen 18/1308, 18/1577, 18/1649 3402 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1650 3402 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen Drucksachen 18/636, 18/1649 3402 D Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staats-sekretärin BMAS 3403 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 3403 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 3404 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) 3406 A Kerstin Griese (SPD) 3407 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) 3408 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Anerkennung für Peacekeeper in internationalen Friedenseinsätzen Drucksache 18/1460 3409 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3409 D Thorsten Frei (CDU/CSU) 3411 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 3412 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 3413 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3413 C Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 3414 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 3415 B Michael Vietz (CDU/CSU) 3416 A Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Siebte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung Drucksachen 18/1281, 18/1379 (neu) Nr. 2.3, 18/1583 3417 B Michael Thews (SPD) 3417 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 3418 D Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 3419 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3420 C Artur Auernhammer (CDU/CSU) 3421 B Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend regulieren Drucksachen 18/769, 18/1656 3422 B Mechthild Heil (CDU/CSU) 3422 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 3423 B Dr. Carsten Sieling (SPD) 3424 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3425 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 3426 C Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes Drucksachen 18/1305, 18/1574, 18/1648 3427 C Fritz Güntzler (CDU/CSU) 3427 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 3428 D Manfred Zöllmer (SPD) 3429 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3430 C Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 3431 C Christian Petry (SPD) 3432 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Transparenz der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Drucksache 18/1462 3433 B Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3433 C Reiner Meier (CDU/CSU) 3434 C Harald Weinberg (DIE LINKE) 3435 A Dirk Heidenblut (SPD) 3435 D Karin Maag (CDU/CSU) 3437 D Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen Drucksachen 18/1311, 18/1586, 18/1651 3438 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1652 3438 B Dr. Martin Rosemann (SPD) 3438 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 3439 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 3440 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3441 C Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen Drucksache 18/1613 3442 D Frank Tempel (DIE LINKE) 3443 A Emmi Zeulner (CDU/CSU) 3443 D Frank Tempel (DIE LINKE) 3446 A Emmi Zeulner (CDU/CSU) 3446 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3446 C Burkhard Blienert (SPD) 3447 B Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksachen 18/1306, 18/1575, 18/1647 3448 C Anja Karliczek (CDU/CSU) 3448 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 3449 D Frank Junge (SPD) 3451 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3452 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 3453 C Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umwidmung nicht genutzter Bundesmittel der United Nations Mission in South Sudan (UNMISS) für die Unterstützung des unbewaffneten Schutzes der Zivilbevölkerung im Südsudan Drucksache 18/1614 3454 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 3454 D Thorsten Frei (CDU/CSU) 3455 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3456 B Gabriela Heinrich (SPD) 3457 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 3457 D Emmi Zeulner (CDU/CSU) 3459 B Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes und des Legehennenbetriebsregistergesetzes Drucksachen 18/1286, 18/1639 3460 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) 3460 D Marlene Mortler (CDU/CSU) 3461 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 3462 B Karin Binder (DIE LINKE) 3462 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3463 B Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) – KOM(2013) 534 endg.; Ratsdok. 12558/13 – hier: a) Stellungnahme -gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes, b) Politischer Dialog mit den EU-Institutionen Drucksache 18/1658 3464 A b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) – KOM(2013) 534 endg.; Ratsdok. 12558/13 – hier: a) Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes, b) Politischer Dialog mit den EU-Institutionen Drucksache 18/1646 3464 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 3464 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 3466 A Dr. Katarina Barley (SPD) 3466 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 3467 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 3468 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3469 C Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/1565 3470 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Evaluierung des Antiterrordateigesetzes Drucksache 17/12665 (neu) 3470 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 3470 D Uli Grötsch (SPD) 3471 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) 3473 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3474 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 3474 C Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/1529 3475 C Olav Gutting (CDU/CSU) 3475 D Andreas Schwarz (SPD) 3476 C Richard Pitterle (DIE LINKE) 3477 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3478 C Tagesordnungspunkt 25: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung 2013 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates: Bessere Rechtsetzung 2013: Erfolge dauerhaft sichern – zusätzlichen Aufwand vermeiden Drucksache 18/866 3479 A Helmut Nowak (CDU/CSU) 3479 A Andrea Wicklein (SPD) 3481 A Michael Schlecht (DIE LINKE) 3482 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 3482 D Nächste Sitzung 3483 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3485 A Anlage 2 Neuabdruck der Kurzintervention der Abgeordneten Sevim Da?delen (DIE LINKE) (38. Sitzung, Tagesordnungspunkt 1) 3485 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Karl-Heinz Brunner, Martin Dörmann, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier-Heite, Dr. Johannes Fechner, Gabriela Heinrich, Marcus Held, Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Eva Högl, Frank Junge, Christina Kampmann, Gabriele Katzmarek, Daniela Kolbe, Dr. Matthias Miersch, Michelle Müntefering, Dr. Simone Raatz, Dr. Carola Reimann, Andreas Rimkus, Sönke Rix, Dr. Martin Rosemann, Michael Roth (Heringen), Susann Rüthrich, Annette Sawade, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Matthias Schmidt (Berlin), Michael Thews, Bernd Westphal und Dr. Jens Zimmermann (alle SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 18) 3486 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Mechthild Rawert (SPD) zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 18) 3486 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Carsten Sieling (SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 18) 3488 A Inhaltsverzeichnis 39. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2014 Beginn: 9.02 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Ich beginne mit der erfreulichen Mitteilung, dass die Kollegen Rudolf Henke und Robert Hochbaum heute ihren 60. Geburtstag feiern. (Beifall) Sie haben sich dafür die bestmögliche Kulisse ausgesucht. (Vereinzelt Heiterkeit) Jedenfalls nutzen wir diese Gelegenheit gerne, Ihnen beiden unsere herzlichen Glückwünsche für das neue Lebensjahr zu übermitteln. Das gilt auch für den Kollegen Herbert Behrens, der vor wenigen Tagen seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. (Beifall) Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 11 abzusetzen. Statt dieses Tagesordnungspunktes soll der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/1460 mit dem Titel „Mehr Anerkennung für Peacekeeper in internationalen Friedenseinsätzen“ als Zusatzpunkt aufgerufen werden. Auch der Tagesordnungspunkt 12 soll abgesetzt werden; an dieser Stelle soll die Beratung des Tagesordnungspunktes 21 erfolgen. Sind Sie mit diesen Verabredungen einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Drucksache 18/1558 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Hierzu ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine Aussprache von 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu erkenne ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute ein Gesetzesvorhaben, das eine tiefe und grundlegende Bedeutung für unser Land hat: das Tarifpaket. Nicht ohne Grund haben wir das Gesetz „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ genannt. Denn dass Deutschland wirtschaftlich stark ist, verdanken wir gerade auch der guten Tradition verlässlicher Tarifpartnerschaft und Tarifautonomie. Dass wir besser als andere in Europa durch die Krise gekommen sind, dazu hat das gemeinsame verantwortliche Handeln von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die Tarifautonomie ist von zentraler Bedeutung für unser Arbeits- und Wirtschaftsleben. Sie ist ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zwei gleich starke Partner handeln den Wert der Arbeit in ihrer Branche aus. Damit sind wir über viele Jahrzehnte gut gefahren. Die Tarifautonomie sichert verantwortliche Abschlüsse und hat eine partnerschaftliche kompromiss- und konsensorientierte Wirtschaftstradition begründet. Sie hat sozialen Frieden im Land und damit auch Stabilität für die gesamte Wirtschaft gesichert. Sie hat den Arbeitgebern Wettbewerbssicherheit gegeben, da in den Branchen für alle die gleichen Lohnbedingungen gelten, und sie hat für Friedenspflicht gesorgt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bietet sie Schutz, Einkommenssicherheit und gleichzeitig die Chance zur Mitbestimmung. Gerade wegen dieser Erfolge dürfen wir die Augen aber nicht vor den Problemen verschließen, die in den letzten Jahren parallel zu den genannten Erfolgen immer deutlicher geworden sind. Die Tarifautonomie hat Risse bekommen. Gestatten Sie mir, einige Zahlen dazu zu nennen: Lag der Anteil der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben in Westdeutschland 1980 noch bei 91 Prozent, so waren es 1998 nur noch 76 Prozent, und heute liegen wir in Westdeutschland bei 60 Prozent, während es in Ostdeutschland sogar nur 48 Prozent sind. Betrachtet man die Betriebe, dann stellt man fest, dass im Osten nur noch jeder fünfte Betrieb einem Tarifvertrag unterliegt. Das ist eine dramatische Entwicklung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im europäischen Vergleich ist Deutschland von einer Spitzenposition ins Mittelfeld zurückgefallen. Österreich etwa, die skandinavischen Staaten, Frankreich und Italien verzeichnen auch weiterhin eine hohe Tarifbindung von 85 bis 97 Prozent. In diesen Staaten gibt es, wie es in Deutschland traditionell auch der Fall ist, meist keinen nationalen, sondern lediglich auf einzelne Wirtschaftszweige beschränkte Mindestlöhne. In Ländern mit einer niedrigeren Tarifbindung hingegen wird überwiegend über ein allgemeines nationales Mindestlohnregime eine Lohngrenze nach unten verbindlich festgelegt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass mit sinkender Tarifbindung in Deutschland auch die Debatte über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn begann. Der Weg sollte – darüber waren wir uns in der letzten Großen Koalition einig – zunächst über branchenbezogene Mindestlöhne gehen. Inzwischen sind durch Branchenmindestlöhne über 3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Lohndumping geschützt – übrigens ohne dass es zu dem von manchen im Land befürchteten Verlust von Arbeitsplätzen gekommen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei allen Erfolgen von branchenbezogenen Mindestlöhnen: Es bleiben große weiße Flecken. Dort haben branchenbezogene Mindestlöhne nicht gegriffen, und sie würden auch in Zukunft nicht greifen. 2012 arbeiteten mehr als 5 Millionen Menschen für einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro. Was ist unsere Antwort darauf? Ich meine, eine ausgewogene Antwort hat aus zwei Teilen zu bestehen: Zum einen müssen wir alles dafür tun, dass wir aus dem Mittelfeld, in das wir bei der Tarifbindung zurückgefallen sind, wieder zur Spitzengruppe aufschließen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum anderen brauchen wir eine klare Grenze nach unten, und das geht nur mit dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Das Tarifpaket, das wir hier heute vorlegen, verbindet vernünftig und wirksam genau diese beiden Teile der Antwort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Stärkung der Tarifautonomie und der Sozialpartnerschaft erreichen wir, indem wir die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtern. Dadurch geben wir den Sozialpartnern wieder das Heft des Handelns in die Hand. Wir sorgen dafür, dass sie wieder mehr Einfluss bekommen und die Arbeitswelt wieder wirksam gestalten können. Die Regeln, die sie in -gemeinsamer Verantwortung für Betrieb und Branche aushandeln, werden künftig verstärkt wieder für alle Unternehmen gelten, auch die, die ansonsten nicht tarifgebunden sind. Die Aushöhlung der Tarifpartnerschaft wird unterbunden, die Flucht aus gemeinsam festgelegten vernünftigen Mindeststandards wird erschwert. Das ist Verantwortung und Gestaltungswille. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der am meisten beachtete und diskutierte Teil des Tarifpaketes ist zweifelsohne der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Auf den ersten Blick sieht es wie ein Eingriff in die Tarifautonomie aus, wenn wir den Mindestlohn gesetzlich festlegen. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Widerspruch zu dem, was ich vorhin gesagt habe und was wir mit der Stärkung der Tarifautonomie in diesem Gesetz erreichen wollen. Die weißen Flecken, von denen ich gesprochen habe, zwingen uns aber dazu, diesen Eingriff vorzunehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 5 Millionen Menschen arbeiten zu Dumpinglöhnen. Ohne einen gesetzlichen Mindestlohn würden sie es nicht schaffen, aus diesem Niedriglohnbereich herauszukommen und einigermaßen anständig bezahlt zu werden, und wir könnten ihnen nicht helfen. All diesen Menschen sagen wir: Der Mindestlohn kommt zum 1. Januar 2015. Das haben wir versprochen, und das wird gehalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ab dem 1. Januar 2017 gilt für alle Branchen ohne Ausnahme in Ost und West gleichermaßen ein Mindestlohn von 8,50 Euro. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ja, wir müssen eingreifen. Aber auch hier gilt die Prämisse der Tarifautonomie. Mit dem Gesetz sorgen wir dafür, dass die Tarifpartner das Heft des Handelns auch bei der Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns in der Hand behalten. Für die Übergangszeit bis Ende 2016 liegt es eben in der Hand der Tarifparteien, mit spezifischen Übergangsregelungen eine vernünftige Einphasung in den Mindestlohn für ihre Branche auszuhandeln. Auch die künftige Entwicklung des Mindestlohns sollen Gewerkschaften und Arbeitgeber bestimmen. Sie kennen die Lage in den Betrieben und Branchen und können so am besten tragfähige und verantwortliche Entscheidungen treffen. Dafür haben wir das Instrument einer unabhängigen Mindestlohnkommission geschaffen. Sie entscheidet in Zukunft über die Erhöhung des Mindestlohns, und die Bundesregierung ist an diese Entscheidung gebunden. Die zukünftige Festlegung des Mindestlohns werden wir nicht der Politik, sondern, wie es in unserem Land gute Tradition ist, den Tarifpartnern überlassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insoweit ist der Mindestlohn ein neuer Schritt, den wir aber konsequent in der alten bewährten Tradition gehen. Alte bewährte Tradition – ich habe es schon mehrfach gesagt – heißt für mich soziale Marktwirtschaft. Nach der Einführung des Arbeitsförderungsgesetzes 1969, nach der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972, nach der Einführung des Arbeitssicherheitsgesetzes 1973 und nach der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe 2003 setzt jetzt in diesem Jahr, 2014, der Mindestlohn eine weitere wesentliche Leitplanke für Arbeit in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir geben den So-zialpartnern wieder mehr Einfluss und Gestaltungsmacht. Und wir geben der Arbeit ihren Wert zurück. Der Wert der Arbeit bemisst sich nicht nur, aber vor allem am Lohn. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Am Lohn kann ich ablesen, ob meine Arbeit gewürdigt und wertgeschätzt wird. Mit dem Tarifpaket setzt die Große Koalition ein klares Zeichen: Arbeit hat in Deutschland ihren Wert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt tatsächlich vier Punkte, über die ich mich heute ganz besonders freue. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Ja, da könnt ihr durchaus klatschen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann sagen Sie es halt mal! Führen Sie sich nicht auf wie ein Kasper!) Der erste Punkt ist: Es ist tatsächlich ein Gesetzentwurf zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns vorgelegt worden. Das ist ein großer Fortschritt in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Zweite, das mich freut – ich hätte gar nicht daran geglaubt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU –, ist die Einsicht in die Realität, dass wir diesen Mindestlohn brauchen. Ich finde es toll, wie Sie Ihre Meinung in diesem Punkt geändert haben. (Widerspruch des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Ich kann mich noch daran erinnern, dass das früher anders klang. Ich zitiere Herrn Lehrieder: „Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn funktioniert nicht.“ Max Straubinger hat gesagt: „Die Auswirkungen gesetzlicher Mindestlöhne bestehen nicht nur in erhöhter Arbeitslosigkeit.“ Und so weiter. Dass Sie sich jetzt, kurz vor Pfingsten – da kommt ja der Heilige Geist –, dazu durchringen konnten, Ihre Meinung zu ändern, ist klasse. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das waren die Koali-tionsverhandlungen, nicht der Heilige Geist! – Zuruf von der SPD: Das ist unser guter Einfluss!) In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es – und das freut mich sehr; ich zitiere –: Die Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. … Dies hat den Tarifvertragsparteien die ihnen durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes überantwortete Ordnung des Arbeitslebens strukturell erschwert. Das ist die Anerkennung dessen, dass Ihr in den letzten Jahren üblicher Verweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien das Problem regeln sollen, schlichtweg nicht mehr reicht. Sie erkennen mit diesem Gesetzentwurf an, dass Sie damit falsch gelegen haben. Wenn die Tarifvertragsparteien das regeln sollen, dann muss man sie stärken. Ich freue mich über Ihren Gesinnungswandel. Bravo, meine Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN) Das Dritte, das mich sehr freut – ich kann es nicht anders sagen –, ist, dass die Partei, die sich seit Jahren in diesem Land als sozialer Bremser dargestellt (Max Straubinger [CDU/CSU]: Was?) und den Mindestlohn konsequent abgelehnt und verhindert hat, diese Debatte von der Tribüne oder vor dem Fernsehgerät verfolgen kann. Auch das freut mich sehr, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der vierte Punkt ist: Mich freut, dass an diesem Gesetzentwurf deutlich wird, dass sich Hartnäckigkeit lohnt. Steter Tropfen holt den Stein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Höhlt!) – Was habe ich gesagt? (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Holt!) – Er holt ihn auch. Er holt den Stein. Herr Wadephul, Sie haben im Dezember 2010 gesagt – Zitat –: Diskutieren Sie mit uns über andere sozialpolitische Themen als jede Woche über denselben Aufguss alter Themen. Diese Hartnäckigkeit der Linken hat sich gelohnt. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD) Inzwischen haben auch Sie es begriffen. Sie können sich aufführen, wie Sie wollen: Das Thema Mindestlohn ist ein ursächliches Thema der Linken. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD) Wir haben das schon eingebracht, als Sie alle noch dagegen waren. Jetzt freuen Sie sich wieder. 2006 haben wir das Thema zum ersten Mal eingebracht. Alle waren dagegen, und die Einzige, die das Thema konsequent im Parlament vertreten hat, war die Linke. Deshalb lassen wir uns das Thema von Ihnen nicht nehmen, meine Damen und Herren. So ist die Welt. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD) Die Zweiten, die den Mindestlohn als Erfolg verbuchen können, sitzen nicht im Parlament. Das sind die deutschen Gewerkschaften. Sie haben durch ihre Aktivitäten wesentlich dazu beigetragen, dass auch Sie sich einem Meinungswandel unterzogen haben. Auch das freut mich ganz besonders, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Mich freut auch, dass Sie inzwischen unsere Begründung übernehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Ernst, lassen Sie Zwischenfragen zu? Klaus Ernst (DIE LINKE): Ja, selbstverständlich! Präsident Dr. Norbert Lammert: Na also. – Bitte schön. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie als Linke bereits 2006 für einen Mindestlohn gekämpft haben. Sie sind auch Mitglied der IG Metall. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Wenn ich mich richtig erinnere, war die IG Metall insbesondere in ihren Führungsgremien deutlich gegen einen Mindestlohn. Sie hat dieses Projekt damals noch bekämpft. Ich frage Sie ganz persönlich: Hat das bei Ihnen eigentlich zu schizophrenen Gefühlen geführt? (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Klaus Ernst (DIE LINKE): Das ist eine sehr nette Frage. Dass Sie diese Frage stellen, ist in gewisser Weise verwunderlich. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht jetzt nicht um mich!) Wir haben hier über die Erodierung der Tarifverträge diskutiert. Wir lösen nun durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ein Problem, das Sie in der Koalition mit der SPD selbst verursacht haben, und zwar durch die Hartz-Gesetze, durch die die Tarifverträge unter Druck geraten sind. Das ist die Wahrheit, Frau Pothmer. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie schon damals, als Sie regiert haben, auf die Gewerkschaften gehört hätten, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir!) dann hätten wir dieses Problem nicht; denn die Gewerkschaften waren gegen die Hartz-Gesetze. Sie waren dagegen, dass die Leistungen für Arbeitslose gekürzt werden. (Beifall bei der LINKEN) Hätte Sie damals auf die Gewerkschaften gehört, hätten Sie diese Frage nicht stellen müssen. Ich bin im Übrigen überhaupt nicht schizophren. Ich habe schon damals innerhalb der Gewerkschaften und insbesondere innerhalb meiner Organisation durchaus zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir auch in der IG Metall Bereiche haben, die nicht mehr dem Tarifvertrag unterliegen, weil wir nicht mehr die Stärke hatten, dort Tarifverträge durchzusetzen. Deshalb sage ich Ihnen: Es ist vollkommen richtig, was in dem vorliegenden Gesetzentwurf steht. Man muss die Tarifautonomie wieder stärken und darf nicht nur auf sie verweisen, in der Hoffnung, dass diese dann das Problem löst. Ohne starke Gewerkschaften sind die Probleme nicht lösbar. Sie haben die Tarifautonomie in Ihrer Regierungszeit geschwächt. (Beifall bei der LINKEN) Nun zu den Bereichen, in denen wir Probleme mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben. Sie übernehmen unsere Begründung und sagen: Die Würde des Menschen gilt auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es hat etwas mit Würde zu tun, ob ein Arbeitnehmer von seinem Lohn leben kann oder nicht. Diese Begründung höre ich inzwischen auch von Ihnen immer öfter. Aber Sie nehmen in Ihrem Gesetzentwurf die unter 18-Jährigen aus; sie sollen vom Mindestlohn nicht profitieren. Da frage ich Sie natürlich: Gilt für diese nicht der Satz von der Würde? Hat nicht auch schon ein 18-Jähriger so viel Würde, dass er vernünftig entlohnt werden soll? Warum eigentlich? Glauben Sie tatsächlich, dass viele junge Menschen in letzter Zeit deshalb keinen Ausbildungsplatz hatten, weil sie woanders zu hohe Löhne bekommen haben und deshalb keinen Ausbildungsplatz angenommen haben? So ein -Unfug! Ich sage Ihnen: Hören Sie auf, solche Ausnahmeregelungen für unter 18-Jährige zu schaffen! Sie wollen solche Ausnahmeregelungen, weil Sie doch noch nicht alles begriffen haben. Das ist die Einschränkung meines Lobes von vorhin. (Beifall bei der LINKEN) Ich halte es genauso für vollkommen falsch, Ausnahmeregelungen für Langzeitarbeitslose zu schaffen. Haben denn die Langzeitarbeitslosen keine Würde? Wenn Sie sagen, dass es etwas mit Würde zu tun hat, dass man von seiner Arbeit leben kann, dann muss das auch für Langzeitarbeitslose gelten. Hören Sie mit diesen Ausnahmeregelungen auf! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der nächste Punkt, der dabei eine Rolle spielt, ist die Altersregelung. Frau Nahles hat dazu am 3. April in der Leipziger Volkszeitung gesagt: Das beste Gesetz gegen Altersarmut ist der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn für alle. Für alle, also auch für Langzeitarbeitslose! Wir haben die Bundesregierung gefragt, wie hoch die Nettorente sein müsste, damit jemand, der sein ganzes Leben gearbeitet hat, eine Rente bezieht, die über der Grundsicherung im Alter liegt. Die Antwort möchte ich Ihnen nicht vorenthalten – ich zitiere –: Um eine Nettorente … über dem durchschnittlichen Bruttobedarf in der Grundsicherung im Alter … bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden über 45 Jahre versicherungspflichtiger Beschäftigung hinweg zu erreichen, wäre rechnerisch ein Stundenlohn von rd. 10 Euro erforderlich. Mit 8,50 Euro lösen Sie das Problem der Altersarmut in diesem Land überhaupt nicht. (Beifall bei der LINKEN) Dann frage ich Sie: Was ist das für eine Regelung, die erste Erhöhung zum 1. Januar 2018 stattfinden zu lassen? Gilt denn die Würde erst ab dem 1. Januar 2018 wieder? Im Übrigen sind die 8,50 Euro von heute im Jahre 2017 nur noch 8,16 Euro wert. Das heißt, dass im Jahr 2017 sich die meisten Mindestlohnempfänger in der Bedürftigkeit wiederfinden und Sie somit mit der niedrigen Marge des Mindestlohns Ihre eigenen Ziele verfehlen. Das ist das Problem in diesem Zusammenhang. (Beifall bei der LINKEN) Mein letzter Punkt: Durch einen Tarifvertrag kann der Mindestlohn – Frau Nahles, Sie selber haben es angesprochen – bis 2017 unterlaufen werden. Was ist denn das für eine Regelung, dass man Gewerkschaftsmitglieder per Tarifvertrag schlechterstellen darf als die, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind? Haben denn die gewerkschaftlich Organisierten weniger Würde als die anderen? Hören Sie auf mit diesen Ausnahmeregelungen, meine Dame! Legen Sie vielmehr einen Mindestlohn für alle fest, wie Sie es angekündigt haben, und bestimmen Sie eine vernünftige Höhe! Damit erreichen Sie Ihre eigenen Ziele. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unsinn!) Noch eine letzte Bemerkung. Ich habe die Äußerungen von Herrn Schweitzer und anderen von der Indus-trie, dem Handwerk und der Hotelbranche gelesen, die sich massiv über diese Regelungen beschweren. Ich habe gedacht, ich traue meinen Augen nicht. Herr Schweitzer vom DIHK verweist auf die Chinesen und die Amerikaner, die übrigens in einigen Städten teilweise einen Mindestlohn von 14 Dollar einführen. Dazu sage ich nur: Lassen Sie sich – da muss ich Sie jetzt wirklich in Schutz nehmen – davon nicht beirren! Herr Schweitzer weiß doch genau, wo der Mindestlohn wirkt, nämlich in Branchen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, und im Dienstleistungsbereich. Jetzt wird gesagt, die Chinesen seien billiger. Glaubt denn wirklich einer, dass die Fenster, die geputzt werden müssen, nach China zum Putzen und dann wieder zurückgeschickt werden, weil es in China niedrigere Löhne gibt? Sind die denn von allen guten Geistern verlassen? Wie kann man denn die chinesischen Löhne im Dienstleistungsbereich, der ortsgebunden ist, mit unseren Löhnen vergleichen? Deshalb sage ich Ihnen: Bitte bleiben Sie an der Stelle hartnäckig! Machen Sie vor allem das, was Sie angekündigt haben, nämlich einen gesetzlichen Mindestlohn für alle ohne Ausnahme! (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Ernst, da Sie vorhin mit Blick auf das bevorstehende Pfingstfest den Heiligen Geist für diese Auseinandersetzung bemüht haben, erlaube ich mir den Hinweis, dass die Frage, ob der Heilige Geist im Himmel Mindestlöhne eingeführt hat, bis heute unter den Theologen nicht restlos geklärt ist. (Heiterkeit und Beifall) Der Kollege Schiewerling hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen schon aufpassen, dass die Diskussion über den Mindestlohn und über die Frage der Zukunft der Arbeitswelt in unserer Gesellschaft nicht in einem Klamauk endet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wissen Sie, Herr Kollege Ernst: Sie können gerne Ihr Mütchen an früheren politischen Auseinandersetzungen kühlen. Die Union hat von Anfang an in der letzten Legislaturperiode an einem Mindestlohnkonzept – ich gestehe zu: etwas länger – gearbeitet und dabei konsequent die Frage gestellt, wie wir die Tarifautonomie stärken können. Deswegen hat sie das Konzept entwickelt, dass in Zukunft eine Kommission einen Mindestlohn findet und nicht der Deutsche Bundestag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen werden wir hier im Hohen Hause jetzt zum ersten und zum letzten Mal einen Mindestlohn von 8,50 Euro festlegen; danach ist die Kommission zuständig. Sie gehört dahin, wo die Verantwortung für die Löhne liegt, und die liegt bei den Tarifpartnern. Wir werden diese nicht aus der Verantwortung entlassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das vorliegende Gesetz trägt nicht umsonst die Überschrift „Stärkung der Tarifautonomie“. In der Tat steht die Tarifautonomie für uns im Mittelpunkt, bei aller Sorge, die wir haben, dass die Tarifbindung abnimmt, was zu ganz schwierigen Entwicklungen geführt hat. Das hat zu einem großen Teil auch dazu geführt, dass wir heute über Mindestlöhne reden müssen; denn dort, wo Tarifautonomie vernünftig funktioniert, haben wir mit der Zahlung von Mindestlöhnen überhaupt keine Probleme. Nur dort, wo es keine Tarifautonomie gibt und die Bindungskraft der Unternehmen nachlässt, weil sie nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind, dort, wo Arbeitnehmer einen schwachen Organisationsgrad in ihrer jeweils zuständigen Gewerkschaft haben, genau dort haben wir die Probleme und die Schwierigkeiten. Genau dort wollen wir ansetzen, damit wir zu gerechten und ordentlichen Lösungen kommen. Dem dient dieses Gesetz. Aber im Mittelpunkt steht die Tarifautonomie. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dieses Ziel mit großer Konsequenz, auch bei den jetzt anstehenden Beratungen, zusammen mit ihrem Koalitionspartner verfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Weil wir in vielen Bereichen eine schwache Tarifbindung haben, wird jetzt der Ruf nach dem Staat laut. Ich halte es für eine ganz schwierige Entwicklung in unserem Land, dass überall da, wo etwas nicht mehr gelingt, wo Subsidiarität nicht mehr funktioniert, weil die, die dafür zuständig sind, die Verantwortung nicht übernehmen können oder nicht übernehmen wollen, der Ruf nach dem Staat laut wird. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Es ist nicht garantiert, dass dann automatisch alles besser wird. Aber wir sind gezwungen und aufgerufen, für Ordnung am Arbeitsmarkt zu sorgen. Daran arbeiten wir. Folglich wird dieses Gesetz auf den Weg gebracht. Dies geschieht mit mehreren Waggons, die wir auf dieses tarifpolitische Gleis gesetzt haben: Es geht zunächst einmal um die Reform der Allgemeinverbindlicherklärung. Es geht darum, dass Tarifverträge – auch solche mit einer Tarifbindung von unter 50 Prozent – dann, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vorhanden ist, leichter auf diejenigen Gebiete einer Branche, in denen keine Tarifbindung besteht, ausgeweitet werden können. Das ist eine konsequente Anwendung von Tarifautonomie im Hinblick auf die Stärkung von Arbeitgebern und Gewerkschaften. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Wir werden – das ist der zweite Waggon, der auf dem tarifpolitischen Gleis steht – die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vornehmen. Wir werden also eine Ausweitung insbesondere auf diejenigen Branchen vornehmen, in denen ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig sind. Auf diese Branchen wird somit dahin gehend Druck ausgeübt, dass dort faire und vernünftige Bedingungen herrschen. Wir werden ermöglichen, dass noch mehr Branchen dem Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes unterliegen. Auch dort gelten dann zuvörderst die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelten Tarife. Zum gesetzlichen Mindestlohn. Ich habe vorhin schon gesagt: Der Deutsche Bundestag wird einmal einen Mindestlohn festlegen, 8,50 Euro, dadurch eine Marke setzen und danach die Verantwortung einer Tarifkommission übertragen, die paritätisch mit Arbeitgebern und Gewerkschaftsvertretern besetzt ist. Ich kenne mittlerweile den Wunsch aus diesem Bereich, dass man möglichst genau beschreibt, was diese Kommission zu tun hat, dass man möglichst eng eingrenzt, welche Aufgaben sie hat. Ich sage Ihnen: Da haben wir eine gänzlich andere Vorstellung. Wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften für die Findung von Löhnen in unserem Land zuständig sind, dann haben sie auch die Verantwortung dafür zu übernehmen. Deswegen werden wir im Gesetzentwurf einige Kriterien formulieren, an denen man sich zu orientieren hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Dazu gehört die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land. Dazu gehört die Bruttolohnentwicklung in unserem Land. Dazu gehört die Auswirkung eines Mindestlohnes auf Branchen und Regionen. Dazu gehört natürlich auch die Frage der Auswirkungen eines Mindestlohnes auf bestimmte Altersgruppen. Alle diese Fragen sollen von dieser Kommission mit bearbeitet werden. Diese Kommission soll auch regelmäßig darüber berichten und eine Analyse dazu abgeben, wie was gewirkt hat. In der Tat, es ist richtig: Wir beschreiten mit der Implementierung des Mindestlohnes, mit der Flexibilisierung der Allgemeinverbindlicherklärung und der Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes einen neuen Weg, dessen sämtliche Auswirkungen wir letztendlich noch nicht überblicken können. Das gilt insbesondere für die Frage der Altersgrenze. Das gilt insbesondere für die Frage, wie sich das Ganze auf die Älteren nun wirklich auswirkt. Diesen Prozess haben wir nämlich jetzt erst eingeleitet. Insofern ist es gut, wenn wir von der Stunde null an die Entwicklungen beobachten und gemeinsam auswerten, um die Frage beantworten zu können, wie das Ganze gewirkt hat. Eines wollen wir erreichen: Wir wollen, dass der Mindestlohn und das andere, was wir auf den Weg bringen, den Menschen dient, Arbeitsplätze schafft und keine vernichtet, Menschen hilft, zu faireren und gerechteren Bedingungen ihre Arbeit erledigen zu können. Wenn wir gemeinsam dieses Ziel verfolgen, kann es uns gelingen, Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, dies auf Dauer gesehen zu bewerkstelligen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir werden noch einige Punkte miteinander zu diskutieren und zu klären haben. Das wird wie immer in einer guten Form in den nächsten Wochen passieren. Unser Wunsch als Fraktion ist, dass wir auf jeden Fall schauen, dass die Wirtschaft nicht mit unnötiger Bürokratie überzogen wird. Unser Wunsch ist, auf jeden Fall darauf zu schauen, dass Branchen, die jetzt noch besondere Beschwer sehen, Übergangsfristen bekommen, mit denen wir ihnen helfen, auf den Weg zu kommen. Wir sind darüber miteinander im Gespräch. Ich bin sicher, dass wir miteinander zu einvernehmlichen Lösungen kommen. Unser Ziel bleibt – das gilt auch für die Unionsfraktion –: Es muss fair am Arbeitsmarkt zugehen. Wir wollen alles dafür tun, dass die Tarifpartner die Rahmenbedingungen haben, um dieses leisten zu können. Wir werden den Menschen helfen. Wir sind für die Einführung des Mindestlohns, so wie es das Konzept jetzt vorsieht. Ich bin ganz sicher, dass wir damit unser Land weiter voranbringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schlecht das Wort. Michael Schlecht (DIE LINKE): Herr Schiewerling, es ist ja begrüßenswert, dass Sie sich so viele Gedanken über die Stärkung der Tarifautonomie machen, nachdem die Tarifautonomie seit zehn Jahren durch politische Rahmenbedingungen, durch politische Rahmensetzung unterminiert worden ist. Aber wenn Sie es mit diesem Gesetz ernst meinen und nicht nur ein Gesetz machen würden, das über weite Strecken einen Etikettenschwindel darstellt, dann hätte in dieses Gesetz über das hinaus, was drinsteht, ein Verbot der Leiharbeit gehört. Dann hätte drinstehen müssen eine Neuregulierung der Befristung; die Befristung hat eine ganz verheerende Auswirkung auf die Tarifautonomie. Dann hätte eine Regelung hineingemusst zu den Minijobs, nämlich dass die Minijobs ab der ersten Stunde sozialversicherungspflichtig sind. Dann hätten hineingemusst Veränderungen zu Werkverträgen, nämlich dass die Betriebsräte Mitbestimmungsrechte erhalten, wenn Werkverträge in den Unternehmen geschlossen werden sollen. Dann hätte hineingemusst ein Verbandsklagerecht für die Gewerkschaften. Zur AVE, zur Allgemeinverbindlicherklärung, hätte nicht eine Regelung hineingehört, die nur eine sehr homöopathische Wirkung hat, sondern eine Regelung, nach der Gewerkschaften allein verlangen können, dass in einer Branche eine Allgemeinverbindlichkeit hergestellt wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Versuchen Sie mal, eine Mehrheit zu kriegen! Dann können Sie alles in die Gesetze schreiben, was Sie wollen!) Mit diesen Maßnahmen könnte man die verheerenden Auswirkungen der Agenda 2010 auf die Tarifbindung, auf das Tarifsystem zurückführen. Aber das sehen Sie nicht vor, weil Sie es nicht wollen. Insofern stellt das Ganze in der Tat einen Etikettenschwindel dar. Es ist ein bisschen das Vergießen von Krokodilstränen, wenn man heute feststellt: Die Tarifbindung geht zurück. – Es ist aber die eigene Politik – Sie haben die Politik von Rot-Grün in dieser Frage immer unterstützt; es ist die Politik, die man vor zehn Jahren gemacht hat –, die dazu geführt hat, dass es überhaupt zu dieser Verschlechterung der Tarifbindung gekommen ist. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung: Herr Kollege Schiewerling. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Kollege Schlecht, ich danke Ihnen herzlich für die Kurzintervention. – Dass Sie die nutzen, um das gesamte Programm der Linken vorzustellen, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau!) ist Ihnen sicherlich nicht zu verwehren. Sie haben genau die Argumente dafür genannt, dass es unserem Land besser geht als anderen Ländern und es uns besser geht, als wenn Sie regieren würden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie Ihren Katalog durchgesetzt hätten, ginge es den Menschen schlechter, weil Sie Ihnen etwas vormachen würden. Deswegen ist der Katalog, den Sie vorgetragen haben, nicht dazu geeignet, den Menschen zu dienen. Wir haben miteinander überhaupt nicht vor, alles zurückzudrehen, sondern es geht bei diesem Gesetz, das wir jetzt auf den Weg bringen, darum, einen gewissen Ausgleich für die Verwerfungen zu schaffen, die in manchen Bereichen in den vergangenen Jahren entstanden sind. Es geht nicht darum, grundsätzlich den großen Erfolg, den wir in der Bundesrepublik Deutschland haben und um den wir beneidet werden, nicht nur in Europa, sondern weltweit – niedrigste Arbeitslosigkeit, höchste Beschäftigung, auch höchste sozialversicherungspflichtige Beschäftigung –, durch so einen Blödsinn zu gefährden, wie Sie ihn vorschlagen. Deswegen werden wir so einen Quatsch nicht mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aufpassen, Kollege!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Andreae das Wort. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns Grüne ist es ein großer Fortschritt, dass wir nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie und Wann sprechen. Fast alle wollen diesen Mindestlohn: Gewerkschaften, Kirchen, über 80 Prozent der Bevölkerung und zunehmend auch die Arbeitgeber. Der Vizekanzler hatte recht, als er auf dem Katholikentag sagte, der Mindestlohn sei kein Instrument der Glückseligkeit. Aber der Mindestlohn ist ein Instrument der Notwendigkeit. Mit unwürdigem Lohndumping muss Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) „Arm trotz Arbeit“ darf es nicht weiter geben. 8 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor, zum Teil für unter 5 Euro die Stunde. Diese Menschen müssen aufstocken. Das heißt, der Steuerzahler subventioniert Dumpinglöhne. Dass hier ein Riegel vorgeschoben wird, ist gut; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn Dumpinglöhne behindern fairen Wettbewerb. Ich kenne viele Handwerker, die sagen, dass für sie der Mindestlohn richtig ist, weil sie sich dann nicht mehr mit den Preisdrückern auseinandersetzen müssen, die normalerweise die Ausschreibungen gewinnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Andere europäische Länder haben bereits entsprechende Regelungen und gute Erfahrungen mit dem Mindestlohn. Deutschland zieht jetzt nach. Das ist keine Revolution, sondern eine Selbstverständlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir jetzt erleben, ist, dass der Wirtschaftsflügel der Union noch gründlich überarbeiten will. Das haben Sie beim Rentenpaket auch gesagt; da hätten wir Ihnen viel Erfolg gewünscht. Dort ist es leider nicht gelungen. Auch hier werden die Backen wieder weit aufgeblasen. Ich glaube, die Arbeitsministerin kann ganz ruhig schlafen. Auch dieser Tiger wird wieder als Bettvorleger landen. Dabei wird nichts herauskommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei muss das Gesetz an entscheidenden Punkten verbessert werden; denn ein Sicherheitsnetz mit lauter Löchern ist eben kein Sicherheitsnetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ein Netz hat immer Löcher!) Wenn Sie 2 Millionen Erwerbstätige aus dieser Regelung herausnehmen, führt das zu großen Lücken beim Mindestlohn; es höhlt ihn aus. Ohne wirksame Kontrolle bleibt es eine Showveranstaltung. Wir wissen, dass ungefähr 340 Milliarden Euro pro Jahr in der Schwarzarbeit umgesetzt werden. Aber nur 770 Millionen Euro konnten letztes Jahr aufgedeckt werden. Sie brauchen also mehr Personal. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit muss personell aufgestockt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Zollverwaltungen brauchen mehr Stellen. Das haben Sie aber nicht eingeplant. Wir haben beantragt, im Haushalt Mittel für die Personalaufstockung einzustellen, damit die Einhaltung des Mindestlohns kontrolliert wird und man nachprüfen kann, ob das, was heute beschlossen wird, auch umgesetzt wird. Darum geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wo müssen Sie noch nacharbeiten? Die Bundesregierung traut sich nicht, eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation zuzulassen. Das ist falsch. Der Mindestlohn ist keine Sozialromantik, sondern eine große sozialpolitische Reform, die Auswirkungen hat. Es ist allenthalben über die Frage diskutiert worden, was das bedeutet. Diese Auswirkungen muss man sehr genau prüfen. Wie sieht es jetzt aus? Im Gesetz steht, dass die Bundesregierung in sechs Jahren irgendwie prüfen will. Das reicht nicht. Können Sie sich noch an die Handwerksnovelle 2004 erinnern? Auch damals wurde ins Gesetz hi-neingeschrieben, dass man irgendwann prüfen wolle. Aber das hat man bis heute noch nicht gemacht. Lassen Sie eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation zu, und nehmen Sie die Wissenschaft mit ins Boot! Das sollte auch für die Mindestlohnkommission gelten, und zwar mit Stimmrecht. Die Wissenschaft braucht ein Stimmrecht in der Mindestlohnkommission. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eine starke und unabhängige Kommission, und zwar aus folgendem Grund: damit Akzeptanz für die getroffenen Regelungen geschaffen wird, damit der Mindestlohn nicht zum Zankapfel in Wahlkämpfen und hier im Bundestag wird, damit Ruhe, Stetigkeit und Planbarkeit in dieses Instrument hineinkommen. Dafür brauchen Sie eine unabhängige Mindestlohnkommission. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Einführung des Mindestlohns war lange überfällig. Es ist gut, dass heute der erste Schritt getan wird. Der Mindestlohn ist gut gegen Lohndumping, und er ist gut für fairen Wettbewerb. Da darf man sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Der Mindestlohn nutzt den Menschen und den Unternehmen gleichermaßen. Er ist keine Fürsorgeleistung. Armutsbekämpfung braucht andere Instrumente. Der Mindestlohn ist ein Mindeststandard und hat mit der Würde der Arbeit der Menschen zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Der Mindestlohn ist für uns von Bündnis 90/Die Grünen wie für einen großen Teil der Bevölkerung elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit, die diesem Land gut ansteht. Bringen Sie ihn auf den Weg. Sorgen Sie für die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission. Verbessern Sie die Evaluation. Lassen Sie die Ausnahmen weg. Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Dann bekommen Sie unsere Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Carola Reimann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben 21 branchenübergreifende gesetzliche Mindestlöhne. Worüber wir seit Jahren streiten, ist in Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden längst Normalität. Ich freue mich, dass wir heute mit der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs diesem europäischen Standard einen Schritt nähergekommen sind; denn es wird höchste Zeit, dass das, was in Europa längst Realität ist, auch in Deutschland zur Selbstverständlichkeit wird, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) nämlich dass man nicht duldet, wenn unanständig niedrige Löhne gezahlt werden. Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, trotz europäischer Normalität ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ein bedeutender Schritt, ein Meilenstein, für den wir Sozialdemokraten seit über zehn Jahren kämpfen; Herr Ernst, hier muss ich Ihr Langzeitgedächtnis bemühen. Gegen viele Widerstände haben wir ihn jetzt durchgesetzt. Es wurde viel darüber diskutiert, ob wir und ob sich die Unternehmen den Mindestlohn leisten können und wie sich dieser auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt. Das sind zweifellos wichtige Fragen. Genauso wichtig ist aber die Frage, ob es sich eine Gesellschaft leisten kann, dass Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben. Ich finde, wir können uns das nicht leisten, weil es den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährdet, wenn wir Menschen mit Billiglöhnen ausgrenzen. Es ist deshalb Zeit, dass wir dem endlich mit dem gesetzlichen Mindestlohn einen Riegel vorschieben; hier sind wir, Kollegin Kerstin Andreae, ganz dicht beieinander. In einem Land, das wirtschaftlich so gut aufgestellt ist – besser als viele andere EU-Länder, die ich gerade genannt habe –, muss das eine Selbstverständlichkeit werden. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass der Mindestlohn, wie im Koalitionsvertrag verabredet und schon im Kabinett beschlossen, auch zügig umgesetzt wird. (Beifall bei der SPD) Wir werden auch dafür sorgen, Frau Andreae, dass die Umsetzung durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit kontrolliert wird und Verstößen stringent nachgegangen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstverständlich nehmen wir die Sorgen einzelner Branchen sehr ernst. An dieser Stelle möchte ich unserer Ministerin ausdrücklich dafür danken, dass sie sehr frühzeitig auf einen konstruktiven und intensiven Dialog mit den einzelnen Branchen gesetzt hat und nach wie vor dafür sorgt, dass diese bei der Anpassung an den gesetzlichen Mindestlohn die notwendige Unterstützung erhalten. (Beifall bei der SPD) Ich finde, das Verfahren der Ministerin Nahles ist vorbildlich. Ich würde mir wünschen, dass das auch in anderen Bereichen Schule macht. (Beifall bei der SPD) Dazu gehört auch, dass wir beim Übergang auf tarifvertragliche Lösungen setzen – das ist hier schon gesagt worden –, um einen vernünftigen, gangbaren Weg für die Unternehmen, die Probleme haben, zu schaffen. Kolleginnen und Kollegen, wir haben also Regelungen mit Augenmaß gefunden; ich bin sicher, dass sie sich in der Praxis bewähren werden. Ich sage allen, die jetzt zum wiederholten Male – das ist auch schon angeklungen – schwere Geschütze gegen den gesetzlichen Mindestlohn auffahren wollen: Es wird Zeit, abzurüsten. Der Mindestlohn kommt, und er wird für viele Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut sein, aber er wird auch unserem Land guttun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vom Mindestlohn wird besonders eine Gruppe profitieren: die Arbeitnehmerinnen. Das ist gut, aber es zeigt auch, dass nach wie vor insbesondere Frauen von Lohn-ungerechtigkeiten betroffen sind. Sieben von zehn Beschäftigten im Niedriglohnbereich sind Frauen. Hier ist der gesetzliche Mindestlohn ein ganz wichtiger Schritt. Weitere Schritte müssen folgen; das ist klar. Dazu gehören konkrete Maßnahmen gegen Lohndiskriminierung, Regelungen für Frauen in Führungspositionen und natürlich das große Thema der Familienarbeitszeiten. Zum Schluss will ich ansprechen, dass der Mindestlohn auch Schluss machen wird mit den Auswüchsen, die wir in den vergangenen Jahren unter dem Schlagwort „Generation Praktikum“ in der Praxis erleben mussten. Sich nach der Ausbildung, häufig nach sehr guter Ausbildung, von einem Langzeitpraktikum zum nächsten hangeln zu müssen und dabei noch schlecht oder gar nicht bezahlt zu werden – diese Praxis muss der Vergangenheit angehören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Praktikum heißt für uns Qualifizierung und Orientierung, aber nicht Ausbeutung. Dazu gehört für uns auch mehr Rechtssicherheit durch einen schriftlichen Vertrag sowie eine Mindestvergütung, insbesondere für freiwillige Praktika von bis zu sechs Wochen, die im vorliegenden Gesetzentwurf vom Mindestlohn ausgenommen sind. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, das Tarifpaket wird für mehr Ordnung und Gerechtigkeit im Wirtschafts- und Arbeitsleben sorgen. Wir führen mit dem Mindestlohn ein neues Ordnungsinstrument ein und stärken vor allem mit der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen – das gilt dann auch für alle Beschäftigten, Herr Kollege Ernst – und durch die Reform der Allgemeinverbindlicherklärung die Tarifautonomie und die bewährte Sozialpartnerschaft in Deutschland. Das ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch ökonomisch vernünftig. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte wie mein Kollege Klaus Ernst allen gratulieren, die seit über zehn Jahren für einen Mindestlohn gekämpft haben, und dabei meine ich insbesondere meine Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften, die nicht nachgelassen haben, für dieses Thema immer wieder neu zu streiten. (Beifall bei der LINKEN – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sehr spät begonnen haben!) Seit 2006 legt die Linke Anträge zum Mindestlohn vor. Ich erinnere mich, dass die SPD unsere Anträge zum Mindestlohn seit diesem Zeitpunkt abgelehnt hat. Von daher müssen wir nicht streiten, wer welche Anträge eingebracht hat. Wenn Sie uns zugestimmt hätten, hätten wir schon seit 2006 einen Mindestlohn. (Beifall bei der LINKEN) Ich würde auch gerne der SPD an dieser Stelle gratulieren, aber irgendwie kriege ich das nicht hin. Sie hatten die Chance, die verheerenden Folgen der Agenda 2010 abzufedern. Wie ich der Rede von Frau Nahles entnommen habe, ist die Agenda 2010 der Grund dafür, warum wir überhaupt einen Mindestlohn in Deutschland brauchen. Wegen der Agenda 2010 musste entsprechend korrigiert werden. Den Wert und die Würde der Arbeit in Deutschland zu verteidigen, und das flächendeckend, das ist die Aufgabe, die wir unbedingt wahrnehmen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Diese Chance haben Sie aus unserer Sicht durch das unselige Gefeilsche um die Ausnahmen beim ohnehin zu niedrigen Mindestlohn verpasst. Die Wahrheit ist, dass dem Gejammer der Arbeitgeberseite nachgegeben wurde. Sie haben dem nichts entgegengesetzt. Das Resultat ist, dass wir es jetzt mit einem Flickenteppich von Ausnahmen zu tun haben, einem Flickenteppich im Hinblick auf Personengruppen, denen gesagt wird: Eure Arbeit ist weniger wert als die Arbeit eurer Kolleginnen und Kollegen. Können Sie sich eigentlich vorstellen, was das für einen 17-Jährigen oder eine 17-Jährige bedeutet, wenn der ein Jahr ältere Kollege oder die Kollegin mehr Geld bekommt als er oder sie selbst? Das ist doch nicht in Ordnung! (Beifall bei der LINKEN) Können Sie sich vorstellen, was es für einen Beschäftigten, der aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommt, bedeutet, wenn ihm per Gesetz vom ersten Tag an mitgeteilt wird, dass seine Arbeit weniger anerkannt wird und weniger wert ist? Das geht doch nicht! (Beifall bei der LINKEN) Das hat mit der guten Idee eines Mindestlohns nichts zu tun. Mich ärgert das total. Auch die Tatsache, dass Arbeitgebervertreter jetzt tagtäglich auf der Matte stehen und eine Ausnahme nach der nächsten fordern, macht mich unglaublich ärgerlich. Niemand von der Regierungskoalition haut auf den Tisch und sagt: Leute, damit ist jetzt Schluss! Wir führen das ein, ohne Wenn und Aber! – Aber genau das machen Sie nicht. (Beifall bei der LINKEN) Durch Ihre Haltung, dadurch, dass Sie einfach nichts tun, geben Sie die Interessen der Beschäftigten preis, und das ist absolut nicht in Ordnung. Als Linke können wir die geplanten Ausnahmen nicht hinnehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Würde der Menschen kennt keine Ausnahmen. Für Ihren Flickenteppich gibt es keine wirtschaftliche und auch keine juristische Rechtfertigung. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie Abstand von der Diskriminierung der Langzeitarbeitslosen und der Jugendlichen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, während wir hier im Bundestag über dieses Mindestlohngesetz streiten, stehen am Brandenburger Tor Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften und vom DGB, die unter dem Motto „Mindestlohn für alle, jetzt. Würde kennt keine Ausnahmen“ darauf aufmerksam machen wollen, dass sie mit den Ausnahmeregelungen nicht einverstanden sind. Wir von der Linken können uns dem nur anschließen. Auf Ihren Flickenteppich Mindestlohn können sich die Menschen da draußen nicht verlassen, aber darauf schon: Wir, die Linke, werden nicht lockerlassen, bis alle Beschäftigten zu ihrem Recht gekommen sind, und zwar flächendeckend. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Matthias Zimmer erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1776, dem Jahr der Unabhängigkeitserklärung der USA, veröffentlichte der Schotte Adam Smith sein wohl bekanntestes Werk über den Wohlstand der Nationen. Es wurde zum wirtschaftspolitischen Grundmanifest einer ganzen Epoche. Smith begründete die politische Ökonomie, und er wurde zum Stammvater des wirtschaftlichen Liberalismus. Umso überraschender ist es, dass wir in diesem Buch auch eine Passage über den gerechten Lohn finden. Es sei der Lohn, der einem Arbeiter zustehe, um sich und seine Familie zu ernähren. Nein, überraschend war das eigentlich nicht; denn Smith war Moralphilosoph und sah die Wirtschaft in einer auf den Menschen bezogenen, dienenden Funktion. Nur so viel, Herr Kollege Ernst: Wer hat’s erfunden? Die Liberalen waren Ihnen da 230 Jahre voraus. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben es nur nicht umgesetzt! Und was habt ihr gemacht?) Meine Damen und Herren, etwas mehr als 100 Jahre später, im Jahre 1891, griff Papst Leo XIII. in der ersten Sozialenzyklika Rerum Novarum den Begriff des gerechten Lohns wieder auf. Er ist seither fester Bestandteil der katholischen Soziallehre. So nahe wie damals waren sich Liberalismus und katholische Soziallehre vermutlich nie wieder. Wer dagegen heute den „Sinn“-Spruch eines gleichnamigen Münchener Ökonomen vernimmt, die Löhne müssten nur weit genug fallen, damit jeder Arbeit bekommt, vermisst schmerzlich jene normative Dimension, die einmal die Attraktivität des Liberalismus ausgemacht hat. (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Wir haben in der sozialen Marktwirtschaft viele Antworten auf die Frage des gerechten Lohns gegeben. Eine über lange Jahre gebräuchliche Antwort war: Die Lohnfindung überlassen wir den Sozialpartnern, also den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Der Staat soll sich aus der Lohnfindung heraushalten, dann wird es gerecht. Das setzt aber starke Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften voraus, und diese Voraussetzung – die Ministerin hat es erwähnt – ist seit den 90er-Jahren zunehmend erodiert. (Zurufe von der LINKEN: Genau! – Richtig!) Wir haben dann gesagt: „Lasst uns nicht über den gerechten Lohn, sondern über Einkommen diskutieren“, und haben zu niedrige Löhne durch den Staat aufgestockt. Das war in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit durchaus eine breit akzeptierte Vorgehensweise. Wahr ist aber auch: Diese Aufstockung ist eben auch eine Subvention wirtschaftlicher Tätigkeit, und zwar in doppelter Weise; denn zum einen stockt der Staat nicht hinreichende Löhne auf, zum anderen muss er dann nach dem Arbeitsleben nicht auskömmliche Renten durch die Grundsicherung im Alter finanzieren. Ob das alles im Zeitalter eines Fachkräftemangels noch sinnvoll ist, mag man füglich bezweifeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Wir haben über viele Jahre – recht erfolgreich, wie ich finde – branchenbezogene Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklärt und damit in vielen Branchen den Wettbewerb sinnvoll geregelt. Aber es gibt noch viele weiße Flecken in der Tariflandschaft. Deshalb ist es gut und richtig, wenn wir als Schlussstein der Ordnung der Lohnfindung in Deutschland heute den Gesetzentwurf zur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns diskutieren, mit dem ein angemessener Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichergestellt werden kann. Der Mindestlohn soll künftig verhindern, dass der Wettbewerb über die Fähigkeit definiert wird, Löhne zu drücken. Wir erkennen damit an, dass der Arbeitsmarkt ein abgeleiteter Markt ist und anders behandelt werden muss als Märkte, die vollkommen vom Spiel von Angebot und Nachfrage geleitet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das sind wir als Christdemokraten unserem Bild von Arbeit und unserem Bild des Menschen auch schuldig. Wenn wir nun in die parlamentarischen Beratungen über den Gesetzentwurf einsteigen, so habe ich einige Wünsche dazu. Es ist nur fair, diese am Anfang der Beratungen auszusprechen. Ich will nur drei nennen: Erstens glaube ich nicht, dass wir uns mit der vorliegenden Form der Generalunternehmerhaftung wirklich einen Gefallen tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zwar ist es ja durchaus ein biblisches Motiv, Haftung bis ins sechste oder siebte Glied – das sagt einiges über die Bibelfestigkeit der Ministerin aus –, aber ich halte das in der Praxis gerade im Mittelstand für nicht wirklich hilfreich. Darüber müssen wir noch einmal intensiv nachdenken. Zweitens finde ich die Regelung bei Praktika – Frau Kollegin Reimann, ich stimme Ihnen da vollkommen zu; die Generation Praktikum wollen wir nicht – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: -Richtig!) noch nicht wirklich überzeugend. Wir nehmen zwar Pflichtpraktika von Studierenden vom Mindestlohn aus, aber häufig sind gerade in geisteswissenschaftlichen Studienfächern längere Praktika während des Studiums eine Brücke in die Beschäftigung nach dem Studium. Das sind aber in aller Regel, weil die Geisteswissenschaften keine Pflichtpraktika kennen, freiwillige Praktika. Versperren wir hier nicht Möglichkeiten, anstatt zu helfen, Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen? Mir fehlt im Übrigen auch eine genaue Definition des Praktikums, etwa in Abgrenzung zu einem Volontariat oder zu einem Trainee-Programm. Ein Drittes; dies regt mich ein wenig auf. Das Gesetz soll den schönen Namen Tarifautonomiestärkungsgesetz tragen. Dann sollten wir das auch tun. Wir haben eine Mindestlohnkommission vorgesehen, die einen Vorschlag zum Mindestlohn erarbeiten soll. Nun höre ich von der BDA und dem DGB, dass man sich dieser Arbeit entziehen und einfach den Tarifindex nachgehend zum Maßstab für die Festlegung des Mindestlohns machen will. Ich finde das einigermaßen abenteuerlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mir scheint, da will sich jemand die Hände in Unschuld waschen und sagen: Mit dem Mindestlohn habe ich nichts zu tun, das ist Sache der Politik. – Nein, meine Damen und Herren vom DGB und von der BDA, das ist Sache der Tarifparteien in der Kommission. Ich will schon, dass sich die Mindestlohnkommission die Arbeit macht, ihren Vorschlag genau zu begründen, sich dabei an bestimmten Kriterien ausrichtet und dann auch ausführlich berichtet; denn das hilft uns am Ende bei der Evaluation des Mindestlohns. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist gerade in ersten Lesungen eines Gesetzentwurfes schon beinahe parlamentarische Folklore, auf das Struck’sche Gesetz hinzuweisen, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es in ihn hineingekommen ist. Ich will das Struck’sche Gesetz heute um eine Vermutung ergänzen, dass nämlich dann, wenn beide Regierungsfraktionen der Großen Koalition konstruktiv zusammenarbeiten, das Gesetz nicht nur anders, sondern besser den Bundestag verlässt. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Da gibt es nichts mehr, das man besser machen könnte! Alles ist gut!) Auf eine erste empirische Überprüfung dieser Vermutung freue ich mich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zimmer, Sie haben gerade gesagt: Schön, dass wir heute über den Mindestlohn diskutieren. Ich habe einmal nachgezählt: In den letzten Jahren haben wir hier in diesem Parlament mehr als 22-mal über den Mindestlohn diskutiert. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Mindestens!) Ich gestehe hier ganz offen: Manchmal hatte ich, insbesondere was die rechte Seite des Hauses angeht, das Gefühl, dass ich auf ein totes Pferd einrede. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Dass dieser Gaul jetzt doch in Trab kommt, (Heiterkeit des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) halte ich für einen extremen gesellschaftlichen Fortschritt. Ich finde, das sollten wir deutlich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn wir loslaufen, sind wir nicht mehr anzuhalten!) Aber ich finde, wir sollten auch sagen, dass wir die Ziellinie leider noch lange nicht erreicht haben. Die Mindestlohngegner haben noch lange nicht aufgegeben. Dabei fällt mir die folgende Frage ein: Wo ist eigentlich Herr Linnemann? Herr Linnemann, der über die Presse immer Neues fordert, ist hier als Redner nicht vorgesehen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Warten Sie einmal auf die zweite Lesung!) Sie arbeiten weiter mit Hochdruck daran, den Mindestlohn immer weiter auszuhöhlen. Wenn Sie sich durchsetzen und nur ein Teil der vorgesehenen Ausnahmen im Gesetz steht, dann werden wir es nicht mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn zu tun haben. Dann werden wir es mit einem Niedriglohnsektor unterhalb des Mindestlohns zu tun haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Das hätte zur Konsequenz, dass die Niedriglöhner in Konkurrenz zu den Mindestlöhnern träten. Dann würde der Mindestlohn zu einem Konkurrenznachteil gegenüber den Niedriglöhnern. Das können wir auf gar keinen Fall wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi Brase [SPD] und Klaus Ernst [DIE LINKE]) Deswegen, liebe Frau Nahles, betrachten wir die Ausnahmen, die der Gesetzentwurf vorsieht, voller Skepsis. Ich nenne die Ausnahme für die unter 18-Jährigen. Sie wissen, dass ich ganz persönlich – daraus habe ich nie einen Hehl gemacht – die Sorge sehr ernst nehme, dass der Mindestlohn tatsächlich für Jugendliche den Anreiz setzen könnte, auf eine Ausbildung zu verzichten und stattdessen jobben zu gehen. Deswegen hat meine Fraktion ein sehr hochkarätig besetztes Fachgespräch dazu durchgeführt. Nach diesem Fachgespräch kann ich Ihnen eines klipp und klar sagen: Ihr Vorhaben taugt nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das können Sie so nicht sagen!) Das ist weniger als ein Placebo. Ihre Regelung trifft genau 9 000 Personen. 9 000 unter 18-Jährige sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das ist Ihre Zielgruppe. Von Ihrer Regelung betroffen sind am Ende aber 320 000 unter 18-Jährige, die neben der Schule und neben der Ausbildung jobben gehen. 9 000 Personen wollen Sie treffen, aber 320 000 treffen Sie in Wirklichkeit. Das ist ein Kollateralschaden, der sich gewaschen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn Sie wirklich etwas für junge Leute tun wollen, dann müssen Sie dafür sorgen, dass attraktive Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, und die in Ihrer Koalitionsvereinbarung vorgesehene Ausbildungsplatzgarantie endlich umsetzen. Frau Nahles, richtig übel nehme ich Ihnen die Ausnahmen für die Langzeitarbeitslosen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie wollen uns das hier verkaufen als eine Starthilfe für Langzeitarbeitslose, um in Arbeit zu kommen. Das ist keine Starthilfe, das ist Stigmatisierung. Die Botschaft, die Sie aussenden, lautet: Die können doch nichts, die kriegt ihr billiger. Wenn das keine Stigmatisierung ist, dann weiß ich nicht, was Stigmatisierung ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wissen sehr genau, dass es sich bei den Langzeitarbeitslosen um eine sehr heterogene Gruppe handelt. Ich bestreite überhaupt nicht, dass es darunter auch Menschen gibt, die erhebliche Leistungseinschränkungen haben. Für diese Gruppe haben wir aber ein sehr zielgenaues Instrument, nämlich die Lohnkostenzuschüsse. Statt dieses Instrument fortzuentwickeln, stigmatisieren Sie über 1 Million Menschen als nicht leistungsfähig. Ihnen geht es im Übrigen gar nicht um die Integration von Langzeitarbeitslosen. Die Langzeitarbeitslosen sind das Bauernopfer, das die SPD der Union in Sachen Mindestlohn geben musste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Das ist der Skalp, den die Union gefordert hat, um zu demonstrieren, dass die Sozialdemokratisierung der Union noch nicht vollends abgeschlossen ist. Ich sage Ihnen aber: Hier geht es ausdrücklich nicht um politische Geländegewinne in der Koalition; hier geht es um den Schutz vor Lohndumping, und zwar für alle Beschäftigten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja! Ganz genau!) Noch eine Bemerkung: Dieses Gesetz heißt ja Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Von dieser Ausnahme bei den Langzeitarbeitslosen profitieren übrigens auch nur die Betriebe, die keinen Tarifvertrag haben, weil die, die einen Tarifvertrag haben, diese Ausnahme nicht machen können. So weit zur Stärkung der Tarifautonomie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir werden in den Beratungen noch eine Menge Themen ansprechen müssen. Auf die Konstruktion der Mindestlohnkommission ist hingewiesen worden, auf die Evaluierung, die erst 2020 beginnen soll, ebenfalls. Auf die geplanten Ausnahmen und ihre Folgen müssen wir ebenso eingehen wie auf das Einfrieren des Mindestlohns bis 2018. Wissen Sie, was das bedeutet? Das bedeutet, dass die Politik bis 2018 den Mindestlohn festlegt, also genau das passiert, wogegen Sie sich hier immer wieder zur Wehr setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann müssen wir auch einmal darüber reden, ob diejenigen, die nicht vom Mindestlohn profitieren, eigentlich überhaupt geschützt werden – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich komme zum Schluss – und ob deren Löhne nicht die Grenze der Sittenwidrigkeit unterschreiten. Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Das alles sind keine Petitessen. Es geht um mehr als 5 Millionen Menschen hier in Deutschland. Es geht um die Bekämpfung des Niedriglohnsektors. Ich finde, das ist des Schweißes der Edlen wert. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist wirtschaftlich und sozial erfolgreich. Diesen Weg des Erfolgs wollen wir fortsetzen. Unser Erfolgsrezept lautet dabei soziale Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft ist immer eine Wettbewerbsordnung, die den sozialen Ausgleich aber niemals beiseitelässt. Keiner darf verloren gehen; das ist unser Anspruch. Natürlich umfasst soziale Marktwirtschaft auch Wettbewerb: Wettbewerb um innovative Ideen, um beste Produkte, um den Vorsprung an Wissen und Können. All das zeichnet unser Land aus. Das wollen wir auch unterstützen, beispielsweise in den Bereichen Forschung und Wissenschaft, Infrastruktur und duale Ausbildung. In diesen Bereichen wird Zukunft gewonnen. Deshalb geben wir hier auch in Zukunft mehr Geld aus. Soziale Marktwirtschaft beinhaltet nach unserem Verständnis aber nicht Dumpinglöhne und Wettbewerb um die niedrigsten Löhne und die schlechteste Bezahlung. Wir wissen: Gute Arbeit muss sich lohnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wo Vollzeit gearbeitet wird, da sollen die Menschen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch angemessen bezahlt werden. Leistung muss fair bezahlt werden. Dies zu gewährleisten, ist in erster Linie Aufgabe unserer Sozialpartner, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unserem Land, und nicht des Staates – nicht in erster Linie. Die Sozialpartnerschaft hat über Jahrzehnte hinweg für Wohlstand und sozialen Frieden gesorgt. Gute Tarifverträge sind die Garantie dafür, dass Leistung fair bezahlt wird. Davon profitieren im Übrigen auch die untersten Lohngruppen. Wir haben in großzügiger Art und Weise die branchenbezogenen Mindestlöhne ausgeweitet. 4 Millionen Menschen profitieren derzeit davon, doppelt so viele wie 2009. Wenn man sich die tariflichen Mindestlöhne ansieht, dann stellt man fest, dass diese zu fast 90 Prozent über 8,50 Euro liegen. Das ist der Erfolg von tariflichen Mindestlöhnen. 79 Prozent liegen im Übrigen bei 10 Euro und mehr. Deswegen wollen wir die Tarifbindung in diesem Land stärken und hier auch unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Soziale Marktwirtschaft funktioniert aber nur dann, wenn wir starke Sozialpartner haben. Deswegen müssen wir das Interesse an der Sozialpartnerschaft hochhalten, zum einen auf der Arbeitnehmerseite, indem wir sagen: „Geht in die Gewerkschaften, kämpft für eure Interessen“, zum anderen auf der Seite der Unternehmen, damit diese sagen: „Ja, ich möchte Mitglied in einem Arbeitgeberverband werden und damit auch Einfluss auf die Tarifgestaltung in diesem Land nehmen.“ Tatsache ist aber auch: Die Tarifbindung hat sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland abgenommen, in den letzten 16 Jahren um rund 20 Prozent. Die Anzahl der Betriebe mit Branchentarifbindung liegt im Westen derzeit bei 53 Prozent, im Osten bei 36 Prozent. Das ist eine Entwicklung, die wir stoppen wollen. Deswegen werden wir dafür sorgen, dass wir das Netz an Tarifverträgen weiter ausbauen, indem wir die Allgemeinverbindlichkeitserklärung stärken und auch den Zugang zu den Möglichkeiten, die das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bietet, entsprechend erleichtern. Aber dort, wo die Lohnfindung auf tarifvertraglicher Ebene nicht funktioniert, weil die Tarifbindung nicht -gegeben ist oder weil sich die Arbeitnehmer in diesem Bereich unzureichend organisieren, da bedarf es einer Lohnuntergrenze. Deswegen kommt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sagen auch: Einmal werden wir den gesetzlichen Mindestlohn hier im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens festlegen, aber in Zukunft werden bezüglich der Entwicklung des Mindestlohns die Tarifvertragsparteien eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind es, die in der Mindestlohnkommission Verantwortung dafür zu tragen haben, wie sich die Entwicklung des Mindestlohns in Zukunft gestaltet. Da hat Automatismus keinen Platz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Platz hat hier nur eine Gesamtabwägung; denn es ist erforderlich, dass gut begründet wird, wie denn die Auswirkungen von Mindestlohnregelungen auf Beschäf-tigung, auf Branchen, auf Regionen sind. Diese Auswirkungen sollen dezidiert und genau begutachtet werden. Dann soll im Rahmen einer Gesamtabwägung entschieden werden, welche Höhe des Mindestlohns in Zukunft angemessen ist. Wir haben – das müssen wir konstatieren – derzeit keine Erfahrung mit gesetzlichen Mindestlöhnen. Wir haben Erfahrung mit Branchenlöhnen. Hier haben wir derzeit keine feststellbar negativen Beschäftigungseffekte. Aber wir steigen sehr hoch ein – international gesehen –, und wir gehen auch nicht so vorsichtig vor, wie dies beispielsweise andere Länder gemacht haben. Deswegen müssen wir darauf achten, dass der Schuss für Einzelne nicht nach hinten losgeht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen darauf achten, dass wir nicht in großem Ausmaß negative Beschäftigungseffekte kreieren. Deswegen war uns von Anfang an wichtig: Wenn wir jetzt den Mindestlohn einführen, dann müssen wir das Gesetz auch entsprechend evaluieren, damit wir tatsächlich die Kontrolle haben, wie sich das auf die Lebenswirklichkeit auswirkt. Deswegen haben wir uns auch für Ausnahmen eingesetzt. Ausnahmen gebieten die Vernunft und die Verantwortung beispielsweise auch gegenüber denjenigen, die schwächer aufgestellt sind, die gering qualifiziert sind oder langzeitarbeitslos sind. Das hat, Frau Pothmer, nichts mit Stigmatisierung zu tun, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) sondern es hat ausnahmslos damit zu tun, dass wir hier die Chancen auf den Einstieg in das Arbeitsleben beispielsweise für diejenigen, die langzeitarbeitslos sind, die gering qualifiziert sind, hochhalten müssen und keine neuen, keine zusätzlichen Hürden aufbauen dürfen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lohnkostenzuschüsse!) Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass Langzeit-arbeitslose in den ersten sechs Monaten von dem Mindestlohn ausgenommen werden. Ich glaube, das erhöht die Chancen für Langzeitarbeitslose, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Genau so ist es!) Wir haben sichergestellt, dass Auszubildende, die beispielsweise eine duale Ausbildung machen, vom Mindestlohn ausgenommen werden. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unstrittig!) Denn wir wollen die duale Ausbildung hochhalten; sie ist ein Erfolgsgarant für unsere hohe Beschäftigung in Deutschland. Deswegen ist es richtig, dass wir auch hier eine Ausnahme machen. Es ist genauso richtig, dass wir eine Altersgrenze einführen. Beides hat miteinander zu tun. Wenn ich einen gesetzlichen Mindestlohn für einen Ungelernten einführe, dann wird es attraktiver sein, nicht in eine Ausbildung zu gehen. Deswegen ist die Altersgrenze von 18 Jahren bereits ein Erfolg, und wir müssen dann im Rahmen der Evaluation des Gesetzes sehen, wie hier die Wirkungen sind. Im Übrigen haben wir auch klargestellt, dass Ehrenamtlichkeit nichts mit Mindestlohn zu tun hat. Auch das gehört in eine Gesamtordnung mit hinein. Wir wissen auch, dass manche Branchen einen besonderen Anpassungsbedarf haben werden. In der Koalitionsvereinbarung wird bereits die Landwirtschaft genannt. Wir haben diesbezüglich zwei Regelungen vorgesehen: zum einen, dass wir Ausnahmen für Tarifverträge bis Ende 2016 machen, und zum anderen hat die Ministerin in ihrem Zuleitungsschreiben an dieses Hohe Haus auch deutlich gemacht, dass sie in bestimmten Branchen keine Verwerfungen will, insbesondere was die Saisonarbeit angeht. Die Ministerin hat versprochen, zu liefern. Wir sehen dem, was sie hier auf den Weg bringt, mit großer Sympathie entgegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beraten heute in erster Lesung das Mindestlohngesetz, das auch eine Veränderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und der Allgemeinverbindlichkeitserklärung mit sich bringt. Es handelt sich insgesamt um ein Tarifpaket, das die Tarifautonomie stärkt. Ich wünsche uns in der nächsten Zeit gute Beratungen und hoffe, dass letztlich ein Paket herauskommt, von dem wir tatsächlich in Gänze sagen können: Das bringt Deutschland weiter voran. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Mindestlohn kommt nun endlich. Er wird für mehr Ordnung am Arbeitsmarkt sorgen, er wird vor Niedriglöhnen schützen und damit für mehr Gerechtigkeit für mehr als 5 Millionen Menschen in Deutschland sorgen. Ich bin stolz darauf. Wir können froh sein, dass sich die vielen Jahre sozialdemokratischer, aber auch gewerkschaftlicher Anstrengung gelohnt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will ganz klar sagen – weil einige das in der -Debatte angesprochen haben –: Der Mindestlohn wird kein stumpfes Schwert. Wir werden die Einhaltung kontrollieren. Wir werden nicht dulden, dass es Schlupflöcher gibt, zum Beispiel durch Subunternehmen. Die 8,50 Euro sind gesetzlich verankert, und sie gelten flächendeckend, für alle Menschen in Ost und West, für alle Branchen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem gesetzlichen Mindestlohn betreten wir in Deutschland tatsächlich Neuland. Das machen wir, weil die Auswüchse im Niedriglohnsektor in den letzten Jahren die Politik zum Handeln zwingen. Ich sage durchaus selbstkritisch – nicht alle haben nämlich immer bei allem recht, wie Sie es von sich denken, Herr Ernst –: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat für viele Menschen neue Chancen mit sich gebracht. Aber es hätte sich am Anfang auch niemand vorstellen können, wie sehr Unternehmen sie ausnutzen, durch Dumpinglöhne und durch Aufstocker, und das auf Kosten der Beschäftigten und damit auf unser aller Kosten. Deshalb ist es notwendig und richtig, jetzt einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Mindestlohn ist kein Allheilmittel. Aber er ist notwendig, um eine Spaltung des Arbeitsmarktes und damit auch eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. In Europa betreten wir damit übrigens kein Neuland. 21 der 28 EU-Staaten haben schon einen Mindestlohn. Der Mindestlohn ist eine Untergrenze, eine Haltelinie nach unten. Noch besser sind immer gute Tariflöhne. Deshalb ist unser Gesetz auch ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Wir sorgen dafür, dass Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Wir schaffen eine Übergangsregelung von zwei Jahren, die dazu führt, dass mehr Branchen Tarifverträge abschließen. In den Bereichen, in denen bisher überhaupt keine Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herrschte – ich nenne nur die Fleischindustrie, die wir in diesem Haus erst vor kurzem einstimmig ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen haben –, werden endlich Tarifverträge geschlossen, die dann übrigens für die komplette Branche gelten, wenn für sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt, und nicht nur für einige Unternehmen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mindestlohn ist ein Stück mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber er ist auch ein Stück mehr Gerechtigkeit für Arbeitgeber, nämlich für die Unternehmer, die anständig zahlen und ehrlich wirtschaften. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]) Denn ein Arbeitgeber, dessen Geschäft nur funktioniert, wenn er so niedrige Löhne zahlt, dass der Staat sie aufstocken muss, hat kein gutes Geschäftsmodell. Das wollen wir nicht haben. Das belastet die Allgemeinheit, und das belastet auch die Steuerzahler. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Insofern wird es auch für die Arbeitgeber in Zukunft gerechter werden. Der Mindestlohn ermöglicht Wettbewerbsgerechtigkeit. Dabei geht es nicht darum, wer die niedrigsten Löhne zahlt und dann auf dieser Basis mit anderen konkurriert, sondern es wird um gute Arbeitsbedingungen, gute Löhne, gute Produkte und Dienstleistungen gehen. Das ist eine sinnvolle Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz insgesamt guter Arbeitsmarktdaten befinden sich weiterhin 1 Million Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit; ich will auf diese Gruppe eingehen, weil ich die Kritik, die Sie an der vorgesehenen Ausnahme geübt haben, durchaus nachvollziehen kann. Es ist schwierig, Menschen, von denen vielen eine Ausbildung fehlt, die vielfach persönliche, gesundheitliche oder – das nimmt immer mehr zu – psychische Probleme haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Deshalb sage ich ganz klar: Wir müssen und wollen mehr tun, damit Langzeitarbeitslose eine Perspektive bekommen, damit sie begleitet werden, und zwar länger als bisher, wenn sie einen Job bekommen, damit mehr aktive Leistungen statt passiver Leistungen finanziert werden. Wir werden mittel- und langfristig sicherlich auch einen sozialen Arbeitsmarkt brauchen, in dem diese Menschen besonders unterstützt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung eines Mindestlohnes ist für Langzeitarbeitslose, also für Menschen, die mehr als ein Jahr arbeitslos sind, eine befristete Ausnahme von sechs Monaten vorgesehen. Es ist sicher kein Geheimnis, dass meine Fraktion von dieser befristeten Ausnahme beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose nicht begeistert ist. Man hat sich innerhalb des Kabinetts aber darauf geeinigt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir festgehalten haben, dass es schon zum 1. Januar 2017 eine Evaluation geben wird, damit wir sehen, ob diese Regelung eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verhindert oder befördert hat. Wir werden dann auch sehen, ob es sinnvoll ist, sie beizubehalten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir aufpassen, dass wir nicht eine bestimmte Gruppe stigmatisieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diese Regelung sehr genau überprüfen. Im Zuge der Beratung des Gesetzentwurfes, die wir jetzt vor uns haben, sollten wir auch darauf achten, dass diese Ausnahme nicht ausgenutzt wird und dazu führt, dass zum Beispiel ein Arbeitgeber immer wieder Langzeitarbeitslose für sechs Monate einstellt. Ein solches „Hire und Fire“ werden wir nicht dulden. (Beifall bei der SPD) Es darf auch nicht passieren, dass ein Langzeitarbeitsloser immer nur für sechs Monate einen Job erhält. Auch dagegen kann man eine Regelung einbauen, sodass das zum Beispiel nur einmal innerhalb mehrerer Jahre möglich ist. Bei der Evaluation werden wir dann sehen, wie sich das auswirkt. Uns geht es um echte Teilhabeangebote für Langzeitarbeitslose. Deshalb ist es gut, dass wir die Gelder für Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit bzw. zur Vermittlung in Arbeit nach vielen Jahren des Sparens jetzt endlich wieder deutlich aufstocken. 350 Millionen Euro pro Jahr, also insgesamt 1,4 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode: Das ist eine richtige Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Wir werden den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Ost und West für alle Branchen und ohne jede Ausnahme einführen. Damit stärken wir auch die Tarifautonomie. Nach vielen Diskussionen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern beginnen heute die Beratungen im Bundestag, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir es noch vor der Sommerpause schaffen werden, den gesetzlichen Mindestlohn, beginnend mit 8,50 Euro, einzuführen. Wir sind stolz darauf, dass wir das in dieser Regierungskoalition schaffen und damit vielen Menschen wirklich helfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in der ersten Lesung den Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Das verfassungsrechtlich verankerte hohe Gut der Tarifautonomie hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Tarifvertragsparteien in allen Bereichen stets erfolgreich gemeinsame Regelungen und Lösungen erarbeitet haben. Dies war zum Teil mit harten Verhandlungen verbunden, die zu Kompromissen führten, in denen die Interessen beider Tarifvertragsparteien akzeptabel berücksichtigt worden sind – und das auch in schwierigen Zeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daher ist es nur konsequent, dass die Tarifautonomie durch das hier vorliegende Tarifpaket weiter gestärkt werden soll. Bei der näheren Betrachtung des Gesetzentwurfs gilt es jedoch, einige Aspekte nochmals zu bedenken. Ich komme zunächst zur Öffnung des Arbeitnehmer-Endsendegesetzes für alle Branchen: Diese ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie die Tarifautonomie stärkt. Ich bitte jedoch, auf die Bestimmungen zur Definition der einzelnen Branchen ein gewisses Augenmerk zu legen, um klare Trennungen zu regeln, damit es hier zu keinen Überschneidungen kommt. Zur Klarstellung sollte hier insbesondere auch eine gesetzliche Regelung erfolgen. Zur Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen nach dem Tarifvertragsgesetz sei Folgendes erwähnt: Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Tarifvertragsgesetz ist ein bewährtes Instrument, mit dem einheitliche Standards branchenbezogen geregelt werden können. Allerdings stellt das Erreichen der erforderlichen starren Quote in Höhe von 50 Prozent der in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer zunehmend ein Problem dar, wenn es darum geht, auf der Arbeitgeberseite die Voraussetzungen zu erfüllen. Diese starre Grenze wird nun aufgehoben. Durch den nunmehr erforderlichen gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien und das damit verbundene gemeinsame Handeln wird die Tarifautonomie gestärkt. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu prüfende öffentliche Interesse sollte allerdings im besonderen Maße vorliegen, um zu verhindern, dass bereits eine relative überwiegende Bedeutung eines Tarifvertrages zu dessen Allgemeinverbindlichkeit führen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Das besondere öffentliche Interesse sollte weiterhin als Korrektiv gegeben sein. Dies gilt auch für die AVE von Tarifverträgen über eine gemeinsame Einrichtung. Diese sollten im Übrigen auch nicht in Konkurrenz zu anderen Tarifverträgen stehen, an die ein Arbeitgeber bereits gebunden ist, damit die Tarifautonomie an dieser Stelle weiterhin gestärkt bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum Mindestlohngesetz sei Folgendes erwähnt: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen einen auskömmlichen Lohn erhalten. Hierfür hat sich die Union bereits in der Vergangenheit durch die Aufnahme von 14 Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingesetzt und damit jeweils bundesweit einheitliche Mindestlöhne eingerichtet, zuletzt für die Fleischindustrie. Damit konnten die Tarifpartnerschaft gestärkt und branchenbezogene Besonderheiten berücksichtigt werden. Letzteres war insbesondere deswegen wichtig, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Lohn erwirtschaftet werden muss. In einigen Bereichen besteht noch ein Lohnniveau von unter 8,50 Euro. Um in diesen die Lohnhöhe von 8,50 Euro zahlen zu können, ist es erforderlich, gewisse Übergangszeiten einzuräumen, damit sich das Marktniveau und damit das Erwirtschaften von Löhnen der Lohnsteigerung anpassen können. Eine Möglichkeit ist, alle bestehenden Tarifverträge für eine Übergangszeit weiter gelten zu lassen. Für den stark betroffenen Bereich der Saisonarbeit sollte ebenfalls eine Übergangsregelung geschaffen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber hinaus sollte auch berücksichtigt werden, dass die Lohngestaltung in Deutschland sehr vielschichtig ist: Bei den Zeitungszustellern wird ein Stücklohn gezahlt. Beim Taxigewerbe liegt die Besonderheit vor, dass Einnahmen bzw. Preise durch die Kommunen festgelegt werden. Hier sollten Lösungen gefunden werden. Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens sind noch weitere Bestandteile des Mindestlohngesetzes zu überdenken. Gewollt ist, einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einzuführen. Hierzu steht die Union. Nicht vereinbart ist allerdings, dass mit dem Mindestlohngesetz weitere allgemein geltende Regelungen hinsichtlich der Handhabung von Überstunden oder Dokumenta-tionspflichten eingeführt werden sollen. Dies führt zu mehr Bürokratie, was gerade nicht beabsichtigt ist. Beide Themenbereiche sollten genauso wie die Thematik der Verwirkung wie bisher im Regelungsbereich der Tarifvertragsparteien liegen. Ebenso wenig ist das Mindestlohngesetz dafür da, strengere Haftungsregelungen einzuführen. Die Unternehmerhaftung ist derart weitgehend angelegt, dass sie eine Haftungskette ermöglicht, die unverhältnismäßig ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Begrüßenswert ist, dass der gemeinsame Wunsch besteht, eine Altersgrenze für die Inanspruchnahme des Mindestlohns einzuführen, damit kein Anreiz geschaffen wird, nach dem Schulabschluss eher ohne Ausbildung ein Arbeitsverhältnis mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro einzugehen als eine Ausbildung zu absolvieren, in der man zunächst weniger verdient. Ob eine Altersgrenze von 18 Jahren an dieser Stelle allerdings richtig gewählt ist, muss infrage gestellt werden, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Schulabsolventen ihre Ausbildung im Alter von über 18 Jahren beginnen. Eine Anpassung erscheint mir hier geboten zu sein, um das erfolgreiche duale Ausbildungssystem in Deutschland zu stärken. Zur Arbeit der Mindestlohnkommission ist zu erwähnen, dass diese hinsichtlich der Entwicklung des Mindestlohns keine starre gesetzliche Vorgabe erhalten sollte. Eine Orientierung an dem Tariflohnindex ermöglicht keine uneingeschränkte Gesamtbetrachtung aller zur Neuberechnung des gesetzlichen Mindestlohns he-ranzuziehenden Umstände. Nach einer ersten Festlegung des Mindestlohns durch den Gesetzgeber soll es im Weiteren die gemeinsame Aufgabe der Tarifvertragsparteien sein, den Mindestlohn weiterzuentwickeln, und zwar unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen und sozialen Gesamtbetrachtung. Da der gesetzliche Mindestlohn eine Neugestaltung des bisherigen Lohnsystems darstellt, sollte eine Evaluierung möglichst zeitnah nach Inkrafttreten erfolgen. Auch wenn noch über Einzelheiten gesprochen werden muss, so sind wir uns einig, dass die Tarifautonomie gestärkt werden muss und der Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro kommt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist heute wirklich ein ganz besonderer Tag: Wir beraten heute einen guten und für mich und viele hier im Raum extrem wichtigen Gesetzentwurf. Das Gesetz wird das Leben von Millionen Menschen in diesem Land ganz konkret verbessern. Wir reden von Leistungsträgern, die mit ihrer Hände Arbeit mit dazu beitragen, dass unser Land so gut dasteht. Dieser Arbeit geben wir mit dem Gesetzentwurf die Würde zurück, die sie verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir reden über einen konsistenten und guten Gesetzentwurf – ich würde fast sagen: über einen schönen Gesetzentwurf –, der komplett ohne Branchenausnahmen auskommt und stattdessen – großes Kompliment an die Ministerin und ihr Haus! – Branchengespräche anbietet, um real existierende Herausforderungen, die es in manchen Branchen in der Tat gibt, außergesetzlich zu lösen. Den Unternehmern, die jetzt noch zweifeln, kann ich zurufen: Ihre Sorgen werden in Berlin von Andrea Nahles ernst genommen und in diesen Branchengesprächen angegangen. Ich finde, das ist exakt der richtige Weg, damit umzugehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir als Parlament setzen den konkreten Willen der Menschen in diesem Land um. 86 Prozent – das ist der überwiegende Teil der Menschen in Deutschland – wollen den gesetzlichen Mindestlohn, übrigens auch 82 Prozent der Unionsanhänger. Kluge Leute! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Grundsätzlich, ja! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber unabhängig vom Mindestlohn!) Nach einer Forsa-Umfrage wollen ihn sogar 57 Prozent der befragten deutschen Manager. Er scheint auch ökonomisch sehr viel Sinn zu machen. Es ist kein neues Thema, Herr Ernst. Damit haben Sie völlig recht. Gerade für die ostdeutsche Sozialdemokratie – das kann ich als einzige Ostdeutsche in der Debatte feststellen – ist heute ein ganz besonderer Tag. Ostdeutsche Sozialdemokraten wie Thomas Jurk oder Christoph Matschie haben bereits im August 2004 die Einführung von Mindestlöhnen gefordert, um Niedriglöhne, die es schon damals in Ostdeutschland massiv gab, einzudämmen und den Menschen ihre Würde zurückzugeben. (Beifall bei der SPD) Gerade die geringe Tarifbindung hat dafür gesorgt, dass schon damals viele Menschen nicht von ihrer Hände Arbeit leben konnten. Ein Mindestlohn ist keine elegante Lösung. Aber aufgrund der massiven Betroffenheit ist er die einzig mögliche Maßnahme, die wir treffen können. Wir als Sozialdemokraten haben die Forderung schon sehr früh aufgenommen, und nach langem Kampf und vielen Diskussionen können wir heute sagen: Der einheitliche gesetzliche Mindestlohn kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Mindestlohn ist wichtig für das gesamte Land, aber ganz besonders für den Osten der Republik. In Ostdeutschland haben 2012 fast 2 Millionen Menschen weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient. Das sind fast 30 Prozent der Beschäftigten. Gerade die extrem niedrigen Stundenlöhne sind in Ostdeutschland besonders verbreitet. 11,1 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten haben 2012 weniger als 6 Euro brutto pro Stunde verdient. Gerade diese Menschen brauchen den Mindestlohn dringend, und er kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Den Rest meiner Redezeit – sie ist für dieses Thema eindeutig zu kurz – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) möchte ich der Frage der Altersgrenze beim Mindestlohn widmen. Ich war immer ein bisschen verwundert darüber, wie über junge Leute geredet wurde, die angeblich keine Ausbildung antreten, wenn es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Ich habe deshalb an die Berufsschulen in meinem Wahlkreis in Leipzig geschrieben und die jungen Leute gebeten, mir zu schreiben, ob sie eine Ausbildung begonnen hätten, wenn es bereits einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gegeben hätte, oder ob sie dann lieber gejobbt hätten. Der übergroße Teil der Menschen hat geantwortet, natürlich hätten sie eine Ausbildung gemacht. Die jungen Menschen sollen das letzte Wort in der Rede haben. Vielleicht ändert das ein bisschen das Bild, das wir von der Jugend haben. Ich habe einen ganzen Stapel Zitate mitgebracht. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, das geht leider nicht, weil wir in unserer Debatte keine Mindestredezeiten, sondern Höchstredezeiten haben. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Daniela Kolbe (SPD): Aber Sie wollen als Präsident des Bundestages sicherlich auch die jungen Menschen zu Wort kommen lassen. Zum Beispiel hat jemand geschrieben: „800 Euro netto ohne Ausbildung mein Leben lang? – Nein danke.“ Jemand anders schreibt: „Ich übe meinen Job leidenschaftlich aus, habe mich bewusst für ebendiese Ausbildung entschieden.“ Oder: „Man braucht eine Ausbildung, um im Leben etwas erreichen zu können.“ Und schließlich: „Ausbildung ist Pflicht. Ohne geht es nicht.“ – In diesem Sinne! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist doch ein schöner Schluss. Albert Stegemann erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Albert Stegemann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute beraten wir in erster Lesung über den Entwurf eines Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Hierbei geht es nicht nur um den viel diskutierten Mindestlohn. Das Gesetz zielt vielmehr auf die Zukunft der Tariflandschaft in unserem Land. So wollen wir unter anderem das Arbeitnehmer-Entsendegesetz allen Branchen zugänglich machen und die Hürden senken, um einen Tarifvertrag allgemeinverbindlich erklären zu können. Schaut man sich die geplanten Maßnahmen an, dann stellt man fest, dass der Titel des Gesetzentwurfs teilweise für Verwirrung sorgt. Inwieweit Eingriffe seitens des Staates die Autonomie der Tarifvertragsparteien stärken sollen, erscheint auf Anhieb nicht jedem logisch. Um allerdings die tarifstärkende Wirkung verstehen zu können, sollte getreu dem Motto „Zukunft braucht Herkunft“ erst der Blick auf unsere arbeitsmarktpolitische Vergangenheit gehen, bevor man den Blick in die Zukunft richtet. Das Tarifvertragsgesetz gehört zu den Gründungsdokumenten der Bundesrepublik. Im Grundgesetz steht geschrieben, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften Tarifverträge eigenständig aushandeln können. Der Staat hält sich dabei heraus. Diese gelebte Sozialpartnerschaft hat sich jahrzehntelang bewährt. Sie war quasi der Motor des Wirtschaftswunders und hat damit einen wesentlichen Beitrag zu unserem heutigen Wohlstand geleistet. Die klar geregelte Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge ist jedoch in jüngerer Vergangenheit zurückgedrängt worden. Machen wir uns nichts vor: Fast jeder zweite Beschäftigte wird bald ohne Tarifvertrag arbeiten, sollte sich diese Entwicklung fortsetzen. Dafür sind verschiedene Einflüsse verantwortlich. Zum einen hat sich unser Industriestaat zu einer Indus-trie- und Dienstleistungsgesellschaft weiterentwickelt. Form und Organisation von Arbeit haben sich grundlegend verändert. Darüber hinaus steht unser Land in einem globalen Wettbewerb. Deutschland ist wirtschaftlich in vielen Bereichen Vorreiter. Damit unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben konnte, waren politische Weichenstellungen nötig. Diese sind jedoch nicht ohne Folgen für die Tariflandschaft geblieben. Letztlich haben auch die Tarifvertragsparteien selbst zu dieser Entwicklung beigetragen. Während Gewerkschaften seit Jahren Mitglieder verlieren, scheiden Arbeitgeber aus der Tarifbindung aus. Damit verlieren die Tarifvertragsparteien auch ihre Grundlage, um für alle Beschäftigten sprechen zu können. Für Politik und Gesellschaft bleibt die Erkenntnis: Das System der Tarifverträge ist löchriger geworden. Damit steigt die Gefahr, dass der einzelne Arbeitnehmer durch das Raster fällt. Der vorliegende Gesetzentwurf greift diese Herausforderung auf. Politik kann zwar viel bewirken, jedoch keine Tarifstrukturen stellen. Daher liegt es nahe, die bestehenden Strukturen zu stützen und zu stärken. Wir wollen tariffreie Zonen schließen und das bestehende System ergänzen. Mit der geplanten Allgemeinverbindlicherklärung und der Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes greifen wir lediglich dort ein, wo die Sozialpartner aus eigener Kraft nicht mehr zu angemessenen Lösungen kommen können. Aber für die Union ist auch klar: Wir sind klug beraten, in den kommenden Wochen Details genau zu prüfen. Wir dürfen hier in den zwei genannten Elementen nicht über das Ziel hinausschießen. (Beifall bei der CDU/CSU) Kommen wir nun zum medial viel beachteten Mindestlohngesetz. Der zentrale Anspruch der Union war es immer, dass jeder von seiner Hände Werk leben kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Indem wir einen Mindestlohn einführen, schützen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft vor Ausbeutung. Zugleich war immer eine zentrale Forderung der Union: Eine verbindliche Lohnuntergrenze ist nur in Absprache mit den Tarifvertragsparteien machbar. – Dazu stehen wir noch immer. Der Bundestag soll die Einführung beschließen. Die weitere Ausgestaltung legen wir in die Hände der Tarifvertragsparteien. Das heißt, die geplante Tarifkommission setzt damit künftig den Mindestlohn fest, und keine Politiker im Bundestag. Das ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Mindestlohn muss aber auch mit den wirtschaftlichen Realitäten vereinbar sein. Wir verschließen unsere Augen nicht vor möglichen Nebenwirkungen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Stegemann, darf Ihnen der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen? Albert Stegemann (CDU/CSU): Ich würde das lieber nach meiner Rede in einem bilateralen Gespräch klären. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann mache ich eben eine Kurzintervention!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gut. Albert Stegemann (CDU/CSU): Nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch deren Arbeitsplätze müssen geschützt werden. Ich bin mir sicher, dass die im Regierungsentwurf aufgeführte Generalunternehmerhaftung, die jährliche Abrechnung der Arbeitszeitkonten, die Ausschlussfristen oder Dokumentationspflichten, um nur einige offene Diskussionspunkte zu nennen, dem Ziel einer tariflichen Ausgewogenheit entgegenstehen. Für alle diese Punkte, die im Regierungsentwurf Erwähnung finden, gibt es keine Grundlage im Koalitionsvertrag. Weiterhin sind aber auch Dinge entscheidend, die sehr wohl im Koalitionsvertrag stehen, jedoch offensichtlich im Regierungsentwurf vergessen wurden. So finden zum Beispiel die explizit im Koalitionsvertrag erwähnten Saisonarbeiter im Regierungsentwurf noch keine Berücksichtigung. Hier muss an Lösungen gearbeitet werden, die auf die besonderen Lebensrealitäten und den außergewöhnlichen Arbeitsalltag der Saisonarbeit in geeigneter Weise eingehen. Ansonsten gibt es in diesem Bereich nur Verlierer, sowohl aufseiten der Arbeitgeber als auch aufseiten der Arbeitnehmer und schließlich auch aufseiten der Verbraucher. Dabei haben wir im letzten Herbst so viel Herzblut in die Ausarbeitung eines sehr guten Koalitionsvertrages gesteckt. Liebe Freunde von der SPD, wer seine Partei in einer Mitgliederbefragung über ebendiesen Koalitionsvertrag abstimmen lässt, sollte dann auch im Sinne seiner Mitglieder einmal nachschauen, was dort vereinbart wurde. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich jedenfalls werde gerne meinen Beitrag dazu leisten, dass es im parlamentarischen Verfahren zu einer weiteren Annäherung des Regierungsentwurfs an den Koalitionsvertrag kommt. Daneben bedarf es noch Nachbesserungen für die Situation der Praktikanten und bei der Altersgrenze mit 18 Jahren. In beiden Fällen ist es unstrittig, dass es hier eine Lösung geben muss. Nach dem derzeitigen Stand verfehlen die Regelungen aber ihr Ziel. Wir alle wissen, dass wir den Gesetzentwurf in der ersten Juliwoche in einer anderen Form verabschieden werden, als er heute vorliegt. Eines ist für uns als Koalitionsfraktionen aber klar: Wir wollen eine Tariflandschaft, die drohende soziale Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt genauso im Auge behält wie die Bedürfnisse einer im globalen Wettbewerb stehenden Wirtschaft. So war es auch in der Vergangenheit. Ich hoffe, dass wir heute den Grundstein legen, dass dieser Grundsatz auch in Zukunft gilt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Antje Lezius für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, über den wir heute verhandeln, ist, wie wir schon mehrmals gehört haben, eine Herzensangelegenheit für viele Bürger und Bürgerinnen in diesem Land. Von den drei Bestandteilen, die darin enthalten sind, ist das Mindestlohngesetz derjenige mit der größten Signalwirkung. Laut BMAS befürworten rund 80 Prozent der Bundesbürger einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Zwei Drittel der Deutschen haben uns als Große Koalition auch deswegen gewählt, weil wir versprochen haben, für einen tariflichen Mindestlohn zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer hat das versprochen? – Weitere Zurufe von der SPD) Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir jetzt noch im Detail beraten, löst damit nun ein weiteres Versprechen der Koalition ein. Er basiert vor allem auf dem Grundgedanken, dass jeder von seiner Arbeit leben können muss. Wenn wir uns fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Arbeit in Zukunft beschaffen sein soll, so gibt es zahlreiche Anforderungen und Wünsche, die so verschieden sind wie die Menschen selbst. Allerdings müssen wir uns Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf unsere Gesellschaft und unseren Arbeitsmarkt haben wird. Es wird in Zukunft weniger jüngere und mehr ältere Menschen geben; darauf müssen wir uns einstellen. Wir von der Union setzen dabei sowohl auf die Eigenverantwortung des Einzelnen als auch auf solidarische Unterstützung. Wir wollen nicht nur die Qualität der Arbeit durch moderne und gesunde Arbeitsplätze besser gestalten, wir wollen auch, dass die Menschen existenzsichernde Einkommen haben, von denen sie auch für das Alter vorsorgen können, sei es durch eigene Beiträge oder durch private Vorsorge. Bei der Lohnfestsetzung ist die Tarifautonomie seit Jahrzehnten ein bewährtes Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft, wovon wir auch heute schon mehrmals gehört haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wir sind stolz auf die Errungenschaften der Tarifvertragspartner. Dieser Gesetzentwurf ist aber auch eine Antwort auf die seit Jahren immer schwächer werdende Tarifbindung. Hier müssen wir entgegenwirken. In Zeiten des Fachkräftemangels bedeutet die Stärkung der Tarifbindung auch die Stärkung der Attraktivität des Standortes im Wettbewerb mit den Regionen. Uns ist wichtig, dass die Tarifvertragspartner auch weiterhin die Verantwortung für die Lohngestaltung in unserem Land übernehmen. Die Politik hat nicht die Aufgabe, Löhne festzusetzen. Wir sind gegen eine staatliche Bevormundung und für die bewährte Balance -zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen. Deswegen sehen wir die Tarifkommission in der Verantwortung, wenn es darum geht, die Höhe des Mindestlohns zu überprüfen und anzupassen. Die Sorge über die Auswirkungen des Mindestlohns zeigt sich auch in den zahlreichen Schreiben diverser Institutionen von Wirtschaftsverbänden bis hin zu Gewerkschaften, die wir alle seit einiger Zeit bekommen. Eines der wichtigsten Anliegen unserer Politik ist die Erhaltung der Arbeitsplätze für die Menschen in diesem Land. Insbesondere der Mittelstand mit 99,6 Prozent aller Unternehmen der Privatwirtschaft ist es, der Arbeitsplätze schafft und es Menschen ermöglicht, durch -Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Deswegen sollten wir auch die Einwände der Arbeitgeber nicht einfach ignorieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Höhe des Mindestlohns ist ein wichtiger Faktor. Hier müssen wir behutsam vorgehen. Die Kollegen von der Linken sowie Verdi träumen hier öffentlich von einem Mindestlohn von 10 Euro. Das wäre für den Arbeitsmarkt in manchen Regionen jedoch ein Albtraum. Grundsätzlich gönnen auch wir den Menschen einen möglichst hohen Stundenlohn. Das ist hier nicht die Frage, auch wenn die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition uns das jetzt nicht recht glauben. Auch wir sehen die Menschen, die für gute Arbeit zu wenig verdienen. Das Problem ist nur, dass dieses Einkommen zunächst von den Unternehmen erwirtschaftet werden muss. Wir finden es unehrlich, den Menschen etwas zu versprechen, was nicht eingehalten werden kann. Unternehmen können natürlich nur dann höhere Löhne zahlen, wenn sie sie erwirtschaften können. Am Beispiel einer Tankstelle wird dies deutlich: Pächter sind selbstständige Handelsvertreter und haben keinen Einfluss auf die Benzinpreisgestaltung. Sie können auch die Shopartikel nicht beliebig verteuern. Wenn sie den Preis trotzdem erhöhen, beobachten sie einen Effekt, den zum Beispiel auch die Friseure fürchten: Die Kunden bleiben aus. Bedauerlicherweise nämlich sind dieselben Kunden, die zu 80 Prozent den Mindestlohn befürworten, oft nicht bereit, den daraus resultierenden höheren Preis auch zu zahlen. Ich habe in meinem Wahlkreis zahlreiche Betriebe besucht, die mir dies bestätigt haben. Hier hat sich übrigens auch gezeigt, dass sich Arbeitgeber grundsätzlich im Klaren darüber sind, dass es ohne guten Lohn schwer ist, jemanden für offene Stellen zu gewinnen, gerade in ländlichen Regionen. Auf der anderen Seite müssen sich Löhne aber auch an der Qualifikation messen lassen. Wir sehen auch die reale Gefahr, dass durch den Mindestlohn unproduktive Arbeitsplätze wegfallen. Darunter würden gerade diejenigen leiden, die von der Erhöhung der Lohnuntergrenze eigentlich profitieren sollten. Diese Fehlentwicklungen wollen wir vermeiden, und wir werden deswegen einige Beschäftigungsgruppen ganz bewusst aus dem Mindestlohn herausnehmen, wie zum Beispiel Auszubildende, Praktikanten und Jugendliche unter einer bestimmten Altersgrenze ebenso wie Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten. In Rheinland-Pfalz, wo sich mein Wahlkreis befindet, berichten die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit von 11 400 jungen Menschen unter 25 Jahre ohne Arbeit und von 39 200 Langzeitarbeitslosen. Diese Zahlen sind mir deutlich zu hoch. Es ist vernünftig, wenn wir hier einen Anreiz schaffen, um diese Menschen in Arbeit zu bringen. Über die Frage der Lohnhöhe hinaus können wir aber sagen: Wir sind kein Volk von Mindestlöhnern. Wir sind ein Volk von fleißigen, kreativen und innovativen Arbeitnehmern und Unternehmern, und wir haben mit starkem Zusammenhalt die Krise gemeistert. Ich wünsche mir für die Zukunft, sehr geehrte Damen und Herren, den gleichen Zusammenhalt, indem die Bevölkerung, die sich in großer Mehrheit für einen Mindestlohn ausspricht, diesen am Ende auch mitträgt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Dass das Präsidium, Frau Kollegin Kolbe, Ihre Einschätzung teilt, dass dieses Thema sicher noch eine längere Beratungszeit verdient hätte, kommt schon darin zum Ausdruck, dass wir jetzt nachweislich deutlich länger debattiert haben, als wir zu Beginn dieser Debatte gemeinsam beschlossen haben. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/1558 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu alternative Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 a und 5 b: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/1312 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht Drucksache 18/1092 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Auch für diese Aussprache sollen nach einer interfraktionellen Vereinbarung 96 Minuten vorgesehen werden. – Das ist offenkundig allgemeine Auffassung. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die Bundesregierung das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings. (Beifall des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU] – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja richtige Begeisterung gerade!) Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Warten Sie erst einmal ab! – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schuster! Ich will zu Beginn meiner Ausführungen nicht versäumen, den Herrn Bundesinnenminister zu entschuldigen. Er hätte die Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts gern selber gehalten. Durch die Teilnahme am Justiz-und-Inneres-Rat der Europäischen Union ist er allerdings heute in Luxemburg gebunden. Ich bitte dafür um Verständnis, will aber ergänzen: So gern der Minister die Rede selber gehalten hätte, so gern vertrete ich ihn heute hier. Meine Damen und Herren, Deutschland war lange Zeit ein Land mit geringer Zuwanderung aus anderen Staaten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch sein gesamtes Leben in der Region, in der Stadt oder gar in dem Dorf verbrachte, in dem er geboren wurde, war für viele Generationen vor uns jedenfalls dann sehr groß, wenn sie nicht etwa Opfer von Krieg und Vertreibung wurden. Heute leben wir in einer Gesellschaft, die mobiler ist denn je. Die Menschen wechseln ihren Lebensmittelpunkt über regionale und nationale Grenzen hinweg: zur Ausbildung, um eine Familie zu gründen, aus wirtschaftlicher Not oder der Karriere wegen. In Deutschland wohnen über 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das entspricht fast einem Fünftel der deutschen Wohnbevölkerung. Damit einher geht die Frage: Was ist Heimat? Und ich meine hier „Heimat“ nicht in einem nostalgischen Bedeutungssinn. Das Wort „Heimat“ war bis zu seiner romantischen Verklärung ein eher nüchterner, im Grunde juristischer Begriff zur Bezeichnung eines Aufenthaltsstatus, des Heimatrechts: Man hatte besondere Rechte – etwa das Recht auf Aufenthalt und Armenpflege – und Pflichten in der Gemeinde, zu der man gehörte. Daraus hat sich dann die Staatsangehörigkeit moderner Prägung historisch entwickelt. Beide Ansätze des Staatsangehörigkeitsrechts, das ius sanguinis und das ius soli, hatten dasselbe Ziel: festzulegen, wer zu einer Gemeinde, wer zu einem bestimmten Staat gehört, wobei man annahm, dass er oder sie dort verwurzelt sei und in aller Regel einen dauerhaften Bezugs- oder Lebensmittelpunkt haben würde. Da die individuelle Mobilität geringer war als heute, liefen Abstammung und Geburtsort eben häufig auf dasselbe hinaus. Seither hat die grenzüberschreitende Mobilität die Verhältnisse verkompliziert, nicht nur was die nostalgische Seite des Begriffs „Heimat“ betrifft – wenn sich der Einzelne heute fragen mag, wo er eigentlich zu Hause ist –, sondern auch was seine einstmals juristische Bedeutung betrifft: das Heimatrecht als eine besondere Rechtsstellung zu einem bestimmten Gemeinwesen. Die mitunter heftigen Diskussionen um die doppelte Staatsangehörigkeit spiegeln genau das wider. Die Lebensgewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert, in Deutschland wie überall. Dem trägt die Bundesregierung Rechnung, indem sie für die Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht eine neue Regelung vorschlägt. Das haben wir so auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD beschlossen, und diesen Auftrag setzen wir mit dem Gesetzentwurf um. Der Entwurf findet einen Ausgleich zwischen den Interessen junger Deutscher mit mehrfacher Staatsangehörigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem staatlichen Interesse, die Staatsangehörigkeit als eine besondere Loyalitäts- und Verantwortungsbeziehung zwischen Gemeinwesen und Bürger zu erhalten. Der Gesetzentwurf geht von der Einführung der sogenannten Ius-soli-Regel im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht vor über einem Jahrzehnt aus: Hat ein Elternteil seit mindestens acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so erwirbt das in unserem Land geborene Kind die deutsche Staatsangehörigkeit eben unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern. Nach bisheriger Rechtslage mussten sich diese Kinder aber spätestens mit Vollendung des 23. Lebensjahres zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigkeit der Eltern entscheiden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das verzapft?) Die jungen Erwachsenen, die eine solche Entscheidung bisher treffen mussten, haben sich ganz überwiegend für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Ich halte das für einen großen Vertrauensbeweis für unseren Staat und für die Bestätigung einer erfolgreichen Integrationspolitik. Ich meine: Als Politiker, die wir für unser Gemeinwesen Verantwortung tragen, können wir darauf stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dennoch dürfte diese Entscheidung nicht allen Betroffenen leichtgefallen sein. Genau aus diesem Grund sieht unser Gesetzentwurf eine deutliche Einschränkung der sogenannten Optionspflicht vor: Wer in Deutschland geboren ist und hier auch aufwächst, braucht sich nicht mehr zwischen zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Nur für den, der als Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren wird, dann aber nicht hier aufwächst, gilt weiterhin die Optionspflicht. Nach der Neuregelung muss der Optionshinweis bis zum 22. Lebensjahr zugestellt werden. Ab Zustellung hat der Betroffene dann zwei Jahre Zeit, zu optieren. Das heißt, spätestens vor dem 24. Geburtstag muss er dann diese Entscheidung treffen. Diese Lösung folgt einer plausiblen Abwägung: Diejenigen, die hier zur Welt kommen und hier aufwachsen, bauen hier eine prägende Bindung auf. Sie sind bei uns verwurzelt. Deutschland ist ihre Heimat – im ursprünglichen Bedeutungssinn und hoffentlich auch dem Gefühl nach. (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir gestehen ihnen aber die Mehrstaatigkeit als Teil ihrer persönlichen Biografie zu. Wir wollen ihnen die Entscheidung zwischen ihren Staatsangehörigkeiten ersparen, und zwar nicht, um ihre Integration zu fördern, sondern weil wir gerade davon ausgehen, dass sie bei uns bereits gut integriert sind. Bei denjenigen, die durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, die dann aber nicht hier aufgewachsen sind, überwiegt allerdings weiterhin das Interesse, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Denn mehrfache Staatsangehörigkeit birgt auch Komplikationen und Konflikte. Diese wiegen im Regelfall schwerer als ein gewisser, aber eben sehr überschaubarer Verwaltungsaufwand, der mit der Feststellung verbunden ist, ob jemand in Deutschland aufgewachsen ist oder nicht. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ich möchte gern mal Argumente dazu hören!) Diese Komplikationen haben wir sogar jüngst bei Mehrstaatigkeit innerhalb der EU mit Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament erlebt. Auch wenn die Unionsbürgerschaft innerhalb der EU gleichsam das Dach für die 28 nationalen Staatsangehörigkeiten bildet und die Hinnahme der Mehrstaatigkeit innerhalb der Europäischen Union schon von daher nicht weiter begründungsbedürftig ist, so entstehen selbst in dieser Konstellation wegen der Mehrstaatigkeit offenbar besondere Probleme, die wir in diesem konkreten Fall – vorzugsweise durch ein einheitliches europäisches Wahlrecht – einer Lösung zuführen können. (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist aber nur ein Beispiel dafür, dass Mehrstaatigkeit rechtlich mit einem Verlust an Eindeutigkeit einhergeht. Deswegen ist es richtig, Mehrstaatigkeit im Regelfall zu vermeiden, wo es keine echte inhaltliche Rechtfertigung dafür gibt. Und deswegen dürfen wir gerade von denen, die nicht schon mit ihrer Biografie beweisen, dass sie ein plausibles Interesse daran haben, die deutsche Staatsangehörigkeit auf Dauer zu erhalten, erwarten, dass sie dieses Interesse dokumentieren, indem sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern dann aufgeben. Mit meinem Verständnis von Staatsangehörigkeit wäre es nicht vereinbar, wenn wir auf die Optionspflicht auch bei den Ius-soli-Deutschen verzichten würden, die seit ihrer Geburt kaum etwas mit Deutschland zu tun hatten, hier vielleicht nur wenige Jahre oder Monate gelebt haben. Wer bis zu seinem 21. Geburtstag keine signifikante Beziehung zu Deutschland aufgebaut hat, kann nicht verlangen, lebenslang zwei Staatsangehörigkeiten zu behalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Volker Beck? Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich freue mich immer über die Verlängerung meiner Redezeit und ganz besonders, wenn das durch Herrn Volker Beck geschieht. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Staatssekretär, Sie haben gerade davon gesprochen, dass man sich zwischen den beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden soll, wenn keine intensivere Beziehung zu Deutschland besteht. Haben Sie dabei bedacht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit auch zur EU-Freizügigkeit berechtigt und dass es sein kann, dass jemand seine EU-Bürgerschaft und damit auch sein Aufenthaltsrecht innerhalb der EU aus dem deutschen Pass ableitet? Ihre Regelung hätte zur Folge, dass jemand, der sich mit seinen Eltern in Griechenland, in Frankreich, in Portugal aufgehalten hat und deshalb nicht die Zeiten erreicht, die in Ihrem Gesetz stehen, den deutschen Pass verlieren würde. In einigen Mitgliedstaaten würde sich dann unter Umständen die Frage stellen, ob er als Drittstaatler überhaupt innerhalb der Europäischen Union noch aufenthaltsberechtigt ist. Halten Sie diese Konsequenz nicht auch wie ich für unverhältnismäßig? Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Selbstverständlich haben wir diese europarechtlichen Implikationen geprüft. Aus gutem Grund ist das Staatsbürgerschaftsrecht primär nationales Recht. Dabei soll es bleiben. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, dies zu einem rein europäischen Recht zu machen. Das ist der erste Teil meiner Antwort auf Ihre Frage. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Frage nicht verstanden!) Zweitens. Natürlich hat es derjenige in der Hand, diese Konsequenz auszuschließen, indem er sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet. Er muss diese Konsequenz also gar nicht tragen. Nur wenige Hundert haben sich anders entschieden. Das habe ich eben ausgeführt. Drittens. Ich komme gleich noch dazu, was das Kriterium „aufgewachsen“ heißt und welche Bedingungen es dafür gibt, zwei Staatsbürgerschaften zu erhalten. Wir haben beispielsweise auch eine Härtefallklausel vorgesehen. Es gibt also drei Antworten auf Ihre Frage. Jede für sich wäre eine überzeugende Antwort. Wir haben das Problem somit dreifach gelöst, lieber Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU) Man kann – hier sind wir beim Thema der konkreten Ausgestaltung – darüber streiten, was die Formulierung in unserem Koalitionsvertrag „in Deutschland … aufgewachsen“ konkret heißt. Darüber haben wir in den letzten Monaten diskutiert. Der Gesetzentwurf zieht aus meiner Sicht eine sehr überzeugende Linie. In Deutschland aufgewachsen ist danach jeder, der hier eine Schul- oder Berufsausbildung abgeschlossen hat. Wer hier keinen Abschluss gemacht hat, der muss bis zu seinem 21. Geburtstag über acht Jahre hier gelebt haben oder sechs Jahre eine deutsche Schule besucht haben. Das sind einfache Regeln. Gerade der Nachweis des Schulabschlusses wird in den meisten Fällen die einfachste Möglichkeit sein. Selbst derjenige, der sein Zeugnis verloren hat, wird noch wissen, wo seine Schule war, und sich ein neues besorgen können. Wer hierin Bürokratie sieht, hat die Regelung nicht richtig verstanden. Damit sind in Zukunft voraussichtlich über 90 Prozent der Ius-soli-Deutschen von der Optionspflicht befreit. Die neue Regelung lässt sich in der Praxis einfach umsetzen. Diese Voraussetzungen sind in aller Regel einfach nachweisbar. Oft genügen der Blick ins Melderegister oder die Vorlage eines Schul- oder Berufsschulabschlusszeugnisses. Ein einfacher Weg, sich in diesen Fällen die doppelte Staatsangehörigkeit dauerhaft zu erhalten. Meine Damen und Herren, die Staatsangehörigkeit ist – da sind wir uns hoffentlich in weiten Teilen des Hauses einig – mehr als ein nützliches Papier in Form eines Passes, das mir die Einreise erleichtert oder ein Aufenthaltsrecht garantiert. Sie ist ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und Bürger, geprägt durch Verantwortung und Loyalität. Dem muss jede Neuregelung der Optionspflicht Rechnung tragen. Wer meint, man könne Mehrstaatigkeit generell und voraussetzungslos hinnehmen, ignoriert das Wesen und die Bedeutung der Staatsangehörigkeit. Und wer darauf setzt, dass notfalls solche Veränderungen in dem eben dargestellten Sinn auch mit knappen politischen Mehrheiten durchzusetzen wären, versündigt sich an einem Kerngedanken der Demokratie. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist aufgrund seiner besonderen Bedeutung für unser Gemeinwesen auf einen breiten Konsens angewiesen. Über die Staatsangehörigkeit definiert unsere Verfassung, wer zum Staatsvolk gehört, wer der Souverän ist. Neben anderen Rechtswirkungen vermittelt die Staatsangehörigkeit das Recht, über unser Gemeinwesen mitzubestimmen. Aus diesem Grunde ist es nicht klug, zu versuchen, parteipolitische Maximalpositionen durchzusetzen. Keine Parlamentsmehrheit sollte je in den Verdacht geraten, das Volk, das sie demokratisch trägt, auf streitigem Wege neu zusammenzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten mal den Textbaustein ändern, er ist aus einer anderen Zeit!) Mit der Neuregelung der Optionspflicht haben wir eine gute Chance zu einem breiten Konsens. Wenn wir diesen Konsens auch gemeinsam aktiv vertreten, ist er eine klare Botschaft an die jungen Menschen, deren Eltern oder Großeltern einst nach Deutschland kamen, dass sie voll und ganz zu Deutschland gehören. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächste Rednerin ist Sevim Da?delen von der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist. Dies erklärte der Vorsitzende der SPD und jetzige Vizekanzler Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag – nach den Bundestagswahlen, vor dem Koalitionsvertrag – am 2. November 2013. Im Vorfeld, im Bundestagswahlkampf, ging es vor allen Dingen auch darum, Wählerinnen- und Wählerstimmen unter Migrantinnen und Migranten zu bekommen. So suchte man die Nähe zu Migrantenselbstorganisationen und warb um die Unterstützung bei der Wahl. Das konkrete Versprechen lautete: Man wird sich für die Rechte der Migrantinnen und Migranten, besonders die der Türkinnen und Türken, einsetzen. Was steht jetzt im Koalitionsvertrag? Darin steht nichts von doppelter Staatsangehörigkeit und nichts von der Abschaffung der Optionspflicht. Darin steht: Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen. Wie befürchtet – von unserer Seite, aber auch von vielen Migrantinnen und Migranten –, entpuppte sich der Kompromiss im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD als faul; denn was die Formulierung „in Deutschland geboren und aufgewachsen“ bedeutet, machte im Februar dieses Jahres Bundesinnenminister Thomas de Maizière deutlich: Entfallen solle die Optionspflicht bei denjenigen, die bis zu ihrem 23. Lebensjahr zwölf Jahre hier gelebt haben, davon mindestens vier Jahre zwischen ihrem 10. und 16. Lebensjahr. Nachgewiesen werden könne dies anhand von Meldebescheinigungen, alternativ reiche auch ein deutscher Schulabschluss. Bereits seit Jahren wird der bürokratische Aufwand – man nennt es auch Bürokratiemonster – bei den Op-tionspflichtigen in den Einbürgerungsbehörden kritisiert. Gerade dieser enorme Bürokratieaufwand hat drei von der SPD mitregierte Länder eine Initiative in den Bundesrat einbringen lassen, mit der die generelle Abschaffung der Optionspflicht gefordert wird. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Ich sage an dieser Stelle: Wir als Linke loben diese Bundesratsinitiative ausdrücklich. (Beifall bei der LINKEN) Aber leider, leider wurde die mutige Tat dieser drei Bundesländer sofort von der SPD-Generalsekretärin, die den Unionsparteien Treue schwor, einkassiert. Noch im April, also vor zwei Monaten, hatten viele Organisationen und Verbände den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel in einem offenen Brief aufgefordert, gegenüber den Unionsparteien an der vollständigen Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht festzuhalten und Wort zu halten. Doch auch dieser Appell blieb leider ohne Erfolg. So ist der vorliegende Gesetzentwurf kümmerlich geblieben; denn herausgekommen ist ein kleingeistiger, engstirniger, ja ein fauler Kompromiss zwischen den Koalitionsfraktionen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber ein Fortschritt!) In Deutschland aufgewachsen und von der Optionspflicht befreit ist nach dem vorliegenden Gesetzentwurf, wer bei Vollendung seines 21. Lebensjahres mindestens acht Jahre in Deutschland lebt, sechs Jahre lang eine Schule in Deutschland besucht hat, einen deutschen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Falls kein Antrag der betroffenen Person vorliegt, prüft die Behörde nach dem 21. Geburtstag die Voraussetzungen von Amts wegen. Die Mehrheit wird in Zukunft überhaupt nicht mehr in Kontakt zu den Behörden treten müssen, so heißt es im vorliegenden Gesetzentwurf. Über 90 Prozent der Betroffenen werden die Nachweise über das Aufwachsen in Deutschland erbringen können. Einen Wohnsitz im Ausland haben derzeit laut Melderegister lediglich 3 Prozent, so das Bundesinnenministerium. Angesichts der wirklich kleinen Zahl von überwiegend im Ausland aufgewachsenen Kindern ist es unserer Meinung nach nicht zu rechtfertigen, diesen Riesenaufwand mit Zehntausenden Optionsverfahren pro Jahrgang weiter zu betreiben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist wirklich absurd und nur mit ideologischer Borniertheit zu erklären, dass an diesen Zehntausenden Optionsverfahren pro Jahr festgehalten werden soll – ab 2018 etwa 40 000 im Jahr –, nur damit am Ende einigen wenigen Menschen der Doppelpass vorenthalten werden kann. (Beifall bei der LINKEN) So bleibt es bei diesem Wahnsinn der Optionspflicht in Deutschland, einer weltweit wirklich einmaligen Regelung. Die völlig gleichberechtigte Zugehörigkeit, also die deutsche Staatsbürgerschaft, hier geborener Kinder wird in einer oft ohnehin schwierigen Lebensphase – das müsste hier eigentlich jeder wissen – infrage gestellt. Künftig wird es – so das Gesetz – Deutsche nach Absatz 1 des § 29 Staatsangehörigkeitsgesetz geben, das bedeutet nichts anderes als Deutsche zweiter Klasse. Meine Damen und Herren, insbesondere türkische Migrantinnen und Migranten fühlen sich erneut vor den Kopf gestoßen; denn Kinder mit einer deutsch-EU- oder deutsch-schweizerischen Doppelstaatsangehörigkeit sollen künftig generell nicht mehr optieren müssen. Man sieht: Was für sehr viele gilt, gilt nicht für türkische -Migrantinnen und Migranten. Sie müssen nachweisen, dass sie wirkliche, tatsächliche Deutsche sind, wenn sie ihren Doppelpass behalten wollen. Dieser diskriminierende Effekt ist etwas, was wir abschaffen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Diese Diskriminierungen müssen aus Sicht der Linken ein Ende haben. Deshalb fordern wir Sie auf: Öffnen Sie die Fenster, schaffen Sie endlich die Optionspflicht bedingungslos ab, und akzeptieren Sie auch endlich etwas, was mittlerweile zum Normalzustand in der Europäischen Union gehört, nämlich die doppelte Staatsbürgerschaft! (Beifall bei der LINKEN) Wir als Linke wollen es Ihnen wirklich leichtmachen. Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Wortlaut eins zu eins der von mir angesprochenen Bundesratsinitiative der drei SPD-mitregierten Bundesländer entspricht. Glauben Sie mir wirklich: Es geht nicht darum, Sie in irgendeiner Art und Weise im Bundestag vorzuführen. Es geht lediglich darum, dass diese Initiative endlich diese Diskriminierungen beseitigt. Es gibt eine Mehrheit im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat für die bedingungslose Abschaffung dieser wirklich unsäglichen Optionspflicht. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Schritt gehen, und lassen Sie uns sagen: Diese wahnsinnige, weltweit einmalige Regelung gibt es in Deutschland nicht mehr, wir sind für ein fortschrittliches Staatsbürgerschaftsrecht, wir sind für die Abschaffung der Optionspflicht. Lassen Sie uns gemeinsam dieses Zeichen setzen für Integration, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gegen Diskriminierungen und gegen neue Bürokratiemonster, die hiermit heute auch geschaffen werden! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung erteile ich als nächster Rednerin der Staatsministerin Aydan Özo?uz das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt auf den Spagat!) Aydan Özo?uz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsident Joachim Gauck hat am 22. Mai 2014 eine bemerkenswerte Rede bei einer Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue gehalten. Ich habe mich sehr über seine Worte gefreut; denn sie haben auf den Punkt gebracht, dass wir unverkrampft mit der Vielfalt in unserem Land umgehen sollten, auch im Staatsangehörigkeitsrecht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich zitiere ihn: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist Ausdruck der Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von Menschen. … Unser Land lernt gerade, dass Menschen sich mit verschiedenen Ländern verbunden und trotzdem in diesem, in unserem Land zu Hause fühlen können. Es war überdeutlich für alle, die dort gewesen sind: Bundespräsident Gauck hat dabei allen Anwesenden aus der Seele gesprochen. Ein schönes und richtiges Signal aus dem Schloss Bellevue, wie ich finde. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe CDU, das ist auch euer Präsident!) In Deutschland sprechen wir in diesen Tagen sehr viel über Einwanderung. Wir werden sogar gelobt, zum Beispiel von der OECD, dass Deutschland nun ein sehr beliebtes Einwanderungsland geworden sei, auch für Menschen, die es sich aussuchen können, wohin sie gehen wollen. Das war lange Zeit nicht so, wie wir wissen. Leider unterscheiden wir aber gerade in solchen Zeiten viel zu wenig, wer bei uns eigentlich alles zu dieser Kategorie Migrant zählt und was uns dabei von der Zählweise anderer Länder unterscheidet. Denn auch wenn wir in diesen Tagen sagen, dass unsere Quote zeigt, wir seien das beliebteste Land gleich nach den USA, muss doch hinzugefügt werden, dass in dieser Quote auch viele Kriegsflüchtlinge enthalten sind, die es sich nicht aussuchen können, wohin sie denn nun fliehen. Und: Die USA zählen keine jungen Menschen, die dort geboren werden, zu Migranten. Die Second Generation, wie sie dort genannt wird, gilt als einheimisch-amerikanisch – ohne Wenn und Aber. Bei uns sind solche Menschen zum Teil Deutsche, aber mit Migrationshintergrund. Dass sie überhaupt zum Teil Deutsche sein können, verdanken wir der Einführung des Geburtsortprinzips, also des Ius soli, das im Jahr 1999 durch die rot-grüne Bundesregierung eingeführt wurde. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Damals war die große Neuerung: Wer unter bestimmten Voraussetzungen – es wurde ja gesagt, welche Voraussetzungen das sind – als Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren wurde, sollte neben seiner Ursprungsidentität eben auch deutscher Staatsbürger sein können. Das war bis dahin nicht der Fall. Ich finde, man muss schon noch daran erinnern: Es galt das Staatsangehörigkeitsrecht von 1913. Nach diesem Gesetz aus der Kaiserzeit konnte nur derjenige Deutscher sein, der Kind eines Deutschen war, nicht einmal einer Deutschen. Auch das möchte ich betonen: Deutsche Frauen zählten an dieser Stelle nicht. Eine deutsche Frau konnte ein Kind in Deutschland bekommen, das als Ausländer galt, nämlich wenn der Vater nicht deutsch war. 1974 hat man immerhin erkannt, dass auch deutsche Frauen das Recht haben sollten, die Staatsangehörigkeit zu vererben. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Bundestagsabgeordnete von heute wie Cemile Giousouf, Sevim Da?delen – die gerade gesprochen hat –, Cem Özdemir oder Mahmut Özdemir allesamt in Deutschland geboren wurden, als – vielleicht war das bei Mahmut Özdemir schon anders; er ist ja der Jüngste von allen – kaum jemand daran dachte, dass die Gesellschaft der Nachkriegszeit sich erheblich verändern würde. Heute machen wir nun nach 1999 den nächsten großen Schritt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na! Das ist allenfalls ein Katzensprung!) Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll nicht bis zur Volljährigkeit Deutscher unter Vorbehalt sein und dann womöglich zum Ausländer in Deutschland erklärt werden – wie es ja bereits einigen ergangen ist. Es wird zukünftig nicht vom Herkunftsland abhängen, ob bei in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern die Mehrstaatigkeit hingenommen wird. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Das, meine Damen und Herren, ist ein riesengroßer Schritt, den wir machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hunderttausende Jugendliche werden damit endlich von der belastenden Entscheidung befreit, sich mit dem Erreichen des Erwachsenenalters entweder gegen ihre familiäre Herkunft oder gegen Deutschland entscheiden zu müssen. Es ist einfach lebensfremd, dass wir junge Menschen in unserem Land vor diese Wahl stellen. (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Das haben wir auch immer wieder betont. Ich weiß aus unzähligen Gesprächen der letzten Jahre – erst vor kurzem habe ich optionspflichtige Jugendliche ins Bundeskanzleramt eingeladen, um direkt von ihnen noch einmal Meinungen und Gefühle zu hören; der Tenor war eindeutig –: Die Jugendlichen verstehen nicht, warum wir ihnen diese Entscheidung abnötigen; sie empfinden es anders; ihre Realität und Lebenswirklichkeit ist, in mehreren Kulturen zu Hause zu sein. Das bekommen sie übrigens von der Gesellschaft auch immer wieder zu spüren: dass sie Deutsche sind, aber eben auch etwas anderes. Frau Da?delen, diese jungen Menschen haben das, was wir machen, als einen riesigen Schritt empfunden; die haben nicht das gesagt, was Sie hier gerade kundtaten; die freuen sich, dass wir endlich noch einen Schritt weitergehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer weiß, was Sie denen erzählt haben!) Die Zahlen brauche ich jetzt nicht weiter zu untermauern – es wurde schon gesagt –: 15,3 Millionen Menschen – also jeder Fünfte in unserem Land – hat familiär eine Zuwanderungsgeschichte. Wichtig ist, dass mehr als die Hälfte, 55 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland einst geboren wurden, minderjährig sind und ein Teil dieser jungen Menschen – das wurde schon richtig gesagt – ohnehin beide Pässe behalten darf. Für die anderen ist unser Gesetzentwurf wichtig; denn wir zeigen, um es noch einmal mit den Worten von Bundespräsident Gauck zu sagen, dass wir lernen, „vielschichtige Identitäten“ zu akzeptieren – genau das ist es, was wir heute tun – und „niemanden zu einem lebensfremden Purismus“ zu zwingen. (Beifall bei der SPD) In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns – das möchte ich natürlich nicht unerwähnt lassen – nach harten und langen Verhandlungen – alle wissen: das war wohl morgens um fünf oder halb sechs – auf die Formulierung geeinigt: Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fordern Sie jetzt mildernde Umstände für Übernächtigte? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Entschuldigung!) – Das habe ich auch nicht gesagt. Die Union hatte bekanntlich auf dem Kriterium des Aufwachsens in Deutschland bestanden. Da mussten wir uns erst einmal einige Zeit überlegen, wie das nun messbar sein soll, zumal – das möchte ich dann schon erwähnen – keine Zahlen vorlagen, die belegt hätten, dass reihenweise Kinder nicht in Deutschland aufwachsen würden. Auch das Bundesinnenministerium konnte solche Zahlen nicht vorlegen. Von diesem Pult aus wurde immer wieder erklärt, das sei eine große Gefahr für unser Land. Ich bitte, wenn man solche Aussagen macht, sie auch zu belegen. Doch genau das war nicht möglich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Gesetzentwurf setzen wir nun das um, wo-rauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Ich bin überzeugt, dass das Kriterium des Aufwachsens eine gute Lösung ist, auch wenn wir uns diesbezüglich vielleicht nicht einig sind. Bis zum 21. Lebensjahr muss der Jugendliche acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre die Schule besucht haben oder einen deutschen Schul- oder Berufsbildungsabschluss besitzen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, dass diese Koalition in Europa nicht angekommen ist!) Das wird auf über 95 Prozent zutreffen. Hier wurde von 90 Prozent gesprochen. Ich denke, es werden weit über 95 Prozent sein. Es wäre interessant, zu wissen, wie viele nicht betroffen sein werden. Ich finde, dass Hunderttausende Jugendliche ab dem Jahr 2018 nicht in die Ämter laufen müssen, wie es ursprünglich gedacht war, sondern nur im Bedarfsfall nachgefragt wird, ist ein ganz großer Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf tun. Damit sind die Kinder faktisch mit acht Jahren von der Optionspflicht befreit, und mit acht Jahren diskutiert man in der Regel noch nicht darüber. (Beifall bei der SPD) Ich möchte unterstreichen, dass es mir wichtig ist, dass der Gesetzentwurf eine Härtefallklausel enthält. Die Juristen wissen es wahrscheinlich am besten: Wir können gar nicht so kreativ denken, wie manche Lebenswege verlaufen. Ich kann mir viele Beispiele vorstellen – hier wurden einige bereits genannt –, die deutlich machen, dass es wichtig ist, auf einzelne Fälle eingehen zu können (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und woher erfährt der kundige Bürger, dass er Einzelfall ist?) – Sie kommen doch gleich dran, Herr Beck –, wo der Bezug zu Deutschland vielleicht sehr deutlich nachgewiesen werden kann, aber das Gesetz trotzdem nicht greift. Mein Kollege Rüdiger Veit hat in der vergangenen Debatte darauf hingewiesen, dass im hessischen Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün Folgendes zu lesen ist – Zitat –: Auf bundespolitischer Ebene werden wir die Aufhebung der Optionspflicht … für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern unterstützen. Es freut mich ausdrücklich, Herr Beck, dass Sie das tun wollen. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhebung! – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielleicht haben Sie ja noch eine Idee dazu. Ich möchte noch auf das eingehen, was Frau Da?delen hier erwähnt hat. Es zeugt nicht von riesengroßer Kreativität, wenn man Anträge von einer Initiative dreier rot-grüner Bundesländer wortgleich abschreibt und hier einbringt. Ich glaube, das könnte man auch anders machen. Wir sind uns unter den Kollegen einig, dass auch Sie das machen dürfen. (Beifall bei der SPD) Wir sehen: Wir sollten den Gesetzentwurf rasch beraten. Wir dürfen keine Zeit verlieren; denn jeden Tag müssen Jugendliche nach dem alten Gesetz optieren. Jeden Tag droht einem jungen Menschen, der 23 wird, möglicherweise die Ausbürgerung, obwohl er oder sie hier geboren und aufgewachsen ist. Das sollten wir den jungen Menschen ersparen. Die Bundesländer warten darauf, dass wir hier endlich weiterkommen, weil sie den jungen Menschen genau das ersparen wollen. Wir wissen, dass diese Abschaffung für einige zu spät kommt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben Sie keine Regelung!) Es ist ganz wichtig, dass wir darüber sprechen. Es gibt ungefähr anderthalb Jahrgänge, die optieren mussten, also einen Pass abgeben mussten. Einige sind nun tatsächlich zu Ausländern in dem Land, in dem sie groß geworden sind, geworden. Diese jungen Menschen auszuschließen, nur weil sie zufällig ein oder zwei Jahre zu früh geboren wurden, halte ich für einen schwer vermittelbaren und unwürdigen Zustand. Da erhoffe ich mir eine Lösung im parlamentarischen Verfahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte zum Abschluss noch ein Zitat des Bundespräsidenten anfügen: Wir verlieren uns nicht, wenn wir Vielfalt akzeptieren. Wir wollen dieses vielfältige „Wir“. Wir wollen es nicht besorgnisbrütend fürchten. Wir wollen es zukunftsorientiert und zukunftsgewiss bejahen. Ich hoffe, mit dieser Denke gehen wir in die parlamentarischen Verhandlungen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Volker Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben mit dem Bundespräsidenten geschlossen, Frau Özo?uz. Ich will mit ihm beginnen. Der Bundespräsident sagte am 22. Mai: Der größte Schritt war wahrscheinlich 1999 die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. (Christine Lambrecht [SPD]: Genau!) Neben das ius sanguinis trat das ius soli. Seitdem kann Deutscher werden, wer in Deutschland geboren wurde, auch wenn seine Eltern es beide nicht sind. Inzwischen wächst auch die Gelassenheit, doppelte Staatsbürgerschaften als selbstverständlich hinzunehmen. So weit der Bundespräsident. – Ihrem Gesetzentwurf und der Rede von Herrn Krings merkt man die Gelassenheit, von der der Bundespräsident spricht, aber nicht an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Er war sehr gelassen! Das muss man ihm lassen!) Sie setzen eine Diskriminierungspolitik fort; die schwarze Pädagogik der Integrationspolitik der Union führt die Feder. Für ein kleines Häuflein von Menschen, wie der Deutsche Anwaltverein schreibt, bauen Sie ein bürokratisches Monstrum auf, um den jungen Deutschen, die hier geboren sind, deren Eltern aber aus dem Ausland stammen, weiter zu sagen: Ihr seid Deutsche auf Bewährung. Ihr seid Deutsche mit Verfallsdatum. Ihr seid Deutsche auf Probe. – Das ist das Gegenteil von Willkommenskultur. Deshalb muss die Optionspflicht ganz fallen. Erst das wäre ein richtiger Schritt nach vorne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will noch eines sagen. Der Bundespräsident spricht davon, dass man dann, wenn man in Deutschland geboren ist, auch Deutscher ist. Das ist allerdings etwas, was wir noch verwirklichen müssen. Das fassen Sie überhaupt nicht an. Nach dem heutigen Staatsangehörigkeitsrecht müssen die Eltern erst acht Jahre eine Aufenthaltserlaubnis haben, bevor ihre hier geborenen Kinder auch als Deutsche geboren werden. Ich frage: Warum reicht es nicht aus, einen legalen Aufenthalt in Deutschland zu haben, damit der, der hier Kinder bekommt, Deutsche und keine Ausländer gebiert? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In anderen Ländern besteht darüber Konsens. In Frankreich sind sich von den Gaullisten bis zu den Kommunisten alle einig. Die Einzigen, die dagegen sind, sind die Anhänger des Front National; die wollen wir uns politisch wohl nicht zum Vorbild nehmen. Vor dem Hintergrund Ihrer Argumentation bezüglich des Kriteriums „aufgewachsen sein“, Frau Kollegin, sollten Sie sich vielleicht einmal den Artikel von Professor Zimmermann zu Ihrem Gesetzentwurf durchlesen. Er legt nämlich dar, dass das Kriterium „aufwachsen“ bzw. „aufgewachsen sein“ im Staatsangehörigkeitsrecht eigentlich schon dann zutrifft, wenn die Eltern dauerhaft hier leben und das Kind hier geboren ist, da man dann davon ausgehen kann, dass es in der Regel hier aufwachsen wird. Insofern setzen Sie hier ein Kriterium zweimal ein. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!) Ich fand Ihren Koalitionsvertrag in dem Punkt vollkommen in Ordnung. Was Sie dann umgesetzt haben, finde ich allerdings nicht mehr in Ordnung. Es ist auch lebensfremd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie reden sich ja bei allen Problemen auf die Härtefallklausel heraus. Ich habe vorhin schon Herrn Krings gefragt: Was machen wir eigentlich mit Menschen, die mit ihrem deutschen Pass die EU-Freizügigkeit wahrnehmen und, wenn sie im Ausland womöglich noch nicht einmal erfahren haben, dass sie optionspflichtig sind, plötzlich die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren und dann Drittstaatausländer in einem anderen europäischen Land sind und sich damit die aufenthaltsrechtlichen Fragen für diese jungen Menschen auf einmal neu stellen? Das zeigt: Ihr Gesetzentwurf ist national gedacht. Sie sind nicht in Europa angekommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Auch Migrantenkinder können innerhalb Europas mi-grieren und ihre Freizügigkeit wahrnehmen. Wir haben bei der Bundesregierung ein paar Fälle abgefragt. Was ist zum Beispiel mit denen, die sieben Jahre in Deutschland gelebt haben, hier fünf Jahre zur Schule gegangen sind und dann in Österreich Matura gemacht haben? Nach Ihrem Gesetzentwurf ist nicht klar, was mit denen passiert. Was ist mit denen, die im Ausland waren und eine deutsche Auslandsschule besucht haben? Die haben keinen inländischen Schulabschluss gemacht. Was ist mit denjenigen, die in Frankreich das Baccalauréat machen und dann zurückkommen, aber erst nach dem 21. Lebensjahr ihr Bachelorstudium in Germanistik aufnehmen? Haben sie keinen Bezug zu Deutschland? Nach dem Wortlaut Ihres Gesetzes sind sie alle draußen. Die Bundesregierung sagt: Das könnten Sachverhalte für einen Härtefall sein. Aber welche Gesetzgebung ist das, wo der Bürger nicht weiß, unter welche Regelung er fällt, und alle konkreten Einzelfälle unter eine Härtefallklausel fallen, bei der keiner von Ihnen hier sagen kann, was das Ausländeramt damit konkret macht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und Sie hoffen können, dass das Bundesverwaltungsgericht das irgendwann in zehn Jahren klarstellt? Das ist keine Integrationspolitik. Das ist schlechte Gesetzgebung! Sie müssen auch einmal sagen, warum wir bei Kindern zwei Klassen von deutschen Doppelstaatlern haben. Wir haben einerseits die Kinder, von denen beide Elternteile Ausländer sind. Sie werden durch Geburtsrecht Deutsche. Dann haben wir die Kinder von binationalen, also deutsch-ausländischen Ehepaaren, die, weil eine Deutsche oder einer Deutscher ist, sie also eine deutsche Abstammung haben, auch beide Pässe haben. Die kommen für die Optionspflicht freilich nicht infrage. Ich muss Ihnen sagen: Das ist eine ethnische Diskriminierung derjenigen, die keine deutsche Abstammung haben, weil ihnen eine Pflicht auferlegt wird, die für alle anderen Bürgerinnen und Bürger richtigerweise nicht gilt. Was muten Sie damit eigentlich dem Bundesrat zu, der in seinem NPD-Verbot-Schriftsatz gesagt hat, dass der ethnische Volksbegriff überkommen ist, und sich da ausdrücklich auf die Staatsbürgerschaftsdiskussion bezogen hat, wenn Sie ihm einen solchen Gesetzentwurf vorlegen? Deshalb rate ich Ihnen: Denken Sie noch einmal gut nach! Lohnt es den Verwaltungsaufwand wirklich, für eine Handvoll Leute – ein Häuflein Menschen, wie der DAV sagt – hier dazu zu kommen, dass wir ihnen die Staatsbürgerschaft wieder aberkennen und dafür jedes Jahr 40 000 Verwaltungsverfahren durchführen? Der Deutsche Städtetag hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass Sie mit den Begriffen beim Härtefall und mit der Auslegung des „sonstigen Bezugs zu Deutschland“ nicht zurechtkommen, und Ihnen dann noch dar-gelegt, dass die von Ihnen verlangten Daten der Mel-debehörden nach Nummer 4 und 5 bei den Gemeinden gegenwärtig gar nicht zur Verfügung stehen (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) und sie keine Antwort haben für den Fall, dass jemand zwischendrin seine Meldekarriere in Deutschland durch einen Auslandsaufenthalt unterbrochen hat; denn dann sind die Meldedaten nicht mehr miteinander verbunden und es kommt ein riesiger Sermon an Verwaltung auf sie zu. Der Städtetag, die beiden großen Kirchen und der Deutsche Anwaltverein sagen Ihnen allen: Es ist unverhältnismäßig, wegen dieser kleinen Gruppe einen solchen Verwaltungsaufwand zu betreiben. Sie betreiben ihn ja auch gar nicht wegen dieser kleinen Gruppe; Sie wollen allen hier sagen: Ihr müsst euch bewähren. – Nein, Deutsche müssen sich nicht bewähren. Allen Deutschen steht nach unserer Verfassung gleiches Recht zu. Das gilt auch für die Kinder von Menschen, die im Ausland geboren sind. Deshalb: Machen Sie einen Schritt in Richtung Integration! Schaffen Sie die Optionspflicht ab! Liebe SPD, Sie haben das noch im Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag Ihren eigenen Mitgliedern versprochen, als es um die Abstimmung ging. Nehmen Sie sich unseren Gesetzentwurf oder den des Bundesrates zum Vorbild, und sagen Sie: Wir beseitigen die Optionspflicht ganz. Das bringt nichts, kostet nur und funktioniert am Ende nicht, sondern führt nur zu vielen Verfahren. Es wäre schön, wenn die Union, die sonst immer gegen Bürokratie ist – ich erinnere mich noch an die -Diskussion über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz –, hier einmal zu ihrem Wort stünde und sagte: weniger Bürokratie, mehr Bürgerrechte, mehr Welt-offenheit. – So käme Deutschland tatsächlich voran. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Genau das machen wir!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Helmut Brandt. (Beifall bei der CDU/CSU) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist noch gar nicht so lange her, da dominierte die Überzeugung, dass Einwanderer, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, vor allem Kinder und Nachfahren, den deutschen Pass nur unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit erwerben bzw. behalten können. Ausdruck dieser Überzeugung waren unter anderem internationale Verträge zur Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit. Dafür gab und gibt es gute Gründe. Aber wir leben in einer globalisierten, mobilen Welt, und der Doppelpass wird weltweit zunehmend zur Realität. Deutschland hat sich sukzessive zu einem Einwanderungsland entwickelt mit einem heute bestehenden hohen Bedarf an Fachkräften. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Doch worin besteht denn nun eigentlich der Wert eines Passes – für uns Politiker, aber insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger? Staatsangehörigkeit bedeutet unter anderem Sicherheit und Schutz vor einer Reihe staatlicher Maßnahmen. Sie bedeutet uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, Recht auf Bildung und Teilhabe, Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt – auch ein wichtiger Aspekt – das Recht auf Familienzusammenführung. Die deutsche Staatsangehörigkeit erleichtert jedem das Reisen; das ist sicherlich ein zunehmend wichtiges Gut. Das alles sind sehr praktische Gründe. Die Frage, die sich mir allerdings aufdrängt, ist, ob eine Staatsangehörigkeit tatsächlich auch einen integrationspolitischen Wert hat, ob sie das Gefühl der Zugehörigkeit stärkt und damit unser Zusammenleben fördert. Abgeordnete von der Linken und vom Bündnis 90/Die Grünen behaupten immer wieder, die Optionspflicht sei integrationsfeindlich. Woher das genommen wird, erschließt sich mir, offen gesagt, nicht. Der Wert eines Gutes steigt bekanntlich nicht, wenn es leichter zu erwerben ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Leute haben das erworben! Es geht doch nicht um den Erwerb!) Eine Staatsangehörigkeit, die man bekommt – Herr Beck, Sie haben ja eben lange genug geredet –, ohne die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes aufgeben zu müssen, wird womöglich gerade nicht wertvoller, sondern „billiger“. Herr Beck, Sie zitieren ja so gerne die juristische Fachliteratur und den Deutschen Anwaltverein. Mein Repetitor hat immer gesagt: Was nichts kostet, ist auch nichts wert. (Heiterkeit der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Das lag daran, dass man den Repetitor bezahlen muss und damit offensichtlich der Wert der Anhörung steigt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, gegen Gebühr erkläre ich Ihnen das dann noch mal!) Steigert nicht gerade die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Staatsangehörigkeit man denn nun gerne behalten möchte, den Wert einer solchen, und fördert man nicht gerade dadurch die Integration, wenn am Ende einer solchen Auseinandersetzung das klare Bekenntnis zur deutschen Staatsangehörigkeit steht? Welchen höheren Wert muss zum Beispiel ein junger Mensch seinem deutschen Pass beimessen, der sechs Jahre in Deutschland zur Schule ging, dann aber – aus welchen Gründen auch immer – in das Heimatland seiner Eltern zurückkehrt und dort lebt? Sicher, er möchte und wird den Pass aus praktischen Gründen gerne behalten, zum Reisen und als Sicherheitsgarantie. Aber das ist doch nicht der Sinn einer Staatsangehörigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Gestatten Sie mir deshalb an dieser Stelle eine weitere Frage: Sollte es nicht unser Ziel sein, dass Menschen, die in Deutschland leben und hier bleiben möchten, den deutschen Pass haben möchten, weil sie sich uns zugehörig fühlen und von unserem Land überzeugt sind? Das ist der Maßstab, den jedenfalls ich an die Staatsangehörigkeit anlege. Hinter unserer bisherigen Skepsis gegenüber der doppelten Staatsangehörigkeit stand – das gebe ich offen zu – selbstverständlich auch die Frage, ob wir im Gegenzug zur Staatsangehörigkeit auf die Loyalität der Doppelstaatler zählen können. Schließlich reden wir hier über die deutsche Staatsangehörigkeit und nicht über eine Parkerlaubnis, wie der Kollege Strobl in der letzten Debatte über dieses Thema so markant sagte. Staatsangehörigkeit umfasst ein Bündel an Pflichten und Rechten, darunter das Wahlrecht und den Zugang zu öffentlichen Ämtern bis hin zum Beamtentum. Das ist übrigens ein Punkt, den ich für äußerst wichtig halte. Unser Bestreben muss sein, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in das Beamtentum zu bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Selbstverständlich müssen wir uns vor diesem Hintergrund fragen, wer in den Genuss dieser Rechte kommen soll und muss, und wir sollten so weit wie möglich sicherstellen, dass diese Rechte nicht missbraucht werden. Sie haben es selbst erwähnt, Frau Da?delen: Weil Menschen mit türkischem Hintergrund den proportional größten Anteil ausmachen, möchte ich – das habe ich vorhin etwas vermisst – auf Ihren bzw. auf den – Gott sei Dank nicht Ihren – Ministerpräsidenten Erdogan zu sprechen kommen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das verbitte ich mir! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch nicht ihr Ministerpräsident!) – Ich wollte von Ihnen ja nur die Bestätigung, dass es nicht Ihr Ministerpräsident ist. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, wie Sie denken! Was hat das mit ihr zu tun?) – Genau. Das frage ich sie auch. – Aber lassen Sie mich einfach einmal ausreden; Sie haben ja schon genug dazwischengerufen. Erdogan hat bekanntlich eine Behörde ins Leben gerufen, die sich speziell an die im Ausland lebenden Türken wendet, und verfolgt damit offenkundig das Ziel, sie für seine speziellen Interessen zu gewinnen. Dass jedenfalls die aktuelle Regierung der Türkei im Vergleich zu uns eine andere Vorstellung von Demokratie hat, hat Präsident Erdogan in der jüngsten Vergangenheit mehr als einmal gezeigt. Sein jüngster Besuch in Köln zeigte einmal mehr, dass er völlig unbeeindruckt von zahlreichen hier lebenden türkischen Gegendemonstranten versucht, im Zuge des Wahlkampfes hier lebende Landsleute für seine Ziele zu gewinnen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Gerade deshalb sollten Sie sie nicht in die Arme von -Erdogan treiben! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Erfolg, wie Sie gesehen haben! 70 000 waren auf der Straße!) – Sie müssen all das, was Sie dazwischenrufen, einmal zu Ende denken. Dann kommen Sie zu dem gleichen Ergebnis wie ich. Dass ausländische Staatspräsidenten, noch dazu auf deutschem Boden, versuchen, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft für ihre Ziele zu vereinnahmen, die nicht zwangsläufig mit unseren Wertvorstellungen übereinstimmen, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen habe ich gegen Erdogan demonstriert!) empfinde ich als grotesk, Herr Beck, und Sie sollten das auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Obama! Was halten Sie von Obamas Rede? Der hat auch hier geredet!) Das kann doch nicht in unserem Interesse sein. Man stelle sich nur vor, unsere Bundeskanzlerin würde demnächst als Parteivorsitzende Wahlkampf auf Mallorca machen. Ich würde gerne einmal sehen, was die Spanier zu einem solchen Auftritt sagten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP hat das schon gemacht! Herr Möllemann!) – Es gibt Leute, die vor nichts zurückschrecken, Herr Beck. Dazu gehören Sie auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterirdisch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist auch ein großer Schrecken!) – Sie können den Saal ja verlassen. In unserem Land gibt es die Freiheit, dass man sich alles anhören kann, aber nicht anhören muss. Ich will ein weiteres Beispiel dafür anführen – das ist schon angeklungen –, welche Probleme die Doppelstaatigkeit mit sich bringt. Der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hat im Fernsehen offen bekundet, dass er bei der Europawahl sowohl in Deutschland als auch in seinem Konsulat gewählt hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte er auch mit einem italienischen Pass gedurft! Sie sollten sich einmal im Europawahlrecht kundig machen!) – Herr Beck, wir werden das prüfen lassen. – Ich glaube, 8 Millionen Menschen könnten von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen. Deshalb muss man sich doch die Frage stellen: Haben sie ein doppeltes Wahlrecht? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das haben sie nicht!) Ist die Europawahl damit noch gültig? Wie ich eingangs bereits sagte, leben wir in einer globalisierten Welt, und der Doppelpass wird zunehmend selbstverständlich. Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der junge Menschen nicht mehr in die für sie – jedenfalls teilweise – offensichtlich unangenehme Situation bringt, sich zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden zu müssen, wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind. Die Entscheidung zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der des Herkunftslandes der Eltern, ist – zumindest zum Teil – ein Problem für diese jungen Migranten, die hier geboren sind und hier leben wollen. Diese Gruppe wollen wir durch diese Neuregelung entlasten. Bei aller Erleichterung aufseiten der vehementen Befürworter der doppelten Staatsangehörigkeit sollten wir eines aber nicht vergessen: Das Problem, um das es hier eigentlich geht, nämlich die Integration dieser jungen Menschen, ist kein politisches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Integration ist nicht durch einen Verwaltungsakt zu erreichen und kann auch nicht verordnet werden. Integration findet in den Schulen, im Arbeitsleben, in der kulturellen und gesellschaftlichen Praxis und nicht zuletzt natürlich in der eigenen Familie statt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie denn jetzt für das Gesetz oder dagegen? Ich verstehe gar nichts!) – Frau Künast, wenn Sie es nicht verstehen, sage ich es für Sie gleich vielleicht noch einmal deutlicher. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerne! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verstehen Sie auch nicht!) – Sie können noch so viel brüllen: Es nutzt nichts. Sie müssen sich meine Argumente trotzdem anhören. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Argumente?) Seit 2005 haben wir als CDU/CSU gemeinsam mit unseren jeweiligen Koalitionspartnern sehr viel für Zuwanderer getan. Mit Blick auf die demografische Entwicklung haben wir in den letzten Jahren begonnen, Zuwanderung aktiv zu steuern und klare gesetzliche Vorgaben zu schaffen, um Zuwanderern den Start in Deutschland zu ermöglichen und ihren Integrationsprozess zu fördern. Seitdem sind über 1 Milliarde Euro in Integrationsmaßnahmen und Sprachkurse geflossen, und zwar mit steigender Tendenz. Diesen Weg wollen und müssen wir fortsetzen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Studentin an der Humboldt-Uni braucht gar keinen Sprachkurs! Die kann doch besser Deutsch als wir!) – Das trifft auf eine Gruppe von Menschen zu, natürlich. Aber Herr Beck spricht ja immer von den Minderheiten. Es gibt eben auch Zuwanderer, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Eines steht fest: Das Wohlergehen und der Zusammenhalt einer Gesellschaft werden gestärkt, wenn alle Beteiligten, seien sie Einheimische oder Zuwanderer, ein Gefühl der Zugehörigkeit empfinden. Staatsangehörigkeit auf eine Weise zu verleihen, die uns bei diesem Ziel voranbringt, ist die eigentliche Herausforderung, der wir uns stellen müssen, wenn wir auch in Zukunft eine stabile soziale und ökonomisch erfolgreiche Gesellschaft sein wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir nun die hier lebenden jungen Migranten, die hier geboren sind und hier leben wollen, entlasten können, indem wir die Optionspflicht durch eine praktikable Neuregelung ihrer Lebenswirklichkeit anpassen, dann sollten wir dies tun. Trotzdem wollen und müssen wir sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen konkreten Bezug zu Deutschland haben. Ich kann darin beim besten Willen, Herr Beck, keine Zumutung für die Betroffenen erkennen. Ich fände es im Gegenteil völlig realitätsfern, unangemessen und gefährlich, wenn wir dies an keine Voraussetzungen binden würden. Wir wollen und brauchen hier Menschen, die gut integriert sind, die die deutsche Sprache sprechen, die unsere Werte nicht nur kennen, sondern sie auch teilen. Das ist die Zukunft für uns und unser Land. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da ist die österreichische Matura schädlich?) Es ist ein guter Kompromiss, den die Koalition hier gefunden hat. Ich bitte um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christina Kampmann [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich erteile jetzt das Wort für eine Kurzintervention dem Kollegen Volker Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte jetzt nicht auf die Argumente von Ihnen eingehen, Herr Brandt, sondern nur eine Sache klarstellen. Giovanni di Lorenzo konnte zweimal abstimmen, nicht weil er einen deutschen und einen italienischen Pass hat, sondern weil er einen italienischen Pass hat und in Deutschland lebt. Gegenwärtig ist es so, dass wir, obwohl das nach dem Europäischen Wahlakt und auch nach dem Europawahlgesetz nicht zulässig ist, keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen haben, um solche Doppelabstimmungen durch ein einheitliches Wahlregister zu verhindern. Das ist ein Defizit bei der Exekution des Gesetzes durch die Verwaltung. Das hat mit dem Besitz von zwei oder drei Pässen oder einem Pass überhaupt nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Damit die Bürgerinnen und Bürger das wissen, wollte ich das hier richtigstellen. Sie haben auch den Auftritt von Herrn Erdogan in Köln angesprochen. Frau Da?delen und ich haben auf der Gegendemonstration zusammen mit Ihrem Kollegen Hirte gesprochen und mit 50 000 Deutschen, Türken und Kurden gegen diesen Auftritt demonstriert. Aber ich habe auch schon deutsche Politiker Wahlkampf in Spanien machen sehen. Schauen Sie einmal in den Gazetten nach, was die FDP im Wahlkampf alles gemacht hat. Ich weiß, dass das auch manche bei uns machen. Das ist nicht ehrenrührig. Die Politik, die Herr Erdogan macht, ist anzugreifen, nicht aber die Tatsache, bei einer Gemeinde im Ausland aufzutreten und mit den Menschen zu diskutieren. Wir sollten dies auseinanderhalten. In Ihrer Rede klang das so: Wenn das ein Türke macht, ist es schlimm. Wenn das ein deutscher Politiker auf Mallorca macht, ist es nicht mehr so schlimm. – Das erschließt sich mir nicht, es sei denn, Türken und Deutsche unterscheiden sich doch so wesentlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Brandt, wollen Sie auf die Kurzintervention erwidern? Helmut Brandt (CDU/CSU): Ja, gerne. – Herr Beck, ob es zulässig war oder nicht, was Herr di Lorenzo gemacht hat, spielt im Endeffekt doch keine Rolle und kann hier und heute gar nicht entschieden werden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit dem Tagesordnungspunkt zu tun!) – Sie rufen ja immer noch dazwischen. – Aber mit diesem Beispiel wollte ich nur deutlich machen, dass Doppelstaatigkeit auch Probleme mit sich bringt (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch mit Doppelstaatigkeit nichts zu tun! Das hat mit dem Woanderswohnen zu tun!) und dass diese Probleme sich dann auch – und in diesem Zusammenhang ist das erwähnt worden – manifestieren. Was die andere Frage angeht, Herr Beck, ob und welche Menschen im Ausland für ihre Sache werben: Ich habe kein Problem damit, dass jemand das tut. Ich frage nur, ob das richtig und sinnvoll ist. Ich denke, dass Herr Erdogan – ich bin froh, dass Sie unter denen waren, die dagegen demonstriert haben – genug damit zu tun hätte, in seinem Heimatland für Ordnung zu sorgen, statt sich in Köln von Menschen bejubeln zu lassen, die er hier in Deutschland bewusst für seine Sache in Anspruch nimmt. Genau das kritisiere ich. Davor will ich aber auch warnen. Wir müssen doch davon ausgehen können, dass Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben und die ich alle sehr schätze, sich auch zu uns bekennen, statt irgendjemandem nachzulaufen, der in Deutschland Wahlkampf betreibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Frau Kollegin Jelpke, jetzt haben Sie das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn will ich anhand eines aktuellen Beispiels erläutern, warum die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft so wichtig für die Demokratie ist. Beim Volksentscheid in Berlin zum Tempelhofer Feld konnten nur diejenigen abstimmen, die einen deutschen Pass haben. Es ging darum, ob dieses Feld eine Fläche für Freizeit, Erholung und Sport bleibt. Aber diejenigen, die dort leben, jedoch keinen deutschen Pass haben – das sind knapp eine halbe Million Menschen –, waren ausgeschlossen. Dieses demokratische Defizit, dass Menschen an Entscheidungen, die sie unmittelbar betreffen, nicht beteiligt werden, darf es in Deutschland nicht mehr geben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch bei den Wahlen ist es regelmäßig so: Ein großer Teil der Bevölkerung ist ausgeschlossen, weil ihm der deutsche Pass bzw. das richtige Papier fehlt. Wer Einbürgerung erschwert, der erschwert oder verhindert demokratische Teilhabe und Gleichberechtigung. Wir dürfen im 21. Jahrhundert solche demokratiefeindlichen Zonen nicht mehr zulassen. (Beifall bei der LINKEN) Nach den Bundestagswahlen war – das wurde schon angesprochen – gerade von der SPD immer wieder zu hören: Die doppelte Staatsbürgerschaft muss her. Meine Kollegin hat schon Sigmar Gabriel zitiert: Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass dieses Versprechen gegeben wurde. Aber wenige Wochen später waren diese markigen Worte vom Tisch. Es sollte jetzt nicht einmal mehr die Abschaffung der Optionsregelung geben, nach der sich viele junge Menschen zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern entscheiden müssen. Das ist übrigens nicht nur eine Riesenblamage für den Vorsitzenden der SPD und Vizekanzler, sondern, wie ich finde, auch für die SPD. Diese Vorwürfe müssen Sie sich gefallen lassen: Es ist Wahlbetrug an den Wählern und Wählerinnen, und für die Betroffenen ist es eine riesengroße Enttäuschung. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, auch in diesem Haus ist in den vergangenen Monaten viel von Willkommenskultur, einer Anerkennung der Verdienste von Einwanderern und einer offenen Gesellschaft die Rede gewesen. Doch was folgt aus diesen hehren Worten? Angesichts der bisherigen Bilanz dieser Bundesregierung kann ich nur sagen: Es ist weniger als nichts. Ich will ein weiteres Beispiel dafür anführen. Im Entwurf des Haushalts für das laufende Jahr sind 200 Millionen Euro für Integrationskurse eingestellt. Das hört sich erst einmal viel an. Tatsächlich liegt der Bedarf aber weit höher. Das wissen Sie von der Union ganz genau. Das hat nämlich sogar das Innenministerium eingeräumt; es hat gesagt, dass schon nach bisheriger Planung 46 Millionen Euro fehlen. Bei den Beratungsstellen für Migrantinnen und Migranten werden Kürzungen vorgenommen. Spezielle Kurse für Frauen werden zusammengestrichen. Gerade von der Union kommt immer wieder das Argument, dass die Einbürgerung am Ende des Integrationsprozesses stehen muss. Sie verweigern aber mit solchen Sparmaßnahmen genau diesen letzten Schritt zur Integration. Sie legen den Menschen damit schon vorher Steine in den Weg. Das Herumstolpern dieser Bundesregierung beim Staatsangehörigkeitsrecht steht in einer Linie mit der verfehlten Integrationspolitik. Ich möchte darauf hinweisen, dass das zusammengehört. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der konservativen Seite, Sie halten den Inhabern zweier Staatsangehörigkeiten immer wieder – soeben haben wir es auch gehört – einen Loyalitätskonflikt vor; man könne nicht Diener zweier Herren sein. Aber ich finde, dass es ein Treppenwitz der Geschichte ist, dass solche Argumente von einer Partei kommen, die in Niedersachsen sogar einen Ministerpräsidenten mit doppelter Staatsangehörigkeit gestellt hat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) David McAllister war der erste Ministerpräsident mit doppelter Staatsangehörigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich kann Sie nur aufrufen: Kommen Sie doch endlich in der Realität an! Mehrfache Staatsbürgerschaften schwächen die Demokratie nicht, sondern stärken sie, weil sie mehr Menschen zu demokratischer Teilhabe und Mitwirkung berechtigen, nach dem Motto „Ein Mensch, eine Stimme“. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat in eigenen Anträgen schon zu Beginn dieser Legislaturperiode die Anforderungen an ein -modernes und fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht genannt. Dazu gehört in erster Linie: Mehrstaatlichkeit muss bei Einbürgerung und Geburt in Deutschland generell hingenommen werden. Hier noch einmal ganz deutlich gesagt: Nicht nur in anderen EU-Staaten, sondern auch in den USA, Israel sowie in vielen anderen Ländern dieser Welt ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Mensch die Staatsbürgerschaft des Landes erhält, in dem er geboren wurde. Er muss sich nicht verbiegen und -irgendwelche Schul- und Ausbildungsabschlüsse nachweisen, wie es bei uns der Fall ist. Das kann doch wohl nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Nur in Deutschland gibt es nun enorme Hürden. Ich will betonen: Die Optionsstaatsbürgerschaft wird nicht abgeschafft. Ist es nicht komisch, dass bei vielen doppelten Staatsbürgerschaften wie bei der des ehemaligen -Ministerpräsidenten von Niedersachsen überhaupt kein Problem besteht? Aber einer großen Gruppe unserer -Bevölkerung, deren ursprüngliches Herkunftsland die Türkei ist, werden Steine in den Weg gelegt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Jelpke, denken Sie an die Redezeit! Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich komme sofort zum Ende. – Gegen diese -Ungleichheiten treten wir an. Es gibt keinen Grund, der es rechtfertigt, nicht endlich die doppelte Staatsbürgerschaft für alle einzuführen. Dafür wird die Linke weiterhin streiten; denn das ist das Einzige, was demokratieförderlich sein wird. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin Dr. Eva Högl. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und -Herren! Wir diskutieren heute in erster Lesung hier im Deutschen Bundestag mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes über ein zweites wichtiges Gesetz der Großen Koalition nach dem -Gesetz zur Einführung eines Mindestlohns, über das wir vorhin beraten haben, und damit über ein Thema, das zu den Prioritäten der Großen Koalition gehört. Mit diesem Gesetz wollen wir – ebenso wie mit dem Gesetz zum Mindestlohn – Verbesserungen für viele Menschen in diesem Land erreichen. (Beifall bei der SPD) Mit diesem Gesetz zur Staatsangehörigkeit verändern wir unsere Gesellschaft; das ist uns sehr wichtig. Wir machen also einen großen Schritt nach vorne. Nach vielen Jahren gesellschaftlicher Diskussion – wir haben um das Für und Wider gerungen – legen wir nun den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der -Optionspflicht vor. Es ist ein wirklicher Erfolg, dass uns das gelingt. (Beifall bei der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist keine Aufhebung! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist keine Aufhebung!) Das stellt eine wichtige Verbesserung für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft dar. Wir tragen dazu bei, dass unser Staatsange-hörigkeitsrecht weiter modernisiert wird. Das ist ein wichtiges Signal und eine wichtige Reform. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Murks ist das!) Ich finde es sehr gut, dass dieses wichtige Thema zu den ersten großen Projekten der Großen Koalition -gehört. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich Bundesinnenminister Thomas de Maizière – er ist heute nicht da, aber Sie nehmen den Dank stellvertretend entgegen –, Bundesjustizminister Heiko Maas – der Staatssekretär nimmt den Dank entgegen – und unserer Staatsministerin Aydan Özo?us – sie ist da – danken, weil sie an einem Kompromiss gearbeitet haben und uns hier – wir beraten das Gesetz heute in erster Lesung – einen wirklich guten Vorschlag vorlegen. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich sage einmal ganz deutlich hier: Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart, und wir halten unser Wort. Natürlich ist das ein Kompromiss. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Murks ist das!) Das wissen alle hier im Haus. Die Rede von Herrn Brandt hat gezeigt, dass auch wir in der Koalition verschiedene Akzente setzen und Unterschiede haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass einige mehr wollen – davon sitzen einige in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion – (Beifall bei der SPD) und einigen das, was wir heute diskutieren und dann vor der Sommerpause verabschieden werden, vielleicht schon zu viel ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir haben uns darauf verständigt, und deswegen ist der Gesetzentwurf über die Abschaffung der Optionspflicht, über den wir heute beraten, ein erster wichtiger Schritt. Es ist ein guter Vorschlag, über den wir beraten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU]) Ich möchte ganz kurz zurückblicken – ich will das nicht lange ausführen; es ist schon gesagt worden, woher die Optionspflicht kommt – und daran erinnern, dass das, was uns alle geschmerzt hat, ist, dass mit diesem Optionszwang junge Menschen zu Deutschen auf Probe wurden. Das ist etwas, was wir nicht akzeptieren und was nicht sein darf. Deswegen schaffen wir den Optionszwang ab. Niemand, der oder die hier in Deutschland geboren ist, ist bei uns Deutscher oder Deutsche auf Probe. Das ist ein wichtiges Signal. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie den Optionszwang abschaffen!) Ich erinnere die Grünen daran, dass der Optionszwang nicht einfach so in das Gesetz gekommen ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Rainer Brüderle, Rheinland-Pfalz! Ich war dabei!) Wir haben unter Rot-Grün gemeinsam das Staatsangehörigkeitsrecht 1999 reformiert. Das war ein ganz großer Schritt weg vom Abstammungsprinzip hin zum Prinzip des Geburtsortes. Wir machen jetzt, 15 Jahre danach, den nächsten Schritt mit der Abschaffung der Optionspflicht, die uns schon immer geschmerzt hat. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen nicht ab!) Das Optionsmodell war im Übrigen auch ein Integrationshemmnis in unserer Gesellschaft; denn wenn wir jungen Leuten sagen, sie seien Deutsche auf Probe, dann sind sie auch auf Probe in unserer Gesellschaft. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie ja leider!) Dieses Signal wollen wir nicht mehr senden. Wir wollen vielmehr sagen: Ihr alle seid hier herzlich willkommen, ihr gehört dazu, (Beifall bei der SPD) ihr seid Teil unserer Gesellschaft, und wir stellen deswegen keine hohen Hürden auf, damit ihr Deutsche werdet. Mir ist es ganz wichtig, nach der Rede von Herrn Brandt eines zu sagen: Natürlich ist die Frage der Loyalität zu einem Staat keine einfache Frage. Wir wissen, dass in Ihren Reihen die Frage eine große Bedeutung hat, ob man überhaupt eine Loyalität zu zwei Staaten haben kann und ob es zwei Staatsangehörigkeiten geben kann. Wir glauben, dass man in unserer Gesellschaft mittlerweile ganz viele Identitäten haben kann. Man ist Berlinerin, so wie ich, man kommt ursprünglich aus -Niedersachsen oder woanders her, man ist Europäerin, wenn man in anderen Ländern ist. So sehen wir an vielen konkreten Beispielen in unserer Gesellschaft, dass die Identitäten ganz bunt und vielfältig sind und von dem -jeweiligen Kontext abhängen. Sie sind keine Gefahr für unsere Gesellschaft, sondern es ist eine Bereicherung, wenn wir mehrere Identitäten haben. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Ihnen glaube ich das!) Auch zwei Staatsangehörigkeiten können eine Bereicherung sein. Vor allen Dingen ist es wichtig, dass wir nicht die Wurzeln der Menschen kappen, die sie haben, die Wurzeln ihrer Familie, ihrer Eltern und Großeltern. Wir müssen ihnen vielmehr signalisieren: „Diese Wurzeln kappen wir nicht, sondern ihr könnt sie behalten“, und das mit der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der SPD) Ich möchte noch an Folgendes erinnern: Für mich war es ein sehr bewegender Moment, als wir am 23. Mai im Deutschen Bundestag den 65. Geburtstag des Grund-gesetzes gefeiert haben und hier Navid Kermani gesprochen hat, ein Deutscher, in Deutschland geboren, mit -iranischen Wurzeln, ein Muslim. Wir hatten ihn eingeladen, das Jubiläum unseres deutschen Grundgesetzes zu feiern. Das empfand ich als eine ganz starke Geste (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Helmut Brandt [CDU/CSU] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was er zu Artikel 16 gesagt hat?) und ein ganz starkes Signal in unsere Gesellschaft hinein. Er hat uns sehr viel mitgegeben. Dass das möglich ist, zeigt, dass man mit vielen Identitäten umgehen kann und dass mehrere Identitäten und damit auch mehrere Staatsangehörigkeiten überhaupt kein Problem, sondern, wie ich schon sagte, eine Bereicherung sind. Insofern ist das, was wir heute besprechen – die -Abschaffung der Optionspflicht –, für die betroffenen Personen ganz wichtig. Wir orientieren uns dabei nicht an Einzelfällen, die vielleicht schwierig sind, nicht an Problemen, die es vielleicht im Zusammenhang mit dem Nachweis des Bezugs zu Deutschland gibt. Vielmehr orientieren wir uns an der Mehrheit der Fälle: Das sind beinahe 40 000 junge Menschen jährlich, für die die Optionspflicht entfällt. In über 90 Prozent der Fälle brauchen wir überhaupt keine weitere Prüfung, sondern allein die melderechtliche Lage dient dazu, gleich sagen zu können: Du kannst beide Staatsangehörigkeiten behalten, und du bist vollständig integriert. Du gehörst dazu, und wir müssen nichts weiter überprüfen. – Der Erfolg besteht darin, dass wir dies für die große Mehrheit ermöglichen. Allein dafür lohnt sich dieses Gesetz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Uns als SPD war es besonders wichtig, deutlich zu machen, dass die Mehrheit der Menschen nicht zum Amt muss, dass wir keinen bürokratischen Aufwand betreiben und dass wir die Mehrheit der Menschen nicht zu -einer Aktivität verpflichten, sondern dass von vornhe-rein für viele klar ist, dass sie zwei Staatsangehörigkeiten bekommen können, Stichwort „wenig Verwaltungsaufwand“. Aber natürlich geht es nicht ganz ohne Verwaltungsaufwand. Denn selbstverständlich müssen wir in einzelnen Fällen die entsprechenden Voraussetzungen prüfen. Dafür gibt es logischerweise Kriterien. Wir legen diese Kriterien an, weil wir vereinbart haben, dass diejenigen, die hier geboren und aufgewachsen sind, unbefristet die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, aber auch, weil die Staatsangehörigkeit natürlich keine Bagatelle ist. Das ist klar geworden, und das betone ich hier noch einmal. An die Staatsangehörigkeit sind viele Rechte und auch Pflichten geknüpft, die nicht unwesentlich sind, zum Beispiel die Übernahme des Amtes eines Schöffen, einer Wahlhelferin, eines Wahlhelfers oder ähnlicher Dinge in unserer Gesellschaft. Vieles ist an die Staatsangehörigkeit geknüpft, nicht nur das Wahlrecht als solches, sondern eben auch andere Dinge. Deswegen müssen wir genau schauen, was mit der Staatsangehörigkeit verbunden ist. Dafür brauchen wir bestimmte Kriterien. Einen Punkt möchte ich noch ansprechen – dabei -blicke ich in die Richtung des Koalitionspartners –, Stichwort „Altfälle“; kein schöner Begriff. Es geht dabei um die Frage, was wir mit denjenigen machen, die eine Staatsangehörigkeit jetzt schon haben zurückgeben müssen, die also eine Staatsangehörigkeit verloren haben, obwohl sie mit Blick auf den von uns unterschriebenen Koalitionsvertrag eigentlich hätten Deutsche bleiben und auch Türkinnen und Türken sein können. (Beifall bei der SPD) Ich wäre sehr dankbar – wir beraten diesen Gesetzentwurf heute in erster Lesung –, wenn wir noch einmal darüber ins Gespräch kommen könnten, um zu klären, ob wir für die infrage kommenden wenigen Hundert jungen Menschen eine Regelung finden können, (Beifall bei der SPD) damit wir ihnen sagen können: Auch ihr seid von dieser Reform betroffen. Auch für euch eröffnen wir eine Möglichkeit zur doppelten Staatsangehörigkeit. Auch ihr könnt beide Staatsangehörigkeiten haben. Auch euch umfasst dieser Gesetzentwurf. – Wenn wir dazu noch einmal beraten könnten, würden jedenfalls wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns sehr freuen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich sage es noch einmal: Ein guter Kompromiss liegt zur Beratung vor. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen hier bei uns im Deutschen Bundestag, und vor -allen Dingen freue ich mich, dass wir in der Koalition vereinbart haben, diesen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Es wäre ein ganz -starkes Signal und eine schöne Sache, wenn wir vor der Sommerpause sagen könnten: Wir haben die Optionspflicht abgeschafft. Es gibt die Möglichkeit einer doppelten Staatsangehörigkeit. – Das ist ein erster Schritt, aber ein wichtiger Schritt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bleiben an diesem Thema dran, und wir wollen noch weitere Schritte machen. Dazu werden wir weitere Anläufe unternehmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin Högl, auch für die punktgenaue Landung und Ausschöpfung der Redezeit. Nächster Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Özcan Mutlu. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier einmal deutlich sagen: Hören Sie einfach auf mit dem Märchen, dass Sie die Optionspflicht abschaffen. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Sie schaffen sie nicht ab, Sie heben sie nicht auf; denn § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes bleibt. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Dieser Paragraf bleibt nicht nur, sondern er wird in seinen Ausführungen sogar noch präzisiert, wodurch ein Bürokratiemonster geschaffen wird. Das ist offensichtlich. Das sehen Sie zum Beispiel, wenn Sie sich § 34 des Staatsangehörigkeitsgesetzes anschauen. Darin steht, was alles für Pflichten die Meldebehörden plötzlich bekommen. Sie ignorieren die Lage vor Ort bei den Kommunen, bei den Ländern und geben den Behörden dort Aufgaben, die sie vermutlich gar nicht lösen können. Zum Beispiel sollen die Meldebehörden wissen und der zuständigen Staatsangehörigkeitsbehörde melden – und das bis zum zehnten Tag jedes Kalendermonats –, wo welcher Op-tionspflichtige lebt. Das soll keine Bürokratie sein? Das soll eine Abschaffung der Optionspflicht sein? Hören Sie auf mit diesem Märchen, und belügen Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese melderechtliche Sache ist ein richtiges Problem und wichtiger Punkt; denn das zeigt genau, dass Sie überhaupt nicht daran interessiert sind, die Optionspflicht abzuschaffen. Ich habe den Kollegen von der Union zugehört. Der Herr Krings hat gesagt: Man kann stolz sein auf dieses Staatsangehörigkeitsgesetz. – Tut mir leid; ich bin nicht stolz darauf. Ein modernes Staatsangehörigkeitsgesetz, lieber Kollege Krings, sieht anders aus. Wenn tatsächlich nur 5 Prozent der Optionspflichtigen von der neuen Regelung betroffen sind, warum nehmen wir dann die restlichen 95 Prozent in Haftung? Warum schaffen wir dieses Bürokratiemonster? Warum sagen wir nicht, wie unser Bundespräsident es getan hat: „Jeder, der hier zur Welt kommt, dessen Eltern legal in unserem Land leben, bekommt aufgrund des ius soli bedingungslos die deutsche Staatsbürgerschaft“? Punkt. Aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Da kann ich nur sagen: Hören Sie auf den Bundespräsidenten! Und kommen Sie mir nicht immer wieder mit Geschichten von Erdogan und der Türkei! Damit zeigen Sie nur, dass es Ihnen anscheinend um eine Lex Türkei geht. Während in der Kölnarena 20 000 Leute Erdogan zugehört haben, haben draußen 50 000 ihr demokratisches Recht genutzt und gegen ihn demonstriert. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Gott sei Dank! Sehr gut!) Hören Sie also auf mit der Frage der Illoyalität oder der fehlenden Loyalität zu diesem Land! Außerdem: Deutschland und die Türkei als NATO-Partner werden nie gegeneinander Krieg führen, sodass auch die Frage „Wo diene ich?“ irrelevant ist. Es ist einfach unsinnig, darüber zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Herr Krings hat in seiner Rede irgendetwas von Volkszugehörigkeit und von Heimatrecht gesagt und solche Begriffe verwendet. Ich habe mich da gefragt: Welchen Redezettel benutzt er? Den von vor zehn Jahren, oder was? Wir sind doch viel weiter. Wir haben zum Jahr 2000 das Staatsangehörigkeitsgesetz reformiert und uns von dem Wilhelminischen Gesetz, das auf dem Blutsrecht basierte, verabschiedet. Wir haben das ius soli, wenn auch nicht vollständig, aber optional. Deshalb: Die Staatsangehörigkeit ist hier wichtig und nicht die Volkszugehörigkeit; das sollten Sie als Staatssekretär inzwischen auch gemerkt haben, Herr Krings. Wir wollen weiter gehen als Sie. Wir wollen gern das umsetzen, liebe Frau Staatsministerin Özo?uz, was Sie am 29. März 2014 – also in diesem Jahr, nicht irgendwie vor drei Jahren oder im Wahlkampf – gesagt haben, etwa in der FAZ nachzulesen: Das Ziel der SPD bleibt die volle Abschaffung der Optionspflicht. – Wir nehmen Sie beim Wort. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist ja kein Widerspruch!) Lassen Sie uns gemeinsam etwas dafür tun! Lassen Sie sich nicht mit solchem Unsinn und Murks von der Union über den Tisch ziehen! Es ist keine Abschaffung, was Sie hier betreiben; es ist einfach eine Mogelpackung. Wenn Ihnen junge Leute, denen Sie natürlich erzählen, was Sie Tolles geleistet haben, sagen: „Wir sind zufrieden mit dem Gesetz“, dann kann ich Ihnen nur raten: Geben Sie denen diesen Entwurf, den Sie vorgelegt haben! Dann werden die jungen Leute sehr wohl sagen, was das für eine Mogelpackung ist. – Mit diesem Entwurf sind wir auf keinen Fall einverstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier ist des Öfteren Hessen zitiert worden. Ich kann Ihnen wirklich sagen: Ein Freund der hessischen CDU bin ich nie gewesen, werde ich auch nicht so ohne Weiteres; aber wenn diese hessische CDU, die noch 1999 auf der Straße Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gesammelt hat und gegen Migranten gewettert hat, heute in einem schwarz-grünen Koalitionsvertrag unterschreibt, dass sie quasi der eingeschränkten Abschaffung des Optionsmodells zustimmt, (Rüdiger Veit [SPD]: Seien Sie doch mit uns zufrieden, bitte schön!) dann ist das doch ein Schritt. Seien Sie doch zufrieden! Was wollen Sie denn? Ich bin nicht unzufrieden damit. Ich denke, die CDU in Hessen wird auch noch weiter dazulernen. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Ich bin gespannt auf die Beratungen in den Ausschüssen. Ich hoffe, dass das, was Frau Högl hier angekündigt hat, auch tatsächlich umgesetzt wird und der Entwurf der Bundesregierung hinsichtlich der Altfälle verändert und weiter verbessert wird. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Mutlu, der Kollege Reichenbach möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte. Gerold Reichenbach (SPD): Herr Kollege, können Sie mir die Logik Ihres Satzes von vorhin erklären? Auf der einen Seite sagen Sie, dass die Tatsache, dass die CDU in Hessen diesen großen Schritt gegangen ist, indem sie den Koalitionsvertrag unterschrieben hat, eine ganz enorme Leistung der Grünen sei. Auf der anderen Seite behaupten Sie, dass das Bestreben der SPD, die CDU auf Bundesebene zu diesem großen Schritt in Richtung der Position der SPD zu bewegen, eine kritikwürdige Leistung sei. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU] – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Deutlich erklären!) Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben in Hessen nicht gesagt, wir unterschreiben keinen Koalitionsvertrag, in dem nicht eine doppelte Staatsbürgerschaft enthalten ist. Das haben Sie gesagt. (Zuruf von der SPD: Oh! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: In Hessen war es wohl nicht so wichtig! – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Sie wollen das also gar nicht!) Wir kämpfen in Hessen weiterhin dafür. Aber ich bin Bundestagsabgeordneter, und ich bin gespannt auf die Debatten in den Ausschüssen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege Michael Frieser, dem ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir gerade eine Sternstunde der logischen Beweisführung erlebt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin gespannt, ob es uns gelingt, diese Debatte – damit greife ich ein Wort eines ehemaligen Bundespräsidenten auf – unverkrampft zu führen. Der Kollege hat gerade in seinem Beitrag einen etwas laxen Tonfall gewählt. Ich erlaube mir daher, angesichts der bevorstehenden Fußballweltmeisterschaft dieses vielleicht etwas laxe Bild vom Doppelpass zu wählen. Dieses taktische und strategische Mittel setzt mehrere Dinge voraus: Es muss genau zum richtigen Zeitpunkt sein, es muss zielgenau eingesetzt werden, und der Überblick muss gegeben sein. Nur dann funktioniert der Doppelpass. Ich als Vertreter der CDU/CSU habe keinerlei Gründe, die SPD von ihren Wahlkampfversprechen zu erlösen. Aber wenn eines richtig ist, dann doch wohl, dass in diesem Koalitionsvertrag die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit nicht nur angesprochen, sondern tatsächlich geregelt wird, und das mit Sicherheit nicht schlecht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die etwas marktschreierische Art, die wir heute hier erleben, ist der Sache nicht besonders dienlich. Natürlich war die Optionspflicht immer ein Kompromiss mit allen Nachteilen und Unwägbarkeiten. Vor allen Dingen war damit eine große Bürokratie verbunden. Uns geht es darum, dass man einerseits das Ganze nicht zu einem bürokratischen Monstrum aufbläst und andererseits die Menschen nicht in Loyalitätskonflikte bringt. Interessant ist das Ergebnis der Optionspflicht: Am Ende haben sich weit über 90 Prozent zur deutschen Staatsbürgerschaft bekannt und damit eine Confessio abgegeben: Jawohl, das will ich, das ist meine Entscheidung. Interessant ist weiterhin, dass es beim Staatsbürgerschaftrecht neben Staatsrecht und Staatslehre immer auch um eine Werte- und Kulturgemeinschaft geht. Die Linke macht es sich da ganz einfach. Sie drücken sozusagen „copy & paste“ und bringen die Bundesratsvorlage als Plagiat im Deutschen Bundestag ein. Dabei könnten Sie es sich noch einfacher machen, indem Sie das sagen, was Sie wollen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das tun wir doch!) Die Linke will die Abschaffung einer deutschen Staatsbürgerschaft. Dann sagen Sie es auch, wenn Sie es so meinen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wären wir alle staatenlos!) Dann sagen Sie auch, dass es für Sie ein überkommenes Modell ist, dass ein Bekenntnis zu diesem deutschen Staat nicht gewollt ist. Dann sagen Sie es aber auch so und verbergen es nicht hinter einer Kritik, die sich letztendlich in einem Werfen von Nebelkerzen abbildet. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich meine, dass wir bei der Frage, den Menschen in besonderen Ausnahmefällen eine doppelte Staatsbürgerschaft zuzubilligen, heute einen ganz großen Schritt weiter sind, weil wir mit einem Akt des Vertrauens auf die Menschen zugehen. Wir sagen: Sie haben durch fami-liäre Zugehörigkeit oder durch ein Aufwachsen hier den Beweis geführt. Es ist nicht irgendein Hirngespinst, sondern es ist ein Beleg, dass man in diesem Land Fuß gefasst hat, dass man seine Wurzeln gerade nicht kappt, dass man nicht vergessen muss, woher man kommt, dass man seine Identität nicht gegeneinander ausspielen muss. Es geht darum, dass man bezüglich seiner Vergangenheit und seiner Perspektiven Fuß gefasst hat, das heißt, dass man sich eine Zukunft in diesem Land, eine Zukunft mit den Menschen, eine Zukunft im Miteinander einer deutschen Kultur und Wertegemeinschaft vorstellen kann. Das bedeutet dieser heutige Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe bisher kein einziges Argument gehört, was diese Frage zum Einsturz brächte. Ich habe kein einziges Argument gehört, warum es falsch sein soll, zu erwarten, dass ein Mensch in diesem Land aufwächst, zur Schule geht und letztendlich auch Kontakte für seine Zukunft, seine Lebensperspektive knüpft. Es tut mir leid: kein einziges Argument. Es geht ausschließlich darum, dass wir von den Menschen, die mit einer Migrationsgeschichte, der Zuwanderung ihrer Familie in diesem Land sind, nicht eine Entscheidung verlangen. Natürlich sind es immer Kappungen, Fristen und Entscheidungsgrundlagen, die in Jahren, in bestimmten Akten fußen. Staatsbürgerschaftsrecht ist so. Das können wir mit der heutigen Diskussion nicht abschaffen. Letztendlich müssen wir immer noch deutlich machen: Die deutsche Staatsbürgerschaft ist etwas Wertvolles, und zwar im Sinne des Wortes: voll Werten. Das bedeutet auch, dass die Menschen wissen müssen, womit sie umzugehen haben. Hier bin ich bei dem Thema Integrationspolitik. Es gehört schon viel Chuzpe dazu, zu sagen, dass wir mit diesem Gesetz die Integrationspolitik verhindern oder behindern würden. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Integration als letzter Schritt zur Einbürgerung!) Seit einer Dekade, zehn Jahre hintereinander, wird der bundesdeutsche Haushalt bezüglich der Integrationskurse – im Haushalt des Innenministers – tatsächlich aufgestockt. Er wird aufgedoppelt. Wir legen ständig zu: Milliarde um Milliarde. Deshalb kann ich nur sagen: Wer am Ende des Tages behauptet, es sei ein integrationspolitischer Fehlakt, verkennt die Realität total. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Gegenteil. Integrationspolitisch muss man deutlich sagen: Wir wollen den Menschen eine Perspektive der Integration geben, weil sie bereits selber ein Bekenntnis abgelegt haben, indem sie in diesem Land aufwachsen und vor allem auch ausgebildet wurden, Kontakte geknüpft haben. Das bedeutet Integration. Ich muss aber den Menschen auch sagen, wohin sie sich integrieren sollen. Wenn diese Gesellschaft etwas komplett Beliebiges hat, wenn sie in ihrem Kern nicht mehr existiert, dann weiß der Betreffende eigentlich nicht mehr, ob es überhaupt einen Sinn hat, außer praktischen Gründen des Reisens und vielleicht ein bisschen Sicherheit, dass er im Ernstfall auch noch die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Es muss noch eine besondere Art und Weise sein, warum wir sagen: Eine doppelte Staatsbürgerschaft kann und soll zugelassen werden. Das bedeutet aber auch, dass wir an die Ausnahmen denken müssen. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll immer noch die Ausnahme sein, weil wir die Menschen trotzdem in einen Wettbewerb schicken. Wir schicken sie in einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Nationen und Abstammungen. Das kann auch sehr sinnvoll sein. Im Ergebnis sage ich am Ende des Tages: Natürlich hat es auch mit einem demografischen Faktor zu tun. Der Kollege Brandt hat es angeführt. Es geht hier nicht um die Frage der Quantität. Vielmehr geht es darum, dass die Menschen, die hier ausgebildet wurden, hier Abschlüsse gemacht haben, hier etwas gelernt haben, ihrerseits eine Bindung zu diesem Land entwickeln und sagen: Das, was diese Gesellschaft in mich investiert hat, diese Kenntnisse möchte ich versuchen, in sie einzubringen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Frieser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu? Michael Frieser (CDU/CSU): Ich dachte schon, ich hätte mich versehen. Bitte schön, Herr Kollege, stellen Sie Ihre Frage. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. Danke, Herr Frieser. – Ich habe eine ganz banale und kurze Frage. Ist Ihnen bekannt, dass in unserem Land bereits circa 5 Millionen Menschen einen Doppelpass haben und dass die Bundesrepublik Deutschland mit 53 Ländern dieser Erde sogenannte Abkommen zur doppelten Staatsangehörigkeit oder die Hinnahme der Mehrstaatigkeit vereinbart hat? Und warum sehen Sie vor diesem Hintergrund ein Problem darin, dass man diese Vereinbarungen auch auf den Rest der Menschen, die in unserem Land leben, ausweitet? Wovor haben Sie Angst? Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Kollege, schon der Begriff „Rest“ macht Ihre Haltung zu diesem Thema deutlich. Dass es die von -Ihnen genannten Vereinbarungen gibt, hat etwas mit der Historie unseres Landes zu tun. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte tun wir in vielen Einzelfällen gut daran, also zum Beispiel aus Sicherheitsgründen und -bedenken eine doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Dass wir in diesen Ausnahmefällen so etwas zulassen, heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass wir nun automatisch auch sofort akzeptieren, dass alle anderen in diesen Genuss kommen. Das wäre nichts anderes als Gleichmacherei, aber die Voraussetzungen für doppelte Staatsbürgerschaft sind da aus meiner Sicht nicht erfüllt. Zweiter Teil der Antwort: Gerade weil sich die Europäische Union als Kultur- und Wertegemeinschaft begreift, macht es Sinn, zu sagen: Wir nehmen doppelte Staatsbürgerschaften gegenseitig wirklich ernst. Tun Sie mir einen Gefallen: Mit Ihrer stilistischen Volte, mit der Reductio ad Absurdum, also indem Sie sagen, dass ich das jeweils übertriebe, haben Sie immer noch kein Argument dafür geliefert, warum die doppelte Staatsbürgerschaft nicht ein besonderer Akt bleiben soll, so wie das derzeit der Fall ist: In bestimmten Fällen wird gegebenenfalls die doppelte Staatsbürgerschaft verliehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das überzeugt nicht!) Liebe Kollegen, der entscheidende Punkt bleibt, dass wir die jungen Menschen, auch wenn wir ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen, dazu auffordern, mit ihren Wurzeln, mit ihren Kenntnissen, mit ihren Möglichkeiten und mit ihren Perspektiven in einen Wettbewerb zu treten. Wir ermöglichen den Menschen, ihre Herkunft in unser Land einzubringen, und wir hoffen, dass dabei der optimale Fall eintritt. Um bei dem Bild zu bleiben, das ich eingangs gebracht habe: Der schlechteste Fall wäre, dass ein Doppelpass im Nirgendwo verschwindet. Es wäre schade, wenn wir Menschen verlören, die bei der Gestaltung der Zukunft unseres Landes mithelfen und Perspektiven eröffnen könnten. Der beste Fall wäre, dass wir Brücken bauen, dass wir die Menschen tatsächlich zusammenbringen und dass sie sich mit all dem, was sie ausmacht, was sie können und was sie auch an Hoffnungen haben, in Deutschland einbringen – sogar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sie irgendwann die Entscheidung treffen, dass sie in unserem Land bleiben, sich einbringen und ihre Zukunft gestalten wollen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Rüdiger Veit [SPD]: Zu dem Beispiel klatsche ich!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Christina Kampmann, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nehmen wir einmal an, alles wäre anders, alles wäre irgendwie umgekehrt: Ich wäre als Kind deutscher Eltern in der Türkei geboren; die Türkei wäre Mitglied in der Europäischen Union, Deutschland nicht; und es gäbe dort genau wie hier das Optionsmodell; meine Eltern hätten in der Türkei einen kleinen Betrieb; und welche Staatsangehörigkeit ich habe, das hat mich eigentlich nie so wirklich interessiert – bis zu dem Tag, an dem die Behörde mir sagt, ich müsse mich entscheiden: für die eine oder für die andere Staatsangehörigkeit. In der Zeitung lese ich von einem Politiker mit einem britisch klingenden Namen. Er hat die türkische und die britische Staatsangehörigkeit. Seine Eltern kommen aus EU-Mitgliedstaaten, sagt man mir. Ganz schön ungerecht, finde ich. Wieso muss ich mich entscheiden und andere nicht? Ich frage bei der Behörde nach. Die sagen: Es geht um die Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Und ich frage mich: Warum geht es nur bei mir darum und nicht bei diesem Politiker? Ich habe gerade angefangen, zu studieren. Vielleicht möchte ich einmal als Ärztin in Deutschland arbeiten. Meine Großeltern haben dort einen Hof, und früher habe ich die Sommerferien dort verbracht. Auch dieser Ort ist irgendwie ein Teil von mir. Vielleicht möchte ich aber auch in der Türkei bleiben, eine Familie gründen und den Betrieb meiner Eltern übernehmen. – Aber weiß ich das jetzt, mit Anfang 20? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein fiktives Beispiel, das deutlich macht, vor welch schwierige Entscheidung wir junge Menschen mit der Optionspflicht stellen. Es ist vor allem eine Entscheidung, die Menschen, die hier geboren sind, in Bürger erster und zweiter Klasse unterteilt. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schaffen wir sie ab! Aber vollständig!) Wenn ich von erster und zweiter Klasse rede, dann geht es dabei nicht um Banalitäten, dann geht es um nichts Geringeres als um politische Teilhabe in dem Land, in dem diese Menschen leben, in dem sie arbeiten, in dem sie Steuern zahlen und dessen Gesetze sie zu respektieren haben, ohne dass sie in Form von Wahlen darüber entscheiden können – es sei denn, sie geben die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auf. Doch was sich vielleicht einfach anhört, ist es ganz und gar nicht; denn für die meisten Menschen ist die Staatsangehörigkeit viel mehr als ein Pass. Viele sind, auch wenn sie nicht dort leben, durch die Kultur ihres Landes stark geprägt. Sie verbinden damit Menschen, die ihnen etwas bedeuten, Freunde, Familie, vielleicht auch die Großeltern, und nicht selten verbinden sie damit auch ein zweites Zuhause, zu dem sie immer wieder gerne zurückkehren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viele gute Gründe, die für die Abschaffung der Optionspflicht sprechen. Der erste ist: Wir kommen zu einem Abbau von Bürokratie. Das ist in einem Land, in dem nicht gerade ein Mangel an Bürokratie herrscht, immer schon einmal ein richtig guter Grund, glaube ich. Der zweite ist: Mehrstaatigkeit ist in einer globalisierten Welt bereits gelebte Realität, und die funktioniert im Übrigen ganz wunderbar. Der dritte und damit wichtigste Grund ist, dass wir bis zu 36 000 jungen Menschen pro Jahr mit dieser Regelung helfen werden. So viele werden davon profitieren, und das finde ich richtig gut und wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Denn die Optionspflicht ist wie das Haar in der Suppe einer modernen Einwanderungsgesellschaft. Man könnte auch sagen: Sie ist wie die vier Tore des österreichischen FC Nationalrat in einem interparlamentarischen Fußballturnier für unseren FC Bundestag: Niemand will sie, niemand braucht sie. Deshalb ist es richtig, dass wir endlich eine Antwort gefunden haben, die nichts anderes als die Abschaffung der Optionspflicht bedeuten kann. (Beifall bei der SPD) Damit sind wir einen wichtigen Schritt weiter, wenn es darum geht, mehr Gerechtigkeit zu schaffen, wenn es darum geht, Menschen die Hand auszustrecken und einfach einmal zu sagen: „Schön, dass ihr da seid!“, und wenn es darum geht, zu respektieren, dass auch Menschen, die einen deutschen Pass haben, eine tiefe Verbindung zu einem anderen Land haben können, die sie zu Recht gar nicht aufgeben wollen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Ich bin stolz darauf, dass sich die SPD für die Abschaffung der Optionspflicht starkgemacht hat. Damit beenden wir einen langen Weg und bekennen uns endgültig zu unserem Dasein als Einwanderungsland. Und ich begrüße es außerordentlich, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen ebenso guten wie praktikablen Kompromiss gefunden haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, da haben Sie den Mund ja voll genommen!) Ich sage aber auch: Das ist nicht unser letzter Schritt, Herr Beck. (Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Koalitionsvertrag steht, es ist der letzte Schritt!) Die generelle Anerkennung der Mehrstaatigkeit bleibt das Ziel der SPD. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn?) Zunächst bin ich aber froh, dass wir einen Anfang gemacht haben, dass wir einen Weg gefunden haben, damit es für junge Menschen in Zukunft nicht mehr entweder – oder heißt, sondern einfach nur: Schön, dass du da bist, und hoffentlich bist du – ganz im Sinne der Band „Wir sind Helden“ – Gekommen um zu bleiben. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist für die CDU/CSU die Kollegin Erika Steinbach, der ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der CDU/CSU) Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kampmann hat völlig zu Recht gesagt: Für die meisten Menschen ist die Staatsangehörigkeit viel mehr als ein Pass. Das ist vollständig richtig. Vor dem Hintergrund haben wir uns auch gemeinsam entschieden, zu sagen: Die vorliegende Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes rüttelt nicht daran, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit weiterhin kein Normalfall sein sollte, vielmehr bleibt die doppelte Staatsangehörigkeit die Ausnahme. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausnahme mit 5 Millionen!) Wir wollen aber – auch gemeinsam – mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die hier geborenen Zuwandererkinder weitgehend nicht mehr in die emotional wirklich schwierige Situation bringen, sich spätestens zum 23. Lebensjahr entweder für die deutsche Staatsangehörigkeit oder für die ihrer Eltern entscheiden zu dürfen oder zu müssen – je nachdem, wie es der Einzelne -empfindet. Dazu müssen aber aus unserer Sicht Mindestanforderungen erfüllt sein, und darauf haben wir uns erfreulicherweise gemeinsam verständigen können. Ganz entscheidend ist für uns der Aspekt, dass eine Bindung an Deutschland, die über eine emotionale Bindung hinausgeht, erkennbar sein muss. Deswegen haben wir einen Kriterienkatalog aufgestellt. Die Pflicht, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden, entfällt mit der vorgesehenen Gesetzesänderung für die junge Generation, und zwar für die Kinder, die hier acht Jahre gelebt haben oder sechs Jahr zur Schule gegangen sind oder die Schule bzw. die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben. Eine Härtefallklausel für all die Fälle, die man nicht prognostizieren kann, zu denen aber jeder Mensch mit Vernunft sagt: „Das darf ja wohl nicht wahr sein, dass in diesem Fall keine Lösung möglich ist“, ist natürlich auch enthalten. Uns von der CDU/CSU ist also wichtig, dass mit der vorgesehenen Gesetzesänderung sichergestellt wird, dass bei denjenigen, die die doppelte Staatsbürgerschaft erlangen, eine Bindung an Deutschland erkennbar ist. Das halten wir für erforderlich und sinnvoll für dieses Land, für die Gemeinsamkeit in diesem Land. Die Betroffenen können die Frage, ob sie nach dem Gesetz in Deutschland aufgewachsen und damit von der Optionspflicht befreit sind, schon sehr früh, bereits mit Vollendung des achten Lebensjahrs, wenn sie acht Jahre lang hier gelebt haben, klären lassen. Das gibt ihnen Sicherheit, auch emotionale Sicherheit für die Zukunft; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) denn eine frühe Rechtssicherheit stabilisiert. Aus den Reihen der Opposition wird die Forderung nach einer grundsätzlichen Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft erhoben. Das wollen wir ausdrücklich nicht. Aber ich habe mich schon amüsiert, dass der -Redner der Grünen diesen Gesetzentwurf in Bausch und Bogen verdammt und gleichzeitig die hessische Landesregierung gelobt hat. Als Frankfurterin freue ich mich natürlich, dass die schwarz-grüne Landesregierung gelobt wird. Also, Herr Kollege, das, was Sie da losgelassen haben, war ein Bumerang. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht bei dieser gesetzlichen Regelung auch nicht um die grundsätzliche Neuordnung der Einbürgerungen, sondern tatsächlich ausschließlich um die hier geborenen und aufgewachsenen Menschen, die sich sonst als junge Erwachsene hätten entscheiden müssen, welche Staatsbürgerschaft sie fortan weiterführen wollen. Es geht also nicht um den generellen Doppelpass – allen, die solche Sorgen haben, sei das hier noch einmal deutlich gesagt. Zu einer völligen Gleichstellung – den Hinweis will ich auch noch geben – der Inhaber mehrerer Staatsangehörigkeiten mit den Menschen, die nur eine Staatsangehörigkeit haben, kommt es auch nicht. So ist etwa der -diplomatische und konsularische Schutz von Deutschen, die weitere Staatsangehörigkeiten besitzen, im Ausland eingeschränkt. Sie können sich beispielsweise gegenüber dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie auch noch besitzen, nicht auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berufen. Ich glaube, auch das ist ein Akt der Gerechtigkeit. Meine lieben Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir haben, wenn wir jetzt in die -Beratungen eintreten, eine gute Vorlage. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir sie gemeinschaftlich über die Rampe kriegen, und das auch noch vor der Sommerpause; daran würde mir liegen. Alles Gute! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzesentwürfe auf den Drucksachen 18/1312 und 18/1092 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu einen anderweitigen Vorschlag? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes (Klimaschutzgesetz – KlimaSchG) Drucksache 18/1612 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen Drucksache 18/1619 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen, der ich hiermit das Wort erteile. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Monaten wurde meine jüngste Enkeltochter geboren, die Hannah. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Danke schön. – Am vergangenen Samstag haben wir Taufe gefeiert. Was heißt das? (Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär: Christliche Erziehung!) Das heißt, Verantwortung zu übernehmen für eine gute Zukunft, und das heißt, sie vor Schaden zu bewahren. Ich bin ganz sicher, dass jeder von Ihnen in so einer Situation genauso denkt wie ich. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir sagen, wir wollen Verantwortung übernehmen in akuter Not, sondern es geht auch darum, langfristigen Schaden von diesen kleinen Krabbelkindern abzuwenden. Deshalb müssen wir heute und jetzt etwas gegen den Klimawandel unternehmen; denn diese Kleinen, auch Hannah, haben eine gute Chance, das nächste Jahrhundert zu erleben. Dann werden die Vorhersagen der Wissenschaftler eintreten. Dann werden die Schäden eingetreten sein. Wenn wir heute nicht handeln, dann hinterlassen wir diesen Kindern eine dramatische Bürde. Das wollen wir doch alle nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir haben zu Recht eine Schuldenbremse eingebaut, weil wir gesagt haben, wir wollen unsere Kinder nicht mit Schulden belasten. Aber wir müssen ebenso eine CO2-Bremse einbauen; denn ansonsten werden wir ihnen diese Schäden aufbürden. Der Punkt ist, dass nicht nur die Generation meiner Enkelkinder betroffen ist, sondern auch unsere eigene Generation. Vor einem Jahr haben wir hier über das Hochwasser an der Elbe und die dramatischen Schäden dort diskutiert. Von diesem Pult aus möchte ich sagen: Herzlichen Dank an die vielen Helfer! Danke für die große Solidarität, auch der Privatleute, die hingegangen sind und geholfen haben! Danke auch an Bund und Länder, die 8 Milliarden Euro Finanzhilfe gegeben haben, um die Schäden zu beseitigen. Das war gut, das war notwendig, und das war richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nicholas Stern sagt: Wir müssen etwas gegen den Klimawandel tun, ansonsten werden wir die Schäden nicht mehr bezahlen können. Die Wetterextreme kommen: Dürren, Fluten, Stürme. Das alles wird enorm viel Geld kosten, und es geht offensichtlich schneller, als wir alle gedacht und die Wissenschaftler vorhergesagt haben. Jetzt werden viele von Ihnen sagen: Ja, aber Deutschland tut doch so viel; sollen doch die anderen erst einmal was machen. Stimmt das wirklich? Schauen wir uns die Fakten an: In Deutschland haben wir pro Kopf einen Ausstoß von 10 Tonnen CO2 pro Jahr. Wie viele sind es in der EU? Gut 7 Tonnen. In Deutschland steigt der CO2-Ausstoß in den letzten zwei Jahren wieder und sinkt nicht. Wir nähern uns den Zielen des Kioto-Abkommens von der falschen Seite. Von daher müssen wir etwas tun. Deutschland ist auf den Klimakonferenzen nicht mehr der Vorreiter in der EU. Mittlerweile bewegen sich andere – zugegebenermaßen auf hohem Niveau. Aber die USA bewegen sich, und auch China muss sich bewegen, weil es so viele schmutzige Kohlekraftwerke hat, dass die Luft gesundheitsschädlich ist. Deshalb müssen auch wir in Deutschland uns bewegen. Das heißt: Deutschland muss aus der Braunkohlenutzung raus; sonst werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb empfand ich es als ein schlimmes Zeichen, dass dieser Tage das Kabinett in Brandenburg den Braunkohleplan genehmigt hat und damit dem Klimakiller Braunkohle für 40 weitere Jahre eine Bestandsgarantie gegeben hat. Das Umweltbundesamt warnt seit Jahren davor, dass wir das Ziel, die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, krachend verfehlen werden. Die neue Bundesministerin hat gesagt: Mit den jetzigen Maßnahmen werden es wohl nur 33 Prozent. – Experten sagen: Auch eine Reduktion um 33 Prozent werden wir nicht erreichen. Das werden eher unter 30 Prozent sein, die wir schaffen. Es wird gesagt, die Bundesministerin lege jetzt ein „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ auf, um etwas zu tun. Dieses Aktionsprogramm wird aber erst diskutiert. In der Zeit, in der es diskutiert wird, werden von anderen Ministerien schon wieder Fakten geschaffen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht nicht. Wenn Gabriel gleichzeitig den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie im neuen EEG ausbremst, dann heißt das nämlich nichts anderes, als dass er gegen den Klimaschutz handelt; denn der Ausbau der erneuerbaren Energien ist die erfolgreichste Klimaschutzmaßnahme überhaupt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Energieeffizienz kommt nicht vom Fleck. Das ist bei den Gebäuden so, aber auch bei der schmutzigen Braunkohle. Diese boomt, weil der Emissionshandel nicht funktioniert. Die Krönung war der Vorschlag, den Eigenverbrauch der schmutzigen Braunkohle von der EEG-Umlage auszunehmen, aber Eigenverbrauch von Photovoltaik bezahlen zu lassen. Ich finde ja interessant, dass Gabriel von diesem Vorschlag schon heute ein Stück abrückt, aber ich bin einmal gespannt, was am Ende herauskommt. Vielleicht ist das aber auch unter dem Druck der Anhörung geschehen, in der die Experten ja gesagt haben: Den Klimakiller Braunkohle zu befreien und die Photovoltaik zu belasten, ist absolut unsinnig; so etwas Verrücktes habe ich selten gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir legen deshalb unser Klimaschutzgesetz vor. Wir wollen damit nicht nur langfristig Ziele erreichen, sondern auch Kontrolle, Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Vor allen Dingen wollen wir eines: Wir wollen einen Mindestpreis für CO2; denn die Klimakiller müssen für das, was sie tun, auch bezahlen. Wir wollen es so machen wie in Großbritannien, den Niederlanden und Schweden: Der Ausstoß von CO2 muss etwas kosten. Wir müssen an die Ursachen ran, um das hinzubekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Meine Enkeltochter Hannah und ihre Krabbelgruppe werden irgendwann einmal erwachsen sein. Dann werden sie uns fragen: Warum habt ihr eigentlich nicht anders gehandelt? Die Wissenschaftler haben euch die Fakten auf den Tisch gelegt, und es wäre eure Verantwortung gewesen, uns diese Schäden nicht zuzumuten. – Deshalb ist es, glaube ich, Zeit, nicht nur in Sonntagsreden für den Klimaschutz zu sprechen, sondern endlich auch an Werktagen für den Klimaschutz zu handeln. Wir legen deswegen heute ein Gesetz vor, das Klimaschutz verbindlich macht, ein grünes Klimaschutzgesetz. Lasst uns darüber diskutieren! Ein Vertreter des IPCC hat bei der Vorstellung des jüngsten IPCC-Berichtes gesagt: „Es kostet nicht die Welt, unseren Planeten zu retten“. Ich füge hinzu: „Aber es kostet unsere Existenz, wenn wir nichts tun.“ In dem Sinne: Lasst uns über Instrumente diskutieren, damit wir unsere Kinder und Enkelkinder vor den Schäden bewahren, die wir ansonsten anrichten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Dr. Anja Weisgerber. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute zu beobachten. Dies hat der letzte Bericht des Weltklimarates vor Augen geführt. Deshalb sind wir uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass wir einen ambitionierten Klimaschutz brauchen und auch wollen. Deutschland hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Wir wollen bis 2020 40 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie auch etwas dafür!) Das ist doppelt so viel, wie sich die EU bis 2020 vorgenommen hat. Nach aktuellen Prognosen – Frau Höhn hat es erwähnt – werden wir ohne zusätzliche Anstrengungen aber nur 33 bis 35 Prozent erreichen; diesbezüglich gibt es unterschiedliche Meinungen bei den Experten. Um diese Lücke zu schließen – das zu der Frage, ob wir etwas dafür tun –, arbeiten wir gerade an einem „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“. Umweltministerin Hendricks hat im April Eckpunkte dazu vorgelegt. Die Verabschiedung des Aktionsprogramms ist für November dieses Jahres geplant. Darüber hinaus will die Bundesregierung 2016 einen nationalen „Klimaschutzplan 2050“ verabschieden. Darin sollen dann Zwischenziele für die Zeit nach 2020 zum Erreichen des langfristigen Klimaschutzziels, das ja sehr ehrgeizig ist – bis 2050 80 bis 95 Prozent Treib-hausgasminderung –, enthalten sein. In den Eckpunkten zum Aktionsprogramm werden für sämtliche relevanten Sektoren von der Energiewirtschaft über die Industrie, den Verkehr, die Kreislaufwirtschaft bis hin zur Landwirtschaft mögliche Maßnahmen aufgezeigt. In einem umfangreichen Dialogprozess werden diese jetzt gemeinsam mit allen betroffenen Ressorts – das ist auch wichtig, dass alle Ressorts eingebunden werden –, den Bundesländern und den Verbänden konkret erarbeitet und festgelegt. Sie sehen, meine Damen und Herren, die Bundesregierung handelt und schlägt ganz konkrete Klimaschutzmaßnahmen vor. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD]) Da die Energiewirtschaft der Sektor mit den höchsten Treibhausgasemissionen und den größten Minderungspotenzialen ist, werde ich mich im Folgenden darauf konzentrieren. Das, was in diesem Bereich am meisten zur Treibhausgasminderung beiträgt, sind der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, der Emissionshandel und die Steigerung der Energieeffizienz, die auch im Sektor Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen eine große Rolle spielt. Sehr große Einsparpotenziale gibt es in Deutschland im Gebäudebereich. Dort fallen rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO2-Emissionen an. Deshalb setzen wir weiterhin durch zahlreiche Programme der KfW Anreize zu energieeffizientem Bauen. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren. Aber – ich werde nicht müde, es zu erwähnen –: Daneben brauchen wir auch die steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in die Gebäudesanierung. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja zustimmen!) Da sind auch die Bundesländer in der Pflicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen muss auch der Emissionshandel leisten. Deshalb machen wir uns auch auf europäischer Ebene für eine Reform des Emissionshandels stark. Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und Umweltministerin Hendricks kämpfen in Brüssel dafür, dass der Emissionshandel durch eine Reform wieder flottgemacht wird. Dann werden umweltfreundliche Kraftwerke wie zum Beispiel moderne Gaskraftwerke endlich wieder eine faire Chance auf den Märkten erhalten. Das ist ganz wichtig zur Treibhausgasemissionsminderung. Wir setzen uns sogar an die Spitze der Bewegung für diesen Reformprozess und fordern diese Reform schon für einen Zeitraum vor 2020. Diskutieren müssen wir auch darüber – Sie haben angeregt, dass wir diskutieren –, wie wir jetzt diese Reform machen, wie die Reform ganz konkret aussehen soll. Lassen Sie uns doch darüber sprechen! Ein Mindestpreis, wie die Grünen und die Linke ihn vorschlagen, ist meiner Meinung nach nicht der Schlüssel zu einem funktionierenden Emissionshandel. Der Vorschlag der Einführung einer sogenannten Marktstabilitätsreserve, der jetzt auf dem Tisch liegt, also automatisch ab einer bestimmten Schwelle Zertifikate aus dem Markt zu nehmen oder auch wieder in den Markt zu geben, ist meiner Meinung nach eine gute Basis, auf der wir aufbauen können. Sie sehen also: Wir handeln, und wir liegen auch in unseren Absichten gar nicht so weit auseinander. Ob Klimaschutzgesetz oder „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ und „Klimaschutzplan 2050“: Das Einzige, was meiner Meinung nach zählt, ist das Ergebnis. Das Wie, also wie man dort hinkommt, ob über ein Gesetz oder ein Aktionsprogramm, sollte an dieser Stelle im Sinne der Sache nachrangig sein. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das eine hängt mit dem anderen zusammen!) Meine Damen und Herren, wir diskutieren heute über Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland, aber alleine können wir die Welt nicht retten. Deshalb müssen wir den Klimaschutz auf europäischer und auf globaler Ebene weiter vorantreiben. (Zurufe des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wie unsere Bundeskanzlerin gestern in ihrer Regierungserklärung sagte: Wir müssen alles daransetzen, dass Lima und dann Paris Erfolge werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir als europäische Staaten an einem Strang ziehen und gemeinsam mit ambitionierten Zielen nach Paris fahren. Genau dafür setzt sich Deutschland aktuell in Brüssel weiterhin mit aller Kraft ein wie auch für die Beibehaltung der bewährten Zieltrias. Dabei sollten wir die Bundeskanzlerin und die Umweltministerin bestärken, statt alles schlechtzureden, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden nichts schlecht!) Wenn Deutschland und Europa weiterhin so ehrgeizig voranschreiten, dann könnte es gelingen, dass die anderen Staaten außerhalb Europas von uns mitgerissen werden und endlich auch mehr Verantwortung übernehmen. Ich freue mich sehr darüber, dass in den letzten Tagen positive Signale aus den USA kamen. US-Präsident Obama hat eine für sein Land noch nie dagewesene Klimarevolution angestoßen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat angekündigt – das ist auch entscheidend –, Deutschland wird seine G-7- bzw. G-8-Präsidentschaft auch nutzen, um international dafür zu werben, dass wir bei den Klimaverhandlungen wirklich vorankommen. Dies kann – Frau Höhn, Sie haben das schon einmal erwähnt – entscheidend dazu beitragen, dass die internationalen Klimaverhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Deshalb begrüße ich diese Ankündigung von Angela Merkel besonders. Meine Damen und Herren, die nächsten Monate werden entscheidend dafür sein, wie es mit dem Klimaschutz weitergeht. Die Wahrnehmung, die Sie von unserer Klimapolitik haben, ist nicht die gleiche wie die, die die Welt von ihr hat. Das erkennt man auch an so manchen Aussagen. Zum Beispiel hat US-Präsident Obama vor einigen Jahren an der Siegessäule hier in Berlin gesagt, dass er die Treibhausgasminderung mit der gleichen Ernsthaftigkeit angehen möchte wie wir Deutschen. Lassen Sie uns bei all den Unterschieden in den Details gemeinsam mutig voranschreiten, damit Deutschland und Europa bei der Klimakonferenz in Paris der große Wurf gelingt! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin für die Linken ist die Kollegin Eva Bulling-Schröter. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute auf Antrag der Grünen über Klimaschutz sprechen, ist gut und richtig. Es ist wichtig, dass wir trotz zunehmender sozialer Verwerfungen in Deutschland, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, wo denn?) trotz Euro-Krise und trotz internationaler Konflikte weiter über den Klimaschutz reden. Dieses wichtige Thema darf nicht in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. (Beifall bei der LINKEN) Die Diskussionen darüber, wie mehr effektiver Klimaschutz ohne den Verlust von Arbeitsplätzen und ohne zu hohe Energiepreise zu schaffen ist, sind natürlich nicht neu. Ich weiß sehr gut, wovon ich rede und wie dick die Bretter sind, die wir zu bohren haben. Seit Mitte der 90er-Jahre setze ich mich im Bundestag für nachhaltiges Wirtschaften ein und werbe auf internationalen Konferenzen für globalen Klimaschutz. Der Antrag der Grünen geht aus unserer Sicht ganz klar in die richtige Richtung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bindende Verpflichtungen statt Klima-Wischiwaschi, genau das ist das Motto der Stunde. Denn wenn nationale Ziele zur CO2-Reduktion per Gesetz festgeschrieben werden und es zu Verstößen gegen definierte Klimazielzusagen kommt, sind die politisch Verantwortlichen klar zum Handeln gezwungen. Dann können sie sich gerade nicht hinter reinen Absichtserklärungen verstecken, über die sich die Kohlelobby bisher genüsslich hinweggesetzt hat. Immer mehr Menschen begreifen, dass der Klimawandel bereits Tatsache ist. Das weiß übrigens auch die Bundesregierung, die uns in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu Klimaflüchtlingen bestätigt hat, dass 2012 weltweit über 31 Millionen Klimavertriebene gezählt wurden. Über 31 Millionen! Tätig werden will man im Kanzleramt aber nicht, etwa den rechtlichen Schutzstatus für Klimaflüchtlinge verbessern, so wie wir uns das wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber nicht nur aus humanitären, sondern besonders auch aus realwirtschaftlichen Gründen, die vor unserer eigenen Haustür eine Rolle spielen, ist mehr Klimaschutz angesagt. Schenkt man dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Glauben, so kommen bei „business as usual“ bis zum Jahr 2050 Folgekosten des Klimawandels in Höhe von 800 Milliarden Euro auf unsere Volkswirtschaft zu; das sind keine Peanuts. Allein 300 Milliarden Euro davon entstehen übrigens durch erhöhte Energiepreise, hier vor allem für private Haushalte. Auch der jüngste Klimasachstandsbericht der Vereinten Nationen kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Entscheidung der Bundeskanzlerin, nicht zum Klimagipfel der Regierungschefs nach New York zu fahren, halte ich da natürlich für ein Unding; ich denke, Sie auch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer über Klimaschutz redet, der muss natürlich auch über Energie reden. Weltweit ist die Energiegewinnung für zwei Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich. In Deutschland kommt weiterhin fast jede zweite Kilowattstunde aus Braun- und Steinkohle. Die Energiewende ist die beste Medizin gegen den voranschreitenden Klimawandel. Allein durch den Ausbau der Energie aus Wind, Sonne und Biogas konnten für das Jahr 2012 über 145 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Fast ein Drittel des Bruttoenergieverbrauchs stammt heute aus erneuerbaren Energien. Hunderttausende Arbeitsplätze werden in dieser Branche gesichert. Investitionen in Milliardenhöhe sorgen für ökologischen Wohlstand. Wer es mit dem Klimaschutz also ernst meint, der muss den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ganz oben auf die Agenda setzen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat dazu einen Antrag zu einem Kohleausstiegsgesetz vorbereitet; denn nur über eine saubere Energieversorgung ist echter Klimaschutz möglich – sei es in Brandenburg oder in Nordrhein-Westfalen. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Frank Schwabe von der SPD das Wort. (Beifall bei der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sag mal was zum EEG!) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen lieben Dank an die Grünen – zum einen für die Fleißarbeit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) was ja auch hilfreich für weitere Beratungen ist, und zum anderen dafür, dass wir hier noch einmal über die Klimaschutzpolitik in Deutschland und darüber hinaus resümieren und auch ausblicken können. Wenn man sich die Phasen der Klimaschutzpolitik anguckt – ich rede jetzt nur von diesem Jahrhundert –, dann kann man, glaube ich, feststellen, dass die Klimaschutzpolitik zum Anfang dieses Jahrhunderts sehr engagiert war. Die Hochphase lag zwischen 2003 und 2008, die sicherlich auch durch neue Erkenntnisse angeheizt wurde, die wir auf internationaler Ebene über die Auswirkungen des Klimawandels gewonnen hatten. Ich muss leider sagen, dass in den Jahren 2009 bis 2013 – das kann der Koalitionspartner ja auf die FDP schieben – (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, kann er nicht!) auf diesem Gebiet nicht sehr viel passiert ist, sondern – diesen Eindruck habe ich – eher Rückschritte zu verzeichnen waren. Gerade auf europäischer Ebene haben wir den Klimaschutz eher blockiert als vorangetrieben. Das führt mich zum Jahr 2015. Es wird Sie nicht verwundern, dass ich finde, dass wir gerade dabei sind, zu einer konsolidierten deutschen Klimaschutzpolitik zurückzufinden. Dafür will ich hier der Ministerin Barbara Hendricks ausdrücklich danken, die jetzt bei den Verhandlungen in Bonn ist. (Beifall bei der SPD) Das war im Übrigen auch dringend notwendig – zumindest aus zweierlei Gründen: Erstens ist eine konsolidierte deutsche Klimaschutzpolitik aufgrund der Erkenntnisse des Weltklimarats notwendig: Der Klimawandel schreitet voran, er ist menschengemacht, er bringt Not und Elend über viele Menschen und Regionen auf der Welt, und – das ist die vierte und vielleicht wichtigste Erkenntnis – wir können zu relativ überschaubaren Preisen etwas dagegen tun. Deshalb müssen wir handeln. Zweitens ist es notwendig, zu einer konsolidierten deutschen Klimaschutzpolitik zu kommen, weil es entgegen einer Fehlwahrnehmung, der wir, glaube ich, auch in der Öffentlichkeit in Deutschland unterliegen, sehr wohl Veränderungen auf der Welt gibt. Das bildet sich noch nicht immer in internationalen Prozessen ab. Noch verpflichten sich in den internationalen Verträgen nicht genügend Länder zu einer ambitionierten Klimaschutzpolitik, aber in den Ländern geschieht eine ganze Menge, zum Beispiel beim Ausbau der erneuerbaren Energien – übrigens orientiert an der Bundesrepublik Deutschland. Die Kollegin Baerbock, die Vizepräsidentin und meine Wenigkeit reisen gleich zu einer Konferenz nach Mexiko City. Dort werden wir die deutsche Politik im Bereich der erneuerbaren Energien international präsentieren. Andere Länder haben sich in den letzten Jahren schon daran orientiert und werden das, glaube ich, auch in den nächsten Jahren tun. Wir sehen zum Beispiel auch in China enorme Veränderungen. Es gibt gerade Hinweise darauf, dass im nächsten Fünfjahresplan ab 2016 feste Treibhausgas-obergrenzen – das wäre eine Revolution – für China festgelegt werden sollen. Wer das Land ein bisschen kennt, der weiß, dass das Thema „Umwelt und Auswirkungen von Umweltverschmutzung“ eines der zentralen Themen, wenn nicht sogar das zentrale Thema, in der Volksrepublik China ist. Über die USA ist ja gerade schon gesprochen worden. Mit dem, was Obama jetzt vorgelegt hat, hat er nur ein Versprechen eingelöst, das er der Weltgemeinschaft gegeben hat. Das ist hochinteressant. Ich komme gleich noch auf einzelne Maßnahmen zu sprechen. Klimaschutz ist nicht nur eine Frage des Umweltschutzes, sondern auch eine Frage der Technologieführerschaft. Wenn man sich die Kommentare zu dem anguckt, was Obama jetzt angestoßen hat, dann sieht man, dass Technologieführerschaft ein wichtiges Thema ist. Es ist auch die Frage, welche Rolle ein Land international spielen will und spielen kann. Deswegen will ich die Frau Bundeskanzlerin an einer Stelle ein bisschen kritisieren: Ich jedenfalls habe nicht verstanden – vielleicht erklärt sie es noch einmal –, warum sie nicht an dem Ban-Ki-moon-Gipfel in New York teilnimmt. (Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will sie aber ausdrücklich dafür loben, dass sie gesagt hat, sie werde das Thema Klimaschutz – das ist nicht das erste Mal – zu einem zentralen Thema der G-8- oder G-7-Präsidentschaft – was auch immer es ist – machen. Es ist richtig und gut, dass dort entsprechender Druck aufgebaut wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es ist gut und richtig, dass diese Bundesregierung mit der Ministerin an der Spitze in wenigen Wochen und Monaten zwei Dinge erreicht hat: Erstens. Wir sind in der EU wieder zu einem eher führenden Land in Sachen Klimaschutz geworden. Zweitens. Deutschland macht sich ehrlich in der Frage: Wie weit sind wir im Bereich des Klimaschutzes hinsichtlich der Zielerreichung? Zur Europäischen Union. Es sind nur wenige Tage vergangen, bis es Deutschland – auch dank der guten Absprachen zwischen Ministerin Hendricks und Minister Gabriel – gelungen ist, auf europäischer Ebene beim Thema Emissionshandelsreform und hinsichtlich der Ziele für das Jahr 2030 zu guten Regelungen und Positionen zu kommen. Es gibt innerhalb der Europäischen Union drei Ziele – das jedenfalls ist die Position der Bundesrepublik Deutschland – für das Jahr 2030: Die CO2-Reduktion soll mindestens 40 Prozent betragen. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bei 30 Prozent liegen. Die Energieeffizienz – ich finde, der diesbezügliche Vorschlag der Unionsfraktion ist sehr gut und sollte von der Bundesregierung aufgegriffen werden – soll bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent verbessert werden. Ohne Zweifel – das kann wohl niemand bestreiten – sind wir damit wieder am progressiven Ende der Europäischen Union angelangt. All das wurde auf europäischer Ebene erreicht. Was wurde in Deutschland erreicht? Deutschland macht sich ehrlich, habe ich gerade gesagt. Wir alle gemeinsam haben hier im Deutschen Bundestag bezüglich der CO2-Reduktion ein 40-Prozent-Ziel beschlossen. Es ist gerade schon festgestellt worden: Wir sind noch längst nicht dabei, dieses Ziel zu erreichen, sondern wir liegen bei 33 Prozent, vielleicht noch weniger. Leider ist es so, dass es seit dem Meseberger Programm von 2007 kein vernünftiges Programm mehr gegeben hat, um sich der Herausforderung des Klimaschutzes umfassend zu stellen. Deswegen ist es richtig, dass die Ministerin deutlich gemacht hat: Es soll – ich will es einmal so nennen – ein mittelfristiges Sofortprogramm bis zum Ende des Jahres geben – (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ich nenne das einmal Meseberg II –, um in diesem Jahr wirklich zu konkreten Veränderungen und Verbesserungen zu kommen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn ein „mittelfristiges Sofortprogramm“? Erkläre uns das bitte!) Ich will ausdrücklich die Kollegin Weisgerber unterstützen: All das ist nicht die Aufgabe einer Ministerin. Nicht nur eine Ministerin ist für Klimaschutz zuständig, (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die ganze Bundesregierung!) sondern es ist die Aufgabe aller Ministerien, hierzu ihren Beitrag zu leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei wäre die Unterstützung des ganzen Hauses sinnvoll. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die anderen Minister dürfen das nicht konterkarieren!) Es soll ein Klimaschutzgesetz geben – man könnte es auch „Klimaschutz mit Gesetzescharakter“ nennen –, weil wir eben wissen müssen – ich glaube, das ist der Kardinalfehler der letzten Jahre gewesen –: Wo stehen wir eigentlich bei der Zielerreichung? Ambitionierte Ziele haben wir uns gegeben, aber bei der Zielerreichung wird es kompliziert. Deswegen sage ich: Wir brauchen so etwas wie ein KEÜG. Eigentlich brauchen wir kein Klimaschutzgesetz, sondern ein Klimaschutz-Erreichungs-Überprüfungs-Gesetz. Mit einem solchen Gesetz wissen wir immer: Wo stehen wir gerade? Da lobe ich noch einmal die grüne Fraktion: Das, was von ihr vorgelegt wurde, ist zumindest eine Möglichkeit, sich in den nächsten Monaten in die lebendige Debatte einzubringen. Vor einer Debatte werden wir uns alle nicht drücken können – das will ich hier ganz offen sagen –: Wenn wir das Ziel, die CO2-Emissionen in Deutschland um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, ernst nehmen, dann müssen wir sehen, dass die Hälfte davon über den Emissionshandel erreicht werden müsste, im Bereich der Kraftwerke und im Bereich der Industrie. Ich will ausdrücklich sagen, dass dies innerhalb der SPD noch nicht ausdiskutiert ist. Aber es ist wohl klar – das müssen wir alle feststellen –: Der Emissionshandel sendet im Moment nicht ausreichend Signale, um dieses Ziel zu erreichen. Aus meiner Sicht gibt es hier, wenn wir ehrlich damit umgehen, vier Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit ist: Wir werden das 40-Prozent-Ziel nicht erreichen. Ein Scheitern wollen wir aber verhindern; darin sind wir uns einig. Wir haben im Deutschen Bundestag festgelegt, dass wir dieses Ziel erreichen wollen. Die zweite Möglichkeit ist: Wir müssen in den Bereichen, die der Emissionshandel nicht umfasst, mehr leisten, also im Verkehrsbereich oder im Landwirtschafts-bereich. Ich glaube, wir wissen alle: Es ist ziemlich unrealistisch, das zu erreichen. Die dritte Möglichkeit ist, dass wir den Emissionshandel in der Tat wieder flottmachen. Dafür bleibt aber nicht viel Zeit. Das können wir nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Möglicherweise können wir ihn auch dadurch flottmachen, dass wir auf nationaler Ebene komplementäre Maßnahmen, wie ich es einmal nennen will, ergreifen. Die vierte Möglichkeit wäre, dass wir zu der Auffassung kommen, der Emissionshandel reicht nicht als Regulierungsinstrument, sondern wir müssen uns auch der Frage des Kraftwerksparks widmen. Dann werden wir über das diskutieren müssen, was gerade in den USA im Bereich der Effizienzziele gemacht wird. Wenn wir das alles nicht tun und die Dinge einfach laufen lassen, dann werden wir am Ende die Ziele verfehlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Kopf in den Sand zu stecken, wird nicht funktionieren. Das ist keine Lösung. Wenn man mit Menschen aus allen Teilen der Welt spricht – das werden wir ja in den nächsten Tagen wieder tun –, dann merkt man, welche dramatischen Auswirkungen der Klimawandel hat und welche Verantwortung wir haben. Wir haben die Lösungsmöglichkeiten durchaus in der Hand, um anders zu wirtschaften und Energie auf andere Weise zu produzieren. Es ist unsere Verantwortung, das wahrzunehmen, und das sollten wir im deutschen Parlament gemeinsam tun. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Herlind Gundelach von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute neben dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Etablierung eines Klimaschutzgesetzes, zu dem meine Kollegin Weisgerber schon ausführlich Stellung genommen hat, erneut einen Antrag der Grünen zur Energieeffizienz. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien, den wir mit der Novelle des EEG auf stabile Füße stellen, zählt die Energieeffizienz zweifellos zu den tragenden Säulen der Energiewende. Dessen sind sich die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen wohl bewusst. Derzeit stehen wir aber aufgrund des Beihilfeverfahrens unter dem Zugzwang, die EEG-Novelle bis zur Sommerpause verabschiedet zu haben, weil sonst die Besondere Ausgleichsregelung für die energieintensiven Betriebe im nächsten Jahr nicht mehr greift. Daher haben wir uns zunächst auf das EEG konzentriert. Vor genau drei Jahren, nämlich am 6. Juni 2011, haben wir eine Energiewende beschlossen. Bei dieser Energiewende geht es eben nicht nur um die Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromversorgung. Insoweit liegen Sie mit dem Thema Ihres Antrags absolut richtig. Das unterstreicht aber auch schon der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht!) der die Verbesserung der Energieeffizienz als zweite wichtige Säule für den Umbau der Energieversorgung in Deutschland beschreibt. Dabei brauchen wir einen sektorübergreifenden Ansatz, der Gebäude, Industrie, Verkehr, Gewerbe und private Haushalte gleichermaßen umfasst. Außerdem müssen wir Strom, Wärme und Kälte ebenfalls in den Blick nehmen, und zwar gemeinsam. Daher haben wir bereits konkrete Ziele im Koalitionsvertrag festgelegt, die Sie ganz offensichtlich unterstützen. Denn bei genauem Lesen Ihres Antrags fällt auf, dass Sie viele unserer Forderungen in Ihren Antrag aufgenommen haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wunderbar! Dann machen wir das doch!) Wenn ich daraus den Schluss ziehen darf, dass Sie uns bei der Umsetzung dieser Ziele tatkräftig unterstützen, würde mich das sehr freuen; im Interesse der Sache wäre es übrigens auch geboten. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich daher einige Punkte aus dem Koalitionsvertrag nennen. Wir wollen einen Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz vorlegen, und zwar in der zweiten Jahreshälfte. Wir wollen die KfW-Programme aufstocken, verstetigen und vereinfachen. Wir wollen eine unabhängige Energieberatung fördern und kostenlose Energieberatung für Haushalte mit niedrigen Einkommen ausbauen. Wir wollen auf europäischer Ebene anspruchsvolle Standards durchsetzen und gegebenenfalls in dem einen oder anderen Punkt Forerunner sein, und wir brauchen eine bessere Kennzeichnung von Produkten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Was mich dann allerdings doch wieder etwas nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass Sie uns Untätigkeit unterstellen, nur weil die konkreten Vorschläge den Bundestag noch nicht erreicht haben. Den Grund dafür habe ich Ihnen schon erklärt. Wir haben uns entschieden, sorgfältig vorzugehen und keine Schnellschüsse ins Land abzufeuern. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das höre ich seit acht Jahren!) Ich kann Ihnen aber versichern, dass sowohl in der Regierung als auch in den Fraktionen bereits seit vielen Monaten an Ideen gearbeitet wird; wir werden sie in den nächsten Monaten und Jahren hier sicherlich intensiv debattieren. Nun aber zur Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie: Ich finde, Sie zeichnen in Ihrem Antrag ein sehr dramatisches Bild und verzerren damit die Realität. Die EU-Energieeffizienzrichtlinie ist am 4. Dezember 2012 in Kraft getreten, und sie soll von den Mitgliedstaaten bis zum Juni dieses Jahres umgesetzt werden. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis heute! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau heute!) – Genau. – Die Frist ist aus meiner Sicht sehr ambitioniert. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch zugestimmt!) So haben beileibe noch nicht alle Länder die Richtlinie vollständig umgesetzt. Wir stehen da nicht alleine. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wohl ein Witz!) Hinzu kommen bei uns – ich denke, das muss man auch ins Kalkül ziehen – eine Bundestagswahl und eine Regierungsneubildung mit sorgfältigen Koalitionsverhandlungen, die ebenfalls Zeit beansprucht haben. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert in anderen Ländern auch!) Es ist außerdem gut nachvollziehbar, dass der neue Minister in dem von ihm vorzulegenden Maßnahmenkatalog seine Handschrift wiederfinden will. Im Übrigen – das übersehen Sie völlig – sind Teile der Energieeffi-zienzrichtlinie bei uns schon geltendes Recht. So sind die Artikel 9 bis 11 beispielsweise weitestgehend umgesetzt. Außerdem stimmt es nicht, dass Deutschland bei seinen Reduktionszielen und Effizienzzielen weit hinterherhinkt. So steigern wir seit 1990 die Endenergieproduktivität jährlich um ungefähr 1,8 Prozent. Wir haben kontinuierlich unsere Ausgaben für die Förderung der Energieeffizienz beispielsweise im Gebäudebereich aufgestockt und verstetigt. Wir haben noch nie zuvor so viel Geld für die Förderung der energetischen Gebäudesanierung ausgegeben wie heute. Aber ich stimme Ihnen zu: Man kann noch mehr tun, und wir werden auch noch mehr tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich mache nun seit über 25 Jahren Umwelt- und Energiepolitik. Für viele Fachleute ist Energieeffizienz schon immer ein schlafender Riese gewesen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen ihn weiter schlafen!) Deshalb bin ich froh, dass dieses Thema endlich die Öffentlichkeit erreicht hat und entsprechende Aufmerksamkeit vorhanden ist. Mit Sorge sehe ich aber die von der EU-Richtlinie vorgesehenen Energieeffizienzverpflichtungssysteme. Hier verfolgen wir ausdrücklich einen anderen Ansatz und setzen auf Anreize, Beratung und Förderung; denn staatlicher Zwang bringt gerade an den Stellen, wo Eigentum und persönliches Handeln tangiert sind, in der Regel wenig, wie wir in den letzten Jahren bei vielen Projekten deutlich erfahren mussten. Ganz im Gegenteil: Die Menschen suchen nach Auswegen, um die Maßnahmen nicht durchführen zu müssen, oder sie verschieben sie auf der Zeitachse. Auch bürokratische Monster, wie sie in Ihrem Antrag durchschimmern, sind der Effizienz in der Regel nicht förderlich. Effizienzfortschritte und Effizienzsteigerungen sind auf eine gut ausgebaute Forschungslandschaft angewiesen. Daher ist es notwendig, dass die Forschungsgelder im Bereich der Energieeffizienz weiterhin auf dem hohen Niveau gehalten werden, auf dem sie sich befinden. Ich plädiere sogar ausdrücklich dafür, sie zu steigern. In diesem Zusammenhang ist es auch notwendig, dafür zu sorgen, dass in Deutschland endlich die Forschungsleistungen von Unternehmen steuerlich geltend gemacht werden können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir alle wissen, dass gerade im privaten Bereich noch erhebliche Effizienzen zu stemmen sind. Smart Grid und Smart Metering bergen hier große Potenziale; denn mit ihnen kann der Energieeinsatz auch im privaten Bereich optimal gestaltet werden. Auf die energetische Gebäudesanierung ist meine Kollegin schon eingegangen; ich kann das nur noch nachträglich unterstützen. Glücklicherweise haben wir in Deutschland bereits gut funktionierende Strukturen im Energiedienstleistungsmarkt. Auch diese müssen wir nutzen und mit Vernunft und Augenmaß an die Sache herangehen. Vernunft und Augenmaß, das wiederum führt mich zurück zu Ihrem Antrag. Wie bereits gesagt: Sie sprechen zum Teil durchaus sinnvolle Maßnahmen an und haben marktwirtschaftliche Ansätze, was bei Ihnen normalerweise nicht so häufig vorkommt. Dennoch bietet Ihr Antrag auch blanken Aktionismus, nach dem Motto „Viel hilft viel“. Aber das ist bei der Förderung der Energieeffizienz so nicht immer richtig. Betrachtet man beispielsweise die deutschen Förderprogramme, dann stellt man fest: Hier gibt es für die Bürgerinnen und Bürger inzwischen eine so große Bandbreite, dass viele die Förderung gar nicht mehr durchschauen und deswegen gar nichts machen. Das kann auch nicht Sinn der Übung sein; denn mehr Geld bringt nichts, wenn es nicht abgerufen wird. Hingegen unterstütze ich Ihre Forderung nach mehr Informations- und Aufklärungsarbeit. Wir haben bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir die unabhängige Energieberatung fördern werden und die kostenlose Energieberatung für Haushalte mit niedrigen Einkommen ausbauen möchten; denn es ist uns allen doch bewusst, dass der Rebound-Effekt eines unserer größten Probleme ist. Dem können wir nur durch gute Informa-tionsarbeit begegnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Energieeffizienz ist kosteneffektiv, verbessert die Energieversorgungssicherheit und hilft, Emissionen zu senken. Deshalb kann Energieeffizienz in mancherlei Hinsicht als Europas größte Energieressource betrachtet werden. Ich lade Sie gerne ein, gemeinsam mit uns an diesem Projekt zu arbeiten, allerdings realistisch, innovationsoffen und nicht ideologisch. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Caren Lay das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, dann müssen wir heute auch über das Thema der energetischen Gebäudesanierung sprechen; denn die energetische Gebäudesanierung – das wissen viele – ist der ungehobene Schatz beim Thema Energieeinsparung. (Beifall bei der LINKEN) Hier fällt fast ein Drittel der Treibhausgase an. Das heißt, wir müssen das Tempo bei der Sanierung anziehen, vor allen Dingen beim Bestand. Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, dann müssen doppelt so viele Häuser saniert werden, wie es derzeit der Fall ist. Das ist die eine Seite. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die andere Frage ist, wer das Ganze bezahlen soll. In der gegenwärtigen Situation tragen die Kosten dafür fast ausschließlich die Mieterinnen und Mieter. Modernisierung – das wissen Sie – ist eine der zentralen Ursachen für die Vertreibung aus den Innenstädten, weil sich die Menschen ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Wenn Sie die Zeitung aufschlagen, dann finden Sie Beispiele hier aus der Nähe. In Berlin-Prenzlauer Berg soll ein Haus saniert werden. Die Mieterinnen und Mieter sollen nachher fast eine Verdreifachung ihrer Mieten hinnehmen. So etwas müssen wir unterbinden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen brauchen wir zum einen eine wirkliche Änderung der Modernisierungsumlage für Mieterinnen und Mieter. Es muss sich auch die öffentliche Hand an diesen Kosten beteiligen. Dafür brauchen wir eine andere Finanzierung. Wenn wir uns die Lücke ansehen, die zwischen den Kosten der Sanierung auf der einen Seite und den Einsparungen bei den Heizkosten auf der anderen Seite besteht, dann stellen wir fest, dass es sich um einen Betrag von 5 bis 9 Milliarden Euro handelt. Das heißt, dass das Gebäudesanierungsprogramm mit 1,5 Milliarden Euro viel zu niedrig angesetzt ist. Wir fordern deswegen gemeinsam mit vielen Expertinnen und Experten eine Aufstockung auf 5 Milliarden Euro. (Beifall bei der LINKEN) Wir können das Thema Klimawandel und das Thema energetische Gebäudesanierung nur anpacken, wenn wir auch Menschen mit geringem Einkommen mitnehmen. Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld muss wieder eingeführt werden. Schwarz-Gelb hat ihn in der letzten Legislatur mit der abenteuerlichen Begründung abgeschafft, die Heizkosten seien gesunken. Schauen Sie sich einmal Ihre eigenen Zahlen an! Auf meine Anfrage zu dem Thema wurde geantwortet, sie seien in fünf Jahren um fast 24 Prozent gestiegen. Wenn wir den Heizkostenzuschuss beim Wohngeld wieder einführen, dann müssen wir eine Klimakomponente hinzufügen; denn mit einer solchen Klimakomponente bekommen wir eine Gebäudesanierung hin, die ökologisch und sozial ist. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn wir über Klimaschutz reden, dann sollten wir in der Tat auch über das aktuelle Thema EEG-Umlage und Industrieprivilegien sprechen. Frau Kollegin Gundelach, ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe, als Sie gesagt haben, man dürfe hier keine Schnellschüsse machen; denn die EEG-Novelle, die der Minister vorgelegt hat, ist ein solcher Schnellschuss. Kommen wir zum Thema Industrieprivilegien. In der derzeitigen Form sind und bleiben die Industrieprivilegien eine Einladung zur Energieverschwendung. Das dürfen wir überhaupt nicht mitmachen, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist gestern in der Anhörung klar geworden: Die Effizienzkriterien sind viel zu schwach. Wir sagen: Wir wollen eine deutliche Reduzierung der Industrieprivilegien, und wir wollen Privilegien nur dort, wo wirklich verbindliche, klare und anspruchsvolle Einsparpläne vorliegen. Ansonsten können diese Privilegien der Großindustrie überhaupt nicht gewährt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die EEG-Novelle geht insgesamt in die völlig falsche Richtung. Der Ausbaudeckel für die erneuerbaren Energien, die Direktvermarktung, die Ausschreibungspflicht – das alles wird die erneuerbaren Energien ausbremsen. Das alles ist dem Klimaschutz überhaupt nicht förderlich. Wir müssen alles tun, um dieses EEG zu ändern. Das Beste wäre, Sie zögen diese Novelle zurück; denn mit dieser Novelle gehen Sie in die völlig falsche Richtung. Das Gegenteil wäre richtig. Wir müssen alles tun, um die erneuerbaren Energien zu fördern, damit wir schnellstmöglich aus Kohle- und Atomenergie herauskommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Dann kann die Linke in Brandenburg ja schon mal anfangen!) Klimaschutz ist keine Ökospinnerei, er ist auch kein Hippiethema, er ist für viele Menschen schon jetzt eine knallharte Existenzfrage. Deswegen müssen wir uns deutlich mehr anstrengen. Das geht nicht so nebenbei nach dem Motto „Noch 148 Mails checken und dann mal schnell die Welt retten“. Hier müssen wir deutlich mehr tun. Deswegen unterstützen wir diese Anträge. Ich freue mich auf die weitere Debatte zum Klimaschutz und auch zum EEG. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nina Scheer das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass uns der Antrag der Grünen „Die Energiewende durch Energieeffizienz -voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen“ nun vorliegt, da darin Handlungsbedarfe angesprochen werden, wodurch wir alle aufgefordert werden, tätig zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Ich möchte voranschicken, dass die im Antrag enthaltene Unterstellung, die Regierung sei untätig bzw. auf diesem Gebiet sei noch nichts passiert, so nicht zutrifft. Wir wissen alle – darauf hat auch die Kollegin Gundelach hingewiesen –, dass ein Regierungswechsel stattgefunden hat, dass gewisse Neuordnungen in den Ministerien stattfinden mussten und dass wir mit der EEG-Novelle derzeit ein großes Projekt zu bewältigen haben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das Gegenteil von Klimaschutz!) Insofern ist vielleicht erwähnenswert, dass selbst in der EEG-Novelle im Kontext der Besonderen Ausgleichsregelung ein Passus enthalten ist, der zwar nicht im Sinne der Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie zu werten ist – so ist es in der Begründung auch nicht dargestellt –, der aber sehr wohl anklingen lässt, dass Energieeffizienzbemühungen ernsthaft aufgegriffen werden. In dieser Novelle ist zum ersten Mal die Einführung von vollwertigen Energie- und Umweltmanagementsystemen verbindlich verankert, so wie es der Antrag der Grünen verlangt. Wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung verabschiedet wird, werden solche Systeme kommen. Man sieht daran: Das ist eine Neuauflage von Energieeffizienzpolitik, wie sie mit dem Regierungswechsel möglich wird. Ich denke, wir sollten das als ersten Schritt in diese Richtung anerkennen und die nächsten Schritte in diesem Sinne entschlossen vollziehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klar ist auch – das sieht man auch an den von mir gerade erwähnten Punkten –, dass wir keine Erkenntnis-lücken haben. Uns allen ist klar, dass wir unsere Energieeffizienzziele nicht infrage stellen dürfen, auch wenn wir uns darüber bewusst sind, dass es in diesem Zusammenhang Umsetzungslücken gibt. Selbst wenn die Umsetzungslücken schwierig zu schließen sind, so ist trotzdem eindeutig, dass das Ganze eine Herausforderung und keine Offenbarung ist, dass wir diese Aufgabe einfach zu bewältigen haben. Ich denke, das werden wir hier nicht infrage stellen. Von meiner Seite wird das jedenfalls nicht geschehen. Damit spreche ich mit Sicherheit auch für die Bundesregierung, unsere Koalition und für meine Fraktion. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wäre ich mir nicht so sicher!) Ein kurzer Überblick: Seit den 90er-Jahren ist durch Studien belegt, welche Handlungsaufforderungen an uns formuliert sind. Es gibt Studien über Studien – etwa vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie; neuere Studien stammen von der Agora Energiewende –, die nachweisen, welche Effizienzmaßnahmen wir ergreifen müssen bzw. inwieweit wir die Energieeffizienz steigern und Ressourcen schonen müssen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Insofern gibt es kein Erkenntnisdefizit. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein Handlungsdefizit!) – Es ist ein Handlungsdefizit; das habe ich eingestanden. – Ich denke schon, dass es wichtig ist, sich deutlich zu machen, was für Schritte man nun zu gehen hat. Zwar ist schnell von einem Handlungsdefizit gesprochen; damit ist aber noch keine Zielerreichung in Sicht, und man hat damit noch keine Umsetzungsschritte definiert. Wichtig ist also, dass wir uns noch einmal vergegenwärtigen, was die Chancen von Energieeffizienz-maßnahmen sind. Häufig wird darüber folgendermaßen diskutiert: Verzicht tut weh, Verzicht ist nichts Schönes. Dass Energieeinsparmaßnahmen natürlich einen Benefit für die Gesellschaft bedeuten, dass Energieeinsparmaßnahmen in den Wertschöpfungskreisläufen und mit Blick auf die Ressourcenschonung langfristig ein Benefit sind, muss uns noch stärker bewusst werden. Ein typisches Phänomen von Langfristpolitiken, wie ich sie gerne nenne, ist, dass sie, anders als kurzfristige Maßnahmen, erst langfristig effektiv sind; erst die langfristig erzielten Benefits verschaffen uns Erfolge. Grundsätzlich sind die damit verbundenen politischen Herausforderungen nicht so einfach zu bewältigen, weil die Umsetzung der Maßnahmen kurzfristig manchmal unbequem ist. Sich unbequeme Maßnahmen vorzunehmen, ist in der Vergangenheit unzulänglich geschehen. Aber ich denke, wir haben mit den Beispielen, die genannt wurden, die ersten Schritte dargelegt, woraus man erkennen kann, dass das ernsthaft aufgegriffen wird. Klar ist auch, dass mit Energieeffizienzmaßnahmen eine soziale Aufgabe wahrgenommen wird. Sie vermindern das Risiko von Energiearmut. Es ist natürlich auch klar, dass der Weg hin zu einem vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien damit verkürzt wird. Wir sollten dabei in den Mittelpunkt stellen, dass die Umsetzungsdiskrepanz – davon sprechen wir ja – -Beschleunigung in der politischen Umsetzung verlangt. Sonst bräuchten wir nicht von einer Diskrepanz zu sprechen; sonst käme die Umsetzung ja von allein. Die Diskrepanz fordert also Beschleunigung. Das heißt, dass die Politik gefordert ist, wie es auch die Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie verlangt. Der Staat ist gefordert. Das müssen wir als Chance begreifen, als Chance, die Langfristziele zu erreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn der Staat eine aktiv gestaltende Rolle einnehmen möchte, darf er nicht einfach nur auf freiwillige Vereinbarungen, auf Selbstverpflichtungen der Industrie setzen – das hat in der Vergangenheit nicht gereicht –, sondern er muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, die Effizienzinvestitionen ermöglichen. Effizienzinvestitionen sind meist sehr kostenintensiv und amortisieren sich erst nach längerer Zeit. Insofern müssen wir uns auch ehrlich die Frage stellen: Welche Schritte sind wir bereit zu tun? Ist das nur über das Ordnungsrecht zu machen, oder sind es eher monetäre Anreize, die wir geben müssen? Bei den -monetären Anreizen ist die Frage: Regulieren wir Mengen oder Preise? Es ist weiterhin in der Koalition und natürlich auch in der Bundesregierung im ersten Schritt die Frage zu diskutieren, ob die monetären Anreize ausschließlich aus Haushaltsmitteln oder auch aus haushaltsunabhängigen Mitteln gegeben werden können. Zur Erschließung zusätzlicher Finanzierungsquellen möchte ich erwähnen, dass die OECD kürzlich auf eine Schwäche in unserem Steuersystem hingewiesen hat. Ich finde, das sollten wir ernst nehmen. Die OECD hat angemahnt, dass in Deutschland ein ausgewogenes, sozial -inklusives und umweltfreundliches langfristiges Wachstum die Zielvorgabe sein sollte. Das sehe ich auch als Aufforderung an uns im Parlament, für eine sozialökologische Transformation im Steuersystem zu sorgen. Hervorzuheben ist hierbei auch, dass von der OECD Steuervergünstigungen für umweltschädliche Aktivitäten negativ vermerkt wurden. In diesem Zusammenhang finde ich es gut, dass Bundesminister Sigmar Gabriel das schon aufgegriffen hat und die umweltschädlichen Dienstwagenvergünstigungen unter die Lupe nehmen möchte. (Beifall bei der SPD) Zum Schluss noch ganz kurz: Eine sehr große Herausforderung – das ist ein alter Hut; aber die Frage, wie wir damit umgehen, ist nach wie vor ungelöst – ist der Rebound-Effekt. Wir alle wissen: Nach Energieeinsparerfolgen kommt es meist zu einem gesteigerten -Verbrauch. Ganz klar muss sein, dass es hier eine Ausgewogenheit geben muss zwischen Energiepreisen und Energieeffizienzgewinnen. Die Effekte der beiden Komponenten müssen sich die Waage halten, müssen sich ausgleichen, sodass sich als Endwirkung von Energieeinsparmaßnahmen und –effizienzmaßnahmen tatsächlich ein Erfolg erzielen lässt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht noch ein letzter Schlusssatz, wenn mir das erlaubt ist. – Ich möchte noch eine Brücke zu den drei E der Energiewende schlagen. Energieeffizienz und Energieeinsparung, das ist im Kontext der Energiewende zu sehen. Die Energiewende gibt uns eine Chance. Das haben wir auch in der Regierungserklärung von Angela Merkel gestern gehört, in der auf den Erfolg beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor – 25 Prozent – hingewiesen wurde. Hier geht es darum, dass sich eine daran aktiv beteiligte Bevölkerung dessen bewusst wird. Nur eine aktiv beteiligte Bevölkerung hat die Möglichkeit, Know-how zu sammeln und die Initiativen und die Motivation zu entwickeln, um auch im Energieeffizienzbereich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Auf dieser Grundlage bitte ich uns alle, uns diesem wichtigen Thema erneut zu widmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Julia Verlinden das Wort. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein schlechter Tag für den Klimaschutz und auch für die Energiewende. Es ist ein schlechter Tag für wirtschaftliche Innovationen in Deutschland. Denn heute ist der Stichtag, zu dem die EU-Energieeffizienzrichtlinie hätte umgesetzt werden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Doch außer Sonntagsreden hat die Bundesregierung nichts vorzuweisen. Ich sage Ihnen: Sie hätten schon längst handeln müssen. Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission schreibt in ihrer Stellungnahme zum Energiewende-Monitoringbericht, dass zwei Drittel der CO2-Minderung über die Energieeinsparung erreicht werden müssen. In einer Befragung im Rahmen des Eurobarometers sagen über 90 Prozent der Europäerinnen und Europäer, dass die Regierungen Energieeffizienzmaßnahmen unterstützen sollten. Leider scheint diese Erkenntnis immer noch nicht bei Ihnen angekommen zu sein, Frau Zypries. Die Bundesregierung brüstet sich ja gerne damit, dass Deutschland Effizienzweltmeister sei. Doch den Weltmeistertitel kann Deutschland nur verteidigen, wenn die Regierung jetzt nicht die Füße hochlegt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Weltmeisterschaften kann man eben nur mit kontinuierlichem Training, klugen Strategien und schneller Reaktion gewinnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Thema Effizienz – das haben schon viele Vorredner gesagt – würden so viele Akteure profitieren: die Unternehmen, die Effizienztechniken entwickeln, und das Handwerk, zum Beispiel bei der energetischen Gebäudesanierung, die schon angesprochen wurde, und auch bei der Installation von Hocheffizienztechnologien gerade in den kleinen und mittelständischen Betrieben. Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Kommunen, die unter den hohen Energiekosten leiden, sie alle würden von einer ambitionierten Energieeffizienzpolitik profitieren. Deshalb verlange ich das jetzt von Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bis 2020 könnten laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung 150 000 neue Jobs durch Energieeffizienz geschaffen werden. Zusätzlich würden jährlich 45 Millionen Tonnen CO2 vermieden und rund 10 Milliarden Euro Energiekosten eingespart. Während die Europäische Union den Zieleinlauf für das Energiesparwettrennen heute schon schließt – heute ist die Deadline –, ist Deutschland noch nicht einmal losgelaufen. Herr Gabriel hat den Startschuss nicht gehört und setzt damit leichtfertig die eigenen Energiewendeziele aufs Spiel. Die Große Koalition bremst also den Klimaschutz aus. Obendrein riskiert die Regierung ein Vertragsverletzungsverfahren aus Brüssel wegen Untätigkeit beim Energiesparen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!) Dabei ist doch klar: Je früher wir in Energiespartechnik und Effizienz investieren, desto höher fällt am Ende die Dividende aus, desto weniger müssen Haushalte und Industrie für teure Energieimporte bezahlen. Deswegen ist es grob fahrlässig, wenn die Energieeffizienzrichtlinie jetzt nicht zügig umgesetzt wird und wir keine vernünftige Energieeffizienzpolitik von Ihnen bekommen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Hansjörg Durz von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle in diesem Hause wollen die Klimaschutzziele erreichen. Darüber herrscht Einigkeit. Daher bekennen wir uns ausdrücklich zum 20-20-20-Ziel in den Bereichen Treibhausgasreduktion, Ausbau der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Der Verpflichtung, in Deutschland die Effizienz um 20 Prozent zu steigern, kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Auch wenn beim Thema Energiewende im Fokus der öffentlichen Diskussion seit langem und aktuell im Besonderen der Ausbau der erneuerbaren Energien steht, so wird bei Betrachtung der Energieverbrauchsstruktur in Deutschland deutlich, dass Strom eben nur ein Fünftel ausmacht. Einen größeren Anteil an Energie, nämlich ein Drittel, verbrauchen wir für Verkehr; den größten Anteil, nämlich die Hälfte, macht die Wärme aus. Damit wird deutlich, welche Bedeutung der Energieeffizienz zukommt, aber auch, wie vielschichtig das Thema ist. Andererseits sind die Einsparpotenziale riesig. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts bietet sich EU-weit ein wirtschaftliches Einsparpotenzial von 41 Prozent bis 2030. Insofern verstehe ich den Ansatz der zwei Vorlagen, die wir heute beraten, als Chance, die Bedeutung der Energieeffizienz zu bekräftigen und in einer Phase, in der die Novelle des EEG das alles beherrschende Thema der Energiepolitik in unseren Sitzungen und Gesprächen sowie in der öffentlichen Wahrnehmung ist, darzustellen, welche Bedeutung Effizienzsteigerung und Einsparungen haben bzw. bekommen müssen. (Beifall der Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU] und Marco Bülow [SPD]) Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Wirtschaft, öffentliche Hand und private Verbraucher deutlich mehr als bisher zu Energieeffizienzmaßnahmen motiviert werden. Die Fragen, die wir uns in diesem Zusammenhang immer wieder stellen sollten, sind: Wie schaffen wir es, das Thema Energieeffizienz besser in den Köpfen der Menschen zu verankern? Wie setzen wir Anreize, vor allem solche, die finanzierbar sind? Mit der Energiewende geht Deutschland einen Weg, den kein anderes Land der Welt einschlägt. Klimaschutz darf aber an Ländergrenzen nicht haltmachen, sondern muss gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn und in enger Abstimmung umgesetzt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass die Energieeffizienzmaßnahmen auf europäischer Ebene angegangen werden. Deshalb ist die europäische Energieeffizienzrichtlinie auch der richtige Weg. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wird sie nicht umgesetzt!) Allerdings lässt sich die Umsetzung der Energieeffi-zienzrichtlinie nicht wie eine Checkliste stur nach Schema F abhandeln. Es handelt sich um eine Richtlinie, die ein sehr breites Spektrum energiepolitischer Bereiche betrifft, deren Umsetzung in nationales Recht durch unterschiedliche Normen geregelt wird. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung intensiv daran arbeitet, die Richtlinie so umzusetzen, dass die nationalen und europäisch verabredeten Ziele auch erreicht werden können. Aber dies geschieht nicht anhand eines einzigen nationalen Gesetzes, sondern durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die Richtlinie sieht eine solche alternative Vorgehensweise ausdrücklich vor, was wir begrüßen. Die Einführung von Einsparverpflichtungssystemen, wie es die Richtlinie auch ermöglicht, ist für uns definitiv keine Lösung. Wir dürfen nicht riskieren, dass in Konsequenz der Umsetzung der EED etwa die Energiepreise weiter steigen oder mehr Bürokratie aufgebaut wird. Wir wollen vor allem kein System, das auf Zwang oder Bevormundung basiert. Statt starrer Vorgaben brauchen wir flexible Lösungen. Die Branche für Energieeffizienzprodukte und dienstleistungen in Deutschland hat sich enorm entwickelt und verzeichnet einen starken Zuwachs. Ein Umsatz von 162 Milliarden Euro und die Tatsache, dass dort 800 000 Menschen tätig sind, verdeutlichen das Potenzial, welches das Thema Energieeffizienz auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hat. Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung nimmt unser heimisches Handwerk ein; das ist bereits erwähnt worden. Nicht nur große Konzerne, sondern insbesondere die kleinen und mittelständischen Betriebe haben sich diesem Thema verschrieben. Bei jedem Unternehmensbesuch in meinem Wahlkreis erlebe ich, wie sehr dieses Thema im unternehmerischen Bewusstsein an Bedeutung gewonnen hat. Allein aufgrund der Entwicklung der Energiekosten ist es für jedes Unternehmen unerlässlich, die Effizienz des Energieverbrauchs zu steigern. Dabei wird immer auch deutlich, dass es nicht die Lösung gibt, sondern ganz individuelle Ansätze, auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten. So wird in der Praxis immer wieder deutlich, warum in Deutschland Erstaunliches gelungen ist: Während die Wirtschaftsleistung in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugelegt hat, ist der Energieverbrauch gleichzeitig gesunken. Aber auch in den Privathaushalten ist das Thema Effizienz längst angekommen, weil uns allen klar ist, dass wir in diesem Bereich deutlich mehr tun müssen. Fast 90 Prozent des Energieverbrauchs eines privaten Haushaltes in Deutschland werden für Heizung und Warmwasser verwendet. Hier besteht ein riesiges Einspar-potenzial, das durch bessere Dämmung und effizientere Heizungen gehoben werden kann. Wie können wir die Menschen motivieren, dies zu tun? Die Politik hat zuallererst die Aufgabe, zu informieren und aufzuklären sowie ein Bewusstsein für Effizienz und Energieeinsparung zu schaffen. Es entspricht dabei unserem Gesellschaftsbild, dieses Bewusstsein nicht durch Zwang oder durch von oben gesteuerte Auflagen zu schärfen, sondern durch Anreize. Die Energieeffizienzrichtlinie lässt neben den genannten Energieeinsparverpflichtungssystemen den Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit, die Zielvorgaben durch alternative Maßnahmen zu erreichen. Der von uns gewählte marktorientierte Ansatz ist sicher der schwierigere, aber der richtige. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das auch!) – Das machen wir. – Mit einem vielfältigen Maßnahmenmix sorgen wir für Aufmerksamkeit und Sensibilisierung, Information und Motivation, setzen aber auch Vorhaben zu Beratung, Finanzierung und Förderung um. Wir werden an der Politik der Anreize festhalten und bereits bestehende und bewährte Fördersysteme vorantreiben, so wie wir es im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. So wollen wir zum Beispiel die Mittel für das KfW-Programm zur energetischen Gebäudesanierung aufstocken und das Programm verstetigen und deutlich vereinfachen. Allein das CO2-Gebäudesanierungsprogramm 2012 bis 2014 ist ein bedeutender Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz. Schon jetzt bietet es Unternehmen und privaten Haushalten vielfältige Möglichkeiten, Unterstützung bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen zu erhalten. Wir müssen die Maßnahmen aber auch ausbauen und verstetigen. Wir müssen auch alles daransetzen, die schon jetzt vorhandenen Mittel und Möglichkeiten noch besser zu kommunizieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie kritisieren, dass die Richtlinie noch nicht fristgerecht umgesetzt ist. Das ist nachvollziehbar, Ihr gutes Recht und letztlich auch die Aufgabe der Opposition. Entscheidend ist aber vor allem, was bis 2020 gegenüber 2008 konkret umgesetzt ist. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine ist doch die Voraussetzung für das andere!) Das ist schon heute einiges – zugegeben: noch nicht ausreichend –, hätte aber mit Ihrer Unterstützung bereits in der letzten Legislaturperiode deutlich mehr sein können. Ich denke da an das Scheitern der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung im Bundesrat. (Beifall bei der CDU/CSU) Energieeffizienz ist eine Schlüsselfrage im Rahmen der Energiewende. Wir müssen hier unsere gemeinsamen Anstrengungen deutlich verstärken. Ich bin gespannt auf die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers zur Umsetzung der Richtlinie, die uns sicher bald vorliegen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! Da warten wir schon seit Jahren drauf! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es kaum noch erwarten!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Carsten Müller von der CDU/CSU das Wort. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat eines gezeigt: Was das Ziel an sich angeht, sind wir hier im Hause eng beieinander; allerdings gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie man das Ziel konkret und am besten erreichen kann. Ich persönlich begrüße es beispielsweise ausdrücklich, dass wir das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 auf den Weg bringen und damit ein fest anvisiertes Ziel erreichen wollen. Ich halte es auch für einen wesentlichen Baustein, dass es 2016, darauf aufbauend, einen nationalen Klimaschutzplan 2050 geben wird, in dem die Langfristziele festgeschrieben werden sollen, zum Beispiel – ein kleiner Ausblick –, dass wir bis 2050 die Treibhausgasemissionen um bis zu 95 Prozent abgesenkt sehen wollen. Der Beratungsprozess zu diesem ambitionierten Programm, auch über die langfristigen Ziele, läuft. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Vorschläge, die die Grünen sowohl in ihrem heute eingebrachten Antrag als auch in ihrem heute eingebrachten Gesetzentwurf gemacht haben, zum Teil berücksichtigt werden können. Auf jeden Fall werden sie die Diskussion beleben. Wir sind uns Gott sei Dank völlig einig darüber, dass wir die Treibhausgasemissionen absenken und erneuerbare Energien ausbauen wollen. Verschiedentlich hat mich die Diskussion leider an eine vorweggenommene EEG-Debatte erinnert. Aber, ehrlich gesagt, das ist für die Debatte über die Energieeffizienz und für die Fokussierung auf das wichtige Thema der Energieeffizienz nicht immer hilfreich. Wir haben auch weitgehende Einigkeit darüber erzielt, dass die Energieeffizienz gesteigert werden muss. Wir brauchen hierzu – und das ist der CDU/CSU-Fraktion besonders wichtig – ein eigenständiges verpflichtendes Ziel, nämlich eine Verbesserung der Energieeffizienz um 40 Prozent bis zum Jahr 2030. Dass das Thema für die CDU/CSU-Fraktion nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, zeigt sich beispielsweise daran, dass die Unionsfraktion hierzu einen eigenen Arbeitskreis gegründet hat, der vor einigen wenigen Wochen mit durchaus ambitionierten Zielen an die Öffentlichkeit getreten ist und – was mich besonders freut – eine außerordentlich belebende Wirkung auf die Bundesministerin Hendricks gehabt hat, die sich relativ schnell, daran orientierend, neu positioniert hat. An dieser Stelle möchte ich ein ausdrückliches Dankeschön an die Bundesregierung richten, verbunden mit dem Zuruf an Herrn Gabriel und an Frau Hendricks, zu diesen ambitionierten Zielen, über die wir hier Einigkeit erzielen, auf EU-Ebene kluge Verhandlungen zu führen und sie im Ergebnis durchzusetzen. Meine Damen und Herren, fest steht: Wirksamer Klimaschutz gelingt nur, wenn wir der Energieverschwendung Einhalt gebieten. Dieser Tage passiert auf diesem Gebiet einiges Bemerkenswertes – ich sehe das nicht annähernd so schwarz wie meine Kollegin Verlinden –, weil wir beispielsweise nicht nur darüber diskutieren, welche Menge an Geld wir dafür vorsehen, sondern eben auch darüber, wie wir dieses Geld effizient einsetzen. Ich finde es gut, dass, nachdem beispielsweise der VKU, die DENEFF und auch der BUND schon vor einigen Jahren wettbewerbliche Modelle im Bereich der Energieeffizienz in die Diskussion gebracht haben, mittlerweile, in der letzten Woche, auch die dena diesen von ihr einstmals sehr kritisierten Weg als richtig erkannt hat. Ich glaube, das hat eine enorm belebende Wirkung auf die Anstrengungen, die wir unternehmen wollen. Die Anstrengungen sind erheblich. Bis 2020 müssen wir noch 1 500 Petajoule einsparen, um der EU-Energieeffizienzrichtlinie Rechnung tragen zu können. Dafür brauchen wir mehr Anstrengungen. Es ist in den Vorreden schon eine ganze Menge Richtiges erwähnt worden. Wir müssen das also ganzheitlich in Angriff nehmen. Wir brauchen den Blick auf die Energiewirtschaft: Wie erzeugt sie Energie, wie transportiert sie sie? Wir müssen der Industrie Anreize zur Energieeffizienz geben. Gewerbe und Handel sind angesprochen worden, die Landwirtschaft ist eine wichtige Säule, die wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Der Verkehr und die privaten Haushalte haben hier zum Teil Erwähnung gefunden. Deswegen – ich habe es eben erwähnt – haben wir uns in der Unionsfraktion intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Wir brauchen Ziele und Anreize – das hat mein Vorredner Durz richtigerweise gesagt –, beispielsweise für Hausbesitzer und Unternehmer. Wir haben einen ganzen Strauß von Maßnahmen, die wir kurzfristig umsetzen oder ausbauen wollen: Wir wollen die KfW-Mittel für die energetische Gebäudesanierung aufstocken, verstetigen und Investitionssicherheit geben sowie energetische Investitionen der Haus- und Eigenheimbesitzer steuerlich fördern – ein leider in der letzten Legislaturperiode nicht zum Erfolg geführtes Projekt. Wir brauchen einen aussagefähigen Energieausweis; auch da gibt es im Moment konkrete Überlegungen. Wir müssen darauf achten – da bin ich zuversichtlich –, dass wir die aus meiner Sicht ganz wichtige Kraft-Wärme-Kopplung zum Beispiel im Rahmen der EEG-Novelle nicht verunmöglichen. Wir müssen – das hat der Kollege Schwabe richtigerweise angesprochen – dazu kommen, dass formulierte Energieeffizienzanforderungen an die Industrie schließlich auch überprüft und nachgehalten werden. Das ist ein wichtiger Baustein. Da sind wir uns Gott sei Dank in diesem Haus auch weitgehend einig. Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend noch ein Blick auf einige ganz wesentliche Punkte. Wenn wir uns über Klimaschutz und Energieeffizienz-politik unterhalten, dann sprechen wir immer auch über Wirtschaftspolitik. Es arbeiten bereits heute 800 000 Beschäftigte in der Energieeffizienzbranche in Deutschland, stark bzw. überdurchschnittlich aufwachsend. Die Produkte, die diese 800 000 Menschen herstellen, können zum Exportschlager werden, sind es zum Teil auch schon. Ein wichtiger Punkt, der zu meiner Überraschung in dieser Diskussion noch nicht angesprochen worden ist, ist, dass uns Energieeffizienz und das Einsparen von Energie unabhängiger von Energieimporten machen. Das berührt nicht nur die Diskussion um Gasimporte aus Russland, sondern es gilt generell, weil wir das Geld, das wir jetzt für die Energiebeschaffung einsetzen, viel sinnvoller im örtlichen Handwerk einsetzen könnten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenngleich heute dem Antrag der Grünen und dem Gesetzentwurf wegen verschiedener Details die Zustimmung versagt bleiben muss, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie würden doch sicher supergern zustimmen! Seien Sie doch ehrlich!) so hat doch die bisherige Diskussion und insbesondere die Nachsichtigkeit der Frau Präsidentin bei leichter Überschreitung der Redezeiten gezeigt, dass es eine wichtige Debatte war und dass wir uns ganz wesentlich einig sind. Ich erinnere mich insbesondere daran – und das mit Freude; dafür nutze ich die letzte Überschreitung der Redezeit gerne –, dass sich Vertreter aller Fraktionen darauf verständigt haben, dem Thema Energieeffizienz eine besondere Bedeutung dadurch zu verleihen, dass es einen Parlamentskreis geben wird. Ich lade Sie herzlich ein, auch im Namen der Vertreter anderer Fraktionen, sich daran zu beteiligen. Vielen lieben Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte und bitte, die Nachsichtigkeit der Präsidentin jetzt nicht für alle weiteren Debatten einzufordern. Aber es ist richtig: Es ist wirklich eine sehr wichtige Debatte, die wir heute miteinander geführt haben. Ich komme jetzt zu der interfraktionell vorgeschlagenen Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1612 und 18/1619 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 j auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem -Abkommen vom 9. September 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der -Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/1568 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen -Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Vertragsgesetz EU-USA-Luftverkehrsabkommen – EU-USA-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1569 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem -Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 15. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen Königreich Jordanien andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Jordanien-Luftverkehrsabkommen – Euromed-JOR-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1570 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der -Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Moldau über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrsabkommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1571 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Besonderen Ausgleichsregelung für stromkosten- und handelsintensive Unternehmen Drucksache 18/1572 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes Drucksache 18/1585 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zukunft der Hebammen und Entbindungspfleger sichern – Finanzielle Sicherheit und ein neues Berufsbild schaffen Drucksache 18/1483 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – Neustart ohne Drohungen und Fristen Drucksache 18/1615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundestagsmehrheit nutzen – Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen Drucksache 18/1617 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend j) Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der Länderkommission Drucksache 18/1178 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 h auf. Es handelt sich hier um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 33 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Vertragsgesetz EU-Georgien-Luftverkehrsabkommen – EU-GEO-Luftverk AbkG) Drucksache 18/1224 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/1641 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1641, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1224 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen, soweit ich das sehe. Wer stimmt dagegen? – Einige Mitglieder der Linken. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Die -Fraktion!) Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion der Linken. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 33 b: Beratung des Antrags der Abgeordneten Richard Pitterle, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des -Europäischen Parlaments und des Rates über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter KOM(2014) 212 endg.; Ratsdok. 8842/14 hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) Umgehung der Unternehmensmitbestimmung bei Ein-Personen-GmbH verhindern Drucksache 18/1618 Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Das ist Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 33 c bis 33 h, den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 33 c auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 54 zu Petitionen Drucksache 18/1476 Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit ist die Sammelübersicht 54 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 d auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 55 zu Petitionen Drucksache 18/1477 Wer stimmt dafür? – Wiederum alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit ist die Sammelübersicht 55 ebenfalls mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 e auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 56 zu Petitionen Drucksache 18/1478 Wer stimmt hierfür? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Sammelübersicht 56 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 f auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 57 zu Petitionen Drucksache 18/1479 Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit ist die Sammelübersicht 57 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 58 zu Petitionen Drucksache 18/1480 Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Sammelübersicht 58 mit den Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 59 zu Petitionen Drucksache 18/1481 Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der -Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV--Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG) Drucksachen 18/1307, 18/1579 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/1657 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1660 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einführung des neuen Entgeltsystems in der Psychiatrie stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen Drucksachen 18/557, 18/574, 18/1657 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz von der Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung gehen wir drei wichtige Ziele für unser Gesundheitswesen an, die wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben: Sicherheit für die Versorgung, Stärkung der Qualität und die Orientierung an den Interessen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten. Diese Ziele bedingen einander, und keines ist ohne das andere wirklich zu erreichen. Das will ich an diesem Gesetzentwurf und wenigen Regelungsbereichen dieses Gesetzes zeigen. Wir stellen die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine dauerhaft solide Grundlage. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Scherz!) Wir machen die Finanzstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung zukunftsfest, indem wir einen allgemeinen paritätisch finanzierten Beitragssatz von 7,3 Prozent für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer gesetzlich festschreiben. Das ist kein Selbstzweck. Wir befördern damit eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt; denn mehr Arbeit und sichere Arbeitsplätze bedeuten mehr Beiträge und damit mehr Sicherheit, im Krankheitsfall eine gute medizinische Versorgung erhalten zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir legen fest, dass die Krankenkassen ihren zusätzlichen Finanzierungsbedarf über kassenindividuelle einkommensabhängige prozentuale Zusatzbeiträge decken können. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen, nicht können!) Die Mitglieder haben bei der erstmaligen Einführung oder bei einer späteren Erhöhung des Zusatzbeitrags das Recht, die Krankenkasse zu wechseln. Sie werden in Zukunft rechtzeitig und in einem separaten Schreiben auf die Beitragsänderung und ihr Sonderkündigungsrecht hingewiesen. Sie erhalten darüber hinaus Zugang zu Beitragsvergleichen der gesetzlichen Krankenkassen. Wir gehen im Übrigen davon aus, dass im kommenden Jahr bis zu 20 Millionen Versicherte finanziell -entlastet werden können. Die Erhebung von Zusatzbeiträgen erfolgt für die Krankenkassen über einen vollständigen Einkommensausgleich. Damit sorgen wir für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Kassen, und wir vermeiden Fehlanreize wie zum Beispiel die Bevorzugung von Besserverdienenden im Wettbewerb. Durch diese neue Struktur mit wirksamen Informationspflichten der Kassen, Transparenz für die Versicherten und dem Recht zum Krankenkassenwechsel setzen wir den Rahmen so, dass die Krankenkassen ihre Beiträge möglichst gering halten, maßvoll und effizient wirtschaften, aber zugleich ein großes Interesse an hochwertigen Leistungen, guten Versorgungsstrukturen und gutem Service haben. Das befördert den Qualitätswettbewerb zwischen den Kassen, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?) und genau das wollen wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Heute setzen wir einen weiteren überaus wichtigen Eckstein für die Zukunft unseres Gesundheitswesens, der in der Fachwelt und sogar über Parteigrenzen hinweg auf breite Zustimmung stößt. Mit der sehr zügigen Einrichtung eines unabhängigen wissenschaftlichen Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen richten wir die medizinische Versorgung noch stärker grundsätzlich an Qualitätsaspekten und den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten aus. In diesem Institut werden unter anderem Instrumente und Verfahren entwickelt werden, die zur Messung und zur Darstellung von Qualität in der ambulanten und der stationären Versorgung geeignet und sachgerecht sind. Damit erhalten die Verantwortlichen im Gesundheitswesen, insbesondere in der Selbstverwaltung, belastbare Qualitätskriterien, die sie zum Beispiel bei der Krankenhausplanung oder bei der Vergütung von Leistungen einsetzen können. Gleichzeitig schaffen sie mehr Transparenz über die Qualität der Versorgung und bieten damit Patientinnen und Patienten verständlichere Informationen an, ja sie helfen ihnen zum Beispiel auch bei der Entscheidung auf der Suche nach einem guten Krankenhaus. Das ist eine sehr anspruchsvolle und schwierige Aufgabe, aber sie ist des Schweißes der Edlen wert; denn Qualität ist ein wichtiger Parameter für unser Gesundheitswesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Qualität geht nicht ohne oder gar gegen diejenigen, die für die gesundheitliche Versorgung im Alltag stehen und die die medizinischen und pflegerischen Leistungen erbringen. Deshalb wird dieses vom Gemeinsamen Bundesausschuss als oberstes Organ der gemeinsamen Selbstverwaltung zu gründende Institut auch von einer Stiftung getragen. Die Patienteninteressen werden bei der inhaltlichen Arbeit des Qualitätssicherungsinstituts, also bei der Entwicklung der Verfahren und der Instrumente zur Qualitätssicherung, durch ein Mitberatungsrecht der Patientenvertretung berücksichtigt. Zu einer verbesserten Patientenorientierung gehört für uns auch die Stärkung und Weiterentwicklung der unabhängigen Patientenberatung. Insbesondere mit der Ausweitung des telefonischen Serviceangebots wird diese Beratungs- und Verbraucherschutzeinrichtung in Zukunft einer noch deutlich größeren Zahl von Patientinnen und Patienten zugänglich werden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenigstens das!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, neben diesen grundsätzlichen Maßnahmen steht seit Wochen und Monaten die Sicherstellung der geburtshilflichen Versorgung durch Hebammen und damit das Recht der Schwangeren auf freie Wahl des Geburtsorts ganz oben auf der gesundheitspolitischen Themenliste. Wir sind sehr froh, dass wir in diesem Gesetz eine Regelung gefunden haben, durch die die Hebammen im Hinblick auf steigende Prämien für ihre Berufshaftpflichtversicherung dauerhaft finanziell entlastet werden können. Von dem befristeten Vergütungszuschlag werden Hebammen profitieren, die typischerweise nur eine geringe Anzahl von Geburten betreuen, also Hebammen, die Hausgeburten betreuen, freiberuflich in Geburtshäusern oder als Beleghebammen in der Eins-zu-eins-Betreuung tätig sind. Ab dem 1. Juli des nächsten Jahres wird es dann einen dauerhaften Sicherstellungszuschlag geben, der generell Hebammen hilft, die Haftpflichtprämie aufzubringen, die aufgrund zu geringer Geburtenzahlen durch die Prämien wirtschaftlich überfordert sind und die – das ist uns sehr wichtig – die an sie gestellten Qualitätsanforderungen auch erfüllen. Auch damit ist das Thema für uns im Übrigen noch nicht erledigt, sondern wir gehen weitere, langfristig wirksame Maßnahmen an. Bundesminister Gröhe hat zur Begrenzung der Prämiendynamik in diesem Bereich einen Regressverzicht von Kranken- und Pflegekassen zur Diskussion gestellt. Dieser Vorschlag wird jetzt innerhalb der Bundesressorts sorgfältig geprüft und weiter konkretisiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz bringt unser Gesundheitswesen strukturell und qualitativ weiter. Es bringt spürbare Verbesserungen für die Versicherten und insbesondere für die Patientinnen und Patienten in unserem Land. Es bringt uns den drei großen Zielen der Großen Koalition in der Gesundheitspolitik deutlich näher: mehr Versorgungssicherheit, bessere Qualität in der Versorgung und mehr Patientenorientierung. Ich danke am heutigen Tag den Kolleginnen und Kollegen der Koalition und im Ausschuss, insbesondere den Berichterstattern, für die konstruktiven Beratungen im parlamentarischen Verfahren. Ich freue mich heute auf Ihre Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat der Kollege Harald Weinberg von der Linken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das zentrale -Finanzierungsgesetz zur gesetzlichen Krankenversicherung für diese Wahlperiode ist auf der Zielgeraden. Es macht alles ein wenig anders, aber kaum etwas besser. Im Gegenteil: Gesetzlich Krankenversicherte werden sich auf Mehrkosten einstellen müssen. Sie zahlen zukünftig mehr. Dagegen werden ihre Arbeitgeber nicht an den absehbar steigenden Kosten beteiligt. Das ist ganz klassische Umverteilung von unten nach oben. Das Gemeine daran ist, dass kaum jemand wirklich versteht, wie genau ihm in die Taschen gegriffen wird. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Zerschlagung der Solidarität!) Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert sich derzeit im Wesentlichen über einen bundesweit einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent. Davon zahlen die Arbeitgeber 7,3 Prozent, die Versicherten 8,2 Prozent. Die Versicherten zahlen also jetzt schon 0,9 Prozent mehr. Die Bundesregierung wird nun den bundesweit einheitlichen Versichertenbeitrag wie auch den Arbeitgeberbeitrag bei 7,3 Prozent festschreiben; insgesamt 14,6 Prozent. Damit fehlt den Krankenkassen Geld, das sie zur Versorgung brauchen. Das Geld müssen die einzelnen Kassen nun von den Versicherten verlangen. Die Arbeitgeber zahlen nichts. Da bei dem momentanen Beitragssatz von 15,5 Prozent die Einnahmen und die Ausgaben in etwa gleich hoch sind, werden die Kassen von den Versicherten einen Zusatzbeitrag in Höhe von durchschnittlich 0,9 Prozent verlangen müssen. Die Kassen haben dabei einen Gestaltungsspielraum. Kassen, denen es gut geht, werden einen Zusatzbeitrag von weniger als 0,9 Prozent verlangen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sind wenige!) Dazu ist ja gesagt worden, 20 Millionen Versicherte seien da sozusagen im Vorteil. Nach unserer Kenntnis sind es nach wie vor sieben Kassen, die das angekündigt haben, davon nur eine große Versorgerkasse. Da kommen keine 20 Millionen Versicherte zusammen. (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) Kassen, denen es durchschnittlich geht, werden so um die 0,9 Prozent nehmen. Also, für die Versicherten ändert sich im ersten Jahr erst einmal nichts. Kassen, denen es schlecht geht, werden mehr als 0,9 Prozent nehmen müssen. Das heißt also, der Beitragssatz steigt. Im Durchschnitt zahlen zunächst alle gleich viel, es wird nur von Anfang an zwischen den Kassen anders verteilt sein. Das ist aber auch gewollt, denn diese Koalition will ja – wie es gesagt wurde – den Preiswettbewerb zwischen den Kassen anheizen. Aber auch dieses „gleich viel“ wird sich bald ändern. In den vergangenen zehn Jahren sind die Einnahmen der Kassen jährlich um 2 Prozent gestiegen, die Ausgaben jährlich um 3,7 Prozent. Damit stieg der Beitragssatz regelmäßig an. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich das in der Zukunft ändern wird. Aber jetzt sind die Zusatzbeiträge die einzige Stellschraube für die Kassen, um zukünftige Kostensteigerungen auszugleichen. Die Versicherten werden alle diese Kosten allein tragen müssen. Sie tragen also einen immer größeren Anteil an den steigenden Kosten. Und das geht richtig ins Geld. Derzeit zahlen die Versicherten durch den um 0,9 Prozent höheren Beitragssatz jährlich etwa 10 Milliarden Euro mehr als die Arbeitgeber. Im Jahr 2020 wird dieser Betrag auf 34 Milliarden Euro im Jahr angewachsen sein. In Summe werden die Versicherten bis 2020 rund 150 Milliarden Euro mehr zahlen als die Arbeitgeber. Das sind pro Beitragszahler durchschnittlich 3 000 Euro. Begründet wird dies in unschöner Tradition Schröder’scher Agenda-Politik mit der notwendigen -Stabilisierung der Lohnnebenkosten zur Stärkung insbesondere der deutschen Exportindustrie. Einmal abgesehen davon, dass jede Wechselkursschwankung einen weitaus größeren Einfluss auf die Kostensituation der Unternehmen hat, und einmal abgesehen davon, dass diese Exportorientierung (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jetzt -kommen die Weltökonomen!) zumindest ein Grund dafür ist, dass sich die Bankenkrise zur europäischen Wirtschaftskrise ausgeweitet hat, ist es ein Raubzug durch die Geldbörsen derer mit kleinen und mittleren Einkommen, der da vorbereitet wird. Das hat weder etwas mit sozialdemokratischer noch mit christlicher Politik zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke lehnt diese Politik ab, und deshalb lehnen wir auch dieses Gesetz ab, obwohl darin – neben der -Finanzierung – im Omnibusverfahren auch einige positive Regelungen getroffen werden. Es handelt sich hierbei um Forderungen, die wir selbst seit langem erhoben haben, denen wir eigentlich zustimmen würden und denen wir übrigens im Ausschuss auch zugestimmt haben. Dazu gehört zum Beispiel die Verschiebung der Entgelt-reform für psychiatrische Kliniken. Am Anfang der Wahlperiode haben wir selbst einen Antrag eingebracht, der den Stopp dieses Entgeltsystems fordert, weil sich sonst die Versorgung psychisch kranker Menschen -verschlechtern würde. Nachdem wir und diverse Fachverbände Druck gemacht haben, verschiebt die Bundesregierung nun die Einführung um zwei Jahre. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber nicht wegen euch!) Wir sollten die zwei Jahre nutzen, um dieses Entgelt-system von Grund auf zu reformieren. (Beifall bei der LINKEN) Dazu gehört auch die verbesserte und verlängerte -Finanzierung der unabhängigen Patientenberatung, die jedem kostenlose Beratung in allen Fragen rund um die Krankenversicherung und die Versorgung anbietet – (Beifall bei der LINKEN) hier hat die Regierung unseren Vorschlag ja fast übernommen –, und das gilt auch für die Sicherstellung der Hebammenversorgung. Der würden wir ebenfalls gern zustimmen, auch wenn die Bundesregierung hier nur eine kurzfristige Lösung in das Gesetz geschrieben hat, die nur bis 2016 halten wird. Aber diese ganzen durchaus positiven Punkte schaffen nicht genügend Zuckerglasur, um die Linke dazu zu bringen, die bittere Pille einer grundfalschen Finanzierungsreform zu schlucken. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Karl Lauterbach das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Die Umwandlung der kleinen Kopfpauschalen in kassenindividuelle, prozentuale Zusatzbeitragssätze ist ein Schritt in Richtung mehr Solidarität in unserem Gesundheitssystem; (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Zusatz beim Zusatz!) daran ändert auch Ihre Kritik nichts. Sie ist, wie gesagt, ein Schritt in Richtung mehr Solidarität. Ich möchte mich ausdrücklich auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Union bedanken, dass sie diesen Schritt mit uns gegangen sind. Er bedeutet den endgültigen Abschied von kleinen oder großen Kopfpauschalen. Das ist ein wichtiger Schritt. Das ist ein Schritt, den wir gemeinsam gegangen sind. Das ist ein Schritt, der sowohl christlich als auch sozial und sozialdemokratisch ist. Zu dem von Ihnen vorgetragenen Kritikpunkt, Herr Weinberg, dass zunächst nur die Arbeitgeber entlastet würden, die Arbeitnehmer aber nicht, muss ich sagen: Es ist genau umgekehrt. Wenn Sie es also umgekehrt gesagt hätten, wäre es richtig gewesen. Vielleicht geht es um 20 Millionen Menschen, vielleicht auch um 18 Millionen Menschen. Eine andere Zahl haben Sie ja nicht genannt. Die Zahl, die wir berechnet haben und die von -Ihnen in keinem Dokument widerlegt wurde, ist also die Zahl, die unwidersprochen im Raum steht. Die -Menschen, die entlastet werden, sind ausschließlich Arbeitnehmer. Arbeitgeber werden zunächst einmal nicht entlastet. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Quatsch?) Daher ist es nicht so, wie Sie gesagt haben, sondern genau umgekehrt. Wir entlasten zunächst einmal ausschließlich die Arbeitnehmer. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – -Widerspruch bei der LINKEN) Von einer Entlastung der Arbeitgeber ist keine Rede. Sie haben daher schlicht und ergreifend die Fakten falsch dargestellt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Karl Lauterbach, das glaubst du doch wohl selber nicht!) – Doch, es ist tatsächlich so. Zunächst einmal werden nur die Arbeitnehmer entlastet; daran ändert auch der Zwischenruf von den Grünen nichts. Auch hier im -Plenum muss das Faktische noch eine Rolle spielen. Es gibt keine einzige Kasse, die zum jetzigen Zeitpunkt eine Belastung der Arbeitnehmer angekündigt hat. Es gibt aber zahlreiche Kassen, die eine Entlastung angekündigt haben. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sieben, nicht „zahlreiche“!) – Das betrifft aber Millionen Versicherte. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: 9 Millionen!) Millionen Versicherte, die Arbeitnehmer sind, werden entlastet. Kein Arbeitgeber wird entlastet, und kein -Arbeitnehmer wird belastet. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir fragen dich im Herbst!) Daher ist das ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt in Richtung mehr Solidarität. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das ist Quatsch! – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das hätte ich jetzt nicht gemacht!) – Das ist kein Quatsch; das ist die Wahrheit. (Lachen der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Sie reden ohne Bezug zum Gesetz. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Oh nein! – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das hätte ich nicht gemacht! Den zweiten Schritt hätte ich nicht gemacht!) Das Gleiche gilt auch an einer anderen Stelle. Es wurde eben vorgetragen, demnächst gebe es nur noch -einen Preiswettbewerb. Durch das neu eingeführte Qualitätsinstitut werden wir die Qualitätsunterschiede der Kliniken und sogar der einzelnen Kassen und einzelnen medizinischen Leistungen transparent machen. Das ist der erste gewichtige Schritt in Richtung evidenzbasierter Transparenz und Qualitätskontrolle in unserem Gesundheitssystem, wenn man von Zulassungs- und Erstattungsfragen einmal absieht. Somit ist das auch der erste richtige Schritt in Richtung eines Qualitätswettbewerbs und weg vom Preiswettbewerb, den wir derzeit haben. Der Qualitätswettbewerb ist die einzige Begründung, weshalb wir keine Einheitskasse haben und weshalb wir überhaupt einen Wettbewerb zwischen mehr als 130 Krankenkassen haben wollen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Es sind 132!) Wir wollen ausschließlich einen Qualitätswettbewerb, aber keinen Preiswettbewerb, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kriegst du so doch nicht hin!) Es ist richtig, dass die SPD bei dieser Reform natürlich nicht mit allem einverstanden sein kann. Sie ist ein Kompromiss. Aus meiner Sicht ist sie ein guter Kompromiss, ein Kompromiss mit Augenmaß. Durch die Kombination der Stärkung des Qualitätswettbewerbs und der kurzfristigen Entlastung der Arbeitnehmer (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Die ist ganz kurzfristig!) schaffen wir Raum für die langfristig aus Sicht der SPD unbedingt notwendige Einführung einer Bürgerversicherung. Für die SPD bleibt es natürlich dabei: Unser langfristiges Ziel ist die Bürgerversicherung. Aber dieser Kompromiss ist ein Kompromiss mit Augenmaß, ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt, der die Solidarität in unserem Gesundheitssystem stärkt und nicht schwächt. Es wird die unabhängige Patientenberatung weiter ausgebaut. Sie kann auf die Ergebnisse des neu eingerichteten Qualitätsinstituts zurückgreifen. Wir stärken die Solidarelemente im Kernstück des Wettbewerbs, des Risikostrukturausgleichs. Wir werden den 15 Jahre lang geforderten – übrigens auch von Grünen und Linken geforderten – vollständigen Einkommensausgleich im Rahmen des Risikostrukturausgleichs einführen. Das führt zu einer Entlastung der Einkommensschwachen und der Krankenkassen, die viele Einkommensschwache versichern, und ist ein wichtiger Schritt in Richtung -Solidarität. Folgende Bemerkung sei mir erlaubt: Wir haben die besonderen Anliegen der Arbeitslosen und der Empfänger von Sozialhilfeleistungen berücksichtigt, indem Zusatzbeiträge von ihnen gar nicht erhoben werden. Das wäre eine Erwähnung wert gewesen – gerade von einer Partei wie der Linken –; denn wir haben hier auf die Zusatzbeiträge derjenigen, die sie sich am wenigsten leisten können, komplett verzichtet. Das halte ich für eine wichtige Leistung und es darf nicht vergessen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Somit ist zusammenzufassen: bessere Qualität, wichtiger und richtiger Schritt in Richtung mehr Solidarität und in Richtung eines Qualitätswettbewerbes, weg vom derzeitigen Preiswettbewerb, der das Gesundheitssystem nicht effizienter macht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und -Kollegen! Erneut konnten wir erleben, dass die Große Koalition versucht hat, sich einen Gesetzentwurf, der -zutiefst ungerecht ist – im Wesentlichen soll nämlich der einkommensunabhängige Zusatzbeitrag der CDU/CSU-FDP-Koalition abgeschafft und dafür ein prozentualer Zusatzbeitragssatz eingeführt werden, mit der Gemeinsamkeit, dass dieser Zusatzbeitrag alleine durch die Versicherten zu zahlen ist –, schönzureden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Hat er gut gemacht!) Das wird nicht gelingen, weil es im Kern darum geht, Zusatzlasten den Versicherten aufzubürden. Harald Weinberg hat gerade vorgerechnet, was das bedeutet. Ich nenne noch einmal die Zahlen: Im Kern geht es darum, dass die Versicherten in den nächsten vier Jahren jährlich 10 Milliarden Euro mehr tragen müssen. Das ist der Kern des Gesetzentwurfes, der heute verabschiedet werden soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das soll aus der Tasche gezogen werden!) Karl Lauterbach hat sich sehr viel Mühe gegeben, -darum herumzureden: Das überzeugt nicht. Ich muss ehrlich sagen: Man kann als Verhandlungsführer stolz sein, wenn man meint, man hätte eine Kopfpauschale ausgehebelt. Wenn man aber im Gegenzug akzeptieren muss, dass die Versicherten sämtliche Lasten aufgrund des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen tragen müssen, kann man das nicht mehr sein. Das ist nicht gerecht und nicht solidarisch, sondern eine einseitige Belastung der Versicherten, und darüber kann man überhaupt nicht hinwegreden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich finde es auch perfide – Sie versuchen, ein Mäntelchen darum herumzuhängen –, dass darauf verwiesen wird, dass die Versicherten jetzt auf einem Vergleichsportal nachgucken können, welche Versicherung aufgrund eines geringeren Zusatzbeitrages etwas billiger ist. Das kann doch nicht die Lösung dafür sein. Es muss doch darum gehen, dass wir zu einer solidarischen -Finanzierung zurückkehren. Mit Verlaub gesagt: Das wäre einer Sozialdemokratie würdig! Aufgrund Ihrer Niederlage im Verhandlungsprozess hätte ich mir an dieser Stelle durchaus ein bisschen mehr Demut gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme nun zu dem anderen Teil des Gesetzentwurfes. Sie haben im Gesetzestext betont – die Staatssekretärin hat das gerade noch einmal wiederholt –, es ginge um eine solide und nachhaltige Finanzierung. Nichts da! Jeder von uns hier im Saal weiß, dass wir spätestens in der nächsten Wahlperiode erneut über die -Finanzierung reden müssen, weil es in der Debatte und auch gesellschaftlich natürlich nicht zu vermitteln ist, dass die Belastungen durch Kostensteigerungen einseitig nur den Versicherten aufgebürdet werden sollen. Sie werden im Wahlkampf die Frage beantworten müssen, ob es sein kann, dass jeder Versicherte eine Zusatzbelastung von mehr als 2 bis 3 Prozent zu tragen hat, während der Beitrag der Arbeitgeber eingefroren bleibt. Das werden Sie der Gesellschaft nicht verkaufen können, und natürlich werden wir in der nächsten Wahlperiode darüber wieder diskutieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Klein-Schmeink, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler zu? – Bitte. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Ich habe einmal nachgeschaut, was die SPD in ihrem Wahlprogramm hierzu versprochen hat, und möchte gern Ihre Meinung dazu hören, inwieweit das umgesetzt wurde. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Was ist das denn?) Die SPD schreibt in ihrem Programm: Wir wollen … die Solidarität zwischen den hohen und den niedrigen Einkommen stärken. Und Arbeitgeber sollen wieder den gleichen Beitrag leisten wie Beschäftigte, die – und das Folgende ist fettgedruckt – tatsächliche Parität muss wiederhergestellt werden. Der nächste Satz lautet: Wir werden mehr Nachhaltigkeit durch die Einführung einer stetig ansteigenden Steuerfinanzierung erreichen. Können Sie uns vielleicht erklären, ob diese Anforderungen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und auch mit dem Haushalt, der uns für den Einzelplan 15 vorliegt, eingehalten werden? (Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Ein knappes „Ja“!) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke herzlich, liebe Kollegin, für diese Frage, weil die Antwort mir Gelegenheit gibt, mehr Zeit dafür aufzuwenden, auf Folgendes hinzuweisen: (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist abgesprochen!) Es ist in der Tat ein gemeinsames Anliegen dieser Opposition und der SPD im letzten Wahlkampf gewesen, deutlich zu machen: Wir wollen zu einer paritätischen Finanzierung zurückkehren. – Genau dieses Ziel wird mit diesem Gesetzentwurf in keiner Weise erreicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Gegenteil: Durch die Kürzung des Steuerzuschusses zum Gesundheitsfonds wird der Gang in die Zusatzbeiträge beschleunigt. Auch das wird dazu führen, dass es noch eher zu den ungerechten Zusatzbeiträgen kommen wird. Genau so stellt es sich dar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Kommen wir noch einmal zum Thema „solide und nachhaltige Finanzierung“. Es stellt sich die Frage: Müssen wir nicht tatsächlich zu einer nachhaltigen Finanzierung kommen? Genau das sollte mit der Bürgerversicherung erreicht werden. Mit der Bürgerversicherung hätten wir die Gelegenheit gehabt, alle einzubeziehen: sowohl die Besserverdienenden als auch die kleinen Selbstständigen, die dadurch eine bessere Chance auf faire Bedingungen bei ihrer Krankenversicherung hätten. Auf der anderen Seite hätten wir die Möglichkeit gehabt, andere Einkommensarten einzubeziehen. Das hätte zu einer soliden, nachhaltigen und sicheren Finanzierung unserer ansteigenden Gesundheitskosten führen können. Genau das wäre der Weg, den wir hätten gehen müssen. Davon, liebe Sozialdemokratie, sind Sie weiter denn je entfernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme zum letzten Teil. Ich habe leider nicht mehr genug Redezeit, um das Positive in diesem Gesetzentwurf zu betonen. Uns ist es wichtig, dass es mit der UPD, der unabhängigen Patientenberatung, vorangeht und dass wir sie stärken. Uns ist es wichtig, dass wir zu einer wirklichen Psychiatriereform kommen. (Hilde Mattheis [SPD]: Sehr gern!) Dazu gehört natürlich die Verlängerung der Optionsphase im Psychiatrie-Entgeltsystem. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist uns -gelungen!) Das halten wir für richtig, und wir finden, dass Sie da den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir haben mit unseren Anträgen gezeigt, wie weit das Ganze gehen müsste. Da hoffen wir auf eine weitere Debatte. Ein letzter Satz zu den Hebammen. Auch da sind wir froh, dass da etwas in die Gänge gekommen ist. Wir haben leider in der letzten Wahlperiode erleben müssen, dass eine Problemlösung verschoben worden ist. Sie gehen dieses Problem an. Aber wir sind von einer nachhaltigen Regelung noch immer weit entfernt. Die Hebammen wissen zwar bis zum nächsten Jahr, wie es weitergeht. Aber die eigentliche Lösung der Haftpflichtproblematik im Gesundheitswesen steht noch immer aus. Auch das werden wir massiv einklagen und diesen Diskussionsprozess vorantreiben. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Georg Nüßlein das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir reden über die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht unter den üblichen Vorzeichen. Üblicherweise wird über Leistungseinschränkungen und Kostendämpfungen diskutiert. Wir haben hier die einmalige Chance, über mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und mehr Qualität bei der Versorgung zu reden. Ich stelle das deshalb an den Anfang meiner Rede, weil ich glaube: Das ist der eigentlich wichtige Aspekt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun geben wir zu: Das geschieht unter dem Vorzeichen einer guten Finanzlage, die einer guten Wirtschafts- und Beschäftigungslage geschuldet ist. Wir alle wissen, dass das nicht zwangsläufig so bleiben muss und dass natürlich das Thema Kostenbewusstsein auf lange Sicht für uns alle als Gesundheitspolitiker ganz entscheidend bleibt. Weil die Frau Kollegin Klein-Schmeink das Thema Kürzung des Bundeszuschusses zum Gesundheitsfonds angesprochen hat, will ich deutlich sagen: In der jetzigen Situation ist das vertretbar. Es ist insbesondere deshalb vertretbar, weil es keine Kürzungen bei den Zuweisungen an die Krankenkassen und mithin auch keine Leistungskürzungen geben wird. Ich bitte Sie deshalb dringend, die Patientinnen und Patienten nicht zu verunsichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ende 2015!) Ich will unterstreichen, dass wir auch schon den umgekehrten Weg gegangen sind. Der Bund ist sich seiner Verantwortung absolut bewusst. Wir haben in den Krisenjahren 2009 und 2010 im Rahmen des Konjunktur-paketes II den Bundeszuschuss erhöht. Dazu habe ich keine Kritik gehört, meine Damen und Herren. Ich will klarmachen, dass das keine Einbahnstraße ist und dass dieser Betrag wieder aufgefüllt wird. Deshalb wird der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds ab 2017 und über das Jahr 2018 hinaus dauerhaft auf 14,5 Milliarden Euro erhöht, sodass wir wieder den Ausgleich schaffen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran werden wir Sie erinnern!) Ein zentrales Thema der Vorredner der Opposition waren die paritätisch getragenen Versicherungsbeiträge. Frau Kollegin Klein-Schmeink hat mehr Demut eingefordert. Diese hätte ich an ihrer Stelle selber. Denn dass die Arbeitnehmer anteilig mehr bezahlen als die Arbeitgeber und der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wird – aus wohlüberlegten Gründen, nämlich weil es um Arbeitsplätze geht –, ist keine Erfindung dieser oder der vorhergehenden Koalition. Das wurde vielmehr unter einer rot-grünen Bundesregierung eingeführt. Daran waren die Grünen mit beteiligt. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Damals waren Sie der Auffassung, dass das der richtige Weg sei. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die sind wenigstens lernfähig! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! Eingefroren wurde der Arbeitgeberanteil nie. Es wurde ein Sonderbeitrag eingeführt!) Sie haben nichts dazu gesagt, warum Sie der Meinung sind, dass das jetzt geändert werden sollte und es nicht mehr auf die Arbeitsplätze ankommt. Im Übrigen gehört zur Wahrheit auch, dass die Arbeitgeber über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall immerhin rund 30 Milliarden Euro – das entspricht drei Beitragssatzpunkten – zusätzlich zahlen. Das muss man der Vollständigkeit halber in diese Rechnung mit einbeziehen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die erste Errungenschaft, die es überhaupt in der Sozialversicherung gegeben hat! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sechswöchiger Streik hat dazu geführt!) – Die erste Errungenschaft, die es überhaupt gegeben hat, wie Sie sagen, haben Sie dann offenkundig mit aufgekündigt. Es ist schon ein bisschen Demut nötig, wenn man so etwas in diesem Zusammenhang vorträgt. Wir gehen einen anderen Weg. Wir stärken die Beitragsautonomie der Krankenkassen und verfolgen den Weg zu mehr Transparenz und Wettbewerb, versehen mit einem Sonderkündigungsrecht, sodass man nicht dazu verurteilt ist, Herr Kollege, höhere Beiträge zu zahlen, sondern wie in einem richtigen Wettbewerb die Krankenkasse wechseln kann. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wie viele Kassen haben wir dann noch?) Für entscheidend halte ich auch, dass man darauf hingewiesen wird, und zwar per Brief, statt irgendwo auf der linken Seite ganz unten in der Mitgliederzeitschrift. So kann jeder diese Möglichkeit nutzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein wichtiges Thema, genauso wie viele andere Fragen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Mit der Regelung zum Risikostrukturausgleich versuchen wir, Gerechtigkeit zwischen den Kassen zu schaffen. Dazu soll eine verbesserte Anrechnung von Sterbefällen auf der einen Seite und ein Ausgleich für Krankengeldzahlungen auf der anderen Seite beitragen. Dabei melden wir allerdings auf Unionsseite noch einen gewissen Gesprächsbedarf für die Zukunft an. Denn wir alle wissen, dass das Einkommen bzw. der Grundlohn eine Rolle spielt. Wir wollen, dass das im Rahmen der anstehenden Diskussion stärker berücksichtigt wird. Das ist ganz klar. Zu dem Thema Hebammen möchte ich unterstreichen, dass wir jetzt eine Lösung und einen gangbaren Weg gefunden haben. Es geht um die Hebammen. Ganz wichtig ist aber auch die freie Wahl des Geburtsortes, und es geht um die Versorgung im ländlichen Raum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ganz ausdrücklich dem Bundesgesundheitsminister dafür danken, dass er sich außerordentlich dafür engagiert hat, in diesem Bereich den richtigen Weg einzuschlagen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine Dittmar das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sabine Dittmar (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem umfangreichen Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung und den 25 Änderungsanträgen, die wir gestern im Gesundheitsausschuss beraten und beschlossen haben, werden wir die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gerechter und nachhaltiger ausgestalten sowie die Qualität der Patientenversorgung verbessern. Zuallererst – das ist die gute Botschaft heute –: Die unsägliche Kopfpauschale wird in wenigen Minuten hier in diesem Plenum beerdigt. (Beifall bei der SPD) Die notwendigen Zusatzbeiträge werden zukünftig prozentual und einkommensabhängig erhoben und sind natürlich ein Stück weit gerechter und solidarischer, Frau Kollegin Klein-Schmeink. Ich habe Ihnen schon das letzte Mal gesagt: Uns ist die Mehrbelastung der Arbeitnehmer durchaus bewusst. Wir werden darauf einen scharfen Blick haben. Aber ich sage Ihnen auch: Wir hätten, wie Sie wissen, gerne eine ganz andere Finanzierung gehabt. Hätten Sie im September letzten Jahres ein besseres Wahlergebnis erzielt, dann hätten wir das hier vielleicht auch umsetzen können. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Seien Sie froh, dass Sie mit uns regieren können! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochmut kommt vor dem Fall!) Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Gesetzentwurfs ist die vorgesehene Gründung des Qualitätsinstituts. Für mich ist das ein echter Meilenstein in der Weiterentwicklung der Versorgungsqualität, und zwar sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. (Beifall bei der SPD) Mit der Erarbeitung, Erhebung und Dokumentation von Qualitätskriterien im Gesundheitswesen wird das Institut dem Gemeinsamen Bundesausschuss in der Qualitätssicherung sektorenübergreifend massive Unterstützung leisten. Auf Grundlage dieser sicheren, belastbaren und transparenten Daten können dann effiziente Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung entwickelt und eingeleitet werden. Für mich ist hierbei aufgrund meiner Erfahrungen, die ich in 15 Jahren Hausarzttätigkeit gesammelt habe, und angesichts der Verunsicherung der Patienten ein wesentlicher Aspekt, dass zukünftig Qualitätsberichte der Krankenhäuser in verständlicher Sprache veröffentlicht werden. Hiermit bekommen die Patientinnen und Patienten eine echte Orientierungs- und Entscheidungshilfe an die Hand, um sich in unserer vielfältigen Versorgungslandschaft zurechtzufinden. (Beifall bei der SPD) Ich sage in aller Offenheit: Gerne hätten wir die Pa-tientenvertretung im Vorstand des Qualitätsinstituts stärker verankert. Hier war leider keine Verständigung möglich. Ich meine, dass wir hier eine echte Chance vertan haben. Wir werden aber darauf achten, dass die Interessen der Patientenvertretung über das Beantragungsrecht beim Gemeinsamen Bundesausschuss in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Wenn ich schon bei den Patientinnen und Patienten bin, komme ich nicht umhin, hier und heute meiner Freude über die massive Stärkung der unabhängigen Patientenberatung Ausdruck zu verleihen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn sowohl die Etablierung als auch die Stärkung der UPD sind für uns Sozialdemokraten eine wirkliche Herzensangelegenheit. Deswegen erfreut es mich, dass wir den entsprechenden Etat auf 9 Millionen Euro aufstocken (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) und so sowohl die telefonische Beratung verbessern als auch die Möglichkeit eröffnen, mehr Beratungsangebote vor Ort zu schaffen. Mit der Verlängerung des Förderzeitraums haben wir für die Träger mehr Planungssicherheit erreicht. Das ist ein großer Erfolg der Koalition und wird die Patientensouveränität und die Patientenkompetenz weiter stärken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In den vergangenen Wochen wurde sehr viel über das pauschalierte Entgeltsystem in der Psychiatrie, PEPP, gesprochen. Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, der unter anderem eine Verlängerung der Optionsphase um zwei Jahre vorsieht, nehmen wir den Druck von den Kliniken. Das schafft Zeit, das System einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass hier auch externer Sachverstand und externe Expertise notwendig sind. Der Minister hat Offenheit gegenüber dieser Thematik signalisiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Weiterentwicklung des Morbi-RSA hat in der öffentlichen Anhörung breiten Raum eingenommen. Es wurde deutlich gezeigt, dass hier noch großer Forschungsbedarf besteht. Ich bin der Meinung, dass die von der Koalition beabsichtigte Vorgehensweise, Gutachten in Auftrag zu geben, die den Einfluss von Grundlohn, krankengeldauslösender Morbidität sowie sozioökonomischen und soziodemografischen Faktoren sehr differenziert untersuchen, sinnvoll ist und dass die bis dahin getroffene Übergangsregelung 50/50 eine sachgerechte und politisch vernünftige Lösung darstellt. Zur Hebammenversorgung ist heute schon einiges ausgeführt worden. Ich möchte nur unterstützen, dass mit diesen Sicherstellungszuschlägen und auch den vereinbarten Qualitätssicherungsmaßnahmen ein erheblicher Beitrag geleistet wird, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Es ist aber auch ganz deutlich, auch von der Frau Staatssekretärin, gesagt worden, dass noch weiterer Handlungsbedarf besteht. Auf die Regionalkennzeichen, die für die Versorgungsforschung sehr wichtig sind, möchte ich jetzt nicht näher eingehen. Wir werden auch diese einführen und wichtige Daten gewinnen, vor allem für die regionale Versorgungsforschung. Das ist auch notwendig; denn wir werden uns in wenigen Monaten mit einem neuen Versorgungsstrukturgesetz hier beschäftigen und werden die Herausforderungen der Versorgungsstrukturen sehr intensiv diskutieren. Jetzt bin ich erst einmal froh, dass wir heute dieses Gesetz auf den Weg bringen. Ich sage: Es ist ein gutes Gesetz, wir stärken unser Gesundheitssystem nachhaltig und fördern Qualität und Transparenz zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat jetzt der Kollege Rudolf Henke das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin Ihnen, Frau Klein-Schmeink und Herr Weinberg, dankbar, dass Sie dem Parlament sagen, was es mit diesem Gesetzentwurf tun soll. Sie sagen, das Parlament solle diesen Gesetzentwurf ablehnen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Jetzt muss man sich einmal fragen, was eigentlich passiert, wenn das Parlament Ihrer Empfehlung in dieser Debatte folgt. Sie haben gesagt, Sie fänden es richtig, dass die unabhängige Patientenberatung eine stärkere Grundlage erhalte. Da reden Sie, und wir handeln. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie mal, Herr Henke, das ist unser Antrag! Das ist unverschämt!) Sie haben gesagt, Sie fänden es richtig, dass wir mit den Monopolverträgen bei Impfstoffen für Schutzimpfungen Schluss machen und keine Exklusivverträge mehr haben. Jedenfalls haben Sie das im Ausschuss gesagt. Hier im Plenum haben Sie es nicht gesagt. Ihre Empfehlung würde dazu führen, nichts zu tun; wir handeln. Sie haben davon gesprochen, dass die Versorgung der Hebammenhilfe verbessert werden müsse. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das haben wir schon in der letzten Wahlperiode gefordert!) Sie haben recht damit, aber wenn man so handelt, wie Sie das wollen, dann bedeutet das, nichts zu tun; wir handeln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben von der Notwendigkeit gesprochen, das PEPP-Entgeltsystem für zwei Jahre auszusetzen und die Chancen in der Zwischenzeit zu nutzen. Wenn man Ihrer Empfehlung folgt, wird das nicht geschehen, sondern es bleibt, wie es ist. Sie tun nichts, wir handeln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen muss man sich die Frage stellen, aus welchem Grund Sie das alles fordern. Da nennen Sie beide eine einzige Begründung. Die Begründung ist, dass Sie das Finanzierungssystem, das Schwarz-Gelb eingeführt hat, behalten wollen, während Sie das Finanzierungssystem, das wir von der CDU/CSU jetzt mit der SPD im Kompromiss ausgehandelt haben, ablehnen. Weil Sie an der schwarz-gelben Politik festhalten wollen, lehnen Sie die Änderungen bei der UPD, bei den Hebammenhilfen, bei den Impfstoffen und bei der Frage der PEPP-Systematik ab. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das müssen Sie einmal Ihren Wählerinnen und Wählern erläutern. Sie drehen doch Pirouetten, wie es schlimmer nicht sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hätten Sie mit uns vor den Koalitionsverhandlungen mit der SPD diskutieren müssen. Dann wären wir vielleicht zusammengekommen. Aber das wollten Sie nicht. Sie haben gesagt: Das machen wir nicht. – Dass Sie jetzt unseren guten Kompromiss mit der SPD torpedieren, weil Sie an schwarz-gelber Politik festhalten wollen – damit torpedieren Sie die ganzen anderen Verbesserungen –, ist wirklich nicht zu fassen. Die Linke macht dabei mit, obwohl sie den Änderungsanträgen gestern im Ausschuss sogar zugestimmt hat. Das ist wirklich nicht zu fassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen? Rudolf Henke (CDU/CSU): Ja, gerne. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Bitte. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie im Grunde froh sind, dass die Ergebnisse der vierjährigen Regierungszeit von Schwarz-Gelb jetzt begraben worden sind und dass man den einen Zusatzbeitrag, der zugegebenermaßen mit sehr viel Bürokratie verbunden war, nun gegen einen anderen Zusatzbeitrag ausgetauscht hat? Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie die letzten vier Jahre im Ergebnis eine relativ schlechte Politik gemacht haben? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Rudolf Henke (CDU/CSU): Nein, da verstehen Sie mich völlig falsch. Das glauben Sie auch nicht im Ernst. Die Welt dreht sich natürlich weiter. Ich habe Sie an Ihren eigenen Ansprüchen gemessen. Ich finde, das ist ein wesentlicher Punkt. Lassen Sie mich noch auf das Thema „Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen“ zu sprechen kommen. Ich möchte auf etwas aufmerksam machen, was in den bisherigen Debatten vielleicht nicht ausreichend berücksichtigt worden ist. Herr Kollege Lauterbach hat bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs von einem Quantensprung gesprochen. Die Aufgabe, Qualität zu bewerten, ist natürlich sehr komplex. Das kann in der Praxis zu riesigen Problemen führen, beispielsweise beim Vergleich von Krankenhäusern. Derzeit gibt es in Deutschland ungefähr 30 Listen, die die Qualität von Krankenhäusern zu vergleichen beanspruchen. Die besten dieser Listen – Krankenhaus-Directory, Weiße Liste, Qualitätskliniken.de – sind einmal einer Untersuchung unterzogen worden. Dabei ist folgendes Dilemma zutage getreten: Wenn man die Empfehlungen dieser drei Listen, die alle beanspruchen, das jeweils beste Krankenhaus zu nennen, miteinander vergleicht, dann stellt man fest, dass es nur für sehr wenige Krankenhäuser übereinstimmende Empfehlungen gibt. Das heißt, der eine Führer empfiehlt eine bestimmte Klinik und der andere rät vom Besuch des gleichen Krankenhauses ab. Wir haben etwas Wichtiges getan: Durch unsere gestrigen Änderungsanträge wurde ein Punkt in die Aufträge an das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen aufgenommen, nämlich die Risikoadjustierung der Daten. Sie ist von zentraler Bedeutung; denn nur mit einer solchen Risikoadjustierung verhindert man, dass man Äpfel mit Birnen vergleicht. Schließlich vergleicht man auch nicht die Leistungskraft eines Läufers, der in der Ebene läuft, mit der eines Läufers, der eine 10prozentige Steigung zu überwinden hat. Beide unterliegen nämlich einer unterschiedlichen Aufgabensetzung. Die Risikoadjustierung, auf die wir uns als Auftragsbestandteil für die Vergleiche und für die Untersuchungen des Instituts verständigt haben, ist ein enormer Schritt. Ich will angesichts der Tatsache, dass in der Ärzteschaft noch der eine oder andere ein bisschen zurückhaltend hinsichtlich dieses Instituts ist, sagen: Ich glaube, dieses Institut hat die Chance, den Ärztinnen und Ärzten, den Pflegekräften, den Angehörigen anderer Gesundheitsberufe, etwa den Physiotherapeutinnen und -therapeuten, dabei zu helfen, ihr Ziel einer Qualitätsorientierung der Arbeit in den Krankenhäusern leichter zu erreichen und davon wegzukommen, dass man sich ausschließlich an Preisen orientiert. Ich bitte alle darum, sich für dieses Institut einzusetzen. Wie für die Patientenvertretung besteht auch für andere die Möglichkeit, sich im Beirat daran zu beteiligen, konstruktive Vorschläge für die Beauftragung dieses Instituts zu machen. Ich glaube, dass dieses Institut die Chance bieten wird, denen zu helfen, auf die es in der Versorgung eigentlich ankommt, nämlich denen, die sich für die Patientinnen und Patienten direkt einsetzen. Ich bedanke mich sehr, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Henke feiert heute seinen 60. Geburtstag. Herr Henke, dazu möchte ich Ihnen ganz herzlich gratulieren. (Beifall) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1657, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1307 und 18/1579 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich komme zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/1664. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/1657 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/557 mit dem Titel „Einführung des neuen Entgeltsystems in der Psychiatrie stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/574 mit dem Titel „Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/1415, 18/1653 Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1654 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen im Saal sich gesetzt haben, können wir auch mit der Aussprache beginnen. – Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe dazu als erstem Redner das Wort an Dietmar Nietan. (Beifall des Abg. Niels Annen [SPD]) Dietmar Nietan (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Rat hat mit Beschluss vom 23. Mai das EULEX-Mandat bis in den Oktober 2014 verlängert. Wer sich diesen Beschluss anguckt, findet einen Satz – sagen wir einmal: in der EU-Sprache formuliert –, der nachdenklich macht. Da heißt es nämlich unter Punkt 6: Die EULEX-Kosovo-Mission wird in einer Lage durchgeführt, die sich möglicherweise verschlechtern könnte. – Ich glaube, dieser Satz bringt es auf den Punkt, warum es wichtig ist, das KFOR-Mandat zu verlängern. Es gibt unbezweifelbar Erfolge in der Heranführung des Kosovos an die Europäische Union, es gibt große Erfolge in der Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, aber das ist immer noch erst der Anfang eines Weges, von dem wir natürlich hoffen, dass er am Ende dazu führen wird, dass ein unabhängiges Kosovo von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkannt wird und dass das Kosovo gute nachbarschaftliche Beziehungen nicht nur zu Serbien hat. Aber auf diesem Weg gibt es auch Risiken. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir, glaube ich, beides tun: Wir müssen dieses Mandat verlängern; wir müssen uns aber auch sehr gut überlegen, was wir als Deutscher Bundestag, als Bundesregierung, als Europäische Union tun können, um von der militärischen Mission Schritt für Schritt immer mehr zu einer zivilen Mission zu kommen; denn es ist kein Selbstzweck, dass es KFOR weiterhin als Mandat gibt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Ein Punkt ist für mich in diesem Zusammenhang besonders wichtig: Die Menschen, nicht nur die im Kosovo, sondern im gesamten sogenannten Westbalkan, dürfen nicht nur das Gefühl haben, sondern sie müssen die Überzeugung haben, dass wir in der Europäischen Union weiterhin ein großes Interesse daran haben, dass die gesamte Region, der gesamte sogenannte Westbalkan, eine faire Chance bekommt, am Ende des Tages Schritt für Schritt mit seinen Staaten Mitglied in der Europäischen Union zu werden. Deshalb darf es ein Signal von uns nach dem Motto „Nach dem Beitritt Kroatiens war Schluss, und jetzt geht es nicht mehr“ nicht geben. Das wäre in dieser Lage, wie sie sich jetzt darstellt, kontraproduktiv, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen uns mehr engagieren. Das heißt für mich aber nicht, dass es automatisch mehr Geld geben sollte oder dass es einen Rabatt auf dem Weg zum Beitritt zur Europäischen Union geben sollte. Vielleicht wäre es schon sehr hilfreich, wenn es für die Region, insbesondere auch für die Menschen im Kosovo, mehr Interesse und mehr Empathie seitens der europäischen Staaten geben würde. Manchmal hat man das Gefühl, dass diese Region von vielen einfach vergessen wird oder nicht mehr beachtet wird. Ich glaube, das frustriert gerade die vielen Menschen im Kosovo, die daran glauben, dass sie eine europäische Perspektive haben. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will in diesem Zusammenhang an einen bemerkenswerten Artikel von Una Hajdari, einer jungen Kosovarin, die als Bosch-Stipendiatin zurzeit hier weilt, erinnern, der am 21. Mai, einen Tag vor der Debatte zur ersten Lesung, in der taz zu lesen war. Sie hat in diesem Artikel geschrieben: Sie wollen ein Opfer. … Von den Problemen des Opfers wollen sie nicht allzu viel wissen. Mit „sie“ in diesem Artikel meint sie die politischen Eliten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ich empfehle Ihnen diesen Artikel zur Lektüre, weil er, wie ich glaube, zum Ausdruck bringt, wie sich viele Menschen im Kosovo fühlen. Sie haben eher das Gefühl, dass KFOR eine Besatzungsarmee ist, als dass sie das Gefühl haben, dass wir uns für sie interessieren und mit ihnen diesen Weg nach Europa gehen wollen. Weil das so ist, müssen wir alles dafür tun, dass wir mit unserem Engagement denjenigen zur Seite stehen, die im Kosovo rechtsstaatliche Strukturen aufbauen wollen. Wir müssen noch mehr in die Entwicklung der gesamten Region investieren. Vielleicht macht es angesichts der Erfahrungen in der Ukraine Sinn, darüber nachzudenken, ob der Westbalkan nicht so etwas wie einen zweiten Stabilitätspakt Südosteuropa braucht. Wir sollten außerdem fair mit allen Ländern des Westbalkans umgehen. Das heißt für mich: Wir sollten endlich denjenigen in der Europäischen Union auf die Füße treten, die wie zum Beispiel Spanien oder Zypern eine Visaliberalisierung aus plumpen egoistischen Gründen verhindern. Das führt nämlich dazu, dass viele, gerade junge Menschen im Kosovo das Gefühl haben, dass es ihnen vor der EU-Beitrittsperspektive im ehemaligen Jugoslawien zumindest hinsichtlich der Reisefreiheit besser ging als heute. Ich glaube, das kann nicht in unserem Interesse sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diejenigen in der Europäischen Union, die den Kosovo noch nicht als Staat anerkannt haben, müssen wir davon überzeugen, den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens nicht zu blockieren. Mit diesen Schritten – Visaliberalisierung, Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen – wollen wir den Menschen im Kosovo signalisieren: Es geht weiter; es gibt eine politische und ökonomische Perspektive. Das müssen wir tun, damit eines nicht passiert – nicht nur im Kosovo; wir erleben es leider an vielen Stellen in Europa –: dass Perspektivlosigkeit gerade bei jungen Menschen dazu führt, dass das Gift des Nationalismus – nicht nur im Kosovo – um sich greift. Ob wir es wollen oder nicht: Für diese Region und insbesondere für das Kosovo tragen wir die Verantwortung dafür, dass es vorwärtsgeht. In diesem Sinne sollten wir das Mandat für KFOR verlängern, aber auch an die zivile Perspektive denken. Nur in Kooperation mit den Menschen und mit Empathie für die Menschen vor Ort wird es dort einen Fortschritt geben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Inge Höger, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Kosovo komme, möchte ich ein paar Worte zur Lage in Bosnien-Herzegowina sagen. Das Land wurde unlängst von einer Jahrhundertflut erfasst. Angesichts der humanitären Katastrophe in dieser Region ist es bedauerlich, dass die Notlage der Menschen so wenig Beachtung in Deutschland findet. (Beifall bei der LINKEN) Beobachter gehen davon aus, dass die materiellen Schäden größer sind als die im Krieg vor 20 Jahren. Ich selbst werde mir nächste Woche die Hochwasser- und Erdrutschgebiete ansehen und mit den Betroffenen reden. Die Menschen dort brauchen keine Bundeswehr, sondern humanitäre Hilfe und Unterstützung. (Beifall bei der LINKEN) In Bosnien wie im Kosovo hängen zwei Probleme eng zusammen: Armut und ethnischer Nationalismus. Beides wird durch die Balkanpolitik der Bundesregierung nicht bekämpft, sondern befördert. Knapp 40 Prozent der Bevölkerung des Kosovo leben in Armut, etwa 15 Prozent in extremer Armut. Die Hälfte der Menschen ist erwerbslos. Diese Situation hat ihre Ursache auch in den Privatisierungen, die die EU und Deutschland dem Kosovo als Bedingung für Unterstützung vorschreiben. Die KFOR-Truppen sorgen dafür, dass diese Privatisierungen notfalls militärisch abgesichert werden. Das ist unglaublich. (Dietmar Nietan [SPD]: Das, was Sie sagen, ist wirklich unglaublich!) Ich gebe Ihnen gerne ein Beispiel. Im Jahr 2000 haben KFOR-Soldaten die von Arbeiterinnen und Arbeitern besetzte Trepca-Mine in der Nähe von Mitrovica militärisch geräumt. Das blüht den Menschen, wenn sie sich gegen den Ausverkauf ihres Landes zur Wehr setzen. Die Linke lehnt es ab, die Bundeswehr zur Aufstandsbekämpfung in den Kosovo zu schicken. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat wohl auch deshalb ein Interesse an der Stationierung von Soldatinnen und Soldaten im Kosovo, weil deutsche Unternehmen dort Geld machen wollen. Nun ist der Kosovo nicht gerade ein lukrativer Markt, aber paradoxerweise subventioniert die Bundesregierung den Unterhalt deutscher Kohlekraftwerke in diesem Land. Deutsche Steuergelder werden dafür eingesetzt, dass Vattenfall und Co. Profite machen und die Luft im Kosovo verpesten. (Dietmar Nietan [SPD]: Das ist unglaublich!) Gleichzeitig tönt Herr Gabriel von einer Energiewende. Das ist Heuchelei. Die Linke wird das nicht akzeptieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das tut einem weh, körperlich weh, was Sie hier erzählen!) – Stimmt es oder stimmt es nicht? Nehmen Sie dazu einmal Stellung. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das stimmt: Die Rede tut körperlich weh! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist eine gewisse Dialektik!) Auch an den ethnischen Spannungen im Kosovo ist die Bundesregierung nicht unbeteiligt. Dass sich die Bundesregierung 1999 einseitig auf die kosovo-albanischen Separatisten gestützt hat und sich für sie starkgemacht hat, ist hinlänglich bekannt. Aktuell muss ich mich aber sehr wundern, dass Ministerin von der Leyen meint, es sei gelungen, den Kosovo von einer gespaltenen in eine inklusive Gesellschaft zu verwandeln. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Auf diesem Weg sind wir!) Frau Ministerin, haben Sie sich auch mit den einfachen Menschen des Landes unterhalten oder nur mit Soldatinnen und Soldaten? Ungeachtet des Brüsseler Abkommens, das eine Normalisierung der Beziehung zwischen Serbien und dem Kosovo postuliert, nehmen die Spannungen zwischen Albanern und Serben nicht ab. Sinti, Roma, Juden und andere Minderheiten sind von massiver Diskriminierung bedroht. Ich habe den Kosovo mehrere Male besucht und muss sagen, dass zur Bezeichnung „inklusive Gesellschaft“ sehr viel Fantasie gehört. Schönreden hilft nicht. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag stehen unter keinem guten Stern. Das Handelsblatt vom 1. Juni findet dazu sehr klare Worte – ich zitiere –: Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Parteien in der Regel von einigen wenigen Oligarchen abhängig sind, die durch Stimmenkauf und Manipulationen der Wählerlisten größeren Einfluss auf den Wahlausgang haben als die Bürger selbst. (Dietmar Nietan [SPD]: Gott sei Dank gibt es das in Russland nicht!) Dass sich im Kosovo in Zukunft etwas Grundlegendes ändern könnte, wird nicht erwartet, weil die Kandidaten fürs Parlament in der Regel bekannte Gesichter sind. (Dietmar Nietan [SPD]: Was machen wir jetzt?) Wie in der Ukraine unterstützt die Bundesregierung auch im Kosovo eine Clique von Oligarchen, die sich bereichern, während der Großteil der Menschen in Armut lebt. Mit dieser Politik muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Die KFOR-Truppen sind ein fester Bestandteil des ganzen Schlamassels. Die NATO hat 1999 bei ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien auch Uranmunition eingesetzt. Besonders betroffen ist der Kosovo. Ein hoher Staatsbeamter aus Pristina hat mir unter vier Augen verraten, dass die KFOR den Behörden im Kosovo untersagt hat, Untersuchungen zu Umfang und Folgen des Einsatzes von Uran durchzuführen. Bezeichnenderweise importiert die KFOR Trinkwasser für ihre Soldatinnen und Soldaten. Kenner wissen eben, dass Uran das Trinkwasser verseucht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Kenner trinken Württemberger! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Linke bleibt dabei: Bundeswehr und KFOR richten im Kosovo nur Schaden an und müssen schnell abgezogen werden. Wir sagen Nein zum KFOR-Mandat. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Peter Beyer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Gäste! Frau Höger, nur ganz kurz am Anfang sei gesagt: Diese Geschichts- und Wahrheitsverzerrung, ja Wahrheitsverfälschung, die Sie hier betreiben, ertragen wir nicht. (Inge Höger [DIE LINKE]: Das kann ich alles belegen!) Das können wir fast nur unter Schmerzen wahrnehmen. Das soll es aber auch schon zu Ihren Ausführungen über den KFOR-Einsatz gewesen sein. Im Übrigen ist das eine Beleidigung für die Soldatinnen und Soldaten, die dort Dienst tun. Das darf ich an dieser Stelle auch einmal sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 15 Jahre nach dem Ende des Kosovo-Krieges geht es darum, die Geschichte des Annäherungsprozesses zwischen ehemaligen Kriegsfeinden verantwortungsvoll fortzuschreiben. Es geht darum, die Sicherheit für die Menschen auf dem westlichen Balkan zu stärken und ihnen damit Hoffnung auf eine attraktive Zukunft zu geben. Die Spuren des Guerillakrieges nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens sind nicht erst nach der verheerenden Flut der vergangenen Wochen gewissermaßen an das Tageslicht geschwemmt worden. Das Kosovo zählt zu den ärmsten Ländern in Europa, und die Menschen brauchen greifbare Perspektiven. Das haben wir Ihnen 2003 auf dem Gipfel von Thessaloniki versprochen. Daran hat sich nichts geändert. Dazu stehen wir noch heute. Die Geschichte zeigt uns in den Ländern des westlichen Balkans auf beeindruckende Weise, wie man aus einer schier ausweglos erscheinenden Situation gleichwohl den Weg in eine friedliche Zukunft finden kann, obwohl die ethnischen, religiösen und politischen Gegensätze zwischen Kosovaren und Serben unverändert sind und das Konflikt- und Eskalationspotenzial nach wie vor hoch ist, besonders im Norden des Landes. Die Soldatinnen und Soldaten der Schutztruppe KFOR sind nach wie vor ebenso wie die Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX ein Sicherheitsanker, den wir noch nicht lichten können. Wir sollten allerdings für die nähere Zukunft eine weitere Absenkung der Obergrenze der Truppenstärke andenken. Gewissermaßen als Sinnbild für den nicht beendeten Konflikt und das Überwinden bestehender Ängste steht die immer noch verbarrikadierte Brücke über den Fluss Ivar in der geteilten Stadt Mitrovica. Immer wieder kommt es hier zu Explosionen, zuletzt vor circa zwei Wochen. Auch vor den Kommunalwahlen Ende letzten Jahres war es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Die anhaltenden Spannungen und das gegenseitige Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen im Norden machen den Einsatz der KFOR in dieser Phase der Integrationsbemühungen unabdingbar. Meine Damen und Herren, anfangs – und das sollten wir uns noch einmal in Erinnerung rufen – waren 40 Nationen mit rund 50 000 Soldaten am KFOR-Einsatz beteiligt. Mittlerweile leisten noch knapp 5 000 Soldaten Dienst. Seit 1999 waren zusammengenommen über 100 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo im Einsatz. Für ihren wichtigen Beitrag zu Stabilität, Frieden und Sicherheit an der serbisch-kosovarischen Staatengrenze sage ich ausdrücklich Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Solange der Normalisierungsprozess nicht abgeschlossen ist und niemand die Sicherheit und den Frieden für die Region garantieren kann, wäre es schier -unverantwortlich, das aktuelle internationale Sicherheitsgefüge im Kosovo aufzugeben. Es gilt, das Erreichte für die Menschen vor Ort zu sichern und Rückschritte zu verhindern. Das Normalisierungsabkommen vom April letzten Jahres, das sogenannte Brüsseler Abkommen, ist ein wichtiger Schritt auf einer vielsprossigen Leiter vom Dauerkonflikt hin zu einer friedlichen Koexistenz und damit zu einer sicheren Nachbarschaftspolitik. Die konkrete Implementierung als nächste Sprosse auf dem Weg in die angestrebte EU-Mitgliedschaft erfordert dabei aktives und konkretes Handeln, gerade in Bezug auf den technischen Dialog. Die Auflösung der Parallelstrukturen im finanziellen und im Justizbereich im Norden des Kosovo ist nach wie vor nicht erreicht. Hier ist Serbien in der Pflicht. Besonders heikel ist die Regelung zum Appellationsgericht. Nach wie vor liegen keine Auflistung und keine Übersicht aller von Serbien geleisteten Zahlungen vor. Die vollständige Einrichtung des serbischen Gemeindeverbundes ist nicht vollzogen. Das alles sind Herausforderungen, ja Bedingungen für eine erfolgreiche Heranführung an europäische Standards. Zur Wahrheit gehört auch, zu sagen, dass Europa -bedauerlicherweise selbst noch nicht bereit für eine -Aufnahme des Kosovo in die Staatengemeinschaft ist. Kollege Nietan hat es ausgeführt: Immer noch verweigern fünf EU-Mitgliedstaaten dem Kosovo die völkerrechtliche Anerkennung. Das ist wenig ruhmreich und muss sich alsbald ändern. Zudem halte ich es für überfällig, den Menschen des Kosovo Reisefreiheit einzuräumen. Es ist das einzige Land der gesamten Region, für dessen Bürger eine Visumspflicht für den Schengenraum besteht. Auch hier sollten die Anstrengungen zur Anpassung der Situation verstärkt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einiges ist bereits im Kosovo geleistet worden. So ist die Einrichtung eines Sondertribunals als positiv zu -werten. Es soll die mutmaßlichen Verbrechen der kosovarischen Befreiungsarmee untersuchen. Gerade für die politische Landschaft im Kosovo spielt diese Entscheidung eine wichtige Rolle; denn diese wurde – nach einigen Widerständen – von einer breiten Mehrheit im Parlament getragen. Zu den anerkennungswerten Punkten zählt auch die Fortsetzung der EU-Rechtsstaatsmission EULEX sowie die insgesamt gut verlaufenen Kommunalwahlen Ende vergangenen Jahres. Niemand sollte dabei allerdings in der Illusion leben, sich ausruhen zu können. Die dringend erforderliche Wahlrechtsreform, die eine Durchführung von Wahlen nach internationalen Standards garantieren sollte, ist anzumahnen. Noch nicht beantwortet wurde die Frage nach den Sitzen für Minderheiten im Parlament. Darüber hinaus wird sich bei den Wahlen am 8. Juni 2014 zeigen, wie die Eingliederung des Nordens gelingt und ob in Zukunft der bereits angemahnte Abbau von Parallelstrukturen sowie eine stärkere Einbindung in das kosovarische Staatengefüge wirklich erkennbar werden. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, ein kurzer Blick auf die Zeit, bitte. Peter Beyer (CDU/CSU): Genau, ich komme zum Schluss. – Auch mit Blick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen am kommenden Sonntag erwarten wir, dass der Dialogprozess mit Serbien von beiden Seiten mit großer Ernsthaftigkeit fortgesetzt wird; denn wer beitreten will, muss beitragen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon -gesagt: Die Annäherung zwischen Serbien und dem -Kosovo geht in den nächsten Monaten in eine kritische Phase. Das Abkommen vom April des letzten Jahres wurde schon erwähnt. Wir wissen aber gleichzeitig auch, dass es immer noch Kräfte gibt – rechtsextreme Serben, aber auch Angehörige der organisierten Kriminalität, die gar nicht unbedingt eine nationale Agenda verfolgen –, die eine Annäherung verhindern wollen. Sie schrecken vor Gewalt nicht zurück. Das zeigen die Angriffe auf die Kommunalwahlen im November und auch wiederholte Beschüsse der EULEX-Mission im Norden. Deshalb ist der KFOR-Einsatz in dieser Übergangsphase der – zu hoffenden – Annäherung immer noch notwendig. Sie haben schon die Parlamentswahlen erwähnt, die jetzt am Sonntag anstehen. Wir sollten den Grund dafür in Erinnerung rufen: Das war eine Abstimmung über eine eigene kosovarische Armee im Parlament, für die es keine Mehrheit gab. Alle Serben haben dabei den Saal verlassen. Darum gibt es jetzt Neuwahlen. In der Diskussion um eine eigene kosovarische Armee – die vielleicht in dieser Phase nicht sehr hilfreich für den Annäherungsprozess ist – war es für die Gegner dieser eigenen Armee wichtig, sagen zu können: KFOR ist ja da. – In dieser Situation KFOR abzuziehen, wäre fatal und politisch nicht wünschenswert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Für Serbien muss aber auch klar sein: Ein EU-Beitritt ist nur möglich, wenn das Kosovo bis dahin völkerrechtlich anerkannt ist. Ein zweites Zypern kann sich die -Europäische Union nicht leisten, und Serbien darf den Beitritt des Kosovo nicht blockieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass die Bedrohung immer noch vorhanden ist, dass wir im Kosovo eine Art zweite Republika Srpska bekommen können und die serbischen Strukturen nicht wirklich in das Land integriert werden. Das müssen wir verhindern. Wir müssen daran arbeiten, dass auch diese Menschen sich im Kosovo wirklich zu Hause fühlen. Ich hoffe sehr, dass die serbischen Kosovaren bei den Parlamentswahlen, die jetzt anstehen, ihr Wahlrecht wahrnehmen, sich beteiligen und nicht auf die Boykottforderungen einzelner Vertreter der serbischen Minderheit eingehen. Wir hoffen, dass der Friedensprozess durch die Wahl gestärkt werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Uns belastet die Hypothek, dass die Anerkennung des Kosovo durch fünf Mitgliedsländer der Europäischen Union immer noch aussteht. Es ist wirklich eine Krux, dass sie das Kosovo immer noch nicht anerkannt haben. EULEX hat deswegen Probleme vor Ort. Die Mission ist nicht so stark, wie sie sein sollte, von ihren Rechten her, von ihrem Ansehen her, von der Komplexität der Strukturen her. Dass wir es immer noch nicht hinbekommen haben, dass die gesamte EU das Kosovo anerkennt, ist eigentlich eine Schande für die Europäische Union. Ich hoffe, dass die Bundesregierung ihren Beitrag dazu leistet, dass endlich die letzten fünf Länder davon überzeugt werden können, das Kosovo anzuerkennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Lassen Sie mich am Ende ein Wort zur Lage der Roma im Kosovo sagen: Ihre Situation ist unverändert schlecht. UNICEF berichtet auch von der unzumutbaren Lage der Rückkehrer, vor allem der Kinder. Drei Viertel der Kinder gehen nach der Rückkehr in das Kosovo nicht mehr zur Schule. Sie erkranken körperlich und seelisch. In der Regel sprechen diese Kinder Deutsch, aber weder Albanisch noch Serbisch. Insgesamt ist die Lage dort weiterhin von Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt. UNICEF und Amnesty International fordern deswegen, die Abschiebung von Minderheitenangehörigen in das Kosovo zu stoppen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] und Dr. Katarina Barley [SPD]) Wir brauchen endlich einen bundesweiten Abschiebestopp für Roma und andere Minderheitenangehörige aus dem Kosovo und eine Visumfreiheit für die Bürger des Kosovo, um zu verhindern, dass es als einziges, letztes kleines Land keinen Anschluss an Europa hat. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Monaten hat die NATO, 15 Jahre nach dem Ende des Kosovokrieges, den oberen Luftraum über dem Balkanstaat wieder für zivile Flugzeuge geöffnet – ein kleines Stück Normalität, das viele positive Begleiteffekte mit sich bringt. Seit 15 Jahren entsenden wir Jahr für Jahr unsere -Soldatinnen und Soldaten in das Kosovo, seit 15 Jahren verlängern wir Jahr für Jahr das Mandat. Mittlerweile ist das Amselfeld vielen Bürgerinnen und Bürgern nur mehr als Weinbauregion bekannt, und das „Land der Skipetaren“ wird vermehrt wieder als Schauplatz der Geschichten Karl Mays betrachtet. Wer aber denkt, wir bräuchten den Einsatz nicht mehr, den dürfte spätestens die Krise in der Ukraine eines Besseren belehrt haben. Präsident Putin bemühte in aller Unsachlichkeit eine von ihm -konstruierte Parallele, nämlich zwischen der Unabhängigkeit des Kosovo und dessen unverändert bestehenden Problemen mit der Situation auf der Krim sowie der Lage in der Ostukraine. Doch der völkerrechtliche Vergleich des Kosovokrieges mit der Kriminvasion hinkt; die Hinter- und Beweggründe sind vollkommen verschieden. Seit 15 Jahren stabilisieren wir eine Region, in der ein Völkermord geplant war, der in letzter Minute abgewendet werden konnte, (Inge Höger [DIE LINKE]: Immer die gleichen Parolen!) vor unserer Haustür, in Europa, in einer Region, in der 28 Staaten friedlich miteinander leben, an der Schwelle zwischen Abendland und Morgenland. Nicht erst seit Ivo Andrics Schilderungen in seinem Werk Die Brücke über die Drina wissen wir, welch langes kulturelles Gedächtnis und welcher Stolz die Völker dieser Region verbinden – Eigenschaften, die uns mitunter fremd erscheinen, wo wir selbst mit ehemaligen Gegnern heute wunderbare Freundschaften pflegen. Doch gerade die Vertreter nationaler Maximalpositionen beziehen sich noch heute auf Geschehnisse, die vor 600 Jahren stattgefunden haben, und empfinden für das Amselfeld wie andere für Jerusalem. Diese Maximalpositionen wurden in den letzten 15 Jahren so weit verlassen, dass heute miteinander geredet und nicht mehr aufeinander geschossen wird. Deshalb sind heute nicht mehr 50 000 Soldatinnen und Soldaten nötig, sondern nur noch ein Zehntel davon. Doch die sind eben noch nötig. Im Norden des Kosovo, wo sich die serbische Bevölkerungsminderheit konzentriert, weigern sich die meisten Serben immer noch, die Zentralregierung in Pristina anzuerkennen. Im Parlament, wo sie aufgrund von Schutzklauseln großen -Einfluss haben, boykottieren sie die Bildung einer eigenen Armee. Parlamentsauflösung und Neuwahlen sind derzeit die Folge, aber eben kein Bürgerkrieg. Die Region bewegt sich in die richtige Richtung, aber nur langsam. Zu Gesprächen und Verhandlungen, wie schmerzhaft und schwer sie für alle Seiten in Zukunft auch sein mögen, gibt es keine Alternative, zumindest keine, die wir uns für Europa wünschen. Dafür brauchen wir den Schutz von KFOR. 15 Jahre KFOR, das ist eine lange Zeit; das entspricht fast vier Legislaturperioden. Sehr geehrte Gäste und Zuschauer! Gerne möchte ich die Mandatsverlängerung zum Anlass nehmen, zu erklären, wie wir solche Entscheidungen treffen. Unsere ausschlaggebenden Kernfragen bei allen Einsätzen der Bundeswehr lauten: Was ist unser nationales Interesse? Welchen beabsichtigten Zielzustand legen wir zugrunde? Was wollen wir mit dem Einsatz wirklich erreichen, und wann beenden wir den Einsatz? Für den Einsatz im Kosovo sind die naheliegenden Antworten auch die Erklärung, warum 15 Jahre gar nicht so lang sind und wir vielleicht noch eine 20. oder 25. Verlängerung erleben werden: Es liegt in unserem besonderen nationalen Interesse, in einem einigen und friedlichen Europa zu leben. Dazu gehört auch der Westbalkan. Eine rechtsstaatliche Entwicklung dieser Länder ist der Schlüssel zum Erfolg. Einen Misserfolg würden wir zu spüren bekommen. Organisierte Kriminalität kennt nämlich keine Grenzen. (Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) Dieser Einsatz darf erst beendet werden, wenn diese Länder stabile Demokratien sind, in denen man ethnien-, religions- und kulturübergreifend friedlich über die gemeinsame Geschichte sprechen kann, eine Geschichte, die auch ein wesentlicher Teil unserer europäischen -Geschichte darstellt. Deshalb bitte ich Sie alle um Ihre Zustimmung für die weitere Unterstützung unserer Nachbarn. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist der Abgeordnete Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wolfgang Hellmich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie der Debatte folgen! Frau Höger, ich will vorab zwei Punkte klarstellen: Sie waren gestern ebenso wie ich in der Sitzung, in der wir uns über die Frage unterhalten haben, wie wir mit den Minen in Bosnien-Herzegowina umgehen. Sie haben den Ausführungen des Vertreters des Auswärtigen Amtes zugehört und haben erfahren, an welchen Initiativen sich die Bundesregierung beteiligt und dass mehr Geld gegeben wird, um das Problem zu lösen. Angesichts dessen ist das, was Sie hier gesagt haben, schlichtweg eine Frechheit. Oder Sie waren in einer anderen Sitzung als ich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der zweite Punkt. Dass 25 Jugendliche aus dem -Kosovo, die ehemals Flüchtlinge waren, aber in den -Kosovo zurückgekehrt sind, unterstützt von der Handwerkskammer Dortmund in einem dualen System – in Dortmund und im Kosovo – als Handwerker ausgebildet werden, ist für mich ein gutes Beispiel. Es zeigt, was dieses Land tatsächlich braucht: Es braucht Initiativen, mit denen die Wirtschaftskraft gestärkt und die Bildung verbessert wird. Das ist garantiert kein Beispiel dafür, dass das Land ausgebeutet wird, wie Sie vonseiten der Linken das behaupten. Ich glaube, es ist richtig, dieses Programm weiterzuführen. Wir brauchen mehr solcher Initiativen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) An dieser Stelle danke ich den Soldatinnen und Soldaten der KFOR, die mit ihrem Einsatz die Rahmenbedingungen für solche Initiativen aufrechterhalten. Es geht darum, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, damit all diese Initiativen im Kosovo Platz greifen können, damit diese Initiativen den Raum haben, politisch, gesellschaftlich und zivil zu wirken. Das ist der Kern. Es geht nicht nur um militärische Fragen, sondern es geht vor allem darum, über den KFOR-Einsatz die zivile Entwicklung dieses Landes zu ermöglichen. Das ist Kern, Sinn und Auftrag aller Missionen, über die wir in diesem Zusammenhang reden. Wir können auf der Habenseite Fortschritte im -Kosovo verzeichnen. Diese Fortschritte müssen wir aufzählen, weil das die Punkte sind, um die wir uns gekümmert haben: Im Herbst soll der Beschluss über das SAA-Abkommen zwischen dem Kosovo und der EU gefasst werden. Bei der Polizei wurden die Parallelstrukturen im Norden des Kosovo abgebaut; die Bezahlung der -kosovarischen Polizei erfolgt jetzt komplett durch den Kosovo und nicht über Serbien. Wir haben vorgestern Abend gehört, wie aus Belgrad der Aufruf an die serbischen Minderheiten im Norden des Kosovo erging, sich bitte an der Parlamentswahl zu beteiligen und diese nicht zu boykottieren. Ich glaube, das alles sind positive Signale, mit denen die Nachbarn, die Kosovaren selber und auch die Serben im Kosovo deutlich machen, dass sie an einer friedlichen Entwicklung des Landes interessiert sind und vorankommen wollen. Wir sollten das nicht behindern. (Beifall bei der SPD) Im Gegenteil: Wir sollten durch eine positive Entscheidung über dieses Mandat deutlich machen, dass wir unserer europäischen Verantwortung nachkommen, Sicherheit, Stabilität und die Sicherheit des öffentlichen Raumes für die Menschen im Kosovo zu garantieren. Erfreulich ist, dass wir in diesem Zusammenhang als „third responder“ über die KFOR immer weniger gefragt sind. Das zeigt, dass die kosovarischen Institutionen aufgrund der Strukturen auch selber zunehmend mehr in der Lage sind, die öffentliche Sicherheit herzustellen und im öffentlichen Raum aufzutreten. Wir schätzen die Bedrohungslage insgesamt als mittel, im Norden als etwas stärker ein. Die Menschen dort sagen uns, dass, wenn wir die KFOR zurückziehen, sie nicht wissen, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird. Sie bitten uns, einem solchen Mandat zuzustimmen und ihnen zu helfen, ihr Land friedlich weiterzuentwickeln. Ja, es gibt lokale Konflikte, aber Gott sei Dank keine ethnischen Konflikte. Wir wissen, dass eine traumatisierte Situation, die sich tief in die Seelen der Kosovaren eingegraben hat, nicht unbedingt in 10 oder 15 Jahren zu beseitigen ist. Es wird eine Generation und mehr dauern – diese Erfahrung haben wir selber gemacht –, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, etwas dafür zu tun, um in einem sicheren Land zu leben. Diejenigen, die im Ausland Gelder erwirtschaften und diese in den Kosovo schicken, um ihre Familien zu ernähren, müssen im Kosovo selber eine Chance haben, zu arbeiten, zu wirken, produktiv zu sein und ihr Land weiterzuentwickeln. Es geht auch darum, Arbeitsplätze zu schaffen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dort gut gearbeitet werden kann, und funktionierende Justizstrukturen aufzubauen. Wir wissen, dass dazu im Kern auch die Bekämpfung der Korruption im Kosovo gehört. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Das muss die Aufgabe staatlicher Institutionen sein, die wir durch entsprechende Ausbildung stärken. Unsere Missionen sind auf die Stärkung des Staates Kosovo ausgerichtet, damit seine Gesellschaft entsprechend organisiert werden kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Solange es nötig ist, eine friedliche Entwicklung zu begleiten, sollten wir das mit allen Instrumenten, die wir haben, tun, abgesichert durch die entsprechenden Mandate. Ich bitte Sie herzlich, diesem Mandat zuzustimmen, weil es dem Kosovo und den Menschen dort hilft, ihre Gesellschaft und ihren Staat weiterzuentwickeln. An der Stelle bitte ich Sie um Zustimmung. Wir helfen damit dem Land. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Kolleginnen und Kollegen – insbesondere die, die sich jetzt unterhalten –, jeder möge sich einmal kurz vorstellen, dass er hier am Pult steht und als einer der letzten Redner in einer solchen Debatte zu sprechen hat und dann in ein allgemeines Gemurmel hineinspricht. Ich finde das erstens unkollegial und unfair. (Beifall) Zweitens müssen unsere Besucher auf den Tribünen einen unguten Eindruck von uns bekommen. Deswegen wäre es schön, wenn es etwas zu besprechen gibt, das draußen zu tun oder jetzt dem letzten Redner zuzuhören. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, am Ende dieser sehr klugen und übergreifend geführten Debatte – bis auf eine Ausnahme: die Linken – (Beifall des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]) können wir als Bundestag uns durchaus einmal in Erinnerung rufen, was in den letzten 15 Jahren erreicht wurde. Wer hätte sich vorstellen können, dass wir heute im Bundestag laut und offen darüber debattieren, ob nicht dem Kosovo in gewissem Rahmen eine Visafreiheit zugestanden wird? Ich bin dem Kollegen Beyer ausdrücklich dankbar für diesen Hinweis. Wer hätte sich vor 15 Jahren vorstellen können, dass die EU nach den Vereinten Nationen in verantwortlicher Mission dort mit über 2 000 Angestellten und Beamten für Rechtsstaatlichkeit sorgt? Wer hätte sich vorstellen können, dass wir von seinerzeit über 50 000 Soldaten heute bei knapp 5 000 sind und wir selbst als deutsche Bundeswehr, die wir hier entsenden, von über 6 500 Soldaten bei knapp 700 sind? Trotzdem ist unser Land in der Verantwortung, die der Bundestag wahrnimmt, mit den Vereinigten Staaten stärkster Truppensteller. Lassen Sie mich, weil vieles Gute und Richtige schon gesagt wurde, nur auf einige wenige Aspekte eingehen. Wer hätte sich noch vor drei oder vier Jahren vorstellen können, dass sowohl die serbische Regierung, ein Pre-mierminister Vu?i?, als auch der Kosovo KFOR begrüßen? Wir hatten erst in dieser Woche in der Arbeitsgruppe eine klare Diskussion und Aussprache mit dem serbischen Gesandten, der uns ausdrücklich aufgerufen hat, es bei der Höhe im KFOR-Mandat zu belassen. An dieser Stelle sollten wir aber auch – nicht nur mit Blick auf die anstehenden Wahlen im Kosovo – einen Appell an den Kosovo richten. Die kosovarischen Sicherheitskräfte werden zahlenmäßig deutlich erhöht und in bewaffnete Kräfte umbenannt. Das ist eine historische Chance für den Kosovo, dafür zu sorgen, dass diese Streitkräfte multiethnisch zusammengesetzt werden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass in der Bevölkerung Vertrauen in diese Streitkräfte herrscht, dass diese nicht zur Eskalation eingesetzt werden, sondern dass diese Selbstverteidigungskräfte für einen Ausgleich innerhalb des Landes und – das ist auch der Zweck militärischer Kräfte – über Militärdiplomatie für Aussöhnung in der Nachbarschaft sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sollten wir alles daransetzen, dass die Präsenz solcher kosovarischen Kräfte auch im Nordkosovo selbstverständlich wird – nicht nur einvernehmlich, sondern so, wie es sich für ein souveränes Land gehört. Ein Wort an die Adresse Serbiens: Vom Bundestag, von unserer CDU/CSU-Fraktion ging vor zwei Jahren ein Sieben-Punkte-Plan aus. Fünf dieser sieben Punkte sind bereits umgesetzt. Zwei Punkte sind noch nicht umgesetzt: erstens die endgültige Anerkennung des Kosovo durch Serbien – das erwarten wir am Ende des Prozesses – und zweitens – das erwarten wir ebenfalls von Serbien – die Ermittlung derjenigen, die die deutsche Botschaft in Belgrad im Jahr 2008 in Brand setzen wollten, und deren Inhaftnahme. Ich glaube, diese Forderungen dürfen wir nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten auch deutlich anerkennen, wie sich der Außenminister des Kosovo darum bemüht, den Kosovo international als einen verlässlichen Partner weiterzuentwickeln. Ich appelliere aber auch an Albanien, weiter mäßigend auf die albanischen Minderheiten außerhalb Albaniens einzuwirken, wie das in der Vergangenheit schon geschehen ist. Es ist wichtig, dass die Staaten des westlichen Balkans gemeinsam begreifen, dass sie eine Perspektive brauchen und es nur gemeinsam erreichen können, in die Europäische Union zu kommen, und zwar nicht durch den Wettbewerb des Schlechten, sondern durch die Auswahl des Besten und eine Bewerbung mit gegenseitiger Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir heute dem KFOR-Mandat zustimmen, sollten wir uns erstens bewusst sein, dass wir vor weiteren Reduzierungsschritten stehen. Diese Reduzierungsschritte müssen nicht nur im Einklang mit der Sicherheitslage sein, sondern auch dazu führen, dass EULEX bei ihrer schwierigen Aufgabe abgesichert bleibt. Denn neben den Rechtsstaatlichkeitsaufgaben geht es immer noch um das Aufspüren, Verfolgen und die Festnahme von Kriegsverbrechern. Hier braucht EULEX Absicherung, die zuverlässig ist. Zweitens. Es gibt Überlegungen, möglicherweise in einem weiteren Mandat die Europäische Union verantwortlich zu machen. Hier warne ich vor Übereile; denn es haben von den Schengen-Staaten mit Deutschland nur 24 Staaten den Kosovo anerkannt. Wir dürfen uns hier keine Spaltung leisten. Das hat Frau Kollegin Brantner deutlich angesprochen. Angesichts der Entwicklungen in der Ukraine ist es für mich als überzeugtem Transatlantiker auch erforderlich, dass die USA weiterhin in unsere Missionen eingebunden sind. Es ist wichtig, dass sie Teil von KFOR sind. Mögen sie uns dort noch lange erhalten bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was im Kosovo erreicht wurde, ist auch für unseren Bundestag ein Ausweis guter sicherheitspolitischer Arbeit. Es ist die am besten erklärte Mission, über deren Fortsetzung wir heute abstimmen; sie ist viel besser erklärt als beispielsweise der Einsatz in Afghanistan. Sie könnte als Paradebeispiel dafür dienen, wie eine notwendige sicherheitspolitische Diskussion aussehen könnte: mit klaren Interessen, die wir im Kosovo haben, mit definierten Aufgaben, die wir lösen wollen, mit einer klaren Zielsetzung und vor allen Dingen – das ist das Wichtigste – mit einer guten Erklärung für unsere Bevölkerung, warum unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind. Ich bitte um Zustimmung. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/1653 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 18/1415 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze im Plenum wieder einzunehmen. – Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1665. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die für ihren Antrag gestimmt hat, abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen Drucksache 18/982 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsauschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster erhält Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau hat die Bundeskanzlerin gesagt – ich zitiere –: Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde … sagen, dass das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird. Herr Kollege Weiß, das hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel Anfang Juni 2009 bei der Eröffnung des 9. Deutschen Seniorentages in Leipzig versprochen, also vor der Bundestagswahl vor fünf Jahren. – Im Koalitionsvertrag 2009 hieß es dann – Zitat –: Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein. Nach der Bundestagswahl 2009: Pustekuchen! Nach der Bundestagswahl ist nichts passiert – bis heute, Juni 2014. Versprochen, gebrochen – das ist die beschämende Rentenpolitik der CDU für die Rentnerinnen und Rentner im Osten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und die SPD? Die SPD forderte im Juni 2013, also vor der vergangenen Bundestagswahl, in einem Extra-Wahlkampfantrag, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, „der die vollständige Angleichung des aktuellen Rentenwertes (Ost) an den aktuellen Rentenwert in Stufen“ vorsah. Dieses Gesetz sollte 2014 in Kraft treten. Tja, so spricht man vor der Wahl. Nach der Wahl ist davon nichts mehr zu sehen. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt: Ein Standardrentner in Rostock erhält nach 45 Jahren Arbeit zum Durchschnittslohn noch immer 100 Euro weniger Rente als ein Rentner in Stuttgart, der auf die gleiche Lebensleistung zurückschauen kann – im 25. Jahr nach dem Mauerfall. Das war ungerecht, das ist ungerecht, und das bleibt ungerecht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An dieser Ungerechtigkeit ändert auch Ihr Rentenpaket nichts. Die Rente ab 63 ist für die vielen Hartz-IV-Betroffenen im Osten nicht zu realisieren, und bei der neuen Mütterrente ist ein Kind im Osten noch immer 4,44 Euro weniger wert als ein Kind im Westen. Das war ungerecht, und das bleibt ungerecht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ursache dafür ist: Ein Vierteljahrhundert nach dem Einheitsvertrag liegt der Rentenwert im Osten mit 26,39 Euro noch immer knapp 7,8 Prozent unter dem Rentenwert im Westen mit 28,61 Euro. Es stimmt: Der Abstand hat sich über die Jahre langsam verringert. Aber keine Bundesregierung hat bisher die Gerechtigkeitslücke geschlossen. CDU, CSU, SPD, Grüne, sie alle haben hier gemeinsam versagt. (Beifall bei der LINKEN – Beate Müller--Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Es stimmt: Ein einheitlicher flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn wird die Rentenlücke verkleinern, aber besonders dann, wenn er bei 10 Euro liegen würde; denn im Osten erhalten rund 40 Prozent der Beschäftigten weniger als 10 Euro brutto die Stunde. 10 Euro Mindestlohn, das würde die Ostrenten den Westrenten ein deutliches Stück näherbringen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, erst 2016 zu prüfen, ob man 2017 vielleicht etwas machen muss, um dann irgendwie zu einer Angleichung der Renten im Jahr 2020 zu kommen. Das alles erzählen Sie seit Jahren. Davon stimmt kein Wort. Ich sage Ihnen: Die Ostdeutschen haben Ihre Vertröstungen satt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit Tippelschritten und dem Hoffen auf eine automatische Lohnangleichung kommen wir hier nicht weiter. Die Lohnangleichung stagniert seit Mitte der 90er-Jahre bei unter 80 Prozent. Da tut sich nichts. Deshalb sagen wir Linken als einzige Partei in diesem Hause: Die Angleichung der Renten im Osten an das Westniveau muss jetzt sofort auf den Weg gebracht werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich fordere Sie auf: Führen Sie zum 1. Juli dieses Jahres einen steuerfinanzierten und stufenweise steigenden Zuschlag ein, und zwar so, dass die Rentenwerte in Ost und West bis zum Jahresende 2017 vollständig angeglichen sein werden! Das würde jede Steuerzahlerin und jeden Steuerzahler in diesem Jahr durchschnittlich nur 1,80 Euro im Monat kosten. 1,80 Euro – das ist doch finanzierbar. Das sollte Ihnen die Umsetzung des Prinzips „Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“ wert sein. (Beifall bei der LINKEN) Wenn die Löhne und Gehälter in den östlichen Bundesländern im Durchschnitt 100 Prozent der Löhne und Gehälter der westlichen Bundesländer erreicht haben werden, dann ist auch die Linke dafür, die Umrechnung der ostdeutschen Löhne für die Rente abzuschaffen, aber eben erst dann und nicht vorher. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ja noch Jahre dauern!) Ansonsten bekäme die Friseurin in Weimar für die gleiche Menge an frisierten Ostköpfen nicht nur weniger Lohn als die Friseurin in Nürnberg für die gleiche Zahl an frisierten Frankenköpfen, sondern auch noch weniger Rente für die völlig gleiche Leistung, und das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Unser Antrag beruht im Kern auf dem Stufenmodell des Bündnisses für die Angleichung der Renten in den neuen Bundesländern. Dazu gehören Verdi, die GEW, die EVG, die GdP und die Volkssolidarität, der Sozialverband Deutschland, die Arbeiterwohlfahrt, der Beamtenbund und sogar der BundeswehrVerband. Deswegen sage ich: Liebe Große Koalition, liebe Frau Nahles, hören Sie auf dieses breite Bündnis! Erkennen Sie endlich die Lebensleistung der Ostdeutschen an! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo, Drucksachen 18/1415 und 18/1653, liegt vor: abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 532, mit Nein haben gestimmt 59, Enthaltungen 7. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 597; davon ja: 531 nein: 59 enthalten: 7 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özo?uz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Dr. Valerie Wilms Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Als nächster Rednerin in unserer Debatte erteile ich das Wort Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hat kürzlich gewählt. Auch bei den Kommunalwahlen in Brandenburg, woher ich stamme, wo ich geboren bin und wo mein Wahlkreis liegt, gab es interessante Ergebnisse: Die Union hat erwartungsgemäß zugelegt, (Beifall bei der CDU/CSU) und die Linke hat verloren, und zwar ordentlich. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Wie sich das -gehört!) Das zeigt nicht nur, dass die Linke dort, wo sie in Regierungsverantwortung ist, das Vertrauen der Wähler stetig verliert. (Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) Es zeigt vor allen Dingen auch, dass ihre Strategie des Schlechtredens nicht mehr länger aufgeht. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit Jahren reden Sie den Menschen in Ostdeutschland ein, dass deren Lebensleistung nicht gewürdigt wird. Doch indem Sie Vorbehalte zementieren und Wahrheiten verklären, sind Sie es, die Lebensleistung nicht anerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) Auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer dürfen wir eines nicht vergessen: Die Wiedervereinigung und auch die Überleitung des Rentenrechts auf die neuen Länder war und ist ein gesamtgesellschaftlicher, solidarischer Kraftakt. Diese Leistung zeigt sich auch bei den Renten in den neuen Ländern. Die Renten in Ostdeutschland werden noch heute um circa 18 Prozent hochgewertet, und bei gleichem Brutto gibt es im Osten einen höheren Rentenanspruch als im Westen. So viel zur Klarheit. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falschherum gedacht!) Das durchschnittliche Lohnniveau im Osten, verursacht durch eine unterschiedliche Wirtschafts- und Branchenstruktur, ist aber immer noch niedriger als im Westen. Das ist ein Umstand, den auch meine Kollegen aus den neuen Ländern und ich bedauern; aber das sind nicht die Folgen von politisch gewollter Ungerechtigkeit. Das sind immer noch die Auswirkungen von 40 Jahren staatlich verordneter Plan- und Misswirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb bin ich froh und dankbar darüber, dass wir die Angleichung der Lebensverhältnisse als gesamtdeutsche Aufgabe anerkennen und auch im Rentenrecht berücksichtigen. Zur Erinnerung: 1990 lag das Verhältnis des Rentenwerts Ost im Vergleich zum Rentenwert West bei durchschnittlich 40 Prozent. Heute sind wir bereits bei über 90 Prozent und ab 1. Juli 2014 sogar bei 92,2 Prozent. Das ist Anerkennung von Lebensleistung. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 100 Euro im Schnitt!) Wir sind gut beraten, nicht vorschnell in die Rentenformel einzugreifen. Sowohl die Rentenanpassung durch jetzt steigende Löhne als auch die zusätzliche Hochwertung gleichen bestehende strukturelle Unterschiede aus. Das schafft ein höchstmögliches und für die Solidargemeinschaft verträgliches Maß an Gerechtigkeit. Sie aber wollen mit Steuererhöhungen auf Unternehmensgewinne, Erbschaften und Vermögen Ungerechtigkeiten beseitigen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 1,80 Euro!) Aber Sie schaffen damit Ungerechtigkeiten. Wissen Sie eigentlich, dass der größte Teil des Vermögens in Deutschland selbst erarbeitet ist, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wage ich zu bezweifeln!) dass er in Betrieben und mitunter im selbstgebauten Eigenheim steckt? Wie passt diese Politik zu Ihrem selbsterklärten Ziel, bessere Rahmenbedingungen für eine positive Lohnentwicklung im Osten zu schaffen? Sie rütteln an dem Fundament, auf dem unser Land fußt, und gefährden Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze auch in Ostdeutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Brandenburgerin sage ich Ihnen: Das ist nicht mein Verständnis und auch nicht das Verständnis der Ostdeutschen von einer guten Politik für die neuen Bundesländer. Sprechen Sie doch einmal über das, was uns stark macht! So drückt sich die Lebensleistung der Ostdeutschen heute konkret auch im Rentenzugang aus. Gerade Frauen sind und waren im Osten öfter und länger erwerbstätig. Diese kontinuierlichen Erwerbsbiografien ermöglichen es heute vielen, früher in Rente zu gehen. Frauen in den neuen Ländern gehen im Schnitt fast zwei Jahre früher in Rente als Frauen in den alten Ländern. Das ist möglich, weil sie so lange erwerbstätig waren. Dadurch liegt ihre durchschnittliche Rente heute um 44 Prozent höher – das ist also wesentlich mehr – als in den alten Bundesländern. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das lag daran, dass die Vereinbarung von Familie und Beruf im Osten so gut war, Frau Schimke!) Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Zum 1. Juli 2014 steigt der Rentenwert. Er wird in den neuen Bundesländern von 91,5 Prozent auf 92,2 Prozent des Westwertes ansteigen. Damit steigen die gesetzlichen Renten im Osten einmal mehr stärker als im Westen. Meine Damen und Herren, auch die Union möchte die Angleichung der Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland weiter voranbringen. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag so festgeschrieben. Die Renten bis 2020 anzugleichen, ist politisch vernünftig und liegt in einem zeitlich vertretbaren Rahmen. Das bleibt eines unserer wichtigsten politischen Ziele. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da werden viele Bestandsrentner nichts mehr von haben!) Wir sehen uns in der Verantwortung und werden den Angleichungsprozess deshalb auch schrittweise fortführen. Aber wir können Folgendes daraus lernen: Eine stringente Erwerbsbiografie ist die beste Altersvorsorge. Auch deshalb sollten die weitere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein zentraler Punkt unserer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist eine Stärke der neuen Bundesländer. Auch sollten wir alle Säulen des Rentensystems im Blick behalten. Die gesetzliche Rentenversicherung wird dies künftig nicht mehr alleine leisten können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das könnte sie, wenn man nur wollte! Es fehlen nur die politischen Mehrheiten!) Bereits heute erwerben über 70 Prozent der Deutschen Rentenansprüche aus der privaten und betrieblichen -Altersvorsorge. Diesen Weg müssen wir künftig konsequent weiterführen. Nur so schaffen wir eine zukunftsfähige Altersvorsorge, die im Sinne der gesamten Solidargemeinschaft in Ost und West ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordnetem Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Schimke, Sie haben zwar sehr wortreich gesprochen, aber zur tatsächlichen Problematik, zur Angleichung der Renten im Osten an die im Westen sowie zu Gleichstellung und Gleichbehandlung haben Sie fast nichts gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich habe noch eine Bitte – auch mit Blick auf die folgenden Redner –, bevor ich zu meiner eigentlichen Rede komme. Lassen Sie doch einmal die Platte von den 40 Jahren SED-Misswirtschaft im Schrank stehen! Das bringt doch nichts. Wirklich geistreicher macht es das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist sinnvoll, dass diese Debatte aufgesetzt ist. Ich will gleich mit den Kernforderungen von Bündnis 90/Die Grünen beginnen. Wir wollen die Anhebung des Rentenwertes Ost auf das Westniveau. Wir wollen die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze Ost auf das Westniveau. Wir wollen in der Vergangenheit erworbene Rentenansprüche unangetastet lassen. Wir wollen die Gleichstellung auf allen Ebenen. Das bedeutet auch – das sagen wir ganz offen – einen Verzicht auf die Höherwertung nach einer sofortigen Angleichung der Rentenpunkte Ost an das Westniveau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb kann ich jetzt nicht klatschen!) Weil wir wissen, dass die Abschaffung der Höherwertung kurzfristig eine leichte Absenkung des Niveaus bedeutet und dann möglicherweise zu Armutsproblematik führt – das kommt allerdings auch im Westen vor –, wollen wir eine Garantierente einführen und nach 30 Versicherungsjahren einen Mindestanspruch sicherstellen. Wir glauben, dass man auf diese Art und Weise zielgenauer als mit einer pauschalen, je nach Region gewichteten Höherwertung Armutsvermeidungspolitik betreiben kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist mit der Lebensstandardsicherung?) Der einzige Punkt, in dem sich die Union gegenüber der letzten Legislaturperiode als lernfähig erwiesen hat, ist, dass die Formulierungen im Koalitionsvertrag vorsichtiger sind und die Ankündigungen nicht mehr ganz so vollmundig sind. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Allerdings!) Kollege Birkwald hat schon die Aussagen der Kanzlerin aus dem Jahr 2009 zitiert. Ich möchte einen Satz aus dem Koalitionsvertrag vortragen: Zum 1. Juli 2016 wird geprüft, – geprüft! – wie weit sich der Angleichungsprozess bereits vollzogen hat, und auf dieser Grundlage entschieden, ob mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung – eine Teilangleichung! – notwendig ist. Das ist im Grunde nichts weiter als die verkappte Ankündigung, dass Sie überhaupt nichts gegen das Problem unternehmen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir schon!) Ich möchte noch etwas zu der sogenannten Höherwertung sagen, die nach dem Vorschlag der Fraktion Die Linke – Sie wollen das in mehreren Stufen machen – beibehalten werden soll. Wir glauben: Wer im Osten 3 000 Euro verdient, der soll den gleichen Rentenanspruch erwerben wie jemand, der im Westen ebenfalls 3 000 Euro verdient. Die Maßeinheit ist das Gehalt und nicht die Zahl frisierter Köpfe. Man muss schon der Tatsache Rechnung tragen, dass sich in der Tariflandschaft in den letzten Jahren einiges verändert hat. Wirft man einen Blick in das Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung, stellt man fest, dass die Tarifniveauunterschiede laut WSI – es stimmt, dass nicht alles tariflich abgedeckt ist – im Jahr 2013 nur noch 3 Prozent betragen. In vielen Tarifverträgen ist mittlerweile die gleiche Bezahlung in Ost und West vereinbart. Wenn man sich die regionalen Unterschiede anschaut, dann stellt man fest, dass die Himmelsrichtung West/Ost nicht mehr so aufschlussreich ist. Es gibt auch im Westen Regionen mit einem sehr niedrigen Lohnniveau. Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Wenn man insbesondere das nördliche Ruhrgebiet mit Stuttgart oder dem Münchner Umland vergleicht, dann kommt man zu ganz erheblichen Lohnunterschieden, die die Lohnunterschiede zwischen Ost und West weitaus übersteigen. Wir wollen daher zielgerichtet über Instrumente wie die Garantierente und Maßnahmen, die das Rentenniveau stabilisieren, die Rente armutsfest machen und uns dabei möglichst nahe an einer lebensstandardsichernden Rente orientieren. Es sollen aber keine Ausgleiche mehr nach Himmelsrichtung erfolgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das trifft auch auf den Solidarpakt zu. Selbst die ostdeutschen Länder haben inzwischen erkannt, dass sich die Situation fast 25 Jahre nach dem Mauerfall verändert hat. Strukturschwache Regionen gibt es in ganz Deutschland. Insofern muss sich eine öffentliche Intervention nach dem Bedarf und darf sich nicht nach der Himmelsrichtung richten. Wenn wir in den weiteren Beratungen in diesem Sinne zusammenkommen könnten, wäre das gut. Ich halte fest: Wir brauchen möglichst schnell, am besten zum 1. Juli, zum nächsten jährlichen Rentenanpassungstermin, eine Gleichberechtigung und Gleichstellung von Rentnerinnen und Rentnern in Ost und West. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächste Rednerin erhält Daniela Kolbe, SPD-Fraktion, das Wort. (Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu Wort) – Der Kollege Birkwald hatte eine Kurzintervention angemeldet. Er hat aber vorhin selber gesprochen. Deswegen kann er zwar eine Frage stellen, aber eine Kurzintervention ist nicht möglich; denn die Idee der Kurzintervention besteht darin, dass ein Redner, dem spontan etwas einfällt, etwas sagen kann. Es soll nicht so sein, dass einer, der schon etwas gesagt hat, noch etwas sagen soll. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], an den Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Hast du Glück gehabt! Ich wollte dich in Ruhe reden lassen!) Bitte, Frau Kollegin. Daniela Kolbe (SPD): Jetzt habe ich wieder etwas über die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gelernt. Vizepräsident Peter Hintze: Man lernt hier laufend. Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal danke an die Linke, dass wir über das Thema sprechen können. Jeder, der in den neuen Bundesländern Wahlkampf macht, weiß, dass es kaum ein Thema gibt, das so emotional diskutiert wird. Man spürt immer wieder, dass wegen der Tatsache, dass es zwei unterschiedliche Rentensysteme in Ost und West gibt, ein massives Ungerechtigkeitsempfinden nach wie vor vorhanden ist. Ich war 1989 neun Jahre alt. Es ist irgendwie schon verrückt, dass wir 25 Jahre nach der friedlichen Revolution immer noch zwei unterschiedliche Rentensysteme haben. Aber es lohnt durchaus ein Blick zurück. Im Rentenüberleitungsgesetz nach der Wiedervereinigung sind Regelungen für die bestehenden und für die zukünftigen Renten in den damals wirklich noch neuen Bundesländern getroffen worden. Ich finde, diese Regelungen verdienen unser aller Hochachtung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn damals sind zwei völlig unterschiedliche Rechtssysteme zusammengeführt worden, auch mit dem impliziten Versprechen, dass die Unterschiede lediglich für eine Übergangszeit gelten sollten. Profitiert davon haben insbesondere die Rentnerinnen und Rentner in der ehemaligen DDR, die für ihre Rentenanwartschaften Renten bekommen haben und hoffentlich immer noch bekommen, die sie nach DDR-Rentenrecht nie und nimmer bekommen hätten. Ich weiß, einige wollen und können es nicht mehr hören, dennoch sollte man nicht unerwähnt lassen: Das Ganze war und ist immer noch eine riesige gesamtgesellschaftliche Leistung in Ost und West. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) So weit zur Vergangenheit. Die Rentenüberleitung war klug konzipiert. Mit der Lohnangleichung in Ost und West sollten sukzessive gleiche Anwartschaften in Ost und West erreicht werden. Irgendwann sollte dann der Durchschnittslohn gleich sein, damit auch der Rentenwert in Ost und West gleich. Dann brauchte man keine Höherwertung mehr und hätte sozusagen automatisch ein Rentensystem. Leider sieht die Realität anders aus. Die Rentenwerte haben sich zwar in der Vergangenheit zunächst sehr schnell angeglichen, in den letzten Jahren hat sich aber das Tempo verlangsamt. Die Frage stellt sich natürlich, ob wir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten wollen, bis sich diese Rentensysteme automatisch angleichen. Das könnte auch erst in einigen Jahrzehnten sein, wenn man sich die Lohnentwicklung anschaut, womöglich auch niemals. Wir, die SPD-Fraktion, sagen: Nein, natürlich nicht, auch wenn es anders schöner wäre und es morgen in Ostdeutschland die gleichen Löhne wie in Westdeutschland gäbe; den letzten Schritt dieser Rentenangleichung müssen wir politisch hier im Deutschen Bundestag beschließen. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann? Tun Sie es!) Mit dem Passus zur Rentenangleichung haben wir mit unserem Koalitionspartner im Koalitionsvertrag auf Seite 53 eine vernünftige Formulierung gefunden. Die wird auch im Antrag der Linken zitiert. Es steht darin, dass es einen Fahrplan zur vollständigen Angleichung geben soll, gegebenenfalls mit einem Zwischenschritt. Das Ganze soll in einem Rentenüberleitungsabschlussgesetz noch in dieser Legislatur festgeschrieben werden. Das ist für uns eine der zentralen Forderungen für die 18. Legislaturperiode. Ich schaue an dieser Stelle zu der neuen Ministerin Andrea Nahles. Wir haben Sie jetzt als Ministerin kennengelernt, die das, was im Koalitionsvertrag beschlossen wurde, auch umsetzt. Insofern vergleichen Sie uns bitte nicht mit vorangegangenen Koalitionen, sondern messen Sie uns an unseren Taten. (Beifall bei der SPD) Nach dem Koalitionsvertrag muss spätestens zum 1. Juli 2016 geprüft werden, wie weit der Angleichungsprozess vorangekommen ist. Rein mathematisch gesehen, kann man ja relativ leicht sagen, wo dieser Prozess stehen müsste. Würde er automatisch ablaufen, müsste der durchschnittliche Rentenwert im Osten bei ungefähr 95 Prozent des durchschnittlichen Rentenwertes im Westen liegen. Wenn dieser Rentenwert im Osten darunterliegt und eine Anpassung nötig sein sollte, dann muss sie, wenn Sie mich fragen, möglichst schnell und möglichst auch noch in dieser Legislaturperiode erfolgen. Der Passus im Koalitionsvertrag, erst 2016 zu prüfen, ist wichtig und auch richtig. Mit Blick auf die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, den wir heute Morgen diskutiert haben, bin ich mir hundertprozentig sicher, dass wir bis 2016 eine deutliche Anhebung der Löhne im Osten erleben werden; sie werden deutlicher als in Westdeutschland steigen. Ich hoffe auch, dass dieses kluge Gesetz zur Einführung flächendeckender Mindestlöhne zu einer höheren Tarifbindung in Ostdeutschland führen wird. Es ist vernünftig, abzuwarten, welche Impulse für die Lohnangleichung und dann auch für die Rentenangleichung notwendig sind. Denn wenn es ohne einen Anpassungsschritt gehen könnte, dann wäre das, ehrlich gesagt, deutlich eleganter. Insofern finde ich diesen Passus im Koalitionsvertrag wirklich klug. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir, die SPD-Fraktion, wollen mit dem Auslaufen des Solidarpaktes ein deutsches Rentensystem. Davon rücken wir auch nicht ab. Ich denke, es wird auch nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag kommen, wie es im Linken-Antrag steht. (Widerspruch des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) – Auch Sie fordern die Rentenangleichung ja nicht für morgen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zunächst für den 1. Juli und dann bis Ende 2017!) und dafür haben Sie auch gute Gründe. Zur Ehrlichkeit gehört, festzustellen, dass mit dem Höherwertungsfaktor, den wir derzeit haben, die ostdeutschen Löhne nach oben gewertet werden. Wenn man dem Vorschlag der Grünen folgen würde und die Renten vieler Menschen schon morgen angeglichen würden, dann würden gerade die jetzt arbeitenden Menschen massive Einbußen hinnehmen müssen. Es ist ganz wichtig, dass wir uns auf die Lohnpolitik konzentrieren und uns 2016 anschauen, ob das Tarifpaket gewirkt hat. Dann können wir im Sinne des Koalitionsvertrags voranschreiten. Ich sage aber auch: Dadurch, dass die Unterschiede eben nicht mehr allein zwischen Ost und West verlaufen, dass es durchaus Konflikte innerhalb des Ostens und des Westens gibt, dass es auch Unterschiede gibt zwischen Beitragszahlern Ost und Rentnern Ost, dass es unterschiedliche Interessen zwischen Beitragszahlern im Westen und Beitragszahlern im Osten gibt, tun wir gut daran, das Projekt „Angleichung der Rentensysteme“ nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern zu einem guten Abschluss zu bringen. Stichwort „Abschluss“: Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Da in drei der ostdeutschen Bundesländer dieses Jahr noch Landtagswahlen stattfinden, muss die Linke natürlich einen Antrag zum Thema Rente im Deutschen Bundestag einbringen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das machen wir auch, wenn keine Landtagswahlen sind, Herr Kollege!) Der Punkt ist nur: Die Linke erzählt den Menschen in den neuen Bundesländern nie die wirkliche Wahrheit zum Thema Rente. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr könnt das! Da bin ich einmal gespannt!) Das Rentensystem ist zwischen Ost und West deswegen immer noch gespalten, weil es zwei Faktoren sind, nach denen die Rente im Osten berechnet wird. Weil der Lohnunterschied zwischen Ost und West leider immer noch relativ groß ist – Gott sei Dank nimmt er ab; aber er ist immer noch relativ groß –, wird der Rentenanspruch, den ein ostdeutscher Arbeitnehmer oder eine ostdeutsche Arbeitnehmerin bis heute erworben hat, morgen, wenn er oder sie den Rentenantrag stellt, um 18,7 Prozent erhöht. Das heißt, sie oder er hat ein besser gefülltes Rentenkonto als jemand Vergleichbares in Westdeutschland. Das ist die sogenannte Höherwertung. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Das, was auf diesem Rentenkonto liegt, wird mit einem Zahlbetrag multipliziert, dem sogenannten Rentenwert. In der Tat ist der Rentenwert West derzeit noch 8 Prozent höher als der Rentenwert Ost. Aber jeder, der ein bisschen etwas von Mathematik versteht, wird erkennen: Wenn man morgen auf einen Schlag, sofort, gleiches Rentenrecht in Ost und West einführt, also der gleiche Zahlbetrag gilt und es keine -Höherwertung um 18,7 Prozent gibt, dann hat der Ostrentner oder die Ostrentnerin weniger, als ihm oder ihr nach dem derzeitigen Rentenrecht zusteht. Das ist der Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Um es klar und deutlich zu sagen: Wer einfach nur alles angleicht, der sorgt für ein Minus für die Rentnerinnen und Rentner im Osten. Das ist der Punkt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen brauchen wir ja die Umrechnung!) Die Grünen erklären hier mutig: Ja, das wollen wir. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist falsch!) Die Linke verschweigt, was sie wirklich vorhat. Sie will nämlich nicht gleiches Rentenrecht in Ost und West – das beantragt sie auch nicht –, sondern sie will, dass Deutschland in Sachen Rente weiter in zwei Zonen aufgeteilt wird. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Unsinn! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig! Da sind Sie gar nicht so weit weg von-einander!) Sie will Folgendes machen: Sie will die Höherwertung der Rentenansprüche, die man gesammelt hat, beibehalten, aber den höheren Zahlbetrag West darauf anwenden. Was hat das zur Folge? Dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Osten, der oder die die gleiche Arbeit hinter sich gebracht hat und das Gleiche verdient hat wie ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Westen, (Zuruf von der LINKEN: Hat er ja nicht!) eine höhere Rente bekommt als der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin im Westen. Man schafft also eine neue Ungerechtigkeit, nämlich für die Westrentner und Westrentnerinnen. Das ist die Politik der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege Weiß, der Herr Kollege Matthias W. Birkwald möchte jetzt gern eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung machen; beides ist möglich. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Bitte schön. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Weiß, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Zunächst möchte ich Ihnen sagen: Selbstverständlich haben wir nicht das vor, was Sie hier eben vorgetragen haben. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Doch! Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Nein. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Guckt doch euren Antrag an! Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich möchte Ihnen das jetzt gern noch einmal erklären. Sie vergleichen immer diejenigen im Osten mit einem Gehalt von beispielsweise 2 000 Euro mit denjenigen im Westen, die ebenfalls 2 000 Euro verdienen. Das Problem ist, dass es solche Fälle nur selten gibt. Wir haben nur ein, zwei Branchen, vielleicht auch zwei oder drei mehr – aber es sind insgesamt wenige –, in denen der Lohn Ost und der Lohn West jeweils gleich sind. Die Tarifbindung im Osten ist deutlich niedriger. Im Westen arbeiten 60 Prozent der Beschäftigten mit Tarifvertrag, im Osten nur 48 Prozent. Deswegen ist es so, dass – das habe ich vorhin auch gesagt; ich halte die Tabelle gern noch einmal hoch – die Beschäftigten im -Osten 79 Prozent der Einkommen im Westen haben. Das stagniert seit Jahren bei unter 80 Prozent; da tut sich nichts. Das bedeutet, dass man auch in dem Bundesland mit dem höchsten Durchschnittslohn im Osten – das ist Brandenburg im Jahr 2013 mit 25 600 Euro brutto – immer noch deutlich unter dem Bundesland im Westen mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen – das ist Schleswig-Holstein mit 27 600 Euro – liegt. Solange es so ist, dass selbst in dem östlichen Bundesland, in dem am besten verdient wird, weniger verdient wird als in dem westlichen Bundesland mit dem niedrigsten Einkommen, so lange ist die Umrechnung, wie der korrekte Begriff heißt, notwendig. Was würde sonst passieren? Ich will es an einem Beispiel zeigen. Nehmen wir jetzt nicht eine Friseurin, sondern eine Floristin. Eine Floristin hat in Teilzeit im Westen 1 000 Euro und im Osten 790 Euro im Monat. Die im Osten hat natürlich auch nur für 790 Euro Beiträge gezahlt. Wenn die beiden am selben Tag in Rente gehen, nachdem sie, die eine in Köln, die andere in Leipzig, 45 Jahre Blumen verkauft haben, kriegt die Rentnerin in Leipzig nach wie vor 7,8 Prozent weniger als ihre Kollegin im Westen. Das sind bei Durchschnittslöhnen, wenn man alles zusammen betrachtet, 100 Euro im Monat. So herum muss man vergleichen. Man muss dieselben Jobs vergleichen. Außerdem ist im Osten die Arbeitszeit länger, und es gibt weniger Sonderzahlungen. Das heißt, insgesamt hat die Kollegin im Osten die deutlich schlechtere Ausgangsposition und die niedrigere Rente. Das könnte man mit dem Stufensystem deutlich ändern. Machen Sie es ab dem 1. Juli! (Beifall bei der LINKEN) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Birkwald, erstens haben wir in der Tat in vielen Berufen nach wie vor einen deutlichen Lohnunterschied zwischen Ost und West. (Dr. Carola Reimann [SPD]: Aber nicht nur da!) Deswegen haben wir die Höherwertung von Rentenansprüchen um 18,7 Prozent. Deswegen wollen wir diese Höherwertung nicht auf einen Schlag abschaffen. Zweitens. In der Tat haben wir auch sonst Lohnunterschiede. Die Rentenversicherung ist so gebaut, dass sie beitragsbezogen ist. Weil wir aber wissen, dass im Osten weniger verdient wird, gibt es diese Höherwertung. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Ich komme aus Baden-Württemberg, einem Bundesland, in dem durchschnittlich sehr gut verdient wird. Schleswig-Holstein dagegen hat ein Lohnniveau, das bei 75 Prozent des baden-württembergischen Niveaus liegt. Die Kolleginnen und Kollegen aus Schleswig-Holstein könnten mit gleichem Recht fragen: Warum ist angesichts solcher Lohnunterschiede 1 Euro Rentenbeitrag in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein gleich viel wert? Diese Frage könnte zum Beispiel Frau Kollegin Hiller-Ohm aus Lübeck stellen. Ja, wir wollen ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West. Aber wenn wir es auf einen Schlag einführen würden, hieße dies, die Höherwertung würde wegfallen, und damit hätten die Rentnerinnen und Rentner im Osten weniger, wenn sie morgen einen Rentenantrag stellen würden, als es nach heutigem Recht der Fall wäre. Das wollen wir von der Großen Koalition nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Birkwald, wenn die Linken Gerechtigkeit tatsächlich ernst nehmen – das tun sie angeblich –, dann darf nicht das passieren, was gemäß Ihrem Antrag passieren würde, nämlich dass plötzlich die Beitragszahlung eines westdeutschen Arbeitnehmers oder einer westdeutschen Arbeitnehmerin weniger wert ist als die von jemandem aus Ostdeutschland. Es geht erst recht nicht, dass die Verhältnisse umgekehrt werden. Ihr Antrag bedeutet: Spaltung Deutschlands auf Dauer. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin Kölner!) Damit habe ich dieses komplexe System einmal dargestellt. Natürlich ist es richtig, dass wir 24 Jahre nach der deutschen Einheit zu einem gemeinsamen System in der Rente kommen müssen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) aber doch bitte so, dass es nicht auf der einen oder anderen Seite Verliererinnen und Verlierer in großer Zahl gibt. Das Rentensystem – Frau Kollegin Kolbe hat es ja erklärt – ist deshalb unterschiedlich angelegt worden, weil man gedacht hat, dass die Lohngleichheit in Ost und West relativ schnell zustande kommt. Bei Lohngleichheit müsste es keine Höherwertung geben, und der Rentenwert in Ost und West wäre der gleiche. Wir wissen heute, dass dies nicht automatisch geschieht. Aber wir haben in der Ost-West-Angleichung eine neue Dynamik. Letztes Jahr gab es eine deutliche Anhebung des Rentenwerts Ost. Zum 1. Juli dieses Jahres wird dies erneut der Fall sein. Das Lohnniveau gleicht sich also schneller an, als wir gedacht haben. Zum Schluss werden wir – Zielmarke ist das Jahr 2019, also das Auslaufen des Solidarpakts – hoffentlich ein gemeinsames Rentenrecht in Ost und West durch einen Gesetzgebungsakt des Deutschen Bundestages schaffen. Aber wir sollten dies bitte so tun, dass es weder im Osten noch im Westen Verlierer und Verliererinnen gibt und dass keine neuen Ungerechtigkeiten geschaffen werden, die dafür sorgen, dass sich plötzlich Rentner aus dem Westen bei uns über das Rentenrecht beschweren. Wir müssen wirklich ein gleiches Rentenrecht schaffen, was bedeutet, dass jeder in die Rentenversicherung eingezahlte Euro das gleiche wert ist – im Osten und im Westen. Das ist unser Ziel, das wir miteinander erreichen wollen. Wenn die Linken im Osten diese Wahrheit im Wahlkampf erzählen würden, dann wüssten die Menschen, dass die Rentnerinnen und Rentner in Ost und West bei der Großen Koalition besser aufgehoben sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Waltraud Wolff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir merken alle, wie emotional die Rentendebatte ist. Das ist nicht nur im Wahlkampf im Osten der Republik so, sondern auch hier. Aber wir wissen auch, dass der geringere Rentenwert bei den Menschen im Osten ganz eindeutig als ungerecht empfunden wird. Sie haben einfach das Gefühl, dass ihre Lebensleistung weniger wert ist. Nach so langer Zeit eines gemeinsamen Deutschlands wollen sie eine gleiche Rente. Ich kann diesen Wunsch verstehen und finde ihn auch berechtigt. Genau darum bin ich sehr froh, dass wir im Koalitionsvertrag einen ganz klaren Fahrplan zur Rentenangleichung verankert haben. 2020 wird es keine Unterschiede mehr geben. Das beschließen wir in dieser Legislaturperiode. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, manchmal ist die Koalition schneller, als Sie vermuten. (Beifall bei der SPD) Heute Morgen gab es die erste Lesung zum Mindestlohn und zum Tarifpakt. In der letzten Sitzungswoche haben wir das Rentenpaket beschlossen. Also, meine Bitte: Hören Sie doch auf, im Kaffeesatz immer nur das Schlechte herauszufischen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn Sie dafür unsere Gesetzentwürfe lesen würden, dann wüssten Sie, dass der Mindestlohn bereits 2015 kommt und dass es spätestens 2017 überhaupt keine Übergänge mehr gibt. Ich finde es sehr unlauter, gerade an einem Tag wie heute das schlechtzumachen, was wir für Juli 2016 angekündigt haben. Wir haben einen klaren Fahrplan, und der gilt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur die SPD ist mit einem ganz klaren Konzept für die Rentenangleichung Ost/West in den Wahlkampf gegangen. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, das stimmt nun wirklich nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) – Auch die Grünen brauchen sich nicht aufzuregen. Hier gibt es weder einen Fahrplan noch eine richtige Programmatik und keine festen Zusagen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden!) Aber wir müssen eines gemeinsam zur Kenntnis nehmen: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen im Osten der Republik die Linke mit 21,2 Prozent und die SPD mit 19 Prozent gewählt haben. Das Vertrauen jedoch hat die Union bekommen. Meine Damen und Herren, hier hat man auch Grenzen für das, was man im Wahlkampf versprochen hat. Die Unterschiede im Rentenrecht sind nach über 20 Jahren natürlich nicht mehr akzeptabel. Das haben wir in der Großen Koalition im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Zwar wird der Unterschied in den Durchschnittslöhnen mit dem Höherwertungsfaktor ausgeglichen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], an den Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU] gewandt: Gut zuhören, Herr Weiß!) aber alles das, was in der Rente pauschal berücksichtigt wird, ist für Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern noch immer weniger wert: Kindererziehungszeiten, Wehrpflicht, Zivildienst, Pflegezeiten und Arbeiten in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Die Renten sind an die Lohnentwicklung gekoppelt. Wir sind stolz darauf, dass Renten sich wie die Löhne entwickeln. Das soll auch so bleiben. Das heißt – das schreiben Sie auch in Ihrem Antrag –: Wir brauchen eine positive Lohnentwicklung in Ostdeutschland. Nur mit einer solchen Politik können wir die Probleme bei den Renten im Osten wirklich lösen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da sind wir uns einig!) Das Problem, das wir in Ostdeutschland haben, ist, dass durch den Zusammenbruch der desolaten Industrie Tausende Erwerbsbiografien ein abruptes Ende gefunden haben, eine wirkliche Erholung der Wirtschaft ausblieb. Bis heute haben wir schlecht bezahlte und schlecht abgesicherte Jobs, die damals entstanden sind, und im Osten der Republik spielen Betriebsrenten so gut wie keine Rolle. Diese Unterschiede, die ich eben genannt habe, meine Damen und Herren, können wir über die Angleichung des Rentenwertes nicht ausgleichen. Darum muss etwas anderes passieren. 2015 kommt der Mindestlohn. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten im -Osten Deutschlands werden davon direkt profitieren. Sie erhalten höhere Löhne. Dadurch steigen die Entgeltpunkte für die Rente. Dadurch wiederum steigt auch der Rentenwert: weil das Lohnniveau steigt. Meine Damen und Herren, das kommt bei den Menschen in den neuen Bundesländern an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Rentenpaket ist beschlossen. Auch die Mütterrente hilft. Die Solidarrente ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Auch dadurch kommen höhere Renten. Also: Wir haben einen festen Fahrplan zur Rentenangleichung. Wir machen Politik für gerechtere Löhne und höhere Renten. Wir packen das an. Daran sollen uns die Menschen im Land messen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Linkspartei ist nichts Neues. Sie fordern in regelmäßigen Abständen das Parlament auf, die Renten in Ost und West anzugleichen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und verschweigen dabei, dass der Angleichungsprozess seit Jahren in vollem Gange ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In -vollem Gange?) Dass Sie den Menschen im Osten einreden, sie seien eklatant benachteiligt, ist also nicht in Ordnung. Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen. 1990, im Jahre der Wiedervereinigung, hatte ein Entgeltpunkt im Osten einen Wert von 15,95 D-Mark, im Westen waren es 39,58 D-Mark. Das war ein riesiger Unterschied. Doch schon im Jahr 2000 lag der Rentenwert im Osten dann bei 42,26 D-Mark und im Westen bei 48,58 D-Mark. Innerhalb von zehn Jahren hatte eine riesige Angleichung stattgefunden. Im kommenden Jahr wird der Rentenwert im Osten auf 26,39 Euro gestiegen sein und damit nur noch sehr knapp unter dem Wert im Westen von 28,61 Euro liegen. Sagen Sie das den Menschen im Osten, statt beharrlich von einer Benachteiligung zu sprechen, die in dem Ausmaß nicht gegeben ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sagen wir! Genau so sagen wir es!) Die Zahlen belegen, dass das Rentensystem mit der Wiedervereinigung die bis heute größte Herausforderung seiner Geschichte mit Bravour gemeistert hat. Nur mit der von Adenauer eingeführten umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung war es überhaupt möglich, die ostdeutsche Alterssicherung in das deutsche Rentenversicherungssystem einzugliedern. Das war eine ganz große Solidarleistung der Rentenbeitragszahler. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Sie von der Linken sprechen in Ihrem Antrag von einer vergleichbaren Lebensleistung, die nicht in gleicher Weise anerkannt würde. Sie beziehen sich dabei allein auf den aktuellen Rentenwert. Das ist aber zu kurz gedacht; das wurde in der Debatte mehrfach erwähnt. Nach der Wiedervereinigung galt es, ein ausgeklügeltes, faires und allgemein akzeptiertes Verfahren zu finden, das verschiedene Erwerbsbiografien, Lohnunterschiede und eben auch andere Faktoren berücksichtigt. Die Gerechtigkeit an der Gleichheit eines einzigen Werts festzumachen, ist deswegen hanebüchen, gerade in Bezug auf die Komplexität des Angleichungsprozesses. Kollege Weiß hat das ja sehr schön erklärt. Damit den Rentnern in Ostdeutschland aus den niedrigen DDR-Arbeitsentgelten kein Nachteil entsteht, werden diese mit einem Umrechnungsfaktor um gut 18 Prozent erhöht; auch das wurde erwähnt. So haben die Versicherten in den neuen Bundesländern heute teils höhere Ansprüche als in den alten Bundesländern: Bei den Männern sind es im Schnitt 77 Euro mehr, bei den Frauen sogar 209 Euro mehr im Jahr. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil es nicht so viel Arbeitslosigkeit gab!) Es gab – das hören Sie wieder ungern – in der sozialistischen Planwirtschaft eine vermeintliche, eine künstliche Vollbeschäftigung, somit durchgängige Erwerbsbiografien und längere Lebensarbeitszeiten. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Arbeitslosigkeit am Arbeitsplatz! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die haben mehr gearbeitet!) Frauen konnten oder mussten – wie auch immer – ihre Kinder abgeben (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das glaubt Ihnen ja nicht einmal der Koalitionspartner!) und gingen einer Erwerbsarbeit nach. Deshalb bekommen sie heute auch mehr Rente als ihre westdeutschen Mitbürgerinnen, die auch gearbeitet haben, aber eben daheim in der Kindererziehung; und das ist nicht weniger wert. Wenn sich jemand beschweren kann, dann sind es tatsächlich die älteren Frauen im Westen. Das feine und akzeptierte System, das gegenwärtig die Renten organisiert, funktioniert, und wir wollen es deshalb auch nicht verändern. In zwei Jahren, zum 1. Juli 2016, wird geprüft, wie weit sich der Angleichungsprozess bereits vollzogen hat, und auf dieser Grundlage werden wir dann entscheiden, was zu tun ist. Wie man daraus eine Ankündigung ableiten kann, man wolle nichts tun, kann ich nicht erkennen. Eine Angleichung des Rentenwerts durch Zulagen, wie Sie sie fordern, würde neue Ungerechtigkeiten schaffen, anstatt alte abzuschaffen. Wir wollen zu einem gemeinsamen Rentensystem in Ost und West kommen, wir wollen aber keine neuen Ungerechtigkeiten schaffen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/982 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto Drucksachen 18/1308, 18/1577 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/1649 Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1650 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen Drucksachen 18/636, 18/1649 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Sind Sie einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erster Rednerin erteile ich das Wort Frau Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Bei der gemeinsamen Sondersitzung von Bundestag und Bundesrat zum Gedenken an das Kriegsende hat der damalige Bundespräsident Horst Köhler am 8. Mai 2005 Folgendes gesagt: Wir Deutsche blicken mit Schrecken und Scham zurück auf den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg und auf den von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch Holocaust. Was wir heute beschließen werden, macht nichts gut von all dem Schrecken, den die Nationalsozialisten während der Jahre 1933 bis 1945 verbreitet haben, nichts von dem unermesslichen Leid, das sie Millionen von Menschen angetan haben. Der vorliegende Gesetzentwurf, kurz Ghettorentengesetz, ist aber ein wichtiges Zeichen der Anerkennung, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) der Anerkennung der Arbeit, die Menschen in Ghettos, die im nationalsozialistischen Einflussbereich lagen, unter unwürdigen Bedingungen geleistet haben. Sie taten das – das Wort geht mir schwer über die Lippen – freiwillig, wobei der Begriff „freiwillig“ aufgrund der Realität im Ghetto einen bitteren Beigeschmack hat; denn die Menschen hegten die verzweifelte Hoffnung, der Deportation und dem Tod entgehen zu können, wenn sie eine Arbeit hatten. Das Leid, das sie erlitten haben, ist heute unvorstellbar. Diese Menschen – es leben immer noch Zehntausende von ihnen – wollen in der großen Mehrzahl statt einer einmaligen Entschädigungszahlung eine tatsächliche Sozialversicherungsrente für die Zeiten der Beschäftigung im Ghetto. Dass es sich bei Ghettoarbeit nicht automatisch um Zwangsarbeit handelt, hat das Bundessozialgericht bereits im Jahr 1997 festgestellt. 2002 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass Renten aus Beschäftigungen im Ghetto auch tatsächlich ab dem 1. Juli 1997 gezahlt werden können. Allerdings war die Rechtsauslegung anfangs so strikt, dass viele Anträge zunächst abgelehnt wurden. Erst 2009 wurde diese Rechtsauslegung geändert. Jetzt wurden die Renten zwar bewilligt, aber aufgrund einer Ausschlussfrist nur für vier Jahre rückwirkend, also meist ab 2005 mit einem Zuschlag. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern wir das. Ab dem 1. Juli 2014 erhalten nun alle ehemaligen Ghettobeschäftigten ihre Renten rückwirkend ab 1997. Zudem werden alle Renten auf Antrag der Berechtigten von Juli 1997 an neu festgestellt und gezahlt. Jeder und jede entscheidet selbst, ob er oder sie eine Nachzahlung der Rente wünscht – ohne die bisherigen Zuschläge – oder ob er oder sie stattdessen die bisherige Rente mit Zuschlägen – jedoch ohne weitere Nachzahlung – behalten möchte. Aufgrund ihres hohen Alters müssen die ehemaligen Ghettobeschäftigten nun schnell zu ihrem Recht kommen. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zum Ghettorentengesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte abschließend noch einmal betonen: Durch die Neuregelung bei den Ghettorenten können wir nichts wiedergutmachen, doch wir stehen zu unserer Verantwortung für die Opfer der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Wir setzen ein Zeichen gegen das Vergessen. Und wir sorgen dafür, dass die Arbeit im Ghetto anerkannt wird und die Betroffenen nun zügig und unbürokratisch die Rente erhalten, die ihnen zusteht. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Matthias W. Birkwald von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 1997 stellte das Bundessozialgericht fest, dass NS-Verfolgten, die in einem Ghetto arbeiteten, eine Rente nach deutschem Recht zustehe. 2002 hatte dann der Bundestag zum ersten Mal beschlossen, allen Überlebenden der Nazighettos eine Rente rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Urteils, also bis 1997, zu gewähren. Aber erst heute, 17 Jahre nach dem BSG-Urteil, können 40 000 betroffene hochbetagte Jüdinnen und Juden in aller Welt nun endlich hoffen, dass dieser Anspruch zum ersten Mal Wirklichkeit werden wird. Dafür danke ich der Bundesregierung und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, namentlich Frau Ministerin Nahles und Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, und allen anderen daran Beteiligten im Namen der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie, meine Damen und Herren, haben sich erstens im Gegensatz zu all ihren Vorgängerregierungen endlich den komplizierten rechtlichen Problemen gestellt, statt sich hinter ihnen zu verstecken, haben die mehreren Hundert Petitionen dazu ernst genommen; beispielhaft sei hier nur die Petition des engagierten Sozialrichters Dr. Jan-Robert von Renesse erwähnt. Sie haben zweitens nun schnell eine Lösung gefunden. Drittens haben Sie alle Regelungsvorschläge meiner Fraktion aus unserem Antrag in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen. Ich danke Ihnen aber vor allem dafür, dass Sie mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz seine unrühmliche zwölfjährige Vorgeschichte beenden. (Beifall bei der LINKEN) Denn gegen eine angemessene und schnelle Auszahlung der Ghettorenten gab es in Deutschland leider massive Widerstände. Ich will das gerade heute sehr ehrlich und sehr deutlich sagen: Die jüdischen Opfer sahen sich über ein Jahrzehnt lang bürokratischen Blockaden durch die Rentenversicherungsträger ausgesetzt. Ausführlich hat das der Warschauer Historiker Stephan Lehnstaedt in einem Aufsatz in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte im vergangenen Jahr beschrieben. Die Opfer litten unter einer meist restriktiven richterlichen Praxis, wenn sie gegen ihre abgelehnten Bescheide klagten. Die Bundes- und auch die Landesregierungen versagten als Aufsichtsbehörden. Denn sie wussten um die Unzulänglichkeiten des Gesetzes, aber sie weigerten sich bis heute, daran etwas zu ändern, auch aus Sorge vor finanziellen Belastungen. Im Jahr 2008 gab es deshalb 6 100 bewilligte Anträge und 65 000 abgelehnte Anträge. Erst das BSG-Urteil aus dem Jahr 2009 hat dazu geführt, dass Zehntausende von abgelehnten Bescheiden überprüft wurden. 24 000 Bescheide wurden anschließend positiv beschieden. Aber den Betroffenen – das ist das Pro-blem – wurde der rückwirkende Rentenbeginn ab 1997 versagt. Diese Vorgeschichte des heutigen Gesetzes ist kein Ruhmesblatt für die deutschen Bundesregierungen dieser Zeit und auch nicht für die Rentenversicherungsträger dieser Jahre. Sicher, es ist viel, viel zu spät dafür; aber ich bin dennoch froh, dass den Ghettoarbeiterinnen und Ghettoarbeitern als Opfern der faschistischen Gewaltherrschaft heute nun endlich ein Stück Gerechtigkeit widerfahren wird. Deswegen wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es bleibt aber noch eine Gerechtigkeitslücke. Es war die Klage einer polnischen Jüdin, die zum Urteil von 1997 führte und den Stein bei den Ghettorenten ins Rollen brachte. Aber ausgerechnet für die Jüdinnen und Juden und die Sinti und Roma, die seit dem 31. Dezember 1990 durchgängig in Polen wohnen, gibt es immer noch keine Lösung. Dem steht leider das deutsch-polnische Rentenabkommen aus dem Jahre 1975 im Weg. Es blockiert in seiner derzeitigen Fassung die Auszahlung von Ghettorenten in Polen. Darum fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, hier ebenfalls schnell zu einer Lösung mit der polnischen Seite im Interesse der hochbetagten Betroffenen zu kommen. (Beifall bei der LINKEN) Ich bitte Sie, diesen letzten fehlenden Stein aus dem Weg zu räumen und das Ghettorentengesetz so zu einem guten Abschluss zu bringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2002 hat der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz zur Ghettorente einen wichtigen Beitrag geleistet, indem den Menschen, die von der Nazidiktatur in Ghettos zusammengepfercht wurden und die dort selbstverständlich um ihren Lebensunterhalt gekämpft und dafür gearbeitet haben, erstmalig ein eigener Rentenanspruch zuerkannt wurde. Es war 2002 eine wirklich großartige Leistung des deutschen Parlaments, dies endlich zu beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Mit dieser Entscheidung von 2002 haben wir dafür gesorgt, dass denen, denen die Nazis durch die Verbringung in Ghettos ihre menschliche Würde rauben wollten und geraubt haben, mit dem eigenen Rentenanspruch für ihre in den Ghettos geleistete Arbeit ein Stück ihrer Würde zurückgegeben wurde. Bei der Ghettorente geht es in Wahrheit nicht nur um eine finanzielle Leistung; es geht zuallererst um die Achtung der Würde des Menschen und um die Achtung der Würde der Arbeit. Das war das Entscheidende bei dem Ghettorentengesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun war es leider so, dass viele Männer und Frauen, die nach der Intention des Gesetzgebers einen Anspruch auf Ghettorente hatten, erfahren mussten, dass aufgrund hoher bürokratischer Hürden und einer ziemlich problematischen Auslegung durch die Rentenversicherung ihre Anträge abgelehnt wurden. Als nun das Bundessozialgericht hinsichtlich der Anwendung des Gesetzes neues Recht gesprochen hatte, konnte man eine solche Ghettorente aber nur vier Jahre rückwirkend beantragen. Mit der heutigen Gesetzesnovelle sorgen wir für Klarheit. Jeder und jede, der oder die unter den schrecklichen Zuständen in einem Ghetto leben und arbeiten musste, kann rückwirkend ab dem Jahr 1997 Rente beantragen. Damit sorgen wir dafür, dass alle, die Anspruch auf eine Ghettorente haben, gleichbehandelt werden. Das, was 2002 die eigentliche Absicht des Gesetzgebers war, wird im Zuge dieser Novellierung deutlich und klar ins Gesetz geschrieben. Damit sorgen wir hoffentlich ein Stück weit für mehr Gerechtigkeit bei der Ghettorente. (Beifall im ganzen Hause) Wie die Frau Staatssekretärin schon dargestellt hat, kann jeder für sich berechnen lassen, ob er die bisherige, vier Jahre rückwirkend gewährte Rente beziehen will oder ob er sie neu berechnen lassen will und sich ab dem Jahr 1997 ausbezahlen lassen will. Wir sorgen also für Wahlfreiheit. Jeder Betroffene kann selbst für sich entscheiden. Zum Zweiten unterliegt derjenige, der es bislang vielleicht versäumt hat, einen Antrag zu stellen, dann, wenn er erstmalig einen Antrag stellt, keiner Verfallsfrist. Auch das ist wichtig. Zum Dritten kann auch die Witwe oder der Witwer eines mittlerweile verstorbenen Ehepartners, der diese Ghettorente hätte beantragen können und Anspruch auf sie gehabt hätte, nachträglich für sich diese Witwenrente beantragen. Es ist, wie ich glaube, wichtig, dass wir denen, die als Hinterbliebene von Anspruchsberechtigten heute hochbetagt unter uns leben, die Möglichkeit eröffnen, die ihnen und ihrem Ehepartner zustehende Rente in Form der Witwenrente zu beziehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Recht ist darauf hingewiesen worden – die Opposition will ja überall ein Haar in der Suppe finden –, dass wir in Bezug auf Polen eine Sondersituation haben, weil es ein deutsch-polnisches Sozialversicherungsabkommen gibt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat nichts mit „Haar in der Suppe finden wollen“ zu tun, sondern ist ganz einfach im Interesse der Menschen!) Darin ist geregelt – was ja auch nicht dumm, sondern eigentlich gescheit ist –, dass Rentenansprüche, die ein polnischer Staatsbürger gegenüber der Deutschen Rentenversicherung hat, durch die polnische Sozialversicherung eingelöst werden. Wenn wir hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz beschließen, hat das aufgrund dieses Sozialversicherungsabkommens nicht unmittelbar Auswirkungen für jemanden in Polen. Aber natürlich wünschen wir uns, dass jemand, der in Polen lebt, in -Polen, wenn auch nach polnischem Recht, eine eigene Rente für im Ghetto geleistete Arbeit bekommt. Dass er diese vorgesehene Ghettorente bekommt, die wir ihm zugestehen, ist unser Wille. Insofern begrüße ich es, Frau Bundesministerin Nahles, dass die Bundesregierung bereits, bevor wir heute dieses Gesetz beschließen, also sozusagen schon in vorauseilendem Gehorsam, mit der polnischen Regierung Gespräche aufgenommen hat, wie wir unter den Bedingungen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens dafür sorgen können, dass möglichst auch in Polen lebende ehemalige Ghettoarbeiterinnen und -arbeiter ihre Rentenansprüche einlösen können. Dafür ein herzliches Dankeschön an die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Also doch kein Haar in der Suppe!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns heute Lebende ist ja überhaupt nicht vorstellbar, was es bedeutete, zusammengepfercht und vom normalen Leben ausgeschlossen in einem Ghetto unter der Nazidiktatur zu leben und zu arbeiten. Eine Betroffene aus Ungarn hat mir in meiner Eigenschaft als Präsident des Maximilian-Kolbe-Werks – nicht in meiner Eigenschaft als Abgeordneter – einen Brief geschrieben, nachdem sie zu einem von deutscher Seite mitfinanzierten Erholungsaufenthalt eingeladen worden war. Sie schreibt Folgendes: Die Frage „warum“ stellt sich ein jeder, der -Auschwitz überlebt hat. Warum wurde gerade ich begünstigt oder bestraft? Dass dort, wo vollkommene Familien spurlos verschwunden waren, wo aus zehn Personen im Durchschnitt nicht mehr als zwei zurückgekehrt waren, ich am Leben geblieben bin, warum? Ich brauchte nach Kriegsende 45 Jahre, um in 1990 nach Deutschland zu reisen, und 59 Jahre, um den Mut zu fassen, nach Auschwitz – freiwillig aus eigenem Wunsch – in 2003 zurückzufahren. 1990 wollte ich meinen Augen nicht glauben. Ich habe ein ganz anderes Deutschland gefunden … Nach so vielen Jahren – das kann ich im Namen meiner ehemaligen Lagergeschwister und Lagerbrüder auch sagen – hassen wir schon niemanden. Wir sind zumeist weit über 80 Jahre alt, unsere Täter leben schon nicht. Wen sollen wir denn jetzt hassen? Das Leben hat uns auch überzeugt, dass Hass nur weiter Hass und Angst als Erfolg hat. Ich finde es menschlich bewegend und großartig, dass diejenigen, denen so unendliches Leid geschehen ist, heute – hochbetagt – zu einer solchen Haltung, zu einer solchen Aussage fähig sind. (Beifall im ganzen Hause) Deshalb freue ich mich, wenn wir heute – hoffentlich einstimmig – die Änderung des Ghettorentengesetzes beschließen und solch großartigen Menschen, die Schreckliches und Schlimmes in ihrem Leben erfahren haben, durch die Ghettorente ein Stück ihrer Würde zurückgeben können. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat jetzt zwölf Jahre gedauert, bis der Deutsche Bundestag es schafft, den damals einstimmigen Beschluss rechtlich so klarzustellen, dass dem Willen, den der Deutsche Bundestag vor zwölf Jahren geäußert hat, tatsächlich auch Geltung verschafft wird. Die Phase dazwischen war durchaus beschämend. Das ist beschrieben worden. Der Wille wurde in der Verwaltung nicht umgesetzt. Deshalb hat es bis zum Sozialgerichtsurteil von 2009 gedauert, bis rechtliche Klarstellung erfolgt ist. Dann wurden halt nur rückwirkend ab 2005 die Renten gezahlt, im Gegensatz zu dem Willen des Gesetzgebers, dass das ab 1997 passieren sollte. Es ist gut, dass wir so einmütig sind. Aber für diese beschämende Phase können wir uns bei den Betroffenen – auch wenn es nicht unser Wunsch war – eigentlich nur entschuldigen. Von ihnen sind in der Zwischenzeit ja auch schon viele gestorben; das muss man an der Stelle ja auch noch einmal sagen. Das ist mehr als bitter. Das ist eine bewegende Geschichte. Ich will noch einmal kurz beschreiben, was in den letzten vier Jahren passiert ist, denn es war für mich und, wie ich glaube, auch für alle Beteiligten ein ganz besonderer Prozess – nicht nur wegen des Themas, sondern weil wir da einen Parlamentarismus gelebt haben, der in meinen Augen vorbildlich ist. Wir haben nämlich gemeinsam darum gerungen, wie wir eine Lösung hinkriegen, damit die Menschen ab 1997 ihre Renten bekommen. Ich möchte mich an der Stelle auch noch einmal bei allen seinerzeit beteiligten Berichterstattern bedanken: bei Karl Schiewerling, bei Peter Weiß, bei Volker Beck aus meiner Fraktion, bei Ulla Jelpke und Matthias Birkwald von den Linken, aber auch bei Heinrich Kolb von der FDP und last, not least bei Toni Schaaf von der SPD, der wesentlich mit dazu beigetragen hat, dass wir das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben, und dabei immer eine treibende Kraft war. (Beifall im ganzen Hause) Es war eine schwierige Geschichte; denn es ist rentenrechtlich so, dass man dann, wenn man später Rente bezieht, einen Zuschlag bekommt. Die Menschen, die ab 2005 ihre Rente bekommen haben, haben eine höhere Rente bekommen als dann, wenn sie sie schon ab 1997 bekommen hätten. Bis es dazu kam, dass heute der Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, gab es vielfältige Überlegungen. Es wurde die Möglichkeit erörtert, dass die Menschen eine Nachzahlung bekommen, dafür aber für die Zukunft eine geringere Rente erhalten. Da haben wir gefragt: Kann man das den Menschen wirklich zumuten, dass man sagt, ihr kriegt eine geringere Rente? Dann haben wir über steuerfinanzierte Entschädigungslösungen nachgedacht. Das ist alles sehr kompliziert, aber alles durchaus machbar. Es gab einen Moment, in dem der Prozess fast gestoppt worden wäre, weil gesagt worden ist: Durch die Rentenaufschläge wird doch ausgeglichen, dass die Menschen erst später Rente bekommen haben. Wir konnten aber nachweisen, dass dem nicht so ist. Es ist vielmehr so, dass Verluste in der Größenordnung eines vierstelligen Euro-Betrages entstehen. Das sind keine Beträge, mit denen man die Schuld wieder begleichen kann, aber sie sind mehr als symbolisch und für die Betroffenen teilweise durchaus viel Geld. Es ist gut, dass wir das hinbekommen haben, dass die Menschen dieses Geld nun auch ausgezahlt bekommen können. Wir hatten dann eine Anhörung, in der gesagt worden ist, beide Wege – Entschädigungen und Rentennachzahlungen – sind prinzipiell möglich; beide sind schwierig. Es gab aber eine klare Äußerung von den Betroffenen und von den Betroffenenverbänden; sie haben gesagt: Wir wollen eine rentenrechtliche Lösung, wir wollen keine Entschädigung. Wir wollen kein Almosen, sondern wir haben gearbeitet und möchten dafür unsere wohlverdiente Rente haben. Wir waren eigentlich vor einem Jahr fast schon so weit, wie wir heute sind. Leider ist es uns nicht schon vor einem Jahr gelungen, das Gesetz zu verabschieden. Es gab Widerstände. Ich weiß nach wie vor nicht, von wem und mit welchen Gründen. Ich kann es nicht wirklich nachvollziehen. An der Stelle muss ich es einfach sagen: Ich finde, die Leute, die dafür verantwortlich sind, dass wir das Gesetz nicht schon vor einem Jahr verabschiedet haben, sollten sich etwas schämen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn in der Zwischenzeit sind wieder mehr Menschen gestorben. Im politischen Prozess ist ein Jahr wenig, für Menschen, die 85 Jahre alt sind, die 90 Jahre alt sind, ist ein Jahr sehr viel. Umso besser ist es – dafür möchte ich der Bundesregierung und allen Beteiligten danken –, dass diese Widerstände überwunden worden sind, wir den Gesetzentwurf sehr zügig beraten haben und dass wir dieses Gesetz heute einstimmig verabschieden können. Ich möchte mit einem Zitat aus der Anhörung enden. Uri Chanoch, einer der Überlebenden, hat gesagt: Was wir und eigentlich alle Überlebenden wollen, es ist nicht viel, wirklich nicht viel. Die Ghettoinsassen waren, die sollen die Rente ab 1997 bekommen, und das ist einfach. … Es ist wirklich nicht viel. … macht das mit dem Termin 1997 und fertig. Und damit ist dann Schluss, mehr wollen wir nicht von euch. Wir bitten nur darum, dass das erledigt wird. Das schaffen wir heute – viel zu spät, aber wir schaffen es und senden damit, wie ich finde, ein gutes Signal an die Betroffenen. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kerstin Griese, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern haben wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales der Änderung des Ghettorentengesetzes einstimmig zugestimmt. Alle Fraktionen sind sich einig, dass die Änderungen, die wir heute in zweiter und dritter Lesung beschließen, für die Betroffenen endlich etwas mehr Gerechtigkeit bedeuten. Ich bedanke mich schon zu Beginn meiner Rede ganz herzlich für diese Einmütigkeit im Deutschen Bundestag. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht – das wurde schon gesagt – um Menschen, die in der NS-Zeit unter schlimmsten Bedingungen und zu Hungerlöhnen in von den Nazis errichteten Ghettos gearbeitet haben. Ihre Arbeitskraft wurde ausgenutzt, ihr Leben sollte keine Zukunft haben. Dennoch wurden für sie Rentenbeiträge abgeführt. Die Betroffenen selbst haben jahrzehntelang gefordert, dass sie für diese Zeit eine Rente und nicht etwa eine Entschädigung bekommen, weil sie das, was sie dort unter Zwangsbedingungen, eingesperrt im Ghetto, erlitten haben, dennoch als Arbeit empfunden haben. Bis Ende 2013 sind insgesamt rund 57 000 Ghettorenten bewilligt worden. 21 500 dieser Renten wurden wegen der Anwendung der Regelung, nur vier Jahre rückwirkend zu zahlen, und knapp 17 000 von ihnen wegen versäumter Antragsfrist erst später ausgezahlt. Etwa zwei Drittel aller Renten werden jetzt durch dieses Gesetz rückwirkend ab 1997 ausgezahlt. Etwa zwei Drittel der Antragsteller werden jetzt eine entsprechende Unterstützung bekommen. Als der Bundestag das Ghettorentengesetz 2002 beschlossen hat, war für uns nicht abzusehen, dass es dazu führen wird, dass in den ersten Jahren etwa 90 Prozent der Anträge, also der allergrößte Teil, abgelehnt werden. Erst durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts 2009 hat sich das verändert. Etwa die Hälfte aller bislang abgelehnten Anträge wurde dann rückwirkend bewilligt. Aber das Problem war, dass sie nur vier Jahre rückwirkend bewilligt wurden; das liegt an unserem Sozialrecht. Dies wurde von den Betroffenen als Unrecht empfunden, weil andere diese Rente ja ab 1997 bekamen. Es ging um Ansprüche, die die Menschen verdient haben. Auch durch die Möglichkeit, stattdessen Zuschläge zu bekommen, wurde man dem Gerechtigkeitsbedürfnis der Opfer nicht gerecht. Sie wollten ihr gutes Recht. Sie wollten die Ghettorenten ab 1997, wie sie ihnen auch laut Gesetz zustehen. Es ging und geht den Opfern um die Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit. Mit den drei Änderungen, um die es heute geht, erzielen wir tatsächlich Fortschritte: Wir geben erstens die zurückwirkende Vierjahresfrist auf. Wir schaffen zweitens die Optionsmöglichkeit einer rückwirkenden Zahlung ab 1997 oder einer Zahlung mit Zuschlägen ab 2005. Drittens – auch das ist interessant – streichen wir die Antragsfrist, die bisher im Jahre 2003 endete. Noch heute stellen Menschen Anträge. Noch heute erfahren Menschen, dass sie aufgrund ihrer Arbeit in Ghettos in der damaligen Zeit eine Rente bekommen können. Deshalb ist es gut, dass wir die Antragsfrist streichen. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Beratungen, die wir sehr intensiv geführt haben, sind von den Grünen und den Linken zwei Anliegen vorgetragen worden; sie sind auch hier gerade vorgestellt worden. Ich will dazu gerne etwas sagen. Die Fraktion Die Linke hat die Überlebenden, die heute in Polen leben, ins Gespräch gebracht. Viele Menschen waren ja aufgrund der deutschen Besatzung -Polens im Zweiten Weltkrieg dort in Ghettos. Für diese Personengruppe gilt das Ghettorentengesetz nicht, weil es ein Sozialabkommen zwischen Deutschland und -Polen aus dem Jahr 1975 gibt, in dem vereinbart ist, dass alle Menschen, die in Polen leben, vom dortigen Sozialversicherungsträger auch für in Deutschland geleistete Arbeit – das Gleiche gilt auch umgekehrt – eine Rente bekommen. Deshalb kann dieses Abkommen nicht einseitig von uns verändert oder aufgekündigt werden. Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung bereits Gespräche führt – diese Gespräche wird sie auch weiterhin führen –, um dieses Problem im Sinne der polnischen Ghetto-beschäftigten einvernehmlich so zu lösen, dass sie den anderen Personen gleichgestellt werden. Mit dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, der uns gerade eben erst vorgelegt wurde, wird also eigentlich das gefordert, was wir schon tun, nämlich Gespräche in diese Richtung zu führen. Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihren Gesprächen und wünschen ihr viel Erfolg im Sinne der Betroffenen. Wir machen das aber auf dem diplomatischen Weg und nicht über diesen Antrag. Die Fraktion der Grünen hatte vorgeschlagen, dass es den Hinterbliebenen – dem Witwer bzw. der Witwe – von Ghettorentenberechtigten möglich sein soll, auch nach dem Tod der bzw. des Berechtigten einen Antrag auf Ghettorente zu stellen. Diese Forderung habe ich aus den Reihen der Betroffenen zwar noch nicht gehört; aber selbst wenn jemand sagt, dass die betroffene Person zeitlebens keinen Antrag auf Ghettorente gestellt hat, weil die Sorge vor einer Ablehnung so groß war oder weil man keine schlimmen Erinnerungen wecken wollte, kann man, da die Rente durch eine individuelle Willenserklärung beantragt werden muss, nach deren Tod keine Rente für diese Person beantragen. Man kann aber sehr wohl eine Hinterbliebenenrente beantragen. Auch das passiert heute noch, und es ist wichtig, dass das weitergeht. Wir haben die Forderung allerdings sehr ernsthaft geprüft und sind zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf gekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Präsident des Zentralrates der deutschen Juden, Dieter Graumann, hat vor ein paar Wochen in der Jüdischen Allgemeinen geschrieben – ich zitiere –: Das Leid, das diese mittlerweile hochbetagten Menschen erfahren haben, lässt sich mit nachträglich gezahlter Rente gewiss nicht wiedergutmachen. Er betonte, dass die früheren Ghettoarbeiter bisher mit bürokratischen Vorschriften abgekanzelt worden seien. Jetzt würden sie aber endlich ernst genommen und würdig behandelt. Herr Graumann bezeichnet diese Rentenregelung als eine „Geste der Menschlichkeit“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist beschämend, dass wir diesen Beschluss erst so spät, 69 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, 69 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, fassen, aber es ist gut, dass wir es heute tun, und es ist vielleicht ein besonderes Zeichen, dass wir diese überfällige „Geste der Menschlichkeit“ einstimmig zeigen werden. Herzlichen Dank dafür an die Bundesregierung und an alle Fraktionen im Deutschen Bundestag. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Strebl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung die Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Dieses Gesetz betrifft einige Zehntausend Menschen und ist in mehrfacher Hinsicht von hoher Symbolkraft. Es ist ein deutlicher Hinweis auf die schwärzesten Jahre deutscher Geschichte und der in deutschem Namen begangenen Verbrechen. Die heutige Debatte zeigt zugleich aber auch, dass wir uns als Deutscher Bundestag unserer Verantwortung stellen – wenn auch mit großer Verspätung. Rund 70 Jahre sind nunmehr vergangen – das entspricht zwei Generationen –, seitdem das nationalsozialistische System zusammengebrochen ist. Zur menschenverachtenden Politik der damaligen Zeit gehörte es, Menschen in Ghettos zu sperren, weil sie anders waren, als die Führung es sich vorstellte. Nicht nur in den Konzentrationslagern, sondern auch in diesen Ghettos kämpften die Menschen – vornehmlich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger – um ihr Leben. Historiker befassen sich damit, und die Geschehnisse von damals sind heute zumeist Gegenstand von Gedenkveranstaltungen. Es zeigt sich, dass sie zwar untrennbar zu unserer Geschichte gehören, aber keineswegs Vergangenheit sind – bewältigte Vergangenheit schon gar nicht. Wir können damit erlittenes Unrecht nicht wiedergutmachen. Mit dem Gesetz zur Ghettorente wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die Folgen dieses Unrechts wenigstens teilweise zu mildern. Lassen Sie mich in wenigen Worten den Weg nachzeichnen, der zu der heutigen Beschlussfassung geführt hat: 1997 hatte eine ehemalige Näherin aus dem Ghetto Lodz auf Zahlung ihrer deutschen Rente geklagt und auch gewonnen. Daraus entstand 2002 das Gesetz zur sogenannten Ghettorente. Alle ehemaligen Ghettoinsassen, die in einem Ghetto gearbeitet hatten, konnten nun Rentenanträge stellen. Rund 70 000 Betroffene machten davon Gebrauch, doch fast alle Anträge wurden leider abgelehnt. Die Begründung damals lautete: Die Arbeit im Ghetto war nicht freiwillig, sondern Zwangsarbeit, und Zwangsarbeit war aus den Mitteln der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zu entschädigen. Viele Sozialrechtler gaben dem damaligen Zeitgeist entsprechend den Rententrägern recht. Es stellte sich allerdings schon bald, wie der Historiker Jürgen Zarusky vom Münchner Institut für Zeitgeschichte formulierte, die Frage nach dem Unterschied zwischen einem KZ-Häftling, der einem Kommando unterstellt ist, der durchgezählt wird, der eingeordnet wird, und einem Ghettoinsassen, der sich selbst bemühen muss, eine Arbeit zu bekommen. Man konnte sich nicht vorstellen, dass Arbeit in einem Ghetto freiwillig und ohne Zwang geleistet werden konnte. 2009 hat es dann eine Änderung in der Beurteilung gegeben, und im Juni 2009 hat das Bundessozialgericht dementsprechend entschieden. Unter den gegebenen Umständen reicht es seitdem zur Bestätigung der Freiwilligkeit aus, wenn der Antragsteller zwischen Arbeit und Hungertod entscheiden musste. Alle abgelehnten Bescheide werden seither neu bearbeitet. Exakt 23 818 von 26 186 überprüften und abgelehnten Rentenanträgen wurden nunmehr bewilligt. Allerdings gab es weiterhin ein als Unrecht empfundenes Problem: Die Renten wurden nicht rückwirkend ab dem Jahr 1997, sondern wegen der im allgemeinen Sozialrecht geltenden Rückwirkung von maximal vier Jahren erst ab Januar 2005 gezahlt. Zum Ausgleich für diesen späteren Rentenbeginn erhielten die Betroffenen Rentenzuschläge in Höhe von 6 Prozent pro Jahr. Wegen des verschobenen Rentenbeginns ergaben sich also Zuschläge bei nachträglich bewilligten Ghettorenten von rund 45 Prozent. Trotz dieser begrüßenswerten finanziellen Regelungen wurde der spätere Rentenbeginn von den Rentenberechtigten, ungeachtet der hohen Rentenzuschläge, als ungerecht empfunden. Das heute zur Verabschiedung stehende Gesetz ermöglicht es, dass künftig auch die nachträglich nur für vier Jahre rückwirkend bewilligten Renten auf Antrag bereits ab Juli 1997 ausgezahlt werden können – in diesem Fall jedoch ohne die entsprechenden Rentenzuschläge. Um weitere Ungerechtigkeiten zu vermeiden, können auch diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen einen Antrag auf Ghettorente nicht innerhalb der bisher geltenden Antragsfrist 30. Juni 2003 gestellt haben, ihre Rente rückwirkend ab 1997 erhalten, vorausgesetzt, die Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. Uns allen in diesem Hohen Hause ist bewusst, dass die Berechtigten überwiegend hochbetagt sind. Wir stellen daher sicher, dass sie selbst unmittelbar nach Erhalt ihres Rentenbescheides über ihre Rentennachzahlung verfügen können. Im Vertrag der Großen Koalition haben CDU/CSU und SPD festgelegt – ich zitiere –: Wir sind uns der historischen Verantwortung für die Überlebenden des Holocaust, die in der NS-Zeit unsägliches Leid erlebt haben, bewusst. Wir wollen daher, dass den berechtigten Interessen der Holocaustüberlebenden mit einer angemessenen Entschädigung für die in einem Ghetto geleistete Arbeit Rechnung getragen wird. Diese Koalition ist nicht einmal ein halbes Jahr im Amt. Sie erfüllt mit dem vorliegenden Gesetz zwar auch eine finanzielle Verpflichtung, mehr noch aber ein moralisches Gebot. Alle Fraktionen dieses Hohen Hauses tragen dieses Gesetz mit. Ich bin mir sicher, dass wir dieses Gesetz heute geschlossen verabschieden werden. Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1649, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1308 und 18/1577 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich ein Mitglied des Hauses? – Auch das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen aller Mitglieder des Hauses angenommen. (Beifall im ganzen Hause) Wir sind noch immer bei Tagesordnungspunkt 10 a und kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1661. – Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 10 b. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/1649 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/636 mit dem Titel „Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten -Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Anerkennung für Peacekeeper in internationalen Friedenseinsätzen Drucksache 18/1460 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich würde gerne mit der Geschichte von Stephan Fantham beginnen. Er ist Neuseeländer und hat sich im Rahmen der UN-Friedensmission UNMIS in Juba für mehr Frieden und Sicherheit engagiert. Er ist verwundet worden, als der UNMIS-Wagen über eine Landmine gefahren ist, und hat dabei einen Fuß verloren. Nur ein paar Monate später war er wieder dort. Ich finde, dieses Engagement ist sehr beeindruckend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Er ist einer von derzeit über 240 000 Menschen weltweit, die sich in den Krisenregionen dieser Welt für die Menschen dort, für bessere Lebensbedingungen und mehr Sicherheit engagieren. Sie tun das als zivile Experten, Soldaten oder Polizisten im Rahmen von Missionen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der OSZE, von NGOs oder Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Sie nehmen so wichtige Aufgaben wahr wie Wahlbeobachtung, Menschenrechtsschutz und Entwicklung, oder sie tragen zur Entstehung eines gerechten Justizsystems bei oder unterstützen eine Regierung darin, Good Governance zu leisten. Viele von uns haben von diesem Pult aus schon gesagt, dass sich die Konflikte und Krisen dieser Welt – eigentlich ist das eine Binsenweisheit – nicht mit militärischen Mitteln lösen lassen. Es ist ein langer und steiniger Weg, bis es zu Frieden und Sicherheit kommt. Die Menschen, die sich dafür engagieren, tun das unter hohem persönlichem Einsatz, getrennt von ihren Familien und oft unter der Gefahr, verwundet oder sogar getötet zu werden. Diese Menschen verdienen unseren Dank und unsere Anerkennung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es ist nicht damit getan, dass Gewalt endet oder dass es einen Waffenstillstand gibt. Echter Friede ist letztlich mehr als nur die Abwesenheit von Gewalt. Die frühzeitige Prävention von Krisen und Gewaltausbrüchen ist sicherheitspolitisch effizienter und ökonomischer. Sie ist in der Regel erfolgreicher und häufig politisch konsensfähiger als der Einsatz militärischer Mittel. Aktuell gibt es eine große Debatte über die Zukunft der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Ich habe mich an einigem in den Reden von Bundespräsident Gauck, Verteidigungsministerin von der Leyen und Bundesaußenminister Steinmeier gestört. Aber ganz besonders verwundert war ich darüber, dass in diesen Reden die Vereinten Nationen kaum vorgekommen sind, dass man sie sozusagen mit der Lupe suchen musste und dass gerade auf die zivilen und diplomatischen Mittel kaum eingegangen wurde. Laut einer aktuellen Umfrage der Körber-Stiftung darüber, was die deutsche Bevölkerung über die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik denkt, ist die Unterstützung für zivile Mittel und außenpolitisches Engagement groß. Auch die Zustimmungswerte betreffend humanitäre und friedenserhaltende Einsätze sind – das hat mich überrascht – hoch. Wenn man sich aber einige Zahlen in diesem Zusammenhang anschaut, dann sieht man: Deutschland ist zwar der viertgrößte Geldgeber für VN-Friedensmissionen; aber bei der Personalbereitstellung belegen wir Rang 48. Von 6 155 deutschen Einsatzkräften sind derzeit genau 333 in VN-Friedensmissionen aktiv. 5 700 Soldaten und Soldatinnen sind im Auslandseinsatz. Die Zahl der zivilen Experten und der Polizisten beträgt 147 bzw. 188. Ich finde, da geht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Wenn wir uns alle so einig sind, dass Konflikte vor allem zivil gelöst werden müssen, dann müssen wir uns schon die Frage stellen: Haben wir in ausreichendem Maße Instrumente, finanzielle Mittel, Strukturen und Aufmerksamkeit dafür zur Verfügung? Es gibt gute Ansätze. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Wir haben unter Rot-Grün einiges auf den Weg gebracht. Wir schlagen in unserem Antrag, der heute zur Debatte steht, noch einiges vor, was dazu dient, gerade die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die OSZE und ihre krisenpräventiven Instrumente zu stärken. Dazu braucht es aber auch mehr politischen Willen. Wir müssen uns noch eine zweite Frage stellen: Widmen wir den Menschen und ihrem Engagement in den entsprechenden Missionen genügend Aufmerksamkeit? Ist in Bezug auf deren Betreuung und Fürsorge, aber auch in Bezug auf Dank und Anerkennung alles in Ordnung? Wir haben als grüne Bundestagsfraktion im letzten Jahr ein Fachgespräch für zivile und militärische Rückkehrerinnen und Rückkehrer organisiert. Das waren sehr unterschiedliche Gruppen mit sehr unterschiedlichen Ansichten. Aber eines war ihnen allen gemeinsam: Sie alle hatten das Gefühl, sich in einem wichtigen Einsatz engagiert zu haben. Aber nicht alle hatten, als sie zurückgekehrt waren, das Gefühl, dass Interesse an ihren Erfahrungen und Erlebnissen bestand, dass die Lessons Learned im politischen Raum angekommen sind. Vielleicht haben Sie, meine Damen und Herren, auch Gespräche mit Polizeibeamten geführt, die in Afghanistan eingesetzt waren. Diese erzählen, dass sie, nachdem sie einen so wertvollen Beitrag für die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte geleistet haben, von ihren Kollegen nach der Rückkehr gefragt wurden: Einen schönen Urlaub in Afghanistan gehabt? – Wie oft lesen wir in den Medien von Menschen, die sich in solchen Friedensmissionen engagieren? Meine Damen und Herren, nächste Woche, am 11. Juni, begehen wir zum zweiten Mal den Tag des Peacekeepers in Deutschland. Das ist ein bisschen der Aufhänger unseres heutigen Antrags. Es ist ein guter Anfang, dass es einen solchen Tag gibt und dass wir ihn zum zweiten Mal feiern. Aber er sollte für uns auch Ansporn sein, mehr zu tun; denn wir können noch einiges machen. Es geht um eine bessere Versorgung und Betreuung der zivilen Einsatzkräfte, aber auch darum, für diese Mittel mehr Öffentlichkeit zu schaffen sowie an Schulen und Universitäten von dem Engagement dieser Menschen zu berichten. Die Menschen, die solche Aufgaben übernehmen, dürfen ihr Engagement nicht als Karrierehemmnis erleben. Vielmehr muss das etwas -Positives in ihrer politischen Laufbahn sein. Auf all das zielen unsere Vorschläge ab, die wir heute mit unserem Antrag vorlegen. Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, ich kann mir nicht vorstellen, dass man wirklich etwas dagegen haben kann. Ich möchte Sie gerne dazu einladen, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und wir uns hier vielleicht überlegen, was wir verbessern wollen und können, und dass Sie bei unserer Initiative mitmachen. Ich glaube, es wäre ein schönes Zeichen, wenn wir nächstes Jahr ein drittes Mal den Tag des Peacekeepers feiern. Auf diesem Weg sollten wir ein gutes Stück vorankommen. Ich finde, dass die Menschen, die diese wertvollen Aufgaben erfüllen und dieses gefährliche Engagement auf sich nehmen, das auch verdient haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gerne dafür danken, dass sie mit ihrem Antrag die Frage, wie wir mehr Wertschätzung für Peacekeeper in internationalen Friedensmissionen erreichen können, zum Thema gemacht und damit in die Debatte eingebracht hat. Ich glaube, wir alle haben vor dem Hintergrund der öffentlichen Anhörung unseres Unterausschusses für Zivile Krisenprävention zwei wesentliche Punkte im Kopf, wenn wir an das Thema denken: zum einen, dass in den vergangenen zehn, zwölf Jahren unheimlich viel passiert ist, und zum anderen, dass es natürlich noch viele Aufgaben gibt und die Wegstrecke in die Zukunft lang ist. Insofern haben Sie durchaus einige Punkte angesprochen, die aus meiner Sicht vollkommen richtig sind. Es ist vieles passiert. Wir haben es in den letzten zehn Jahren geschafft, die Infrastruktur zu implementieren und letztlich auch zu professionalisieren. Sie haben beispielsweise das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze angesprochen. Auch die Bundesakademie für -Sicherheitspolitik ist hier zu nennen oder der Zivile Friedensdienst. Außerdem wurde die wissenschaftliche Begleitforschung in diesem Zusammenhang angesprochen. Es ist schon sehr viel passiert. Die Tatsache, dass viel Geld fließt, dass Deutschland 7,14 Prozent des Haushalts der Vereinten Nationen finanziert, dass wir gemeinsam mit den USA und Japan 40 Prozent der Friedensmissionen finanzieren, zeigt vor allem zwei Dinge: Erstens. Deutschland ist multilateral unterwegs: im Rahmen von Missionen der Vereinten Nationen, im Rahmen von Missionen der OSZE und im Rahmen von EU-Missionen. Zweitens. Wir lassen uns diese Einsätze viel Geld kosten. Auch damit ist eine Botschaft ausgedrückt. Es ist natürlich noch einiges zu tun. Wir sind uns darüber einig, dass es darum geht, ein Leitbild für die zivile Krisenprävention zu entwickeln, ressortübergreifend die Koordinierung der Akteure zu verbessern und im Bereich der Krisenfrüherkennung besser zu werden. Wir müssen auch besser werden, wenn es darum geht, von Early Warning zu Early Action zu kommen, und vieles andere mehr. Wir brauchen mehr öffentliche Anerkennung für diejenigen, die in Peacekeeping-Einsätzen sind. Es sind immerhin 49 solcher Einsätze, an denen wir Deutsche beteiligt sind. Es ist also vieles zu tun. Trotzdem muss ich Ihnen sagen, dass der Antrag Ihrer Fraktion letztlich in vielen Fällen alter Wein in neuen Schläuchen ist; denn wir haben vieles von dem, was Sie fordern, bereits umgesetzt. Wer einen Blick in die Koalitionsvereinbarung wirft, der sieht, dass wir diesen Weg ganz konsequent weitergehen. Wir haben den festen Willen, das im Laufe dieser Legislaturperiode umzusetzen. Ich denke beispielsweise daran, dass wir in der Tat mehr Polizeikräfte in zivilen Friedensmissionen benötigen. Dabei geht es darum, dass wir im Rahmen einer Bund-Länder-Vereinbarung zu guten Lösungen kommen. Wenn Sie mithelfen, dass wir mit der grün-roten und den rot-grünen Landesregierungen am Ende zu einem guten Ergebnis kommen, dann haben wir, glaube ich, alle etwas beigetragen. Frau Brugger, Sie haben es angesprochen: Sowohl der Bundespräsident als auch die Verteidigungsministerin und der Bundesaußenminister haben in München Anfang des Jahres bemerkenswerte Reden gehalten. Ich habe offensichtlich noch etwas mehr gehört als Sie: Ganz zentral war, dass die Frage, wie sich Deutschland aufgrund seiner Größe und wirtschaftlichen Kraft in der Welt engagieren soll – früher, effizienter und auch substanzieller –, eindeutig so beantwortet wurde, dass das Engagement nicht nur militärische Mittel beinhaltet, sondern darüber hinaus natürlich auch diplomatische, wirtschaftliche und krisenpräventive Mittel. Das hat im Übrigen bereits seinen Niederschlag in den „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“ gefunden. Dort wird ganz eindeutig gesagt, dass wir den kompletten Instrumentenkasten ausbreiten möchten und dass die zivilen Mittel dabei geradezu von zentraler Bedeutung sind. Ich glaube, es geht auch darum, mehr öffentliche Wertschätzung zu erhalten. Das erreichen wir dadurch, dass wir dieses Thema in den Mittelpunkt rücken. Auch weniger schöne Dinge wie beispielsweise die Vorkommnisse in der Ukraine bzw. der Einsatz der OSZE-Beobachter dort haben in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, dass da viele in einer schwierigen Mission sind, häufig unter Einsatz ihres Lebens, und dass sie dafür die notwendige Wertschätzung benötigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass da sehr viel passiert ist und dass wir diesen Weg konsequent weitergehen müssen. Das beinhaltet beispielsweise den „Tag des Peacekeepers“, der am 11. Juni 2014 das zweite Mal veranstaltet wird. Dabei werden alle beteiligten Bundesminister in einer öffentlichen und würdevollen Zeremonie den Soldatinnen und Soldaten, den Polizistinnen und Polizisten, aber auch den zivilen Einsatzkräften für ihren wichtigen und wertvollen Einsatz danken und diesen Einsatz würdigen. Denken Sie beispielsweise daran, dass die Bundesverteidigungsministerin vor wenigen Tagen ihre Pläne vorgestellt hat, wie wir es schaffen können, die Bundeswehr attraktiver zu machen und den Dienst in der Bundeswehr besser mit der Familie zu vereinbaren. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was hat denn das mit dem Thema zu tun?) Ich verweise auf viele andere Dinge darüber hinaus, an denen man schon sehen kann, dass wir einiges erreichen. Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken ansprechen. Ich war vor wenigen Tagen beim Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Ich weiß, dass wir dort noch bessere Ergebnisse erzielen könnten, wenn dessen Mannschaft größer wäre und wenn wir aus dem Bundeshaushalt noch mehr Geld als 2,3 Millionen Euro zur Verfügung stellen würden. Wir werden mit dem nächsten Haushalt etwa fünf zusätzliche Stellen für das ZIF schaffen und damit ganz markant deutlich machen, wie wichtig und wertvoll uns diese Arbeit ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In diesem Sinne sind wir, glaube ich, auf einem sehr guten Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen wollen mit ihrem Antrag, über den wir heute reden, mehr Anerkennung für Peacekeeper in internationalen Friedenseinsätzen. Einerseits möchte auch ich dafür Danke sagen, dass sie dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben; aber andererseits müssen wir natürlich genau aufpassen, worüber hier gesprochen wird, wenn von Friedenseinsätzen die Rede ist. Mir ist wichtig, dass wir klar unterscheiden zwischen Maßnahmen, die wirklich dem Frieden dienen, und solchen, die nur als Friedenseinsätze etikettiert werden. Darin, alle möglichen Militäreinsätze, die allen möglichen Interessen und Zwecken dienen, als Friedenseinsätze zu maskieren, (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha!) sind sich leider alle anderen Fraktionen hier im Haus sehr oft einig, und da haben wir nun einmal einen grundsätzlichen Widerspruch. (Beifall bei der LINKEN) Aber Ihr Anliegen hat einen sinnvollen Kern. Sicher sind in diesem Antrag einige Punkte, auf die wir uns positiv beziehen werden, etwa wenn es darum gehen wird, die Arbeit der zivilen Fachkräfte anzuerkennen, die – ich zitiere – „unter schwierigen Bedingungen in den Konfliktregionen lokale und regionale Akteure bei der Schaffung von Frieden und Sicherheit unterstützen“. Da bin ich ganz bei Ihnen, gerade als jemand, der aus der Friedensbewegung kommt. Ich frage mich aber, ob wir den Peacekeepern in internationalen Friedenseinsätzen wirklich einen Gefallen tun, wenn wir sie mit den Militärs, die in bewaffneten Einsätzen Dienst tun, immer in einen Topf werfen. Es ist wirklich nicht wahr, dass der Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland zu wenig wahrgenommen wird, wie der Antrag ebenfalls suggeriert. Leider wird verallgemeinernd immer wieder von Einsatzkräften gesprochen; aber das wird der unterschiedlichen Situation ziviler und militärischer Einsatzkräfte, die Sie, Frau Brugger, selber angesprochen haben, überhaupt nicht gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich muss leider sagen, dass sich dieser Antrag für mich in ein Medien- und Öffentlichkeitskonzept einreiht, mit dem die große Mehrheit der Politik die große Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land schlicht hinter die Fichte führen will. Nur 13 Prozent der Bevölkerung stehen nämlich nach einer aktuellen Umfrage den Auslandseinsätzen der Bundeswehr positiv gegenüber. Viele Menschen wissen, dass nicht überall Frieden drin ist, wo „Frieden“ draufsteht. Ein besonders krasses Beispiel der Verschleierungstaktik habe ich einmal mitgebracht. Sie sehen hier vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, das schon mehrfach angesprochen worden ist, eine Karte mit der Überschrift „Friedenseinsätze“. Hier werden 60 verschiedene Missionen dargestellt, in denen im Augenblick Deutsche im Einsatz sind. Welche Mission ist die größte? Das ist der Bundeswehrkampfeinsatz in Afghanistan, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nun wirklich kein Friedenseinsatz. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke meint, dass man die zivilen Fachkräfte in Friedenseinsätzen würdigen sollte, indem man ihren eigenständigen Beitrag betont. Genau das leistet der Antrag der Grünen aber leider nicht. Zivil und militärisch, das geht bei Ihnen immer munter durcheinander. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!) Ich würde einen Vorschlag machen wollen: Warum nehmen wir nicht den von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Friedens erklärten 21. September zum Anlass, um das eigenständige zivile Engagement wertzuschätzen? (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen diejenigen ehren, die sich mit gewaltfreien Mitteln um Frieden und Versöhnung, um die Beendigung von Gewalt und die Vorbeugung kümmern. Schon seit einigen Jahren begehen viele Organisationen, die mit ziviler Konfliktbearbeitung zu tun haben, diesen Tag in Bonn mit einem großen Programm. Eine ganze Woche lang gibt es Diskussionsveranstaltungen, Vorträge, aber auch sportliche und kulturelle Events. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass eine offizielle Veranstaltung von Parlament und Regierung die Wertschätzung für diese Arbeit gut zum Ausdruck bringen könnte. Warum sprechen wir nicht darüber, genau diese Wertschätzung getrennt von der Wertschätzung der militärischen Einsatzkräfte zu organisieren, um damit auch die Menschen einzubeziehen, die zum Beispiel im Rahmen des zivilen Friedensdienstes in Auslandseinsätzen sind? Das wäre, glaube ich, ein wirklich schönes Zeichen der Wertschätzung. Daran würden wir uns auch gern beteiligen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Vietz [CDU/CSU]) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Als langjährig friedenspolitisch Engagierte begrüße ich das Grundanliegen des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich. Auch ich setze mich seit langem dafür ein, die Arbeit von Friedensfachkräften und anderen im Bereich Peacekeeping und Friedensförderung engagierten Menschen öffentlich zu würdigen und das deutsche Engagement in diesem Bereich zu verstärken. Daher werde ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gerne im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln über Ihre Vorschläge diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Vorgriff auf diese Diskussion möchte ich einige Worte zum Inhalt Ihres Antrags sagen. Er enthält viele berechtigte Forderungen. Einige hoffen wir zeitnah umsetzen zu können – wie die schon erwähnte Erhöhung der Mittel für das ZIF, aber auch für den Zivilen Friedensdienst. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Allerdings hätte ein roter Faden Ihrem Anliegen nicht geschadet. Einen wichtigen Aspekt haben Sie leider komplett ausgelassen: die Forderung nach einer umfassenden Evaluation. Eine Bilanzierung deutscher Interventionen, sowohl militärischer als auch ziviler, steht nämlich immer noch aus. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich erinnere an den Abschlussbericht des Unterausschusses für Zivile Krisenprävention aus der letzten Legislaturperiode, in dem eine systematische Auswertung der Aktivitäten im Bereich der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung empfohlen wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Finckh-Krämer, gestatten Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage der Kollegin Brugger? Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Ja, gern. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, liebe Frau Kollegin Finckh-Krämer. – Ich stimme Ihnen absolut zu. Wir als Grüne haben schon in der letzten Legislaturperiode, auch gemeinsam mit Ihrer Fraktion, gefordert, dass wir die Einsätze besser evaluieren – das gilt insbesondere für den Afghanistan-Einsatz – und dass wir daraus Lehren ziehen sollten. Wir haben diese Forderung auch in der neuen Legislaturperiode schon mehrfach erhoben. Habe ich Ihre Ausführungen richtig verstanden, dass die Bundesregierung jetzt doch vorhat, den Afghanistan-Einsatz wirklich in einem angemessenen Maß zu evaluieren und nicht nur im Rahmen kleinerer Anhörungen, die schon stattgefunden haben? (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Ich kann nicht für die Bundesregierung sprechen. Aber ich kann sagen, dass ich das im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention gerne einbringe. Ich hoffe, dass das auch von unserem Koalitionspartner unterstützt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erst eine solche ehrliche Bestandsaufnahme ermöglicht es uns, die Frage zu beantworten, wie Deutschland effektiver zum Frieden in der Welt beitragen kann als bisher. Insbesondere müsste also eine außenpolitisch integrierte Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation entwickelt werden. Der Antrag, den wir heute hier debattieren, leistet hierzu leider keinen substanziellen Beitrag. Dass die Frauen und Männer, die sich aktuell in Friedensmissionen engagieren, Anerkennung verdienen, ist in diesem Haus wohl unstrittig. Allerdings sollten wir auch das ernst nehmen, was der Geschäftsführer des Forums Ziviler Friedensdienst, einer der Durchführungsorganisationen des Zivilen Friedensdienstes, letztes Jahr zum Tag des Peacekeepers formuliert hat. Ich zitiere: Bitter erscheint zudem, dass hier mit großem Aufwand der Fokus auf einen kleinen Teilaspekt des internationalen Friedensengagements gelegt wird. Peacekeeping, zu deutsch Friedenserhaltung, meint nur jene Einsätze, die der Eskalation von Gewalt unmittelbar entgegenwirken. Mit vor allem militärischem Peacekeeping kann also im besten Fall unmittelbare Gewalt verhindert werden. Frieden wird damit nicht erreicht. Ein wichtiger Teil … internationalen Friedensengagements gerät dabei aus dem Blickfeld: die Programme ziviler Konfliktbearbeitung und langfristiger Friedensförderung, die Ursachen von Konflikten angehen und verhindern, dass Konflikte zu Krieg und Gewalt eskalieren. So weit das Zitat. In Ihrem Antrag fordern Sie zwar, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, „in geeigneter Form auch die Arbeit und die Leistungen der anderen Frauen und Männer anzuerkennen, die im Rahmen der Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit, von NGOs und Hilfsorganisationen in Krisenregionen arbeiten“. Aber auch damit werden diejenigen, die krisenpräventiv arbeiten, nicht erfasst. Die Würdigung ist das eine, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine umfassende friedenspolitische Strategie, die es diesen Frauen und Männern auch ermöglicht, mit ihrem Engagement den bestmöglichen Beitrag zu leisten, ist das andere. Dies möchte ich an einem Beispiel aus Ihrem Forderungskatalog kurz verdeutlichen. Sie fordern, die Voraussetzungen für die Entsendung von mehr Polizisten in Missionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union zu verbessern. Zu diesen Missionen gab es in der letzten Legislaturperiode eine Anhörung im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention, bei der auch Experten zu Wort kamen, die in diesen Missionen eingesetzt waren. Es wurde sehr deutlich, wie beschränkt ihre Möglichkeiten waren, weil eine Einbindung in eine Gesamtstrategie fehlte. Deswegen ist es aus meiner Sicht wichtig, zu diesem Thema unter Federführung des Innenausschusses eine weitere Anhörung durchzuführen, und zwar möglichst noch in diesem Jahr. Lassen Sie uns also gemeinsam und partnerschaftlich die Herausforderung angehen, eine friedenspolitische Strategie zu entwickeln, nicht nur, um den zivilen Fachkräften, die in Friedenseinsätzen aller Art aktiv sind, zu der Anerkennung zu verhelfen, die sie verdienen, sondern auch, um ihr Engagement möglichst wirksam werden zu lassen. Die Fraktion der Grünen und alle anderen Fraktionen des Hauses sind herzlich eingeladen, ihre Forderungen in den Unterausschuss für Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln einzubringen, damit wir – hoffentlich fraktionsübergreifend – in diesem Politikbereich ein Stück weiterkommen. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Stimme der Vernunft!) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Präambel des Grundgesetzes erteilt uns bereits den Auftrag, für den Frieden in der Welt zu sorgen. Ich glaube, ein stabiles und wirtschaftlich prosperierendes Deutschland hat auch die Verantwortung, für den Frieden in der Welt einzutreten. Als die Präambel geschrieben wurde, konnte man sich die vernetzte und globalisierte Welt von heute noch nicht vorstellen, eine Welt mit einem Europa ohne Grenzen. Wie soll da der soziale Friede in Deutschland gewährleistet werden, wie wollen wir angesichts dieser neuen Welt unsere Sicherheit erhalten? Wir sind abhängiger geworden von scheinbar weit entfernten Regionen. Deswegen erwächst daraus die Verantwortung, uns um diese Regionen zu kümmern. Wir müssen dafür sorgen, dass in weit entfernten Regionen mit unserer Hilfe rechtsstaatliche Strukturen und funktionierende Sicherheitsbehörden eingerichtet werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel – sehr aktuell –: Nigeria. In Nigeria leben bereits heute 170 Millionen Menschen. Es sind mehr als doppelt so viele Menschen wie in Deutschland. Das Durchschnittsalter in Nigeria beträgt 19 Jahre. Es wird erwartet, dass sich die Bevölkerung bis zum Jahr 2050 – nicht so weit weg – verdreifacht. Wie sieht es in diesem Land mit dieser großen Bevölkerungszahl aus? Zwei Drittel leben schon jetzt in Armut. Was islamistische Kräfte, wie zum Beispiel Boko Haram mit der Massenentführung von 230 Schulmädchen, anrichten können, wissen wir alle. Das heißt, das Konfliktpotenzial in solchen Regionen mit einem solch ungeheuren Bevölkerungswachstum wächst von Tag zu Tag. Diese wachsende junge Generation, die in Armut und Gewalt aufwächst, will auch ein friedliches Leben in Wohlstand und mit Perspektive erreichen und für sich einklagen. Das heißt, auch sie wollen glücklich werden und suchen deshalb ihr Glück in anderen Ländern. Wer sollte ihnen das übel nehmen? Sie suchen ihr Glück bei uns. Ich glaube, auch wir würden dies so tun, wenn wir in deren Lage wären. Das heißt, massenhafte Migrationswellen in Richtung Europa sind unumgänglich. In diesem Jahr rechnen wir mit circa 200 000 neuen Asylbewerbern. Das ist nur ein Zwischenergebnis. Wir sollten also alles tun, um Hilfe zur Selbsthilfe in solchen Regionen und Ländern zu organisieren. Wir müssen das Konfliktmanagement in diesen Ländern stärken. Wir müssen Sicherheitskräfte ausbilden, sie beraten und sie ausrüsten. Wir müssen für rechtsstaatliche Grundsätze sorgen. Wir müssen unser Rechtssystem, soweit es dort passt, zu übertragen versuchen. Wir haben hiermit einen Markenartikel auf der ganzen Welt. Unser Rechtsstaat, den wir uns nach vielen Irrungen und Wirrungen in unserer Geschichte geschaffen haben, der in den letzten Jahrzehnten erprobt und eingeübt wurde, ist ein Markenartikel auf der ganzen Welt, mit dem wir uns sehen lassen können. Wir sind auch willkommen. Mehr Polizei, mehr zivile Sicherheitskräfte und nicht mehr Soldaten ist die Losung des Tages. Das entspricht auch dem Geist des Afrika-Papiers, das in dieser Woche im Auswärtigen Ausschuss präsentiert wurde, in dem vor allem von zivilen Sicherheitskräften die Rede ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir sollten nicht künstlich einen Konflikt herbeireden, der nicht da ist. Wir sind uns darin einig, dass die zivilen Sicherheitskräfte wichtiger sind als militärische Einsätze. Ich glaube auch, dass wir diesbezüglich eine Grundsatzdebatte in diesem Hause brauchen, und zwar aus mehreren Gründen: Wir haben den Vorsatz, mehr zu tun, aber es fehlt in der Tat noch am Vollzug. Wir sollten angesichts der komplizierten Struktur unserer polizeilichen Kräfte in einem föderalen Deutschland mit 16 Ländern und dem Bund endlich dafür sorgen, dass eine Struktur entsteht, bei der wir in großer Zahl Polizeikräfte zur Ausbildung in das Ausland schicken können. Dies sollte hier diskutiert werden. Es sollte nicht der einzelne Einsatz legitimiert werden, sondern es sollte im Bundestag eine Grundsatzdebatte über die Frage geführt werden, in welcher Art und Weise und unter welchen Bedingungen wir ins Ausland gehen. Das ist mein Vorschlag. Ich glaube, es gibt genügend Menschen, die dazu bereit sind, ins Ausland zu gehen. Dies ist angesichts unserer Polizeistrukturen keine Frage von Planstellen und Kosten. Wir haben bei den Ländern und beim Bund genügend pensionierte Polizeibeamte von 60 Jahren, die gern bereit sind, ihre Expertise freiwillig in verschiedenen Teilen der Welt einzubringen. Man muss nicht unsere Polizeistrukturen sozusagen entvölkern, um im Ausland tätig zu sein. Das alles ist möglich. Wir sollten unseren Koalitionsvertrag, in dem wir dies alles formuliert haben, aber auch die „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“ ernst nehmen, umsetzen und zur Tat schreiten – daran fehlt es –, indem wir ganz konkrete Beispiele umsetzen, die wir bisher so noch nicht haben. Ich möchte mich bei all denen bedanken, die sich dieser Aufgabe stellen und ihren Beitrag dazu leisten. Ich möchte insbesondere die Opposition bitten, nicht etwas künstlich zu zerreden, das von uns allen bereits als gemeinsames Engagement anerkannt worden ist und das nur noch hier oder da der Umsetzung bedarf. Wir alle wollen letztlich dasselbe: Wir wollen den Frieden in der Welt erhalten. Wir danken den Menschen, die für andere Menschen da sind. Wir wollen alles tun, damit wir möglichst wenigen Menschen Grund geben, ihr Leben bei uns leben zu müssen, weil ihres in der Region, in der sie leben, unerträglich geworden ist, zum Beispiel in Nigeria. Wir wollen, dass ein Land mit einer hohen Bevölkerungszahl wie Nigeria selbstständig für Sicherheit, Ordnung, Frieden und Wohlstand sorgen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Wochen stand ich mit einigen Kolleginnen und Kollegen auf dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew. Es war gutes Wetter, die Familien gingen spazieren, Kinder tobten herum. Es herrschte eine fast ausgelassene Stimmung vor all den Barrikaden, ausgemusterten Panzern und Bildern von zahllosen Toten, dort, wo manch einer eine Träne verdrückte und Blumen niederlegte. Das Wochenende und die Präsidentenwahl standen vor der Tür. Wir hatten aus der Presse erfahren, dass alle politischen Kräfte in diesem Land Einfluss haben können, wovon wir bisher gar keine Ahnung hatten. Doch eines hätte ich nie für möglich gehalten: Die Augen der Menschen strahlten vor Zuversicht, die die Krise fast vergessen ließ. Bei jedem Gespräch, das ich als Mitglied der deutschen NATO-PV-Delegation, als Deutscher, als EU-Bürger geführt habe, war diese aufrichtige Zuversicht und Offenheit sichtbar. Mir wurde klar: Die Menschen – ob in der Ukraine oder anderswo auf der Welt – wollen nach Umbrüchen, nach teilweise verheerender Politik endlich Ruhe, und sie wollen eine Perspektive. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was heißt das für uns? Die Menschen erwarten von uns keine Wunder, sie erwarten kein überambitioniertes NATO-Engagement, sie erwarten keine Mitgliedschaften, kein Geld sofort, keine warmen Worte oder Anschuldigungen. Sie erwarten von uns eigentlich nichts anderes als eine klare Linie, eine Position, mit der man arbeiten kann. Ich bin davon überzeugt: Wir haben uns lange gedrückt, doch jetzt müssen wir über die Möglichkeiten und Grenzen von Außenpolitik, Friedenspolitik und nicht zuletzt über unsere Rolle, die Rolle Deutschlands, diskutieren. In dieser Debatte reicht es nicht, sich in unbekümmertem Vertrauen zu wiegen. Ich finde – und ich zitiere frei unseren Außenminister Frank-Walter Steinmeier –, unsere Kultur der Zurückhaltung darf nicht zu einer Kultur des Heraushaltens und schon gar nicht zu Gleichgültigkeit werden. Wir sind keine Insel – wir sind das in keiner Hinsicht –, und ich sage: Gott sei Dank sind wir eingebettet in der Mitte Europas. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was können wir tun, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren? Im Osten? In Afrika? Tun wir alles, um unseren Beitrag zum Frieden zu leisten? Was müssen wir tun gegen den Terrorismus? Denn er ist da, und er wird in seiner Brutalität nichts einbüßen, wenn wir uns einigeln. Interessieren wir uns überhaupt für manche Gegenden dieser Welt? Engagieren wir uns humanitär und militärisch ausreichend dort, wo unsere Stärken liegen, nämlich in der Konfliktprävention, in der Mittlerrolle, als Scharnier zwischen Mächten, als Scharnier, das Krieg vermeidet? Diese Fragen sind vielschichtig, und wir haben keine eindeutigen Antworten. Entgegen jeder Verschwörungstheorie führt das aber nicht zwangsläufig zu mehr Militär. Die Debatte darüber – angestoßen von unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier, von unserem Bundespräsidenten und von unserer Bundesverteidigungsministerin – kann Klarheit schaffen, und ich bin fest davon überzeugt: Sie muss auch Klarheit schaffen. Insofern verdient der Antrag der Grünen zu den Peacekeepern wenige Tage vor dem 11. Juni, an dem der „Tag des Peacekeepers“ begangen wird, Anerkennung und Re-spekt. Er enthält gute Bausteine, er zeigt in die richtige Richtung. Was mir allerdings noch mehr am Herzen liegt – denn es hängt damit innerlich zusammen; es leistet hervorragende Arbeit und denkt einen Schritt weiter –, ist das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze selbst. Das ZIF vermittelt trotz eines viel zu unsicheren Budgets zivile Expertinnen und Experten in Missionen der OSZE, der EU oder der Vereinten Nationen. Sie vermitteln ein Bild von und Erwartungen an Deutschland, die ich auch bei der Mission in der Ukraine erfahren habe: Verantwortung übernehmen, Friedenseinsätze mit Weitblick, konkrete vertrauenswürdige Außen- und Sicherheitspolitik. Diesen Erwartungen müssen wir gerecht werden. Das lohnt sich nicht nur für die Menschen, sondern auch für uns und vor allen Dingen für die Wertschätzung der Peacekeeper. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Vietz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Vietz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein asiatisches Sprichwort sagt: „Erkennen ist eine große Leistung des Geistes, Anerkennen eine solche des Herzens.“ In diesem Hause – wir haben es vielfach gehört – mangelt es nicht an Anerkennung für die Männer und Frauen, die für unser Land direkt oder indirekt im Bereich der Friedenssicherung weltweit im Einsatz sind. Dies gilt weder für uns noch für unsere Bürgerinnen und Bürger. Peacekeeping steht für die Bewahrung des Friedens, Peacekeeper sind Hüter des Friedens. Nächste Woche – auch das haben wir schon mehrmals gehört – findet der zweite deutsche „Tag des Peacekeepers“ statt – eine Veranstaltung, die eine junge Tradition begründet und die vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze begleitet wird. Gleich drei Minister werden an diesem Tag Soldaten, Polizisten und zivile Experten für ihren Einsatz im Bereich der internationalen Friedenssicherung ehren, stellvertretend für Hunderte andere, die sich tagtäglich einbringen. Das ist ein deutliches Zeichen, dass deren Arbeit geschätzt und gewürdigt wird. Insofern wird zumindest in einem Bereich der Forderung des vorliegenden Antrags schon entsprochen. Zivile Experten jeder Couleur stehen direkt im Dienst Deutschlands, deutscher NGOs oder internationaler Organisationen. Um es deutlich zu sagen: Ich danke all diesen Männern und Frauen, die sich hier einbringen, die auch als unsere Vertreter den Frieden weltweit sichern und ermöglichen – ob in Uniform oder in Zivil. Ein herzliches Danke an dieser Stelle! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir diskutieren hier im Plenum regelmäßig intensiv, leidenschaftlich und kontrovers – und zu Recht – über jeden Einsatz der Bundeswehr im Ausland, unabhängig von der Art der Mission oder der Anzahl der eingesetzten Soldaten. Um Frieden zu sichern, braucht es jedoch den vernetzten Ansatz, den unsere Kräfte auch in Krisengebieten verfolgen. Auf militärischer Seite steht es bereits lange außer Frage, dass es vielseitige Spezialisten und Experten braucht, um Ordnungsstrukturen wiederherzustellen. Gleiches gilt für zivile Einsatzkräfte. Hier sind wir auf dem richtigen Weg. Wolfgang Schäfer – der Name mag den meisten nicht bekannt sein – wurde im letzten Jahr am „Tag des Peacekeepers“ für sein Engagement in Afghanistan ausgezeichnet. Auf die Frage seiner Heimatzeitung, ob er noch einmal als Friedenshelfer nach Afghanistan gehen würde, antwortete er, dass er offen dafür sei; Arbeit für ihn als Polizeiausbilder gebe es noch auf Jahre hinaus. Er betonte aber auch, dass seine Arbeit ohne den Schutz der Bundeswehr nur schwer machbar gewesen sei. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur wir wissen, was wir an unseren Peacekeepern haben, sondern auch, dass sie wissen, was sie aneinander haben. Gleiches gilt für unsere Gesellschaft, für unsere Bürgerinnen und Bürger. Niemand zweifelt an der Anerkennung und dem Respekt, die beispielsweise den Helfern von THW und GIZ entgegengebracht werden. Nur manchmal werden die Töne leiser. Natürlich sollten wir generell mehr und lauter darüber sprechen, auch und gerade weil die jüngsten außenpolitischen Debatten gern allein auf den militärischen Part reduziert werden. Das Ziel der Bundesregierung – wie auch von Minister Steinmeier formuliert – ist, dass Deutschland bereit sein muss, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen. Das umfasst im Wesentlichen und in erster Linie auch die Bündelung unserer zivilen Kompetenzen, die zugegebenermaßen auch militärisch flankiert sein müssen, wenn es die Situation verlangt. National wie international mangelt es dabei nicht an Anerkennung für die Experten der Friedenssicherung. Sie sind und bleiben eine elementare Stütze unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Dies belegt auch die Arbeit des Unterausschusses für Zivile Krisenprävention. Unser internationales Engagement, unsere Verantwortung geht weit über das Militärische hinaus. Unser Handwerkszeug umfasst eben mehr als nur den Hammer und die Brechstange. Dieses Selbstverständnis spiegelt sich auch in unserer Gesellschaft wider. Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung ist eine große Mehrheit unserer Bevölkerung durchaus bereit, international mehr Verantwortung zu übernehmen. Eine deutliche Mehrheit, mehr als zwei Drittel der Befragten, ist der Meinung, Deutschland solle sich in der humanitären Hilfe, bei Projekten zur Stärkung der Zivilgesellschaft, bei der Ausbildung von Polizei- und Sicherheitskräften oder der Hilfe beim Aufbau staatlicher Institutionen – klassische Elemente der Friedenssicherung – stärker engagieren. Das ist kein Zeichen mangelnder Anerkennung; es bleibt einfach das gute Gefühl, dass wir hier gut aufgestellt sind. Ich begrüße eine breitere Diskussion zu unserer Rolle bei der Friedenssicherung auf dem internationalen Parkett und dementsprechend auch die Intention des Antrages. Der vorliegende Antrag mag insofern ein Denk-anstoß sein. Er bietet einen bunten Strauß an Ideen, Anregungen und möglichen Maßnahmen – vor allem dazu, wo wir noch mehr Geld in die Hand nehmen sollten. Nur ist Geld allein kein Allheilmittel. Einige Ihrer Vorschläge haben sich bereits erledigt oder werfen praktische Probleme auf. Lassen Sie uns einfach darüber diskutieren. Lassen Sie mich auf mein einleitendes Zitat zurückkommen. Unser Geist ist in der Lage, zu erkennen, was unsere Peacekeeper leisten, und unsere Anerkennung kommt von Herzen. – Meine Redezeit ist zu Ende. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Herzlichen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1460 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Siebte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung Drucksachen 18/1281, 18/1379 (neu) Nr. 2.3, 18/1583 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Thews für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Thews (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich denke, wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass der Missbrauch der Verpackungsverordnung, wie er in den letzten Monaten verstärkt stattgefunden hat, dringend mit dieser siebten Novelle gestoppt werden muss. Einige möchten zwar gleich das ganze Duale System abschaffen, aber wir halten es für sinnvoll, das bestehende System – zumindest als Übergangslösung auf dem Weg zu einem Wertstoffgesetz – zu stabilisieren. Die Verpackungsverordnung regelt die Rücknahme und Verwertung von Verpackungsabfällen, und zwar basierend auf dem Prinzip der Produktverantwortung. Das Prinzip, dass Produzenten oder Vertreiber für die Sammlung und Verwertung ihrer Verpackungsprodukte verantwortlich sind und dass sie und nicht die Bürger für den Abtransport der gelben Tonne zahlen, ist seit Anfang der 90er-Jahre in Deutschland etabliert. Insbesondere die Produktverantwortung als Regelinstrument zur Erreichung der Ziele der Kreislaufwirtschaft – Abfallvermeidung und besseres Recycling – sollte ausgebaut werden. Das Duale System hat seine Fehler und Schwächen und bietet, wie wir jetzt sehen, auch Missbrauchsmöglichkeiten. Aber die Grundidee halte ich nach wie vor für schützenswert und nicht für gescheitert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wurde aber in letzter Zeit Missbrauch betrieben, und zwar im Zusammenhang mit den sogenannten Eigenrücknahmen und den Branchenlösungen. Diese Instrumente wurden als Schlupflöcher genutzt, um Kosten zu sparen und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das hat im Ergebnis zu einer erheblichen Finanzlücke und letztendlich zu einer Destabilisierung des Dualen Systems geführt. Die gemeldeten Mengen, die im Rahmen der Eigenrücknahme oder der Branchenlösungen gesammelt -worden sein sollen und damit im Ergebnis nicht der Lizenzpflicht unterlagen, stimmen nicht mit der Lebenswirklichkeit überein. Gemäß den gemeldeten Mengen müsste ein Großteil der Verpackungen im Rahmen der Eigenrücknahme vom Käufer in den Laden zurückgebracht bzw. gleich dagelassen worden sein. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass das nicht mit der Realität übereinstimmt. Diese sogenannte Eigenrücknahme als Ausnahme von der Lizenzpflicht hat sich nicht bewährt. Sie führte verstärkt zum Missbrauch des Systems. Deshalb wollen wir sie streichen. Das trifft bei fast allen Beteiligten auf Zustimmung; diesbezüglich gibt es einen breiten Konsens. Zumindest einschränken wollen wir die Branchenlösung. Sie wurde mit der fünften Novelle der Verpackungsverordnung eingeführt. Es sollte für Branchen, bei denen die Verpackungen an der Übergabestelle direkt anfallen, die Möglichkeit geschaffen werden, diese selber ohne vorherige Lizensierung über das Duale System zu entsorgen oder entsorgen zu lassen. Laut Gesetzesbegründung hatte man damals zum Beispiel an die Entsorgung und Verwertung von Verbrauchsverpackungen von in Kfz-Werkstätten eingesetzten Kfz-Ersatzteilen gedacht oder eben an Behälter für Öl und Schmierstoffe in Kfz-Werkstätten, Tankstellen oder im Einzelhandel. Das sind durchaus sinnvolle Branchenlösungen. Oft sind es herstellerbasierte Lösungen mit eigenen Sammelsystemen, die auch in Zukunft möglich sein werden. Seit der fünften Novelle sind die Verpackungsmengen, die als Teil einer Branchenlösung gemeldet wurden, allerdings massiv angestiegen. Von einigen Unternehmen, unter anderem in der Lebensmittelindustrie, wurden so unrealistische Mengen gemeldet, dass der Missbrauch offensichtlich wurde. Manchmal war es sogar so, dass die Anfallstelle, die als Teil einer Branchenlösung angegeben wurde, selbst gar nichts davon wusste und den Verpackungsmüll ganz normal über die gelbe Tonne oder den gelben Sack im Dualen System entsorgt hat. Zusammenfassend kann man festhalten: Das bisherige System der Branchenlösung funktioniert nicht; es ist nicht transparent und auch nicht überprüfbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Regelung wird deshalb so geändert, dass die Branchenlösungen, die wir damals mit der fünften Novelle zulassen wollten, weiter möglich sind, der Missbrauch aber so weit wie möglich beseitigt wird und das System insgesamt transparenter und damit kontrollierbarer wird. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU]) Das fordert sowohl von den Herstellern oder Vertreibern als auch von den Anfallstellen mehr Dokumentationsaufwand. So wird zum Beispiel die Möglichkeit, den Nachweis über die als Teil einer Branchenlösung gelieferten Produkte über allgemeine Marktgutachten zu führen – Gutachten, die man kaum überprüfen kann –, abgeschafft. Die Anfallstellen müssen die im Rahmen der Branchenlösung gelieferten Verpackungsmengen dokumentieren, beispielsweise anhand von Lieferbelegen. Das ist zumutbar, machbar und notwendig, um wieder faire Bedingungen zwischen den Herstellern und dem Dualen System herzustellen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Idee der Produktverantwortung nicht gescheitert ist. Sie ist schon deshalb nicht gescheitert, weil das Verpackungsrecycling effektiv zur Ressourcenschonung beigetragen hat und damit auch zur Energieeinsparung und zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Sie ist auch deshalb nicht gescheitert, weil die gelben Tonnen und Säcke von Bürgerinnen und Bürgern mit großem Engagement genutzt werden. Vor allem aber ist uns durch dieses System ein wichtiger Paradigmenwechsel in Deutschland geglückt, der erstens zu der Verantwortung der Hersteller und Vertreiber für die Entsorgung und Verwertung ihrer Verpackungen und die daraus entstehenden Abfälle geführt hat, zweitens zu einer qualitativ hochwertigen stofflichen Verwertung von Verpackungen und drittens zum Aufbau einer leistungsstarken Recyclingindustrie und einer vorbildlichen Recyclingtechnik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Voraussetzungen müssen wir jetzt nutzen, um die Verpackungsverordnung zu einem Wertstoffgesetz weiterzuentwickeln. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wollen wir die rechtlichen Grundlagen zur Einführung einer gemeinsamen haushaltsnahen Wertstofferfassung nicht nur für Verpackungen, sondern auch für andere Wertstoffe schaffen. In vielen Kommunen stehen heute schon Wertstofftonnen, in denen nicht nur Verpackungen aus Plastik, Metall und Verbundstoffen gesammelt werden, sondern auch sogenannte stoffgleiche Nichtverpackungen wie alte Gießkannen, Kochtöpfe oder Plastikspielzeug. Diese Wertstofftonnen wollen wir bundesweit auf der Grundlage eines Wertstoffgesetzes einführen; denn für sinnvolles und effektives Recycling müssen Abfälle nach Stoffen und nicht nach ihrem Verwendungszweck getrennt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die praktizierte Trennung wurde vom Bürger weder akzeptiert noch verstanden. Deswegen sprechen wir ja vom intelligenten Fehlwurf. In unserem Abfall gibt es noch jede Menge Potenzial. Urban Mining, also das Heben von Wertstoffen aus dem Abfall und das Zurückführen in den Wirtschaftskreislauf, muss unser Ziel sein. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu verzichten. Diese Woche wurde Friedrich Schmidt-Bleek, der ehemalige Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, einer der -Pioniere der Umweltbewegung, im Spiegel mit der Anmerkung zitiert, wenn die Politik den Klimawandel stoppen wolle, müsse sie an der Wurzel des Übels ansetzen, am Verbrauch natürlicher Ressourcen. Hierzu können wir heute mit unserer Entscheidung auf dem eingeschlagenen Weg zu einem Wertstoffgesetz einen wichtigen Beitrag leisten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Thews, das Protokoll des Deutschen Bundestages verzeichnet zwar schon eine Rede des Abgeordneten Thews, aber diese wurde zu Protokoll gegeben. Deshalb sind wir heute Zeuge Ihrer ersten tatsächlich gehaltenen Rede im Bundestag geworden. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich. Im Namen des ganzen Hauses wünsche ich Ihnen alles Gute. (Beifall) Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Ralph Lenkert das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! Die gelbe Tonne ist ein Dauerbrenner. Die Tinte unter der Sechsten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung ist noch nicht trocken, da kommen Sie bereits mit der siebten Änderung um die Ecke. Wann begreifen Sie, dass jede weitere Änderung der Verpackungsverordnung, ob die sechste, siebte, achte oder zwanzigste, sinnlos ist, solange Sie nicht das Übel selbst anpacken? Denn die von Ihnen gehätschelten elf privaten Großfirmen kriegen die Verpackungsentsorgung im Dualen System nicht in den Griff. Sie sind keine Opfer, sie sind das Problem. Wir alle kennen die Zahlen. 2,4 Millionen Tonnen Verpackungsabfall fielen 2013 an, aber nur für 1 Million Tonnen stellten die elf Firmen Rechnungen aus. Wie kann das sein? Wenn eine Entsorgungsfirma ihrem potenziellen Kunden die Lizenzgebühr gemessen an der vollen Menge an Verpackungen berechnet – mit den vollen Entsorgungskosten –, dann wechselt der Kunde zum nächsten Systemanbieter, der kundenfreundlicher rechnet. Diesen Wettbewerb des kreativen Gestaltens der Lizenzgebühren ignorieren Sie von Union, SPD und Grünen. Lieber toben Sie sich auf Nebenschauplätzen aus. Ein Beispiel: Dem Möbelanbieter, der bisher fast alle Verpackungen selbst einsammelte, streichen Sie die Eigenrücknahme, weil einige Kunden die Verpackungen manchmal in die gelbe Tonne warfen. Jetzt muss er nach Ihren Vorstellungen eine der elf Firmen zur Verpackungsentsorgung über die gelbe Tonne bezahlen. Da werden dann wohl seine Kundendienstmonteure zukünftig Folien, Schaumpolysterol und Luftpolster stets beim Kunden lassen. Wenn dann plötzlich die gelben Tonnen vor den Haustüren überquellen, weil die Mehrmengen beim Abholen nicht eingeplant waren oder die dünnen Sammelsäcke reißen, ist die nächste, die achte Änderung der Verpackungsverordnung schon vorprogrammiert. Ein zweites Beispiel: PU-Schaumdosen werden bisher über eine Branchenlösung gesammelt. 90 Prozent werden erfasst. Daran waren die elf Firmen nicht beteiligt. 18 echte Branchenlösungen funktionieren – alle ohne die glorreichen Elf. Ein paar Dutzend Branchenlösungen dagegen funktionieren nicht. Und wer organisiert diese? – Die elf Firmen. Jetzt zerschlagen Sie alle Branchenlösungen zugunsten der elf Firmen. Erklären Sie es! Mit einer Ausnahme: Wenn eine Branche eine vollständige Erfassung und Selbstabholung ihrer Verpackungen nachweist, darf sie ihre Lösung weiterbetreiben. 100 Prozent Nachweis: Was für ein Bürokratiemonster! Mit dessen Hilfe schanzen Sie den elf Firmen weiteres Geschäft zu. (Beifall bei der LINKEN) Übrigens: Die elf Firmen des Dualen Systems verbrauchen bei 1 Milliarde Euro Umsatz rund 60 Prozent, also 600 Millionen Euro, für Verwaltung, Ausschreibungen und Gewinne. Nur 400 Millionen Euro werden ausgegeben für Sammlung und Verwertung der Verpackungen. Das bringt zwar wenig für die Umwelt, aber der Rubel rollt. Wir, die Linke, wollen eine Verpackungsverordnung, die funktioniert. Führen wir Verpackungsabgaben für Hersteller pro Kilogramm Verpackungsmaterial ein. Das verhindert Betrug und fördert Verpackungsvermeidung – im Handel und bei Produzenten. Beauftragen wir die Kommunen mit der Erfassung der Verpackungen, bezahlt aus der Verpackungsabgabe. Geschätzte 60 Prozent der Verwaltungskosten könnten entfallen. Beerdigen wir das Duale System! Die siebte Änderung der Verpackungsverordnung ist der erneute Versuch, tote Pferde zu reiten. Schaffen wir dafür eine lebensfähige und ökologische Verpackungsverordnung, und lassen Sie das Duale System in Frieden ruhen! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Thomas Gebhart das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Thews [SPD]) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Anfang der 90er-Jahre in Deutschland: Die Rede war vom Müllnotstand. Das war die Situation. Dann hat der damalige Umweltminister Klaus Töpfer etwas auf den Weg gebracht, was ein echtes Erfolgsmodell wurde: die Verpackungsverordnung. Sie war wegweisend. Viele Länder haben dieses Konzept in der Zwischenzeit übernommen. Die Idee basierte auf dem Prinzip der Produktverantwortung. Diejenigen, die Verpackungen in den Markt bringen, sind also auch dafür verantwortlich, diese Verpackungen wieder zurückzunehmen und möglichst wiederzuverwerten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist eine marktwirtschaftliche Lösung. Die Entsorgungskosten werden Teil des Preises, und es entsteht ein Anreiz, Verpackungen möglichst von Anfang an zu vermeiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Und die Wirkungen? Die Kosten für die Verbraucher sind zurückgegangen. Wir haben in Deutschland hochmoderne Recyclingtechnologien entwickelt – es war eine echte Innovation –, und Abfälle sind zu wichtigen Rohstoffen geworden. 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft heute einsetzt, stammen aus Abfällen. In Zukunft, meine Damen und Herren, muss dies noch mehr gelten: Es kommt immer mehr darauf an, dass wir Kreisläufe dort schließen, wo dies ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. In Zukunft wird das vor dem Hintergrund, dass die Nachfrage nach Ressourcen weltweit stark steigt, noch mehr notwendig sein. Und diese Ressourcen sind begrenzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen daher das Prinzip der Produktverantwortung stärken, den Wettbewerb erhalten und möglichst stärken. Es wäre verrückt, wenn wir dieses gute Prinzip der Produktverantwortung aufgeben würden. Vor kurzem haben wir hier im Deutschen Bundestag über die sechste Novelle der Verpackungsverordnung debattiert und sie beschlossen. Damit haben wir europäische Vorgaben umgesetzt. Wir haben eine Liste von Beispielen dafür übernommen, was als Verpackung gilt und was nicht als Verpackung gilt. Seit der sechsten Novelle wissen wir daher, dass zum Beispiel die Kleiderbügel, die als Teil des Kleidungsstücks verkauft werden, als Verpackung gelten, aber die gleichen Kleiderbügel, die separat verkauft werden, eben nicht als Verpackung gelten. Das klingt fast schon absurd. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Aber, meine Damen und Herren, es weist uns auf einen zentralen Punkt hin: Wir müssen das Kreislaufwirtschaftssystem weiterentwickeln. Künftig sollten wir -Verpackungen und sonstige Abfälle aus den gleichen Materialien in einer einheitlichen Wertstofftonne entsorgen. Wir müssen das jetzt angehen, und wir werden dies in einem Wertstoffgesetz angehen. Die Verbraucher sind übrigens schon weiter – das Stichwort wurde schon genannt –: intelligente Fehlwürfe. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Daher ist klar: Die siebte Novelle, die wir heute beschließen werden, ist ein Zwischenschritt. Aber es ist ein notwendiger Zwischenschritt. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Zur achten!) – Ja, selbstverständlich. – (Lachen des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Warum ist dieser Zwischenschritt notwendig? Weil die Verpackungsverordnung so, wie sie ausgestaltet ist, Schwachstellen aufweist, die zu akuten Schwierigkeiten führen. Diese müssen wir beheben. Konkret bedeutet dies: Erstens. Die Möglichkeit der Eigenrücknahme wird gestrichen. Was steckt dahinter? Die Eigenrücknahme wird offenkundig teilweise als Schlupfloch genutzt, um Lizenzgebühren zu sparen. Die Pflicht, sich am Dualen System zu beteiligen, wurde verstärkt umgangen. Der Wettbewerb ist an dieser Stelle verzerrt. Zweitens. Die Anforderungen an die Nachweise bei sogenannten Branchenlösungen werden erhöht. Bei der Branchenlösung war uns als Union wichtig, dass es eben nicht zu einer ausschließlichen Einengung auf direkte Lieferbeziehungen kommt. Dafür haben wir uns starkgemacht. Dies sieht die Verordnung jetzt auch genau so vor. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir leisten mit der siebten Novelle einen wichtigen Beitrag, um das System zu stabilisieren. Der nächste Schritt steht mit dem Wertstoffgesetz vor der Tür. Dann wird es vor allem darum gehen, anspruchsvolle Recyclingquoten durchzusetzen, für eine bessere Organisation der Kreislaufwirtschaft insgesamt zu sorgen und vieles mehr. Wir haben eine ganze Menge Arbeit vor uns. Aber das ist auch eine gewaltige Chance; denn wir können unser Land in einem wichtigen Zukunftsfeld weiter fit machen. Diese Chance sollten wir nutzen. Gehen wir es an! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Peter Meiwald hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nur eine Erde. Ich glaube, in ähnlicher Form haben wir das heute schon einmal von Bärbel Höhn gehört. Ich kann zwar nicht mit Enkelkindern aufwarten. Trotz alledem glaube ich, das sollte uns auch weiterhin bewegen. Wir sollten bei der Müllproblematik ähnlich wie bei der Klimaproblematik darauf hinweisen: Wir haben Verantwortung. Die Rohstoffe, von denen wir leben, sind begrenzt. Ihr Abbau ist oftmals mit großen Umweltbelastungen verbunden. Deshalb befassen wir uns als Parlamentarier immer wieder mit dem Ressourcenschutz, mit dem sparsamen Umgang mit Ressourcen und mit Recycling. Das ist auch richtig so. „Änderung der Verpackungsverordnung“ klingt nicht besonders ambitioniert in Richtung Ressourcenschutz. Aber sie hat natürlich damit zu tun. Am 20. März dieses Jahres haben wir uns zuletzt mit dem Thema Verpackungen befasst, und zwar anlässlich der sechsten Novelle; das ist eben schon angesprochen worden. Schon da haben wir zum Ausdruck gebracht, dass für uns nur schwer verständlich ist, warum man die damals schon vorliegenden Anträge, die nun in die siebte Novelle eingeflossen sind, im Rahmen der sechsten Novelle nicht gleich mit bearbeitet hat. Wir haben auch entsprechende Anträge eingebracht; Nordrhein-Westfalen hatte dies schon länger thematisiert. Wir müssen nun damit leben, dass wir in zwei Schritten vorgehen; deswegen stehen wir heute wieder hier. Trotzdem – das ist verschiedentlich gesagt worden – ist es inhaltlich richtig, am System zu arbeiten, auch wenn das, was wir tun, in der Tat – Kollege Lenkert hat darauf hingewiesen – nicht der große Wurf ist. Das ist vollkommen klar, und ich glaube, das haben alle in dieser Form mitgetragen. Auch der Öffentlichkeit ist mittlerweile bekannt, dass immer mehr Unternehmen die Lizenzgebühren umgehen; auch das haben wir eben schon gehört. Es stellt sich die Frage: Was können wir kurzfristig tun, und was müssen wir langfristig tun? Im Moment umgehen einige Marktteilnehmer die lästigen Lizenzgebühren. Dem muss man zunächst einmal Einhalt gebieten. Aber das ist nur eine Übergangslösung. Die Änderungen, die wir jetzt vornehmen – die Streichung der Eigenrücknahme und die deutliche Einschränkung von Branchenlösungen –, sind in dieser Form notwendig. Sie sind zwar nicht schön und bringen uns nicht wirklich voran. Aber wir werden diesen Änderungen zustimmen, weil wir das System erst einmal so weit bringen müssen, dass wir endlich ein Wertstoffgesetz bekommen können. (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es handelt sich in der Tat nur um eine Zwischenlösung. Dass die Verpackungsentsorgung grundlegend neu organisiert werden muss, um auch andere Wertstoffe aus dem Hausmüll zu holen und dem Recycling zuzuführen, ist wohl klar; das ist offensichtlich. Verbrennen kann dabei nicht mehr die Hauptlösung sein. Im Moment ist es ja so, dass alles, was sich unterhalb der Quoten noch irgendwie nutzen lässt, direkt verwendet wird. Aber das meiste landet in der Verbrennung. Das darf, wenn es zukünftig ein Wertstoffgesetz gibt, nicht mehr so sein. Daran müssen wir dringend etwas ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als wir uns im Umweltausschuss mit diesem Thema befasst haben, hat das Umweltministerium angekündigt – Kollege Gebhart hat gerade darauf hingewiesen –, dass ein Wertstoffgesetz in Arbeit ist. Alle Fraktionen arbeiten in dieser Richtung. Ich freue mich, dass wir gemeinsam an einem System arbeiten, das dynamische Recyclingquoten mit sich bringt, sodass Deutschland auch in der Müllpolitik wieder Vorreiter in Europa wird. Das waren wir ja schon einmal; das ist zu Recht erwähnt worden. Mittlerweile aber versinken die meisten Abfälle in der sogenannten thermischen Verwertung. Das ist des Wertes, den die in den einzelnen Produkten enthaltenen Rohstoffe haben, nicht würdig. Deswegen werden wir aufmerksam verfolgen, ob jetzt schnell ein Wertstoffgesetz auf den Weg gebracht wird. Nur so ist sichergestellt, dass die Öffentlichkeit angemessen an dieser Diskussion beteiligt werden kann. Wir müssen eine breit angelegte Debatte führen. Gerade haben wir schon in einigen -Nebensätzen gehört, dass wir die Kommunen und die Länder mit einbinden müssen. Damit müssen wir jetzt endlich beginnen, damit die Diskussion auch in der Breite stattfinden kann. Wir erwarten deutlich höhere und dynamisch ansteigende Recyclingziele im Wertstoffgesetz; denn die -jetzigen Vorgaben – das sagen selbst die verwertenden Unternehmen – werden im Moment spielend erreicht. Alles andere wird dann einfach möglichst kostengünstig erledigt. Müllverbrennung ist einfach billiger. Daher wird im Moment alles, womit die Recyclingquoten übererfüllt würden, verbrannt. Das widerspricht mittlerweile nicht nur der Überzeugung der Grünen, sondern – das habe ich in der breiten Diskussion hier im Plenum ja mit Freuden zur Kenntnis genommen – auch unser aller Vorstellung von einer zukunftsfähigen Welt. Deswegen freue ich mich auf die hoffentlich sehr bald anstehenden Debatten zu einem echten Wertstoffgesetz. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist Weltklasse im Fußball, wie wir in den nächsten Wochen sicherlich erleben werden. (Michael Leutert [DIE LINKE]: Na ja!) Wir sind aber auch Weltklasse, wenn es darum geht, Rohstoffe zu recyceln. (Beifall bei der CDU/CSU) Man erkennt, dass die Kreislaufwirtschaft funktioniert und dass sie bei einem Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro auch ökonomisch Sinn macht. Recycling ist zu einem echten Wirtschaftsfaktor geworden. Das erste dieser Systeme besteht bereits seit den 90er-Jahren; wir haben das schon gehört. An das damals zugrunde gelegte System, die Trennung von Abfällen, hat sich auch der Verbraucher grundsätzlich gewöhnt, und er nimmt es erfolgreich an. An dieser Stelle sollten wir auch einmal ein großes Lob an die Verbraucherinnen und Verbraucher aussprechen, die ihren Müll trennen und diese Systeme erfolgreich nutzen. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um diese bewährten Systeme zu erhalten, müssen wir aber auch da nachsteuern, wo ein System in Schieflage geraten ist, und das ist bei der Verpackungsverordnung der Fall. Heute zeigt sich: Das Zusammenspiel von Lizenzsystem, Eigenrücknahme und Branchenlösungen funktioniert nicht. Die Eigenrücknahme wird missbraucht. Ein Teil der Branche macht Gewinne, die anderen zahlen die Zeche. Hersteller und Vertreiber nutzen dieses Zusammenspiel anscheinend gezielt, um das System zu umgehen. Klar erkennbar ist dies am deutlichen Rückgang der lizenzierten Verpackungsmengen, während die tatsächlich gesammelten verwertbaren Mengen konstant bleiben. Die vor allem in den vergangenen Jahren beobachteten Folgen waren ein hohes finanzielles Defizit und -teilweise ein drohender Zusammenbruch des gesamten Systems. Sowohl Branchenlösungen als auch die Eigenrücknahme werden wohl teilweise genutzt, um Verpackungsmengen aus den lizenzierungspflichtigen Mengen herauszurechnen – wahrscheinlich, um Kunden attraktivere Angebote zu machen. Dieses bewusste Umgehen hat auch einen Nebeneffekt, der nicht so häufig diskutiert wird und auch heute noch nicht angesprochen wurde. Ich selbst bin Landwirt und Milcherzeuger. Unsere Molkerei muss natürlich wie jeder andere Hersteller auch ihre Beiträge an das Duale System zahlen. Leider können diese Beiträge nicht an die Handelsketten weitergereicht werden, sondern im Endeffekt zahlen wir Milcherzeuger das. Deshalb muss es ein Anliegen von uns sein, hier eine vernünftige Regelung zu finden. Dabei ist es wichtig, dass wir die schwarzen Schafe in der Abfallwirtschaft erkennen und benennen und diesen Missstand beseitigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser siebten Verordnung streichen wir den Tatbestand der Eigenrücknahme, weil wir das bewährte Gesamtsystem erhalten, stärken und ausbauen wollen. Gerade deshalb ist es wichtig, dieses Schlupfloch zu schließen. Wir schaffen die Branchenlösung nicht ab, konzentrieren sie aber auf die Bereiche, in denen wirklich funktionierende Systeme bestehen und sich ein Missbrauch ausschließen lässt; denn der Ansatz „Wettbewerb bei der Entsorgung“ ist und bleibt auch in Zukunft wichtig. Deshalb geht es hier vor allem darum, die Möglichkeit eines Mengenabgleichs zu schaffen. Kurz gesagt: Unser Ziel ist, eine flächendeckende Entsorgung von Verkaufsverpackungen unter Beibehaltung des Prinzips der Produktverantwortung zu sichern und faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, leistet die heute zur Abstimmung stehende Novelle. Sie wird dazu beitragen, dass Deutschland auch in Zukunft Weltklasse bleibt: bei der Mülltrennung und beim Fußball. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1583, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/1281 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend -regulieren Drucksachen 18/769, 18/1656 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU): Meine sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag, liebe Kollegen von den Linken, ist wieder einmal ein Sammelsurium an finanzpolitischen Forderungen. Sie haben wieder einmal alles in einen Topf geworfen. Erstens. Es ist kein regulatorischer Missstand, dass es einen legalen Grauen Kapitalmarkt gibt, sondern das ist ganz einfach Ausdruck von Gewerbefreiheit. Crowd-investing und Crowdfunding beispielsweise ermöglichen Innovationen, die sonst keine Chancen hätten. Mehr als 3 000 Anleger haben zum Beispiel in den Kinofilm Stromberg Geld investiert. Der fertige Film mag dem einen oder anderen vielleicht nicht als Highlight des kulturellen Daseins, nicht als eine große Produktion erscheinen, aber man kann nicht leugnen: Wirtschaftlich war der Film sehr erfolgreich. Die Investoren haben nicht nur ihr Geld, sondern darüber hinaus noch eine ansehnliche Rendite erhalten. Aber es hätte auch alles komplett anders kommen können. Wenn niemand sich den Film angesehen hätte, wäre das Geld einfach weg gewesen. Nun die Frage: Muss man die Menschen vor solchen Anlagen schützen? Wir sagen Nein. Wir wollen solche Innovationen nicht totregulieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Es ist auch falsch, wenn Sie unterstellen, dass der Graue Kapitalmarkt komplett unreguliert sei. Schon in der letzten Wahlperiode haben wir die Aufsicht im Bereich des Grauen Kapitalmarkts und auch die Transparenz der Produkte deutlich verbessert. Wir haben auch den Sach- und Fachkundenachweis eingeführt. Wir gehen auf diesem Weg noch ein Stück weiter. Wir ziehen Konsequenzen aus der Pleite des Windkraftbetreibers Prokon. Wir haben ein ganzes Maßnahmenpaket zum Schutz von Kleinanlegern vorgelegt. Die Unternehmen werden dadurch zu mehr Transparenz verpflichtet, und auch der Vertrieb wird so geregelt werden, dass -Finanzprodukte nicht systematisch an Anleger vertrieben werden, für die sie sich nicht eignen. Wir wollen auch die Verbraucherzentralen mit zusätzlichen Millionen Euro ausstatten, damit sie den Markt noch besser und systematischer beobachten und so vielleicht auch Missstände schneller aufdecken können. Dies alles tun wir mit einem Ziel: einen Ausgleich zwischen der staatlichen Regulierung auf der einen Seite und der Eigenverantwortung der Verbraucher auf der anderen Seite zu schaffen. Die Kollegin Lay von den Linken hat in einer Pressemitteilung dieses Maßnahmenpaket kritisiert. Sie hat gesagt – ich zitiere –: Im Kern bleibt es an den Verbraucherinnen und Verbrauchern hängen, sich zu informieren und dementsprechend zu handeln. Ja, Frau Kollegin, so kann man das sagen. Am Ende entscheidet immer der Verbraucher und nicht der Staat; so wollen zumindest wir das. Aber schauen wir uns doch einmal genau an, was Sie vorschlagen. Sie fordern zum Beispiel einen Finanz-TÜV, der alle Finanzinstrumente und -akteure prüfen soll. Mit welchem Ergebnis soll er prüfen? Sie denken dabei an ein Ampelsystem. Rot bedeutet demnach Gefahr. Das kann ich noch verstehen. Gefahr heißt, das Produkt darf nicht auf den Markt, weil Totalverlust droht. Das bedeutet auch: kein Geld für Filme wie Stromberg. Ihr Konzept – das zeigt das kleine Beispiel – ist nicht sinnvoll. Ich schlage Ihnen vor: Packen Sie es einfach in die Tonne, am besten wird es auch nicht wieder hervorgeholt und recycelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine weitere Forderung von Ihnen ist, die provisionsbasierte Beratung zu verbieten. Sie unterstellen, alle Berater empfehlen Produkte nicht nach der Qualität, sondern nach der Höhe der Provision. Sie verleumden damit einen ganzen Berufszweig. Aber darauf will ich nicht weiter eingehen. Sie wollen eine Vertriebsform unterbinden, die fast den gesamten Markt ausmacht. Was würden wir damit erreichen? Welchen Vorteil hätte der Kunde bzw. der Verbraucher dadurch? Nach Ihrem Wunsch müssten die Kunden dann auch für jede Hausratversicherung oder Haftpflichtversicherung eine Honorarberatung bezahlen. Der Stundensatz einer Honorarberatung gerade in diesen Bereichen ist viel höher als die heutige Provision. Das nutzt den Honorarberatern, aber sicherlich nicht den Verbrauchern. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]) Wir wollen dagegen die honorarbasierte Beratung als Alternative zum provisionsbasierten Modell weiter ausbauen und fest im Markt etablieren. Denn beide Modelle haben ihre Vorteile für den Verbraucher, und wir wollen, dass der Verbraucher selber auswählen kann, was für ihn gut ist. Mit unseren Maßnahmen zum finanziellen Verbraucherschutz schützen wir die Verbraucher, ohne sie zu überfordern oder zu entmündigen. Das ist unser Ziel, und auf dieses Ziel richten wir auch alle weiteren Maßnahmen aus. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Susanna Karawanskij das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir Linken wollen mit unserem Antrag den Grauen Kapitalmarkt, der eben nicht staatlich reguliert ist, umfassend regulieren, damit nicht länger ein lax regulierter Grauer Kapitalmarkt neben dem Weißen Kapitalmarkt existiert. Heute wird in der FAZ – das ist nicht gerade ein Parteiblatt – Bundestagspräsident Norbert Lammert zitiert: Es gibt eine Reihe von Phantasieprodukten, die schon in ihrer Konstruktion schlicht unanständig sind. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist alles unanständig!) Daimler-Finanzvorstand Manfred Gentz sagt dazu in der FAZ – lassen Sie mich auch das zitieren –: Man wird wahrscheinlich für bestimmte Produkte ganz simpel zu Verboten kommen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist kein Zitat der Linken, sondern eine Aussage des Daimler-Chefs. Dass wir eine Regulierung brauchen, zeigt sich auch daran, dass Sie jetzt einen Aktionsplan und ein Maßnahmenpaket vorhaben. Sie sagen selber: Wir brauchen die Verbesserung des Schutzes der Kleinanleger im Grauen Kapitalmarkt. Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Sie denken nicht im Traum daran, den Grauen Kapitalmarkt zu regulieren. Sie möchten lediglich den Verbraucherschutz, also sozusagen den Anlegerschutz im Grauen Kapitalmarkt regulieren, statt diesen endlich von der Bildfläche verschwinden zu lassen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, was wir schon gemacht haben!) Wir wollen ebenfalls einen finanziellen Verbraucherschutz, aber das schließt noch lange nicht aus, dass man dem Grauen Kapitalmarkt nicht das Wasser abgraben und ihn schlussendlich schlicht und ergreifend beseitigen kann. (Beifall bei der LINKEN) Um es ganz klar zu sagen: Unter den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sind einige bemerkenswerte und sinnvolle Regulierungen. Das möchte ich gar nicht verheimlichen. Herr Sieling von der SPD hat uns bei der ersten Beratung des Antrages keck vorgeworfen, dass wir unsere Forderungen nur bei Google zusammengesucht hätten. Sie haben jetzt ein Maßnahmenpaket mit 20 Einzelmaßnahmen vorgelegt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: 22!) Ihrer Koalition hätte eine ausführlichere Google-Suche gutgetan. Denn Sie rücken dem Grauen Kapitalmarkt nicht wirklich zuleibe; Sie gehen das halbherzig an. Dass Sie das nur gebremst tun, zeigt sich auch daran, dass Sie ständig auf die mündigen Anleger und auf die Eigenverantwortung verweisen. Gewiss muss jeder Verantwortung für seine Anlageentscheidungen übernehmen. Die Entscheidungen wollen wir den Anlegern auch gar nicht abnehmen. Aber wir wollen die Anleger nicht in das offene Messer laufen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Sie selbst haben zugegeben, dass die Finanzbranche sehr kreativ ist und einige Produkte sehr undurchsichtig sind. Die mündigen Anleger und Verbraucher werden und können das Spiel gegen die mächtige Finanzbranche nicht gewinnen. Da sind Sie auf dem Holzweg; das muss ich Ihnen einfach so klar sagen. (Beifall bei der LINKEN) Wir legen in unserem Antrag tatsächlich einen weiträumigeren Blick an den Tag. Wir wollen, dass jede Geld- und Vermögensanlage in einschlägigen Gesetzen reguliert wird. (Beifall bei der LINKEN) An Sie geht die Aufforderung, die Lücken im Kapitalanlagegesetzbuch zu schließen. Darüber hinaus wollen wir den Grauen Kapitalmarkt einer wirksamen Finanzaufsicht unterstellen. Dazu gehört beispielsweise, dass die Finanzanlagevermittler nicht länger von den Gewerbeämtern kontrolliert werden. Das hat im Übrigen auch die SPD in der letzten Legislaturperiode gefordert. Der Fall Prokon ist tatsächlich der Aufhänger für unseren Antrag. Aber Sie müssen weiterdenken, damit wir – erlauben Sie mir bitte dieses Wortspiel – dem Grauen Kapitalmarkt das Grauen nehmen können. (Beifall bei der LINKEN) Da meine Redezeit abläuft, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Gut so!) komme ich zum Schluss. In Sachen Vertrieb sollten Sie strenger sein. Sie sollten den provisionsbasierten Verkauf von Finanzprodukten aller Art unterbinden und als Alternative die unabhängige Finanzberatung durch Verbraucherzentralen bzw. Honorarberater stärken. Da Sie sicher gleich von Erfolgsgarantien und Finanzplaketten sprechen werden: Wenn ein Fahrer oder eine Fahrerin eines Pkw mit TÜV-Plakette einen Auffahrunfall provoziert, dann wird deswegen nicht gleich der TÜV infrage gestellt bzw. in Haftung genommen. Aus unserer Sicht führt an einem Finanz-TÜV – egal ob es um die Einführung einer Ampelkennzeichnung oder schlicht um die Frage der Zulassung eines Finanzprodukts geht – genauso wenig ein Weg vorbei wie an einer vollständigen Überwindung des Grauen Kapitalmarkts. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als Erstes sagen, dass ich mich ausgesprochen freue, Frau Kollegin Karawanskij, dass Sie sich in Ihrer Rede sehr ausführlich auf das 22-Punkte-Papier der beiden zuständigen Minister, nämlich des Ministers der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, und des Ministers der Finanzen, Herrn Schäuble, bezogen haben, das dazu dient, die Beratungen über das voranzubringen, was wir in der Großen Koalition auf der Grundlage unseres Ko-alitionsvertrags zum Schutz der Sparerinnen und Sparer, der Anlegerinnen und Anleger sowie aller Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch zur weiteren Regulierung der Finanzmärkte auf den Weg bringen wollen. Das ist doch eigentlich ein gutes Zeichen für die Debatte in diesem Parlament. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir von der Koalition können stolz darauf sein, dass wir nun diesen Weg gehen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Wir sind in der glücklichen Situation, dass schon in der vergangenen Legislaturperiode an verschiedenen Stellen Schritte gemacht wurden, auch wenn diese teilweise unterschiedlich bewertet wurden. Wir sind allein schon deshalb weiter, weil mittlerweile in diesem Parlament in der Frage betreffend die notwendige Regulierung und den Schutz der Sparerinnen und Sparer sowie der Anlegerinnen und Anleger und die Vermeidung von Fehlentwicklungen eine ganz große Koalition besteht. Das war in der letzten Legislaturperiode noch nicht der Fall. Hier können wir gute Fortschritte verzeichnen. Wir werden nun Lücken schließen müssen. Kollegin Heil hat schon einige Punkte des Antrags der Linksfraktion angesprochen. Wir werden und können den dort skizzierten Weg so nicht mitgehen. Angesichts der Aufgaben, vor denen wir stehen, darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es gibt eine fachliche und eine politische Dimension. Die fachliche Dimension besteht darin, dass man keine Maßnahmen ergreifen darf, die am Ende negative Effekte für die Menschen, um die es uns geht, haben werden. Das Problem des Provisionsverbots – ich komme gleich darauf zurück – ist angesprochen worden. Wenn man so vorgeht, wie Sie es vorschlagen, wird man dieselben negativen Erfahrungen machen, die die Briten gemacht haben. In Großbritannien gibt es das Verbot. Das ist schlecht für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Darum gehen wir einen solchen Weg nicht mit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man muss auch beachten, dass man am Ende politische Wege suchen muss. Auch da darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Man muss unterschiedliche Kräfte bündeln und Mehrheiten finden. Auch dazu sind Teile Ihrer Vorschläge nicht geeignet. Ich will an der Stelle den zweiten Punkt aus meiner Sicht ansprechen. Das ist der sich gut anhörende Vorschlag eines Finanz-TÜVs. Das Problem besteht darin, dass wir insgesamt 1 Million Produkte haben, die sich zu einem großen Teil immer wieder verändern, weil sie sehr individuell zugeschnitten werden und in dem Zusammenhang neu konstruiert werden. Wenn Sie alle diese Produkte einer Behörde, in dem Fall der BaFin, übergeben wollen – das wäre eine Superbehörde für eine Superaufsicht –, dann wird das nicht klappen. Die BaFin wird nicht hinterherkommen können, die Aufsicht wird nicht wirksam sein. Deshalb lehnen wir den Finanz-TÜV ab und halten seine Einführung für einen Schritt in die falsche Richtung. Ich habe gesagt, dass es an der Stelle eine ganz große Koalition gibt. Die haben wir natürlich auch deshalb – das hat sich so gesellschaftlich herausgebildet –, weil wir mit S&K, Phoenix, aber natürlich auch zuletzt Prokon Fälle haben, die wir angehen müssen. Ich will deshalb auf das kommen, was die Zukunft in unserem Land bestimmen wird, nämlich das Eckpunktepapier, das von den beiden zuständigen Ministerien vorgelegt worden ist. Es ist nicht so, wie der Eindruck zu erwecken versucht wurde, dass damit nur – „nur“ in Anführungsstrichen – Verbraucherschutz betrieben wird. Natürlich wird Verbraucherschutz betrieben, aber es wird auch eine Regulierung der Anleger und der Finanzmärkte geben. Es wird zum Beispiel die Frage des Vertriebs aufgegriffen, und die Werbung soll eingeschränkt werden. Dazu möchte ich zwei Zahlen nennen, die einen wirklich erschrecken und die deutlich machen, wie wirksam es sein wird, wenn wir die Werbung für gewisse Produkte einschränken. Prokon hatte einen Werbeetat für seine Produkte in Höhe von 85 Millionen Euro. Irgendwie musste das, was über die Bildschirme flackerte, bezahlt werden. Der Automobilkonzern Ford hat einen Jahresetat von 100 Millionen Euro für seine Werbung. Wenn man die beiden Zahlen ins Verhältnis setzt, sieht man, welcher Aufwand bei Prokon betrieben worden ist und was für eine verzerrte Vertriebsstrategie gefahren worden ist. Dass das eingeschränkt wird, ist, glaube ich, eine sehr wichtige Angelegenheit. Die zweite wichtige Angelegenheit, an der wir arbeiten werden, ist, dass die BaFin natürlich eine erweiterte Aufgabe erhält. Wir als SPD haben lange gefordert, dass sie auch die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz erhält. Das ist ein Riesenschritt voran, weil sie dann natürlich – aber nur in Fällen, in denen es richtig schiefgehen kann – auch die Möglichkeit haben wird, Produkte zu verbieten. Das Instrument muss sie auch bekommen, wenn sie wirksam und durchschlagend sein will. Sie soll aber nicht Genehmigungen für 1 Million Produkte erteilen, sondern gezielt vorgehen, quasi mit dem Florett arbeiten, um diejenigen, die den Markt ausnutzen und Übergriffe tätigen, aus dem Markt zu nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch eines zum Schluss sagen. Wir werden große Schritte vorangehen, indem wir auch Maßnahmen ergreifen, um den kollektiven Verbraucherschutz zu stärken, beispielsweise mit dem Aufbau von Marktwächtern. Auch das sagt das Eckpunktepapier der beiden Ministerien. Aber wir werden auch – auch Kollegin Heil hat das hier schon angesprochen; das ist ein wichtiges Vorhaben – dafür sorgen, dass ein Wettbewerb zwischen jetziger provisionsorientierter Beratung und zukünftiger Honorarberatung stattfindet. Wir müssen Honorarberatung auf Augenhöhe ermöglichen. Das -werden wir mit dem, was wir machen, schaffen. Das ist vernünftiger als das, was Sie heute hier vorlegen. Aber vielleicht bringen wir ja eine konstruktive Diskussion zustande, und am Ende steht bei der Beschlussfassung über das, was dieses Haus irgendwann als Gesetzentwurf erreicht, eine große und das ganze Haus umfassende Mehrheit. Ich glaube, das wäre gut, um den Grauen Kapitalmarkt einzuschränken und die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dem Antrag der Fraktion Die Linke werden wir uns enthalten, obwohl er viele richtige Punkte enthält. Die Linke fordert einen Finanz-TÜV, der alle Finanzinstrumente, -akteure und -praktiken vor ihrer Zulassung daraufhin untersucht, ob sie – ich zitiere – „gesamtwirtschaftlich keine unerwünschten Nebenwirkungen haben, ob das gesamt- und betriebswirtschaftliche Risiko beherrschbar ist und ob sie verbraucherfreundlich sind“. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist Planwirtschaft!) Das halten wir nicht für sinnvoll; denn solche Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind mit hohen Prognoserisiken behaftet. Ein positives Urteil eines solchen Finanz-TÜVs könnte wie eine Erfolgsgarantie verstanden werden, ganz zu schweigen von der drohenden Amtshaftung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Erfolgreiche Planwirtschaft à la DDR!) Als wir den Antrag der Fraktion Die Linke bei seiner Einbringung hier im Plenum behandelt haben, schloss ich meine Rede mit einem Appell an den Verbraucherschutzminister Maas. Ich habe gesagt, bezüglich seiner Ankündigungen, ausgehend vom Fall Prokon im Bereich des Grauen Kapitalmarkts jetzt etwas zu tun, würden wir ihn schon beim Wort nehmen; denn eine Ankündigungsministerin Aigner hatten wir im Verbraucherschutzministerium lange genug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mittlerweile hat der Verbraucherschutzminister zusammen mit dem Bundesfinanzminister Schäuble einen Aktionsplan zum Verbraucherschutz im Finanzmarkt vorgelegt. Dieser besteht aus einem Maßnahmenpaket insbesondere zur Verbesserung des Schutzes von Kleinanlegern im Grauen Kapitalmarkt. Ich muss sagen: Wenn das so im Gesetz Niederschlag findet, dann hat der Verbraucherschutzminister meinen Respekt; denn dieser Aktionsplan enthält viele Punkte, die wir Grünen seit langem fordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Beispiel begrüßen wir sehr, dass nun Umgehungsmöglichkeiten für Anbieter von Graumarktprodukten eingeschränkt werden sollen und dass der Katalog der nach dem Vermögensanlagegesetz geregelten Anlageformen erweitert wird. Es gibt am Markt nämlich erhebliche Ausweicherscheinungen, zum Beispiel partiarische Darlehen oder Nachrangdarlehen. Darauf muss man reagieren. Es ist richtig, dass das vorgesehen ist. Zu begrüßen sind auch die Vorschläge zur verstärkten Transparenz von Vermögensanlagen und die Offenlegung ihrer Risiken. Es ist zum Beispiel eine Selbstverständlichkeit, dass verpflichtende Angaben zu personellen Verflechtungen im Umfeld des Anbieters für den Anleger transparent gemacht werden müssen; denn das kann er selber nicht erkennen. Richtig ist auch, dass die Finanzaufsicht Befugnisse bekommt, Werbeverbote und Vertriebsbeschränkungen bei unseriösem und aggressivem Anbieterverhalten auf dem Grauen Kapitalmarkt vorzunehmen. Trotz alldem gibt es zwei zentrale Schwachpunkte, und ich sehe noch nicht, dass Sie sie angehen: Erstens. All die neuen anlegerschützenden Maßnahmen gehören auch umgesetzt. Aber von personellen Verbesserungen für die Aufsicht ist nirgendwo die Rede. Auf einer Pressekonferenz hat Herr Schäuble auf Nachfrage einer Journalistin an dieser Stelle deutlich den Kopf geschüttelt. Ich befürchte daher, dass die Durchsetzung dieser Punkte an mangelnden personellen Kapazitäten scheitern wird. Das darf nicht passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Eine Finanzaufsicht mit Befugnissen auszustatten, ist das eine. Das andere ist, dass sie auch davon Gebrauch machen will. Es irritiert mich massiv, dass die BaFin ihre Handlungsmöglichkeiten nicht nutzt. Zum Beispiel hat die BaFin bereits 2008/2009, als sie gegenüber Prokon das Erbringen eines unerlaubten Bankgeschäfts monierte, Handlungsspielräume gehabt, um die Geschäftstätigkeit zu untersagen; aber sie hat es nicht gemacht. Wir haben ein massives Vollzugsdefizit in der deutschen Finanzaufsicht zulasten der Verbraucher, und das muss korrigiert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle gibt es eine klare Verantwortungszuteilung: Die Bundesfinanzaufsicht untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministers. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Wenn sechs Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise noch immer ein solches Vollzugsdefizit besteht, dann ist das an dieser Stelle einfach eine miserable Leistung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn sich hier nichts tut, dann werden die geplanten Maßnahmen ins Leere laufen. Deswegen lautet unsere zentrale Aufforderung heute: Tun Sie etwas an diesen zwei zentralen Schwachpunkten! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker Ullrich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Debatte um den Grauen Kapitalmarkt klaffen Anspruch und Lebenswirklichkeit auseinander. Ähnlich verhält es sich mit der ökonomischen Theorie und der Wirklichkeit. In der idealen Welt haben alle Teilnehmer Informationen über das gesamte Marktgeschehen und handeln rein am ökonomischen Nutzen orientiert. In der Praxis verhält es sich anders. In der Politik stellt man in der Theorie der idealen Welt Anträge in Kenntnis dessen, was bislang passiert ist. In der Praxis liegt ein Antrag wie der der Linksfraktion auf dem Tisch. Sie verkennen, dass die Problematiken des Grauen Kapitalmarkts und das -strukturelle Versagen, das auf diesem Markt zulasten der Verbraucher aufgetreten ist, von der unionsgeführten Bundesregierung in den letzten Jahren erkannt und behoben worden sind. (Beifall bei der CDU/CSU) In den Jahren 2011 und 2013 sind mit dem Vermögensanlagengesetz und mit dem Kapitalanlagegesetzbuch wesentliche Schutzlücken geschlossen worden. Gleichwohl erkennt eine vorausschauende Politik, dass der Schutz im Augenblick nicht ausreicht. Angesichts der aktuellen Fälle, die wir alle bedauern, sehen wir einen Handlungsauftrag an den Gesetzgeber, weiter tätig zu werden, und zwar umsichtig und besonnen und unter Berücksichtigung der besonderen Aufgaben, die ein Kapitalmarkt auch für das Funktionieren unserer Wirtschaft hat. Dementsprechend haben die Bundesminister der Finanzen und der Justiz vor zwei Wochen ein weiteres Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, welches in den nächsten Wochen und Monaten in die parlamentarische Debatte eingebracht werden wird. Ich glaube, es ist ein gutes Signal, dass wir diese Debatte führen werden. Mit dem Maßnahmenpaket können wir weitere Schutzlücken schließen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass bei der Debatte um den Grauen Kapitalmarkt auch die Funktion für unsere Wirtschaft nicht aus den Augen verloren werden darf. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Welche Funktion hat er denn?) Sie können nicht einige Fälle, die wir alle bedauern und in denen Menschen auch ganz konkret betrogen worden sind, zum Anlass nehmen, Kapitalbeschaffungsmaßnahmen für den Mittelstand, für neue Projekte, für Windenergie, für Solarenergie, für andere innovative Themen unmöglich zu machen. Sie müssen erkennen, dass in unserer Marktwirtschaft – wir sind davon geprägt – auch die Allokation von Kapital noch entsprechend funktionieren muss. (Widerspruch der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Alles andere ist Planwirtschaft. Es ist doch Planwirtschaft, wenn Sie durch einen Finanz-TÜV alles regeln wollen, weil Sie damit den Staat zu einer Art Wirtschaftsprüfer machen, letzten Endes Amtshaftungsansprüche begründen und Erwartungen wecken, die der Staat nicht erfüllen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Es sei in dieser Debatte weiter daran erinnert, dass es auch um die Bildung unserer Mitbürger in finanziellen Fragen geht. Ich meine, Eigenverantwortung und Bildung in finanziellen Fragen, das ist der notwendige Eigenbeitrag, den alle leisten müssen, und das ergänzt den staatlichen Anlegerschutz. Nur zusammen kann damit ein Schutzniveau erreicht werden, das für alle tauglich ist. Um es mit den Worten eines bedeutenden Investors, Warren Buffett, zu sagen: Kaufen Sie nichts, was Sie nicht kennen! (Michaela Noll [CDU/CSU]: Was Sie nicht verstehen! – Zuruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) Dementsprechend ist „Eigenverantwortung“ nicht irgendwie nur ein liberales Wort, sondern Eigenverantwortung ist letzten Endes etwas, was den Menschen im Kern angeht. Wir müssen und dürfen den Menschen -etwas zutrauen, ohne dass wir vergessen, dass der Staat eine gewisse Schutzpflicht hat. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ja! Nehmen Sie die wahr!) Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Maßnahmenpaket einen Schutz des Grauen Kapitalmarkts vor problematischen Anbietern erreichen, der dem Niveau unserer Volkswirtschaft entspricht und die Menschen ruhiger schlafen lässt, weil sich die Politik darum kümmert. Gleichzeitig erlauben wir, dass die Kapitalfunktion in unserer Wirtschaft beibehalten werden kann. In diesem Sinne: Warten Sie ab, was wir zukünftig vorlegen werden. Wir werden damit den Grauen Kapitalmarkt auf eine anlegerfreundliche Art und Weise regulieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn Sie das wollen, können Sie auch gleich unserem Antrag zustimmen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war der letzte Redner in dieser Debatte. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend regulieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1656, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/769 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes Drucksachen 18/1305, 18/1574 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/1648 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Damit ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor vier Wochen haben wir hier in erster Lesung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes beraten. Daraufhin folgen die Anhörung, aber auch viele intensive Gespräche mit Verbänden und dem Ministerium. Diese haben zu Änderungsanträgen geführt, über die wir heute ebenfalls beschließen wollen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden im Wesentlichen aber nur redaktionelle Korrekturen und europarechtlich notwendige Anpassungen vorgenommen. Dies ist insbesondere notwendig, weil die Definition von offenen und geschlossenen Fonds im KAGB an die delegierte Verordnung der EU-Kommission angepasst werden muss. Diese Verordnung wird voraussichtlich im Juli 2014 in Kraft treten. Als geschlossen gelten dann nur noch Fonds, deren Anteile nicht vor Beginn der Liquidation oder Auslaufphase auf Ersuchen eines Anteilseigners zurückgenommen werden können. Vorher waren dies solche Fonds, bei denen die Rückgabe nicht mindestens einmal jährlich möglich war. Dies ist also eine weitaus restriktivere Auslegung des Begriffs. Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an einen geschlossenen bzw. einen offenen Fonds hat diese Änderung der Definition erhebliche Auswirkungen. Viele bisherige geschlossene Fonds wären damit zu offenen Fonds geworden. Deshalb wird den bestehenden Fonds, den sogenannten Altfonds, durch das Gesetz nunmehr Bestandsschutz gewährt. Das ist notwendiger Vertrauensschutz. Meine Damen und Herren, weiter hätte diese Änderung erhebliche negative Auswirkungen auf die zahlreichen Energiegenossenschaften gehabt, sofern sie denn in den Anwendungsbereich des KAGB fallen, also als Investmentvermögen anzusehen sind. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch einmal darauf hinweisen, dass weit über 90 Prozent der mittlerweile über 800 bestehenden Energiegenossenschaften operativ tätig sind. Diese werden somit von der Regulierung des KAGB gar nicht erfasst. Diese Tatsache wird in der Diskussion teilweise nicht richtig gewürdigt. Für die unter das KAGB fallenden Energiegenossenschaften – das ist also der weitaus geringere Teil – war noch in den letzten Zügen der Ausschussberatung im vergangenen Jahr eine Ausnahmeregelung geschaffen worden, um diese Bürgerenergieprojekte – um diese handelt es sich zumeist – nicht durch zu große Regulierung und Anforderungen zu gefährden. Die Ausnahmeregelung für diese Genossenschaften wäre aufgrund der nach dem Genossenschaftsgesetz vorgesehenen Kündigungsmöglichkeiten ausgehebelt worden. Daher haben wir die Ausnahmeregelung an die neue Definition entsprechend angepasst. Wir wollen allen Bürgerenergiegenossenschaften weiterhin ermöglichen, einen wichtigen Beitrag zur Energiewende in der Bundesrepublik zu leisten. Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, den ich auch schon in der Einbringung des Gesetzentwurfes angesprochen habe. Wir haben auch in den Beratungen intensiv über den Nachweis der fachlichen Eignung von Geschäftsleitern von Bürgerenergiegenossenschaften diskutiert. Die CDU/CSU-Fraktion und ich halten es für richtig und wichtig, dass auch diese – neben der Zuverlässigkeit des Geschäftsleiters – geprüft wird. Die BaFin soll künftig bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit und Eignung der Geschäftsleitung einer Genossenschaft aber auch die Stellungnahme des zuständigen genossenschaftlichen Prüfungsverbandes einbeziehen. Mit diesem Hinweis wird berücksichtigt, dass die Eignung der Geschäftsleiter bereits bei der Gründung der Energiegenossenschaften durch die genossenschaftliche Prüfung festgestellt wird. Weiterhin geht von uns an die BaFin das klare Signal, bei ihrer Prüfung ihren Maßstab an der Größe, der Komplexität und dem Risikogehalt der Geschäftstätigkeit auszurichten. Wir wollen bürgerliches Engagement unterstützen und nicht durch übertriebene Anforderungen verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Darum haben wir auch eine Evaluierung dieser Ausnahmevorschriften für Energiegenossenschaften zum Ende des Jahres 2015 vereinbart, um gegebenenfalls, falls notwendig, nachsteuern zu können. Ich möchte noch zwei weitere Punkte, die auch Gegenstand der Anhörung gewesen sind, kurz ansprechen. Durch die Änderung im KAGB ermöglichen wir jetzt auch das sogenannte Derivatenclearing, also die Aufrechnung von in der Verrechnung des Sondervermögens begründeten Forderungen und Ansprüchen, künftig auch für börslich gehandelte Derivate. Bisher war das Clearing nur für außerbörslich gehandelte Derivate möglich. Die deutlich strenger regulierten börslich gehandelten Derivate sind im Rahmen der AIFM-Umsetzung versehentlich außen vor geblieben. Das machte so keinen Sinn. Darum haben wir dies angepasst. Nicht übernommen haben wir den Vorschlag aus der Anhörung, der auch von den Grünen übernommen worden ist, Ausnahmeregelungen für sogenannte Kleinst-AIF in der Rechtsform einer Genossenschaft zu schaffen. Bei denen sollte unter anderem die Höchstanlage bei 2 500 Euro liegen und das Anlagevolumen einen Betrag von 5 Millionen Euro nicht übersteigen. Ich vermag nicht einzusehen, warum Anleger bei diesen Gesellschaften einen schlechteren Anlegerschutz erhalten sollen. Für so manchen von uns sind auch 2 500 Euro viel Geld. Auch diesen Anlegern gebührt ein angemessener Anlegerschutz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir bewusst keine größeren materiellen Änderungen im KAGB vorgenommen. Um zu wissen, an welchen Stellen wir gegebenenfalls noch Anpassungen vorzunehmen haben, sollten wir den Praxistest der umfangreichen und komplexen Finanzmarktregulierung abwarten. Ich bin sicher, dass das Finanzmarktanpassungsgesetz nicht die letzte Etappe bei der Regulierung des Kapitalmarktes ist. Weitere werden sicher folgen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt Susanna Karawanskij das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir sprechen – wir haben es gerade gehört – über die Anpassung von Finanzmarktgesetzen in einem begrenzten, redaktionellen Sinn. Das haben Sie, Herr Kollege, gerade treffend gesagt. So weit, so gut. Gesetze müssen immer mal wieder überarbeitet werden, wenn sich die Bezeichnungen von Sachverhalten, aber auch die Relationen ändern. Aber: Ihr Vorgehen beinhaltet gleichzeitig eine ganz klare Botschaft, dass nämlich die Bundesregierung über die technokratische Aktualisierung von Gesetzen im Finanzsektor hinaus keinen Handlungsbedarf sieht. Das ist, ehrlich gesagt, ein Armutszeugnis, und das vor dem Hintergrund, dass wir uns immer noch im siebten Jahr der Banken- und Finanzkrise befinden. Sie werden jetzt sagen: Das ist das siebte Jahr nach der Krise. – Aber wenn Sie immer wieder behaupten, dass diese vorbei sei, schauen Sie einmal über den Tellerrand nach Europa, und dann sehen Sie: Wir stecken immer noch in dem Schlamassel. (Beifall bei der LINKEN) Die EZB, die Europäische Zentralbank, führt wieder einmal Stresstests durch, wonach Banken und deren Eigenkapital hinsichtlich ihrer Risikotragfähigkeit überprüft werden. Hier geht es darum, dass man Prävention zu dem Zweck betreibt, dass bei einem erneuten Crash nicht wieder die Hosen heruntergelassen werden müssen. Es ist eher eine Prüfung der großen Banken dahin gehend, ob Europa im Ernstfall wieder einspringen darf. Ich finde, der Koalitionsvertrag war, was Ihre Ambitionen zu weiteren Regulierungen der Finanzmärkte -angeht, beschämend zahm. Dieses Thema plätschert einfach dahin. Ehrlich gesagt verspielen Sie die Gelegen-heit, aus der größten Finanzkrise, die wir seit 1929 bzw. den 30er-Jahren hatten, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Sie brauchen sich nicht hinter Europa und der Euro-Krise zu verstecken. Die Bundeskanzlerin hat in Europa die unsoziale, ökonomisch kontraproduktive Sparpolitik mit aller Härte gegen die Euro-Krisenländer durchgesetzt. Wenn Sie als Bundesregierung nur halb so entschlossen wären, den hochriskanten Finanzgeschäften und dem Grauen Kapitalmarkt den Kampf anzusagen – von den Schattenbanken rede ich gar nicht –, dann wären wir im Hinblick auf eine europäische Regulierung deutlich weiter. (Beifall bei der LINKEN) Uns ist natürlich nicht entgangen, dass Sie, vor allem auf Druck der Finanzbranche selbst, wenige inhaltliche Veränderungen vorgenommen haben. Auf diese will ich kurz eingehen. Zur Anzahl der Aufsichtsmandate. Wir finden es vollkommen richtig, dass die Begrenzung der Aufsichtsmandate die Sparkassen gegenüber den Privatbanken nicht benachteiligen darf. Wir hätten uns aber eine andere Reaktion gewünscht: nicht die, dass Sparkassen nun mehr Mandate wahrnehmen dürfen, sondern dass die Zahl der Mandate der privaten Banken eingeschränkt wird. Durch die Finanzkrise wurde flächendeckend bestätigt, dass neben dem Management und der Finanzaufsicht auch die Aufsichts- und Verwaltungsräte der Banken ihre Kontrollfunktion eben nicht erfüllt haben. Es wäre nur konsequent, dass man der Ämterhäufung bei Kontrollmandaten entgegentritt und damit die Bürde auf mehr Schultern verteilt. (Zuruf von der CDU/CSU: Machen wir doch!) Wir brauchen mehr kompetentes Personal mit entsprechender Zeit, um den verbundenen Instituten – sei es nun im Konzernverbund, sei es im öffentlichen-rechtlichen Institutsverbund – intensiver auf die Finger zu schauen und, wenn nötig, eben halt auch mal auf die Finger zu klopfen. (Beifall bei der LINKEN) Abschließend möchte ich noch etwas zum Kapitalanlagegesetzbuch sagen. Die dortigen Vorschriften lassen unseres Erachtens noch viel zu viele Umgehungsmöglichkeiten und Ausweichkonzepte für unseriöse Anbieter von Kapitalanlagen zu. Das wurde auch in der Anhörung ganz deutlich. Man muss sich das Tatbestandsmerkmal „operativ tätig sein“ erst einmal zu Gemüte führen. Wie ist das mit der Grenze zum Tatbestand „Investitionsvermögen“, der unter die Bestimmungen des Kapitalanlagegesetzbuches fällt? Das alles ist sehr schwammig. Das hatten wir ja schon in der Debatte vorher: Die seit Prokon berühmt-berüchtigten Genussrechte oder auch die Nachrangdarlehen bleiben immer noch unreguliert. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Kapitalanlagegesetzbuch muss endlich wasserdicht gemacht werden. Die Finanzkrise ist immer noch nicht vorbei, auch wenn Sie diese Falschaussage mantraartig wiederholen. Beenden Sie Ihren Dienst nach Vorschrift! Werden Sie aktiv, und ziehen Sie vor allen Dingen die notwendigen Schlüsse aus der Finanzkrise, und setzen Sie die gewonnenen Erkenntnisse in wirklich wirksame und gute Gesetze um! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Gesetz „Finanzmarktanpassungsgesetz“ heißt, dann könnte man vermuten, es gehe um ganz viel Gesetzestechnik. Das ist in der Tat auch richtig. Der Gesetzentwurf soll im Nachgang zu europaweiten Regelungsvorhaben – es hat viele Regelungsvorhaben gegeben; das muss man fairerweise sagen, auch wenn wir in der letzten Legislaturperiode in der Opposition waren und auch manche Kritik geübt haben; ich nenne nur CRD IV, liebe Kollegin Karawanskij, ein riesiges Regulierungswerk, oder das AIFM-Umsetzungsgesetz – Korrekturen und europarechtlich notwendige Anpassungen vornehmen. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um ein Mantelgesetz, mit dem insgesamt elf andere Gesetze geändert werden. Ganz häufig sind es in der Tat rein redaktionelle Korrekturen. Liebe Kollegin Karawanskij, das kann man als technokratische Weiterentwicklung bezeichnen, aber so funktioniert unser Rechtsstaat nun einmal: Wir müssen die Gesetze entsprechend anpassen; denn nur dann ist eine saubere Regulierung möglich, und nur dann ist der Staat in der Lage, seine Vorstellungen überhaupt durchzusetzen. Das machen wir hier. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe mich gefragt: Wie kann man in einer Rede mit einem solch umfangreichen Werk umgehen? Ich habe mich entschieden, zwei politisch wichtige Punkte herauszugreifen. Das erste Stichwort ist die Mandatsbegrenzung. Worum geht es? Es geht um die grundsätzliche Frage: Wie viele Aufsichtsratsmandate kann eine Person in unterschiedlichen Bereichen sinnvoll wahrnehmen? Wie groß darf die Zahl sein, sodass es noch möglich ist, wirklich Aufsicht und Kontrolle über das Geschäftsgebaren auszuüben? Wir haben in der Finanzmarktkrise erlebt, dass es häufig ein Versagen in diesem Bereich gegeben hat, dass die Aufsicht nicht mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt wurde. Das hat im Ergebnis zu existenzbedrohenden Schieflagen von Banken geführt, die dann mit Steuergeldern gerettet werden mussten. Dieses darf sich nicht wiederholen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb brauchen wir eine sinnvolle Beschränkung der Zahl der Mandate. Ich glaube, wir haben gemeinsam eine sehr sinnvolle Regelung gefunden, die der Struktur des deutschen Kreditsystems Rechnung trägt. Wir haben bei kleinen Instituten die alte Rechtslage beibehalten; das sind nicht systemrelevante Institute. Wir haben in Deutschland zum Glück sehr viele sehr kleine Institute. Aber bei Instituten von erheblicher Bedeutung, von denen eine Systemgefährdung ausgehen kann, wollen wir an der strikten Mandatsbegrenzung festhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wenn man das einmal in Zahlen übersetzt, kann man sagen, dass ungefähr 1 900 Institute unter die alte Regelung fallen. Es sind kleine und sehr kleine Institute. 52 Institute fallen unter die sehr stark begrenzende Regelung. Wir haben die Grenze bei einem Bilanzvolumen von 15 Milliarden Euro gezogen. Das ist eine vernünftige Regelung, vor allen Dingen wenn wir uns vor Augen führen, dass in Zukunft die EZB für systemrelevante Banken zuständig ist und dafür die Aufsicht übernimmt. Ein zweiter Punkt, den ich noch kurz herausgreifen möchte. Es hat Probleme bei der Frage gegeben, was eigentlich zum harten Kernkapital einer Bank zählt und was nicht. Angesichts des bevorstehenden Stresstests der EZB ist das eine wichtige Frage, die geregelt werden muss, damit Klarheit herrscht; denn das Ganze wird auch veröffentlicht. Wir haben in diesem Gesetzentwurf klargestellt, dass in Zukunft bestimmte Reserven als hartes Kernkapital anzusehen sind, weil sie diese Funktion erfüllen. Das Ganze war mehr ein rechtstechnisches als ein inhaltliches Problem. Wir haben ansonsten in dem Gesetz eine Reihe von Detailregelungen gefunden – beim Kreditmeldewesen, beim Geldwäschegesetz, bei der Gewerbeordnung usw. Der Kollege Petry wird gleich noch auf ein paar andere Punkte hinweisen. Die Auswirkungen der einzelnen Regelungen in der Praxis sind nicht immer präzise vorhersagbar. Von daher ist es wichtig, dass der Gesetzgeber flexibel reagiert. Das Wort „Nachbesserung“ ist in diesem Zusammenhang kein Schimpfwort. Vielmehr wollen wir das Ganze evaluieren, also überprüfen, wie es wirkt, und an den entsprechenden Stellschrauben drehen, wenn wir erkennen, dass Nachbesserung notwendig und möglich ist. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege. Manfred Zöllmer (SPD): Das ist vernünftige Gesetzgebung, die wir in dieser Legislaturperiode umsetzen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden eine Reihe Fehler in bestehenden Regelungen korrigiert, und das ist auch richtig so. Bei der Begrenzung von Aufsichtsratsmandaten haben wir einvernehmlich eine gute Lösung gefunden. Wir werden uns allerdings trotzdem bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten; denn wir sehen Schwächen bei der Korrektur des Kapitalanlagegesetzbuches. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schade!) Das betrifft zum einen die Energiegenossenschaften. Da bleibt immer noch eine gewisse Rechtsunsicherheit, die die dezentrale Energiewende erschwert. Zum anderen meinen wir, dass die Schwelle für die Ausnahme-regelung mit 100 Millionen Euro deutlich zu hoch bemessen ist und deswegen noch viele kritische Anlagemöglichkeiten bestehen, die Anleger in die Irre führen könnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich haben Sie unseren Vorschlag abgelehnt, für Kleinstgenossenschaften Erleichterungen zu schaffen. Wir meinen: Dort, wo große Risiken bestehen, muss man hart durchgreifen, aber dort, wo es sich um kleine Institutionen handelt, die einen sehr begrenzten Bereich bewirtschaften, ist es auch richtig, bürokratische Lasten zu reduzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will aber heute einen anderen, etwas grundsätzlicheren Aspekt thematisieren. Die Bundeskanzlerin sagte neulich, 80 Prozent der Finanzmarktregulierung seien gemeistert. Doch diese Angabe basiert auf einer verfehlten Analyse. Als die jetzige Regulierungsagenda beim G-20-Gipfel 2009 in Pittsburgh skizziert wurde, geschah das unter Anleitung der Experten, die das Regulierungsregime prägten, das uns in diese Krise geführt hat. Der Glaube an die Möglichkeit, Risiko zu berechnen, blieb ungebrochen. So begann eine Bekämpfung von Symptomen, die noch heute die Regulierungsagenda dominiert. Der Fehler dieser Agenda von Pittsburgh war der Glaube, dass man die Komplexität an den Finanzmärkten mit immer komplexeren Regeln bekämpfen kann. Ich finde, es ist Zeit, zu erkennen, dass das nicht funktioniert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Werden die vielen Gesetze, die wir in der vergangenen Legislaturperiode durch den Bundestag gebracht haben, eine neue Krise verhindern? Ich bin da sehr skeptisch. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise heute leider nicht geringer als vor fünf Jahren. Die Finanzmärkte sind größer als 2007; sie sind schneller und komplexer geworden. Nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sind weltweit Anleihen im Volumen von gut 100 Billionen Dollar im Umlauf – das sind 43 Prozent mehr als beim Ausbruch der Finanzkrise 2008. Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, schrieb im vergangenen Jahr: „Derivatemärkte sind so groß und undurchsichtig wie zuvor.“ Die entscheidenden Reformen am Finanzmarkt stehen also noch aus. Von wegen „80 Prozent sind geschafft“! Die große Arbeit, die Finanzmärkte kleiner, langsamer und weniger komplex zu machen, haben wir noch vor uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Finanzaufsichtsbehörden haben häufig keinen wirklichen Überblick darüber, was auf den Märkten geschieht. Wir Politiker können an vielen Stellen die Umsetzung der von uns beschlossenen Regelungen und ihre Wirkung in der Praxis nicht ausreichend nachvollziehen. Komplexe Regulierung und komplexe Finanzmärkte bedingen sich hier gegenseitig. Wir Grünen plädieren deshalb für eine neue Regulierungsagenda, die auf einfachere, aber harte Regelungen setzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eine solche Regulierung ist möglich. Dazu gehört ganz zentral wesentlich mehr Eigenkapital, damit Verluste dort anfallen, wo der Gewinn landet, nämlich bei den Eigentümern der Finanzinstitute. Es geht um ein Steuersystem, mit dem die Privilegierung von Fremdkapital überwunden wird, ein solides Trennbankensystem, das zusammen mit der europäischen Bankenunion wirklich eine Abwicklung auch größerer Banken ermöglicht, ein Verbot des parasitären Hochfrequenzhandels und vor allem klare Haftungsregeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was jetzt ansteht, ist, eine neue Regulierungsagenda auf den Weg zu bringen, die die Finanzmärkte kleiner, langsamer und weniger komplex macht. Hierzu erwarten wir Initiativen der Bundesregierung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Philipp Murmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher! Meine Damen und Herren! Wir sind noch bei der Abarbeitung der Krise von 2008 – das ist sicherlich richtig. Es ist natürlich bedenkenswert, woran Wolfgang Schäuble erinnerte, als er neulich bei uns im Ausschuss war: Der internationale Bankensektor hat unserer Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik in den letzten Jahren tatsächlich viel zugemutet. Herr Schick, ich gebe Ihnen insoweit recht, dass es sicherlich auch notwendig ist, an die Wurzeln der Problematik heranzugehen. Aber Ihrer Behauptung, man könne zukünftige Krisen allein durch Regulierungen und immer weiter gehende Regulierungen vermeiden, kann ich mich nicht anschließen. Im Moment müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass eine Krise, wie sie das letzte Mal eingetreten ist, sich nicht wiederholen kann. Ich denke, dazu sind inzwischen viele Maßnahmen ergriffen worden, Maßnahmen, die unser Finanzsystem insgesamt deutlich stabilisiert haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Was brauchen wir? Wir brauchen sicherlich die Rückkehr zu mehr Verantwortung im Bankensektor; das ist ein ganz zentrales Element. Sie haben einige Beispiele genannt. Die Eigenkapitalbildung ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, den wir ja auch aufgreifen. Man darf es aber auch nicht übertreiben; denn sonst kann das Bankensystem für unsere Wirtschaft nicht die Rolle erfüllen, die es erfüllen muss, nämlich Kredite zu vergeben, Risiken einzugehen und viele Dinge mehr. In unserem Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Diesen Aspekt müssen wir bei all dem, was wir tun, immer berücksichtigen. Natürlich müssen wir das auch den Banken und all denen, die in diesem System arbeiten, immer wieder mit auf den Weg geben; denn sie sind Eigentümer von zum Teil großen Instituten und tragen deswegen natürlich eine erhebliche Verantwortung. Die Regulierung, die wir nun auf den Weg bringen, besteht im Wesentlichen aus drei Elementen: Haftung durch Eigenkapital, Eigentümer in die Verantwortung zwingen und Reserven aufbauen. Das Aufbauen von Reserven durch die Bankenabgabe ist ein wichtiges Element – über eine europäische Bankenabgabe wird diskutiert –, mit dem wir das Finanzsystem insgesamt robuster gegenüber einer eventuellen neuen Krise machen können. Der Gesetzentwurf zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes, den wir heute verabschieden, enthält viel Technik; das haben wir schon von verschiedenen Seiten gehört. Wir haben im Ausschuss zu dem Ursprungsgesetzentwurf acht Änderungsanträge eingebracht; die Linken übrigens überhaupt keinen. Angesichts der Kritik, die sie hier vortragen, darf man das sicherlich sagen. Herr Troost hat an dem gemeinsamen Berichterstattergespräch teilgenommen und mehreren dieser Änderungsanträge, die wir gemeinsam verabredet haben, zugestimmt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So ist es!) Wie gut unsere Große Koalition zusammenarbeitet, können Sie daran erkennen, dass Herr Zöllmer und ich unter anderem am Himmelfahrtswochenende miteinander telefoniert haben, um uns abzustimmen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war gut!) und daran, dass genau die Punkte, die Herr Zöllmer genannt hat, auch auf meinem Zettel stehen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist Transparenz in der Großen Koalition!) Auch ich bzw. wir glauben, dass diese Elemente von großer Relevanz sind: Ein wesentliches Element sind die drei Kategorien bei den Mandaten: erstens die systemrelevanten großen Banken – das sind nur 35 –, zweitens die Banken von erheblicher Bedeutung, die eine Bilanzsumme zwischen 15 und 30 Milliarden Euro ausweisen, und drittens die 1 800 neuen Kleininstitute, die wir sozusagen in die alte Regelung zurückführen und damit aus der Überregulierung – so sage ich es einmal – herausnehmen. Das zweite wesentliche Element ist, die Kernkapitalbildung bei den Banken zu ermöglichen. Dadurch werden, so wurde es uns gesagt, für die Banken auch für den Krisenfall 1,3 Milliarden Euro mehr Kernkapital verfügbar sein. Ich denke, auch das ist eine sinnvolle Sache. Ganz herzlichen Dank an alle, die daran mitgearbeitet haben. Zum Schluss möchte ich anmerken, dass es auch darum geht, dass unsere Banken international wettbewerbsfähig bleiben. Herr Schick, es kann doch nicht sein, dass wir hier in Deutschland wild vor uns hinregulieren – so sage ich es einmal – und das am Ende dazu führt, dass unser deutsches Bankensystem auf dem Weltmarkt nicht mehr agieren kann. Wenn Sie sich die Größenordnung, um die es bei den amerikanischen Banken geht, vor Augen führen, stellen Sie fest, dass es sich dabei um ganz andere Dimensionen handelt als bei uns, vor allem, da es bei uns ja viele Kleininstitute gibt. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass unsere Banken wettbewerbsfähig bleiben. Sie müssen vor allen Dingen für unseren starken Mittelstand Kapital zur Verfügung stellen und Risiken finanzieren. Wenn wir mehr Gründer in Deutschland haben wollen und wenn wir wollen, dass unsere Unternehmen in neue Technologien investieren, brauchen wir an deren Seite Banken, die in der Lage sind, dafür Kapital zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Deswegen müssen wir für eine gute Balance sorgen, um diese Möglichkeiten nicht zu verschenken. Nochmals herzlichen Dank für die gute Diskussion. Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, in den unsere sehr guten Änderungsanträge eingeflossen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Christian Petry. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Murmann, dass Sie mit Herrn Zöllmer am Himmelfahrtswochenende telefoniert haben, ist sehr schön. Ich kann auch etwas bieten: Mit Herrn Güntzler habe ich mich beim Fußballspielen ausgetauscht. Insoweit hat die Zusammenarbeit hervorragend funktioniert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dieser Gesetzentwurf bezieht sich auf eine Reihe von Gesetzen. Er steht in einer Linie mit anderen Gesetzen, mit denen wir mehr Transparenz, mehr Verbraucherschutz, mehr Aufsicht und mehr Sicherheit in die Finanzmärkte bringen. Wir waren in Brüssel und haben uns dort informiert. Dort haben wir die Information erhalten, dass es mittlerweile über 100 verschiedene Regelungen gibt, mit denen die Finanzmärkte stärker reguliert werden sollen, damit solche Krisen wie die der Vergangenheit nicht wieder auftreten. Wir haben die Aufgabe, das nationale Recht anzupassen; das ist ja schon gesagt worden. Diese erforderliche Umsetzung bzw. Anpassung betrifft neben vielen anderen Gesetzen auch das Kapitalanlagegesetzbuch. Wir wollen dabei zwischen Erleichterungen und Kontrollen die Balance wahren, damit niemand durch eine zu harte Prüfung Erschwernisse hinnehmen muss oder unter Umständen am Ende in dem Bereich nicht mehr tätig sein darf. In diesem Zusammenhang sind, denke ich, die entsprechenden bürgerschaftlichen Engagements in Energiegenossenschaften und genossenschaftliches Engagement insgesamt zu nennen. Wir haben das Thema Kleinstgenossenschaften ja behandelt; sie sind ein Beispiel. Wir sind davon ausgegangen, dass die BaFin dies pragmatisch regelt. Wir sind – das wurde genannt – der Auffassung, dass sich die Prüftiefe an der Größe der entsprechenden Einheit orientieren muss und dass entsprechend der Größe die Maßstäbe hier auch niedriger angelegt werden müssen. Wir haben die entsprechenden Eignungen bei der Genossenschaft so angelegt, dass eine Prüfung, sofern sie durch eine andere Behörde oder Organisation, zum Beispiel nach dem Genossenschaftsrecht, bereits vorgenommen worden ist, maßgeblich berücksichtigt wird bzw. in die Entscheidung einfließt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Davon gehen wir aus. Ich glaube, dass damit die Balance zwischen gewünschter Aufsicht und Kontrolle und den Erleichterungen, die man braucht, um im Rahmen dieses ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagements tätig zu sein, erreicht wird. Wir werden nach einer Überprüfung durchaus über weitere Änderungen beraten können. Wir gehen davon aus, dass es praktikabel ist, wenn Ende 2015 eine entsprechende Überprüfung stattfindet. Dann werden wir sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob das Gesetz so gewirkt hat, wie wir uns das heute vorstellen. Wir sind damit aber weiterhin auf einem richtigen Weg für mehr Verbraucherschutz, für mehr Transparenz, für mehr Kontrolle und Aufsicht und für sicherere Märkte. Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Der Kollege Petry war der letzte Redner in dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1648, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1305 und 18/1574 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Transparenz der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Drucksache 18/1462 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat der Kollege Dr. Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverwaltung ist das tragende Prinzip bei der Organisation der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens; das wissen wir alle. Das ist so gewollt. Ihre Bedeutung dokumentiert sich deshalb auch dadurch, dass die Selbstverwaltungskörperschaften gesetzlich als Körperschaften öffentlichen Rechts verankert sind. Der Gesetzgeber hat die Verantwortung für das Funktionieren des Gesundheitssystems auf diese Selbstverwaltungskörperschaften übertragen und mithin natürlich auch die Verantwortung für fast 200 Milliarden Euro Versichertengelder und Steuermittel. Allerdings sind sozialrechtlich – besonders im SGB V – eine vielschichtige Zweckbindung und grundsätzlich der Maßstab der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit verankert worden. Ich glaube, das ist auch richtig so. Deshalb kann man sagen: Solidarisch aufgebrachte Beitragsgelder – ich glaube, darüber sind wir uns alle einig – und Steuergelder müssen dem Solidarsystem zugutekommen und dürfen nicht zweckentfremdet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Im Rahmen einer Kleinen Anfrage interessierte uns, ob es eine ausreichende Transparenz bei der Mittelverwendung und eine ausreichende Aufsicht über die Mittelverwendung insbesondere bei den bundesweit agierenden Selbstverwaltungskörperschaften gibt. Seitens des Bundesministeriums ist auf eine entsprechende Frage geantwortet worden: Es besteht keine gesetzliche Regelung, die zu einer … Veröffentlichung der Jahresrechnungen und Haushaltspläne – zum Beispiel des GKV-Spitzenverbandes oder der KBV – verpflichtet oder sie ausdrücklich untersagt. Die Schlussfolgerung war für uns ein bisschen überraschend – Zitat –: Für eine Veröffentlichung … sind gesetzliche Änderungen daher nicht erforderlich. Das sehen wir anders. Wir fordern deshalb aus Gründen der größeren Transparenz und aus Aufsichtsgründen in Punkt 1 unseres Antrags eine vollständige Offenlegung der Haushaltspläne und Jahresrechnungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Anlass für diese Kleine Anfrage waren Medienberichte über Unregelmäßigkeiten im Finanzsektor einer dieser größeren bundesweiten Körperschaften. Es ging dort auch um eine Unternehmensbeteiligung. In der Antwort des BMG war interessant, dass das BMG, obwohl es formulierte, dass es selbst mit Nachdruck auf Aufklärung gedrängt habe, mehr als ein halbes Jahr später noch nicht abschließend informiert war. Hier wiederholt sich für uns nicht zum ersten Mal, dass vom Gesetzgeber beauftragte Körperschaften – manchmal sind es auch Stiftungen – nur widerstrebend auskunftsbereit sind. Ich finde, das darf nicht hingenommen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb fordern wir in unserem Antrag speziell zur besseren Transparenz und Aufsicht, dass auch Unternehmensgründungen oder Unternehmensbeteiligungen, die nicht mit gesetzlichem Auftrag erfolgten, geprüft werden und sich das entsprechende Prüfrecht der zuständigen Rechtsaufsicht auch auf private Gesellschaften überträgt, bei denen die entsprechenden Selbstverwaltungskörperschaften die Mehrheit haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte unterstützen Sie unseren Antrag. Gern können Sie ihn auch noch verbessern. Er trägt auf jeden Fall zur Transparenz und zur besseren Aufsicht bei. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Reiner Meier. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich das eben Gesagte auf mich wirken lasse, habe ich das dringende Bedürfnis, einige Dinge klarzustellen. Die Selbstverwaltung ist ein bewährtes System, das im Großen und Ganzen seit Jahrzehnten gut funktioniert. Es ist ein Markenzeichen der guten Sozialpartnerschaft in unserem Land, dass sich Versicherte, Leistungserbringer und Beitragszahler an einen Tisch setzen und die Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend eigenständig regeln. Ich halte es auch für richtig, dass sich der Staat auf die Rechtsaufsicht beschränkt. Das bürokratische Monster, das wir hätten, wenn sich der Staat in jede kleine Sachentscheidung einmischen würde, möchte ich mir besser nicht vorstellen. Wie wir alle wissen, gab es auch in der Vergangenheit unschöne Einzelfälle. Ich denke da besonders an die Vorgänge um die Bürogebäude der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hier in Berlin. Zu diesen Vorgängen hat das Bundesministerium für Gesundheit unverzüglich eine Prüfung eingeleitet, die gegenwärtig noch andauert. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Allein die Tatsache, dass diese Kontrollen laufen, zeigt doch, dass die Rechtsaufsicht bereits heute gut funktioniert. Genau deshalb ist es noch zu früh, um reflexartig nach mehr Kontrolle, nach schärferen Vorschriften zu rufen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das mit der Transparenz?) Lassen Sie uns doch erst einmal das Ergebnis dieser Untersuchung abwarten, bevor wir über gesetzliche Schlussfolgerungen diskutieren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er will es nicht wissen!) Ich darf Sie übrigens daran erinnern, dass es die christlich-liberale Bundesregierung war, die in den -letzten zwei Jahren die einschlägigen Vorschriften im SGB IV deutlich verschärft hat. Ein besonderer Schwerpunkt war zum Beispiel die Vorstandsvergütung. Seit der Gesetzesänderung müssen die Arbeitsverträge aller Vorstände vom Ministerium genehmigt werden; sonst werden sie unwirksam. Die Genehmigung erteilt das Ministerium aber nur, wenn das Vorstandsgehalt in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Betreffenden steht. Überzogene Gehälter wird es deshalb also nicht mehr geben. Auch Mietverträge zum Beispiel für Bürogebäude können die Selbstverwaltungskörperschaften nicht mehr frei nach Belieben abschließen. Ab einer bestimmten Fläche und einer Mietdauer von zehn Jahren muss der Mietvertrag dem Ministerium vorgelegt werden. Damit haben wir langfristige und teure Verpflichtungen wirksam unterbunden. Ich meine, wenn Ihnen wirklich etwas an Transparenz in der Selbstverwaltung läge, hätten Sie diesen Änderungen vor einem Jahr in diesem Hohen Hause Ihre Zustimmung geben müssen. Das haben Sie aber nicht getan. Das sagt schon einiges aus. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Vielleicht weil sie unzureichend waren?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Selbstverwaltung sprechen, dürfen wir das nicht mit einem Tunnelblick tun und uns nur auf Einzel-aspekte in der Gesundheitsverwaltung oder im Gesundheitswesen fokussieren. Stattdessen sollten wir das System der Selbstverwaltung als Ganzes betrachten. (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir!) Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Selbstverwaltung weiterzuentwickeln und insbesondere die Sozialwahlen zu modernisieren. Die Stichworte dazu lauten „Onlinewahlen“ und „mehr Direktwahlen“, vor allem in der gesetzlichen Krankenversicherung. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Da bin ich mal gespannt!) Die Selbstverwaltung soll wieder stärker in das Bewusstsein rücken, damit möglichst viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und wir brauchen mehr Transparenz!) Mit Blick auf meine Redezeit lege ich Ihnen hierzu den Schlussbericht zu den Sozialwahlen 2011 ans Herz, der diese Thematik sehr gut darstellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die konsequente Weiterentwicklung der Selbstverwaltung ist für uns ein zentrales Thema, das wir in all seinen Facetten anpacken werden. Wenn die laufenden Untersuchungen der Unregelmäßigkeiten abgeschlossen sind, werden wir daraus selbstverständlich unsere Schlüsse ziehen. Der heutige Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist aber verfrüht. Er bleibt auch den Nachweis schuldig, dass die derzeitigen Regelungen unzureichend sind. Da habe ich bessere Schaufensteranträge von Ihnen aus der letzten Zeit in Erinnerung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie denen denn zugestimmt, den „besseren“?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Harald Weinberg, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt, dessen Titel hohe Ansprüche weckt. „Mehr Transparenz der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“ – diese hohen Erwartungen kann Ihr Antrag meines Erachtens nicht ganz erfüllen, da lediglich die Rechnungsprüfung, nicht aber das sonstige Handeln der Selbstverwaltung transparenter würde. Dennoch geht dieser Antrag aus unserer Sicht völlig in Ordnung. Er wird von den Linken wohlwollend begleitet werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was war Anlass für diesen Antrag? Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die KBV, wollte beim Umzug von Köln nach Berlin ein neues Gebäude beziehen. Die Aufsicht lehnte dies ab. Daraufhin gründete die KBV gemeinsam mit einer Bank eine Partnerschaft, die die Immobilie baute und dann an die KBV vermietete. Im Rahmen dieser intransparenten Geschäfte kam es sogar zu einigen strafrechtlichen Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung. Die Aufsichtsbehörde bekam von vielem erst viel später etwas mit, weil es bislang keine ausreichende Verpflichtung gibt, relevante Rechnungslegungsdaten oder Unternehmensbeteiligungen an die Aufsichtsbehörde zu übermitteln. Die Aufsichtsbehörde ist in dieser Frage also quasi blind. Das ist die Situation, vor der wir stehen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wenn der Bundestag diesen Antrag annähme, dann würde sich dies ändern. Man würde die Selbstverwaltung damit nicht schwächen, sondern meines Erachtens sogar stärker machen, weil glaubwürdiger. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Jahresrechnungen und die Haushaltspläne des Gemeinsamen Bundesausschusses, des GKV-Spitzenverbandes, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung müssten veröffentlicht werden. Es geht schließlich um Körperschaften des öffentlichen Rechts – das ist bereits gesagt worden –, die sich aus Geldern der gesetzlich Krankenversicherten finanzieren. Außerdem müssten diese Körperschaften die Absicht zur Ausgründung privatrechtlichter Unternehmen der jeweiligen Aufsichtsbehörde anzeigen und zur Genehmigung vorlegen. Zusätzlich wird mit diesem Antrag ein Prüfrecht der Aufsichtsbehörde bei Ausgründungen gefordert. Hätte es diese Regelung schon vor 15 Jahren gegeben, dann hätte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht über eine Ausgründung eine Immobilie kaufen können, deren Erwerb von der Aufsicht zuvor untersagt worden war. Nur am Rande: Der GKV-Spitzenverband ist nach eigenen Angaben – wir haben mit ihm darüber diskutiert – mit diesem Antrag einverstanden, wenngleich er bislang nicht selbsttätig und proaktiv alle Haushaltsberichte und Jahresrechnungen veröffentlicht hat. Es gibt bisher schließlich kein Gesetz, das die Veröffentlichung untersagt. Insofern hätten die Verbände schon mehr Transparenz zeigen können. Da sie dies bisher nicht getan haben, halte ich es für erforderlich, dass man sie gesetzlich dazu verpflichtet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich gehe davon aus, dass nicht nur der GKV-Spitzenverband, sondern auch der Gemeinsame Bundesausschuss, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung nichts gegen diese neue Transparenz einwenden werden; denn im Kern geht es ja darum, die Versichertengelder wirtschaftlich, solidarisch und transparent einzusetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Heidenblut (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mehr Transparenz der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“, so lautet der Titel des plakativen Antrags, der heute eingebracht wurde. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist sehr materiell!) Ich denke, es ist gar keine Frage: Das System der Selbstverwaltung mit seiner enormen Verantwortung für fast 200 Milliarden Euro Versichertengelder – auch ich will hier nicht vergessen: einschließlich der Steuergelder – baut vor allen Dingen darauf, dass die Versicherten auf das Verantwortungsbewusstsein der Handelnden vertrauen dürfen und dass diese die Mittel im Bewusstsein der Verantwortung zielgerichtet, wirtschaftlich, sparsam und mit der gebotenen Effizienz gerade auch im Verwaltungshandeln – das ist hier ja häufig der strittige Punkt – verwenden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Immer wieder liest oder hört man, dass dies womöglich nicht geschieht – der Kollege Meier hat schon darauf hingewiesen – oder verbesserungsbedürftig ist. Meist sind es die Verwaltungen der Selbstverwaltung, die dabei in der Diskussion stehen. Es gibt aber auch konkrete Erkenntnisse – wie zuletzt bei der KBV –, dass etwa die Wirtschaftlichkeit und die erwartete zielgerichtete Verwendung nicht gegeben sind. Neben solchen konkreten Erkenntnissen oder zumindest begründeten Verdachtsmomenten gibt es auch so etwas – ich denke, das ist bei diesen Summen ganz klar – wie ein gesundes Misstrauen. Das ist hier quasi systemimmanent. Umso mehr ist der Wunsch nach größtmöglicher Transparenz und einer darauf fußenden effektiven Aufsicht und Aufklärung von möglichen Problemen verständlich und – um das auch zu sagen – zunächst einmal durchaus berechtigt. Transparenz schafft Vertrauen, beseitigt vor allen Dingen das unwohle Bauchgrummeln und hilft nicht zuletzt, vor tatsächlichen Problemen zu schützen oder schnell zur Klärung von Sachverhalten beizutragen. Daher kann man nicht deutlich genug sagen: Die Forderung nach Transparenz – gerade in Bezug auf das Finanzgebaren aller Beteiligten – findet ganz sicher politische Zustimmung, muss aber eigentlich auch ein klares Anliegen der Selbstverwaltung sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung letztlich selbst aufgedeckte Fall belegt, dass das auch so ist. Strittig bei der Diskussion zu diesem Antrag kann aber sicherlich sein, wie tatsächlich mehr Transparenz geschaffen werden kann, nicht nur scheinbare Transparenz aufgrund einer völlig verwirrenden Informationsflut. Da haben wir im Gesundheitsbereich durchaus das eine oder andere Beispiel, wo am Ende für den Versicherten und auch den Betreuten keine Transparenz mehr vorhanden war. Natürlich ist auch die Frage, wie man die vorhandene Transparenz bewertet und deren Wirksamkeit einschätzt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kannst du alles gesetzlich festlegen!) Dass Fehlverhalten offenkundig wird und letztlich zu Korrekturen führt, ist ein Zeichen dafür, dass wir hier keinesfalls über ein komplett intransparentes System reden. Das signalisiert erfreulicherweise auch der Antrag; denn „mehr Transparenz der Selbstverwaltung“ heißt ja: Es gibt bereits Transparenz im System. Die Diskussion über Transparenz sollte nicht als grundsätzliches Misstrauen in die durchaus gut aufgestellte Selbstverwaltung missdeutet werden. Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Grünen, die diesem Antrag letztlich zugrundeliegt, macht deutlich – da muss ich Ihnen widersprechen –, dass die Aufsicht keineswegs blind ist. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Alle Abschlüsse der Körperschaften werden extern von renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geprüft. Ergeben sich daraus Beanstandungen oder weiterer Prüfungsbedarf – das macht der zuletzt erkennbar gewordene Fall sehr deutlich –, werden ergänzende Prüfungen beauftragt, und es wird eine Klärung herbeigeführt. Diese kann natürlich eine gewisse Zeit dauern. Das zuständige Ministerium reagiert ebenfalls in angemessener Form. Wie der Antragsteller aus der umfassenden und sehr detaillierten Antwort der Bundesregierung, die mehr als deutlich macht, wie ernst das Ministerium seine Aufsicht nimmt und wie klar die Erkenntnisse sind, schließen kann, dass die Bundesregierung an mehr Transparenz nicht interessiert sei, erschließt sich zumindest mir nicht wirklich. Der Hinweis, dass mehr Transparenz, also etwa die Offenlegung von Jahresabschlüssen, eine gesetzliche Regelung nicht entgegensteht, kann so kaum gedeutet werden. Vielmehr macht das zuständige Ministerium in seiner Antwort deutlich, wie gut die Erkenntnisse sind, wie damit umgegangen wird und dass die Bundesregierung die Aufgaben, die sich aus der schon lange bestehenden Transparenz ergeben, sehr ernst nimmt. Selbstherrlichkeit im Umfang mit Versichertengeldern – da sind wir absolut sicher – wird keinesfalls geduldet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist sicherlich auch richtig und im Sinne der Interessen der Versicherten, dass Transparenz nicht nur für die Körperschaften selbst, sondern auf jeden Fall auch für deren Beteiligungen gelten muss, soweit hier nicht unwesentlich Mittel der Körperschaft eingesetzt oder in Haftung genommen werden oder in Haftung genommen werden können, wobei sich hier, je nach Art der Beteiligung, zum Teil aus anderen gesetzlichen Regelungen schon Vorschriften ergeben können. Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, gerade auch wegen der Besonderheit der Selbstverwaltung. Aber wir haben auch dafür Sorge zu tragen, dass Mittel, die von Versicherten aufgebracht werden, nur insoweit erhoben werden, wie sie für das Gesundheitssystem tatsächlich nötig sind, und daher auch nur genau dort eingesetzt werden. Das schränkt den Spielraum für die Mittelverwendung ganz klar und deutlich ein. Es ist unsere Pflicht, immer wieder genau hinzuschauen, ob sich die Selbstverwaltung an diese Vorgabe hält. Wir werden uns im Ausschuss mit dem Antrag eingehend auseinandersetzen. Ob er letztlich tatsächlich ein Mehr an Transparenz ermöglicht, ob das dort Beschriebene dem wirklich gerecht wird und wie das im Verhältnis zu bestehenden Regelungen, aber auch zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen am Ende zu bewerten ist, das wird die weitere Diskussion zeigen. Uns ist wichtig: Die, die am Ende die Kosten zu tragen haben, müssen neben allem nötigen Vertrauen in die Selbstverwaltung – ohne das geht es im Gesundheitssystem nicht – auch die Sicherheit haben, dass das bereitgestellte Geld dem richtigen Zweck dient. Wir als SPD-Fraktion und damit auch die Große Koalition setzen – das macht der Koalitionsvertrag mehr als deutlich – auf eine gute und fortschrittliche Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. (Beifall der Abg. Heike Baehrens [SPD]) Wir setzen auf Qualität und Transparenz und damit ganz klar auf eine ordnungsgemäße Mittelverwendung, die genau diesen Kriterien entspricht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt erhält die Kollegin Karin Maag, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Karin Maag (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Antrag der Grünen, lieber Harald Terpe, handelt es sich sehr wohl um das Erbe von Biggi Bender, die die Aufdeckung im Zusammenhang mit den Unregelmäßigkeiten bei der KBV mit viel Herzblut betrieben hat. Ihr führt ihre Arbeit jetzt einem Ergebnis zu. Bei der KBV ging es im Wesentlichen um unprofes-sionelles Wirtschaften und fehlende interne und externe Genehmigungen. Ein finanzieller Schaden ist, soweit die Ermittlungen bisher gediehen sind, allerdings nicht entstanden. Die KBV hat übrigens diese Fehler und Versäumnisse eingeräumt. Das Ministerium prüft intensiv und nachhaltig. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Aber bislang ist von der Rechtsaufsicht noch kein Grund für die endgültige Versagung der fehlenden Genehmigungen gesehen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich bin versucht, zu Ihrem Antrag Ja zu sagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Ich bin versucht; (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß! Ich führe dich immer wieder in Versuchung!) aber der Antrag schießt doch über das Ziel hinaus. Ich gebe zu: Auch mich ärgert es, wenn mit solchen Fehlern die gesamte Selbstverwaltung in ein schiefes Licht gebracht wird. Die Selbstverwaltung – das haben Sie deutlich gemacht – ist ein tragendes System dieses Gesundheitswesens. Deshalb muss jeder Anschein vermieden werden, dass mit den Mitteln der Beitragszahler, aber auch der Leistungserbringer und der Verbände nicht sorgfältig genug umgegangen wird. Die Frage, ob diese Mittel tatsächlich zur Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben verwendet werden, stellt sich natürlich nicht nur in dem beschriebenen Fall. Ich denke auch an eine Krankenversicherung, die laut Zeitungsberichten als Sponsor der deutschen Handball-Nationalmannschaft 700 000 bis 1 Million Euro ausgibt. Ich meine, es ist grundsätzlich richtig, solche Fragen zu stellen. Ob die Körperschaften ihren Handlungs- und Ermessensspielraum verlassen haben, klären aber nicht wir oder die Öffentlichkeit, sondern immer noch die Aufsichtsbehörden. Deswegen hilft der Antrag nicht wirklich weiter. Welche weiteren Vorteile zum Beispiel aus der Veröffentlichung der Jahresrechnung oder der Haushaltspläne erreicht werden, erschließt sich mir aus Ihrem Antrag nicht unbedingt. Die Haushalte der KBV, der KZBV und des GKV-Spitzenverbandes machen nämlich nur einen sehr kleinen Teil der 194 Milliarden Euro Gesamtausgaben aus. Darüber werden natürlich nicht nur die Mittel der GKV abgewickelt. Worin liegt denn der Nutzen für die Öffentlichkeit, wenn sie weiß, wie viel Geld die KBV beispielsweise für IT-Systeme oder Personal ausgibt? Die Rechtsaufsicht kennt die Zahlen. Die Öffentlichkeit kann damit nichts anfangen. Wenn es um die Beteiligung an privatrechtlichen Unternehmen geht, gilt die Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung, die ausreichende Schutzmechanismen enthält. Es ist auch nicht Sache der Rechtsaufsicht, Fragen zur Zweckmäßigkeit zu stellen. Selbstverwaltung gibt Gestaltungsfreiheit. Diese muss man aber auch zulassen und gegebenenfalls sogar ertragen. Der Rechtsaufsicht vorgeschaltet – auch das darf man nicht vergessen – sind die Kontrollen durch die internen Gremien, die Vertreterversammlung und die Verwaltungsräte. Wofür die jeweiligen Körperschaften Geld ausgeben dürfen bzw. die Aufgaben, die sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erfüllen haben, sind gesetzlich festgelegt. Ein Vorstand, der bewusst dagegen verstößt, riskiert nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern muss persönlich für diesen Schaden haften. Was die Frage betrifft, wie die Kassen geprüft werden: Das Bundesversicherungsamt und die Landesversicherungsämter prüfen zusätzlich für die Kassen mindestens alle fünf Jahre Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung. Das BMG prüft mindestens alle fünf Jahre beim GKV-Spitzenverband und bei der KBV. Der Bundesrechnungshof ist beteiligt. Ich meine, wir haben ausreichend Sicherungssysteme eingebaut. Falls der Vorstand wirklich versuchen sollte, diese Regeln zu umgehen, wird es jedenfalls nicht im Haushaltsplan widergespiegelt. Meines Erachtens sind die Regelungen detailliert. Die Rechtsaufsicht funktioniert. Dass sie funktioniert, beweist gerade der Fall der KBV. Die Rechtsaufsicht ist ihren Aufsichtsbefugnissen umfassend und nachdrücklich nachgekommen, und die KBV hat entsprechende Konsequenzen gezogen. Das Fehlermanagement wurde verbessert, eine Sonderprüfung veranlasst. Es gibt jetzt eine Innenrevision. Ich kann aber zusagen: Wenn am Ende die Prüfung zeigen sollte, dass noch Handlungsbedarf besteht, werden wir entsprechende Änderungen vorantreiben. Ich will zusammenfassen. Dort, wo Probleme bestehen, schaffen wir Abhilfe. Der Kollege hat an die Neuregelung der Vorstandsbezüge erinnert. Wir sollten unsere Energie aber vor allem darauf verwenden, die Versorgung zu verbessern; das ist die wichtige Aufgabe. Noch mehr Verwaltungsvorschriften, die möglicherweise dazu dienen, auch die Rechtsaufsicht zu kontrollieren, sind für uns jedenfalls keine Option. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war die letzte Rednerin in dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1462 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen Drucksachen 18/1311, 18/1586 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/1651 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1652 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser späten Stunde beraten wir abschließend über den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch. Es geht um drei unterschiedliche Aspekte personalrechtlicher Bestimmungen. Es geht um drei Regelungen, die für Klarheit und Rechtssicherheit für die Arbeit der Jobcenter sorgen sollen. Erstens geht es um die Zuständigkeit bei datenschutzrechtlichen Ordnungswidrigkeiten. Es gibt bisher eine unklare sachliche Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung bei datenschutzrechtlichen Ordnungswidrigkeiten. Die Klarstellung, die durch das Gesetz der Bundesregierung hier vorgenommen werden soll, besteht darin, dass für kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den gemeinsamen Einrichtungen die oberste Landesbehörde sowie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit das Ministerium für Arbeit und Soziales zuständig ist. Zweitens geht es um Erstattungsansprüche der Träger der Grundsicherung gegenüber der Rentenversicherung. Das Problem, das sich dahinter verbirgt, ist, dass insbesondere nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Oktober 2012 Unsicherheit über die Entstehung von Erstattungsansprüchen der Jobcenter besteht. Es geht um den Fall, dass ein Jobcenter, also der Träger der Grundsicherung, in Vorleistung durch Leistungen des SGB II getreten ist und es dann rückwirkende Leistungen durch den Rententräger – konkret: Erwerbsminderungsrenten – gibt. Hier wird durch das Gesetz klargestellt, dass es in Zukunft einen Rückerstattungsanspruch der Träger der Grundsicherung, also der Jobcenter, gegenüber den Trägern der Rentenversicherung gibt. Drittens geht es – das ist wohl der politisch bedeutendste Punkt – um die Verstetigung der Zuweisung von Tätigkeiten und damit von Personal bei den gemeinsamen Einrichtungen. Hintergrund ist, dass die Regelungen zur gesetzlichen Erstzuweisung von Tätigkeiten in die gemeinsamen Einrichtungen bis Ende 2015 befristet sind und dass daher dringend eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden muss. Die Lösung, die uns mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt, ist, eine unbefristete Rechtsgrundlage für die Zuweisung der -Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Jobcenter zu schaffen, und zwar für bereits in den Jobcentern tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zukunft ohne -Zustimmung des Geschäftsführers oder der Geschäftsführerin und für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin mit Zustimmung des Geschäftsführers oder der Geschäftsführerin der jeweiligen Grundsicherungsstelle. Bei dringendem dienstlichen Interesse ist in Zukunft auch eine Zuweisung ohne die Zustimmung des Betroffenen möglich – allerdings, und das betone ich: nur bei dringendem dienstlichen Interesse. Damit werden die Hürden sehr hoch gelegt. Die Möglichkeit der Rückkehr der Beschäftigten in die Kommune oder die Bundesagentur für Arbeit bleibt durch die gesetzliche Neuordnung unberührt. Mit diesen Lösungen sorgen wir für eine Verstetigung des Personals in den Jobcentern. Wir schaffen damit mehr Sicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Planungssicherheit für ihre berufliche Zukunft, aber auch in privater Hinsicht. Wir schaffen weiterhin Sicherheit für die Jobcenter selbst hinsichtlich ihrer Personalentwicklung, und wir sorgen damit auch dafür, dass der Betreuungsprozess der Kundinnen und Kunden in den Jobcentern kontinuierlicher erfolgen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist besonders wichtig, weil der Erfolg des Betreuungsprozesses gerade von der Beziehung des Betreuers zum Kunden abhängt. Darüber hinaus ist es so, dass wir durch die dauerhafte Zuweisung erst die Grundlage dafür legen, dass vernünftige Personalentwicklung und Personalqualifizierung in den Jobcentern betrieben werden kann. Das ist eine zentrale Voraussetzung für einen guten Betreuungs- und Beratungsprozess. (Beifall bei der SPD) Warum ist das so wichtig? Es handelt sich bei der Arbeit, die die Menschen in den Jobcentern verrichten, um eine Dienstleistung von Menschen an Menschen. Es handelt sich um eine Dienstleistung gegenüber Kundinnen und Kunden mit häufig sehr komplexen Problem-lagen und Vermittlungshemmnissen. Das stellt sehr hohe Anforderungen an die Leute, die in den Jobcentern arbeiten, an ihre soziale Kompetenz, die sehr hoch sein muss, an ihre Empathie, Gesprächsführung und ihre Konfliktfähigkeit. Es setzt voraus, dass die Leute, die in den Jobcentern arbeiten, auch komplexe Problemlagen erkennen. Es setzt voraus, dass sie gemeinsam mit den Kunden Pro-blemlösungsstrategien entwickeln und mit den Kunden die Problemlösung dann auch angehen. Es setzt voraus, dass man erkennt, wenn eine Problemlösungsstrategie eben nicht zum Ziel führt, und dass man dann in der Lage ist, diese zu ändern. Es setzt voraus, dass man weiß, welche Instrumente, welche Hilfe man einsetzen kann, um Menschen wieder Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Es setzt eine gute Kenntnis der Arbeitsmarktlage und die Kenntnis vieler unterschiedlicher Berufe voraus. Das ist in meinen Augen eine Qualifikationsanforderung, die sehr komplex ist, was häufig der Öffentlichkeit und auch vielen hier im politischen Raum nicht so klar ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Das macht deutlich, dass es gerade auf einen guten und auf einen stabilen Personalkörper in den Jobcentern ankommt. Wir schaffen mit dem heutigen Gesetzentwurf wichtige Grundlagen, um an der Ausgestaltung und Qualität dieses Personalkörpers weiterzuarbeiten. Wir wissen auch, dass das nur die ersten Grundlagen sind, dass wir als politisch Verantwortliche in Regierung und Parlament aufgerufen sind, daran weiter zu arbeiten. Ich glaube, dass gute Betreuungsschlüssel und eine gute Qualität der Betreuung durch qualifiziertes Personal letztlich die beste Voraussetzung dafür sind, um Langzeitarbeitslosen in Deutschland wieder eine bessere Perspektive zu geben. Wir legen dafür heute die Grundlagen, und ich -begrüße ausdrücklich, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch mit einem eigenen Gutachten die Personalsituation in den Jobcentern, insbesondere im Leistungsbereich, genauer unter die Lupe nimmt. Ich denke, wir müssen gemeinsam die Voraussetzungen weiter dafür schaffen, in die Qualität der Betreuung und in die Qualität des Personals in den Jobcentern zu investieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt die Kollegin Sabine Zimmermann das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es wieder einmal um die Arbeitsfähigkeit der Jobcenter. Ich muss Ihnen sagen: Uns allen muss es doch eigentlich darum gehen, dass wir gute, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die gute Arbeitsbedingungen haben und dadurch natürlich eine optimale Vermittlung vornehmen können. (Beifall bei der LINKEN) Im Jahr 2010 hat das Bundesverfassungsgericht -erklärt, dass die Mischverwaltung von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen, damals „Argen“ genannt, unzulässig ist. Kurzerhand haben Sie daraufhin das Grundgesetz geändert und die Verwaltungspraxis dem Hartz-IV-System angepasst. Jetzt heißen die zuständigen Einrichtungen Jobcenter. Nun muss die Bundesregierung wieder gesetzgeberisch handeln, da die Zuweisung von Personal an die Jobcenter für fünf Jahre bis Ende 2015 befristet war und somit deren Arbeitsfähigkeit nicht gewährleistet wäre. Die nun geplante dauerhafte Rechtsgrundlage für Zuweisungen schafft natürlich schon eine Planungssicherheit, auch für die Beschäftigten in den Jobcentern. Doch an der grundsätzlich völlig verfehlten Hartz-IV-Konstruktion ändert das natürlich überhaupt nichts, und das ist das Problem. (Beifall bei der LINKEN) Betroffene und Beschäftigte befinden sich in der Hartz-IV-Verwaltung von Beginn an in einem dauerhaften Umstellungsprozess. Die Beschäftigten arbeiten dort über ihre Belastungsgrenze hinaus. Strukturelle Defizite in der Betreuung, zum Beispiel von Menschen mit -Behinderung, sind nach wie vor ungelöst. Eine hohe -Anzahl von oft erfolgreichen Klagen vor den Sozial-gerichten ist ein treuer Begleiter des Hartz-IV-Systems. Sie wissen doch alle selbst, wie viele Tausende -Klagen vor den Gerichten Jahr für Jahr notwendig sind. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis: Die -Beschäftigten in einem Jobcenter leiden von Beginn an unter einer zu geringen Personalausstattung. Das geht natürlich auch zulasten der Betroffenen, für die nicht genügend Zeit bleibt, um wirklich helfen zu können. Die Unterfinanzierung der Jobcenter erkennt man auch daran, dass alljährlich die Gelder zwischen den Bereichen Arbeitsmarktmaßnahmen und Verwaltungskosten hin- und herjongliert werden. Das Spiel „linke Tasche, rechte Tasche“ geht eindeutig zulasten der erwerbslosen Menschen. Die Linke sagt ganz klar: Das ist aus unserer Sicht im höchsten Maße verantwortungslos. (Beifall bei der LINKEN) Stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie sind in einem Jobcenter angestellt und selbst prekär beschäftigt. Dann erklären Sie mir einmal, wie die Mitarbeiter voll motiviert auf die Probleme von Erwerbslosen eingehen sollen. Mit prekärer Beschäftigung erreichen Sie einfach nicht das, was wir in den Jobcentern erreichen wollen. Seit 2005 teilen Sie die Menschen in Menschen erster und zweiter Klasse ein, in diejenigen, die Arbeitslosengeld I bekommen, und in diejenigen, die Hartz-IV-Empfänger sind – obwohl sie alle das gleiche Schicksal verbindet, nämlich Arbeitslosigkeit. Wir kritisieren im vorliegenden Gesetzentwurf, dass das Personal die Möglichkeit haben soll, einzuschränken. Eine Zuweisung ohne Einverständnis des Beschäftigten ist alles andere als eine verantwortungsbewusste und motivierende Personalpolitik. Natürlich ist aus unserer Sicht die unterschiedliche Bezahlung für gleiche -Arbeit – die Tarifverträge für die Beschäftigten der BA und für die Beschäftigten der Kommunen sind nicht dieselben – ungerecht. Hier muss einfach eine einheitliche Bezahlung geschaffen werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren der Großen Koalition, wenn Sie etwas für die erwerbslosen Menschen und für die Beschäftigten in den Jobcentern tun wollen, hören Sie endlich auf, an dieser Fehlkonstruktion notdürftig herumzudoktern. Schaffen Sie klare Strukturen, überwinden Sie das System, und organisieren Sie Hilfe aus einer Hand. (Beifall bei der LINKEN) Statten Sie die Jobcenter ausreichend mit finanziellen Ressourcen aus, sodass die Beschäftigten dort vernünftig arbeiten können und die Betroffenen wirklich unterstützt und eben nicht nur verwaltet werden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jutta Eckenbach ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ideologische Vorgaben werden wir hier heute nicht ändern. Die Linke ist an dieser Stelle in der Tat ideologisch behaftet. Sie wettert immer wieder gegen die Hartz-IV-Reform, obwohl sich gezeigt hat, dass Deutschland gerade mit diesem Instrument (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Prekäre Beschäftigung in Massen -bekommen hat!) seine Wirtschaftskraft aufrechterhalten konnte, während es praktisch allen anderen europäischen Ländern schlechter geht. Das dürfte eigentlich auch bei Ihnen angekommen sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben heute Morgen im Plenum die erste Lesung des Mindestlohngesetzes gehabt. Auch dort gab es Einsprüche. Auch dort war etwas, was von Ihnen kam, nicht in Ordnung. Ich gestehe Ihnen ja ein bisschen Opposition zu, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber großzügig! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir dürfen auch kritisieren?) aber es ist so, dass an dieser Stelle auch einmal etwas positiv gesehen werden kann. Ich glaube, das sollte ein bisschen mehr Anerkennung insgesamt bekommen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Bundesregierung heute schon gelobt!) Wir haben heute schon viel zu dem Thema gehört. Ich kann natürlich vieles davon wiederholen. In Anbetracht der langen Sitzung heute werde ich auf das eine oder andere verzichten. Es sind mir aber ein paar Dinge ganz wichtig. Es geht in der Tat darum – Dr. Rosemann hat das vorhin schon angesprochen –, dass wir jetzt eines schaffen, nämlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern wirklich Planungssicherheit geben, die sie bisher nicht hatten. Wir ermöglichen eine Personalplanung, indem wir befristet beschäftigte Mitarbeiter in unbefristete Arbeitsverhältnisse überführen. Das hat viele positive Seiten, die man hier ansprechen und auch begrüßen muss. Eine Planung nur über fünf Jahre – das weiß jeder – kann keine vernünftige langfristige Personalplanung sein. Insofern ist es ein richtiger Schritt, den wir heute hier beschließen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Damit einhergehend können wir auch mehr für die Mitarbeiter tun. Wir können sie stärker qualifizieren, besser ausbilden. Wir können die Potenziale nutzen, die alle Mitarbeiter mitbringen, die in den Jobcentern angesiedelt sind. Wir können Sorge dafür tragen, dass sie durch Fortbildung und Qualifikation auch in höherwertige Beschäftigungsverhältnisse kommen können. Es ist wichtig, dass Aufstiegschancen für die Zukunft gewahrt bleiben, auch wenn man im Jobcenter ist. Dabei wissen wir alle, wie die Wirklichkeit in den Jobcentern nun einmal ist: Wer einmal dort ist, hat es natürlich sehr schwer, wieder herauszukommen. Aber die unbefristeten Arbeitsverhältnisse können auch dazu führen, dass das kommunal besser ausgestattet wird. Das muss eine Zielrichtung sein. Es gibt noch einen Punkt, den ich ansprechen will und der ganz wichtig ist. Natürlich ist es nicht schön, dass in den Jobcentern einmal durch den Bund bezahlte Beamte und zum anderen durch die Kommune besoldete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, dass sozusagen die Tarifeinheit dort nicht gegeben ist. Aber das muss vor Ort geregelt werden. Gesetzliche Regelungen in die Kommunen hinein werden wir vom Bund aus nicht schaffen können; das wissen wir. Aber dafür, dass das Ungleichgewicht beseitigt werden kann, werden wir alle Sorge tragen. Dafür haben wir auch schon etwas getan. Wir haben gerade 6 Milliarden Euro zur Entlastung der Kommunen gegeben. Ich glaube, dass wir damit Spielraum schaffen können. Wenn die Haushalte ausgeglichen werden, haben auch die Kommunen mehr Spielraum, um ein Missverhältnis an dieser Stelle zu beseitigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben auch noch darauf hinzuweisen – das ist im Gesetzgebungsverfahren ganz wichtig –, dass es nicht nur darum geht, Mitarbeiter unbefristet zu beschäftigen. Wir haben auch an einer anderen Stelle Handlungsbedarf gesehen. In der Frage der Ausgestaltung von Regelungen zu Ordnungswidrigkeiten schaffen wir jetzt auch Rechtssicherheit. Wir schaffen Rechtssicherheit ferner in einem dritten Bereich – auch das werden wir heute mit verabschieden –, indem wir Überzahlungen und Doppelzahlungen ausgleichen werden. Das führt ebenfalls zur Entlastung bei den Kommunen und im Bundeshaushalt. Insofern sind wir auf dem richtigen Wege. Wir werden uns aber nicht auf diesem Gesetz – das ist die erste Gesetzgebungsmaßnahme dieser Art – ausruhen, sondern es wird weitergehen. Die Bund-Länder-Kommission wird sich noch mit organisatorischen Fragen und mit der Ausgestaltung im Bereich der Jobcenter beschäftigen. Wir haben in der letzten Ausschusssitzung gehört, dass der Zeitplan schon festgelegt worden ist. Wir sind schon sehr gespannt auf die Ergebnisse des Gutachtens, das vom Bundesministerium dankenswerterweise in Auftrag gegeben worden ist. Wir werden daraus Erkenntnisse ziehen können und auch müssen, damit wir da weiter an den richtigen Schrauben drehen können. An der ersten richtigen Schraube haben wir bereits gedreht. Insgesamt gesehen ist es wichtig, dass wir heute ein gutes Signal an die Mitarbeiter der gemeinsamen Einrichtungen und der Jobcenter der Optionskommunen aussenden, die ich an dieser Stelle einbeziehe. Beide haben sich grundsätzlich bewährt. Letztere sind von dieser Gesetzgebung aber nicht betroffen. Ich will auch noch einmal deutlich machen, dass wir in den Jobcentern insgesamt hervorragendes Personal haben. Die Mitarbeiter handeln im Rahmen ihrer jetzigen Möglichkeiten im Interesse der Kunden, also der Arbeitslosen und der Leistungsempfänger. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wollen diesen Weg weitergehen. Wir wollen die rechtliche Situation weiter verbessern und bleiben nicht bei dem Gesetz stehen, das wir heute verabschieden. Wir werden in dieser Legislaturperiode eine weitere Runde beginnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Letzte Rednerin ist Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Eckenbach, Frau Zimmermann hat zwar das Hartz-IV-System kritisiert, sie hat aber nicht gesagt, Hartz IV müsse weg. Das ist schon einmal ein Fortschritt, den Sie, Frau Eckenbach, hätten würdigen können. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Ja, gut!) Herr Rosemann, Sie haben vollkommen recht: Ein kompetentes Fallmanagement ist tatsächlich die Grundvoraussetzung für Integration. Dafür brauchen wir qualifiziertes Personal. Dieses qualifizierte Personal muss aber die Freiheit haben, auf individuelle Problemlagen mit individuellen Lösungen zu reagieren. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das hat Herr Rosemann gesagt!) – Wenn Herr Rosemann das gesagt hat, dann gebe ich ihm einfach mal recht. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wissen auch, dass mit dieser gesetzlichen Regelung die Fluktuation und die Zahl der Befristungen bei weitem noch nicht auf dem Stand sind, den wir erreichen müssen. Noch immer sind die Jobcenter extrem unterfinanziert. Das gilt sowohl für das Personal als auch für den Verwaltungsbereich insgesamt und vor allen Dingen für die Eingliederungsmittel. Noch immer fehlt es den Jobcentern an flexiblen In-strumenten, insbesondere für die immer schwieriger werdende Gruppe von Menschen, die bereits Kunden bei den Jobcentern sind. Auch da haben wir einen extrem großen Handlungsbedarf. Noch immer belohnen die Jobcenter durch das vorhandene Steuerungssystem eher statistische Effekte, belohnen die Bestenauslese, belohnen aber nicht die nachhaltige Integration der schwierigsten Personen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Angesichts dieser Problemlagen begrüßen wir jeden Schritt, der in die richtige Richtung geht und der zu Verbesserungen führt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Rosemann, Sie haben gesagt, dass dieses Gesetz die Grundlagen für Verbesserungen legen würde. Ich finde, da blasen Sie die Backen ein bisschen zu sehr auf. Das heutige Gesetz ist zwar ein kleiner Schritt in die richtige Richtung; deswegen werden wir ihm auch zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber eine Grundlage ist das wirklich nicht. Ich sehe an einigen Punkten extremen Handlungsbedarf. Erstens. Es wurde die Bürokratisierung angesprochen. Ich finde, es wäre ein richtiger Fortschritt, wenn sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe tatsächlich dazu durchringen könnte, den Bewilligungszeitraum für Bescheide auf ein Jahr zu verlängern. Das wäre gut für die Verwaltung. Das wäre gut für das Personal. Aber es wäre vor allen Dingen auch gut für die Arbeitslosen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber auf keinen Fall darf es unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung zu Verschärfungen im System kommen. Darauf werden wir achten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Zahl der Befristungen muss deutlich zurückgefahren werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der schwierigen Gruppen, die jetzt in den Jobcentern betreut werden, brauchen wir einen besseren Betreuungsschlüssel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist inzwischen nachgewiesen, dass ein besserer Betreuungsschlüssel tatsächlich zu einer nachhaltigen Integration von Arbeitslosen führt. Mit anderen Worten: Mehr und besseres Personal in den Jobcentern zahlt sich aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Hat Herr Rosemann gesagt!) Drittens. Wer über die Personalausstattung redet, darf über die Finanzen nicht schweigen. Da sind die 350 Millionen Euro wirklich ein Witz, Herr Rosemann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit können die Jobcenter noch nicht einmal die Personalkostensteigerung der letzten Jahre auffangen. Für Eingliederungsmittel bleibt nichts übrig. Diese schlichte Formel – ich komme zum Schluss, ich verspreche es –: weniger Arbeitslose ist gleich weniger Geld, geht nicht auf. Das sind eine Menge Baustellen, an denen wir dringend arbeiten müssen. Es muss dringend etwas passieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter warten darauf. Vor allem die Arbeitslosen warten darauf. Der Ball liegt in Ihrem Spielfeld. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Ich komme damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1651, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1311 und 18/1586 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen Drucksache 18/1613 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Frank Tempel, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Rund die Hälfte aller Strafrechtsprofessoren unseres Landes fordert in einer Resolution an den Bundestag eine Evaluierung des Drogenstrafrechts. Also dürfte es im Sinne von uns allen sein, wenn Linke und Grüne nun einen entsprechenden Antrag hier vorlegen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Während die Positionen in der Politik wie in Beton gegossen wirken, ist in der Öffentlichkeit längst eine offene und sehr sachliche Debatte in Gange. Verbände und Organisationen wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die Deutsche Aids-Hilfe oder der Schildower Kreis halten diese Verbotspraxis schon längst für überholt und stehen ihr kritisch gegenüber. International hört man Namen wie Javier Solana, Kofi Annan oder Ban Ki-moon, die den Krieg gegen die Drogenkartelle als nicht gewinnbar einordnen und von einer grundlegenden Umkehr in der Drogenprohibition sprechen. Der neue „Europäische Drogenbericht“ weist übrigens aus, dass in Europa bereits 73 Millionen Erwachsene Cannabis konsumiert haben. Hier hört sich das oft so an, als würden wir diese Droge erst bekommen, wenn sie legalisiert wird. Diese Millionen sind übrigens nicht alles Holländer; (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn dort ist ganz ohne Kriminalisierung der Pro-Kopf-Anteil an Cannabiskonsumenten in der Bevölkerung nicht höher als in Deutschland. Vor viereinhalb Jahren wechselte ich vom Kriminaldauerdienst in Gera in den Bundestag und begann, mir das Thema Drogenpolitik völlig ergebnisoffen neu zu erschließen. Ich habe sozusagen die Ermittlungen aufgenommen – gründlich, offen und in alle Richtungen –, so wie ich es gelernt habe. Der Drogenkonsument – das ist eine Besonderheit – wird aufgrund einer potenziellen Selbstgefährdung mit Strafe bedroht. Er hat bei Besitz und Erwerb von Drogen niemand Fremdes geschädigt. Wir wissen: Wenn der Staat in die Grundrechte seiner Bürger eingreift, muss das – und das macht er hier sehr drastisch mit einem Verbot, dem sogar eine Haftstrafe folgen kann – verhältnismäßig sein; das heißt: geeignet, erforderlich und angemessen. Die polizeiliche Sicht kannte ich bereits; denn ich selbst war einige Jahre in der Rauschgiftbekämpfung tätig. Mein Weg als Bundestagsabgeordneter führte mich also zu Streetworkern, Suchtkliniken und Präventionseinrichtungen. In vielen Gesprächen traf ich Rechtswissenschaftler, Sozialwissenschaftler und Gesundheitswissenschaftler ebenso wie Praktiker aus der Suchthilfe. Ich nahm auch die internationale Drogenpolitik genauer unter die Lupe, schaute auf Länder wie die Niederlande, Spanien, Portugal oder die Schweiz genauso wie auf Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Afghanistan und, natürlich nicht zu vergessen, die USA. Kann ein Verbot wirklich Angebot und Nachfrage reduzieren? (Zuruf von der LINKEN: Nein!) Welche Nebenwirkungen hat das Verbot, und welches Ausmaß haben diese Nebenwirkungen? Mit Nebenwirkungen meine ich einen Schwarzmarkt, wo Milliarden in die Kriminalität fließen, ein Markt übrigens, auf dem es keinen Verbraucherschutz und keinen Jugendschutz gibt. Glauben Sie mir: Einen Dealer auf dem Schwarzmarkt interessiert nicht, ob der Kunde 14, 20 oder 40 Jahre alt ist. Er gibt auch keine Auskunft darüber, welche Substanz er in welcher Konzentration und mit welchen Streckmitteln abgibt. Er ist auch nicht verpflichtet, Präventionsprogramme zu unterstützen. Dieser Schwarzmarkt macht so gefährliche Drogen noch gefährlicher, unberechenbarer und vor allen Dingen auch erreichbarer für die Jugend, als sie jetzt schon sind. Auch mit diesen Nebenwirkungen des Verbots müssen wir uns offen auseinandersetzen; denn sie verursachen zusätzlich Krankheit, Tod und Sucht. Aus dem Ergebnis dieser „Ermittlungen“ habe ich Forderungen entwickelt, aber diese Forderungen sind explizit nicht in dem heute vorliegenden Antrag enthalten. Was wir anbieten, ist ein wirklich offenes Herangehen an ein sehr strittiges Thema. Bei manchen Anträgen sagen Sie – das höre ich von der SPD immer wieder –: Das ist ja ganz richtig, aber der Antrag ist schlecht geschrieben, schlecht gemacht, und deshalb können wir leider nicht zustimmen. Diese Antwort kennen wir schon. Deswegen sage ich ausdrücklich: Wir sind zur Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung dieses Antrages hin zu anderen Fragekomplexen jederzeit bereit; denn es soll ein gemeinsames Herangehen an ein strittiges Thema werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Öffnen Sie sich einem solchen Prozess! Arbeiten Sie mit uns gemeinsam! Denn die Resolution der Strafrechtsprofessoren war an uns alle gerichtet. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prinzipiell arbeite ich sehr gerne mit Polizisten zusammen; denn die sind in der Regel sehr nett. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Ausnahmen bestätigen die Regel!) – Ja, so ist es. – Der gemeinsame Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen aber, der vordergründig lediglich auf die Überprüfung des Betäubungsmittelrechts abzielt, kommt für mich wie ein Wolf im Schafspelz daher. So fordern Sie eine ergebnisoffene Debatte über die Entkriminalisierung von Drogen und meinen, dass die Wurzel allen Übels in der Verbotspolitik und nicht im Konsum selbst liegt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach mal lesen, die Resolution!) Sie stellen den möglichen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Abstieg eines Drogenabhängigen in kausalen Zusammenhang mit dem Sanktionssystem des Betäubungsmittelrechts und verharmlosen dabei das eigentliche Übel: die Suchtkrankheit. Was Sie im Grunde fordern – da brauche ich Ihre Wahl- und Parteiprogramme nur aufzuschlagen –, ist langfristig die Legalisierung von Drogen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) So fordern die Grünen im ersten Schritt die Entkriminalisierung aller Drogen, die aber bei Drogen wie Cannabis fließend in die Legalisierung übergehen soll. Die Linke geht sogar noch weiter und fordert in ihrem Parteiprogramm – ich zitiere wörtlich –: „langfristig eine Legalisierung aller Drogen“. (Zurufe von der LINKEN: Ja!) Wobei es mir persönlich egal ist, in welcher Form der Wolf auftritt; denn die Entkriminalisierung bedeutet, vereinfacht gesagt, dass ich ein Verbot habe, die Handlung aber ohne sanktionsrechtliche Folgen bleibt. Wenn der Gesetzgeber den Weg einer Legalisierung beschreiten wollte, müsste er bereits vorher ansetzen und die Handlung als nicht verboten definieren. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Er hat doch gerade gesprochen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wenn es etwas Substanzielles ist!) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Er hat doch gerade gesprochen. – Ich bleibe dabei, was ich am Anfang gesagt habe: Schlussendlich bleibt der Wolf ein Wolf, und dem legalen Konsum von Drogen wird Tür und Tor geöffnet. Das Ziel der Antragspartei ist eine Abkehr von der aktuellen Drogenpolitik und damit ein kompletter Systemwechsel. Die Notwendigkeit einer solchen Abkehr erkenne ich nicht. Genau deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Die Drogenpolitik der Bundesregierung hat sich bewährt. Sie steht im Einklang mit den internationalen Abkommen der UNO und wurde über Jahrzehnte – meist über Parteigrenzen hinweg – von den Parlamentariern erfolgreich getragen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Sie folgt einem ganzheitlichen Ansatz und ist von Kontinuität geprägt. Die Gesundheit der Menschen steht dabei an oberster Stelle. Unsere Drogenbeauftragte Marlene Mortler steht wie ich für eine ausgewogene Drogenpolitik mit den bewährten vier Säulen: Prävention, Beratung und Behandlung, Hilfe zum Ausstieg als Mittel zur Schadensminimierung und Bekämpfung der Drogenkriminalität. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles gescheitert!) Die Zahlen geben uns recht. Der Konsum illegaler Drogen und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken sind in den letzten Jahren insgesamt rückläufig, was vor allem diesem in sich schlüssigen Konzept geschuldet ist. Das Konzept sollte nicht gefährdet werden, indem einzelne Elemente herausgebrochen werden. Die für mich wichtigste Säule ist die Prävention, wie sie zum Beispiel die Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der entsprechenden Landeszentralen, die Suchtverbände und auch die Polizei seit vielen Jahren wirkungsvoll und engagiert betreiben. Diese Aufklärung setzt bereits bei den jüngeren Mitgliedern unserer Gesellschaft an. Damit entmündigen wir die Jugendlichen nicht etwa, sondern schützen diese. Wir werden unserem im Grundgesetz festgelegten Auftrag des sozialen Rechtsstaates gerecht. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikels 2 des Grundgesetzes erkennen wir selbstverständlich an, jedoch hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Cannabis-Beschluss von 1994 festgelegt, dass ein „Recht auf Rausch“ nicht besteht. Diesen entscheidenden Tenor hat das Gericht wiederholt in aller Deutlichkeit bestätigt. Eine Legalisierung würde die Präventionsbemühungen gegenüber potenziellen Erstkonsumenten nachhaltig schwächen und ist ein falsches Signal. (Beifall bei der CDU/CSU) Sucht ist eine Krankheit mit einer meist langen Entwicklungsgeschichte. Die Sucht bildet hierbei meist den Endpunkt dieser Entwicklung. Deswegen ist Prävention so wichtig. Dazu, die Prävention weiter zu stärken und die bereits bestehenden erfolgreichen Ansätze weiter auszubauen, wird uns in dieser Legislaturperiode auch das Präventionsgesetz dienen. Auch im Rahmen der zweiten und dritten Säule sehe ich keine gravierenden Lücken, die einer Überprüfung bedürften. Die primäre Zielsetzung der Drogenbekämpfung ist zwar, Sucht und Abhängigkeit zu verhindern, aber dennoch arbeiten wir stetig daran, den Hilfesuchenden die optimale Unterstützung für eine Heilung und Wiedereingliederung zukommen zu lassen. Die Hilfe zum Ausstieg – zum einen als Mittel zur Schadensminimierung und zum anderen als Ausweg aus dem oftmals leider vorprogrammierten sozialen Abstieg – ist Teil unserer politischen Agenda. Sozialer Abstieg beginnt nicht mit der Kriminalisierung, sondern ist oftmals eine Begleiterscheinung des Drogenkonsums selbst. Der regelmäßige Konsum illegaler Substanzen verändert die Persönlichkeit, er schädigt die Gesundheit und treibt die Menschen in die soziale Isolation. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Wie beim Alkohol, wo Sie sich sogar vor Werbeverboten drücken! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie beim Alkohol!) Auch bei der vierten Säule, dem Sanktionsrecht im Hinblick auf die Drogenkriminalität, kann ich keine gravierenden Mängel erkennen. Ja, Ihre These, dass eine förmliche Strafverfolgung zu einer Stigmatisierung jugendlicher Straftäter führen kann, lässt sich nicht bestreiten. Sie wissen genau, dass dies in allen Bereichen der Kriminalität zu beobachten ist. Es ist jedoch keineswegs so, dass, wie in der Resolution des Schildower Kreises suggeriert wird, bei jedem kleinen Verstoß sofort eine dauerhafte Stigmatisierung stattfindet. Es fließen selbstverständlich auch das Alter und die Reife mit in die Sanktionsausgestaltung ein. Denn im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht liegt dem Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke zugrunde. Speziell für den Bereich des Betäubungsmittelrechts hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Cannabis-Beschluss festgelegt, dass bei einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt die Möglichkeit besteht, von der Strafverfolgung abzusehen. Gerade hierdurch wird einer unnötigen Stigmatisierung heute schon entgegengewirkt, und der Staat wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Zielsetzung des Betäubungsmittelrechts ist nicht nur, Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, sondern es geht dem Gesetzgeber viel mehr um die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens. Der Schutz vor den sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen steht im Mittelpunkt der Überlegungen. Wir dürfen uns natürlich nichts vormachen: Die Resultate der strafrechtlichen Bekämpfung des Drogenhandels sind nicht durchweg ermutigend. Aber daraus dürfen wir doch nicht den Umkehrschluss ziehen, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, dass die derzeitige Drogenpolitik und insbesondere die Strafverfolgung untauglich sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sagen 122 Strafrechtsprofessoren! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Die sollen alle keine Ahnung haben?) Es ist und bleibt unser zentrales Anliegen, den Handel mit Betäubungsmitteln zu bekämpfen. Doch weder die Entkriminalisierung noch die Legalisierung können geeignete Mittel sein, um der Drogenkriminalität ihre wirtschaftliche Grundlage zu entziehen. Bitte vergessen Sie nicht: Auch beim Handel mit legalen Waren existiert ein Schwarzmarkt, und die Beteiligung der organisierten Kriminalität ist nicht ausgeschlossen. Eine Schattenwirtschaft, wie die Resolution sie beschreibt, entsteht doch nicht allein aus der Verbotspolitik. Eine grundlegende Schwäche Ihres Antrags besteht in einem weiteren Punkt. Liest man die Resolution des Schildower Kreises, auf die Sie sich beziehen, stellt man fest, dass keinerlei Differenzierung nach Härte oder Art der Drogen vorgenommen wird. Wollen Sie ernsthaft eine Situation wie in Portugal? – In Portugal findet der Konsum von Kokain, Ecstasy und Amphetaminen aufgrund der liberalen Drogenpolitik in aller Öffentlichkeit, zum Beispiel in Diskotheken, statt. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Bei uns auch! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lade Sie mal ein!) Möchten Sie junge Menschen abends in einem solchen Umfeld wissen? Bei aller Liebe zur Eigenverantwortlichkeit und Mündigkeit: Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es einen verantwortungsvollen Konsum von Crystal oder anderen schweren Drogen geben kann. Eine Droge, die bereits nach der ersten Einnahme zu einer Abhängigkeit führen kann, (Zuruf von der LINKEN: Das tun Zigaretten im Übrigen auch!) nimmt dem Konsumenten gerade die Eigenverantwortlichkeit. Zentrales Argument gegen eine Liberalisierung bleibt für mich schlussendlich – da sind wir uns doch hoffentlich alle einig –, dass bei einer Entkriminalisierung die Hemmschwelle, die Drogen tatsächlich auszuprobieren und einzunehmen, definitiv sinkt. Dafür kann ich in meiner Funktion als Abgeordnete keine Verantwortung übernehmen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Sosehr ich die europäischen Freiheiten schätze, die uns etwa das Schengener Abkommen mit der Aufhebung der Zollgrenzen gewährt, so bewusst müssen wir uns darüber sein, dass wir die Auswirkungen der liberalen -Drogenpolitik in manchen Anrainerstaaten zu spüren bekommen. Unsere Drogenpolitik steht vor der Herausforderung, hier geeignete Maßnahmen zu finden. Gerade bei Crystal kämpfen wir derzeit gemeinsam mit unseren tschechischen Kollegen dafür, dieses mittlerweile gesamtgesellschaftliche Problem in den Griff zu bekommen. Sie wissen, wovon ich spreche; auch Sie bekommen regelmäßig Briefe von besorgten Müttern und Vätern, die wollen, dass die Kinder vor dieser gravierenden Droge geschützt werden. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Ja, genau!) – Sie sagen: „Ja, genau!“ – Was soll ich diesen Eltern Ihrer Ansicht nach antworten? Dass das Experimentieren mit Drogen zum Erwachsenwerden nun mal dazugehört? Dass „ideologische Vorbehalte“, wie Sie es in Ihrem Antrag nennen, aufzubrechen sind? – Bei aller Liebe: Eine solche Argumentation kann und darf nicht die Antwort auf die Gefahren illegaler Drogen sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Tempel. Frank Tempel (DIE LINKE): Ich muss leider antworten, weil Sie offensichtlich ein Problem damit hatten, meinem Vortrag vorhin zu folgen. Es war sehr freundlich, dass Sie aus den Wahl- und Parteiprogrammen unserer Parteien zitiert haben. Wir haben aber extra gesagt: In unseren Antrag haben wir keine Forderungen übernommen. Wir wollen eine ergebnis-offene Evaluierung. (Beifall bei der LINKEN) Und wir wollen sie deswegen, weil das auch die Fachgremien befürworten, in denen die verschiedenen Wissenschafts- und Praxisbereiche zusammentreffen, beispielsweise die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die jedes Jahr eine dreitätige Fachtagung durchführt. In den letzten drei Jahren habe ich weder einen Landes- noch einen Bundespolitiker der CDU dort angetroffen. Ich bin dort Stammgast. Ich höre den Fachleuten zu. Diese fordern den Dialog mit der Politik, um endlich eine Änderung herbeizuführen. Wenn Sie bei solchen Gelegenheiten dabei wären, würden Sie auch Vorträge zur Drogenpolitik in Portugal hören, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) wo nach einer Liberalisierung die Zahl der Drogentoten gesunken und die Zahl der Konsumenten nicht angestiegen ist. Die Konsumenten müssen sich jetzt nicht mehr verstecken – man sieht sie jetzt; das stimmt –, aber die Zahl der Konsumenten ist nicht angestiegen. Gesunken ist hingegen die Zahl der Erstinfektionen mit Aids und Hepatitis. Gesunken ist auch die Affinität von Konsumenten, süchtig zu werden. Das besagt eine Studie über zehn Jahre liberalisierte Drogenpolitik in Portugal. Wenn Sie dieses Arbeitsfeld hier im Bundestag bearbeiten wollen, wäre es sehr nett, wenn Sie solche Studien auch einmal lesen würden. Dann müssten Sie hier nicht so verdrehte Sachen erzählen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt sehr viel Material. Gerade deswegen, weil dieses Material in Ihrer Fraktion nicht ankommt, weil Sie sich damit nicht beschäftigen und sich hier im Haus, wo Sie eine Mehrheit haben, fernab jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnisse des Landes bewegen, fordern wir eine unabhängige wissenschaftliche Evaluierung. Ich möchte von Ihnen wissen: Wenn Sie glauben, dass Ihre Position richtig ist, warum kneifen Sie dann, wenn es um eine unabhängige Evaluierung durch Fachleute geht? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Zeulner, möchten Sie antworten? – Bitte. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Die Zielrichtung Ihres Antrages ist schon eindeutig. Ich freue mich, dass wir jetzt bald zusammen einen Ausflug unternehmen werden, dass Sie mich mitnehmen. Im Zusammenhang mit dem Präventionsgesetz werden wir im Ausschuss Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Auf diese Diskussion freue ich mich ganz besonders. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht der Kollege Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich muss ich zu Anfang auf meine Kollegin Zeulner reagieren. Ich glaube, dass es wichtig ist – ich versuche ja nur, Erfahrung weiterzugeben –, dass man sich auch in der Politik mit bestimmten Fragen ergebnisoffen auseinandersetzt. Ich habe in Ihrer Rede sehr viel vorgefasste Meinung gefunden. Ich kann jetzt nur noch einmal betonen, dass hier ein Antrag vorliegt, mit dem eine ergebnisoffene, ohne Vorbedingungen geführte Diskussion in Gang gesetzt werden soll. Wichtig ist auch, wie ich glaube, noch einmal zu sagen, dass Anlass für diesen Antrag war, dass über 120 Strafrechtsprofessoren – das sind knapp 50 Prozent – eine Evaluation gefordert haben. Was hier noch nicht gesagt worden ist, ist, dass sich nur 8 der 250 Professoren ausdrücklich dagegen ausgesprochen haben. Jedenfalls vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Expertise ist eine Evaluation also überfällig. Viele wissenschaftliche Fachgesellschaften setzen sich dafür ein. Im Übrigen setzt sich auch der Bund der Kriminalisten mehrheitlich dafür ein. Viele Verbände und viele Teile der Gesellschaft unterstützen diese Forderung nach einer Evaluation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir sagen ja auch ausdrücklich, dass wir Parteipolitiker an dieser Evaluation gar nicht teilnehmen wollen. Warum sollten wir das auch? Damit würden wir ja nur die Grabenkämpfe der Vergangenheit weiterführen. Doch das führt ja zu nichts. Die Fakten sind, denke ich, relativ eindeutig. Ich will jetzt keine juristische Exegese betreiben; aber wenn man sich das Ziel, das vor 40 Jahren mit dem Betäubungsmittelgesetz verbunden wurde, vor Augen führt, entwickelt man große Zweifel, dass das große Versprechen, die Jugend vor den Gefahren des Drogenkonsums zu schützen, wirklich eingelöst wurde. Trotz 40 Jahren Betäubungsmittelgesetz kann man faktisch flächendeckend an jeder Schule Drogen erwerben. Das muss man nicht gut finden, aber es ist Fakt. Mit anderen Worten: Das Gesetz hat an dieser Praxis überhaupt nichts geändert. Weder Drogenerwerb noch Handel noch Verbreitung von Drogen sind verhindert worden, nicht einmal bei Jugendlichen. Angesichts dessen kann ich nur wiederholen: Der Schwarzmarkt, der ja Folge der Illegalisierung ist, kennt keinen Jugendschutz und keinen Gesundheitsschutz. Er kennt nichts dergleichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben also im Gegenteil erhebliche Chancen, wenn wir uns einer unabhängigen Evaluation aussetzen. Welche Chancen haben wir? Wir haben Chancen bei der Prävention. Wir haben Chancen beim Gesundheitsschutz. Wir haben Chancen beim Jugendschutz. Wir haben Chancen bei der Behandlung. In Ihrer Darstellung sind im Übrigen die Abhängigen in den Vordergrund geschoben worden. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! Prävention!) Auch ich bedaure, dass wir in unserem System nicht genug Mittel dafür einsetzen, damit abhängig Erkrankte – das sind keine Verhaltensgestörten; das sind Kranke – ausreichend behandelt werden können. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Mittel so ungleich eingesetzt werden. Zu Ihrer Bemerkung, dass es ein Präventionsgesetz geben wird und dass Sie mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schon eine ganze Menge machen: Das Bundesministerium hat im Haushalt 10 Millionen Euro zur Aufklärung über den Konsum legaler und illegaler Drogen bereitgestellt. Demgegenüber werden 3,3 Milliarden Euro für die Strafverfolgung ausgegeben. Das heißt also: Haushaltspolitisch gibt es praktisch eine Fixierung auf die Prohibition, verbunden mit der Folge der Entstehung eines Schwarzmarktes. Ich bitte Sie, rein nüchtern unseren Vorschlag, eine unabhängige Evaluation in Angriff zu nehmen, zu prüfen, und selbst dafür zu sorgen, dass dort politisch kein Einfluss genommen wird. Dann können wir anhand der Ergebnisse schauen, was wir in Zukunft ändern müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist doch das Entscheidende. Daher kann ich nur darum bitten, das wirklich vorurteilslos mit uns gemeinsam zu machen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Burkhard Blienert, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Burkhard Blienert (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn der Legislaturperiode haben die besagten Strafrechtsprofessoren mittels einer Resolution zur Reform des Drogenstrafrechts eine wichtige Debatte angestoßen. Die Rechtsgelehrten fordern in ihr die Einsetzung einer Enquete-Kommission des Bundestages zum Thema „Erwünschte und unbeabsichtigte Folgen des geltenden Strafrechts“. Zwar hat 1994 das Bundesverfassungsgericht – das ist auch schon mehrmals angeklungen – das Betäubungsmittelstrafrecht für verfassungsgemäß befunden, aber allen Beteiligten war die damalige lückenhafte Erkenntnislage deutlich bewusst. Nun, 20 Jahre später, sind wir hier ein ganzes Stück weiter. Mittlerweile liegen uns durchaus umfangreiche Erkenntnisse vor. Ich möchte einige einfach nur kurz anreißen. Wir sehen zum Beispiel die Entwicklungen in anderen Staaten, die dort gemachten Erfahrungen und auch die Korrekturen in der staatlichen Drogenpolitik. Dabei sind es jedoch auch immer sehr spezifische und unterschiedliche Aspekte, die zu Neuausrichtungen in den jeweiligen Ländern geführt haben. Wir nehmen natürlich die Resultate, wie beispielsweise die aus den Niederlanden und aus Portugal, zur Kenntnis. Warum jedoch einige Staaten neue Wege gehen, hat wiederum sehr unterschiedliche Gründe. Uruguay gibt zum Beispiel den Marihuana-Anbau komplett frei. Der Bundesstaat Colorado hat den Handel legalisiert, unter anderem auch, um höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Auch das muss man natürlich bedenken. Wir sollten daher auch erst einmal politisch beginnen, gemeinsame Ziele einer fortschrittlichen Drogen- und Suchtpolitik zu formulieren. Das Angebot nehme ich daher persönlich erst einmal auch an. In diesem Zusammenhang gilt es, Risiken und Nebenwirkungen etwaiger Maßnahmen genauestens abzuwägen. Das Minimieren von Gesundheitsrisiken und die Prävention muss bei allen Überlegungen höchste Priorität haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein auf Basis der fünf Thesen der Staatsrechtler – auch wenn es wirklich eine große Gruppe deutscher Staatsrechtler ist – zu arbeiten, halte ich jedoch für uns als Bundestag für zu dünn. Darauf gegründet eine hundertköpfige Expertenkommission ins Leben zu rufen, die mittels der sogenannten Delphi-Methode neue Erkenntnisse zu den Wirkungen des Betäubungsmittelrechts herausarbeiten soll, halte ich doch für recht experimentell. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bin zwar einverstanden, wenn wir uns frei von Ideologie diesen Themen nähern; frei von Politisierung kann es aber nicht gehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich bin daher nicht sicher, ob diese Methode, die Sie in Ihrem Antrag erwähnen, tatsächlich ein geeignetes Instrumentarium zum Erkenntnisgewinn sein kann. Auch Sie selber sind sich da offensichtlich nicht ganz sicher, wenn Sie in Ihrem Antrag auch andere Verfahren für denkbar erachten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir bauen Brücken, wo wir können! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Wir wollen es leicht machen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es lohnt sich daher, für eine Debatte im Ausschuss einmal die Erkenntnisse, die vorhanden sind, zusammenzutragen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat zum Beispiel bereits im Juni 2013 eine entsprechende Studie mit dem Titel „Entkriminalisierung und Regulierung“ veröffentlicht, die viele interessante Aspekte hierzu behandelt. Es lohnt sich schon, dort auch einmal hineinzuschauen. (Beifall bei der SPD) Dabei wird deutlich, dass es eben um mehr als um das Strafrecht bzw. um rechtspolitische Fragestellungen geht. Es geht natürlich um gesundheitspolitische Fragen, um ökonomische Auswirkungen, um sozialpolitische Aspekte, auch um ethische Fragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mein Fazit ist aber: Man kann und muss auch eine Debatte zu den Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts führen. Ihr Antrag greift den wichtigen Beitrag der Strafrechtsprofessoren und die medialen Bericht-erstattungen hierzu auf. Ihr Antrag insgesamt ist aber eigentlich ein Schnellschuss. Sie versuchen mit ihm, erst einmal kurzfristig Punkte zu machen, wohl wissend, dass mit der Einsetzung einer derart umfangreichen Expertengruppe dann wohl kaum mit Handlungsempfehlungen in dieser Wahlperiode zu rechnen sein dürfte. Auch wenn der Antrag gut gedacht ist, er scheitert an Praktikabilität und zum Teil eben auch an Plausibilität. (Beifall bei der SPD – Frank Tempel [DIE LINKE]: Ich glaube, diese Stelle in Ihrem Text hatte ich angekündigt!) Das Thema ist komplexer, und Lösungswege sind schwieriger zu finden. Der Umgang mit Cannabis und dem damit im Zusammenhang stehenden Diskurs nicht nur über das Betäubungsmittelrecht in Deutschland beschäftigt eben nicht ohne Grund Politikerinnen und Politiker seit vielen Jahren. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion – und ich denke, auch die Kolleginnen und Kollegen von der Union – wollen nicht für die Ihrerseits unbedachten Nebenwirkungen dieses Schnellschusses verantwortlich gemacht werden. Lassen Sie uns daher in den entsprechenden Ausschüssen eingehend dazu beraten. Ich denke, dass dies der Sache dann insgesamt dienlich sein wird. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1613 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Gesundheit liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen, und in den nächsten Wochen können dann über dieses Thema noch intensive Diskussionen geführt werden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksachen 18/1306, 18/1575 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/1647 Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Anja Karliczek, CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU) Anja Karliczek (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir führen heute das zu Ende und vervollständigen das, was wir schon im Sommer 2013 politisch und gesetzgebend begonnen haben: die steuerliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat der Bundestag in Teilen das Einkommensteuergesetz dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts angepasst. Aus Zeitgründen kam es allerdings vor der Wahl nicht mehr dazu, die steuerliche Gleichstellung in allen betroffenen Gesetzesbereichen durchzuführen. Ich habe mich ausführlich mit den Einzelheiten der zu ändernden Gesetze beschäftigt und muss schon sagen: Wir haben eine sehr ordentlich arbeitende Verwaltung. Denn ob es die Kaffeesteuerverordnung ist, die nun geändert werden muss, oder das Gesetz, in dem die Eigenheimzulage geregelt wird, die schon seit 2006 nicht mehr für neue Fälle gewährt wird: Wir sorgen für Ordnung in unseren Gesetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Von den heute anstehenden Änderungen ist eine Vielzahl von Gesetzen betroffen: das Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz, das Wohnungsbau-Prämiengesetz, das Altersvorsorge-Durchführungsgesetz, die Abgabenordnung, das Bewertungsgesetz, das Energiesteuergesetz, das Dritte Buch Sozialgesetzbuch, die -Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung, das Bundeskindergeldgesetz und sogar die Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung. In all diesen Gesetzen und Verordnungen wird die Lebenspartnerschaft nun der Ehe gleichgestellt. Dass Menschen füreinander Verantwortung übernehmen – unabhängig von ihrem Lebensentwurf und ihrer sexuellen Orientierung –, findet damit auch steuerrechtlich seinen Niederschlag. Im Alltag zeigt sich das zum Beispiel durch die Möglichkeit, eine gemeinsame -Steuererklärung für Lebenspartner abzugeben oder die Altersvorsorge gemeinsam zu gestalten. In dieser Debatte liegt mir ein Aspekt besonders am Herzen: Mich erstaunt sehr, wie heftig und emotional in diesem Haus, in der veröffentlichten Meinung und in der Öffentlichkeit über die Frage der rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften diskutiert wurde und teilweise immer noch diskutiert wird. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist aber auch kein Wunder!) Was heißt Lebenspartnerschaft? Heißt das nicht, -füreinander da zu sein, miteinander zu leben und Verantwortung füreinander zu tragen? Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit und keine Frage des Lebensentwurfs? Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit. Für mich heißt das aber auch: Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen ist Ausdruck einer freien Gesellschaft. In einer freien Gesellschaft ist die eigene Gestaltung des individuellen Lebensentwurfs selbstverständlich, ich möchte sogar sagen: konstitutiv. Das anzuerkennen, nenne ich Ausdruck einer liberal-wertkonservativen Haltung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die rechtlichen Schritte, die wir heute gehen, nehmen der Würde der Institution von Ehe und Familie damit nichts. Auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bleiben Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes ein eigener Schutzbereich, und sie erfahren dadurch eine besondere Würdigung. Ich streife damit in einer finanzpolitischen Debatte das Thema Familienpolitik. Es steht weiter ganz oben auf unserer politischen Agenda. Erst in diesen Tagen hat das Kabinett die Reform des Bundeselterngeld- und -Elternzeitgesetzes beschlossen. Wir wollen damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter fördern und die wirtschaftliche Sicherheit junger Familien weiter stärken. Wir hoffen, dass dies mehr Mut macht, sich für Kinder zu entscheiden. Seit der Evaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen, deren Ergebnisse die letzte Bundesregierung im vergangenen Jahr veröffentlicht hat, wissen wir von rund 150 verschiedenen Maßnahmen, in die wir jährlich – ob durch direkte Auszahlungen oder durch steuerliche Förderung – über 200 Milliarden Euro investieren. Dennoch haben wir trotz hoher staatlicher Leistungen weiter eine geringe Geburtenrate in Deutschland. Den Satz von Konrad Adenauer: „Kinder kriegen die Leute immer“ haben wir alle im Ohr. Er trifft aber leider nicht mehr zu. Dabei muss doch unser aller Interesse darauf gerichtet sein, dass dieser Satz wieder wahr wird; denn nur dann werden wir als Gesellschaft innovativ und wettbewerbsfähig bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wissen auch, dass finanzielle und wirtschaftliche Überlegungen bei der Entscheidung für Kinder nicht ausschlaggebend sind. Letztendlich werden wir Eltern, weil Kinder Reichtum und Vielfalt bedeuten, weil Kinder uns Erwachsene lehren, die wesentlichen Dinge des Lebens zu erkennen, und weil Kinder unsere Zukunft sind. Nicht zuletzt aus genau diesem Grund müssen wir jungen Menschen Mut zu dieser Entscheidung machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir können das weiter unterstützen durch ein familienfreundliches Klima, aber auch durch die ideelle Anerkennung von Familienleistung und die Stärkung von Vertrauen. Deshalb sehe ich aus steuerlicher Sicht noch eine weitere Aufgabe, der wir uns – sicherlich unter -Berücksichtigung des finanziellen Spielraums, aber -dennoch forciert – künftig widmen sollten: der Weiterentwicklung des Ehegattensplittings zu einem Familiensplitting. Die Verantwortung für unsere Kinder ist eine ganz -besondere Verantwortung. Denn Kinder sind der Keim unserer Gesellschaft – nicht die Eltern und auch nicht eine Lebensgemeinschaft. Diese besondere Verantwortung müssen wir auch durch eine besondere steuerliche Behandlung zum Ausdruck bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Junge [SPD]) Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Frau Kollegin Karliczek, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten parlamentarischen Rede hier im Deutschen Bundestag. (Beifall) Das war die erste Rede in dieser Debatte und die erste Rede in Ihrem parlamentarischen Leben. Herzlichen Glückwunsch und auf viele weitere interessante Debatten! Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Susanna Karawanskij, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Immer müssen die gleichen Leute bei den Linken reden!) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Dieser Tagesordnungspunkt, den wir jetzt gerade besprechen, ist bei Lichte betrachtet ein Dauerbrenner. Es geht um die steuerliche Gleichstellung einer Lebenspartnerschaft von Lesben und Schwulen mit der Ehe. Ehrlich gesagt ist es traurig, dass dieses Thema überhaupt zum Dauerbrenner wurde – nicht nur aus unserer Sicht, sondern vor allen Dingen aus Sicht der Betroffenen. (Beifall bei der LINKEN) Das lag vor allen Dingen an der Engstirnigkeit der -Fraktionsspitze der CDU/CSU, die die bestehenden gesellschaftlichen Realitäten nicht anerkennt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was ist das denn? Sie haben doch schon zweimal falsch geredet! Das ist die dritte falsche Rede!) Leider nimmt diese Fraktionsspitze Rücksicht auf den Teil der Partei, der dem Familienbild aus dem vorletzten Jahrhundert anhängt. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Wir, die Linken, fordern hingegen schon seit Jahren die Gleichstellung – vor allen Dingen auch die steuerliche Gleichstellung – der Lebenspartnerschaften mit der Ehe. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwingt den Gesetzgeber zur Gleichstellung in allen der ihm vorgelegten Fälle. Das Peinliche daran ist, dass Ihre Missachtung dieser ständigen Rechtsprechung zugleich auch eine Missachtung von Grundrechten bedeutet. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013 war nämlich erstens klar, dass eine umfassende Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe bei der Besteuerung zwingend erforderlich ist. Zweitens war auch klar, dass dafür nicht nur das Einkommensteuergesetz geändert werden muss. Die Folgeänderungen in den Steuergesetzen sollen durch den nun vorliegenden Gesetzentwurf angegangen werden. Sie betreiben aber wieder einmal Augenwischerei; denn dieser Anspruch wird nicht in Gänze erfüllt. Es gibt leider immer noch keine vollständige Gleichbehandlung. Ich will Ihnen das auch erklären. Es geht um folgende Lücke: § 52 der Abgabenordnung – das ist sozusagen das Grundgesetz der Steuerpolitik – führt einen ganzen Katalog steuerlich anerkannter gemeinnütziger Zwecke auf. Die Förderung des Schutzes von Ehe und Familie ist danach ein förderwürdiger Zweck. Diese Definition muss allerdings meines Erachtens um die Förderung des Schutzes der eingetragenen Lebenspartnerschaften erweitert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Diskrepanz ging ich auch mittels einer schriftlichen Frage an das Finanzministerium nach. In der -Antwort vom 30. Mai 2014 teilte die Bundesregierung die Auffassung der Linken, dass es keine verfassungsrechtlichen Gründe für einen Ausschluss der Förderung des Schutzes von Lebenspartnerschaften gibt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Bundesregierung ist sich also der Unvollständigkeit durchaus bewusst. Damit ist der Beweis erbracht, dass die Nichtgleichstellung eine ganz klare politische Willkürentscheidung ist. Ich möchte das an dieser Stelle noch einmal betonen: Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts können CDU und CSU von der Diskriminierung der -Lebenspartnerschaften gegenüber der Ehe nicht lassen. Beenden Sie das! Beenden Sie die ideologischen Grabenkämpfe, und verhalten Sie sich vor allen Dingen nicht wie bockige Kinder! Das ist wirklich traurig. (Beifall bei der LINKEN) Noch viel trauriger ist, dass die SPD hier neben dem Koalitionspartner wieder einknickt und sich nicht an ihr Wahlprogramm und ihre Wahlversprechen hält. Sie haben der Community gegenüber versprochen: „100 Prozent … Gleichstellung … nur mit der SPD“. Jetzt lassen Sie die Menschen schon wieder im Regen stehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sind beim Adoptionsrecht eingeknickt, und jetzt knicken Sie auch hier wieder ein. Das ist wirklich enttäuschend. Ich frage mich, wann Sie mit diesem Einknicken einmal aufhören. Für uns Linke ist klar, dass wir langfristig die steuerliche Privilegierung der Ehe beenden müssen. Um den Beweis anzutreten, dass wir nicht bockig sind, wollen wir Ihrem Gesetzentwurf – Sie sind in Ihrem Gesetzentwurf ja die von uns seit langem geforderte steuerliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der Ehe in vielen Bereichen angegangen – trotz der bestehenden Lücke, die ich gerade beschrieben habe, zustimmen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Hört! Hört! – Mechthild Rawert [SPD]: Das begrüßen wir sehr!) Wir betrachten die Öffnung der Ehe als den entscheidenden Schritt; denn die Linke will letztendlich die rechtliche Gleichstellung und damit auch die gesellschaftliche Akzeptanz aller Lebensweisen. Ich bitte Sie daher: -Nehmen Sie das Heft des Handelns weiter in die Hand! Entlasten Sie vor allen Dingen das Bundesverfassungsgericht! Wir haben als erste Fraktion einen Gesetzentwurf hierzu in den Bundestag eingebracht. Damit können Sie die entsprechenden Regelungen im Adoptionsrecht bis hin zum Steuerrecht abdecken. Wenn Sie es wirklich ernst meinen, stimmen Sie unserem Antrag zu. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das wird schwer, ganz schwer!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen Frank Junge, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Junge (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Karawanskij, weil Sie es explizit angesprochen haben, möchte ich eine Bemerkung vorausschicken. Mich hat im Vorfeld dieser Debatte ziemlich beunruhigt, was zu diesem Thema in der Presse zu lesen war. Da war von „Diskriminierung beim Kindergeld“ die Rede. Da war – Sie sagten es – von „Bockigkeit“ die Rede. Es wurde so getan – das unterstreiche ich zweimal –, als seien wir auf dem Weg zur Gleichstellung von eingetragenen -Lebenspartnerschaften mit der Ehe nicht einen Millimeter vorangekommen. Das muss ich ganz klar von uns weisen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war sehr unehrlich!) Das, womit wir uns hier beschäftigen, ist doch vom Grundsatz her genau das, worum es geht. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die Ungleichbehandlung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe unter steuerlichen Gesichtspunkten beseitigt. Punkt! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da gibt es nichts weiter hinzuzufügen: Mit diesem einen Satz lässt sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung zusammenfassen. Wir alle kennen die Entscheidung – Sie haben darauf hingewiesen – des Verfassungsgerichts vom letzten Jahr, nach der der Ausschluss von eingetragenen Lebenspartnerschaften beim Ehegattensplitting für verfassungswidrig erklärt wurde. Das haben wir konstatiert. Die daraufhin notwendige Anpassung im Einkommensteuergesetz, mit den Stimmen von allen Fraktionen dieses Hauses verabschiedet, wurde schon vorgenommen. Letztendlich ist das ein guter Schritt gewesen. Heute haben wir allerdings die Gelegenheit, die letzten noch offenen Bereiche in diesem Segment glattzuziehen. Wenn man dann auf die großen Bereiche schaut, wie Bundeskindergeldgesetz, Eigenheimzulagengesetz, das Wohnungsbau-Prämiengesetz, das Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz und die Abgabenordnung, dann kann man festhalten: Das sind die richtigen und notwendigen Schritte. (Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Große Schritte!) Es ist auch mehr als das. Es ist mit Blick auf unsere moderne und demokratische Gesellschaft, in der homosexuelle Lebenspartnerschaften und Regenbogenfamilien genauso zur Lebenswirklichkeit gehören wie die klassische Ehe, ein längst überfälliger Schritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nach der gesetzlich verankerten Vereinfachung der Sukzessivadoption – Sie erinnern sich: vor genau 14 Tagen haben wir zu diesem Punkt Vereinfachungen beschlossen – (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Aber das war nicht freiwillig! Sie wurden doch dazu gezwungen!) kann dieses Parlament heute ein weiteres wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur vollständigen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe markieren. Ich werbe daher dafür, diesem Gesetz zuzustimmen, und bitte Sie, dies am Ende auch zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ich beziehe mich kurz auf Ihre zwei Änderungsanträge, die Sie einbringen werden und die wir im Finanzausschuss sehr ausführlich besprochen haben. Stichwort Kindergeld. Hier fordern Sie eine Ergänzung in der Anwendungsvorschrift des Bundeskindergeldgesetzes. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Danach soll Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz nachträglich und rückwirkend zum August 2001 auch für Lebenspartner gewährt werden, sofern die Kindergeldbescheide noch nicht rechtskräftig sind. Das ist völlig in Ordnung. Dagegen hat die SPD-Fraktion überhaupt nichts einzuwenden. Das ist gut so, das ist rechtmäßig, auch wir vertreten das. Wir haben nur etwas gegen den Weg. Sie wollen dafür das Kindergeldgesetz ändern. Wir sagen: Dazu reicht eine Änderung der Durchführungsanweisung nach dem Bundeskindergeldgesetz. Aus diesem Grund sind wir zwar inhaltlich für Ihren Antrag, aber weil wir den Weg ablehnen, lehnen wir letztendlich auch Ihren Antrag ab. Wir gehen davon aus und werden dafür auch Sorge tragen, dass diese Änderung über den von mir beschriebenen Weg umgesetzt wird. (Beifall bei der SPD) Stichwort Gemeinnützigkeit. In der Abgabenordnung sind mit Blick auf die steuerlich begünstigte gemeinnützige Tätigkeit bisher die Vereine und Körperschaften als förderungswürdig erachtet worden, die sich dem Schutz von Ehe und Familie verschrieben haben; auch Sie -haben diesen Punkt aufgegriffen, Frau Karawanskij. Sie beantragen heute, die Förderung des Schutzes von Lebenspartnerschaften als begünstigten Zweck anzuerkennen und dort aufzunehmen. Dieser Ansicht können wir grundsätzlich folgen. Das sage ich ganz klar. Denn auch nach unserer sozialdemokratischen Ansicht versteht es sich in einer aufgeklärten toleranten Gesellschaft ganz von selbst, dass zu einer vollständigen Gleichstellung eben auch gehört, die Förderung homosexueller Lebenspartnerschaften als gemeinnützigen Zweck in der Abgabenordnung zu verankern. Leider lässt sich dieses Selbstverständnis anderen nicht verordnen, auch unserem Koalitionspartner nicht. Vor diesem Hintergrund bedauere ich es sehr – auch das unterstreiche ich zweimal –, dass wir aus diesem Grund und mit Rücksicht auf unseren Koalitionsvertrag dem von Ihnen vorgelegten Antrag nicht zustimmen können. Wir tun das jedoch nicht, ohne eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages abzugeben, in der wir noch einmal ausführlich auf die Zusammenhänge hinweisen. Ich bedaure die Ablehnung des Antrags aber auch deshalb sehr, weil ich weiß, dass es in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion eine Reihe von Mitgliedern gibt, die ebenfalls ein solch weltoffenes und tolerantes Gesellschaftsbild haben wie wir. (Beifall des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Ich glaube, dass wir auf dieser Basis auch zukünftig noch weiter kommen werden als dorthin, wo wir heute sind. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich an dieser Stelle noch hinzufügen: Damit klar wird, dass wir nicht vor einem Riesendilemma stehen, möchte ich unterstreichen, dass § 52 der Abgabenordnung Vereinen und Verbänden schon jetzt ganz klar die Möglichkeit bietet, sich den Belangen Homosexueller zu stellen und dafür auch den Status der Gemeinnützigkeit zu bekommen. Wir reden also heute bei der Beratung Ihres Antrags über einen Punkt, der im praktischen Leben keine Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Darstellung in der Öffentlichkeit, hier würde ein Riesenfehler nicht beseitigt werden, als völlig falsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir ist absolut klar, dass wir im Prozess bis zur vollständigen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe noch einen weiten Weg vor uns haben. Gleichwohl nähern wir uns diesem Ziel Schritt für Schritt. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt einen solchen Schritt dar. Unter diesem Gesichtspunkt ist die homosexuelle Partnerschaft, sofern wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen, unter steuerlichen Gesichtspunkten der Ehe gleich. Das halte ich für einen Fortschritt. Von diesem Punkt ausgehend wird die SPD-Fraktion weiterarbeiten, bis wir letztendlich das Ziel erreicht haben. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Junge, wir werden dem Gesetzentwurf auch zustimmen, weil er tatsächlich eine weitgehende Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung mit sich bringt. (Beifall bei der SPD) Trotzdem muss man heute darüber reden, welchen Unsinn Sie mit diesem Gesetz getrieben haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Ja! Sie in der Presse!) Wir müssen nämlich erneut mit ansehen, wie die Union auf dem Feld der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften eine ihrer letzten ideologischen Schlachten zelebriert. Ja, bei diesem Thema kommen bei Ihnen Herz und Bauch zusammen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. In der vergangenen Wahlperiode wurden Sie dabei von der inzwischen abgewählten FDP flankiert. In dieser Legislaturperiode reiben wir uns schlichtweg die Augen, was die SPD mit sich machen lässt oder machen lassen muss. Das ist unwürdig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Dann hättet ihr halt koalieren müssen!) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf war angekündigt, endlich die vollständige steuerliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften, wie vom Bundesverfassungsgericht eingefordert, vom Kaffesteuergesetz bis zur Abgabenordnung umzusetzen. Nun wird eine Einwortänderung in der Abgabenordnung zur Ko-alitionsräson erklärt. Absurder geht es wirklich nicht mehr, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Bundesverfassungsgericht hat in jedem seiner Urteile klargestellt, wie groß der Abstand zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft sein darf: nämlich genau null. Sie wissen es. Wir wissen es. Alle Menschen in diesem Lande wissen es. Doch was tun Sie? Sie unterlaufen diese Vorgaben nach wie vor. Sie verteidigen bis in die allerletzten Winkel der Gesetzgebung, bis in die Abgabenordnung hinein, die Privilegierung der Ehe. Sie beharren auf der Diskriminierung der Lebenspartnerschaft und bleiben bei Ihrer Politik der Nadelstiche, indem Sie ihre Berücksichtigung als gemeinnützigen Zweck, geregelt in der Abgabenordnung, nicht anerkennen wollen. Ein bisschen tröstlich ist, dass dies, ähnlich wie im letzten Jahr beim Ehegattensplitting, in der Praxis der Anerkennung der Gemeinnützigkeit wohl keine Rolle spielen wird. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das habt ihr aber vergessen in euren Pressemitteilungen zu erwähnen!) – Ja, wir hoffen es. Aber wir wissen es nicht. Wir hätten es als Bundestag klar regeln können. – Auch im letzten Jahr beim Ehegattensplitting war es der Union ein besonderes Anliegen, hinsichtlich der steuerlichen Gleichstellung etwas zu beschließen. Dabei haben Sie es geschafft, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2013 so zu verbiegen, dass Lebenspartner nicht wie Angehörige betrachtet werden und zwei getrennte Steuererklärungen abgeben müssen. Aber nachdem jede Finanzbehörde in diesem Land diesen Unsinn als nicht administrierbar kritisiert hat, ist nun damit endlich Schluss. Hoffentlich wird das auch im Fall der Gemeinnützigkeit so sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde es mindestens genauso bemerkenswert, mit welcher Vehemenz Sie eine gesetzliche Klarstellung beim Bundeskindergeldgesetz verhindern. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist nicht nötig!) Mir unterstellen Sie dabei auch noch in der gestrigen Pressemitteilung, ich hätte das alles nicht verstanden. Es geht darum, dass eine Verwaltungsanweisung angeblich viel besser und zielgenauer ist als eine gesetzliche Klarstellung. Sie wissen, dass das nicht stimmt. Wir hätten es hier einfach und klar gesetzlich regeln können. Nun ist eine zusätzliche Handlung notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der einzige Grund, warum das nun auf diesem Weg gemacht werden muss, ist, dass nicht das Finanzministerium, sondern das SPD-geführte Familienministerium zuständig ist. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Gute Frau!) Die CDU/CSU muss sich damit die Hände nicht schmutzig machen. Das finde ich einfach nur beschämend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Die Erklärung ist nicht ganz überzeugend!) – Das ist schon überzeugend, liebe Kollegin. Zum Beispiel hat das Justizministerium darauf hingewiesen, dass es besser gewesen wäre, das gesetzlich zu regeln. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Die Gründe, warum es anders gekommen ist, sind diejenigen, die ich gerade angeführt habe. Beamtenbesoldung, Erbschaftsteuer, Grunderwerbsteuer, Einkommensteuer und Sukzessivadoption – in Ihrem Kampf gegen das Verfassungsgericht liegen Sie 0 : 5 hinten. Aber Sie spielen noch immer auf Zeit. Was braucht es denn noch, damit Sie endlich umdenken? Wir geben Ihnen nun die letzte Gelegenheit. Wir haben zwei Änderungsanträge vorgelegt. Stimmen Sie ihnen zu! Ansonsten wird es mit Sicherheit weitere Urteile zum Beispiel zum Adoptionsrecht geben. Dann werden wir uns erneut mit Ihren verklemmten Rückzugstaktiken befassen müssen. Bei anderen Themen haben Sie es doch auch geschafft, die Oppositionsmeinung zu übernehmen. Lassen Sie den Menschen endlich den Gestaltungsfreiraum, der ihnen von unserer Verfassung her zusteht! Geben Sie den Lesben und Schwulen in diesem Land endlich eine Chance auf Nichtdiskriminierung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich das Wort dem Abgeordneten Philipp Graf von und zu Lerchenfeld, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzen wir heute die Vorgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 vollumfänglich um. Für manche Änderungen wurde durch die Erklärung der Bundesregierung Klarheit geschaffen – beispielsweise auf dem Gebiet des Bundeskindergeldgesetzes –, sodass sich Ihre Änderungsanträge total erledigt haben. Die Beschlussempfehlung unseres Ausschusses, das Gesetz in der jetzt vorliegenden Fassung, die durch einen Antrag auf eine notwendige Konkretisierung der Lebenspartnerschaften geändert wurde, anzunehmen, wird von allen Fraktionen mitgetragen, wie man hört. Von einigen Seiten – auch von Ihnen – wurden weiter gehende Änderungen gewünscht. Diese Änderungen entsprechen aber nicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die wir, wie gesagt, bereits in vollem Umfang umgesetzt haben. Insbesondere die Änderungswünsche hinsichtlich des § 52 Absatz 2 AO sind gerade nicht aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil abzuleiten. Das Schutz- und Fördergebot – ich ergänze hier: des Artikels 6 Grundgesetz – bildet einen sachlichen Differenzierungsgrund, der geeignet ist, die Besserstellung der Ehe gegenüber anderen, durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägten Lebensgemeinschaften zu rechtfertigen. Ich beziehe mich im Folgenden auf mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowohl aus dem Jahr 2012 als auch aus dem Jahr 2013. Das Grundgesetz stellt nämlich in Artikel 6 Absatz 1 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit garantiert die Verfassung nicht nur das Institut der Ehe, sondern gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung. Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt durch den Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz. Um diesem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Dies kommt im § 52 Absatz 2 Nummer 19 AO zum Ausdruck, wo die Förderung des Schutzes der Ehe und Familie als gemeinnütziger Zweck ausdrücklich anerkannt wird. Die Anerkennung der Förderung der Ehe und Familie als gemeinnütziger Zweck folgt somit unmittelbar aus dem Grundgesetz und muss auch in dieser Form erhalten bleiben. Die Anträge der Grünen sind aus zwei Gründen abzulehnen. Der eine ist die Erklärung der Bundesregierung, die sehr deutlich gemacht hat, dass kein Änderungsbedarf besteht; der andere Grund ist, weil sie über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinausgehen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, alle Fraktionen haben diesem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung zugestimmt und einstimmig eine Beschlussempfehlung für den Gesetzentwurf gegeben. Ich bitte Sie deshalb, dem Gesetzentwurf heute in dieser Fassung Ihre Zustimmung zu geben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1647, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1306 und 18/1575 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Zu diesen Änderungsanträgen auf den Drucksachen 18/1662 und 18/1663 liegen einige Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.2 Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1662. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag auf Drucksache 18/1662 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion abgelehnt bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Wir kommen zum zweiten Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1663. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag auf Drucksache 18/1663 ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD abgelehnt, dafür stimmten Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung einstimmig in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses einstimmig angenommen. (Beifall bei der SPD) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umwidmung nicht genutzter Bundesmittel der United Nations Mission in South Sudan (UNMISS) für die Unterstützung des unbewaffneten Schutzes der Zivilbevölkerung im Südsudan Drucksache 18/1614 Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt das Haus zu verlassen gedenken, darauf hinweisen, dass wir nach dieser Debatte noch eine ganze Reihe von Abstimmungen haben. Es wäre schön, wenn sich dazu auch noch Abgeordnete im Plenum befänden, die diese Abstimmungen vornehmen könnten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 19 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ende 2013 entbrannte im Südsudan ein blutiger Machtkampf zwischen den Truppen des ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar und der Regierungsarmee SPLA. Bis zum Waffenstillstand im Mai starben Tausende; etwa 800 000 Menschen mussten fliehen. Schon 2010, vor der Unabhängigkeit, als ich mit Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion im Südsudan vor Ort war, haben wir befürchtet, dass ein solcher Gewaltausbruch wieder möglich wäre. Es ist ungemein bitter, zu erleben, dass unsere Befürchtungen wahr geworden sind. Aufgrund unserer Beobachtungen haben wir 2011 einen Antrag mit konkreten Vorschlägen in den Bundestag eingebracht. Damals haben wir zum Beispiel gefordert: die Stärkung der Zivilgesellschaft, die langfristige -Unterstützung innersudanesischer Ansätze für zivile Konfliktbearbeitung, für Dialog, für Versöhnungs- und Traumaarbeit und dass sich die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat dafür einsetzt, dass ein künftiges UN-Mandat nicht der militärischen Logik folgt, sondern auf Konfliktlagen frühzeitig mit Mitteln der zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung deeskalierend reagiert. Dieses UN-Mandat mit dem Namen UNMISS wurde dann allerdings doch ein vorwiegend militärisches. Trotz eines Jahresetats von 924 Millionen US-Dollar und bis zu 7 000 Soldaten und 900 Polizisten im Einsatz konnte UNMISS gegen die Gewaltausbrüche nicht viel mehr tun, als Zehntausenden Flüchtlingen die Türen ihrer Stützpunkte zu öffnen. Das war ein wertvoller, aber kein ausreichender Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schon im Januar 2013 hatte eine unabhängige Evaluation ergeben, dass UNMISS vor allem politisch und zivil erfolgreich war. Deswegen gab es die Empfehlung, die militärische Komponente radikal zu reduzieren und gerade politische und zivile Kapazitäten aufzubauen. (Beifall bei der LINKEN) Das Gegenteil ist leider passiert, und das findet die Linke grundfalsch. (Beifall bei der LINKEN) Deutschland unterstützt UNMISS über den Peacekeeping-Haushalt der Vereinten Nationen, und Deutschland gibt noch extra Mittel für den Bundeswehreinsatz im Rahmen von UNMISS. Davon wird allerdings nur etwa ein Drittel jedes Jahr verbraucht. Allein im letzten Jahr sind 1,2 Millionen Euro übrig geblieben. Um diese Mittel geht es in unserem Antrag. Wir wollen sie einsetzen, um die Arbeit ziviler Akteure im Südsudan beim Schutz der Zivilbevölkerung zu fördern. (Beifall bei der LINKEN) Ich denke zum Beispiel an Nonviolent Peaceforce. Nonviolent Peaceforce ist eine internationale Organisation, die mit der lokalen Bevölkerung gemeinsam Schutznetzwerke aufbaut und damit erfolgreich gegen ethnische Spaltung agiert. Sie hat dafür gesorgt, dass in dem Konflikt Dinka Nuer geschützt haben und dass Nuer Dinka geschützt haben. Es wurden Gerüchte aufgeklärt, die zu Hass hätten führen können, und Flüchtlinge aus den Kampfgebieten unterstützt. Für eine solche -Arbeit braucht es eine flächendeckende, eine große Präsenz, vor allem in einem Riesenland wie dem Südsudan. Deswegen hat sich diese Organisation mit anderen Organisationen im South Sudan Protection Cluster vernetzt. Die Arbeit dieser Organisation, so wertvoll sie ist, kostet nicht viel. Aber selbst das wenige Geld, das sie braucht, fehlt. Deswegen werben wir dafür, mehr Mittel für genau diese Arbeit zur Verfügung zu stellen, um die Handlungsmöglichkeiten ziviler und gewaltfreier Organisationen zu verbessern und um damit mehr für den Schutz der Menschen vor Gewalt zu tun. Deshalb bitte ich Sie und werbe dafür: Unterstützen Sie unseren Antrag! Unterstützen Sie ziviles, unbewaffnetes Peacekeeping! Danke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in diesem Jahr schon sehr oft in diesem Hause darüber diskutiert, wie wir auf krisenhafte Situationen in der Welt angemessen reagieren können. Häufig waren damit militärische Einsätze und Aufträge verbunden. Aber insgesamt sind wir in knapp 50 Friedensmissionen weltweit unterwegs und tätig. Ich glaube, die Fraktion Die Linke darf durchaus für sich in Anspruch nehmen, dass sie sich mit dem Thema „zivile Friedensarbeit“ sehr intensiv auseinandersetzt. (Beifall bei der LINKEN) Es ist aber auch richtig, dass die Linken ein typisches Schwarz-Weiß-Schema anwenden, bei dem sie auf der einen Seite ein Bild von Frieden und Harmonie zeichnen und auf der anderen Seite den Einsatz militärischer Mittel verteufeln. Damit blenden sie einen großen Teil der Wirklichkeit aus, und damit tun sie so, als ob bei Konflikten wie im Südsudan oder auch andernorts allein mit zivilen Mitteln eine Besserung der Situation erreicht werden kann. Gerade das ist nicht der Fall. Wer Ihren Vortrag, Frau Vogler, gehört hat, dem ist deutlich geworden, dass eine rein zivile Antwort in einer solchen Situation schlicht nicht ausreicht. Ich glaube sehr wohl, dass wir in unserer Außenpolitik auch eigene Interessen zu verfolgen haben und dass wir ein Interesse daran haben, in europäischer Nachbarschaft letztlich für Frieden, für Sicherheit und für Stabilität zu sorgen. Genau dafür braucht man die UNMISS, die ganz erfolgreich gearbeitet hat und arbeitet. Was haben wir für eine Situation im Südsudan? Es ist ein vergleichsweise kleines Land mit gerade einmal 9 Millionen Einwohnern. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ein großes Land!) – Ein großes Land, gemessen an der Fläche, aber ein kleines Land, gemessen an der Einwohnerzahl. – Im Jahr der Unabhängigkeit wurden bereits 2,2 Milliarden Dollar an internationaler Hilfe eingesetzt. Im vergangenen Jahr – Sie haben die Zahl selber genannt – waren es 925 Millionen Dollar. Im Mai hat eine internationale -Geberkonferenz entschieden, die zugesagten Mittel zu verdoppeln. Es fließt unheimlich viel Geld in dieses Land. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Darüber hinaus müssen wir, glaube ich, zur Kenntnis nehmen, dass die Grundvoraussetzungen im Südsudan gar nicht schlecht sind, weil insbesondere aus den -Ölvorkommen in den vergangenen Jahren Erlöse in Milliardenhöhe geflossen sind. Das heißt, es ist keine Frage des Geldes. Man muss vielleicht sehr viel eher überlegen, wie man die vorhandenen Mittel richtig einsetzt und Eigenverantwortung vor Ort entwickelt. Dazu gehört, dass man klare Erwartungen damit verbindet und diese auch formuliert. Frau Vogler, Sie sind auch darauf eingegangen, dass der dahinterliegende ethnische Konflikt zwischen den Volksstämmen der Dinka und Nuer, der sich letztlich auch in den beiden Personen des Präsidenten Kiir und des Rebellenführers Machar abbildet, die große Konfliktlinie in diesem Land ist. Deshalb, glaube ich, ist es ganz entscheidend, dass man es schafft, die Parteien wieder an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Der Friedensschluss vom Mai dieses Jahres war ein erstes zartes Pflänzchen, das sich da gezeigt hat, und jetzt geht es darum, diesen Friedensschluss nachhaltig umzusetzen. Es ist wahr, dass unvorstellbare Gräueltaten im Südsudan heute wieder an der Tagesordnung sind, dass es Verfolgung gibt, dass Kinder als Soldaten missbraucht werden, dass eine Hungerkatastrophe im Anzug ist und vieles mehr. Über 10 000 Menschen haben in diesem Konflikt erst jüngst ihr Leben verloren, und – Sie haben es selbst gesagt – etwa 60 000 Flüchtlinge haben Camps von UNMISS zum Schutz erreichen wollen und auch -erreicht. Daran wird klar, dass rein zivile Mittel und -Bürgernetzwerke auf Dorfebene, wie es beispielsweise Nonviolent Peaceforce macht – sicherlich eine sehr gute Arbeit –, den Anforderungen angesichts der Situation vor Ort letztlich nicht gerecht werden, sondern das eigentliche Problem die fehlende Staatlichkeit, die fehlenden Strukturen sind. Genau darauf und auf die Probleme in der Justiz – Korruption und dergleichen mehr – ist UNMISS die richtige Antwort. Es ist die richtige Antwort, weil es sich dabei nicht um einen Kriegseinsatz handelt, sondern um eine Beobachtermission, in der 12 500 Soldatinnen und Soldaten aus 66 Nationen ihren Auftrag in einer hervorragenden Art und Weise erledigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir glauben, das Problem besteht nicht darin, dass da zu wenig Geld im Spiel ist; wir müssen letztlich auf Eigenverantwortung und auf die richtigen Rahmenbedingungen vor Ort setzen. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Genau das tun wir. Deshalb werben wir dafür, Ihren Antrag abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Sit and wait is no option.“ Diesen starken Satz hat Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt. Er wurde breit verstanden als Abkehr von der Kultur der militärischen Zurückhaltung. Das wäre ein Kurs, den wir Grüne klar ablehnen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie hat danach gesagt – das haben Sie von der Koalition immer wieder betont –, es gehe vor allem darum, -zivile Instrumente zur Konfliktlösung und zur Krisenprävention einzusetzen. Das ist die Botschaft, mit der Sie die neuen „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“ gerade verkaufen. Was tun wir denn genau in Afrika? Es gab in den letzten Monaten schöne Bilder von der Mali-Reise der -Verteidigungsministerin. Es gibt die schreckliche Gewalteskalation in der Zentralafrikanischen Republik, wo der deutsche Beitrag zur Konfliktlösung mit Blick auf den zivilen Bereich ehrlicherweise mehr als bescheiden ist. Während wir alle hier sehr abstrakt über Afrika diskutieren, ist im Südsudan Folgendes passiert: Präsident Salva Kiir und der Exvizepräsident Machar haben ihren persönlichen Machtkampf anhand ethnischer Linien -blutig eskalieren lassen. Es ist ein humanitäres Desaster eingetreten. Es gab über 20 000 Todesopfer, wobei die genauen Zahlen nicht gesichert sind; es sind wahrscheinlich viel mehr. 1,5 Millionen Menschen sind im Süd-sudan intern vertrieben. 863 000 Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Es droht eine Hungerkatastrophe. Die UN sagen, dass sie in den nächsten drei Jahren 1,1 Milliarden Euro brauchen. Es ist zu grausamsten Menschenrechtsverletzungen gekommen. Todesschwa-dronen sind durch das Land gezogen. Das Ausmaß an sexueller Gewalt ist wirklich erschreckend. Kinder wurden als Soldaten rekrutiert. Es ist eine desaströse Situation, die wir dort gesehen haben. Dazu gab es aber kaum ein Wort von Verteidigungsministerin von der Leyen und von Außenminister Steinmeier, obwohl die Bundeswehr im Rahmen der UN-Friedensmission UNMISS dort vor Ort ist. Ich habe die Bundesregierung in den letzten Wochen mehrfach gefragt, wie sie innerhalb der Vereinten Nationen zu dem Thema Individualsanktionen bezüglich der zwei – anders kann man sie nicht nennen – Verbrecher steht. Bis heute hat die Bundesregierung hierzu keine klare Haltung eingenommen. Damit haben sich Ihre großen Ankündigungen von der neuen Verantwortung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für mich ein Stück weit als Showreden an die Adresse der westlichen Partner entlarvt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In dem Antrag der Linken wird gefordert, nicht abgerufene Haushaltsmittel für UNMISS in den unbewaffneten Schutz der Zivilbevölkerung zu investieren. Herr Kollege Frei, egal wie lange ich darüber nachdenke, ich kann darin nichts Falsches sehen. Es ist eine absolut richtige Forderung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, ich bin wirklich sehr positiv überrascht über Ihren Antrag und auch darüber, dass Sie so klar einräumen, das UNMISS einen sehr wertvollen Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung geleistet hat. Über 93 000 Menschen haben dort Zuflucht gefunden. Ich bin denjenigen, die im Rahmen von UNMISS ihren Dienst tun, zutiefst dankbar für jeden Einzelnen, den sie vor Gewalt retten konnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist völlig richtig – das tun auch Sie in Ihrem Antrag –, zu der Konzeption von UNMISS kritische Fragen zu stellen und kritische Punkte anzumerken. Aber ich finde, dieser Antrag und auch die Rede der Kollegin Vogler stehen in einem sehr wohltuenden Kontrast zu den Reden, die Sie von der Linkspartei sonst zum Teil hier gehalten haben. Teilweise haben Sie, wie ich finde, mit sehr konstruierten Argumenten den UNMISS--Einsatz abgelehnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Antrag wäre aber noch besser gewesen, wenn Sie noch weitere Forderungen aufgenommen hätten, zum Beispiel die Forderung, UNMISS zu stärken und zu verändern. Da geht es um mehr Personal – es kann ja auch ziviles Personal sein, es muss nicht immer militärisches Personal sein –, es geht um Transportkapazitäten. Jetzt schaue ich in Richtung Bundesregierung: Es geht darum, die Mittel für die humanitäre Hilfe zu erhöhen. Herr Außenminister Steinmeier hat 6 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Wir brauchen aber, wie gesagt, über 1 Milliarde Euro. Die Bundesregierung muss klare Position beziehen und sagen: Wenn die beiden Kontrahenten den Waffenstillstand nicht umsetzen und keine Vereinbarungen für die Zukunft treffen, dann muss politischer Druck ausgeübt werden und dann müssen endlich Sanktionen verhängt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, „Sit and wait is no option.“ Wenn das mehr als nur schöne Schaufensterreden sein sollen, dann sollten Sie dem Antrag der Linken zustimmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Gabriela Heinrich, SPD Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Hunger, Armut, Gewalt, Flucht, Vertreibung und Tod kommen im Südsudan derzeit zusammen. Die Lage der Menschen im Südsudan – das wurde bereits erwähnt – ist katastrophal. In einer solchen Situation geht es jetzt darum – es geht uns allen darum –, den Menschen zu helfen, so schnell wie irgend möglich. Deswegen unterstützen wir als -Bundesrepublik zum einen UNMISS, die Mission der Vereinten Nationen im Südsudan. Sie hat den klaren Auftrag, die Zivilbevölkerung zu schützen und die humanitäre Hilfe abzusichern. Der Antrag der Linken erkennt an, dass UNMISS einen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung geleistet hat und nennt dabei die Öffnung der UNMISS-Stützpunkte für – das sind meine Zahlen – 65 000 Vertriebene. Es ist auch richtig, dass UNMISS nicht im ganzen Land für -Sicherheit sorgen kann. Auch UNMISS-Soldatinnen und -Soldaten sind Angriffen ausgesetzt. Ein Beispiel dafür ist der Angriff von Bewaffneten auf ein UNMISS-Gelände in Bor vor zwei Monaten mit mindestens 48 Toten. Selbst die Welthungerhilfe fordert deshalb, die Schutzfunktion für die Zivilbevölkerung im Rahmen der Erneuerung von UNMISS auszuweiten, wobei auch Deutschland seinen Beitrag leisten soll. Die Frage, ob und wie wir UNMISS weiterentwickeln, wird uns sehr bald beschäftigen. Fest steht, dass die Forderung der Linken nach unbewaffnetem Schutz der Zivilbevölkerung, wenn sie als Alternative zu UNMISS gemeint sein sollte, komplett an der Realität des Landes vorbeigeht. Dabei ist die Beteiligung an UNMISS bei weitem nicht der einzige Beitrag Deutschlands. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat auf der Geberkonferenz in Oslo – das wurde bereits erwähnt – vor kurzem 6 Millionen Euro für weitere humanitäre Hilfe zugesagt. Ich würde schon sagen, dass sich der Außenminister an dieser Stelle zur Situation des Landes geäußert hat. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin Heinrich, es gibt den Wunsch nach einer Frage von Frau Kollegin Vogler. Möchten Sie sie zulassen? Gabriela Heinrich (SPD): Bitte. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Frau Kollegin, eigentlich hat es mir schon beim Kollegen Frei in den Fingern gejuckt, aber jetzt erwischt es Sie. Ich kann den Beiträgen der Regierungskoalition nicht entnehmen, dass Sie unseren Antrag wirklich gelesen haben. (Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir fordern darin nicht, UNMISS umgehend einzustellen. Wir fordern nur, dass die Bundesregierung die Mittel, die sie für UNMISS bereits eingeplant hatte, freigibt, um damit andere zivile und gewaltfreie Organisationen, die bereits erfolgreich arbeiten, zu fördern und es ihnen zu ermöglichen, den Schutz der Zivilbevölkerung zu organisieren. Es handelt sich nur um einen winzigen, kleinen Anteil des Gesamtbeitrages, der über die Vereinten Nationen in das UNMISS-Budget fließt. Ich verstehe nicht, zu welchem Antrag Sie hier reden. Wir reden über einen sehr konkreten Antrag. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht um eine relativ kleine Summe, mit der sehr viel bewegt und verändert werden kann. Wenn Sie sagen, Sie lehnen einen Antrag von uns ab, dann können Sie ihn gerne abschreiben und das Geld von anderer Stelle nehmen. Woher Sie es nehmen, ist mir letzten Endes egal. Wichtig ist mir, dass es bei den Menschen und Organisationen ankommt, die zum Schutz der Zivilbevölkerung, der Menschen im Südsudan, die sich in dieser fürchterlichen Situation befinden, beitragen; denn sie haben effektiv gearbeitet. Sie haben Erfolge erzielt. Ohne diese Organisationen wäre im letzten Bürgerkrieg noch viel mehr passiert. Deshalb muss man diese Ansätze ausbauen und fördern. Insofern bitte ich Sie: Sprechen Sie einmal konkret zu diesem Antrag, der vorliegt, und verhalten Sie sich dazu. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gabriela Heinrich (SPD): Frau Vogler, ich werde mich sofort dazu verhalten. Ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen. Dieser Antrag hat unzweifelhaft für die SPD einen gewissen Charme. Ich habe mich auch erkundigt, ob eine Umwidmung dieser Mittel möglich wäre, habe aber eine abschlägige Antwort erhalten; dazu komme ich noch. Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir alle miteinander den Menschen im Südsudan so schnell wie möglich helfen wollen. Ich möchte aber in meinen Ausführungen darstellen, dass Deutschland sich sehr wohl seiner Verantwortung bewusst ist und an dieser Stelle im Moment sehr viele Mittel einsetzt. Wir können nachher noch einmal darüber reden. Ich komme nun zu meinen Ausführungen zurück. Die Beteiligung an UNMISS ist bei weitem nicht der einzige Beitrag Deutschlands. Ich habe es schon gesagt: Der Außenminister hat 6 Millionen Euro für weitere humanitäre Hilfe zugesagt. Insgesamt werden wir allein für humanitäre Hilfe in diesem Jahr 12,5 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist dringend notwendig – da gebe ich Ihnen völlig recht –, und ich bin sehr froh, dass sich der Außenminister hier entsprechend einsetzt. Der Entwicklungsminister hat bereits im März 10 Millionen Euro für das Welternährungsprogramm zugesagt. Mit einem Quick Response Fonds in Höhe von 5 Millionen Euro wird Deutschland Hilfeleistungen von Nichtregierungsorganisationen im Südsudan unterstützen, zum Beispiel die Verteilung von Saatgut. Weitere 7,5 Millionen Euro werden Nichtregierungsorganisationen vor Ort erhalten. Aber erst Ende April konnte ein Expertenteam aus Deutschland wieder einreisen und versucht jetzt, die Hilfe unter sehr schwierigen Bedingungen zu starten. Die bisherigen Waffenstillstandsabkommen – da werden Sie mir recht geben – sind brüchig. Deutschland und die EU werden weiter mit ganzer Kraft – ein Kollege hat darauf hingewiesen – die afrikanischen Vermittlungsbemühungen unterstützen, hier weiter voranzukommen, und das aus gutem Grund: Der politische Konflikt um die Macht, um Geld und um Öl ist der Kernkonflikt in diesem Land, an dem alles Weitere hängt. Ohne eine belastbare Einigung werden wir keinen nachhaltigen Frieden im Südsudan erhalten. Wir werden auch nachgelagerte Konflikte nicht lösen können, solange die Wurzel des Konflikts unverändert besteht. Um es zusammenzufassen: Die deutsche Unterstützung für den Südsudan ist weit mehr als die Beteiligung an UNMISS. Die im Antrag der Linken angesprochene unbewaffnete Friedenssicherung – ich habe es schon gesagt – hat für die SPD durchaus einen speziellen Charme. Wir unterstützen seit langem den Zivilen Friedensdienst, dessen Gründung unter Rot-Grün von Heidemarie Wieczorek-Zeul vorangetrieben wurde. Die Große Koalition bekennt sich zum einst von Rot-Grün verabschiedeten Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktforschung und Friedenskonsolidierung“. Das BMZ finanziert weltweit Projekte der deutschen Friedens- und Entwicklungsorganisationen, die den Zivilen Friedensdienst tragen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, aber im Südsudan nicht mehr!) Die Stärkung des Zivilen Friedensdienstes war und ist gerade für uns als SPD ein wichtiges Anliegen; das haben wir auch bei den diesjährigen Haushaltsberatungen deutlich gemacht. Ich denke, an dieser Stelle müssen wir uns nichts vorhalten lassen. Aber davon abgesehen, dass eine Umwidmung im Haushalt nicht möglich ist, darf man UNMISS und die zivile Friedenssicherung nicht gegeneinander ausspielen. Auch wenn es in einzelnen Dörfern – ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen – möglich sein mag, dass Menschen ihre Nachbarn, die einer anderen ethnischen Gruppe angehören, schützen: 800 000 Menschen, Binnenflüchtlinge, sind im Südsudan aktuell auf der Flucht, mindestens 20 000 Menschen – die Zahl wurde schon genannt – sind getötet worden. Das Land befindet sich mitten im Konflikt. Beobachter berichten von Leichen am Straßenrand und stündlichen Übergriffen der verschiedenen Milizengruppen. Zuletzt sollen im April bei der Eroberung der Öl-Hauptstadt Bentiu allein 200 Zivilisten ermordet worden sein, die in einer Moschee Zuflucht gesucht hatten. Es soll eine regelrechte Jagd auf Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gegeben haben. Die Truppen der Vereinten Nationen konnten einige Hundert Zivilisten in das UNMISS-Camp evakuieren. Hier müssen wir die Parallelen zu Ruanda beachten. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Bitte?) Auch dort ging es ursprünglich nicht um einen ethnischen Konflikt, sondern um die Instrumentalisierung der ethnischen Zugehörigkeit. Am Ende stand in Ruanda ein Völkermord. Auch im Südsudan instrumentalisieren die Konfliktparteien die ethnischen Zugehörigkeiten. Es wurde und es wird Hass im Südsudan gesät, der letztlich zu einer Spirale von Gewalt und Gegengewalt geführt hat und weiter führen wird. Ich halte es deshalb für eine Illusion, zu glauben, dass aktuell unbewaffnete, zivile Kräfte ein weiteres Blutvergießen verhindern können. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber sie tun das! Jeden Tag! In einer unmöglichen Situation!) Wir müssen jetzt die Grundlagen dafür schaffen, dass sich die Menschen wieder frei und ohne Angst vor Gewalt bewegen und ihre Felder bestellen können. Dann kann auch die Entwicklungszusammenarbeit wieder mit voller Kraft anlaufen. Die Aufarbeitung und die Versöhnung im Land müssen darauf aufbauen, um die Gefahr künftiger Konflikte zu verringern und den Frieden nachhaltig abzusichern. Aber zuvor muss die internationale Gemeinschaft darauf hinwirken, dass der Waffenstillstand dauerhaft eingehalten wird. Mit Ihrem Antrag werden Sie unserer Ansicht nach der aktuellen Situation im Südsudan nicht gerecht, und daher werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit weniger Geld wäre es besser, oder was?) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das Wort der Abgeordneten Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns der nicht tragbaren, katastrophalen Lage im Südsudan bewusst, katastrophal vor allem für die zivile Bevölkerung, die leider – wie so oft – Leidtragende politischer und ethnischer Machtkämpfe ist. Ihr Schutz – da sind wir uns alle einig – ist und bleibt oberste Priorität für jede Hilfeleistung Deutschlands und der Vereinten Nationen. Dies hat der Sicherheitsrat in seiner letzten Resolution auch bewusst mit der Fokussierung der UNMISS auf den Schutz der Zivilbevölkerung und der humanitären Hilfe klargestellt. Auch Bundesminister Dr. Müller hat bestätigt, dass bereits um die 30 Millionen Euro an finanziellen Zusagen bereitgestellt wurden und mit der Umsetzung der humanitären Hilfe zügig begonnen wurde. Im laufenden Jahr sollen die Mittel noch einmal substanziell gesteigert werden. Gerade vor diesem Hintergrund lautet meine Antwort auf den Antrag der Fraktion Die Linke: Wir brauchen die im Einzelplan vorgesehenen Bundesmittel für internationale Einsätze der Bundeswehr auch weiterhin an dieser Stelle. In Krisengebieten, wie es der Südsudan ist, kann nur die VN-Mission den nötigen Rahmen für eine wirkungsorientierte humanitäre Hilfe bilden. Die Bundeswehr vor Ort muss voll handlungsfähig bleiben. Wenn die Lage im Südsudan allein durch Geld, insbesondere durch die von der Linken vorgeschlagene Umbuchung, zu lösen wäre, glauben Sie dann ernsthaft, dass wir uns zu einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte entschlossen hätten, (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Ja! – Allerdings!) bei dem Bundeswehrsoldaten auch ernsten Gefahren ausgesetzt wären? (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Leider ja! – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist traurig und peinlich, was Sie hier machen!) Vor allem ist der Antrag schlichtweg nicht mit der Haushaltssystematik, insbesondere der Jährlichkeit der Mittel, vereinbar. Die Linke verkennt, dass die nicht verwendeten Haushaltsmittel aus dem Einzelplan 14, die zunächst für die UNMISS vorgesehen werden, nicht einfach ungenutzt bleiben, sondern umgehend in andere internationale Missionen der Bundeswehr wie zum Beispiel MINUSMA fließen, wo sie auch dringend benötigt werden. Die Rolle und Notwendigkeit von UNMISS muss hervorgehoben werden. Der Südsudan ist seit der Sezession im Jahr 2011 der jüngste Staat der Erde. Er ist aus einer Rebellenbewegung heraus entstanden, die sich noch immer vor der strukturellen Herausforderung der neu gewonnenen Staatlichkeit sieht. Machen wir uns nichts vor: Unser Verständnis von Staatlichkeit, ja Rechtsstaatlichkeit und von einer Regierung ist hier völlig verfehlt. Es handelt sich um eine Regierung, die sich in den politischen Machtkämpfen auf blutige Weise durchgesetzt hat. Im Mittelpunkt steht der ethnische Konflikt zwischen den vom Präsidenten Kiir geführten Dinka und den hinter dem ehemaligen Vizepräsidenten Machar stehenden Nuer. Auch wenn es im Mai dieses Jahres auf internationalen Druck hin zu einer Friedensvereinbarung kam, ist dies leider kein Garant für eine andauernde Stabilität. Auf Grundlage dieser Analyse stellt sich nun die Frage, welche Unterstützung die Bevölkerung benötigt. Sehr schnell komme ich zu dem Schluss: Unbewaffneter Schutz ist hierbei ein Widerspruch in sich. (Lachen bei der LINKEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Fahren Sie mal hin!) Dies zeigen die Überfälle auf und in Flüchtlingslagern. Zentraler Punkt muss die Hilfe zur Selbsthilfe beim Aufbau eines neuen Staates sein. Doch dazu ist es meiner Ansicht nach noch zu früh. Auf den Trümmern eines Bürgerkrieges lässt sich schwer ein stabiler Staat bilden, der der Bevölkerung Sicherheit bieten kann. Ich spreche hier noch nicht einmal von einer Sicherheit im Sinne des erweiterten Sicherheitsbegriffes, die den Bürgern Schutz nach innen und außen gewährt, auch wenn ich der Meinung bin, dass der erweiterte Sicherheitsbegriff als langfristiges Ziel im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für Afrika von der internationalen Gemeinschaft gelebt werden muss. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch zynisch!) Nein, ich spreche zunächst von einem grundlegenden Sicherheitsgefüge, welches ein Staat seiner Bevölkerung gewährleisten sollte. In einem Staat, der von einer Rebellenarmee ohne Loyalität und Kohäsion unterstützt wird, ist dies nicht möglich. Deswegen ist der bewaffnete Einsatz der VN so wichtig. Bewaffneter Einsatz heißt ja nicht, dass die Vereinten Nationen mit gezogener Waffe vor Ort handeln. Bewaffneter Einsatz heißt, dass es ein robustes Mandat gibt und die Angehörigen von UNMISS ihr Mandat notfalls auch durch Androhung – und erst in der höchsten Eskalationsstufe durch Anwendung – von staatlicher Waffengewalt durchsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Bewaffnung dient letztlich auch dem Selbstschutz der Soldaten. Die Leistung der VN möchte ich hier ganz deutlich hervorheben; denn so wirkungslos, wie uns die Linke das in ihrem Antrag schildert, ist UNMISS keinesfalls. Auch UNMISS hat „Friedensfachkräfte“, bringt den „Friedensprozess“ voran und baut „Friedensinfrastrukturen“ auf. Diese Begriffe schreibt die Linke in ihrem Antrag aber nur den Organisationen zu, die mit dem Antrag unterstützt werden sollen. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht! Das steht in dem Antrag drin!) Der Antrag verkennt die schützende und verbindende Rolle, zu der auch die Bundeswehr ihren Teil beiträgt. Wie kann der geforderte Entzug von Bundesmitteln für UNMISS – nichts anderes ist die Umwidmung – diese Lage verbessern? (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist eine absolut absurde Debatte hier!) Die richtige Antwort auf gestiegene Soldatenzahlen bei den Rebellenarmeen sieht für mich anders aus. Ich bin, wie anfangs gesagt, der festen Überzeugung, dass nur das Militär den Rahmen für eine wirkungsvolle humanitäre Hilfe im Südsudan bilden kann. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Gut -auswendig gelernt!) Ich erkenne selbstverständlich die Leistung der zivilen Akteure vor Ort an und verweise auf die zahlreichen Programme, die die Bundesregierung bereits unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerade jetzt, in dieser instabilen Lage, müssen die vorgesehenen Mittel aus dem Einzelhaushalt für die Bundeswehr schnell abrufbar sein. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das passt Ihnen ideologisch nicht in den Kram, oder?) Wir stehen dort in der Verantwortung. Denn wenn erneut blutige Auseinandersetzungen drohen, hilft den Menschen vor Ort vor allem auch der bewaffnete Einsatz. In einem Land, in dem Krankenhäuser überfallen und Menschen willkürlich umgebracht werden, braucht die Bundeswehr den finanziellen Rückhalt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich zumindest möchte nicht die Verantwortung dafür tragen, zivile Helfer ohne bewaffneten Schutz in dieses Krisengebiet zu entsenden. (Beifall bei der CDU/CSU – Inge Höger [DIE LINKE]: Das wollen die gar nicht!) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1614 mit dem Titel „Umwidmung nicht genutzter Bundesmittel der United Nations Mission in South Sudan (UNMISS) für die Unterstützung des unbewaffneten Schutzes der Zivilbevölkerung im Südsudan“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir haben jetzt noch eine ganze Reihe von Abstimmungen vorzunehmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes und des Legehennenbetriebsregistergesetzes Drucksache 18/1286 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/1639 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Das heute behandelte Gesetz scheint auf den ersten Blick rein bürokratischer Natur zu sein. Es hat sich auf der EU-Ebene wieder etwas geändert – oder auch die Bundesministerien heißen anders –, und schon muss ein neues Gesetz her. Ja, es müssen auch Bezugnahmen im nationalen Recht auf das EU-Recht angepasst werden. Wenn man sich aber gründlich mit der Vorlage beschäftigt, erkennt man, dass es in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Rindfleisch-etikettierungsgesetzes und des Legehennenbetriebs-registergesetzes um viel mehr geht, nämlich: um den gesundheitlichen Verbraucherschutz, den Schutz der Verbraucher vor Täuschung und Tierwohl. Um es vorwegzunehmen: Nein, mit der Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes wollen wir keinen neuen sprachlichen Rekord aufstellen und das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz in der Länge des Namens überbieten. Wir wollen die notwendigen technischen Anpassungen vornehmen, damit dieses wichtige Gesetz richtige Verweise enthält. Nur so können wir sicherstellen, dass das Gesetz zur besonderen Etikettierung von Rindfleisch weiterhin die Verbraucher vor gesundheitlichen Risiken schützt. Denn wir dürfen nicht vergessen, wo-rauf diese gesetzlichen Vorgaben zurückzuführen sind. Sie wurden als Reaktion auf die BSE-Krise eingeführt und bewähren sich bis heute. Bei den Änderungen des Legehennenbetriebsregistergesetzes handelt es sich nicht nur um Verweiskorrekturen. Es wird die Überwachung der Legehennenhaltung in Deutschland verbessert, indem die Regelung der Kennnummernvergabe für Legehennen haltende Betriebe geändert wird. Die neue Regelung ermöglicht es, insbesondere Betrugsfällen zu begegnen, wie es sie im Februar 2013 mit Bioeiern gab. Die Medien berichteten von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen mehr als 100 Legehennenbetriebe. Der Vorwurf: Überbelegung der Ställe. Hinzu kommt, dass die Eier zu Unrecht als Bioprodukt vermarktet wurden und so die Verbraucher getäuscht wurden. Ferner wurde durch die Überbelegung der Ställe das Mehr an Tierwohl, das in der Biohaltung eingehalten werden muss, eingeschränkt. Um derartigen Betrügereien besser entgegenzusteuern, wird es den Kontrollbehörden künftig möglich sein, aufgrund der Anzahl der vermarkteten Eier in Verbindung mit durchschnittlichen Legeleistungen Rückschlüsse auf die tatsächliche Anzahl der gehaltenen Tiere zu ziehen. So werden der Schutz der Verbraucher vor Täuschung und das Tierwohl gestärkt. Wir sind uns alle einig, dass Missstände in der Landwirtschaft konsequent aufgeklärt, behoben und gegebenenfalls auch sanktioniert werden müssen. Und dies unabhängig davon, ob es sich um ökologische oder konventionelle Landwirtschaft handelt. Denn für uns Christdemokraten ist klar: Gesundheitlicher Verbraucherschutz steht an erster Stelle. Ebenso steht es für uns fest, dass sich alle Beteiligten an die Regeln halten müssen. Da hilft es nicht weiter, ideologisch die einen für die Guten und die anderen für die Bösen zu erklären. Unsere Bauern – egal, nach welchem Haltungssystem sie wirtschaften – sind in Sachen Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz spitze. Sie sind Vorreiter nicht nur in Europa, sondern auch weltweit. Darauf können wir stolz sein, dafür haben wir unseren Landwirten höchsten Respekt zu zollen. Selbstverständlich soll das nicht heißen, dass bei uns alle Probleme gelöst sind. Deswegen sind wir – gemeinsam mit der Bundesregierung – am Ball und kämpfen für eine bäuerliche Landwirtschaft mit ihrer Vielfältigkeit an Haltungssystemen und hohem Verantwortungsbewusstsein für Mensch, Tier und Umwelt. Marlene Mortler (CDU/CSU): Wir reden über die Rindfleischetikettierung und es ist ziemlich spät am Abend. Ganz ehrlich, das ist kein schlechtes, es ist ein richtig gutes Zeichen. Denn nach stürmischen Zeiten in Sachen Rindfleisch ist wieder Alltag eingekehrt. Vor 15 Jahren war BSE das große Thema auf den Titelseiten unserer Boulevardblätter. Ein Gespenst ging um in Europa, ein reales Gespenst. Die Menschen hatten Angst vor einer neuen großen Epidemie. In Großbritannien erkrankten die Rinder reihenweise, ganze Herden wurden gekeult. Ich will nicht sagen, dass BSE und die hiervon wohl ausgelöste Creutzfeld-Jakob-Krankheit – ganz bewiesen ist das ja immer noch nicht – überwunden seien. Aber es ist doch gelungen, die Krankheit ganz erheblich einzudämmen. In den letzten fünf Jahren gab es in Deutschland gerade einmal zwei Fälle. Das kommt nicht von nichts. Wir haben wirklich etwas erreicht, Bund, Länder, Fleischverarbeitung und Bauern gemeinsam. Zusätzlich zu den allgemeinen Vorschriften des Lebensmittelrechts und der Lebensmittelkennzeichnung gibt es beim Rindfleisch ein System, das die Herkunft jedes Steaks und jeder Rindswurst transparent macht. Sie können heute von der Bedientheke an den Weg jedes Stückes Rindfleisch über alle Vermarktungs- und Erzeugungsstufen zurückverfolgen bis in den Stall, ja sogar bis zu einer konkreten Gruppe von Tieren. Und Sie können ablesen, wo ein Tier geboren, gemästet, geschlachtet und zerlegt wurde. Unser Transparenz- und Überwachungssystem hat in den letzten Jahren ausgezeichnet funktioniert, und so soll es auch in Zukunft bleiben, weil dieses System das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten, unser aller Vertrauen, in unser Rindfleisch wieder hergestellt hat. Ich möchte sagen: Vertrauen, das heute absolut berechtigt ist. Es ist beim Rindfleisch wie bei fast allen Lebensmitteln: Sie sind heute so sicher wie noch nie zuvor. Und so muss es in Zukunft auch bleiben – das ist das klare Ziel unserer Fraktion. Es ist deshalb keine große Nachricht, wenn wir heute eine Reihe von Verweisregeln des Rindfleisch-etikettierungsgesetzes an den Stand der europäischen Rechtsetzung anpassen. Ich muss gar nicht im Einzelnen beschreiben, was wir durch welche Regelung wie genau ersetzen. Die Nachricht, die dahinter steht ist: Mit dem System der Rindfleischetikettierung, das wir nach dem Auftauchen von BSE aufgesetzt haben, können wir weitermachen. Es hat sich bewährt. Mehr als über Rindfleisch wurde zuletzt über Hühner und Eier gesprochen. Nicht weil es dort Krankheiten oder Gefährdungen, geschweige denn einen Gesundheitsskandal gegeben hätte, sondern weil das eine oder andere schwarze Schaf unter die Biobauern gegangen ist – und damit erheblichen Imageschaden an der Branche ausgelöst hat. Ich denke etwa an den Fall, der im April ans Licht gekommen ist: Ein Landwirt aus Niedersachsen hatte in großem Stil konventionelle Hähnchen als Neuland-Hähnchen verkauft und damit die Käufer geprellt. Weil wir beim Rindfleisch mit der Herkunftsverfolgung gute Erfahrung gemacht haben, ist es richtig, das System der Kennnummernvergabe auch bei der Legehennenhaltung fortzuentwickeln. Deswegen ändern wir hier auch das Gesetz mit dem griffigen Titel Legehennenbetriebsregistergesetz. Wir wollen, dass über die Kennzeichnung die Anzahl der vermarkteten Eier sichtbar wird und man dadurch Schlüsse auf die Menge der Hühner in einem Stall ziehen kann, weil wir Überbelegungen verhindern wollen. Das geschieht aus drei guten Gründen: erstens natürlich wegen des Tierschutzes, zweitens zum Schutz all jener Landwirte, die sich an die Regeln halten und die deshalb nicht mit Wettbewerbsnachteilen bestraft werden dürfen, und drittens zum Schutze der Verbraucherinnen und Verbraucher, die wie beim Rindfleisch darauf vertrauen können sollen, dass sie das essen, was sie zu essen meinen. Ich sage nur Neuland. Ich finde es gut, dass das Gesetz nun auch eine bußgeldrechtliche Ahndungsmöglichkeit vorsieht – auch das dient dem Schutz aller, die ihren Pflichten rechts-treu nachkommen. Meine Damen und Herren, der Abend ist spät, der Freitagmorgen nah. Aber wenn wir dieses Gesetz jetzt verabschieden, dann kann ich Ihnen für Ihr morgiges Frühstücksei, für die leckere Scheibe Roastbeef mit besonders gutem Gewissen einen guten Appetit wünschen. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): 2013 war nicht gerade arm an Lebensmittelskandalen. Wir erinnern uns: Parallel zum Pferdefleischskandal wurde im Februar letzten Jahres bekannt, dass Millionen falsch deklarierter Eier in Umlauf geraten waren. Eierproduzenten hatten zu viele Hennen auf zu wenig Platz gehalten. Was als Freiland- oder Bio-Ei verkauft wurde, hätte allerhöchstens noch als Ei aus Bodenhaltung angeboten werden dürfen. Einmal mehr ist das Vertrauen der Verbraucher in Lebensmittel und Lebensmittelüberwachung erschüttert worden. Um Verbraucher künftig besser vor solchen Täuschungsfällen zu schützen und der Lebensmittelüber-wachung die Kontrolle von Legehennenbetrieben zu -erleichtern, haben wir nun das Legehennenbetriebs-registergesetz geändert. Die geplante Änderung wird es den Behörden einfacher machen, eine Überbelegung von Ställen zu ermitteln und zu ahnden. Zeitgleich aktualisieren wir auch das Rindfleisch-etikettierungsgesetz. Wir passen Definitionen und Bezeichnungen an, die sich mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik auf EU-Ebene geändert haben. Das war dringend notwendig. In Sachen Legehennen gilt es nun allerdings noch eine weitere Überwachungslücke zu schließen. Um die Besatzdichten in Legehennenbetrieben tatsächlich effektiv kontrollieren zu können, müssen die Brütereien und die Junghennenaufzucht in die Überwachungskette integriert werden. Herr Minister Schmidt, bitte prüfen Sie schnell, wie wir dies umsetzen können. Wir sollten alles daransetzen, den nächsten Eier-Skandal zu verhindern, bevor er passiert. Die aktuelle Gesetzesänderung ist ein erster Schritt. Aber dabei sollte und darf es nicht bleiben. Um das -Vertrauen der Verbraucher in unsere Lebensmittel-produktion und unsere Überwachungsbehörden -wiederherzustellen, müssen wir nicht nur die Voraussetzungen für die lückenlose Überwachung von Legehennen schaffen. Wir müssen auch mehr Transparenz in die Lebensmittelkette bringen. Ich denke dabei an die Überarbeitung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, genauer gesagt die Veröffentlichungspflichten der Behörden bei Täuschung, Irreführung und Hygieneverstößen, die wir endlich rechtssicher machen müssen. Denn eine drohende Veröffentlichung ist ein massiver Anreiz für jedes Unternehmen, sich an alle gesetzlichen Vorgaben und Regeln zu halten. Transparenz wirkt präventiv, auch gegen den nächsten Eier-Skandal. Hier endlich Nägel mit Köpfen zu machen, sind wir den Verbrauchern schuldig. Karin Binder (DIE LINKE): Verbraucherbetrug bei Lebensmitteln taucht immer da auf, wo es für die Lebensmittelindustrie profitabel ist oder wo sie mit Dumpingpreisen den Markt bestimmt. Kosten 400 Gramm Lasagne nur 1,64 Euro, muss man sich über das Pferd im Fleisch nicht wundern. Ähnliches gilt bei Eiern: Lasche Vorschriften führten dazu, dass Eier aus überfüllten Hühnerställen als Bioware verkauft wurden. Eine Lebensmittelbranche, die in diesem Klima weniger staatliche Regulierung fordert, muss sich nicht wundern, dass sie bei den Verbrauchern das Image von Hühnerdieben genießt. Der hier nun vorliegende Gesetzentwurf verbessert den Verbraucherschutz. Das begrüßen wir. Eine falsche Kennzeichnung von Eiern fällt schneller auf, was Betrugsversuche erschwert. Legehennenbetriebe dürfen künftig pro Stall nur eine Kennzeichnung verwenden, also entweder Boden-, Freiland- oder Biohaltung. Ändert ein Stallbetreiber die Haltungsform, was nur in begründeten Ausnahmen möglich ist, muss er dies den Behörden unmittelbar vorher anzeigen. Kontrolleure können durch diese Regelung besser nachvollziehen, ob die gesetzlichen Vorgaben zum Tierwohl und zum Verbraucherschutz eingehalten werden. Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, dass es in der Vergangenheit ein buntes Durcheinander gab, das zu Falschkennzeichnungen einlud. Wir erinnern uns: Eier aus konventioneller Haltung wurden den Verbrauchern als Bioeier untergeschoben. Ställe waren systematisch überbelegt. Profit ging manchen Hühnerhaltern offenbar vor Tierschutz. Das „Handelsblatt“ schrieb vor einem Jahr dabei von einer „flächendeckenden Praxis“. Verbraucherbetrug war offenbar ein Geschäftsmodell. An diesem Beispiel zeigt sich also, wie wichtig klare Regeln bei der Lebensmittelerzeugung sind. Der Gesetzgeber muss auch deutlich machen, dass organisierte Verbrauchertäuschung kein Kavaliers-delikt ist. Da wünschen wir uns schon lange ein kon-sequenteres Vorgehen: Die Namen betrügerischer -Lebensmittelerzeuger und -händler müssen umgehend veröffentlicht werden. Wer wiederholt erwischt wird, muss damit rechnen, dass sein Betrieb ein für alle Mal dichtgemacht wird. Wir werden uns daher bei dem Gesetzentwurf enthalten. Konventionelle und Biohaltung müssen strikter getrennt und dürfen nicht auf demselben Hof in benachbarten Ställen erlaubt sein. Bei der Reform der EU-Bioverordnung wäre es zu begrüßen, wenn die gleichzeitige Erzeugung von Biolebensmitteln und herkömmlichen Produkten im selben Betrieb unterbunden wird. Nur so funktioniert glaubwürdiger Verbraucherschutz. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf und der damit verbundene Änderungsantrag ist solide und beinhaltet primär erforderliche Anpassungen von veralteten Verweisen auf das Gemeinschaftsrecht. Dem stimmen wir zu. Das Legehennenbetriebsregistergesetz wurde auf Druck des Bundesrates mit einer Öffnungsklausel versehen, um auf Länderebene spezifische Vorlaufzeiten für die Umstellung des Haltungssystems festzulegen. So weit, so gut, dies stellt meiner Meinung nach einen tragfähigen Kompromiss zwischen nachvollziehbarer Dokumentationspflicht, aber auch Reaktionsmöglichkeiten der Betriebe auf beispielsweise Starkregen-ereignisse dar. Denn nach wie vor muss bei allem verständlichen Drängen nach Wahrheit und Klarheit bei der Kontrolle dem ureigenen Wesen der Landwirtschaft Rechnung getragen werden: Im Umgang mit der Natur ist zwar vieles planbar, doch oftmals muss die Möglichkeit bestehen, kurzfristig Entscheidungen zu treffen und auf Wetter- und Klimaeinflüsse angemessen reagieren zu können. Eines ist jedoch anzumerken: Es wurde versäumt, die Junghennenaufzucht in die Marktüberwachung einzubeziehen. So wurde es zu Recht in der Stellungnahme des Bundesrates kritisiert. Die Bundesregierung verweist in ihrer Gegendarstellung auf ausstehende Rechtsprüfungen, die im Vorlauf einer solchen Integration zu tätigen seien. Wenn dem so ist, dann leiten Sie dies bitte in die Wege. Denn diese Funktion wäre ein echter Fortschritt, um die Überwachungskette zu schließen und um belastbare Belegungsdichten aufzunehmen. Des Weiteren stimmen wir heute über die Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes ab: Die jetzige Anpassung ist, das wissen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, so gut wie ich, eine reine Formalie. Dass Rindfleisch seit der BSE-Krise gesondert ausgewiesen und etikettiert werden muss, ist ein Gewinn für Verbraucherschutz und Transparenz. Wir fordern noch Weitergehendes – ein Mehr an Kennzeichnung von frischem und auch verarbeitetem Fleisch: Es muss klar nachvollziehbar sein, woher jedes Fleisch kommt, das sich im Handel befindet, egal ob Frischfleisch oder Raviolifüllung. Ab dem 1. April 2015 gelten der Rindfleischetikettierung ähnliche -Regelungen für Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch. Das begrüßen wir. Wäre mit einer solchen Regelung ein so großflächiger Betrug im Sinne der Pferde-Lasagne möglich gewesen? Ich glaube nein. Die Kommission plant eine Evaluierung der Rinderkennzeichnung, um herauszufinden, welche Markt-effekte diese in den vergangenen Jahren ausgelöst hat. Es soll, so hört man, ermittelt werden, ob die Rind-fleischetikettierung den Bedürfnissen der Verbraucher einerseits und denen der Landwirte und Fleischver-arbeiter andererseits entspricht. Ich hoffe, die Stimme der Verbraucherinnen und Verbraucher und die der Landwirte, die verantwortungsvoll mit ihrem Beruf umgehen, wiegt schwerer als die der Fleischindustrie, die sich in der Vergangenheit nicht unbedingt um mehr Transparenz und Kundeninformation verdient gemacht hat. Vizepräsident Peter Hintze: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1639, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1286 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke so angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU-Fraktion, SPD-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) KOM(2013) 534 endg.; Ratsdok. 12558/13 hier: a) Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes b) Politischer Dialog mit den EU-Institutionen Drucksache 18/1658 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) KOM(2013) 534 endg.; Ratsdok. 12558/13 hier: a) Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes b) Politischer Dialog mit den EU-Institutionen Drucksache 18/1646 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich höre und sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Bereits am 16. Oktober 2013 richtete der Unterausschuss Europarecht ein Schreiben an den Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Dr. José Manuel Durão Barroso, und kündigte eine Stellungnahme des Deutschen Bundestages zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft an. In diesem Schreiben wurde mitgeteilt, dass der Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages die Arbeit an dem Verordnungsvorschlag über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft in der nun ablaufenden Wahlperiode eng begleitet hat. Gespräche mit Frau Kommissarin Reding, Herrn Kommissar Šemeta sowie weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Europäischen Kommission boten dankenswerterweise mehrfach Gelegenheit zu einem konstruktiven Dialog über die Ausgestaltung einer künftigen Europäischen Staatsanwaltschaft. Weiter wurde ausgeführt, dass der Verordnungsvorschlag im Unterausschuss Europarecht und dann im Bundestag noch intensiv beraten werden wird. Dies ist nun geschehen, und ich darf mich herzlich für die konstruktive Arbeit aller Berichterstatterinnen und Berichterstatter zu dem Verordnungsvorschlag bedanken. Der Unterausschuss Europarecht kann sich intensiv mit den Vorlagen der EU in den Bereichen Rechts- und Justizpolitik befassen. Hierauf gibt er dem Rechtsausschuss Empfehlungen für die weitere Vorgehensweise. Neben vielen rechtpolitischen Gesetzesentwürfen wird die europäische Rechtspolitik immer wichtiger. Der Unterausschuss hat sich immer mehr zu einem Gremium entwickelt, das besonders die Prüfung der Subsidiarität im Blick hat. Hierbei wird die Subsidiaritätsrüge nicht als scharfes Schwert des Diskurses gesehen, sondern vielmehr als ein Weg, wie sich nationale Parlamente in den politischen Dialog einbringen können. Nur wenn im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung auch Stellungnahmen und Rügen erfolgen, kann ein Mitgestalten an Europa Erfolg haben. Eine solche Teilhabe an Europa gelingt uns mit der heute zu verabschiedenden Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag Europäische Staatsanwaltschaft. Hinsichtlich des vorliegenden Verordnungsentwurfs gab es einige Kritikpunkte, die ich in der gebotenen Kürze nochmals kurz darstellen darf: Erstens ist die im Kommissionsvorschlag vorgesehene Unabhängigkeit des Europäischen Staatsanwalts insofern zu weitgehend, als die Kontrollmöglichkeiten unzureichend sind. Über den in Artikel 70 KomV vorgesehenen Jahresbericht hinaus, sollten weitergehende und regelmäßige Berichts- und Rechenschaftspflichten vorgesehen werden. Eine justizielle Kontrolle der Tätigkeit des Europäischen Staatsanwaltes ist notwendig. Zweitens soll die Geschäftsordnung, Artikel 7 KomV, die die Organisation der Arbeit der Europäischen Staatsanwaltschaft regelt, für alle EU-Bürger-innen und EU-Bürger aus Gründen der Transparenz einsehbar sein; allgemeine Zuständigkeitsregelungen sollen hingegen nicht dort, sondern in der Verordnung selbst geregelt werden. Drittens fehlt es im Verordnungsvorschlag an einer Rechtsschutzmöglichkeit des Betroffenen, um gegen die Entscheidung der einzelstaatlichen Justizbehörde (Artikel 13 III KomV), welche Staatsanwaltschaft im konkreten Fall zuständig ist, gerichtlich vorzugehen. Viertens müssen die Beschuldigtenrechte auf ein einheitliches europäisches Niveau gebracht werden. Artikel 32–35 KomV genügen den rechtsstaatlichen Anforderungen insoweit nicht. Der Verordnungsvorschlag muss Mindeststandards der Beschuldigtenrechte gewährleisten und vor allem Ermittlungsbefugnisse gemäß dieser Standards beschränken. Der Grundsatz des „ne bis in idem“ fehlt im Kommissionsvorschlag. Fünftens fehlen wichtige Beschuldigtenrechte, wie das Akteneinsichtsrecht und das Recht, bei Einstellung des Verfahrens durch die Europäische Staatsanwaltschaft über die Einstellung informiert zu werden, Artikel 15 IV KomV. Sechstens benötigt Artikel 17 KomV dahingehend Präzisierung, dass geklärt werden muss, was unter dem Begriff „Bestätigen“ in Bezug auf Eilmaßnahmen verstanden werden soll und ob gegebenenfalls eine rechtliche Prüfung der Maßname(n) erfolgen muss. Siebtens kann nach Artikel 18 V der Europäische Staatsanwalt in bestimmten Fällen selbst die Ermittlungen leiten. Hier besteht die Gefahr des Eingriffs in materielles Recht, vor allem hinsichtlich der Kongruenzverhältnisse zwischen verschiedenen Straftaten. In diesem Fall bleibt die Regelung in Bezug auf die Kompetenzen und Überwachungsmöglichkeit dieser Tätigkeit zu unkonkret. Außerdem ist die vorgesehene Trennung von Ermittlungstätigkeit und Durchführung der Zwangsmaßnahmen durch die mitgliedstaatliche Behörde nicht praktikabel. Unklar bleibt auch, ob es eine gerichtliche Kontrolle der Europäischen Staatsanwaltschaft gibt und welches Gericht sie in diesem Fall durchführt. Achtens genügen die in Artikel 26 KomV genannten Ermittlungsmaßnahmen rechtsstaatlichen Anforderungen nicht. Problematisch ist im Besonderen, dass für die in Artikel 26 I vorgesehenen Maßnahmen neben der Verordnung auch einzelstaatliches Recht gelten soll, Artikel 26 II KomV. Damit kämen unterschiedliche nationale Regelungen zum Tragen. Aufgrund von Artikel 26 besteht somit die Gefahr des „Forum Shopping“ und der Absenkung der rechtsstaatlichen Standards. Unklar bleibt darüber hinaus, inwieweit die Maßnahme durch ein Gericht überprüft werden kann. Neuntens sind die Kriterien, an welchem Ort die Anklage erfolgen soll, nicht klar erkennbar. Wünschenswert wäre es, dass der gewöhnliche Aufenthaltsort des Beschuldigten Priorität bei der Anklageerhebung bekommt. Die örtliche Zuständigkeit sollte überdies gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Zehntens müsste die Möglichkeit des „Vergleichs“ in Artikel 29 KomV explizit zum Strafklageverbrauch führen; ein Hinweis dazu fehlt in der Vorschrift. Elftens sollte das Prozessgericht entgegen der Regelung in Artikel 30 KomV die Möglichkeit bekommen, zu prüfen, ob die Beweiserhebung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolgt ist. Zwölftens birgt der Ausschluss der Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof bei verfahrensrechtlichen Maßnahmen, Artikel 36 I KomV, die Gefahr unterschiedlicher Rechtsentwicklungen und damit verschiedener Schutzniveaus in den Mitgliedstaaten und ist daher abzulehnen. Dreizehntens fehlt dem Verordnungsvorschlag eine klare Abgrenzung, welche Kompetenz die Staatsanwälte haben, wenn sie national und wenn sie international tätig sind. Vierzehntens besteht auch nach Artikel 27 IV des Verordnungsvorschlags die Gefahr des „Forum Shopping“. Der Europäische Staatsanwalt wählt demnach das zuständige Prozessgericht. Fünfzehntens steht nach Artikel 6 V des Verordnungsvorschlages nur fest, dass es einen Abgeordneten Europäischen Staatsanwalt in jedem Mitgliedstaat geben soll. Wie wird dies in Deutschland umgesetzt? In welchem Umfang werden welche Kosten getragen? Sechzehntens verlangt die Verordnung in Artikel 5 II die Unabhängigkeit von nationalen Weisungen, und Artikel 6 VI schreibt den Vorrang der Europäischen Staatsanwälte fest; hierbei ist das Weisungsrecht aber nicht eindeutig formuliert. Letztens müssen die Erwägungsgründe des Verordnungsvorschlages sicherstellen, dass die Befugnisse der Europäischen Staatsanwälte nicht immer weiter ausgedehnt werden. Festzuhalten bleibt, wie die Stellungnahme ausführt, dass der Deutsche Bundestag den Ansatz der Kommission zur Errichtung einer dezentral aufgebauten Europäischen Staatsanwaltschaft (EU-StA), deren Aufgabe es sein soll, Straftaten zum Nachteil der Europäischen Union zu bekämpfen, begrüßt. Struktur und rechtlicher Handlungsrahmen für die EU-StA müssen darauf ausgerichtet sein, effektive Ermittlungsverfahren unter Beachtung hoher rechtsstaatlicher Anforderungen zu gewährleisten und eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden der Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Der Deutsche Bundestag sieht in dem Verordnungsvorschlag der Kommission vom 17. Juli 2013 (Ratsdokument 12558/13) vor allem unter Berücksichtigung des von der Ratspräsidentschaft am 17. März 2014 vorgelegten Arbeitsdokuments (DS 1154/14) eine Verhandlungsgrundlage zur Errichtung der EU-Staatsanwaltschaft. Der Bundestag begrüßt, dass mit dem Arbeitsdokument auch Änderungen zu einer Reihe von Regelungen vorgeschlagen werden, die auch der Bundestag kritisch gesehen hatte. Schließlich bleibt mir noch einmal allen für die gute Zusammenarbeit vor allem im Unterausschuss Europarecht zu danken. Um aber eine Unterstützung des Deutschen Bundestages für das wichtige Vorhaben einer Europäischen Staatsanwaltschaft zu sichern – hier darf ich nochmals auf den Text der Stellungnahme verweisen –, wäre es hilfreich, wenn Kommission und Europäisches Parlament den vorgenannten Punkten im weiteren Verhandlungsverlauf Rechnung tragen würden. Auch für die Zukunft hoffe ich, dass es dem Deutschen Bundestag möglich sein wird, sich aktiv am politischen Dialog zu beteiligen. Hierbei ist es vor allem wichtig, dass sich die nationalen Parlamente immer besser vernetzen. Zu diesem Zweck ist geplant, eine Konferenz zur Europäischen Staatsanwaltschaft in -Paris durchzuführen. Hier sollen die Vertreter der nationalen Parlamente zusammen kommen und sich austauschen können. Als Ergebnis könnte ein gemeinsames Positionspapier aller teilnehmenden Parlamente erstellt werden. Auf diesem Weg könnten die jeweiligen nationalen Interessen sehr gut in den politischen Dialog eingebracht werden. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir debattieren heute über einen fraktionsübergreifenden Antrag zur Errichtung einer dezentral aufgebauten Europäischen Staatsanwaltschaft (EU-StA), deren Aufgabe es sein soll, Straftaten zum Nachteil der Europäischen Union zu bekämpfen. Die Europäische Staatsanwaltschaft soll dabei eine neue Behörde bzw. Einrichtung auf Ebene der EU -werden und der Europäischen Union damit eine Kompetenz bei der Strafverfolgung verschaffen. Grundsätzlich sehen wir in dem Verordnungs-vorschlag der Kommission vom 18. Juli 2013 (Rats-dokument 12558/13) vor allem unter Berücksichtigung des von der Ratspräsidentschaft am 17. März 2014 vorgelegten Arbeitsdokuments (DS 1154/14) eine Verhandlungsgrundlage. Dennoch ist die Frage der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft meines Erachtens eine sensible Frage, welche losgelöst von der parlamentarischen Routine behandelt und grundlegend durchdacht werden sollte. Mit dem Arbeitsdokument werden zwar Änderungen zu einer Reihe von Regelungen vorgeschlagen, die auch wir kritisch gesehen haben. Allerdings sind meines Erachtens noch eine Reihe von wichtigen Fragen nicht abschließend beantwortet: So soll die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ohne die gleichzeitige Errichtung eines korrespondierenden Verfahrensrechts erfolgen. Das halte ich für ungenügend. Mehr noch: Die Europäische Staatsanwaltschaft wird agieren können, ohne dem Bürger ein Niveau des rechtsstaatlichen Schutzes gewährleisten zu können, wie es unsere Strafprozessordnung -vorsieht. Hoheitliches Handeln im Bereich der Strafverfolgung bedarf aber unbedingt rechtsstaatlicher Kontrolle. Zudem soll die zukünftige Europäische Staatsanwaltschaft auch in Fragen ermitteln können, welche in bloßem Sachzusammenhang zur Frage der Veruntreuung von EU-Geldern stehen. Damit wird mittelbar eine Kompetenz in vielerlei Fragen der Wirtschaftskriminalität geschaffen, welche in echter Konkurrenz zu den nationalen Ermittlungsbehörden steht. In den zurückliegenden Tagen haben CDU/CSU mit Nachdruck auf ein besseres und bürgernahes Europa mit mehr Transparenz und weniger Bürokratie gedrängt. Die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft lässt sich damit aber nicht ohne weiteres in Einklang bringen. Ich meine sogar, dass vor dem Hintergrund des zu beachtenden Subsidiaritätsprinzips dieses höher zu bewerten ist als eine mögliche Ermächtigung zu einer Europäischen Staatsanwaltschaft im Vertrag von -Lissabon, auf welche sich die Kommission bei ihrem Verordnungsentwurf bezieht. Europäische Integration bedeutet nicht, jede nur denkbare und vertraglich zulässige Regelung auch zu ergreifen. Man könnte auch aus guten Gründen davon absehen. Diese Ansicht teilten auch nicht weniger als 16 Staaten der Europäischen Union, welche im Zuge der Konsultation über die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft Subsidiaritätsrüge erhoben haben. Die Bundesrepublik Deutschland war nicht -darunter, sodass der Vorschlag des Rates für diese -Verordnung sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren befindet. Ich selbst stehe der Verordnung eher kritisch gegenüber. Das Ziel der Verhinderung von Veruntreuungen europäischer Mittel ist ohne Frage ein legitimes Ziel. Dennoch sollte nicht ohne Not eine neue europäische Behörde im Kernbereich staatlichen Hoheitsanspruches geschaffen werden. Auch andere Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel Großbritannien und Irland, stehen dem kritisch gegenüber und nehmen erst gar nicht an der EU-StA teil. Unsere nationalen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden sind in der Lage, einen vergleichbaren Schutz der finanziellen Interessen der Union und eine gleichwertige Verfolgung entsprechender Straftaten zu gewährleisten. Darüber hinaus macht die Unterstützung durch Eurojust, Europol und OLAF die Errichtung einer EU-StA meines Erachtens entbehrlich. Mit der Errichtung der EU-StA wird erstmalig auf dem Gebiet des Strafrechts eine Kernkompetenz der Mitgliedstaaten teilweise auf eine Einrichtung der Union übertragen. Dem wäre durchaus noch zu folgen, wenn es ein -europäisches Verfahrensrecht und ein Rechtsschutzsystem gäbe, welches unseren rechtsstaatlichen Anforderungen genügen würde. Dem ist jedoch leider nicht so. Es böte sich an, wofür ich plädiere, auf europäischer Ebene nach der Konstituierung der neuen Europäischen Kommission diese Frage noch einmal grundlegend zu beraten und insbesondere die hier nur kursorisch vorgetragenen Einwände nochmals mit Nachdruck in die Debatte einfließen zu lassen. Zudem sollte auch die Frage, wie die Kommission mit der Situation umgeht, dass nicht alle Mitgliedstaaten an der EU-StA teilnehmen, noch einmal durchdacht werden. Unabhängig davon müssen im weiteren Verhandlungsverlauf zumindest die von uns wie im Antrag geforderten Belange durch die Bundesregierung durchgesetzt werden. Dr. Katarina Barley (SPD): Jährlich versickern circa 700 Millionen Euro, die für die Förderung von EU-Projekten gedacht sind. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Die Zahl der aufgeklärten Fälle ist gering, da derzeit zwischen den nationalen Strafrechtssystemen und den Unionsorganen, die nicht strafrechtlich ermitteln dürfen, eine Lücke klafft. Straftaten gegen die finanziellen Interessen der EU treffen nicht nur den EU-Haushalt, sondern unmittelbar auch die europäischen Steuerzahler. Deshalb -begrüßen wir grundsätzlich die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Sie kann die Zusammen-arbeit der Ermittlungsbehörden auf EU-Ebene verbessern, um grenzüberschreitende Fälle von Betrug und Korruption mit EU-Mitteln aufzudecken. Damit der unionsweite Betrug am europäischen Steuerzahler besser strafrechtlich verfolgt werden kann, hat die Europäische Kommission im Juli letzten Jahres einen Vorschlag zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vorgelegt. Es ist sinnvoll und richtig, dass die Europäische Union die Verschwendung ihrer Fördergelder künftig mit einer eigenen Strafverfolgungsbehörde bekämpfen kann. Leider war der Vorschlag der Kommission so unzulänglich und an vielen Stellen sogar problematisch, dass mehrere nationale Parlamente ihn nicht mittragen wollen. Da die grenzüberschreitende Betrugsbekämpfung aber nur effektiv arbeiten kann, wenn sie lückenlos ist, das heißt wenn sich alle Mitgliedstaaten beteiligten, bedarf es detaillierter Nachbesserungen. Die griechische Ratspräsidentschaft hat hier gute Arbeit geleistet und wesentliche Änderungsvorschläge erarbeitet. Viele dieser Vorschläge haben wir im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend aufgegriffen und weiterentwickelt. Denn die Europäische Staats-anwaltschaft braucht zwar weitreichende Befugnisse für ihre Ermittlungen, diese dürfen aber auf keinen Fall zulasten der Beschuldigten gehen und zu einer Absenkung rechtsstaatlicher Standards führen. Befugnisse und Kontrollrechte müssen detailliert beschrieben werden und sich die Waage halten. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich bei den weiteren Beratungen – Verhandlungen im Rat – dafür einzusetzen, dass die Berichts- und Rechenschaftsplicht der Europäischen Staatsanwaltschaft weiter gestärkt wird, zum Beispiel durch ein gemeinsames Kontrollrecht vom -Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten. Die Stellung und die Aufgaben der sogenannten Abgeordneten Europäischen Staatsanwälte müssen präzisiert werden, damit keine Konfliktfälle zwischen dem Weisungsrecht der Europäischen Staatsanwaltschaft und der Unabhängigkeit von nationalen -Behörden entstehen. Die Unabhängigkeit der Abgeordneten Europäischen Staatsanwälte sollte außerdem durch genau festgelegte Einstellungsvoraussetzungen und Entlassungsgründe untermauert werden. Die Europäische Staatsanwaltschaft sollte bei Straftaten zum finanziellen Nachteil der EU nicht die ausschließliche Zuständigkeit haben – wie beim Vorschlag der Kommission vorgesehen –, sondern eine mit den Mitgliedstaaten konkurrierende mit einem Evokationsrecht der Europäischen Staatsanwaltschaft – das würde dazu beitragen, dass sich die Europäische Staatsanwaltschaft auf die Fälle konzentriert, die auf EU-Ebene besser zu ermitteln sind. Entsprechend dem Grundsatz „ne bis in idem“ sollte sich ein Beschuldigter nicht für dieselbe Tat vor einem nationalen Gericht und der -Europäischen Staatsanwaltschaft verantworten müssen. Die Entscheidung, vor welchem Gericht sich ein Beschuldigter verteidigen muss, sollte einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Die Auswahl des Gerichtsortes muss nach transparenten Kriterien und bereits im Ermittlungsverfahren festgelegt werden. Durch Regelungen zu präzisieren sind außerdem die rechtlichen Befugnisse bei grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen, damit keine unklare Gemengelage von europäischen und einzelstaatlichen Regelungen entsteht. Klarer Regeln bedarf es auch bezüglich der Einstellung und Wiederaufnahmen von Ermittlungsverfahren. Vor allem bezüglich der Beschuldigtenrechte muss ein hoher Mindeststandard gewährleistet sein. Auf einem hohen Level ist hier eine weitere Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen notwendig. Wenn es uns gelingt, diese Eckpunkte umzusetzen, können wir der Europäischen Union ein effektives Instrument zur Betrugsbekämpfung an die Hand geben, das gleichzeitig mit den nationalstaatlichen Rechtsordnungen in Einklang steht und die Verfahrensrechte in der EU stärkt und harmonisiert. Nur so kann es uns gelingen, alle Mitgliedstaaten in ein Boot zu holen und die rechtsstaatlichen Standards der EU dauerhaft zu verbessern. Davon wird am Ende nicht nur das Budget der EU, sondern auch die EU als Rechtsgemeinschaft profitieren. Und der EU stehen erhebliche Mittel für zusätzliche sinnvolle Projekte zur Verfügung. Dr. Johannes Fechner (SPD): Vor kurzem diskutierte eine bekannte Zeitung Geldverschwendung auf EU-Ebene und nannte als ein Beispiel die Europäische Staatsanwaltschaft. Überflüssig und vor allem teuer? Das genaue -Gegenteil ist der Fall. Denn Straftaten, die gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtet sind, belasten unmittelbar die europäischen Steuerzahler. Durch -Betrug und andere Vermögensstraftaten gehen dem EU-Haushalt in jedem Jahr Hunderte Millionen Euro verloren. Die Kommission geht aufgrund von Erhe-bungen in den Mitgliedstaaten sogar von circa 500 Millionen Euro in jedem der letzten drei Jahre aus. Das wären 500 Millionen Euro, die nicht in die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Kommunen fließen können und die damit durch Steuergelder ausgeglichen werden müssen. Und damit ist klar: Die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, die Straftaten zulasten des EU-Haushalts effektiv verfolgt, wird zu einer effektiveren Verwendung der EU-Mittel beitragen. Das ist der wesentliche Grund, warum die SPD-Fraktion und der Deutsche Bundestag die geplante Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ausdrücklich begrüßen. Trotzdem gibt es einige Punkte, an denen der Verordnungsvorschlag unserer Ansicht nach noch verbessert werden kann. Deshalb haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages diese Stellungnahme erarbeitet, die heute hier zur Abstimmung steht. Ausdrücklich lobe und bedanke ich mich bei den Fraktionen der Union, der Grünen und der Linken für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Ich erläutere im Folgenden kurz unsere wesentlichen Kritikpunkte: Statt der Ernennung des Leiters der Europäischen Staatsanwaltschaft und seiner Vertreter/-innen durch den Rat – mit Zustimmung des Parlaments – regen wir ein Wahlverfahren an, das die demokratische Le--gitimation sicherstellt. Der Leiter der Europäischen Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls dessen Stellvertreter/-innen könnten vom Europäischen Parlament direkt gewählt werden. Die Entlassungsgründe für die Europäischen Staatsanwälte bedürfen einer näheren Präzision, um willkürlichen Entlassungen vorzubeugen. Klargestellt werden muss außerdem, dass die Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft an Recht und Gesetz gebunden ist. Der Bundestag empfiehlt, dass dieser wesentliche Rechtsgrundsatz ausdrücklich aufgenommen wird. Die Entscheidung, ob die Europäische Staatsanwaltschaft aufgrund einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs oder die Staatsanwaltschaft des Mitgliedstaates für das Verfahren zuständig ist, muss gerichtlich überprüfbar sein, da diese Entscheidung für die Beschuldigten erhebliche Auswirkungen haben kann. Die Geschäftsordnung der Europäischen Staatsanwaltschaft muss für die Bürger einsehbar sein. Die Grundzüge der Zuständigkeit innerhalb der Behörde sollten allerdings bereits in der Verordnung geregelt werden. Im Interesse des Beschuldigten muss die für den konkreten Fall anwendbare Rechtsordnung bereits im Ermittlungsverfahren und nicht erst nach Abschluss der Ermittlungen bekannt sein. Bei der Auswahl des Gerichts darf die Europäische Staatsanwaltschaft kein freies Ermessen haben, damit der Gefahr entgegen-getreten werden kann, dass Beschuldigte vor den Gerichten angeklagt werden, wo ihre Rechte am geringsten sind. Die Möglichkeit, dass die Zentrale der Europäischen Staatsanwaltschaft die Ermittlungen selbst statt der in den Mitgliedstaaten tätigen Europäischen Staatsanwälte leitet, wird von uns kritisch gesehen, da in Bezug auf das Verfahren noch erhebliche Unklarheiten bestehen. Da die Regelungen zu den Ermittlungsbefugnissen nicht zu Konflikten mit einzelstaatlichen Verfahrensordnungen führen sollen, soll die Europäische Staatsanwaltschaft nur solche Ermittlungsmaßnahmen nach Artikel 26 Absatz 1 des Verordnungsvorschlages anordnen können, die auch das nationale Recht vorsieht. Im Fall einer Einstellung des Verfahrens muss der Beschuldigte von der Einstellung in Kenntnis gesetzt werden. Eine entsprechende Regelung dazu fehlt bisher im Verordnungsvorschlag. Bei Einstellung des Verfahrens mangels sachdienlicher Beweise muss die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens eingeführt werden. Gegen Ermittlungsmaßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft müssen hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen. Justizielle Kontrolle muss besonders in den Fällen sichergestellt werden, in denen die europäische Staatsanwaltschaft auf Grundlage der Vorschriften in der Verordnung ermittelt. Das zuständige Gericht der Mitgliedstaaten muss die Beweisanträge der Europäischen Staatsanwaltschaft überprüfen dürfen, und zwar zum einen, ob die Beweise nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erhoben wurden, und muss zum anderen solche Beweise ablehnen dürfen, deren Verwertung gegen mitgliedstaatliches Recht verstoßen würde. Bei Berücksichtigung dieser Kritikpunkte könnte aus unserer Sicht eine effektive Bekämpfung der Straftaten zulasten des EU-Haushalts bei gleichzeitiger Verbesserung der rechtsstaatlichen Standards erreicht werden. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal ausdrücklich sagen, dass wir als SPD-Fraktion und ich als Berichterstatter hoffen, dass die Europäische Staatsanwaltschaft wie in Artikel 86 AEUV vorgesehen – mit möglichst allen Mitgliedstaaten – errichtet werden kann. Daneben halte ich es für wichtig, dass die Kritikpunkte des Bundestages Gehör finden, und bitte Sie daher heute um Zustimmung für unsere Stellungnahme. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir reden heute über etwas Seltenes und etwas Seltsames. Kommen wir zum Seltenen: Mit der vorliegenden Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses sowie dem gleichlautenden Antrag der Fraktion Die Linke gibt der Bundestag der Bundesregierung einen Verhandlungsauftrag bei den Debatten zur Verordnung zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Die Europäische Staatsanwaltschaft soll für Delikte zum Nachteil der Europäischen Union, konkreter des EU-Haushalts, zuständig sein. Nach Artikel 23 Absatz 3 Satz 2 GG muss die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestages bei den Beratungen berücksichtigen. Nach § 8 Absatz 2 EUZBBG muss die Bundesregierung die Stellungnahme sogar ihren Verhandlungen zur Grundlage legen. Und nach § 8 Absatz 4 EUZBBG muss die Bundesregierung einen Parlamentsvorbehalt einlegen, wenn der Beschluss des Bundestages in einem seiner wesentlichen Belange nicht durchsetzbar ist. Eine solche Mitsprache des Bundestages bei Verhandlungen über Verordnungen ist nicht häufig. Ich finde aber, wir alle sollten dieses Instrument viel intensiver nutzen. Denn es macht deutlich: Nationale Regierungen nehmen entscheidend auf Europäische Rechtsetzungsakte Einfluss. Mit dem Finger nach Brüssel zeigen, bedeutet eben eigentlich, dass auch zwei Finger zurückzeigen. Wir reden heute also nicht über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, sondern über Bedingungen, unter denen eine Europäische Staatsanwaltschaft aus Sicht des Bundestages zustimmungs-fähig ist. Welche Bedingungen das sind, das werden die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen hier sicherlich im Detail noch vortragen. Seien Sie sich aber sicher, wir werden genau darauf achten, ob die formulierten Bedingungen eingehalten werden oder nicht. Ich habe bereits darauf verwiesen, dass die Kolleginnen und Kollegen sicherlich die Details der Bedingungen für eine Zustimmung zur Europäischen Staatsanwaltschaft erklären werden. Wenn ich mich da auf die Kolleginnen und Kollegen verlasse, dann hat das etwas mit dem Seltsamen oder, besser gesagt, Absurden zu tun. Wie Sie sicherlich gemerkt haben, liegen zwei gleichlautende Vorlagen vor. Wenn Sie aufmerksam gelesen haben, wird Ihnen aufgefallen sein, dass diese auch wortgleich sind. Das mag insbesondere die Zuschauerinnen unter Ihnen verwundern. Und, ja, es ist auch verwunderlich. Es liegen zwei Vorlagen vor, weil wir im Unterausschuss Europarecht sehr kollegial und gemeinsam an einer gemeinsamen Stellungnahme gearbeitet haben. Meine Fraktion hat konkrete Formulierungsvorschläge zur Qualifizierung der Stellungnahme des Deutschen Bundestages unterbreitet, die sich wortwörtlich in beiden Dokumenten wiederfinden. Mit anderen Worten, beide Anträge tragen auch unsere Handschrift. Es ist also festzustellen, dass hier eine große Gemeinsamkeit aller Fraktionen gegeben ist. Es liegt auf der Hand, dass hier eine gemeinsame Stellungnahme aller Fraktion hätte verabschiedet werden können. Doch dem ist nicht so. Ich will ausdrücklich alle Kolleginnen und Kollegen des Unterausschusses Europarecht aus meiner Kritik herausnehmen. Ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen scheiterte an der Fraktionsführung der CDU und hier an der Kauder-Doktrin. Diese besagt, dass keine gemeinsamen inhaltlichen Anträge mit der Linken eingebracht werden dürfen. Ich muss schon sagen: Diese Kauder-Doktrin der Unionsfraktionsführung ist ein wenig ballaballa und rational nicht zu erklären. Sie hat es zu verantworten, dass hier zwei gleichlautende Vorlagen vorliegen. Ich hätte gern demonstriert, dass alle Fraktionen sich in der Kritik an der Europäischen Staatsanwaltschaft einig sind. Das ist mir aber nicht möglich. Ich will mal klar und deutlich sagen: Diese Kauder-Doktrin schadet der Demokratie. Diese Kauder-Doktrin schadet dem Parlamentarismus. Diese Kauder-Doktrin ist antidemokratisch. Sie führt zu Politikverdrossenheit, denn es ist nicht ernsthaft zu vermitteln, warum bei gleichlautendem Inhalt von Anträgen es unmöglich sein soll, einen gemeinsamen Antrag vorzulegen und hier abstimmen zu lassen. Kurz zusammengefasst: Dieser Vorgang ist einfach nur peinlich, und Sie sollten sich schämen. Die Chance, dies und andere Kritikpunkte in einer gemeinsamen Stellungnahme aller Fraktionen zu beschließen, wurde vertan. Das tut auch den weiteren Verhandlungen um die Europäische Staatsanwaltschaft nicht gut. Die Verantwortung dafür trägt die Fraktionsspitze der Union, die sich somit auch als Antieuropäer geoutet haben. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch wir sind dafür, dass Straftaten zum Nachteil der Europäischen Union wirksamer verfolgt werden. Der Vorschlag des EU-Rates für die Verordnung über die Europäische Staatsanwaltschaft, EPPO, ist eine brauchbare Diskussionsgrundlage. Sie muss gründlich beraten werden. Schließlich soll sie unmittelbar anwendbares Recht für die ganze EU schaffen, Bürgerinnen und Bürger strafrechtlich verfolgt und mit Kriminalstrafen bestraft werden. Nötig sind eine ganze Reihe Änderungen und Ergänzungen. Die Stellungnahme des deutschen Bundestages kommt spät. Zu lange brauchte das deutsche Parlament, um sich zu konstituieren und arbeitsfähig zu werden. Gut ist, dass alle vier Fraktionen gemeinsam den vorliegenden Antrag erarbeitet haben. Damit könnte er auch mehr Gewicht in den Diskussionen im EU-Rat haben. Gar nicht gut ist, dass der Antrag nur von drei Fraktionen eingebracht wird und unterschrieben ist. Die Fraktion Die Linke wurde von der Union willkürlich ausgegrenzt. Das ist ungehörig und nicht demokratisch. Die Linke hat kollegial und sachdienlich mit eigenen Vorschlägen, die im Antrag Aufnahme fanden, an der Erstellung mitgearbeitet. Wir verurteilen dies und werden deshalb auch dem gleichlautenden Antrag der Linken zustimmen. Die EU gibt viel Geld aus, das sie aus den Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten eingenommen hat. Wir setzen uns dafür ein, dass das viele Geld auch vernünftig für vertretbare Zwecke im Interesse der Bevölkerung ausgegeben wird. Darüber, ob dies immer gelingt, wird viel gestritten. Aber besonders ärgerlich ist, wenn geschätzte 700 Millionen Euro im Jahr durch Veruntreuung oder in anderer strafbarer Weise in dunklen Kanälen verschwinden. Da dürfen wir nicht länger einfach zusehen. Es ist auch ungerecht, wenn in Mitgliedstaaten der EU die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der EU ungleich konsequent verfolgt werden. Damit wird zudem Vorurteilen gegen europäische Völker und Skepsis gegenüber der ganzen EU Vorschub geleistet. Eine Europäische Staatsanwaltschaft kann ein Mittel sein, solche Straftaten konsequenter zu verfolgen und den Schaden zu mindern. Sie kann dazu beitragen, dass unabhängige Abgeordnete Europäische Staatsanwälte Strafverstöße gleich konsequent nach gleichen Kriterien ermitteln, anklagen und vor Gericht zur Aburteilung bringen. Dieses Ziel ist schwer zu erreichen in einer Union von Staaten mit großen Unterschieden in den Rechts-traditionen, im Straf- und Strafprozessrecht. Die für Straftaten zum Nachteil der EU einschlägigen Strafgesetze sind in Ländern häufig verschieden. Dies gilt auch für den Grad der Unabhängigkeit der Staatsanwälte in der jeweiligen Justiz, für die Rechte der Beschuldigten, für die Zulassung von Beweismitteln und sogar für die Möglichkeit, Beschuldigter zu sein, ob Unternehmen oder nur natürliche Personen. Wir haben uns besonders dafür eingesetzt, dass die Europäischen Staatsanwälte nicht nur dem EU-Parlament rechenschaftspflichtig und verantwortlich sind, sondern auch von diesem gewählt werden. Wir haben eingebracht, den „deal“, also die Beendigung eines Strafprozesses durch einen Vergleich, nur unter den strengen Vorgaben der deutschen Rechtsprechung, also unter Mitwirkung des Gerichts und mit Transparenz, zulässig sein soll. Wichtig sind für uns auch die Garantie der Beschuldigtenrechte und die rechtsstaatliche Begrenzung der Zulassung von Beweismitteln. Eigentlich wäre es besser, zunächst die Straf- und Strafprozessregelungen der Mitgliedstaaten weitgehender zu harmonisieren, bevor grenzüberschreitende Strafverfolgung durch eine gemeinsame Behörde eingeführt wird. Aber dies scheint noch viel Zeit zu brauchen. Wir werden genau verfolgen, ob diese und die zahlreichen anderen Forderungen aus dem Antrag des Bundestages in die endgültige Fassung des Vorschlages des Rates übernommen werden. Vom Ergebnis werden wir abhängig machen, ob wir diesen mittragen. Am Wochenende habe ich erfahren, dass EU-Gelder zur Finanzierung eines Nachbarschaftsheimes in meinem Wahlkreis beitragen. Für solch gute Zwecke könnten EU-Finanzen durch eine EU-Staatsanwaltschaft geschützt werden. Vizepräsident Peter Hintze: Tagesordnungspunkt 22 a. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1658, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig, mit den Stimmen aller Fraktionen, angenommen. Tagesordnungspunkt 22 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1646 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und SPD-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/1565 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Bericht zur Evaluierung des Antiterrordateigesetzes Drucksache 17/12665 (neu) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Clemens Binninger (CDU/CSU): Zwei Erkenntnisse liegen dieser Debatte über die Antiterrordatei und die Rechtsextremismusdatei zugrunde. Erstens, die Bedrohung, die von Extremisten für unseren Staat und unsere Demokratie ausgeht, ist sehr ernst zu nehmen. Das zeigt die Aufarbeitung der Straftaten, die dem rechtsextremistischen Terrortrio NSU zugerechnet werden, durch Untersuchungsausschüsse und das Gerichtsverfahren in München. Das zeigen aber auch die alarmierenden Nachrichten über rund 320 Islamisten, die in den vergangenen beiden Jahren als islamistische Kämpfer aus Deutschland nach Syrien gereist sind und mit einiger Sicherheit zum Teil auch wieder nach Deutschland zurückkehren – radikalisiert, mit Kampferfahrung und entsprechender Ausbildung im Umgang mit Waffen. Deshalb müssen wir unseren Sicherheitsbehörden die richtigen Instrumente in Form von gemeinsamen Dateien an die Hand geben, die nachweislich effektiv und erfolgreich zur Bekämpfung von Terrorismus und gewaltbereitem Ex-tremismus beitragen. Zweitens, der Weg eines verbesserten Informationsaustauschs zwischen den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern – also vor allem Polizei und Nachrichtendiensten – ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Daran gibt es keinen Zweifel. Auch deshalb gilt es, am Instrument der gemeinsamen Dateien festzuhalten. Genau das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Wir halten an dieser Form des Datenaustauschs fest. Wir passen die Regelungen zur Antiterrordatei und zur Rechtsextremismusdatei an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an, und wir wollen die Auswerte- und Analysefähigkeit der Antiterrordatei in Anlehnung an die Rechtsextremismusdatei ausbauen. Diese Verbunddateien geben unseren Sicherheitsbehörden die Möglichkeit, auf wesentliche Informationen über gewaltbereite Extremisten, die oft nur bruchstückhaft bei den Behörden in Bund und Ländern vorliegen, zurückzugreifen und aus diesen Mosaiksteinen der Erkenntnisgewinnung ein aussagekräftiges Bild zusammenzusetzen. Die Erfahrungen mit den Dateien zeigen, dass die gemeinsamen Dateien auch eine Art Inhaltsverzeichnis sind, in denen man die vorhandenen Erkenntnisse recherchiert, um einen weiteren Informationsaustausch zwischen den Behörden zu organisieren. Die Dateien unterscheiden dabei zwischen Grunddaten – also etwa Namen, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit, Sprache oder Lichtbilder – und erweiterten Grunddaten – also etwa Telekommunikationsanschlüsse, Bankverbindungen, Familienstand, Ausbildung, Fahrerlaubnisse oder ähnlichem. Wichtig ist dabei, dass wir keine neuen Daten erheben, weder bei der Polizei noch bei den Nachrichtendiensten. Wir schaffen keine neuen Befugnisse zur Datenerhebung. Diese gemeinsamen Dateien beziehen sich auf Daten, die bereits vorhanden und in verschiedenen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationssystemen gespeichert sind. In der Vergangenheit gab es das Problem, dass die vorliegenden Erkenntnisse nicht ausreichend vernetzt werden konnten. Manchmal dauerte es Wochen oder gar Monate, bis eine wichtige Information zwischen den Behörden ausgetauscht wurde – das hat der NSU-Untersuchungsausschuss herausgearbeitet. Wenn 36 oder 37 Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern für die Bekämpfung von Extremismus und extremistischen Straftaten zuständig sind, kann die Antwort nicht sein, dass wir das Wissen voreinander abschotten, auf möglichst viele Stellen verteilen. Die Antwort kann nicht sein, dass keiner mit dem anderen spricht, Informationen nur im Ausnahmefall ausgetauscht werden und man sich hinterher wundert, wenn es zu spät ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Daten für beide Bereiche – den gewaltbereiten Rechtsextremismus und den Islamismus – jeweils in einer zentralen und standardisierten Datei gespeichert werden. Dass das sogenannte Trennungsgebot dieser Art des Datenaustauschs nicht entgegensteht und ausreichende Vorkehrungen zum Schutz der personenbezogenen Daten getroffen sind, hat das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr in den Blick genommen. Die Korrekturen, die das Gericht an den bestehenden Gesetzen gefordert hat, gehen wir mit dem vorliegenden Entwurf an. Dabei geht es unter anderem um die Definition bestimmter Merkmale, um den Rahmen, in dem Kontaktpersonen gespeichert werden können, um verdeckte Speicherungsmöglichkeiten oder die Inverssuche. Die Antiterrordatei wurde auch aufwändig evaluiert. Solche Evaluationen sind wichtig, weil sie zeigen, wie Gesetze in der Praxis wirken und an welchen Stellen Bedarf für Nachbesserungen oder Korrekturen besteht. Das betrifft einerseits die Technik, andererseits die Gesetzgebung. Die Ergebnisse dieser Evaluation möchte ich hier nicht im Einzelnen ansprechen. Zwei Punkte scheinen mir aber wichtig. Zum einen hat die Evaluation gezeigt, dass es aus Sicht der Nutzer der Datei in den Sicherheitsbehörden ein wichtiger Fortschritt für ihre Arbeit wäre, wenn sie auch komplexere Abfragen über den Datenbestand durchführen könnten. Etwa dass zum Beispiel Verknüpfungen zwischen Personen, Gruppierungen und Objekten direkt in der Datei hergestellt werden können. Erste Erfahrungen mit solchen gemeinsamen Projekten gibt es auch schon mit der Rechtsextremismusdatei. Wir haben deshalb vor, mit diesem Gesetz eine ähnliche Möglichkeit – wenn auch in eingeschränkterem Maße – für die Antiterrordatei zu schaffen. Die Evaluierung der Antiterrordatei hat zum anderen gezeigt, dass die Datei als ein wichtiges Element zur verbesserten Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland beigetragen hat. Und die Evaluierung der Rechtsextremismusdatei – da bin ich sehr zuversichtlich – wird dies in den nächsten Jahren zeigen. Natürlich können dabei gemeinsame Dateien nur ein Element einer verbesserten Zusammenarbeit sein, das durch weitere Formen der Zusammenarbeit ergänzt werden muss. Das ist in den vergangenen Jahren mit der Etablierung der gemeinsamen Zentren, in denen Mitarbeiter verschiedener Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, erfolgreich gelungen. Eventuell vorhandenes Misstrauen wurde abgebaut, und Expertennetzwerke haben sich intern herausgebildet. Genau diese Zusammenarbeit ist der Weg, den wir in einer globalisierten und vernetzten Welt, in der Bedrohungen und Gefährdungslagen immer komplexer werden, gehen müssen. Und das tun wir mit diesem Gesetz. Uli Grötsch (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, vom 24. April 2013 wird diese Änderung notwendig, und ich bin mir sicher, dass wir die notwendigen Änderungen bis zur durch das Verfassungsgericht gesetzten Frist zum 31. Dezember dieses Jahres auch bewerkstelligen können. Die Antiterrordatei, ATD, hat sich seit ihrer Einführung in jeglicher Hinsicht bewährt: Schon alleine der Umstand, dass sie von den deutschen Sicherheitsbehörden wie dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizeidirektion, den Landeskriminalämtern, den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem -Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst und dem Zollkriminalamt als Verbunddatei verwendet werden kann, umreißt die Bedeutung und den Stellenwert für die Arbeit der genannten Sicherheitsbehörden eindrucksvoll. Vernetzt zu arbeiten und damit effektiv bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus arbeiten zu können, sind wichtige -Aspekte, die den nachweisbaren Erfolg der ATD kennzeichnen. Wir alle wissen, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der ATD im Grundsatz wie erwartet bestätigt hat. Überraschend ist das sicherlich nicht. Schließlich speichert die ATD keine neuen Daten, sondern führt bereits gespeicherte Erkenntnisse der jeweiligen Behörden zusammen. Auch der ebenfalls heute auf der Tagesordnung stehende und im Gesetz vorgesehene Evaluierungsbericht nach fünf Jahren bestätigt, dass die ATD den Informationsaustausch zwischen den Behörden in der Terrorismusbekämpfung verbessert hat. Das halte ich für einen sehr wichtigen Aspekt des Evaluierungsberichts: Die Einführung ist ein Erfolg und schafft mehr Effektivität bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen. Natürlich gibt es auch Bedenken im Hinblick auf den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte eines Menschen. Jeder Eingriff muss natürlich einer Güterabwägung standhalten. Es gibt aber auch geradezu wahnhafte Gerüchte über willkürliche Speicherungen und Abfragen von Personendaten. Deshalb möchte ich einen für mich entscheidenden Satz aus dem Evaluierungsbericht zitieren: „Von der Eilfallregelung nach § 5 Absatz 2 ATDG, wonach die abfragende Behörde unmittelbaren Zugriff auf die erweiterten Grunddaten nehmen darf, wenn dies aufgrund bestimmter Tatsachen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr unerlässlich ist, wurde nur ein einziges Mal Gebrauch gemacht.“ Das heißt: Im Berufsalltag wird höchst sensibel mit diesen Daten umgegangen. Kein Wunder also, dass die Eilfallregelung vom BVerfG nicht beanstandet wurde. Gemäß dem Urteil des BVerfG nimmt die Bundesregierung einige „Nachjustierungen“ in der konkreten Ausgestaltung von einzelnen Vorschriften vor, etwa dass nur derjenige Unterstützer einer terrorismusunterstützenden Gruppierung gespeichert werden darf, der auch willentlich und in Kenntnis der terroristischen Tätigkeiten diese Gruppierung fördert. Außerdem wird künftig das Merkmal des „Befürwortens“ von Gewalt konkretisiert: Es muss Anhaltspunkte dafür geben, dass die Person tatsächlich Gewalt anwenden, unterstützen oder vorbereiten will. Auch die Regelungen zur sogenannten Inverssuche werden ergänzt. Hierbei handelt es sich um merkmalsbezogene Recherchen in den erweiterten Grunddaten, die der abfragenden Behörde im Trefferfall weiterführende Informationen vermitteln und unmittelbar Zugang zu den einfachen Grunddaten verschaffen. Das wird es nicht mehr geben, denn künftig wird der Zugriff bei der Inverssuche nur auf die Grunddaten, die Nennung der informationsführenden Behörde und das Aktenzeichen beschränkt. Neu ist auch, dass das BKA erstmals zum 1. August 2017 und dann alle drei Jahre dem Bundestag und der Öffentlichkeit über den Datenbestand und die Nutzung der ATD berichten muss. Daten, die durch Eingriffe in das Telekommunika-tionsgeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung gewonnen wurden, werden künftig nur noch verdeckt eingestellt, sodass sie nur angezeigt werden dürfen, wenn die datenbesitzende Behörde aufgrund einer Anfrage nach Vorliegen der Übermittlungsvoraussetzungen die Daten freigegeben hat. Ich bin mir sicher, dass diese Änderungen die Transparenz der ATD erhöhen und damit die noch immer vorhandenen Ängste in der Bevölkerung ausräumen können. Entsprechend werden die genannten Änderungen auch für die Rechtsextremismusdatei vorgenommen, weil das Urteil des BVerfG auch diese Verbunddatei betrifft. Eine weitere Änderung im ATD-Gesetz betrifft die erweiterte Datennutzung, die auch bereits in der Rechtsextremismusdatei möglich ist. Diese soll nun gemäß der Koalitionsvereinbarung auch für die ATD geschaffen werden. Bei einer erweiterten Nutzung kann die beteiligte Behörde zur Terrorismusbekämpfung einzelfallbezogen Daten zum Beispiel zu Personen, Gruppierungen und Institutionen sammeln, statistisch auswerten und Zusammenhänge herstellen. Diese Recherchemöglichkeit wird aufgrund der weitreichenden Eingriffe nur zeitlich befristet möglich und muss auf Antrag angeordnet bzw. dann auch genehmigt werden; die Zugriffsberechtigung ist auf einen engen Personenkreis beschränkt. Auch der Evaluierungsbericht sagt aus, dass erweiterte „Auswerte- und Analysefunktionen“ erforderlich seien und „die fehlende Möglichkeit, Daten innerhalb der ATD miteinander zu verknüpfen und weiterführende Analysen zu betreiben, nachteilig seien“. Das sagen uns diejenigen, die in ihrem Arbeitsalltag mit der ATD zu tun haben. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 23. Mai 2014 Bedenken bezüglich der Einführung der erweiterten Nutzung angemeldet. Das mag nicht unberechtigt sein, denn natürlich handelt es sich um einen sehr sensiblen Grundrechtsbereich, aber ich bin mir sicher: Das hat auch der zuständige Innenminister vor Augen gehabt und war sich dessen bewusst. Und dessen sind sich auch in diesem Zusammenhang die Menschen bewusst, die die Datei verwenden. Das hat der Evaluierungsbericht, wie schon erwähnt, gezeigt. Diese Tatsache entbindet das Parlament natürlich nicht davon, genau hinzuschauen. Wir werden uns in den Ausschüssen mit diesem Gesetz beschäftigen und die verfassungsmäßigen Bedenken prüfen. Fest steht, dass die ATD sich in der Praxis bewährt hat und ihr Ziel erfüllt. Ich bin mir sicher, dass wir ein gutes Gesetz auf den Weg bringen werden. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir verhandeln heute ein von der Bundesregierung eingebrachtes Gesetz zur Änderung der seit 2007 bestehenden Antiterrordatei. Dies wurde notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Datei im April letzten Jahres in mehreren entscheidenden Punkten für gesetzeswidrig erachtete. Die heute von der Regierung vorgeschlagenen Änderungen betreffen zum Teil auch die nach dem Vorbild der Antiterrordatei geklonte Rechtsextremismusdatei. Bei diesen Dateien handelt es sich um Datenpools, zu denen 38 Landes- und Bundespolizeibehörden und Geheimdienste – die Verfassungsschutzämter, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst – gemeinsamen Zugriff haben. Nur einmal zur Dimension: Die Antiterrordatei enthält mehr als 17 000 Datensätze, bis 2013 erfolgten 350 000 Suchanfragen der Polizeien und Geheimdienste. Die Linke hat die Schaffung solcher Verbunddateien von Anfang an aus grundsätzlichen bürgerrechtlichen Erwägungen abgelehnt. Denn hier wird das als Lehre aus den Erfahrungen mit der Gestapo unter dem Nazi-Regime geltende grundgesetzliche Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten weiter unterlaufen. Leider ging das Bundesverfassungsgericht bei seiner Kritik nicht so weit. Doch selbst gemessen an den Rügen des höchsten deutschen Gerichts an der bisherigen Handhabung dieser Datei ist der vorliegende Gesetzentwurf ein Affront. Denn unter dem Vorwand der verfassungskonformen Ausgestaltung will die Bundesregierung die Datennutzung sogar noch erweitern, wie das bei der Rechtsextremismusdatei bereits Praxis ist. So sollen ein Data Mining unter Einbeziehung mehrerer Datensätze aus verschiedenen Datenbeständen und eine statistische Auswertung ermöglicht werden. Mit anderen Worten: Die Fähigkeiten zur digitalen Rasterfahndung von Polizeien und Geheimdiensten sollen ausgeweitet werden. Kritik an diesem Ansinnen erfolgte am 23. Mai durch den Bundesrat. Die Landesregierungen haben darin einer „erweiterten Datennutzung“ durch eine ausgeweitete Suchfunktion eine Absage erteilt. Der Bundesrat verweist auf die noch ausstehende Evaluierung dieser Funktion im Falle der Rechtsextremismusdatei. Doch die Bundesregierung hält es nicht einmal für nötig, das Ergebnis dieser Überprüfung abzuwarten. Offensichtlich lässt auch die Stellungnahme des Bundesrates die Regierung kalt – so wie die Regierung die Kritik des Bundesverfassungsgerichts mit Geringschätzung behandelt. Das Gericht hatte die Speicherung von sogenannten „Befürwortern“ von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele kritisiert. Weil diese Bewertung auf einer „inneren Haltung“ beruhe, könne sie zu einer einschüchternden Wirkung bei der Wahrnehmung der Freiheitsrechte führen, so das Gericht. Ich möchte es noch deutlicher benennen: Es geht hier schlicht um Gesinnungsjustiz – und die darf in einem Rechtsstaat keinen Platz haben. Jetzt will die Bundesregierung die Formulierung so ändern, „dass es Anhaltspunkte geben muss, dass die Person tatsächlich Gewalt anwenden, unterstützen, vorbereiten oder hervorrufen will“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat klargestellt, dass hier weiterhin in unzulässiger Weise ein Rückschluss auf die „innere Haltung“ erfolgt. Die Bundesregierung will also die bisherige rechtswidrige Praxis einfach mit neuen Worten fortschreiben. Es ist schon ungeheuerlich, wie hier versucht wird, das höchste deutsche Gericht an der Nase he-rumzuführen. In der Antiterrordatei sind eben nicht nur Terrorverdächtige, sondern auch zahlreiche sogenannte „Befürworter“, „Unterstützer“ und „Kontaktpersonen“ gespeichert – Menschen, die sich nichts zuschulden kommen ließen und vielleicht gar nicht wussten, mit wem sie in Kontakt standen. Dass es sich hier nicht um Paranoia handelt, zeigte erst vor drei Wochen das Ergebnis einer Überprüfung von Daten beim niedersächsischen Verfassungsschutz durch eine eigens dafür eingesetzte Task Force. Rund 40 Prozent der überprüften Personendaten waren illegal gespeichert. Betroffen waren Menschen, die sich völlig legal in Bürgerinitiativen politisch engagieren. Gespeichert wurden Muslime, die in den – nach Meinung der Schlapphüte – falschen Moscheen beten. Selbst Minderjährige wurden erfasst. Das Beispiel Niedersachsen zeigt, wohin die unkontrollierte Datensammelwut der Dienste führt. Und dabei bleibt es ja nicht. Anschließend haben über die gemeinsame Verbunddatei auch die Ermittlungsbehörden und Geheimdienste der anderen Bundesländer Zugriff auf solche unrechtmäßig erfassten Daten. Schon zum Schutze solcher zu Unrecht erfassten Personen sollten Geheimdienste keinen Zugriff mehr auf die Antiterrordatei erhalten – als ersten Schritt zur Abschaffung dieses Datenmonsters. Die Linke bleibt dabei: Bürgerrechte dürfen nicht im Namen der Sicherheit geopfert werden. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil vom April 2013 erstmals das informationelle Trennungsprinzip zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten ausdrücklich anerkannt und aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet. Die Konturen der unterschiedlichen Aufgaben der Sicherheitsbehörden und auch des verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes wurden damit deutlich geschärft. Das Bundesverfassungsgericht hat hohe Anforderungen an die informationelle Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten formuliert. Daraus ergibt sich ein enormer Prüf- und Handlungsbedarf, der weit über das Antiterrordateigesetz hinausreicht. Und nur deshalb hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Umsetzungsfrist für das Urteil eingeräumt: Sie läuft noch bis zum 31. Dezember 2014. Nach diesem Urteil ist es unsere Aufgabe, die Datenübermittlungsvorschriften in den Sicherheitsgesetzen am Maßstab der Verfassung neu zu überprüfen und zu reformieren – da gibt es zum Beispiel auch dringenden Handlungsbedarf bei § 19 Bundesverfassungsschutzgesetz. Das hat die Innenministerkonferenz auch schon so gesehen. Außerdem geht es in dieser Sache nicht nur um die gemeinsamen Dateien. Wir brauchen nach diesem Urteil auch zwingend eine gesetzliche Grundlage für die Gemeinsamen Abwehrzentren wie das GETZ – soweit der Betrieb überhaupt noch verfassungskonform möglich ist. Und wir brauchen eine deutlich bessere Bund-Länder-übergreifende externe Kontrolle der Zusammenarbeit von Polizeien und Nachrichtendiensten. Aber der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht leider völlig an den Erfordernissen, die sich aus dem Urteil ergeben, vorbei. So wird sogar noch die verfassungswidrige erweiterte Datennutzung, die bisher nur in der Rechtsextremismusdatei möglich war, nun auch für die Antiterrordatei neu einführt. Und dass die Gesetzesgrundlagen beider Dateien entfristet werden -sollen, obwohl keine von beiden je einer unabhängigen grundrechtsorientierten Evaluierung unterzogen wurde, erweckt bei mir den Eindruck, als interessiere die Bundesregierung die Wahrung der Grundrechte in der Sicherheitspolitik nicht. Das zeigt sich auch darin, dass uns die Bundesregierung das unabhängige rechtswissenschaftliche Gutachten aus der letzten Wahlperiode zur Evaluierung der Antiterrordatei bis heute nicht vorgelegt hat. Mit diesem Gesetzentwurf missachtet die Bundesregierung das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und ignoriert die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das können wir so nicht hinnehmen und deshalb müssen wir hier im Deutschen Bundestag dafür sorgen, dass die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils berücksichtigt werden. Wir haben in der Fraktion bereits ein öffentliches Fachgespräch zu den Konsequenzen des Urteils durchgeführt. Im Innenausschuss haben wir eine Sachverständigenanhörung zu diesem Gesetzentwurf beantragt. Wir werden nicht aufhören, für den Datenschutz, die Wahrung des Trennungsgebotes zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten und für eine verfassungskonforme Sicherheitsarchitektur zu kämpfen. Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das Antiterrordateigesetz von 2006 war eine von zahlreichen Antworten auf die gewachsene Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Durch die Einrichtung einer gemeinsamen Fundstellendatei wollten wir – nicht zuletzt im Licht der Anschläge von Madrid im März 2004, bei denen 191 Menschen getötet und über 1 900 verletzt wurden – die Zusammenarbeit und die Kontaktaufnahmemöglichkeiten der zuständigen Behörden verbessern. Dank der Datei kann ein Behördenmitarbeiter, der im Bereich des internationalen Terrorismus ermittelt oder aufklärt, schnell herausfinden, ob zu einer bestimmten Person auch bei anderen Behörden bereits Informationen vorhanden sind und an wen er sich wenden muss. Und im Eilfall, wenn Gefahr im Verzug ist und niemand in der anderen Behörde erreichbar, kann die Behörde auch die erweiterten Grunddaten freischalten. Das ist bislang genau einmal vorgekommen und bestätigt zweierlei: zum einen, wie zurückhaltend und verantwortungsvoll die Behörden mit dieser Datei und ihren Befugnissen umgehen. Zum anderen aber zeigt dieser konkrete Einzelfall auch, wie wichtig solche Eilklauseln sind: So konnte der Terrorismusverdacht gegen einen Betroffenen, der am Wochenende im Rahmen einer konkreten Terrorismusfahndung mit mehreren gefälschten Pässen angetroffen wurde, schnell entkräftet werden, obwohl er wegen Namensgleichheit mit einem anderen Verdächtigen einen Treffer in der ATD hatte. Dass die Datei so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben, hat die gesetzliche Evaluierung in der letzten Legislaturperiode gezeigt. Ganz eindeutig haben die befragten Mitarbeiter, die mit der Datei arbeiten, bestätigt, dass diese die Zusammenarbeit insgesamt verbessert hat. Noch während die Evaluierung lief, hat ein anderes tragisches Ereignis gezeigt, dass sich das terroristische Täterpotenzial nicht auf den islamistischen Terrorismus beschränkt. Die Aufdeckung der Mordserie des NSU hat uns deutlich vor Augen geführt, wie dringend wir die Zusammenarbeit der zahlreichen Sicherheitsbehörden in Deutschland auch im Bereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus verbessern müssen. Einer der ersten Schritte war daher auch hier, nach dem Vorbild der ATD eine Rechtsextremismusdatei einzurichten. Gerade vor dem Hintergrund des NSU und den Ergebnissen, die auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss hierzu in der letzten Legislaturperiode gebracht hat, wirkt das Urteil des BVerfG vom 24. April 2013 zur ATD beinahe anachronistisch, schreibt es doch erstmals ein verfassungsrechtliches informationelles Trennungsprinzip fest, das den Austausch von personenbezogenen Daten zwischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden einerseits und den Verfassungsschutzbehörden andererseits nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Aber im Kern bestätigt auch das BVerfG die ATD – und implizit auch die RED – als sinnvolle Einrichtung für die Fälle, in denen eine schnelle und unkomplizierte Kontaktaufnahme zwischen den einzelnen Behörden notwendig wird. Daher beschränken sich die Änderungen auch auf wenige, wenngleich entscheidende Punkte. So fassen wir die Definition der Personen, die in den beiden Dateien gespeichert werden, etwas enger, insbesondere werden Kontaktpersonen nur noch mit wenigen Elementardaten, die zur schnellen Identifizierung und Kontaktaufnahme notwendig sind, zu den Hauptpersonen gespeichert und können nicht mehr eigenständig in den Dateien gesucht werden. Außerdem werden künftig Daten, die aus Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis oder durch Maßnahmen der Wohnraumüberwachung gewonnen wurden, nur noch verdeckt eingestellt, sind also auch über die Eilfallregelung nicht abrufbar. Mit weiteren Maßnahmen wie der Veröffentlichung der ergänzenden Verwaltungsvorschriften und einem regelmäßigen Tätigkeitsbericht des BKA an den Bundestag erhöhen wir zudem die Transparenz der Dateien. Und ein Novum ist auch, dass die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Dateiführung nicht nur vollumfänglich kontrollieren dürfen. Hierfür hatte bereits das alte Gesetz eine revisionssichere Vollprotokollierung aller Zugriffe auf die Dateien vorgeschrieben. Zukünftig müssen sie – den Vorgaben des BVerfG entsprechend – mindestens alle zwei Jahre Kontrollen durchführen. Eine Änderung im ATDG ist allerdings nicht auf das BVerfG zurückzuführen. Im Zuge der Evaluierung der ATD ist eine Forderung der Nutzer immer wieder aufgetaucht: Der bloße Fundstellennachweis, wenn man bereits einen konkreten Verdächtigen hat, hilft zwar bei der Informationsverdichtung. Aber gerade wenn man aufgrund weniger spezifischer Hinweise nach Tätern suchen muss, wie das ja bei den NSU-Morden der Fall war, wären erweiterte Suchmöglichkeiten äußerst hilfreich. Und in der Tat: Wenn man moderne Suchmaschinen kennt, muten die Eingabemasken für die Suche in der ATD oder RED reichlich altbacken an, was in diesem Fall nicht der schlechten IT-Ausstattung der Polizei, sondern den gesetzlichen Restriktionen geschuldet ist. Nun widerspräche aber eine Suchmöglichkeit, wie wir sie von Google kennen, klar den Vorgaben des BVerfG, das gerade die Funktion als Fundstellennachweis betont hat. Daher zielt die eng begrenzte Erweiterung der Antiterrordatei hinsichtlich einer Auswerte- und Analysefähigkeit darauf ab, dass nur bereits erhobene Daten von einer an der ATD beteiligten Behörde systematisch recherchiert werden können. Dabei werden hohe formelle und materielle Maßstäbe an die Zulässigkeit solcher Auswerte- und Analyseprojekte angelegt. Insgesamt legen wir damit einen guten und praktikablen Gesetzentwurf dem Deutschen Bundestag vor, der zwei Ziele erreicht: nämlich die Einhaltung der verfassungsrechtlichen und verfassungsgerichtlichen Vorgaben auf der einen Seite und die Erfüllung der praktischen Anforderungen an eine effektive Recherche in den für die Terrorbekämpfung notwendigen Datenbeständen auf der anderen Seite. Vizepräsident Peter Hintze: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/1565 und 17/12665 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/1529 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Ein zugegebenermaßen etwas sperriger Titel für ein Gesetz, welches überwiegend Vorschriften enthält, die in der Vergangenheit mit den jeweiligen Jahressteuergesetzen geregelt wurden. So wollen wir neben der fachlichen Umsetzung der notwendigen Anpassungen eine Vielzahl von redaktionellen Änderungen und auch Vereinfachungen im Steuerrecht vornehmen. Bedeutsam ist, dass im Einkommensteuer-, Körperschaft- und Gewerbesteuergesetz eine Neuregelung und Straffung der Anwendungsregelungen erfolgt, wodurch insgesamt über 100 Absätze gestrichen werden können. Abbau von Bürokratie auch und gerade im Steuerrecht ist uns ein Anliegen. Diesem Ansinnen haben wir auch im Koalitionsvertrag entsprechend Rechnung getragen und setzen dies konsequent mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam mit unserem Koalitionspartner um. Fakt ist, dass der Abbau von unnötiger Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen stärkt und zudem auch zu einer leistungsfähigeren Verwaltung führt. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Gesetze einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet sein müssen. Bei der Steuergesetzgebung sind die Anforderungen „einfach“ und „verständlich“ zugegebenermaßen oft nur sehr schwer zu erreichen. Nicht selten ist es so, dass die wünschenswerte Einfachheit dem notwendigen Gerechtigkeitsgedanken nicht immer zuträglich ist. Vereinfachen bedeutet oft, Pauschalierungen vorzunehmen. Bei Pauschalierungen gibt es aber immer Gewinner und Verlierer, trotz der damit verbundenen Entbürokratisierung, welche den Bürgern und der Verwaltung zugutekommt. Ich freue mich daher umso mehr, dass wir der Entbürokratisierung weiter entgegengehen und unser Steuerrecht – wie im vorliegenden Gesetzentwurf – von unnötigen Regelungen befreien, sozusagen entrümpeln. Die Jahressteuergesetze stehen da in einer guten Tradition. Im Rahmen dieser Omnibusgesetze wurde bislang eine Vielzahl von Entbürokratisierungsmaßnahmen umgesetzt. So weit die bisherige bewährte Praxis, an die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nahtlos anknüpfen wollen. Ein weiterer wichtiger Punkt der Gesetzesvorlage ist, dass zukünftig alle Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in die Gewerbesteuerbefreiung einbezogen werden. Sie werden damit den stationären Einrichtungen gleichgestellt. Weiterer wesentlicher Inhalt des Entwurfs ist im Bereich der Vereinfachungen beispielsweise die Wiedereinführung der Fifo-Methode beim Handel mit Fremdwährungsbeträgen. Mit der Wiedereinführung lösen wir die mit jedem weiteren Kauf und Verkauf von Fremdwährungsbeträgen komplizierter werdende Durchschnittsmethode ab, welche wir mit der Geltung der Abgeltungsteuer eingeführt haben. Im Bereich der Umsatzbesteuerung wollen wir die Einführung einer eigenständigen Umsatzsteuerbefreiungsnorm für Arbeitsmarktdienstleistungen nach dem SGB II und dem SGB III schaffen. Die Umsatzsteuerbefreiung dient der zielgerichteten Umsetzung der europäischen Mehrwertsteuer--Systemrichtlinie, die für die mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen Umsatzsteuerfreiheit vorsieht. Der Entwurf ist schon gut, bei den kommenden Beratungen werden wir aber sicherlich noch die eine oder andere zusätzliche Maßnahme ins Gesetz aufnehmen. Ein Punkt, den wir bei den Beratungen intensiv -prüfen werden, wird die Steuerschuldnerschaft des -Leistungsempfängers bei Bauleistungen und bei Gebäudereinigungsleistungen nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH sein. Die Rechtsprechung sorgte jedenfalls in der Bau- und Handwerksbranche für erhebliche rechtliche Unsicherheit. Wir wollen jedoch möglichst präzise Gesetze, welche für die Bürger und Unternehmen klar sind. Die Beratungen und auch die anstehende Sachverständigenanhörung bleiben hier abzuwarten. Da die Gesetzvorlage bisher lediglich politisch -unproblematische Regelungen zum Inhalt hat, dürfte einer zügigen Umsetzung und dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens nichts entgegenstehen. Die Beratungsbranche und die Praxis wird mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, dass wir die hier getroffenen Regelungen nicht erst kurz vor Abschluss des Kalenderjahres, sondern weit vorher beschließen werden. Ich freue mich auf eine aufschlussreiche Sachverständigenanhörung und auf gute Beratungen in den nächsten Wochen – auch mit der Opposition. Andreas Schwarz (SPD): Zur mittlerweile fortgeschrittenen Stunde will ich Ihnen detaillierteste Ausführungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ersparen, da wir auch immer noch ganz am Anfang des Verfahrens stehen, aber auf einige wenige Punkte möchte ich doch auch weit nach Sonnenuntergang eingehen. Es ist immer wieder spannend, was sich so alles hinter Gesetzesbezeichnungen verbirgt, und wenn man dann mal genauer reinschaut, entdeckt man allerlei Überraschendes und Vielfältiges. Ähnlich vielfältig wie das Land Kroatien ist, so ist auch dieser Gesetzentwurf. Hangeln wir uns hierbei doch durch allerlei steuerliche Regelungen und Richtlinien, die teilweise sogar Kroatien betreffen. Zu einem nicht unwesentlichen Teil handelt es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung um die Anpassung geltenden Rechts an den bereits zurückliegenden Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union. Dies sind weitestgehend unstrittige redaktionelle oder rechtsförmliche Anpassungen, die geschehen müssen, um bestehende Gesetze an den Beitritt Kroatiens anzupassen. Ich denke da etwa an die Anpassung der Mutter-Tochter-Richtlinie oder der Anpassung der Richtlinie über die Zins- und Lizenz-gebühren. Aber die Bundesregierung nutzt, und das begrüßen wir als SPD-Bundesfraktion ausdrücklich, die Gelegenheit, die Steuergesetzgebung auch etwas zu entschlacken, teils über redaktionelle Änderungen, teils aber auch durch berechtigte Straffung des Gesetzestextes. Denken wir etwa an die Neufassung der Anwendungsregelungen in § 52 des Einkommensteuergesetzes, in dem nun statt 150 Absätzen künftig nur noch 48 Absätze stehen sollen. Das vereinfacht es nicht unwesentlich den Gesetzestext zu nutzen, aber auch erst einmal zu verstehen. Neben den zahlreichen technischen und redaktionellen Änderungen und rechtlichen Klarstellungen gibt es aber auch tatsächlich substanzielle Änderungen, die wir begrüßen und die es vor allem auch den Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten in unserem Land erleichtern sollen, ihre Arbeit weiterhin so gut zu verrichten. Die nun einzuführende Regelung, dass künftig die Steuer-ID des Unterhaltsempfängers auf der Steuererklärung des Unterhaltspflichtigen genannt werden muss, erleichtert es, Missbrauch zu vermeiden, und ist der richtige Schluss aus der berechtigten Kritik der Rechnungshöfe. Die Anhebung des Grenzbetrages für die jährliche Abgabe der Lohnsteueranmeldung von 1 000 Euro auf 1 080 Euro ist logisch und nachvollziehbar und entlastet die Steuerverwaltung genauso wie die Arbeitgeber. Wir unterstützen das. Zwei notwendige Schritte im Rahmen des Einkommensteuergesetzes werden angepackt, bei denen ich mich besonders auf die Beratungen und Diskussionen im Finanzausschuss freue, weil ich der festen Überzeugung bin, das wir dort alle gemeinsam einen Schritt vorankommen wollen. Zum einen richtet sich der Gesetzentwurf gegen Modelle, bei denen „gebrauchte“ Versicherungen von Versicherungsnehmern an Dritte – häufig Versicherungen oder Fonds – verkauft werden. Der Gewinn, den dabei die Käufer erzielen, ist bisher steuerfrei, und das müssen wir ändern. Es handelt sich hierbei häufig um Lebensversicherungen, und letztlich sind das Wetten auf den Tod, die hier abgeschlossen werden. Wer daraus Gewinn erzielen will, der muss darauf auch Steuern zahlen. Das Credo muss nämlich weiterhin lauten: Risikovorsorge darf steuerbefreit bleiben, Renditeerwartungen zweckentfremden jedoch die Versicherung und sollten somit steuerpflichtig sein. Hier kommen wir einen weiteren Schritt voran. Zum anderen geht es darum, zu vermeiden, dass beschränkt Steuerpflichtige ihre Dividendenansprüche kurz vor dem Stichtag veräußern, um die Steuerpflicht zu umgehen. Auch hier sieht der Gesetzentwurf sinnvolle Veränderungen vor, die dieses künftig vermeiden sollen. Durch die gesetzliche Klarstellung der geltenden Rechtslage werden künftig Fehlinterpretationen vermieden. Im Bereich der Gewerbesteuer sollen auch Änderungen vollzogen werden, die es zu erwähnen gilt. Die Erweiterung des Inlandsbegriffes ist aus meiner Sicht unstrittig. Weitere Veränderungen soll es im Bereich der ambulanten Rehaleistungen geben. Wer sich ein wenig mit Rehabilitationsmaßnahmen in unserem Land beschäftigt, kennt die Entwicklung, dass heutzutage Therapien, die früher immer stationär vollzogen wurden, heute häufig ambulant geschehen. Dies geschieht häufig auch im Sinne des Patienten. Nun soll es eine steuerliche Gleichstellung geben, da bisher nur Krankenhäuser und stationäre Rehaeinrichtungen von der Gewerbesteuer befreit sind. Der einzige Unterschied besteht jedoch in der ausbleibenden Übernachtung. Hier sehen wir Handlungsbedarf. Ich denke, der Gesetzentwurf geht hier in die richtige Richtung. Aber ein gutes Steuergesetz ändert auch immer einiges in der Umsatzsteuer. Auch hier bin ich sehr gespannt auf die gestern im Finanzausschuss beschlossene Anhörung, weil wir hier den wohl spannendsten und kontroversesten Teil des Gesetzentwurfes finden können. Die Steuerbefreiungen für Eingliederungsleistungen nach dem SGB II und der aktiven Arbeitsförderung nach SGB III scheinen mir nachvollziehbar und richtig zu sein. Ganz ähnlich denke ich über die Steuerbefreiung für die Personalgestellung durch religiöse und weltanschauliche Einrichtungen. Nun hat uns der Finanzausschuss des Bundesrates schon eine Stellungnahme übermittelt, die auch noch einige interessante Änderungsvorschläge beinhaltet, und ganz besonders spannend ist der Änderungswunsch zu § 13 b Umsatzsteuergesetz. Die Rechtsprechung hat hier einiges verändert oder verschlimmbessert – wie man will. Hier geht es um die dringende Frage, wer denn nun die Umsatzsteuer abführen muss oder nicht, beispielsweise wenn ich einen Auftrag an eine Baufirma vergebe und diese ihn an unterschiedliche Subunternehmer weitergibt. Wer führt nun die Umsatzsteuer ab? Das gilt es gesetzlich endlich festzuzurren, um rechtliche Klarheit wiederherzustellen. Aktuell etwa kann es unter anderem passieren, dass Subunternehmer eigentlich Umsatzsteuer zahlen müssten, aber eventuell gar nicht mehr existieren. Hier besteht Handlungsbedarf, und den hat der Bundesrat in seiner Weisheit entdeckt und einen praktikablen Vorschlag gemacht, den wir mit in die Beratungen im Ausschuss nehmen und auch in der Anhörung mit den Verbänden diskutieren werden. Es bewahrheitet sich also wie so häufig das Strucksche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es reingekommen ist. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und die gemeinsame Arbeit. Richard Pitterle (DIE LINKE): Der Entwurf, den uns die Bundesregierung hier vorgelegt hat, heißt ganz unscheinbar „Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“. Man könnte also denken, hier gehe es nur um ein, zwei kleine Änderungen, die durch den Kroatien-Beitritt notwendig geworden wären. Tatsächlich aber setzen Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, uns hier ein neunzigseitiges Monstrum vor, das auf den ersten Blick nur sehr schwer zu durchschauen ist. Sie sehen in dem Entwurf so viele Gesetzesänderungen vor, dass er teils sogar schon als „heimliches Jahressteuergesetz 2014“ bezeichnet wird. Zwar will ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, erst einmal zugestehen, dass es sich bei vorliegendem Gesetzentwurf zu großen Teilen auch um eine begrüßenswerte Entrümpelungsmaßnahme im völlig unüberschaubaren Wust des Steuerrechts handelt. Dass Sie zum Beispiel längst überholte Paragrafen im Einkommensteuergesetz streichen, war sozusagen ohnehin überfällig. Eines können wir nämlich mit Bestimmtheit sagen: Jedes kleine bisschen Mehr an Transparenz und Verständlichkeit ist wünschenswert. Das wird jeder bestätigen können, der schon mal mehr als einen Blick ins deutsche Steuerrecht werfen musste. Einige Stellen in Ihrem Entwurf geben aber auch Anlass zur Sorge. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: In Ihrem Entwurf wollen Sie unter anderem das Gewerbesteuerrecht ändern, indem Sie die Liste der Ausnahmen von der Gewerbesteuerpflicht erweitern. Zwar mag es sich letztlich gemessen an der Summe der dadurch bedingten Steuerausfälle hier nur um „Peanuts“ handeln, Sie wissen aber auf der anderen Seite ganz genau, dass die Gemeinden in Deutschland teilweise so pleite sind, dass sie auf die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, und seien es nur „Peanuts“, schlichtweg nicht verzichten können. Die Linke hat dies im Gegensatz zu Ihnen erkannt und erst kürzlich einen Antrag zur Stärkung der Kommunalfinanzen eingebracht. Wir fordern statt der Aushöhlung der Gewerbesteuer deren Ausbau und Weiterentwicklung hin zu einer Gemeindewirtschaftsteuer, damit die Kommunen ihren öffentlichen Aufgaben endlich wieder nachkommen können – kaputte Straßen und verfallende Schulen und Krankenhäuser gehen zulasten der Bürgerinnen und Bürger; das sollte Ihnen doch wohl klar sein. Und wo wir schon dabei sind, hier noch eine weitere Anregung, die Sie unbedingt beherzigen sollten: In Ihrem Sammelsurium von Änderungen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, müssen Sie dringend auch den durch die Entscheidung des Bundesfinanz-hofes aus dem August letzten Jahres angefallenen Reformbedarf bei den umsatzsteuerlichen Regelungen zum Übergang der Steuerschuld bei der Erbringung von Bauleistungen berücksichtigen. Es kann nicht angehen, dass bei Bauleistungen zwischen zwei Unternehmen am Ende keiner weiß, wer denn nun die Umsatzsteuer zu zahlen hat. Sie haben hier bereits entsprechende Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf angekündigt. Lassen Sie dem auch Taten folgen. Letztlich befürchte ich, dass im Zuge der kommenden Anhörung im Finanzausschuss noch einiges mehr in diesem Gesetzentwurf aufgedeckt werden könnte, was eher schlecht als recht ist. Man könnte ja sogar auf die Idee kommen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, dass Sie uns hier im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft, wo fast sämtliche Augenpaare der Republik bereits nach Brasilien gerichtet zu sein scheinen, noch ein paar unliebsame Überraschungen durch diesen Gesetzentwurf unterjubeln wollen. Aber wie heißt es doch so schön: ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Spannendste bei diesem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung hier vorlegt, sind die Baustellen, die mit diesem Gesetz nicht berührt werden. Die Bundesregierung schlägt auf über 80 Seiten Änderungen in 15 Gesetzen und 3 Durchführungsver-ordnungen vor, und am Ende kostet dieses Paket lediglich 20 Millionen Euro pro Jahr? Und selbst diese 20 Millionen beruhen allein auf den Änderungen im Umsatzsteuer- und Gewerbesteuergesetz. Das Kroa-tienanpassungsgesetz kommt im Mantel eines Jahressteuergesetzes daher, doch die sehr begrenzte Aufkommenswirkung zeigt, wie wenig ambitioniert die vorgeschlagenen Maßnahmen sind. Statt dringende Themen anzugehen, präsentieren Sie einen Wust von Vorschriften, die nichts kosten, aber auch niemandem etwas bringen. Sie haben angekündigt, im Baubereich das Reverse-Charge-Verfahren einführen zu wollen. Wer sich einmal ausführlich mit den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes zur Reform der Umsatzsteuer oder mit dem Katalog der Steuersubventionen auseinandersetzt, stößt auf sehr viel weiter gehende Empfehlungen. Die Erhebungslücke der Umsatzsteuer gefährdet die öffentlichen Haushalte. Betriebsprüfungen und Umsatzsteuersonderprüfungen kommen regelmäßig zu Mehrergebnissen in Höhe von 4 Milliarden Euro pro Jahr, die ohne diese Prüfungen im Erhebungsverfahren unter den Tisch gefallen wären. Allein die Steuerfahndung sorgt noch für weitere Umsatzsteuermehreinnahmen im Umfang von etwa 2 Milliarden Euro. Diese prüfungsbedingten Mehreinnahmen sind ein -Indiz für den unentdeckt gebliebenen Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten, die der Umsatzbesteuerung entgehen. Zählt man die Niederschlagungen und Insolvenzen dazu, zeigt sich, wie groß das Ausfallrisiko im Umsatzsteuersystem ist. Setzen Sie sich intensiver mit dem Reverse-Charge-Verfahren auseinander, und Sie werden dem Bundesrechnungshof vielleicht zustimmen, dass damit erhebliche Ausfälle vermieden werden könnten. Die Hotelsteuer ist eine ungerechtfertigte Steuersubvention, die zu Steuerausfällen von etwa 1 Milliarde Euro jährlich führt. Ansatzpunkte haben Sie genug, und parlamentarische Mehrheiten finden Sie dafür sogar jenseits der Koalitionsmehrheit. Vizepräsident Peter Hintze: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1529 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Bericht der Bundesregierung 2013 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates Bessere Rechtsetzung 2013: Erfolge dauerhaft sichern – zusätzlichen Aufwand vermeiden Drucksache 18/866 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Helmut Nowak (CDU/CSU): Bürokratieabbau ist eines der zentralen Themen der Großen Koalition. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von unnötiger Bürokratie entlasten.“ Uns ist es wichtig, diese Vereinbarung in enger Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner einzuhalten. Als Vorsitzender der AG Bürokratieabbau des Parlamentskreises Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion ist es mir deswegen ein Anliegen, die Bundesregierung beim Abbau bürokratischer Überregulierung zu unterstützen. Bei der Einsetzung des Nationalen Normenkontrollrats 2007 waren Unternehmen in Deutschland mit rund 50 Milliarden Euro jährlich durch Informationspflichten belastet. Um diese Kosten zunächst spürbar zu senken, wurde ein Nettoabbauziel von 25 Prozent definiert, was einer Senkung von rund 12 Milliarden Euro entspricht. Dieses Ziel wurde 2013 erreicht. Um Bürokratie messbar zu machen, wurde ein Büro-kratiekostenindex geschaffen. Dies macht es zum ersten Mal möglich, die Kostenentwicklung darzustellen. Im Laufe des Jahres 2013 wurden die Weichen für eine bessere Gesetzgebungskultur gestellt. Zu nennen sind hier insbesondere der Beschluss für eine systematische Evaluierung wesentlicher Regelungsvorhaben sowie gemeinsame Vorarbeiten von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat für ein elektronisches Unterstützungssystem zur Vorbereitung von Regelungsentwürfen. Im Bericht der Bundesregierung wird deutlich, dass sich die Methodik zur Darstellung des Erfüllungsaufwands nach gut zweijähriger Erfahrung bewährt hat. Die Kontrolle der Gesetzesfolgen innerhalb der Ministerien ist nicht nur vorgeschrieben, sondern stellt mittlerweile eine Selbstverständlichkeit dar. Auch das ist ebenfalls als großer Erfolg zu verbuchen. Sowohl in den Ministerien als auch bei Bürgern, Verbänden, Verwaltung und Unternehmen ist diese Vorgehensweise auf große Akzeptanz gestoßen. Dadurch erhalten wir größtmögliche Transparenz für den Entscheidungsträger und zudem ein realistisches, praxisnahes Bild von den zu erwartenden Folgen einer Regelung. Trotz des Erfolges verzeichnet die Bundesregierung beim jährlichen Erfüllungsaufwand 2013 im Saldo einen Anstieg um circa 2,4 Milliarden Euro. Davon entfallen laut Nationalem Normenkontrollrat auf die Wirtschaft 1,71 Milliarden Euro, auf Bürgerinnen und Bürger 0,47 Milliarden Euro und auf die Verwaltung 0,25 Milliarden Euro. Allein 2,16 Milliarden Euro sind allerdings auf die Zweite Verordnung zur Änderung der Energieeinsparverordnung zurückzuführen. Verantwortlich hierfür ist insbesondere die Anhebung der Energieeffizienzstandards ab 2016. Mit der Einführung der aktuellen Gesetzentwürfe zum Tarifautonomiestärkungsgesetz und zum EEG ist ebenfalls ein Anstieg des Erfüllungsaufwands auf allen Ebenen zu erwarten. Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz beispielsweise soll eines der zentralen Vereinbarungen des -Koalitionsvertrags umgesetzt werden. Damit einher -gehen diverse Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz, im Tarifvertragsgesetz und in weiteren Gesetzen. Zuständig für die Überprüfung wird die Zollverwaltung sein. All diese Maßnahmen bewirken einen erheblichen Anstieg des Erfüllungsaufwands. Eine entsprechende Auswertung zur Darstellung des Erfüllungsaufwands muss gemäß § 4 Absatz 4 NKR-Gesetz mittlerweile in jedem Gesetz enthalten sein. Durch die Ermittlung des Erfüllungsaufwands soll der Gesetzgeber eine angemessene vollständige Übersicht zu den Kostenfolgen und dadurch eine wichtige Entscheidungsgrundlage erhalten. Der Normenkontrollrat veröffentlichte bereits eine Stellungnahme, ob die Anforderungen an eine hinreichende Abschätzung und Darstellung der Gesetzesfolgen entsprechend den Bestimmungen des NKR-Gesetzes gegeben sind. Nach dieser Stellungnahme ist die Darstellung der Regierung in Bezug auf den Erfüllungsaufwand jedoch sehr lückenhaft. Kritisiert wird, dass wesentliche Aufwände wie beispielsweise die Verpflichtung der Zollverwaltung zur Prüfung nicht aufgeführt werden. Zudem sei den nach dem NKR-Gesetz geforderten Anforderungen für eine Alternativenprüfung nicht entsprochen worden. Genaue Zahlen sind bislang nicht bekannt. Der zu erwartende Erfüllungsaufwand ist aller Voraussicht nach jedoch erheblich. Auch wenn der Erfüllungsaufwand bereits ein etablierter Mechanismus ist, muss hier weiter nachgebessert werden. Der Prozess zu den aktuellen Gesetzentwürfen zum Tarifautonomiestärkungsgesetz und auch zum EEG sind bereits zu weit fortgeschritten, um den bürokratischen Lasten wirksam entgegenwirken zu können. Bei zukünftigen Gesetzesvorlagen muss deswegen rechtzeitig Einfluss genommen werden. Dazu bedarf es einer angemessenen Beachtung der Anforderungen des NKR-Gesetzes bei der Darstellung des Erfüllungsaufwands und vor allem einer rechtzeitigen und transparenten Kostenübermittlung der zuständigen Ressorts. Deswegen gilt es nun, auf Grundlage des bereits Erreichten das Regierungsprogramm „Bessere Rechts-setzung“ systematisch weiterzuentwickeln. Nur so können wir unsere Zusagen im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode zuverlässig einlösen: „Wir wollen bei den Informations- und Nachweispflichten zu einer Entlastung kommen und den Erfüllungsaufwand verringern.“ Das aktuelle Arbeitsprogramm „Bessere Rechtssetzung 2014“ wurde am 4. Juni veröffentlicht und baut auf den Entwicklungen des Programms von 2013 auf. Eines der elementaren Ziele des Programms ist es, Entlastungen noch spürbarer zu machen. Deswegen soll der Fokus auf qualitativen Elementen liegen, wie beispielsweise einer regelmäßigen Befragung von Bürgerinnen und Bürgern. Es soll herausgefunden werden, wie innerhalb bestimmter Lebenslagen Kontakt und Zusammenarbeit mit der Verwaltung wahrgenommen wird, um Hinweise zu möglichen Vereinfachungen und Verbesserungen bei Verwaltungskontakten zu erlangen. Die Befragungen beginnen 2015. Zahlreiche Vereinfachungsprojekte für diverse Lebenslagen sollen initiiert werden, mit dem Ziel, dass die Ergebnisse zu weiteren spürbaren Entlastungen führen. Zudem soll der Erfüllungsaufwand bei einer Reihe von Maßnahmen weiter reduziert werden, beispielsweise durch Normenscreenings oder eine Modernisierung des steuerlichen Verfahrensrechts. Der Fokus liegt hier insbesondere auf der Entlastung kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie einer bürger- und unternehmensfreundlichen Verwaltung. Ein weiteres Vorhaben bezieht sich auf die Verbesserung von Rechtsetzungsprozessen, vor allem auf die praktische Erprobung von Maßnahmen sowie deren systematische Evaluierung. Um einen besseren Überblick zu erhalten, soll die Entwicklung des Erfüllungsaufwands künftig vierteljährlich ermittelt werden. Wir begrüßen die bisher erzielten Fortschritte sowie die weiteren Ziele, die die Bundesregierung sich im Rahmen des Arbeitsprogramms „Bessere Rechtssetzung 2014“ gesetzt hat. Diese sind jedoch laut der ebenfalls am 4. Juni veröffentlichten Stellungnahme des NKR noch nicht ausreichend. Der Rat bemängelt, dass im Programm kein neues Abbauziel gesetzt wurde. Insbesondere vor dem Hintergrund eines steigenden Erfüllungsaufwands ist aber ein quantitatives Abbauziel dringend erforderlich. Zudem regt der Rat an, die vierteljährliche Ermittlung des Erfüllungsaufwands im Sinne von mehr Transparenz auch zu veröffentlichen. Positiv bewertet der Rat die weiteren Bemühungen zur Spürbarkeit von Maßnahmen, die einen qualitativen Ansatz beinhalten. Das aktuelle Arbeitsprogramm weist in die richtige Richtung, dennoch besteht noch Verbesserungsbedarf. Und dafür müssen wir uns konkrete Ziele setzen. Diese Ziele können wir jedoch nur gemeinsam erreichen. Gemeinsam mit den hochspezialisierten Mitarbeitern in den Ministerien. Gemeinsam mit den betroffenen Verbänden. Gemeinsam mit den betroffenen Bürgern und Unternehmern. Aber auch gemeinsam mit unseren Kollegen in Brüssel und der Europäischen Union. Über 50 Prozent unserer Gesetze kommen von der Europäischen Union. Deswegen ist es besonders wichtig, auch bereits dort anzusetzen, wo sie entstehen. In den letzten Jahren wurden bereits wichtige Schritte auf EU- und Mitgliedstaatenebene erreicht. Ich gehe davon aus, dass das Thema Bürokratieabbau auch weiterhin in den Mitgliedstaaten, der Kommission und dem EU-Parlament hohe Priorität genießt. Im Mai war ich auf der internationalen Konferenz zum Thema „Smart Regulation“ in Den Haag. Die Niederlande sind bereits seit Jahren Vorreiter beim Bürokratieabbau. Ihr 25-Prozent-Nettoabbauziel erreichten sie erfolgreich mit einem Ansatz ähnlich dem deutschen Standardkostenmodell. Vor Ort konnte ich mir ein Bild von den Aktivitäten auf EU-Ebene und in den anderen Mitgliedstaaten machen. Mein Fokus lag auf der zukünftigen Gestaltung der EU-Regulierungspolitik. Ich wollte dadurch konkrete Ansatzpunkte und Ziele für die Mitwirkung des Deutschen Bundestages im europäischen Gesetzgebungsprozess erfahren. Hierzu führte ich ein aufschlussreiches Gespräch mit Dr. Edmund Stoiber, der seit 2007 die Hochrangige Gruppe Bürokratieabbau in Brüssel leitet. Gestern fand bereits das zweite Treffen statt, bei dem mich Dr. Stoiber über seine Arbeit in Brüssel informierte. Auch wenn im September 2014 das Mandat seiner Gruppe bereits ausläuft, muss seine wichtige und erfolgreiche Arbeit fortgesetzt werden. Ein hoher bürokratischer Aufwand schadet der europäischen Wirtschaft, schadet der deutschen Wirtschaft und somit Deutschland insgesamt. Laut einer aktuellen Studie von PriceWaterhouseCoopers ist „Überregulierung […] das größte Risiko für das Wirtschaftswachstum“, zumindest unter den Faktoren, die von der Politik beeinflusst werden können. Nicht nur Unternehmen, sondern auch Bürger und Verwaltungen leiden unter den Lasten überbordender Bürokratie. Im Koalitionsvertrag haben wir bereits diverse Maßnahmen hierzu herausgearbeitet, die es jetzt zu konkretisieren gilt, um unser gemeinsames Ziel, belastende Bürokratie abzubauen, zu erreichen. Andrea Wicklein (SPD): Wenn auch zu wirklich später Stunde, klar ist: Die Themen Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung sind und bleiben außerordentlich wichtig für die Bürgerinnen und Bürger, für Verwaltung und die Wirtschaft. Denn eine schlanke Verwaltung, verständliche Gesetze mit möglichst wenig Bürokratie, aber auch die regelmäßige Überprüfung, ob Gesetzesziele und -Folgen vertretbar sind, das alles sind wichtige Standortfaktoren für ein modernes Industrieland wie Deutschland. Es ist ganz entscheidend, dass über Regelungskosten und Regelungsnutzen Transparenz für Parlament und Regierung hergestellt wird. Klar ist damit auch: Über den Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes Deutschland entscheiden nicht allein zukunftsträchtige Ideen, hochwertige Produkte und Dienstleistungen. Auch möglichst niedrige Bürokratiekosten tragen letztlich dazu bei, ob sich Unternehmen bei uns ansiedeln und ob Bürgerinnen und Bürger sich gesellschaftlich engagieren. Geringe -Bürokratiekosten sind damit auch ein Markenkern für unsere soziale Marktwirtschaft und unser demokratisches Gemeinwesen, die letztlich auf dem Engagement des Einzelnen beruhen und die Akzeptanz der großen Mehrheit der Bevölkerung benötigen. Dazu ist die Herstellung von Transparenz ein notwendiger Ansatz. Bereits in der vergangenen Großen Koalition haben wir seit 2005 dazu die richtigen Entscheidungen getroffen. Damals hatten wir im Koalitionsvertrag beschlossen, Bürger und Wirtschaft von einem Übermaß an Vorschriften und der damit einhergehenden Belastung durch bürokratische Pflichten und Kosten zu entlasten. Der Bundestag hat seitdem die Weichen dafür gestellt, dass wir heute einen handhabbaren und transparenten Instrumentenkasten zum Bürokratieabbau vorweisen können: Bereits im Jahr 2006 hat der Bundestag die Einrichtung des Normenkontrollrats als unabhängiges Kon-troll- und Beratungsgremium beschlossen, das seitdem die Angaben der Ministerien über die zu erwartenden Bürokratiekosten in den Regelungsvorhaben der Bundesregierung sowie den Normenbestand prüft. Wir haben das Standardkosten-Modell zur objektiven Messung der bürokratischen Belastungen von Unternehmen eingeführt. Seit 2011 erreichen wir mit der Ermittlung des Erfüllungsaufwandes, dass alle mit einem Regelungs-vorhaben verbundenen Belastungen der Wirtschaft, Verwaltung sowie der Bürgerinnen und Bürger systematisch untersucht und dargestellt werden. Seit 2012 wird die Entwicklung der Bürokratiekosten für die Wirtschaft mit dem Bürokratiekostenindex transparent dargestellt. Schließlich hat die Bundesregierung 2012 beschlossen, alle Regelungsvorhaben mit einem Erfüllungsaufwand von über 1 Million Euro drei bis fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten hinsichtlich der tatsächlich erzielten Wirkungen zu evaluieren. Insgesamt besteht durch diese Maßnahmen die Möglichkeit, die bei uns bestehenden Bürokratiekosten zuverlässig zu erfassen, den Bürokratiekostenabbau nachprüfbar zu machen und auch für neue Gesetze weitgehend vorherzusagen. Der Bericht der Bundesregierung zur besseren Rechtsetzung 2013 mit dem Titel: „Erfolge dauerhaft sichern – zusätzlichen Aufwand vermeiden“ zeigt einmal mehr, dass wir beim Bürokratieabbau zwar den richtigen Weg eingeschlagen haben, aber noch lange nicht am Ziel sind. Aus dem Bericht für das Jahr 2013 geht hervor, dass das Ziel, die Bürokratiekosten der Wirtschaft dauerhaft auf niedrigem Niveau zu halten, für 2013 weitgehend erfüllt werden konnte. So ist der Bürokratiekostenindex der Wirtschaft um 0,04 Punkte auf 100,31 gestiegen und bleibt damit auf relativ niedrigem Niveau. Positiv ist auch, dass 2013 mehrere Vereinfachungsprojekte durchgeführt worden sind, wie beispielsweise zu den gesetzlichen Leistungen in der Pflege, zur Fahrzeug-Online-Zulassung oder zum Bildungs- und Teilhabepaket. Schließlich wurden 2013 die Weichen für eine systematische Evaluierung wesentlicher Regelungsvorhaben gestellt, um auch nach Inkrafttreten zu prüfen, ob die Ziele erreicht wurden und der ermittelte Aufwand vertretbar ist. Trotz dieser zweifelsohne erreichten Fortschritte müssen wir auf der anderen Seite erkennen, dass auch 2013 der laufende Erfüllungsaufwand in der Summe weiter um rund 2,4 Milliarden Euro angestiegen ist: für die Wirtschaft um rund 1,6 Milliarden Euro, für die Bürger um 470 Millionen Euro und für die Verwaltung um jährlich 245 Millionen Euro. Entscheidender -Kostentreiber mit einem Anteil von 40 Prozent der im Berichtszeitraum geänderten Vorgaben bleiben darunter beispielsweise für die Wirtschaft die Informationspflichten. Der Nationale Normenkontrollrat fordert in seiner Stellungnahme zum Jahresbericht die Bundesregierung dazu auf, klare Ziele für eine Begrenzung des -Erfüllungsaufwandes zu setzen und geeignete -Maßnahmen zur Kostenreduzierung bzw. -begrenzung zu erarbeiten bzw. umzusetzen. Einen besonderen Schwerpunkt legt der Normenkontrollrat bei seinen Vorschlägen auf die Kostenfolgen durch EU-Recht und kritisiert, dass bisher keine Transparenz über die von EU-Verordnungen ausgehenden Belastungen für Deutschland bestehen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass die Bundesregierung in ihrem neuen Arbeitsprogramm „Bessere Rechtsetzung 2014“ genau diesen Punkt teilt, ihre Verfahren zur Mitwirkung an der EU-Gesetzgebung überprüfen und weiterentwickeln will. Auch bei der Vereinfachung geltenden EU-Rechts, der Rücknahme nicht notwendiger Vorschläge und der Aufhebung überholter Rechtsvorschriften will die Bundesregierung mitwirken. Die Regierungsfraktionen werden die Maßnahmen rund um den Bürokratieabbau und für bessere Rechtsetzung aktiv begleiten. Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von unnötiger Bürokratie zu entlasten. Wir wollen, dass Unternehmen und Verbände, Normenkontrollrat und Bundesministerien, Landesbehörden und Kommunen gemeinsam Vereinfachungsmöglichkeiten identifizieren und für eine bessere Rechtsetzung sorgen. Wir wollen in geeigneten Fällen Regelungen praktisch erproben, schon bevor sie beschlossen werden. Wir wollen, dass auch bestehende Rechtsvorschriften hinsichtlich ihrer Kosten und ihres Nutzens überprüft werden. Und wir wollen erreichen, dass es auch auf europäischer Ebene einen eigenständigen Normenkontroll-mechanismus gibt. Mit diesen Zielen kann der Kreislauf bei den Regelungen geschlossen und noch mehr Transparenz hergestellt werden. Die Koalition wird beim Bürokratieabbau und bei der besseren Rechtsetzung entschlossen die nächsten Schritte gehen. Schwerpunkte sind neben den bereits genannten Zielen aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion vor allem klare und überprüfbare Vorgaben für eine Begrenzung des Erfüllungsaufwands, aber auch die umfassendere Einbindung von Ländern und Kommunen in die Ermittlung und Reduzierung der Vollzugskosten von Bundesrecht sowie die kontinuierliche Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den Vorhaben zum Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher, die Anstrengungen des Bundestages für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung lohnen sich. Sie regen Unternehmensgründungen, Innovationen und zivilgesellschaftliches Engagement insgesamt an. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Michael Schlecht (DIE LINKE): Das Wort Bürokratie hat bei vielen Bürgerinnen und Bürgern einen schlechten Klang. Millionen von Menschen in Deutschland sind regelmäßig mit den Mühlen der Bürokratie beschäftigt, wenn es darum geht, ihren Anspruch auf ALG II einzufordern oder ihre Steuer-erklärung zu machen. Alles Bereiche in denen ein -Bürokratieabbau millionenfache Jubelstürme auslösen würde. Doch der absolute Schwerpunkt des Normenkontrollrates liegt nach wie vor auf der Reduzierung von tatsächlichem und vermeintlichem bürokratischem Aufwand für Unternehmen. Nun ist die Reduzierung von unnötiger Bürokratie auch für Unternehmen, welche erheblich zum Wohlstand in Deutschland beitragen, insbesondere bei der Beschäftigung, nichts Verwerfliches. Bedenklich wird es nur, wenn zum Beispiel der Abbau von Berichts-, -Informations- und Aufbewahrungspflichten zu einer Verschlechterung im Bereich des Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutzes oder im Bereich der Steuerbefolgung führt. Der Normenkontrollrat gab in seinem -Bericht aus dem Jahr 2012 freimütig zu: „Die vom NKR (Normenkontrollrat) abschließend geprüften -Regelungsvorhaben führen im Saldo zu einer Reduzierung des jährlichen Erfüllungsaufwands von rund 1,4 Milliarden Euro. Dieser Rückgang des Aufwands geht allerdings im Wesentlichen auf eine einzige Maßnahme zurück – die Reduzierung der Aufbewahrungsfristen nach dem Steuer- und Handelsrecht. Ohne diese Maßnahme wäre ein Anstieg des Erfüllungsaufwands seit Juli 2011 von rund 1,1 Milliarden Euro zu verzeichnen.“ Im Bericht vom Juli 2013 wird dann die Steigerung der Befolgungskosten um 1,5 Milliarden Euro bemängelt – Zitat – „Neuregelungen im Zusammenhang mit Energiewende und Finanzmärkten waren dabei die größten Kostentreiber.“ Die Regulierung der Finanzmärkte, die die Euro-Zone in eine tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise gestürzt haben, scheint aus Sicht des Normenkontrollrates als reines Problem der Befolgungskosten. Eine solche Beurteilung gerät zwangsläufig schief. Im Gegensatz zur Berechnung der Befolgungs-kosten scheint die Berechnung eines Nutzens mit unlösbaren methodischen Problemen einherzugehen. Wenn aber die Sinnhaftigkeit eines Gesetzes außerhalb der Betrachtung bleibt, sind weder vernunftgeleitete Urteile noch Abwägungen von Kosten und Nutzen möglich. Bei aller Sinnhaftigkeit von Bürokratieabbau darf damit keine Reduzierung von Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzrechten einhergehen und keiner Steuervermeidung Vorschub geleistet werden. Das ist aber gerade nicht Prüfauftrag des Normenkontrollrates. Vermeidung von überflüssigem bürokratischem Aufwand, Anpassung von sich widersprechenden gesetzlichen Vorschriften sind alles gute Ziele. Doch bei der Normenkontrolle darf es nicht zu allererst um reine Kostenreduzierung gehen, sondern um die qualitative Verbesserung von Verwaltungsvorgängen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bürokratieabbau ist und bleibt ein Dauerthema. In fast jedem Gespräch mit Vertretern des Mittelstandes wird das Thema vorgetragen, immer wieder werden Vorschläge unterbreitet – aber nur wenig wird letztendlich umgesetzt. Bezeichnend ist, dass diese Debatte erst nach Mitternacht von der Koalition aufgesetzt wurde und dann die Reden zu Protokoll gegeben wurden. Das zeigt aber auch auf, dass für diese Bundesregierung Bürokratieabbau ein untergeordnetes Thema ist. Bevor ich das bewerten will, möchte ich ein paar Sätze zum vorgelegten Bericht der Bundesregierung und zum Jahresbericht des Nationalen Normenkon-trollrats sagen. Dieser hat für das Jahr 2013 einen -Anstieg des sogenannten Erfüllungsaufwands um gut 1,5 Milliarden Euro errechnet. Hinzu kommen einmalige Erfüllungsaufwandskosten in Milliardenhöhe. Wenn man den Standpunkt vertritt, dass Bürokratie per se schlecht ist, dann klingt das zunächst ernüchternd. Wenn man den Jahresbericht des Normenkontrollrats dann aber genau betrachtet und sieht, was zu einem Aufwuchs des Erfüllungsaufwands geführt hat, dann muss man zu anderen Schlüssen kommen. Da haben wir zum Beispiel als größten Posten beim jährlichen Erfüllungsaufwand Auflagen bei Energieeinsparvorschriften bei Wohngebäuden und damit bei der Energiewende. Daneben haben insbesondere neue Auflagen und Regeln für das Finanzsystem zu einem höheren Aufwuchs der Bürokratie geführt. Und an dieser Stelle muss ich ganz klar sagen: An der richtigen Stelle ist Bürokratie richtig und wichtig. Märkte und Marktteilnehmer brauchen Grenzen und Leitplanken, in denen sie sich bewegen können. Gerade im Bereich der Ökologie müssen wir Vorgaben machen, die auch zu einem Mehraufwand bei den Erfüllungspflichten führen können. Gleiches gilt für das Finanzsystem, das ohne nennenswerte Grenzen direkt auf den Crash der Finanz- und Eurokrise zugesteuert ist. Zu diesen Grenzen gehören auch Anforderungen an mehr Transparenz und damit verbundenen gewisse Auskunftspflichten, die zu mehr Bürokratie führen. Da müssen Banken, Versicherungen und auch die Verwaltung im Zweifel mehr Aufwand betreiben. Um weitere Krisen so gut es geht zu vermeiden, ist das aber mehr als gerechtfertigt. Beide Beispiele verdeutlichen: Der Begriff Bürokratie hat immer zwei Betrachtungsseiten. Zum einen müssen durch Nachweise die Einhaltung von – sinnvollen – Rahmenbedingungen und Grenzen überprüft werden. Zum anderen muss aber darauf geachtet werden, dass diese Nachweise gezielt auf den Regelungszweck ausgerichtet werden und technisch mit einem möglichst geringen Aufwand erfüllt werden können. Insofern muss man sich jedes einzelne Gesetzesvorhaben ansehen und dann bewerten, ob etwaige Mehrkosten beim Erfüllungsaufwand gerechtfertigt sind. Bei den einmaligen Kosten verursacht das Endlagergesetz für die Atomindustrie 2 Milliarden Euro Erfüllungsaufwand. Wer aber glaubt, Atommüll ohne einen hohen Überprüfungsaufwand lagern zu können, der wird den Risiken dieser Technologie nicht gerecht. Das Problem ist eben hier, dass die Nutzer dieser Energie diese mit der Lagerung des Atommülls verbundenen Kosten nie in der Gesamtheit erfasst, geschweige denn in die Stromgestehungskosten internalisiert hatten. Und dennoch ist es richtig und wichtig, sich immer wieder mit dem Thema Bürokratie auseinanderzusetzen. Es gibt nach wie vor viele Regeln, die in dieser Hinsicht auf den Prüfstand gehören. Bürokratische Kosten sollten bei allen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden, deshalb müssen sie ermittelt und offengelegt werden. Verantwortungslos handelt derjenige, der diese Transparenz nicht herstellt, so wie die letzte Bundesregierung beim Gesetz zum verminderten Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen, bei der sie durch Einbringung des Gesetzentwurfs über die Fraktionen die Bewertung durch den Normenkontrollrat umging. Abschätzungen haben einen erheblichen Bürokratie- und Umsetzungsaufwand aufgezeigt. Sonst wäre diese schon von der Sache her vollkommen fehlgeleitete Branchensubvention vielleicht vollständig infrage gestellt worden. Übrigens schade, dass sich die SPD an dieser Stelle mit dem Status quo abgefunden zu haben scheint und auch der Finanzminister sich der Verantwortung für eine Korrektur dieser Fehlentscheidung der letzten Regierungskoalition entzieht. Für die Arbeit des Normenkontrollrates ist sehr wichtig und richtig, dass nicht mehr alleine der Aufwand von Unternehmen berechnet wird, sondern die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltungen in die Betrachtung der Bürokratiekosten aufgenommen wurden. Richtig und wichtig ist auch, dass Projekte gestartet wurden, um Antragsverfahren für die Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern. Kritisieren müssen wir an dieser Stelle die Bundesregierung, die sich keine quantitativen Bürokratieabbauziele geben will, sondern lediglich den Status quo halten will. An zu vielen Stellen gibt es Bürokratie, die schlanker und vor allem kundenfreundlicher sein könnte. Aber Stillstand und fehlende Ambition ist keine sonderliche Überraschung bei einer Großen Koalition, die den Stillstand als Erfolg preist, sei es in der Steuerpolitik, bei der Energiewende oder eben beim Bürokratieabbau. Es gilt der Satz von Robert Bosch: „Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein!“ Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, das Thema Bürokratieabbau wirklich ernst zu nehmen, die Ergebnisse des Normenkontrollrates aufzugreifen und Debatten über seine Arbeit nicht auf nach Mitternacht zu schieben. Vizepräsident Peter Hintze: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 18/866 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juni 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.06 Uhr) Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Zu Protokoll gegebene Reden Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 05.06.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 05.06.2014 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 05.06.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 05.06.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 05.06.2014 Groß, Michael SPD 05.06.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 05.06.2014 Kampeter, Steffen CDU/CSU 05.06.2014 Klingbeil, Lars SPD 05.06.2014 Mast, Katja SPD 05.06.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 05.06.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 05.06.2014 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.06.2014 Schavan, Annette CDU/CSU 05.06.2014 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 05.06.2014 Tank, Azize DIE LINKE 05.06.2014 Thönnes, Franz SPD 05.06.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.06.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.06.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 05.06.2014 Ziegler, Dagmar SPD 05.06.2014 Anlage 2 Neuabdruck der Kurzintervention der Abgeordneten Sevim Da?delen (DIE LINKE), 38. Sitzung, Seite 3268 C Sevim Da?delen (DIE LINKE): Frau Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Rede gerade erinnerte mich an den großen Dichter und Denker Bertolt Brecht, der einmal treffend formuliert hat: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! (Florian Hahn [CDU/CSU]: Reden Sie über sich?) Es entsetzt mich – ich bin darüber wirklich schockiert –, dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass sich mit den geringen Stimmenzahlen für die Kandidaten der Swoboda oder des Rechten Sektors das Problem des Neofaschismus, das Problem des Antisemitismus in der Ukraine erledigt habe. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unverschämt ist das!) Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt. Drei Minister der Regierung in Kiew, also der Regierung der Ukraine, sind Mitglied der neofaschistischen Partei Swoboda. Ein Minister dieser Regierung steht der -Swoboda nahe. Ein weiterer Minister gehört der UNA-UNSO, einer neofaschistischen Organisation, an. Das heißt, eigentlich haben fünf Minister dieser Regierung einen neofaschistischen Hintergrund. Der Rechte Sektor kontrolliert weiterhin den ukrainischen Sicherheitsapparat. (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben vergessen, davon zu sprechen, dass der Präsidentschaftskandidat der extrem rechten Radikalen Partei, Oleg Ljaschko, über 1,5 Millionen Stimmen und -damit über 8 Prozent bei der so genannten Präsidentschaftswahl bekommen hat. Sie haben von diesen Wahlen gesprochen, ohne auch nur ein einziges Mal darauf hinzuweisen, unter was für Kriegsumständen sie stattgefunden haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber mal Schluss hier!) Kandidatinnen und Kandidaten, zum Beispiel von -Borotba oder der KP in der Ukraine, und viele andere haben ihre Kandidaturen zurückgezogen, weil sie von Faschisten bedroht worden sind. Der Kandidat der Partei der Regionen ist während seiner Kandidatur unter Haus-arrest gestellt worden. Wie kann man da eigentlich von freien, fairen Wahlen sprechen, frage ich Sie. (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin wirklich entsetzt darüber, wie hier die Faschisten, die Antisemiten verharmlost werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber mal Schluss! Das ist unglaublich! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin entsetzt über diesen Tabubruch der deutschen Außenpolitik, die von Ihnen, Frau Kollegin, mitgetragen wird. Das ist wirklich schändlich. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unverschämt! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich für dieses Haus hier!) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Karl-Heinz Brunner, Martin Dörmann, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier-Heite, Dr. Johannes Fechner, Gabriela Heinrich, Marcus Held, Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Eva Högl, Frank Junge, Christina Kampmann, Gabriele Katzmarek, Daniela Kolbe, Dr. Matthias Miersch, Michelle Müntefering, Dr. Simone Raatz, Dr. Carola Reimann, Andreas Rimkus, Sönke Rix, Dr. Martin Rosemann, Michael Roth (Heringen), Susann Rüthrich, Annette Sawade, Dagmar Schmidt (Wetzlar), Matthias Schmidt (Berlin), Michael Thews, Bernd Westphal und Dr. Jens Zimmermann (alle SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 18) In einer aufgeklärten Gesellschaft ohne Diskriminierung versteht sich die vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe von selbst. Gleichwohl lässt sich dieses Selbstverständnis nicht verordnen – es sind Kompromisse zu suchen, über die in einer Demokratie Mehrheiten entscheiden. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wurde für diese Legislaturperiode vereinbart: Sexuelle Identität respektieren – Lebenspartnerschaften, Regenbogenfamilien Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende -Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen -Lebenspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen. Wir sind froh, dass sich Vereine und Körperschaften für die Rechte Homosexueller einsetzen. Gemäß § 52 Absatz 2 Nummer 7 AO können diese Vereine und Körperschaften zur Förderung der Volksbildung als gemeinnützig anerkannt werden. Zu einer vollständigen Gleichstellung gehört auch, dass die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemeinnütziger Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung verankert wird; denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft. Sie klären auf und unterstützen Homosexuelle bei der Bewältigung von Problemen. Hier die Förderungswürdigkeit in die Abgabenordnung aufzunehmen, folgt unmittelbar aus der Koalitionsvereinbarung. Wir bedauern sehr, dass CDU/CSU dieser Vereinbarung noch nicht folgen kann und zwischen den Koalitionspartnern hier keine Einigung über die Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden konnte. Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionsvertrag, in dem sich die Koalitionspartner auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten verständigt haben, können wir dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion leider nicht zustimmen. Dieses einheitliche Abstimmungsverhalten ermöglicht es uns, erfolgreich deutliche Verbesserungen für viele Menschen zu erreichen – auch im Hinblick auf ein selbstbestimmtes Leben. Damit wird also – trotz dieses einzelnen Aspekts in der Abgabenordnung – viel erreicht. Diese Erfolge wollen wir nicht durch Zustimmung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gefährden. Wir werden uns aber weiterhin für dieses Anliegen einsetzen und eine vollständige Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften unterstützen. Mit dem heute verabschiedeten Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird eine steuerliche Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, hergestellt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Mechthild Rawert (SPD) zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 18) Mit dem Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 war gegen Ende der 17. Legislaturperiode die steuerliche Gleichbehandlung von Lebenspartnerinnen und -partnern nur für das Einkommensteuerrecht umgesetzt worden. Die Bundesregierung hatte weitere Folgeänderungen angekündigt und setzt diese mit dem heute in dritter Lesung verabschiedeten „Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ (Drucksache 18/1306) nun um. Mit dem Gesetz erfolgt eine zeitnahe Umsetzung des noch verbliebenen Anpassungsbedarfs zur steuerlichen Gleichbehandlung von Lebenspartnerinnen und -partnern, insbesondere in der Abgabenordnung, im Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz, im Bewertungsgesetz, im Bundeskin-dergeldgesetz, im Eigenheimzulagengesetz und im Wohnungsbau-Prämiengesetz. Mit dem heute verabschiedeten Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird eine steuerliche Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, hergestellt. Und das ist gut so. Der Gesetzentwurf ist gestern im Finanzausschuss mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen worden. Zuvor war ein klarstellender Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD zu Artikel 1 Nummer 2 angenommen worden. Die SPD-Fraktion stellte heraus, dass mit dem Gesetzentwurf die Lebenspartnerschaften steuerlich auf das Niveau der Ehe gehoben sind. Dies sollte auch bei der Gemeinnützigkeit geschehen, auch wenn es über andere Regelungen in der Abgabenordnung die Möglichkeit gebe, dieses Ziel indirekt zu erreichen. Die SPD-Fraktion gab eine Protokollerklärung ab, wonach es in dieser Frage keine Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen gebe. Im Ausschuss als auch bei der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung – Drucksachen 18/1306, 18/1575, 18/1647 – hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zwei Änderungsanträge eingebracht (Drucksachen 18/1662, 18/1663). Im Ausschuss wurden beide Anträge von den drei Koalitionsfraktionen abgelehnt. Auch ich werde beiden Anträgen in der 2. Beratung – aus unterschiedlichen Gründen! – nicht zustimmen. Änderungsantrag Drucksache 18/1662 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will mit dem Antrag erreichen, dass die Definition von gemeinnützigen Zwecken in der Abgabenordnung nicht nur für Ehe und Familie gilt, sondern auf die Förderung des Schutzes von Lebenspartnerschaft erweitert wird. Diese Forderung wird von mir grundsätzlich geteilt. Angesichts der schon heftigen gesellschaftspolitischen Debatten möchte ich darauf verweisen, dass diese Forderungen auch seitens Bündnis 90/Die Grünen selber als symbolische Punkte eingestuft werden. Meine Nachfragen in der Community und bei Steuerberaterinnen und -beratern haben ergeben, dass „unter Umwegen“ ein Spendenabzug schon heute möglich sei. Ich unterstütze es, dass sich Vereine und Körperschaften für die Rechte Homosexueller einsetzen. Gemäß § 52 Absatz 2 Nummer 7 AO können diese Vereine und Körperschaften zur Förderung der Volksbildung als gemeinnützig anerkannt werden. Zu einer vollständigen Gleichstellung gehört, dass die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemeinnütziger Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung verankert wird, denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft. Sie klären auf und unterstützen Homosexuelle bei der Bewältigung von Problemen. Hier die Förderungswürdigkeit in die Abgabenordnung aufzunehmen, folgt unmittelbar aus der Koalitionsvereinbarung – so die SPD-Haltung. Mit großem Ärger muss ich aber konstatieren, dass CDU/CSU einer erweiterten Definition von gemeinnützigen Zwecken nicht folgen, weil das Bundesverfassungsgericht dies nicht vorgegeben habe. Trotz intensiven -Bemühens der SPD konnte zwischen den Koalitionspartnern hier keine Einigung über die Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden. Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionsvertrag, in dem sich die Koalitionspartner auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten verständigt haben, können wir dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion leider nicht zustimmen. Änderungsantrag Drucksache 18/1663 Dieser Änderungsantrag betrifft nicht bestandskräftige Kindergeldbescheide. Die Bundesregierung hat erklärt, dass im Rahmen des Bundeskindergeldgesetzes für alle jetzt noch offenen, nicht bestandskräftigen Kindergelbescheide sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit die Gleichbehandlung von Lebenspartnerinnen und -partnern vollzogen wird. Hierzu bedürfe es keiner zusätzlichen gesetzlichen Regelung, sondern es wird im Rahmen einer Verwaltungsverordnung erfolgen. Dies ist mit dem an dieser Stelle federführendem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgestimmt. Damit hat sich der Antrag zum Kindergeld aufgrund der Klarstellung der Bundesregierung diskriminierungsfrei erledigt. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist für diese Legislaturperiode vereinbart: Sexuelle Identität respektieren – Lebenspartnerschaften, Regenbogenfamilien Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende -Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen. Ich kann alle nur bitten, Verständnis für parlamentarische Abläufe, die sich aus den Wahlergebnissen ergeben, zu haben. Der gemeinsame Kampf für „100% Gleichstellung“ geht weiter. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Carsten Sieling (SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 18) Die vollständige Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften in allen Rechtsbereichen ist seit langem ein Kernanliegen unserer sozialdemokratischen Politik. Dazu gehört für mich selbstverständlich auch, dass die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemeinnütziger Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung verankert wird. Ich bin froh, dass sich Vereine und Körperschaften für die Rechte Homosexueller einsetzen, denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft. Sie klären auf und unterstützen Homosexuelle bei der Bewältigung von Problemen. Gemäß § 52 Absatz 2 Nummer 7 AO können diese Vereine und Körperschaften zur Förderung der Volksbildung als gemeinnützig anerkannt werden. Darüber hinaus die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemeinnützigen Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung aufzunehmen, folgt unmittelbar aus der Koalitionsvereinbarung, in der wir uns darauf verständigt haben, bestehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beenden und alle rechtlichen Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechterstellen, zu beseitigen. Entsprechend bedauere ich sehr, dass CDU/CSU dieser Vereinbarung noch nicht folgen kann und zwischen den Koalitionspartnern hier keine Einigung über die Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden konnte. Gleichwohl haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Daher werde ich dem Antrag der Grünen nicht zustimmen. Dieses einheitliche Abstimmungsverhalten ermöglicht es uns, erfolgreich deutliche Verbesserungen für viele Menschen zu erreichen – auch im Hinblick auf ein selbstbestimmtes Leben. Damit wird also – trotz dieses einzelnen Aspekts in der Abgabenordnung – viel erreicht. Diese Erfolge will ich nicht durch Zustimmung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gefährden, der ja auch dann keine Mehrheit erreichen würde. Ich werde mich aber weiterhin für dieses Anliegen einsetzen und eine vollständige Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften unterstützen. Mit dem heute verabschiedeten Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird eine steuerliche Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, hergestellt. Anlagen 1Ergebnis Seite 3392 C 2Anlagen 3, 4, 5 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 39. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 39. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2014 V Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 3500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 39. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 39. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2014 3499