Plenarprotokoll 18/73 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 73. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber 6873 A Wahl der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Kerstin Andreae als Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau 6873 B Wahl der Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff und Elvira Drobinski-Weiß als Mitglieder des Verwaltungsrates des Deutsch-Französischen Jugendwerkes 6873 B Wahl des Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam) als Schriftführer 6873 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 6873 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 6 6874 B Aufhebung einer Ausschussüberweisung 6874 B Tagesordnungspunkt 4: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Die neue Hightech-Strategie – Innovationen für Deutschland Drucksache 18/2497 6874 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung und Innovation 2014 Drucksache 18/1510 6874 C c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014 Drucksache 18/760 (neu) 6874 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 6874 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 6877 C René Röspel (SPD) 6879 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6881 B Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) 6884 A Roland Claus (DIE LINKE) 6886 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) 6887 A Stephan Albani (CDU/CSU) 6889 B Gabriele Katzmarek (SPD) 6891 B Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) 6892 B Rainer Spiering (SPD) 6894 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Solidarität zeigen – Aufnahme von syrischen und irakischen Flüchtlingen ausweiten Drucksache 18/3154 6895 C b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland Drucksache 18/2999 6895 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6895 D Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 6897 C Petra Pau (DIE LINKE) 6899 B Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK 6900 B Nina Warken (CDU/CSU) 6902 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 6904 A Christina Kampmann (SPD) 6905 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6907 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) 6908 A Rüdiger Veit (SPD) 6909 D Erika Steinbach (CDU/CSU) 6911 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6912 C Martin Patzelt (CDU/CSU) 6913 B Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksachen 18/2586, 18/3008, 18/3443 6915 A Alois Rainer (CDU/CSU) 6915 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 6916 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 6918 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6919 D Ingbert Liebing (CDU/CSU) 6920 D Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6922 C Ulrike Gottschalck (SPD) 6923 C Christina Schwarzer (CDU/CSU) 6925 B Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbeamtengesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/3248 6927 B b) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwicklung -einer zivilgesellschaftlich ausgerichteten Präventions- und Deradikalisierungsstrategie im Bereich des gewaltbereiten Islamismus Drucksache 18/3417 6927 B Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes Drucksachen 18/3253, 18/3448 6927 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – Sofortprogramm für Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller--Gemmeke, Doris Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schluss mit Sonderwelten – Die inklusive Gesellschaft gemeinsam gestalten Drucksachen 18/1949, 18/977, 18/2878, 18/3208 6927 D c)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126 und 127 zu Petitionen Drucksachen 18/3338, 18/3339, 18/3340, 18/3341, 18/3342, 18/3343, 18/3344, 18/3345 6928 B Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende durch Kohleausstiegsgesetz absichern Drucksachen 18/1673, 18/2904 6929 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kohleausstieg einleiten – Überfälligen Strukturwandel im Kraftwerks-park gestalten Drucksachen 18/1962, 18/2906 6929 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zum Erreichen der Klimaschutzziele 2020 6929 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6929 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 6930 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 6932 A Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 6932 D Andreas Jung (CDU/CSU) 6935 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 6936 A Dr. Matthias Miersch (SPD) 6937 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6938 B Kai Wegner (CDU/CSU) 6939 B Dirk Becker (SPD) 6940 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 6942 B Arno Klare (SPD) 6943 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) 6944 D Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf Drucksachen 18/3124, 18/3157, 18/3449 6946 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3450 6946 A Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 6946 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) 6947 C Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU) 6948 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6949 C Dr. Carola Reimann (SPD) 6950 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) 6951 A Antje Lezius (CDU/CSU) 6952 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) 6953 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) 6954 B Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern Drucksache 18/3312 6955 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der -Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils -erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/3260 6956 A c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Bericht der Bundesregierung gemäß § 154 Absatz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre Drucksache 18/3261 (neu) 6956 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/3260 6956 B hier: Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2014 Drucksache 18/3387 6956 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 6956 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) 6958 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6959 B Dr. Martin Rosemann (SPD) 6960 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 6961 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 6963 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) 6964 A Tagesordnungspunkt 15: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksachen 18/3017, 18/3158, 18/3441 6965 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3442 6965 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) 6965 C Richard Pitterle (DIE LINKE) 6967 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) 6969 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6970 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 6971 C Andreas Schwarz (SPD) 6973 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen Drucksachen 18/1619, 18/2716 6974 B Dr. Nina Scheer (SPD) 6974 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 6975 D Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 6976 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6978 B Klaus Mindrup (SPD) 6979 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 6980 B Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6981 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) 6982 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6982 B Tagesordnungspunkt 11: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksachen 18/3321, 18/3440 6983 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien Drucksachen 18/3234, 18/3440 6983 D Dirk Becker (SPD) 6984 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 6985 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) 6986 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6987 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) 6988 B Florian Post (SPD) 6989 B Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 6990 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – hier: Ausschussöffentlichkeit Drucksache 18/3045 6992 A Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 6992 B Bernhard Kaster (CDU/CSU) 6993 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 6994 B Sonja Steffen (SPD) 6995 A Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 6996 D Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern Drucksachen 18/3144, 18/3444 6997 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern Drucksachen 18/3160, 18/3444 6997 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 6998 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 6999 D Rüdiger Veit (SPD) 7000 B Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7002 A Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Dynamik für nukleare Abrüstung – Der Humanitären Initiative beitreten Drucksache 18/3409 7003 B b) Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: VN-Resolution zu Uranmunition zustimmen Drucksache 18/3410 7003 B c) Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: In UN-Generalversammlung der Uranwaffen-Resolution zustimmen Drucksache 18/3407 7003 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7003 C Robert Hochbaum (CDU/CSU) 7004 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 7005 D Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 7006 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7007 B Julia Bartz (CDU/CSU) 7007 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 7008 C Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entscheidung der Konferenz von Doha vom 8. Dezember 2012 zur Änderung des Protokolls von Kyoto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmen-übereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Doha-Änderung des Protokolls von Kyoto) Drucksache 18/3123 7008 D b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Klimakonferenz in Lima zum Erfolg führen Drucksache 18/3406 7009 A c) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimakonferenz von Lima als Wegbereiter für ein neues globales Klimaabkommen und eine nachhaltige globale Entwicklung nutzen Drucksache 18/3411 7009 A Frank Schwabe (SPD) 7009 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 7010 D Andreas Jung (CDU/CSU) 7011 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7012 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 7013 D Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustandes Drucksache 18/3315 7014 D Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksache 18/3247 7015 A Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA 7015 B Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 7016 A Lars Klingbeil (SPD) 7017 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7018 B Julia Bartz (CDU/CSU) 7019 B Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE sowie den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Leistungsschutzrechtsaufhebungsgesetz – LSR-AufhG) Drucksache 18/3269 7020 A Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung Drucksachen 18/3018, 18/3161, 18/3439 7020 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen Drucksachen 18/556, 18/1035 7020 C Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksachen 18/3120, 18/3251, 18/3445 7021 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksachen 18/3145, 18/3445 7021 A – Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/3446, 18/3447 7021 A Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch Drucksachen 18/3122, 18/3437 7021 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union Drucksachen 18/2137, 18/3438 7021 D Tagesordnungspunkt 24: Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Stellungnahme des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung zum Bericht des Peer Review 2013 zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie „Sustainability – Made in Germany“ Drucksache 18/3214 7022 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 7022 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 7023 B Carsten Träger (SPD) 7024 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7025 D Andreas Jung (CDU/CSU) 7026 D Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden Drucksache 18/3125 7027 D Nächste Sitzung 7028 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7029 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hubertus Heil (Peine) (SPD) zu den Abstimmungen über – den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – den von den Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Tagesordnungspunkt 11) 7029 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Richard Pitterle und Halina Wawzyniak (beide DIE LINKE) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (Tagesordnungspunkt 20 a) 7030 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustandes (Tagesordnungspunkt 16) 7030 C Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 7030 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 7031 C Dr. Matthias Bartke (SPD) 7032 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 7033 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7034 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Leistungsschutzrechtsaufhebungsgesetz – LSR-AufhG) (Tagesordnungspunkt 18) 7035 A Ansgar Heveling (CDU/CSU) 7035 A Michael Frieser (CDU/CSU) 7036 A Christian Flisek (SPD) 7036 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 7037 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ) 7038 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Antrag: Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen (Tagesordnungspunkt 20) 7039 B Bettina Kudla (CDU/CSU) 7039 B Uwe Feiler (CDU/CSU) 7040 A Andreas Schwarz (SPD) 7040 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 7041 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7042 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR (Tagesordnungspunkt 21) 7043 A Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 7043 A Arnold Vaatz (CDU/CSU) 7044 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 7045 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 7045 D Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7046 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Tagesordnungspunkt 22) 7046 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 7046 D Dirk Wiese (SPD) 7048 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 7049 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 7050 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 23) 7051 A Sebastian Steineke (CDU/CSU) 7051 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 7052 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 7052 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7053 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden (Tagesordnungspunkt 25) 7054 A Uwe Feiler (CDU/CSU) 7054 A Ingrid Arndt-Brauer (SPD) 7054 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 7055 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7055 D 73. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember 2014 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und beginne mit dem wichtigen Hinweis, dass der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber am vergangenen Montag seinen 79. Geburtstag gefeiert hat. (Beifall) Er ist ja das wandelnde Beispiel dafür, wie ein lebendiger Parlamentarismus auch die Person vital erhält. Deswegen erübrigen sich beinahe die guten Wünsche für das neue Lebensjahr, die ich hiermit gleichwohl im Namen des ganzen Hauses herzlich übermittle. (Beifall) Wir müssen noch einige Wahlen durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für eine weitere Amtszeit als Mitglied des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu wählen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt für dasselbe Gremium vor, die Kollegin Kerstin Andreae für das turnusmäßig ausscheidende Mitglied Jürgen Koppelin als Mitglied zu berufen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kolleginnen Lötzsch und Andreae als Mitglieder des Verwaltungsrates gewählt. Darüber hinaus schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor, als ordentliches Mitglied des Verwaltungsrates des Deutsch-Französischen Jugendwerkes den Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff zu wählen. Die SPD-Fraktion schlägt für dasselbe Gremium vor, die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß als stellvertretendes Mitglied zu berufen. – Auch hierzu gibt es offensichtlich Zustimmung. Dann sind die genannte Kollegin und der genannte Kollege gewählt. Wir müssen auch noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, für die Kollegin Susanna Karawanskij den Kollegen Norbert Müller als Schriftführer zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so vereinbart. Interfraktionell gibt es eine Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 93 a Absatz 3 der Geschäftsordnung zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385, 18/3427 ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Pläne zur künftigen Gestaltung des Solidaritätszuschlags (siehe 72. Sitzung) ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 33) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiewende durch Kohleausstiegsgesetz absichern Drucksachen 18/1673, 18/2904 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kohleausstieg einleiten – Überfälligen Strukturwandel im Kraftwerkspark gestalten Drucksachen 18/1962, 18/2906 ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zum Erreichen der Klimaschutzziele 2020 ZP 5 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/3260 hier: Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2014 Drucksache 18/3387 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 6 wird abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich noch auf die Aufhebung einer Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Die am 28. November 2014 gemäß § 80 Absatz 3 der Geschäftsordnung vorgenommene Überweisung der nachfolgenden Unterrichtung an die Ausschüsse wird aufgehoben: Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (Berichtszeitraum: Juni 2010 bis Mai 2014) Drucksache 18/3213, 18/3363 Nr. 1.5 Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die neue Hightech-Strategie – Innovationen für Deutschland Drucksache 18/2497 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung und Innovation 2014 Drucksache 18/1510 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014 Drucksache 18/760 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu stelle ich Ihr Einvernehmen fest. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Frau Professor Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vor 90 Jahren gab es nicht weit von hier – 8 Kilometer Luftlinie entfernt – ein besonderes Ereignis: Damals, am 4. Dezember 1924, hat die 1. Große Deutsche Funkausstellung in Berlin ihre Pforten geöffnet, und damals hat der erste Röhrenrundfunkempfänger fasziniert. Mittlerweile ist das 90 Jahre her. In dieser Branche sind seither Tausende von Arbeitsplätzen entstanden. Noch heute ist es so, dass die funkgetragene Kommunikation große Innovationsschübe hervorbringt. Das ist ein Beispiel, wie wichtig Innovation für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist und wie wirkungsmächtig sie über viele Generationen hinweg sein kann. Wir sind heute beim Export von forschungsintensiven Gütern nicht nur in der Weltspitze. Der Beitrag der Medium- und Hightechgüterexporte zur Handelsbilanz liegt in Deutschland bei 9,2 Prozent. Wissen Sie, wie hoch dieser Wert im EU-Durchschnitt ist? 1,3 Prozent. Das heißt, Deutschland hat an dieser Stelle eine Sonderstellung. Auch aus diesem Grund haben wir im November die höchste Beschäftigungsquote in Deutschland, die wir je hatten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mittlerweile sind wir ein Magnet für Wissenschaftler und Forscher aus aller Welt. Wir haben die Zahl derer, die nach Deutschland kommen, seit 2006 um 60 Prozent gesteigert. Vor kurzem ist es uns gelungen, einen Professor von der Harvard-Universität nach Halle zu holen. (Zuruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Was ist die Ursache dafür? Jetzt denken Sie: Sie erzählt bestimmt wieder, dass es das Geld ist und die jährliche Steigerung der Mittel für diesen Bereich seit 2005, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist. – Das stimmt. Aber das alleine reicht nicht. Entscheidend ist, wie das Geld angelegt bzw. wofür es ausgegeben wird. Es gibt zum Beispiel den Pakt für Forschung und Innovation, der den Wissenschaftsorganisationen Planungssicherheit, Verlässlichkeit, aber auch Freiheitsgrade – die haben wir insbesondere in den letzten Jahren eingeräumt – bietet. Unser Nobelpreisträger Hell sagt, dass er geblieben ist wegen der Freiheitsgrade und wegen der Möglichkeiten, die man in Deutschland hat, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und wegen der Hightech-Strategie. Die Hightech-Strategie ist schon etwas Besonderes. Jetzt können Sie denken: Jedes Land hat irgendeine Förderstrategie, die bei uns eben Hightech-Strategie heißt. Das ist keine einfache Förderstrategie mit einzelnen Programmpunkten und Aktionsfeldern. Das ist eine Strategie, die für die Innovationskraft in Deutschland von grundlegender Bedeutung ist, die Besonderheiten hat, die zu kopieren versucht wird und bei der andere Länder Anregungen nehmen. Seit Anfang September haben wir die neue Hightech-Strategie. Sie werden jetzt sagen: Wenn es gut funktioniert, warum gibt es dann eine neue Hightech-Strategie, warum behalten wir nicht die, die wir 2006 zum ersten Mal aufgelegt haben? Ganz einfach, weil sich die Bedingungen ändern, weil wir im globalen Wettbewerb sind und weil es jetzt neue Herausforderungen gibt, die anders sind als die 2006. Was ist jetzt neu? Was ist jetzt anders? Warum machen wir das so? Wir haben die Konzentration auf wenige Themenfelder – sechs an der Zahl – beibehalten. Das ist ein Grundpfeiler der Hightech-Strategie. Diese sechs Themenfelder sind für die Zukunft Deutschlands, für uns alle und für unseren Wohlstand zwingend notwendig. Sie unterscheiden sich nicht grundlegend von denen des Jahres 2006, aber es wird doch auf die Entwicklung eingegangen. Die sechs Themenbereiche sind: digitale Wirtschaft und Gesellschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Energie, innovative Arbeitswelt, gesundes Leben, intelligente Mobilität und zivile Sicherheit. Wir stehen aktuell vor großen Herausforderungen: Wir haben eine hohe Innovationskraft. Wir haben, Herr Riesenhuber, fast das 3-Prozent-Ziel erreicht. Aber woher kommen diese Erträge? Den Hauptteil liefern in Deutschland drei Branchen, nämlich Fahrzeugbau, Elektrotechnik und Maschinenbau. Deshalb ist es ganz wichtig, die Basis auf andere Branchen zu erweitern, sie genauso stark zu machen. Die Hightech-Strategie bietet Chancen für Wachstumsbranchen wie zum Beispiel Bioökonomie und Mikroelektronik – mit großen Anstrengungen nicht nur vonseiten der Bundesregierung, sondern auch vonseiten Sachsens und auf EU-Ebene –, (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) beinhaltet die Förderung von Schlüsseltechnologien und, und, und. Ich will kurz anhand einzelner Punkte aufzeigen, was wir neu gemacht haben: Erster Punkt. Im Bereich „nachhaltiges Wirtschaften und Energie“ ist ein Schwerpunkt die Energieforschung. Wir alle wissen, die Energiewende funktioniert nicht ohne entsprechende Forschungsergebnisse. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Wir alle zusammen haben im letzten Frühjahr mit dem Forschungsforum Energiewende einen Dialogprozess gestartet. Wir sind jetzt so weit, dass wir Ihnen Anfang des neuen Jahres – denn es gibt eine Vielzahl von Dingen in der Forschung, die man berücksichtigen muss – die grundlegenden prioritären Aufgaben – eins, zwei, drei – präsentieren können, auf die wir in den nächsten Jahren alle Mittel konzentrieren, um dort Ergebnisse zu erzielen. Wir wollen eine Prioritätensetzung für die 180 Hochschulen, die im Bereich der Energieforschung tätig sind, ermöglichen. Wir sind jetzt so weit, dass wir die Ergebnisse Anfang des Jahres präsentieren können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein zweiter Punkt. Ein erfolgreiches Format im Rahmen der Hightech-Strategie war der Spitzencluster-Wettbewerb, waren die Spitzencluster. Ein Cluster wurde gebildet, wenn klar war, dass man in einem Bereich in wenigen Jahren Weltmarktführer werden kann, gefördert mit 40 Millionen Euro vom Bund und – das ist wesentlich mehr geworden – 40 Millionen Euro von privater Seite. Die 15 Spitzencluster funktionieren exzellent. Weil unsere Chancen in Europa liegen, wollen wir diese Cluster jetzt zu Clustern in Europa werden lassen. Deswegen läuft jetzt gerade eine erste Ausschreibung. Es geht darum, wie sich diese Spitzencluster mit den zweien oder dreien in Europa vernetzen können, die in dem jeweiligen Themenfeld führend sind. Dritter Punkt. Ich hatte es hier schon erwähnt: US-Präsident Obama hat gefragt, warum die Deutschen so gut sind, und hat umfangreiche Papiere erstellen lassen. Die Erkenntnis war: Bei der Revolution sind die Deutschen nicht so gut; sie machen nicht so viel auf der grünen Wiese, reißen nicht immer alles ein; (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der friedlichen Revolution sind wir gut!) aber die absolute Stärke der Deutschen ist, dass sie in den Branchen, in denen sie gut sind, in der Lage sind, über Jahrzehnte hinweg immer wieder Innovationen zu schaffen und in der Weltspitze zu bleiben. Das ist die Stärke der Deutschen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der nächste Innovationsschub, den wir jetzt in den klassischen Branchen, in denen wir gut sind, brauchen, geht von der Digitalisierung aus. In der alten Hightech-Strategie betraf die Digitalisierung in sehr starkem Maße Fragen der IKT, also der Informations- und Kommunikationstechnologien. Das reicht heute nicht mehr aus. Der digitale Wandel im Forschungs- und Entwicklungsbereich ist außerordentlich wichtig; das Thema muss breit angelegt werden. Wir haben in diesem Jahr zwei große Kompetenzzentren für Big Data eingerichtet. Wir haben das Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der Digitalen Welt mit vielen Playern aus dem privaten Bereich gestartet. Ich sagte es schon: Es gibt richtig Geld für den Bereich Mikroelektronik. Sie ist eine Schlüsseltechnologie, und wir haben dort Chancen. Insgesamt müssen wir hin zu einem breiteren Verständnis von Forschung und Entwicklung. Es geht nicht nur um technologische Entwicklungen, um Geld für Forschung, sondern vor allen Dingen auch um Veränderungen in der Arbeitswelt. Wir haben das große Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ mit einem Umfang von 1 Milliarde Euro in den nächsten Jahren gestartet. Das ist keine Idee, die wir uns einfach ausgedacht oder mit einigen wenigen diskutiert haben. Es wurde eine breite Debatte mit Gewerkschaften, mit Arbeitgebern geführt; beide waren gemeinsam an einem Tisch. Was ich im Bereich der Arbeitsforschung nicht will – dafür stehe ich mit diesem Programm –, sind neue dicke Bücher; wir brauchen sie nicht. Wir haben in der Arbeitsforschung schon sehr viele Ergebnisse. Ich möchte, dass jedes Mal, wenn wir im Rahmen der Hightech-Strategie Geld für Arbeitsforschung ausgeben, ein oder mehrere Mittelständler gesucht werden, die probieren, die Ergebnisse umzusetzen und Transfer zu betreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gesundheit im Lebensverlauf. Wir haben vor kurzem das 50-jährige Jubiläum des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg gefeiert und entschieden – es war nicht einfach –, viel Geld für das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen einzusammeln – Partnerstandort ist das Institut für Radioonkologie in Dresden – und seine Mittel langfristig und unbefristet aufzustocken. Damit gehören wir zu den drei Weltbesten. Die Amerikaner und die Briten versuchen, aufzuholen. Deswegen können wir Gelder nicht nur mit der Gießkanne verteilen – das machen wir sowieso nicht –, sondern müssen Spitzenförderung betreiben. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen ist im Bereich der Gesundheitsforschung eine ganz große Chance, die wir in Deutschland haben. Ich denke, da haben wir richtig entschieden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Erhaltung der Schöpfung ist uns ein besonderes Anliegen. Nachhaltiges Wirtschaften ist eine zentrale Kompetenz, ein zentrales Interesse gerade auch unserer Partei. Hier habe ich vor wenigen Tagen gemeinsam mit Frau Hendricks die Forschungsagenda für den Bereich Green Economy vorgestellt. Diese Forschungsagenda ist mit der Wirtschaft und mit den Verbänden entwickelt worden und hat eine große Akzeptanz, weil unsere Wirtschaft pfiffig ist und weiß, dass sie in dem Bereich wettbewerbsfähig sein muss, dass dort Ökonomie und Ökologie wettbewerbsfähig verbunden werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Um an dieser Stelle eine Zahl zu nennen: Dafür stehen 350 Millionen Euro bereit. Wir haben Probleme und Herausforderungen. Die Stärke Deutschlands ist der Mittelstand. Wir geben dort viel Geld aus; wir fördern diesen Bereich jährlich mit 1,4 Milliarden Euro. Ein Problem ist: Die Ergebnisse zeigen, dass wir zwar viele Hidden Champions haben, aber die Innovationsausgaben im Mittelstand, bei den kleinen und mittleren Firmen, in der Summe nicht gestiegen sind, zum Teil gar gesunken sind. Deswegen ist dies ein ganz zentraler Punkt der neuen Hightech-Strategie: Was kann man machen, damit die Gelder dort effektiver genutzt werden und um anzuregen, dass in dem Bereich mehr ausgegeben und geforscht wird? Die Steigerung der Innovationsdynamik im Mittelstand ist für mich ein zentrales Anliegen. Diese braucht jedoch Unterstützung. Dies ist vielleicht nicht so populär, als wenn man sich mit dem Chef eines Großunternehmens präsentiert. Daher ist es wichtig – und das ist die Politik dieser Großen Koalition –, für Innovationen in kleinen und mittelständischen Unternehmen Sorge zu tragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zwei Einsprengsel dazu, wie wir das machen wollen. Ein Punkt betrifft Pilotanlagen, die bislang bei der Förderung immer herausgefallen sind. Wenn das Wirtschaftsministerium die Wirtschaft fördert, dann betrifft das an vielen Stellen nicht Pilotanlagen. Deswegen ist jetzt für uns wichtig, dass wir Pilotanlagen fördern. Damit können die zur Bank gehen und dort leichter Geld zur Finanzierung bekommen. Sunfire ist ein Beispiel für eine Pilotanlage, die wir jetzt im Rahmen der Hightech-Strategie fördern, meine Damen und Herren. Kompetenzaufbau. Es funktioniert nur mit Fachkräften. Fachkräfte sind unsere Stärke, sie sind Träger der Innovation. Ich will jetzt gar nicht auf die einzelnen Pakte, die wir beschlossen haben – Stichworte „berufliche Bildung“, „akademische Bildung“ –, eingehen. Ich will nur sagen, dass der Bedarf an neuen Qualifikationen, den man zum Beispiel bei Industrie 4.0 sieht, ein Feld ist, auf dem wir schnell sein müssen. Wir haben im Rahmen des IT-Gipfels in der Arbeitsgruppe, die von einem Mitglied des Vorstands von SAP geleitet wurde, -beschlossen, eine Initiative zur Systematisierung bestehender Angebote und zur Strukturierung neuer Qualifikationsformen für die berufliche Bildung und für die akademische Bildung zu starten. Das sind aber keine Arbeitsgruppen, in denen man nur darüber redet, sondern es geht darum, mit einem großen Unternehmen oder mit zwei, drei großen Unternehmen dies in der Praxis auszuprobieren und damit auch Anregungen zu geben und Vorbild für andere Bereiche zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich sagte vorhin, dass wir attraktiv sind für Forscher und Wissenschaftler aus aller Welt. Das EFI-Gutachten, um das es ja heute auch geht, bestätigt, wie wichtig dies ist. Dort wird aber auch kritisch angemerkt, dass da noch viel Entwicklungspotenzial ist. Das Gutachten beruht jedoch auf alten Zahlen. Die haben die Zahlen aus Publikationen von 1996 bis 2011 genommen. Die Zahlen, die wir jetzt haben, sehen ganz anders aus. Nur ein Beispiel: Bei der Max-Planck-Gesellschaft sind rund 50 Prozent aller Doktoranden und 86 Prozent aller Postdoktoranden sowie jeder dritte Abteilungsleiter aus dem Ausland. Das heißt, wir sind an der Stelle erfolgreich, aber wir brauchen auch dort Verstetigung, Instrumente, Strategien. Ich denke, mit der Strategie zum Europäischen Forschungsraum, aber auch mit der Internationalisierungsstrategie sind wir an dieser Stelle gut aufgestellt. Ich denke, wir haben viel erreicht. Aber wir müssen aufpassen. Einen Vorsprung kann man gerade dann, wenn es Innovationsschübe gibt – und diese gibt es überall auf der Welt –, ganz schnell verspielen. Deswegen wollen wir, dass Deutschland den ersten Platz einnimmt, was Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sowie Weltmarktfähigkeit anbetrifft, und dass wir auch die Talente aus allen Ländern mit unserer Attraktivität anziehen. Deswegen haben wir die Hightech-Strategie zu einer umfassenden Innovationsstrategie weiterentwickelt. Die beiden dicken Dokumente, die hier heute zur Diskussion stehen, bestätigen das. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja zurzeit in Mode, dass die Großkoalitionäre immer gegenseitig den Koalitionsvertrag zitieren, um sich daran zu erinnern. Das würde ich auch ganz gern einmal tun. Ich zitiere: Die Hightech-Strategie werden wir zu einer umfassenden ressortübergreifenden Innovationsstrategie für Deutschland weiterentwickeln. Das ist nun wirklich eine ganz tolle Zielstellung. Die ist immerhin nur acht Jahre alt und stand bereits in der Erstauflage der Hightech-Strategie 2006. Ich frage mich nun: Wenn Sie in Zukunft Innovationspolitik aus einem Guss entwickeln wollen, was, bitte, haben Sie dann in den letzten acht Jahren gemacht? Offenbar zu wenig. Damit haben Sie auch tapfer – so ganz nebenbei gesagt – die Kritik der Opposition ausgesessen. Nach meinen jüngsten Erfahrungen muss ich auch sagen, dass ich so meine Zweifel daran habe, dass das jedes Ressort, jeder Minister schon begriffen hat, dass sie jetzt gemeinsam handeln müssen. Ich will dazu auch gern ein Beispiel geben. Sie haben sich in dieser Hightech-Strategie sechs Zukunftsaufgaben gestellt. Darunter befindet sich – selbstverständlich; deshalb rede ich auch hier – die Zukunftsaufgabe „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“. Dies war auch Thema des IT-Gipfels, was Sie auch miteinander verbunden haben. Das ist insgesamt auch gut so. Ob das nun in der Zukunftsaufgabe steht oder nicht, Fakt ist: Die Digitalisierung hat schon jetzt alle Lebensbereiche verändert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Immerhin: In Informatik-, Technik- und Wirtschaftswissenschaften werden dazu zahllose Projekte beforscht. Was aber seit Jahren fehlt, sind Reflektionen aus geisteswissenschaftlicher bzw. gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive. Bizarrerweise ist es lediglich das von Google finanzierte Humboldt-Institut, das sich seit mehreren Jahren genau dieser Problematik stellt. Öffentliche Gelder, beispielsweise aus der Hightech-Strategie, gab es insgesamt immer nur in homöopathischen Dosen. Das kann unmöglich so bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Da stellen sich schon Fragen wie: Welche Folgen hat die Digitalisierung für die Gesellschaft wirklich? Dazu wurde eine ganze Enquete-Kommission eingerichtet, deren Vorschläge in Ihre Hightech-Strategie kaum Eingang gefunden haben. Welche neuen sozialen Ideen entstehen denn durch das Internet? Wenn Güter wie Wissen grundsätzlich überall für alle frei zugänglich werden können, dann ist ihre künstliche Verknappung bzw. eine Zugangsbeschränkung am Ende ein gesellschaftliches Problem. Damit muss man sich doch beschäftigen. Oder: Was muss geschehen, damit medienkompetente Nutzerinnen und Nutzer in unserem Land endlich lebenslang mit dem Internet oder mit den neuen Medien umgehen können? Es ist gut und richtig, dass das Forschungsministerium diese Lücke jetzt schließen will. (Beifall bei der LINKEN) Vergleicht man die dafür eingeplanten Summen mit den großen Technologiefördertöpfen, dann muss ich schon sagen: Diese Fördergelder können Sie mit dem Teelöffel wegtragen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, Sie sollten Ihre Ziele schon ernster nehmen, sonst wird es nämlich nix mit der weltweiten Innovationsführerschaft im Bereich der Digitalisierung, die Sie sich so mutig auf Ihr Trikot gedruckt haben. Ich sehe die Jungs und Mädels aus den Teams im kalifornischen Silicon Valley schon vor Deutschland zittern. (Heiterkeit der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schön wär’s!) Eine ressortübergreifende Innovationsstrategie müsste sich konsequent zunächst an den notwendigen Voraussetzungen abarbeiten. Dazu muss beispielsweise die unterdurchschnittliche Breitbandausstattung beseitigt werden, dazu müssen Datenschutz- und Urheberrechte auf den Stand der Zeit gebracht werden, und nicht zuletzt müssten Sie sich auch mit etablierten Konzernen aus der Chemie , aus der Maschinenbau- oder der Fahrzeugindustrie auseinandersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Die Interessen der klassischen deutschen Industrie und ihrer Beschäftigten sollen nicht gegen die von Start-ups, kleinen und mittelständischen Unternehmen und Creative Industries ausgespielt werden. Aber genau so sieht bis heute die Mittelverteilung aus. Es gibt wieder kein zusätzliches öffentliches Geld für den Breitbandausbau. Es gibt immer noch kein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht, trotz einer Verankerung im Koalitionsvertrag. Es gibt keine neuen Förder- und Kreditprogramme für innovative Gründungen. Das bleibt eine Leerstelle. Für mich sieht ressortübergreifende Politik anders aus. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicht weniger als drei Minister – von jeder Regierungspartei einer – haben die Digitale Agenda vorgestellt, und jeder stellte seine Variante vor. Eine Gemeinsamkeit gab es aber doch: Sie hatten nichts Konkretes im Köcher. Frau Wanka als Forschungsministerin, federführend bei der Hightech-Strategie, war überhaupt nicht dabei. Das ist ein völlig absurder Vorgang. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Kooperation!) Professorin Gesche Joost, Designforscherin und eigens von der Regierung benannte Internetbotschafterin Deutschlands, fasste das Schauspiel folgendermaßen zusammen: „Wenn die Politik so weitermacht, verschläft sie den Wandel komplett.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was war dann folgerichtig die erste gemeinsame Aktion der Digitalminister des künftigen weltweiten Innovationsleaders Deutschland? Sie ahnen es: Sie schrieben einen Brief, (Heiterkeit der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und diesen Brief faxten sie an die EU-Kommission. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unglaublich!) Die Digitalminister faxten! Inhalt: Was muss die Europäische Union in Sachen Netzpolitik, Breitbandausbau, Urheberrechte, Datenschutz und Technologieförderung leisten? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es war nicht alles schlecht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen Sie mal keine Faxen hier!) Nun frage ich mich: Wenn Sie diese Hightech-Strategie ernst nehmen, wieso fangen Sie zunächst damit an, Forderungen gegenüber der EU aufzustellen? Sie müssten doch als Erstes bei sich anfangen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme aus Halle in Sachsen-Anhalt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gibt es da eigentlich schon Fax?) Wir zitieren gerne „olle“ Luther. Luther sagte – das ist bei diesem Thema durchaus treffend –: „Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten.“ (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Apropos Luther: Er hat bekanntermaßen gemeinsam mit seiner lebensklugen Frau viel darüber diskutiert, was die Welt bewegt. Übertragen auf unser Thema heißt das, dass die Expertise von Frauen für Wissenschaft und Innovation nachgewiesenermaßen unverzichtbar ist. Man sollte also erwarten, dass die Bundesregierung sich diese Expertise nicht entgehen lässt, insbesondere weil sie weltweit Innovationsführer werden möchte. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deshalb haben wir eine Ministerin!) In der letzten Legislaturperiode hat die Linke gemeinsam mit SPD und den Bündnisgrünen mehrfach hierzu Anträge eingebracht und Initiativen gestartet. Was uns angeht, kann die SPD immer noch fest darauf bauen. (Beifall bei der LINKEN) Im jüngsten Bericht der Expertinnen- und Expertenkommission Innovation und Forschung liest sich das so: Die akademische und die industrielle Forschung und Entwicklung profitieren gleichermaßen von neuen Ideen, unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen. Das gilt eben auch und gerade für die Integration von Frauen in Innovationsprozesse. In der Hightech-Strategie vermisst man diese Genderdimension fast durchgängig. Abschließend will ich sagen: Auch im Hinblick auf eine geschlechterkompetente Wissenschafts- und Innovationspolitik wirkt diese Koalition verstaubt, wie von gestern, (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) und das ausgerechnet bei einem Thema, bei dem es um die Zukunft geht. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege René Röspel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich mache Sie gleich zu Beginn darauf aufmerksam, dass ich keine Aussicht sehe, das Material, das Sie mitbringen, auch nur annähernd vollständig vorzutragen, Herr Kollege. (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD) René Röspel (SPD): Herr Lammert, ich habe befürchtet, dass Sie mir die Eingangspointe nehmen. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nein, ich werde das nicht alles vorlesen. Der Vorlesetag war vor zwei Wochen. Da war ich – ich hätte jetzt fast gesagt: in einem anderen Kindergarten – (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) in einem Kindergarten. Das hat wirklich Spaß gemacht. Das Material, das ich vor mir liegen habe, ist Gegenstand dieser anderthalbstündigen Beratung. Das ist wirklich viel Papier. Weil es hier ein bisschen „nach verbranntem Hintern riecht“, Kollegin Sitte, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) um bei Luther zu bleiben, sage ich: Vielleicht hilft es, das eine oder andere wirklich einmal zu lesen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) Das kann ich auch den Zuhörerinnen und Zuhörern nur empfehlen. Man muss die 700 Seiten des Bundesberichts Forschung und Innovation 2014 nicht ausdrucken – damit rettet man das Leben eines Baumes –, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es digital!) aber man kann sich den Bericht herunterladen. In diesem Bericht stellen die Bundesregierung, aber auch die Regierungen der Bundesländer dar, was an Forschung und Entwicklung in Deutschland alles betrieben wird. Wenn man in diesen Bericht schaut, erfährt man viel darüber und man erkennt vor allen Dingen, dass Deutschland ein wirklich hervorragender Standort für Wissenschaft und Forschung ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit habe ich 700 Seiten schnell abgearbeitet; das muss ich sagen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nicht drin!) – Bitte? – Doch, das ist eine Conclusio, die man ziehen kann. Damit sich die Regierungen nicht allzu häufig loben – das wäre nicht gut –, gibt es einen ganz vernünftigen Mechanismus in Deutschland. Uns wird nämlich auch immer der Bericht der Expertenkommission Forschung und Innovation, EFI genannt, vorgelegt. Dieser Bericht hält der Bundesregierung, aber auch der deutschen Politik insgesamt immer so ein bisschen den Spiegel vor: Wie sieht es eigentlich aus? Wie steht es um die technologische Leistungsfähigkeit in Deutschland? Viel von der Kritik, die in den letzten Jahren darin geäußert worden ist, war berechtigt. Diese Kritik hat, glaube ich, die Politik weitergebracht. Wir haben die Kritik in den Diskussionen aufgenommen und sie in Teilen umgesetzt. An einer Stelle möchte ich vertieft auf den Bericht von 2014 eingehen – Frau Wanka sprach das auch schon an –: Im EFI-Bericht 2014 steht, dass wir in Deutschland im Saldo einen Verlust an Wissenschaftlern hätten. Das heißt, wenn man Zugänge und Abgänge von Wissenschaftlern betrachtet, verliert Deutschland laut der Botschaft der EFI gute Wissenschaftler ans Ausland. Das ist eine falsche Botschaft. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Diese Aussage wird vielleicht verständlich, wenn man sich vor Augen führt, welchen Zeitraum die Gutachter betrachtet haben. Sie haben den Zeitraum zwischen 1996 und 2011 betrachtet, also einen Zeitraum von 15 Jahren. Bezogen auf diesen gesamten Zeitraum mag die Aussage der EFI stimmen, bezogen auf die letzten Jahre stimmt sie sicherlich nicht. Es ist gut, wenn man ein gutes Archiv hat. Ich habe noch den Bundesforschungsbericht 2000 zu Hause. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du musst mal dein Arbeitszimmer aufräumen!) Darin stehen ein paar Zahlen mehr. An diesen Zahlen sieht man, dass Deutschland zwischen 1993 und 1998 ein stagnierendes System war. Herr Riesenhuber, Sie haben, wenn ich mich richtig erinnere, 1993 das Amt des Forschungsministers abgegeben. Leider ist danach wenig passiert. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass der Etat für Bildung und Forschung immer um 10 Milliarden D-Mark herum schwankte. Erst 1998 – das geben die Zahlen eindeutig her – hat sich die Situation verändert. Mit einer neuen Regierung hat es nicht nur mehr Investitionen in Bildung und Forschung gegeben, sondern es gab auch eine andere Einschätzung und eine andere Wertschätzung von Bildung und Forschung. Ich glaube, es war 2003, dass ich auf einer der ersten GAIN-Tagungen in Boston war. Diese Veranstaltung wurde damals eingerichtet, um junge deutsche Wissenschaftler wieder für unser Land zu interessieren und zu sagen: Kommt doch zurück, wir haben etwas zu bieten. Ich habe damals das erste Mal gemerkt, dass die jungen Wissenschaftler, die in den 90er-Jahren in die USA gegangen waren, um bessere Bedingungen zu haben, wahrnahmen: „Da passiert etwas in Deutschland, da bewegt sich etwas“, und sich gesagt haben: Wir würden gerne zurückkommen und tun das vielleicht auch. 2005 hat es, übrigens noch unter einer sozialdemokratischen Bildungs- und Forschungsministerin, tatsächlich zwei ganz wichtige Initiativen gegeben, nämlich die Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Innovation, die noch einmal eine richtige Dynamik in Deutschland ausgelöst haben: Deutschland ist wieder ein attraktiver Standort für Wissenschaftler. Die Menschen, die gut forschen wollen, wissen, dass Deutschland ein guter Standort ist, und sie kommen wieder nach Deutschland. Es ist gut, dass alle Regierungen seit 2005 den Weg, Deutschland zu einem attraktiven Wissenschaftsstandort zu machen, fortgesetzt haben. Das ist ein Lob, das wir uns an dieser Stelle fast alle einmal an die Brust heften dürfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Um nach vorne zu schauen: Im Jahre 2006 ist in der ersten Großen Koalition die Hightech-Strategie auf den Weg gebracht worden. Es gab damals die richtige Überlegung, die Hightechforschung in den unterschiedlichen Bundesministerien zu bündeln, sie zu einer ressortübergreifenden Strategie zusammenzufassen und Hightech zu fördern. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben das zugegebenermaßen immer ein bisschen zu technikzentriert gesehen, (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) weil ziemlich sicher ist, dass wir die Energiewende technisch bewältigen können. Die eigentlichen Probleme bei der Umsetzung der Energiewende sind aber eher im politischen und gesellschaftlichen Bereich sowie – jedenfalls kurzfristig – im finanziellen Bereich zu sehen. Langfristig lohnt sich die Energiewende, aber kurzfristig schauen die Unternehmen und die Verbraucher natürlich auf die Preise. Das sind keine technisch zu lösenden Probleme, sondern gesellschaftliche und politische. Ein anderes Beispiel mag sein, dass für Gesundheit und moderne Medizin Technik natürlich unerhört wichtig ist. Mindestens gleichbedeutend sind aber eben die Antworten auf die Fragen, wie Pflege stattfindet, wie Menschen und insbesondere Kranke versorgt werden und welchen Umgang sie erleben. Das ist ein nichttechnischer Ansatz, den wir für richtig halten. Deswegen, Frau Sitte, ist die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie zu einer Hightech- und Innovationsstrategie, wie sie im Koalitionsvertrag steht, tatsächlich auf den Weg gebracht worden, und sie ist gelungen. Wenn Sie dort hineinschauen, dann sehen Sie: Wir sagen ausdrücklich, dass wir Deutschland beispielsweise zu einem internationalen Modell für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und zum Spitzenreiter im Bereich der grünen Technologien machen wollen. Ich finde, das ist ein hohes Ziel, aber das haben wir uns gesetzt, und das können Sie nachlesen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das gilt genauso für viele andere Bereiche, die Sie angesprochen haben. Zum Beispiel steht auch die Open-Access-Strategie darin, durch die wissenschaftliche Veröffentlichungen freier und offener gemacht werden sollen. Wir brauchen natürlich Zeit, um das umzusetzen, aber wir sind hier auf dem richtigen Weg. Am Ende dieser Regierungszeit werden Sie uns daran noch einmal messen; aber das Ganze dauert eben seine Zeit. Innerhalb dieser Hightech- und Innovationsstrategie sind wir auch noch ein paar andere wichtige Punkte angegangen, die neu und für uns wichtig sind, zum Beispiel die Innovationen in den Bereichen Dienstleistungen, Produktion und Arbeit. Warum ist das wichtig? Die Digitalisierung der Welt – das haben Sie und auch Frau Wanka gesagt – schreitet voran. In der kleineren Nachbarstadt meines Wahlkreises, in Dortmund, wurde das Internet der Dinge erfunden. Wenn Sie dort in das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik gehen, dann sehen Sie ein Lager, das komplett automatisiert ist. (Willi Brase [SPD]: Sehr richtig!) Die Computer erhalten dort eine Meldung, und dann werden Waren über Roboter verschoben, die selbstständig fahren. Der Warenein- und -ausgang wird digital gesteuert, und der Mensch ist nicht mehr dabei. Das ist eine ungeheure Herausforderung und Chance. Wir müssen hier aber weiter forschen und die Entwicklung so gestalten, dass sie auch zum Nutzen der Gesellschaft und des Menschen ist; denn als Produktionsstandort brauchen wir auch eine moderne Produktion. Die meisten Unternehmen haben das Ziel und sind bereits in der Lage, energieeffizient, ressourcenschonend und kosteneffizient zu produzieren. Da ist im System noch eine ganze Menge Potenzial; aber dazu braucht es gute und breitangelegte Forschung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Fabrik der Zukunft kann auch so aussehen, dass Menschen nicht mehr vorhanden sind oder nicht mehr benötigt werden. Ich glaube das zwar nicht, aber darauf müssen wir uns einstellen. Am Rande: Wer jemals in einer Gesenkschmiede oder in einer Stahlbude war – oder sogar da hat arbeiten müssen –, weiß, welch ein Segen moderne Technologie oder Automatisierung sein kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wer da vielleicht länger gearbeitet hat, weiß, dass eine Rente nach 45 Versicherungsjahren kein Geschenk ist, sondern ein richtiges Verdienst. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weil am Ende der Mensch für uns wichtig ist, will ich noch sagen: In meinem Wahlkreis, in Hagen, hat ein Konzern seine neue Zentrale eröffnet. Dort gehen die Arbeitnehmer morgens an ein Schließfach, holen ihren Alukoffer raus, suchen sich einen der leeren Schreibtische aus, bauen ihr Material auf, nehmen das Headset und arbeiten; abends wird alles wieder zusammengeräumt, und das Büro sieht völlig leer aus, die Schreibtische auch. Das ist das Büro der Zukunft – oder auch nicht. Das ist eine spannende Entwicklung. „Ist das gut oder schlecht?“, dazu bedarf es eben auch der Arbeitsforschung. Wir wollen, dass Menschen lange gesund und zufrieden arbeiten können und sich auf neue Situationen im digitalen Zeitalter einstellen können. Deswegen fördern wir die Arbeitsforschung stärker als bisher. Es gab in den 70er- und 80er-Jahren ein Programm „Humanisierung der Arbeit“; das ist ein zentrales Thema. Wir wollen mit diesen Maßnahmen dazu beitragen, dass der nächste BUFI nicht nur dicker wird, sondern wir insgesamt besser werden im wissenschaftlichen Bereich und eine vernünftigere Gesellschaft bekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute über die dritte Hightech-Strategie der Bundesregierung, die Sie mit dem Signalwort „neu“ versehen haben. Weil das Prädikat „neu“ anscheinend noch nicht ausreicht, wird der Titel Ihrer Vorlage auch noch mit dem Anspruch „Innovationen für Deutschland“ versehen. Nun ist es nicht Aufgabe der Opposition, Ihnen ehrgeizige Ziele auszureden. Wir werden vielmehr kritisch prüfen, ob die wohlklingenden Worte mit sinnvollen In-strumenten unterlegt werden oder verbale Superlative einfach nur von inhaltlichen Defiziten ablenken sollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die neue Hightech-Strategie hätte nach einem Jahr Regierungszeit und neun Jahren CDU-Forschungsministerinnen als Chance zu einem echten Neustart genutzt werden können. Die Koalition hätte die Möglichkeiten für einen Aufbruch zu einer nachhaltigkeitsorientierten Innovationspolitik aus einem Guss gehabt. Sie könnten sich auch ehrlich machen, dass Sie weiter vordringlich auf wachstums- und auf industriegetriebene Felder setzen. Weil Sie all das aber unterlassen, springen Sie zu kurz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wirklich neu wäre etwas anderes gewesen: ein klarer Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Aufbruch, der sich in der Umsetzung dann auch durchgängig wiederfinden müsste. Ihrer Hightech-Strategie fehlt aber eine klare Stärken-Schwächen-Analyse, ihr fehlt eine Entrümpelung, und ihr fehlt eine konsistente Ausrichtung auf Nachhaltigkeitsaspekte. Doch dazu fehlen Ihnen die Kraft und der Mut. Das finden wir unzureichend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heraus gekommen ist ein Programm mit uneindeutigen und auch widersprüchlichen Zielen. Die sogenannten prioritären Zukunftsaufgaben, die Sie sich als Regierung forschungspolitisch vornehmen, sind so weit gefasst, dass hierunter alles fällt, was Sie eh immer schon gemacht haben. Statt Klima/Energie heißt es jetzt „Nachhaltiges Wirtschaften und Energie“, statt Gesundheit/Ernährung heißt es jetzt „Gesundes Leben“, statt Mobilität „Intelligente Mobilität“, statt Sicherheit „Zivile Sicherheit“, und statt Kommunikation heißt es jetzt „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kreativ!) Neu ist das alles nun wirklich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Viel wichtiger wäre die klare Auskunft darüber gewesen, wo genau Ihre Prioritäten bei den jeweiligen Rahmen- und Forschungsförderprogrammen denn nun liegen. Das, liebe Frau Wanka, sollten Sie hier nicht verschweigen. Sonst bleibt Ihre Hightech-Strategie ein diffuses Sammelsurium. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Richtig ist, dass es auch einzelne neue Aspekte gibt. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es gibt die neue Zukunftsaufgabe namens innovative -Arbeitswelt und eine Stärkung der Dienstleistungsforschung. Das finden wir gut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gab den Agenda-Prozess „Green Economy“, den wir begrüßen und den wir kaum hätten besser machen können. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es gibt die Initiative FONA und die „Nationale Plattform Zukunftsstadt“. Das alles reicht aber nicht aus, um eine Strategie neu und nachhaltig zu nennen. Sie tun so, als gebe es plötzlich auf breiter Front eine Interdisziplinarität der Ansätze. Wenn alte Programme überwiegen, besteht das Risiko, dass neue Impulse wegen Beharrungskräften des Alten ins Leere laufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wie stark diese alten Beharrungskräfte sein können, zeigt die Behandlung der neuen Energien. Das EFI-Gutachten verkennt völlig die positive Dynamik sowie die ökologische und ökonomische Relevanz der erneuerbaren Energien. Diese waren Jobmotor, Modernisierungsfaktor und Innovationstreiber in Deutschland, bis sie durch eine planlose, von alten Interessen dominierte Politik gedrosselt wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wirtschaftsminister Gabriel stellt sich schützend vor fossile Dinosaurier, vor die ältesten Kohlekraftwerke dieser Republik. Aus Ihrem Forschungsetat, liebe Frau Wanka, werden atomare Altlasten finanziert. Allein bis 2017 fließen knapp 1 Milliarde Euro in den Rückbau kerntechnischer Anlagen. Beides ist Antiinnovations-politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beides ist staubgraue und riskante statt grüne und kreative Ökonomie. Damit muss Schluss sein, steuern Sie endlich um! (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wollt ihr keinen Rückbau?) Ein Misserfolg zeichnet sich auch beim Zukunftsmarkt Elektromobilität ab. Hier zeigt sich exemplarisch: Leitentscheidungen werden schlichtweg nicht getroffen und Innovationsprozesse verlangsamt. Ein neuer Gründergeist wird so nicht entfacht. Das schadet unserem Industrie- und Innovationsstandort Deutschland. So drohen Sie, Chancen zu verspielen. Wir brauchen mehr Elektromobilität. Alles andere ist fatal für das Klima. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider ist keine Besserung in Sicht. Über neue ressortübergreifende Abstimmungsformate zur besseren Steuerung schweigt sich diese Hightech-Strategie aus. Wenn Ihr Selbstlob stimmt und alles so viel anders und so viel besser im Vergleich zu früher wäre, dann hätten Sie ja einen Großteil Ihrer Fördertöpfe auch umkrempeln müssen. Ich sage Ihnen: Ihr auf Technik verengtes Innova-tionsverständnis hat ausgedient. Ihr altes ressourcenintensives und energieverschwendendes Wachstumsmodell hat erst recht ausgedient. Hören Sie auf die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ der vergangenen Wahlperiode! Wir haben nur einen Planeten und keinen Ersatz hierfür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eine bessere Förderung von Forschung und Entwicklung und eine Modernisierung des Wissenschaftssystems, um deren Expertise und Potenziale für die sozialökonomische Erneuerung unseres Landes auszuschöpfen. In Ihrer Hightech-Strategie steht Nachhaltigkeit jedoch unverbunden neben einer Reihe anderer Ziele. Allen voran stehen Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, Wachstum, Wachstum. Hier überwiegt die reine Wertschöpfungsorientierung. Das ist überholt. Bisherige Förderschwerpunkte bekommen von Ihnen einfach nur andere Namensschilder umgehängt: „green, smart, sustainable“. Der Inhalt bleibt jedoch überwiegend gleich. Gutes Wording und Framing reichen aber nicht. Echte Zukunftsorientierung geht anders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Röspel [SPD]: Wir sind wenigstens eine Partei, die nach einem Inhalt benannt ist und nicht nach einer Farbe! – Heiterkeit bei der SPD) Wir wollen dagegen, dass wegweisende Ansätze wie das Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklungen“ und die Forschungsagenda „Green Economy“ strukturbildend für die gesamte Hightech-Strategie wirken, damit nicht nur die Verpackung grün aufgehübscht ist. Wir wollen auch, dass einzelne Programme nicht nur nebeneinander herlaufen, sondern dass es zu einem echten Transfer und zur Interdisziplinarität zwischen Technik- und Sozialwissenschaften kommt. Leider gibt es in der Hightech-Strategie bisher kein Indikatorensystem für mehr Nachhaltigkeit. Damit könnten wir die Prinzipien der Nachhaltigkeit für forschungspolitische Lösungen der großen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen nutzen, zum Beispiel bei der Mobilität, beim Klimaschutz, bei der Energieversorgung, bei der Ernährung, bei der digitalen Revolution bis hin zur Industrie 4.0. Davon abgeleitet müsste eine Forschungs- und Innovationsstrategie entwickelt werden, die im Kern danach fragt: Was leisten und was verkraften ökologische, ökonomische und soziale Systeme? Für diese Fragen müsste sich die Koalition mit ihren Forschungsförderprogrammen endlich stärker öffnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiteres Problem Ihrer Hightech-Strategie ist die mangelnde Budgettransparenz und damit auch die politische Steuerbarkeit. Jetzt erklären Sie mir doch einmal den Unterschied zwischen den beiden Schwerpunkten „Cybersicherheit“ einerseits und „IT-Sicherheit“ andererseits. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Offensichtlich ist der Unterschied nur der, dass unterschiedliche Häuser Ihrer Bundesregierung dafür zuständig sind. Ihre Strategie referiert oft nur die Interessen mehrerer Ministerien und schafft neue Redundanzen. Wir fordern einen integrierten Ansatz. Eine Bundes-regierung muss vernetzt denken und auch vernetzt handeln können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere politische Aufgabe ist nicht Feinsteuerung, sondern die Gewährleistung von Pluralität und Forschungsfreiheit in gesellschaftlicher Verantwortung. Das heißt, es geht bei Forschung auch um größtmögliche Transparenz und um Technikfolgenabschätzung. Es geht darum, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Eine fundamentale Voraussetzung dafür ist es, für eine kluge Wissenschaftsarchitektur und eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen als Herzstück des Wissenschaftssystems zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen geben wir 1,17 Milliarden Euro an die Länder und übernehmen die BAföG-Kosten!) Gut ist, dass Sie ein Paket der Wissenschaftspakte auf den Weg gebracht haben. Aber das reicht nicht. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was machen denn Ihre Länder? Herr Gehring, was machen die Grünen in den Ländern?) Wir erwarten, dass Sie die neue Verfassungsrealität ab dem 1. Januar 2015 mit Leben erfüllen, mit der dauerhafte institutionelle Kooperationsmöglichkeiten in der Wissenschaft ermöglicht werden. Das gilt es – bitte schön – dann auch zu nutzen. Im Bundeshaushalt 2015 fehlt davon jede Spur. Da muss mehr kommen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was machen die Grünen in den Ländern?) Wer eine Tür öffnet, der muss auch hindurchgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Röspel [SPD]: Das ist ein falscher Ansatz!) – Wir wollten das Kooperationsverbot für Bildung und Wissenschaft abschaffen. Ihr geht halbherzig vor. Die Kooperation im Bereich der Wissenschaft ist jetzt möglich. Also, los geht’s. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt viel zu tun, etwa den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs. All das gilt es auf den Weg zu bringen, sonst bleibt diese Verfassungsänderung folgenlos. Es bringt doch nichts, wenn sie nur auf dem Papier steht, auch wenn es die Verfassung ist. Forschung ist für unsere wissensbasierte Ökonomie zentrale Zukunftsvorsorge. Mit nur 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung werden wir als Wissensnation im internationalen Innovationswettbewerb zurückfallen. Wir fordern Sie daher seit Jahren auf, sich endlich auf das 3,5-Prozent-Ziel für Forschungsinvestitionen zu konzentrieren, um den großen Herausforderungen gerecht zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie aber Zukunftsinfrastrukturen und -investitionen vernachlässigen, weil Sie im Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung den Mangel der globalen Minderausgabe verwalten, dann wird sich das bitter rächen. Unser Wissenschafts- und Innovationssystem braucht mehr Verlässlichkeit, das gilt besonders für die Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb. Es ist großartig, dass wir inzwischen, gerade auch im Wissenschaftssystem, das Einwanderungsland schlechthin sind und weltweit auf Platz drei stehen. Aber es geht eben auch um die prekären Beschäftigungsverhältnisse an unseren Hochschulen. Das muss besser werden, vom wissenschaftlichen Nachwuchs bis zur Tenure-Track-Professur. Notwendig sind bessere Arbeitsbedingungen, mehr Vielfalt, mehr Weltoffenheit, Geschlechtergerechtigkeit und Familienfreundlichkeit. Wir haben dazu längst Initiativen vorgelegt. Von Ihnen kommen bisher nur warme Worte. Legen Sie dem Parlament endlich etwas vor, um Wissenschaft als Beruf attraktiver zu machen. Wir wollen faire Karrieren statt prekäre Befristungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Forschung geht im Übrigen nicht ohne Bürgerschaft. Für echte Bürgerpartizipation im Forschungsprozess haben Sie aber kein stimmiges und verbindliches Konzept. Welche Reichweite und welche Beteiligungsformate wollen Sie eigentlich? Was geschieht mit den Ergebnissen? Wer stellt die entscheidenden Forschungsfragen? Welche Rückwirkungen haben Sie auf die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie? Auch hierzu ist im Haushalt 2015 nichts abzulesen. Wir brauchen deutlich mehr Citizen Science und weniger Überschriften. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seit neun Jahren wird das Forschungsressort von der Union verantwortet. Seitdem vernachlässigen Sie kleine und mittlere Unternehmen, die oft wichtige Quellen und Treiber für Innovationen sind. Im Rahmen von Förderprogrammen werden ein paar Schräubchen gedreht. Was den KMU aber fehlt, ist eine steuerliche Forschungsförderung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen Entwicklungsvorhaben von KMU durch eine 15-prozentige Steuergutschrift auf Sach- und Personalkosten unterstützen. Greifen Sie diesen Vorschlag endlich auf. Er ist definitiv zielgerichteter als die skurrilen Patentboxen, über die Herr Schäuble sinniert. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Gehring, achten Sie auf Ihre Redezeit? Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie schön. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Forschungs-, Wissenschafts- und Innovationspolitik muss sich viel stärker zum Anliegen der gesamten Bundesregierung entwickeln. Sie hat mehr Tatkraft verdient, um die großen Herausforderungen vom demografischen Wandel bis zur Digitalisierung zu schultern. Dafür, liebe Koalition, braucht es mehr Substanz und mehr Mittel statt wohlklingender Worte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Stefan Kaufmann ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kai Gehring, nachdem von Ihnen ein grünes Zerrbild von Deutschland gezeichnet wurde, will ich zu dem zurückkommen, was uns eigentlich heute beschäftigt, nämlich die Forschungs- und Innovationspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich war vor kurzem zu Besuch in Israel, und ich war beeindruckt von der Innovationskraft und dem Gründergeist dort. Das Weizmann-Institut ist eines der innovativsten der Welt. Die Konkurrenz – das sieht man dort sehr deutlich – schläft also nicht. Aber auch wir sind im harten internationalen Wettbewerb gut aufgestellt, und mit der neuen Hightech- und Innovationsstrategie, die wir heute diskutieren, wird es noch besser, meine Damen und Herren. Wie ist die Ausgangslage? Wir stehen bei ganz vielen Parametern hervorragend da. Viele Staaten kopieren die deutsche Hightech-Strategie, sei es Frankreich mit Unterstützung der Fraunhofer-Gesellschaft oder die USA mit ihrer gigantischen Advanced Manufacturing -Strategy. Mit unserem fortgesetzten Commitment zur Forschung haben wir das 3-Prozent-Ziel der Europa-2020-Strategie bereits 2012 erreicht, lieber Kai Gehring. Zusammengenommen haben Staat, Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung sogar auf den Rekordwert von mehr als 79 Milliarden Euro im Jahr 2012 gesteigert. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich in der Spitzengruppe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine baden-württembergische Heimat nimmt übrigens innerhalb Europas mit über 5,1 Prozent FuE-Intensität den Spitzenplatz ein. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ganz starke Landesregierung!) Dies ist zweifellos ein Hauptgrund für unsere wirtschaftliche Stärke im Südwesten. Auch der aktuelle Forschungs- und Innovationsbericht, über den wir heute diskutieren, bestätigt, dass der Standort Deutschland in den letzten Jahren weiter an Attraktivität gewonnen hat; die Ministerin hat es bereits erwähnt. Knapp 600 000 Menschen sind in Deutschland in Forschung und Entwicklung tätig. Allein zwischen 2005 und 2012 sind in diesem Bereich – unter anderem dank der Exzellenzinitiative – 114 000 neue Arbeitsplätze entstanden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fünf der zehn forschungsstärksten Unternehmen Europas kommen heute aus Deutschland. Beim Export von forschungsintensiven Gütern bildet Deutschland mit einem Anteil von rund 12 Prozent am Welthandelsvolumen hinter China die Weltspitze, noch vor den USA und Japan. Bei den transnationalen Patentanmeldungen ist Deutschland führend in Europa und liegt weltweit an dritter Stelle. Die gegenwärtig gute Stellung vor allem innerhalb Europas und der Wohlstand Deutschlands können aber angesichts des sich weiter verschärfenden globalen Wettbewerbs nur mit einer breiten Wissens- und Innovationsbasis behauptet und ausgebaut werden. Genau hier setzt die Hightech-Strategie an, und zwar mit drei Zielrichtungen: Erstens bündeln wir zentrale Handlungsfelder zur Förderung von Forschung und Innovation innerhalb der Bundesregierung. Zweitens setzen wir Prioritäten in ausgewählten Bereichen, und drittens verfolgen wir neue Ansätze in der Querschnittsförderung von Innovationen. Hightech ist also zukünftig eine Querschnittsaufgabe. Das entbindet uns aber nicht von der Herausforderung, klar zu sagen, wer am Ende bei der Umsetzung den Hut aufhat. Was wollen wir konkret mit der neuen, auf der erfolgreichen Hightech-Strategie aufbauenden, ressortübergreifenden Innovationsstrategie erreichen? Wirtschaft und Wissenschaft werden mit Unterstützung der Bundesregierung in zahlreichen Projekten zusammenarbeiten, zum Beispiel zur Förderung der Elektromobilität oder der digitalen Fertigungsprozesse, Stichwort „Industrie 4.0“. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Elektromobilität fährt der Zug doch gerade ab!) Wichtig ist in diesem Kontext, dass die Industrieunternehmen in der vorwettbewerblichen Phase enger zusammenarbeiten. Die anbrechende Konnektivität der Fertigungsbereiche durch Industrie 4.0 erfordert eine kreative Kooperation der Unternehmen innerhalb des „Industrieclusters Deutschland“. Ziel ist es, durch Hochtechnologie und innovative Geschäftsmodelle auf den etablierten Technologien aufzubauen. Zugleich sollen in dieser Legislaturperiode neue Instrumente eingesetzt werden, um den Transfer von Ideen in Produkte weiter zu verbessern. Hierin, in der Innova-tionsumsetzung und im Transfer von der starken Grundlagenforschung zum marktfähigen Produkt, liegen nicht nur meines Erachtens die größten Defizite und damit auch die größten Herausforderungen für uns. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Das ist im Übrigen nicht nur eine Frage der Kultur, Stichworte „Gründermentalität“, „Umgang mit Risiken“, „Verfügbarkeit von Wagniskapital“ und vieles mehr. All das konnte ich bei meinem eingangs erwähnten Besuch in Israel hautnah erleben. Apropos Risikofinanzierung. Warum tun wir uns hier eigentlich so schwer? Geld gibt es hierzulande genug. Es muss eben nur aktiviert werden. Ja, Innovation und Technologietransfer brauchen auch die richtigen finanziellen Rahmenbedingungen. Dazu gehören zum Beispiel Anreize für den Einsatz von Wagniskapital, innovationsfördernde Regelungen beim Crowdfunding oder Verbesserungen bei der Innovationsfinanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen; Kollege Riesenhuber wird dazu noch einiges ausführen. Die Umsetzung der neuen Hightech-Strategie soll von einem neuen Hightechforum begleitet werden, in dem zentrale Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vertreten sind. Diesem Hightechforum kommt eine enorm wichtige Rolle zu. Es muss schlank und schlagkräftig sein, damit es effektiv zur Vernetzung aller innovatorischen Kräfte beitragen kann. Zum Erfolg wird die Strategie dann werden, wenn wir bewusst unsere Stärken stärken. Was heißt das nun? Erstens. Wir müssen unser leistungsfähiges differenziertes Wissenschaftssystem mit starken Hochschulen angemessen ausstatten. Das sage ich vor allem auch an die Adresse der Länder. Zweitens. Wir müssen auf unserem robusten industriellen Fundament aufbauen und Cluster bilden von exportorientierten, forschungsstarken Unternehmen, Hochschuleinrichtungen und außeruniversitären Forschungsinstituten, eine klassische Win-win-win-Situation. Im Prinzip ist es das, was die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren nationalen Leistungszentren vorhat: die Profil- und Exzellenzbildung an Forschungsstandorten um thematische Cluster herum und am Ende die Verbindung mehrerer Cluster zu einem leistungsfähigen, interna-tional sichtbaren Forschungsraum. Zwei Beispiele: das DRESDEN-concept zur Funktionsintegration mikro- und nanoelektronischer Systeme oder das Freiburger Cluster zum Thema Nachhaltigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Die beteiligten Cluster können übrigens neue Cluster sein oder solche, die beispielsweise bereits im Rahmen des Spitzenclusterwettbewerbs der alten Hightech-Strategie entstanden sind. Die Union steht – ich betone das gerne – weiterhin zur Spitzenforschung. Wir müssen dagegenhalten, wenn deutsche Unternehmen ihre FuE-Aktivitäten im Bereich der Spitzentechnologien immer mehr ins Ausland verlagern, wie es im EFI-Bericht nachzulesen ist. Klar ist – darüber sind wir uns im Hause einig –: Spitzenforschung braucht die besten Köpfe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist deshalb richtig, dass die Max-Planck-Gesellschaft und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung wie auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihre Arbeit darauf konzentrieren, die besten Köpfe nach Deutschland zu holen oder hier zu halten. Es ist deshalb richtig, dass Exzellenz weiterhin wichtigstes Kriterium bei der Vergabe von Geldern aus deutschen oder europäischen Fördertöpfen an Forscher oder Institute ist. Es ist deshalb richtig, dass wir den außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Pakt für Forschung und Innovation jährliche Etatsteigerungen zugesagt haben und die DFG jetzt mit der erhöhten Programmpauschale unterstützen. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Standardisierung. Wer die Standards setzt, hat die Kontrolle. Hier muss sich die deutsche Wirtschaft international noch viel mehr einbringen als bisher. Ich befürchte, dass die Bedeutung der Standardisierung und standardessenzieller Patente dort noch nicht richtig angekommen ist. Das ist übrigens auch eine Erkenntnis aus dem EFI-Bericht, die wir ernst nehmen müssen. Gerade im Bereich der IKT hängt der Geschäftserfolg maßgeblich von Standards ab, die man selbst mitgestaltet. Was müssen wir noch tun? Wir sollten darüber nachdenken, ob und wie wir unsere Hochschulausbildung anpassen müssen, beispielsweise bei der Einrichtung neuer Studiengänge wie Data Engineering. Da wir schon bei den Hochschulen sind – ich weiß, dass das seit Jahren wiederholt wird –: Wir müssen die MINT-Fächer noch weiter stärken; denn MINT ist die Grundlage aller Innovation. Hier bereitet mir eine Entwicklung große Sorge. Nach Ergebnissen einer Untersuchung der Vodafone-Stiftung und dem Allensbach-Institut von letzter Woche haben trotz vielerlei öffentlich geförderter Programme nur 6 Prozent der Schüler Interesse an Computerberufen. Jetzt kommt’s: Bei Schülerinnen sind es noch weniger, nämlich 0,5 Prozent. So wird die Frauenquote weder in der Wissenschaft noch in der Wirtschaft auf absehbare Zeit erfolgreich sein. Wir brauchen aber gerade Frauen in diesen zukunftsträchtigen und zukunftsfähigen Bereichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es bleibt also einiges zu tun, und das möglichst schnell. Bauen wir auf unsere im internationalen Vergleich sehr gute Infrastruktur, auf die Rechtssicherheit in unserem Land und auf unsere sehr gut ausgebildeten jungen Leute! Gerade in der Verzahnung unserer starken dualen Berufsausbildung mit der Hochschulbildung liegt eine unserer größten Stärken für den Innovationsstandort. Es gibt daher guten Grund, wie wir es ja auch hier regelmäßig tun, die berufliche Bildung hochzuhalten und für die berufliche Bildung zu streiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich ein Fazit ziehen und dabei abschließend noch einmal die Gesellschaft in den Blick nehmen. Innovationen gedeihen in einer Gesellschaft, die Chancen ergreift, nicht in einer Gesellschaft, die sich in Risikovermeidung ergeht. Nur eine der Zukunft zugewandte Gesellschaft bietet Raum für Innovationen, Raum, der sich durch die Dynamik der Digitalisierung in einem ungeahnten Maße erweitert. Angesichts des demografischen Wandels in diesem Land sehen wir uns da einer doppelten Herausforderung gegenüber. Unseren Wohlstand können wir jedenfalls nur mit Qualität und Hochtechnologie verteidigen. Das müssen wir jeden Tag aufs Neue auch öffentlich sagen. Ich habe es schon gesagt: Heute Morgen im Morgenmagazin war alles, was wir heute im Bundestag diskutieren, Thema – nur nicht die Hightech-Strategie. Auch das ist bezeichnend. Den Kampf um die billigsten Produkte – den werden wir verlieren. Den Kampf um die besten Produkte – den wollen wir aber gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist diese Hightech-Strategie so wichtig. Vor diesem Hintergrund unterstütze ich ausdrücklich die umfangreichen Aktivitäten der Bundesregierung im Rahmen der Hightech-Strategie. 11 Milliarden Euro pro Jahr, das ist ein Wort. Lassen Sie uns gemeinsam weiter hart an der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der Zukunft unseres Landes arbeiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Roland Claus ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat also einen Plan. „Die neue Hightech-Strategie“, das klingt sehr selbstbewusst. Aber ich muss Ihnen auch sagen: Zwischen Selbstbewusstsein und Anmaßung liegt manchmal nur ein schmaler Grat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das merkt man bei euch!) Ihr Text sagt: „Deutschland auf dem Weg zum weltweiten Innovationsführer“; Ihr Text sagt: Deutschland als „führende Wirtschafts- und Exportnation“. Mit Verlaub, meine Damen und Herren: Hier ist die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Anmaßung weit überschritten. Das ist doch Anmaßung pur. (Beifall bei der LINKEN) Die Vorlage sammelt so ziemlich alle Schlagworte, die wir kennen, Schlagworte aller Gipfel, aller Pakte, aller Initiativen, aller Cluster, aller Portale, aller Agenden, aller Kompetenzzentren, aller Zukunftsprojekte usw. usf. Sie haben so lange gebündelt, bis keiner mehr weiß, was in dem Bündel drin ist. (Beifall bei der LINKEN) Allerdings kommt das Wort „Friedensforschung“ in Ihren langen Texten nicht vor, dafür an allzu vielen Stellen das Wort von der Verwertungslogik. Ich finde, wer die Erotik am Kreativen so auf Verwertung reduziert, der hat von Erotik nicht viel verstanden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und was kommt jetzt? Kriegen wir jetzt eine Belehrung?) Wirtschaftsverbände, Wissenschaftsexperten fällen ihr Urteil, das in der Kurzfassung lautet: Die Regierung lobt sich für Milliardenausgaben für Hightech, Unternehmen sind enttäuscht, Investitionen haben nicht gezündet; gefördert werden nur die üblichen Verdächtigen. – Sie haben Ihren Plan vom Glück „Strategie“ genannt und sich damit in eine Falle begeben. Das Wort „Strategie“ kommt bekanntlich aus dem Griechischen, stratēgós – ursprünglich die Kunst der Kriegsführung –; heute verstehen wir unter Strategie: Strategie beschreibt einen angestrebten Zielzustand und den Weg dorthin. Ziele und Wünsche beschreiben Sie in Menge. Den Weg dorthin bleiben Sie schuldig. Ganze eineinhalb Seiten am Abspann mit dem Titel „Umsetzung“, das erscheint so, als wäre Ihnen aufgefallen: Hoppla, da fehlt doch noch was. Was Sie hier Strategie nennen, ist ein folgenloses Sammelsurium von wohlklingenden, aber inhaltsleeren Wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Tucholsky würde wohl sagen: Man kann getrost für diese wissenschaftliche Revolution stimmen, mit dieser Regierung kommt sie bestimmt nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da war mir Luther lieber!) Während Sie hier über die Zukunft schwadronieren, holt Sie die Gegenwart ein. Die Staatsanwaltschaft München machte vor zwei oder drei Tagen eine Razzia wegen Korruptionsverdachts bei einem Ihrer vielgeförderten Musterschüler, nämlich bei der militärischen Sparte von Airbus, der Airbus Defence and Space GmbH. Diese GmbH ist ein mindestens siebenfacher Zuwendungsempfänger des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Das ruft doch nach Aufklärung, meine Damen und Herren, auch in Ihrem Ministerium. Deshalb, Frau Ministerin: Sie können sich nicht in die Zukunft flüchten, solange Sie hier und heute Ihre Förderpolitik nicht im Griff haben. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was war das für ein unterirdischer Beitrag?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Hubertus Heil das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Claus, es geht aber um etwas anderes. Es geht um drei Vorlagen, die wir heute diskutieren, nämlich um den Bundesbericht Forschung und Innovation, das Gutachten der Expertenkommission und die neue Hightech-Strategie der Bundesregierung. Wenn Sie fragen, welchen Innovationsbegriff wir zugrunde legen, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie bitte in die Papiere, und verbreiten Sie nicht so ein Zeug! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ganz klar ist, dass wir spätestens seit Joseph -Schumpeter wissen, dass Invention und Innovation zwei verschiedene Dinge sind, die aber zusammenhängen. Das heißt, es geht nicht allein darum, Dinge zu erfinden oder Prototypen auf den Weg zu bringen; es geht auch darum, dass daraus tatsächlich Produkte, Verfahren und Dienstleistungen werden und – ich füge das hinzu – dass aus technischem und wirtschaftlichem Fortschritt auch gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird. Das ist unser Innovationsbegriff, und der findet sich auch in der Hightech-Strategie wieder. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir müssen dann fragen, ob wir gut sind und ob wir gut aufgestellt sind, was unsere Hightech-Strategie, unsere Forschung und Entwicklung betrifft, um auch die großen Fragen unserer Zeit zu beantworten. Wenn es darum geht, mit wissenschaftlichem und technischem Fortschritt gesellschaftliche Probleme, wenn Sie so wollen, Menschheitsprobleme anzugehen, dann liegen vor allen Dingen vier große Fragen vor uns, beispielsweise die Frage, was wir tun können, um mit technischem Fortschritt in Deutschland den demografischen Wandel positiv zu begleiten, oder die Frage, was wir tun können, um zu erreichen, dass aus Digitalisierung – das Stichwort ist hier schon mehrfach gefallen – Positives wird, etwa wenn es um Datensicherheit geht. Die Frage ist aber auch: Was ist Arbeit 4.0? Der Kollege Röspel hat am Beispiel der Fraunhofer-Institute in Dortmund darauf hingewiesen. Dort gibt es übrigens nicht nur schlaue Techniker und Logistiker, sondern auch Wissenschaftler, die mit Arbeitssoziologen zusammenarbeiten wollen, um zu erforschen: Was heißt „Arbeit 4.0“? Welche Qualifikationsanforderungen brauchen wir in dieser neuen Welt, bei dieser industriellen Revolution? Ich finde, dass wir da auf dem richtigen Weg sind, auch mit der Hightech-Strategie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht auch um die Frage, wie wir mit technischem, naturwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Fortschritt mithelfen können, mit Mitteln der Industriegesellschaft Probleme zu lösen, die aus der Industriegesellschaft entstanden sind: ökologische Probleme, die Knappheit von Ressourcen, der Klimaschutz. Ich glaube, dass wir mit der Energieforschung, die wir auf den Weg bringen, nicht nur einen Beitrag dazu leisten können, dass wir in Deutschland im Rahmen der Energiewende eine bessere Energieversorgung bekommen. Wir können die Lösung, die wir hier haben, auch exportieren. Die Weltbevölkerung wächst. Es wird ein Riesenenergiehunger auf der Welt da sein. Wenn wir deutsche Produkte, Verfahren und Dienstleistungen exportieren und so mithelfen können, dass es ökologischere, wirkungsvollere Verfahren auf der Welt gibt, dann leisten wir mit deutscher Forschung und Anwendung tatsächlich einen Beitrag dazu, dass wir dieses Menschheitsproblem angehen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, neben Demografie, Digitalisierung, knappen Ressourcen geht es auch um die Frage, welchen Beitrag Wissenschaft und Forschung in Deutschland leisten können, wenn es darum geht, der Internationalisierung von Politik und Wirtschaft etwas Gutes abzugewinnen. Ich meine da durchaus auch geisteswissenschaftliche Forschung. Wir erleben bei den internationalen Konflikten, die es im Moment auf der Welt gibt, dass es wichtig ist, dass wir Konfliktforschung, Friedensforschung, zivile Forschung miteinander voranbringen. Herr Claus, das können Sie nicht leugnen: Seit Sozialdemokraten da mitmachen, kommt das auch wieder ein Stück weit stärker voran; das erkennen Sie, wenn Sie in den Haushalt gucken. Darauf sind wir durchaus stolz. (Beifall bei der SPD – Roland Claus [DIE LINKE]: Aber das kommt nicht vor in dem Papier!) Wo stehen wir heute? Da ist Licht und Schatten; das ist richtig. Dafür gibt es den EFI-Bericht. Aber grundsätzlich – darauf haben die Kollegen der Koalition hingewiesen – steht Deutschland gut da. Wir sind beim Innovationsindex der Europäischen Union an der Spitze. Wir haben ein Wachstum der Mittel. Was das 3-Prozent-Ziel angeht, so sind wir inzwischen – um genau zu sein – bei 2,98 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind massive Steigerungen. In dieser Zeit gab es bei Forschung und Entwicklung tatsächlich einen Rekordaufwuchs, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Wir haben in diesem Land auch eine gute Grundstruktur, nämlich innovative Unternehmen, vor allen Dingen mittelständische Unternehmen, die berühmten Hidden Champions, die auf den Märkten der Welt nicht mit den billigsten, sondern mit den besten Produkten und Verfahren erfolgreich sind, weil sie eben mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Dazu gehören übrigens auch ein leistungsfähiges System forschender Unternehmen und von Hochschulen und – darum beneiden uns einige in der Welt – sehr starke außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit klaren Aufgabenschwerpunkten. Die außeruniversitäre Forschungslandschaft, die wir in Deutschland haben, wird mittlerweile weltweit kopiert. Man muss nur einmal – wir waren vor kurzem dort – mit Verantwortlichen in China oder in Vietnam sprechen. Sie fragen uns: Wie macht ihr das mit Max Planck, Helmholtz, Leibniz, DFG und Fraunhofer? Wie kommt ihr eigentlich bei Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung zurecht? Wie habt ihr das auf die Beine gestellt? – Das ist nicht unser Problem. Ich füge aber, Herr Gehring, hinzu: Zu einem guten Forschungs- und Wissenschaftssystem gehört, dass wir das Herzstück, nämlich die Universitäten, die Hochschulen in diesem Land, stärken, auch was die Forschung betrifft. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das heißt, wir müssen die Qualität der außeruniversitären Forschung halten, den Aufwuchs, den wir auf den Weg gebracht haben, verstetigen und gleichzeitig dafür sorgen, dass unsere Hochschulen vorankommen. Da werden wir im nächsten Jahr noch eine ganze Menge zu tun haben. Wir haben allerdings schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht, beispielsweise mit dem Hochschulpakt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nichts anderes habe ich doch gesagt!) Es wird nächstes Jahr auch um die Exzellenzinitiative gehen. Auch dieses Thema wird die Koalition miteinander angehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauen Sie doch rein! Auf geht’s! Dann machen Sie es doch!) – Ja, auf geht’s! Ich meine, es kann ja nicht sein, Kai Gehring, dass ihr sagt: Nicht immer nur Wachstum, Wachstum, Wachstum. – Das habe ich vorhin gehört. Ich frage mich, was denn eure Alternative ist. „Schrumpfen, schrumpfen, schrumpfen“ kann es ja auch nicht sein. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber ganz ernsthaft: Wenn ich höre: „Das ist ja alles ganz gut, aber noch nicht genug“, dann kommt mir das auch ein bisschen wie Tonnenideologie vor. Wir haben in dieser Großen Koalition in einem Jahr im Bereich Bildung und Forschung mehr auf den Weg gebracht, als in den vier Jahren zuvor erreicht wurde. Darauf bin ich stolz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben nicht nur den Artikel 91 b des Grundgesetzes geändert, sondern wir haben auch den Hochschulpakt auf den Weg gebracht. Wir haben tatsächlich einen Pakt für Forschung und Innovation geschlossen. Wir haben im Rahmen der BAföG-Reform Milliarden von Euro zur Verfügung gestellt; diese Mittel können die Länder in Bildung investieren. Wir haben außerdem das Grundgesetz geändert. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Befristungsunwesen an den Hochschulen?) – Ja, wir werden auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern. Wir müssen auch mehr für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun. Aber im Sinne der Fairness fände ich es anständig, wenn auch die Opposition anerkennen würde, dass diese Regierung in einem Jahr wirklich eine ganze Menge auf den Weg gebracht hat, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Das EFI-Gutachten bringt zum Ausdruck, wo Licht und Schatten ist und wo noch Aufgaben zu bewältigen sind. Beispielsweise ist es, wie ich finde, kein gutes -Signal, dass deutsche Unternehmen dreimal mehr im Ausland als in Deutschland in Forschung und Entwicklung investieren. Darüber müssen wir uns unterhalten: Was sind die Standortfaktoren für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen? Es ist nicht schlecht, wenn große oder mittelständische deutsche Unternehmen, die international aufgestellt sind, auch in anderen Ländern – das ist ja marktnäher – Forschung und Entwicklung aufbauen. Aber wir müssen im Interesse der Investitionen in Deutschland auch über die Rahmenbedingungen von Investitionen bei uns reden. Dabei geht es nicht immer nur um Steuersätze und monetäre Anreize, sondern es geht an dieser Stelle auch um Offenheit, um die Akzeptanz von Innovationen. Hier schließt sich der Kreis: Wir werden die Akzeptanz für technischen, für industriellen Fortschritt nur dann hinbekommen, wenn klar ist, welche Chancen und Risiken es gibt; denn es gibt keinen Fortschritt ohne Risiko. Hier muss eine Abwägung vorgenommen werden. Es muss auch immer ganz klar sein, welchen sozialen Fortschritt Forschung oder Entwicklung bzw. der industrielle Fortschritt mit sich bringen. Das ist der Zusammenhang. Deshalb ist es richtig, dass es keine reine Hightech-Strategie mehr ist, sondern im besten Sinne des Wortes eine Innovationsstrategie, auch im Hinblick auf sozialen Fortschritt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da kommen dann vermeintlich weiche und harte Faktoren zusammen, beispielsweise im Hinblick auf Unternehmensgründungen. In dieser Stadt, in Berlin, kann man übrigens beobachten, dass sich die berühmte Theorie des Ökonomen Richard Florida, nach der man Talente, Technologie und Toleranz braucht, um tatsächlich eine Gründungskultur zu etablieren, bestätigt. Diese Stadt Berlin ist weltoffen, und hochattraktiv. Wir haben hier inzwischen eine hochspannende Gründerszene. Junge Menschen – nicht nur aus Skandinavien, sondern auch aus Israel und vielen anderen Teilen der Welt –, gute Köpfe, kommen hierher, weil Berlin eine weltoffene, spannende Stadt ist – mit viel Kultur. Gleichzeitig verbindet sich das mit Technologie und mit Talenten. Das gehört zusammen. Wenn wir es in den nächsten Jahren schaffen, auch für die notwendigen harten Bedingungen zu sorgen – hier geht es nicht nur um Wagnis- und Gründungskapital im Allgemeinen, sondern vor allen Dingen auch um Wagniskapital im Hinblick auf das Wachstum von Start-ups –, dann, glaube ich, sind wir auf dem richtigen Weg. Ich gebe aber zu, dass wir uns da beeilen müssen; denn Tatsache ist, dass die Digitalisierung ein Mega-trend ist. Wenn wir in Deutschland zwar eine Wertschöpfungskette von klassischen Grundstoffindustrien über produzierende Unternehmen bis zu kleinen Hightechschmieden haben, aber die Ausrüster der Digitalisierung alle eher in Amerika oder anderswo sitzen, dann ist es höchste Zeit für gemeinsame Initiativen von Wirtschaft, Finanzwirtschaft und Politik, um beispielsweise im Bereich der Wachstumsfinanzierung voranzukommen. Aber es ist nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dass da nichts passiert. Unterhalten Sie sich einmal darüber – wir haben vorhin Kerstin Andreae in den Verwaltungsrat der KfW gewählt –, was die KfW inzwischen auf den Weg gebracht hat, um als Ankerinvestor für Wachstumsfinanzierung voranzukommen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht für kleine Start-ups!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Heil. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ich denke, damit muss man sich nur ein wenig auseinandersetzen. Zum Schluss, Herr Präsident, Folgendes: Ich denke, dass wir finanziell und konzeptionell mit der Hightech-Strategie auf einem guten Weg sind, und ich füge hinzu: Für uns gehören wissenschaftlicher und technischer Fortschritt und auch sozialer Fortschritt dazu. Dies wird einen Beitrag dazu leisten, dass unser Land erfolgreich bleibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Stephan Albani für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stephan Albani (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! – Kann man das Pult ein bisschen herunterfahren? Präsident Dr. Norbert Lammert: Das können Sie selbst. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Hightech!) Stephan Albani (CDU/CSU): Hightech, genau, und man hat sie verstanden. Das nennt man intuitive Hightech. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Genau! Da muss man aber auch die Gefühle haben! – Heiterkeit) – Genau. „Wer nichts im Boden hat, der muss was in der Birne haben“ – so der Kollege Bosbach. Es wurde – auch heute – viel Merkwürdiges in diesem Hause gesagt. Dass dieser Ausspruch mehr als würdig ist, ihn sich zu merken, zeigt die heutige Diskussion; denn er beschreibt treffend, warum wir heute über die deutsche Hightech-Strategie sprechen. Ich füge als Nichtlandwirt und Physiker hinzu: Wenn die Birne dann auch noch leuchtet, haben wir etwas richtig gemacht. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh!) Dass wir etwas richtig gemacht haben, zeigt auch die weitere Entwicklung. Eine Hightech-Strategie setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: zum einen aus der Weiterentwicklung bewährter Instrumente und zum anderen natürlich aus neuen Ansätzen. Die Erfolge der bisherigen Instrumente kennen wir, und wenn dann die Opposition zu den neuen Ansätzen sagt: „Das hätten wir kaum besser machen können“, dann, denke ich, sind wir auf dem richtigen Weg. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war der Herr Gehring! Ich habe das nicht gesagt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Opposition!) – Ist doch gut, dass Sie sich davon distanzieren; denn er hat es ja richtig gesagt. (Heiterkeit der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da lege ich Wert drauf!) Denn kaum ein anderes innovationspolitisches Thema ist von so zentraler Bedeutung. Schließlich verantworten forschungsintensive Produkte und Dienstleistungen rund 45 Prozent der deutschen Wertschöpfung. Warum das so ist und worauf es in der weiteren Entwicklung ankommt, stelle ich Ihnen analog zum Dreiklang „High, Tech und Strategie“ in drei Punkten vor. Erstens. Die Hightech-Strategie ist eine politische Erfolgsgeschichte. Zweitens. Wissenschaft und Forschung stehen im Dienste der Gesellschaft. Und drittens. Wissenschaftstransfer muss auch vermittelt und verstanden werden. Beginnen wir beim ersten Punkt: Erfolgsgeschichte. Dass man gesetzte Ziele nur mit der passenden Strategie erreicht, ist, ehrlich gesagt, klar und eine Binsenweisheit. Doch meist wirken Strategien häufiger im Verborgenen, und sie werden im Erfolgsfall sogar rückwirkend neu geschrieben. Anders hier und anders auch bei Unternehmen: Sie müssen nicht nur Strategien haben, sondern diese jedem erläutern, der potenziell in ihre Ideen investieren soll. Nur so kann dieser abschätzen, ob Aussicht auf Erfolg besteht. In dieser Form ist Politik eher selten verpflichtet; aber ihr Planungshorizont ist mit vier Jahren in der Regel auch wesentlich knapper bemessen. Die Hightech-Strategie ist daher in ihrer Form innovativ und fast revolutionär. Seit 2006 bündelt sie ressortübergreifend die notwendigen Kompetenzen, um die deutsche FuE-Landschaft aufblühen zu lassen. Eine ressortübergreifende Strategie sollte dabei nicht als eine geteilte Verantwortung in Summe, sondern als eine gemeinsame Verantwortung verstanden und gelebt werden. Die dafür aufgebrachten Fördermillionen werden nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt, sondern punktgenau entsprechend der Strategie in zukunftsorientierte Projekte investiert. Das – und nur das – führt zu messbaren Erfolgen. Und sie sind messbar. Aktuell: Platz eins bei den Innovationsrahmenbedingungen, Platz zwei bei den Innovationsfähigkeiten und Platz vier bei den Wettbewerbsfähigkeiten. Klare Zeugnisse und einfache Konsequenzen: Platz eins halten, Platz zwei verbessern, vier dito. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland ist hinter den USA das zweitwichtigste Zielland für FuE-Investitionen. Kürzlich wurde der Bundeshaushalt 2015 beschlossen, der zum zehnten Mal in Folge eine deutliche Mittelsteigerung für Forschung und Bildung festschreibt. Diese Innovationen sind unser Sprungbrett, unser Ticket in die Hightechzukunft. Von Hightech profitiert vor allem der forschende Mittelstand. Deshalb wurden Forschungskooperationen zwischen Wissenschaft und Mittelstand im vergangenen Jahr ressortübergreifend mit der Rekordsumme von 1,4 Milliarden Euro gefördert. Das sind 30 Prozent mehr als 2009. (Beifall bei der CDU/CSU) Das trägt Früchte: 900 Innovationen, 300 Patente und 40 Unternehmensausgründungen hat zum Beispiel das Instrument Spitzencluster-Wettbewerb als Teilinstrument der Hightech-Strategie bereits hervorgebracht. Jeder Euro öffentlicher Förderung löst dabei eine Folgeinvestition von ungefähr 1,40 Euro seitens der Unternehmen aus. Resultat: zum Beispiel individualisierte Krebsmedikamente, patientenspezifische Kunstgelenke und druckbare organische Elektronik made in Germany. Die Internationalisierung der Spitzencluster, die Stärkung von Kooperationen zwischen Unternehmen und Fachhochschulen, weitere Förderprojekte für marktnahe Entwicklung, all diese Instrumente verkürzen den Weg von einer wissenschaftlichen Erkenntnis zu einer marktfähigen Anwendung. Das stärkt den Mittelstand, den Standort Deutschland und dient dabei den Menschen unmittelbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD]) Punkt zwei: Wissenschaft und Forschung stehen im Dienst der Gesellschaft. Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht – auch das kennen Sie aus diesem Hause –, trägt sie an der falschen Körperstelle. Mancher Wirtschaftsprophet glaubt heute schon, Volkswirtschaften zu kennen, die bemüht sind, uns die Lorbeeren unter dem Sitzmuskel wegzuzerren. Die Motivation dabei ist: Wissenschaft und Forschung orientieren sich ähnlich wie wir alle hier im Saal an einem Auftraggeber: dem Wähler, dem Menschen, der Gesellschaft an sich. Dieser Auftraggeber gibt daher die Ziele vor. Technologien sind Mittel zum Zweck. Sie helfen uns. Schließlich soll nicht mein Smartphone oder, kurzum, die Technologie definieren, wer wir sind, sondern wir definieren uns, und die Technik steht in unserem Dienste. Daher sind natürlich auch die Geistes- und Sozialwissenschaften gleichbedeutend neben die Hightech-Strategie zu stellen. Beide zielen auf die Gesellschaft als Ganzes ab. Die sechs Themen der neuen Hightech-Strategie definieren daher die gesellschaftlich relevanten Herausforderungen und greifen diese programmatisch auf. Drittens: Wissenschaftstransfer muss vermittelt und verstanden werden. Das ist der Punkt, der mir am wichtigsten ist. Wissenschaft und Forschung, die im Dienste der Gesellschaft stehen, brauchen Wissenschaftler und Forscher, die ihre Arbeit erklären und die sich für die Verwertung im Sinne der Gesellschaft verantwortlich fühlen. Dabei ist ganz klar: Ohne Grundlagenforschung geht es nicht. 60 Jahre Grundlagenforschung am internationalen Kernforschungszentrum CERN schufen die wissenschaftliche Basis für nuklearmedizinische Diagnostik ebenso wie nebenbei für das Internet, so wie wir es heute kennen. Angewandte Forschung fußt auf Grundlagenforschung. Am Ende steht dabei der Transfer. Aber hier haben wir ein nicht unerhebliches Problem: Ein ausgebildeter Wissenschaftler, eine ausgebildete Wissenschaftlerin haben während ihres Werdegangs – weder im Kindergarten, in der Schule noch in der Uni – je gelernt, den Nutzen ihrer Ideen, die praktische Umsetzung, die wirtschaftliche Verwertung als etwas Normales und im Rahmen der Prozesskette Notwendiges zu verstehen und zu lernen. So kommen angehende Akademiker bestenfalls erst am Ende ihrer Ausbildung, zum Beispiel seit einigen Jahren im Rahmen eines BMBF-Projektes, in die Verlegenheit, einmal einen Businessplan zu erstellen, der dann häufig als notwendiges Übel empfunden wird. Hier müssen wir besser werden. Hier brauchen wir einen Kulturwandel. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn die Gesellschaft den Nutzen der Erkenntnis aber nicht versteht bzw. nicht verstehen kann, dann wird es schwierig; denn was wir nicht verstehen, lehnen wir ab. So sind wir evolutionär programmiert. Das kennen wir: Wat de Buer nich kennt, dat frät he nich, und kennt he nix, frät he auch nix. Der Drang zur irrationalen Neugier, eine Art Hunger des Geistes, ist heute unsere Schlüsselkompetenz zum wissenschaftlichen Fortschritt. Freude am Experimentieren, Freude am Forschen, Freude auch am Umsetzen mit dem Mut dazu, scheitern zu können, Freude am Fortschritt schlechthin ist das, was wir in diesem Hause befördern müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD]) Auch hier setzt die neugefasste Hightech-Strategie an, etwa mit neuen Initiativen im MINT-Bereich. Innovationspolitik gehört in die Mitte der Gesellschaft, und das von Kindesbeinen an. Industrie 4.0, hier schon mehrfach erwähnt, ist da wieder ein aktuelles und schönes Beispiel. Befragt man hierzu zehn verschiedene Experten oder Personen, die sich damit beschäftigen, erhält man, oh Wunder, zehn verschiedene Definitionen. Das verwirrt und überzeugt nicht zwingend. Neben dem fehlenden einheitlichen Grundverständnis und Grundwissen haben viele dann bei diesen Zukunftsthemen im Unterbewusstsein Ressentiments. Der eine sieht düstere Bilder weltbeherrschender Maschinennetzwerke, andere fühlen sich gar von ihrem Kühlschrank bevormundet, wenn der sie daran erinnert, Milch zu kaufen. Zu wenige sehen dabei die Chancen. Industrie 4.0 vernetzt Menschen und Prozesse, lässt sie miteinander kommunizieren. Das ist nur folgerichtig; denn auch in unserem Gehirn kommunizieren alle Bereiche miteinander. Analog gilt dafür, so wie für das, was wir anstreben: Bereiche, die nicht miteinander kommunizieren, sterben ab. Wir sollten in diesem Hause mit gutem Beispiel vorangehen. Der Tag, an dem ich das Tablet nicht mehr im Fach eins der Postmappe, die ansonsten wohlgefüllt ist, sehe, an dem wir über flächendeckendes WLAN verfügen, an dem wir alle mit einem Ja zu diesen neuen Techniken tagtäglich unser Büro in Gestalt des Tablets in der Hand tragen, ist ein Tag, an dem ich weiß, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss: Erstens. Die Hightech-Strategie, langfristige Strategien, insbesondere in Bildungs- und Forschungspolitik, sind die Grundlage zu Planbarkeit und zukünftigem Erfolg. Zweitens. Wissenschaft und Forschung werden von Menschen und für Menschen gemacht. Menschen müssen sie verstehen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, wir haben uns verstanden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gabriele Katzmarek hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Katzmarek (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Studie von Ernst & Young 2014 zur Attraktivität des europäischen Wirtschaftsraums belegte Deutschland als Investitionsziel innerhalb Europas den ersten und weltweit den vierten Platz. Besonders gute Noten erhält Deutschland derzeit für das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte, das soziale Klima und vor allem für die Stabilität der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Dass dies allein nicht ausreicht, ist uns klar. Wir können uns zwar freuen, doch es ist notwendig, weiterhin zu handeln. Das tun wir mit der Hightech-Strategie, die seit 2006 aufgelegt ist und heute eine weitere Fortsetzung erfährt. 2014 wurde sie um das Themenfeld „innovative Arbeitswelt“ erweitert. All denjenigen, die heute kritisiert haben, dass das noch ein Stück weit fehlt, kann ich nur sagen: Lesen hilft in dieser Frage. (Beifall bei der SPD) Der Mensch steht stärker als zuvor im Mittelpunkt der Innovationsförderung. Demografie und Klimawandel, nachhaltige Energie- und Rohstoffversorgung, ein zuverlässiges Gesundheitssystem, soziale Gerechtigkeit, das sind die großen Herausforderungen unserer Zeit, die nur mit Innovationen zu bewältigen sind. Neben technischen Innovationen müssen wir auch soziale Innovationen in den Blick nehmen. Innovationen entstehen in Systemen, im Zusammenspiel von Universtäten, Hochschulen und Unternehmen, von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, von Patienten, Kunden, Bürgerinnen und Bürgern. Deutschland ist in nahezu allen internationalen Rankings, die sich mit Innovationsfähigkeit beschäftigen, zu Recht in Spitzenpositionen. Diese Spitzenpositionen, meine Damen und Herren, wollen wir behalten. Zu den wichtigen und historisch gewachsenen Stärken unserer Wirtschaft gehört die intensive und höchst produktive Kooperation zwischen Unternehmen und den zahlreichen exzellenten Forschungseinrichtungen. Diese Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft ist das zentrale Element der Hightech-Strategie. Dass das Thema „digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ – darunter unter anderem die Themen: Industrie 4.0, intelligente Dienstleistung, Big Data und Cloud Computing – als prioritäre Zukunftsaufgabe im Hinblick auf Wertschöpfung und Lebensqualität identifiziert wurde, begrüße ich ausdrücklich. Froh bin ich als Sozialdemokratin darüber, dass die Bundesregierung die Bereiche Innovation und gute Arbeit als zusammengehöriges zentrales Themenfeld aufgreift. Eine innovative Arbeitswelt hat faire, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen und gerechte Bezahlung als Grundlage; denn es geht uns immer um Wertschöpfung und Lebensqualität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein weiterer zentraler Aspekt ist das Thema „gesundes Leben“. Gesundheit ist ein kostbares Gut. Sie beeinflusst persönliches und gesellschaftliches Wohlbefinden ebenso wie Leistungsfähigkeit, Produktivität und Wachstum. Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben in den Reden der Opposition gehört, die Hightech-Strategie sei zu verstaubt, nicht neu genug, unkonkret und enthalte nur Ankündigungen. Dem möchte ich gerne hier in doppelter Hinsicht widersprechen. Zum einen ist eine Strategie per Definition eine grundsätzliche, langfristig geplante Verhaltensweise und kein Aktionsplan, kein Instrumentenkorb und auch kein Sofortmaßnahmenkatalog. Doch zum anderen beinhaltet die Hightech-Strategie selbstverständlich zahlreiche konkrete Aspekte. Ich sagte gerade: Man muss es lesen. Hier einige Beispiele: Wir wollen die Mittelstandsförderung stärken. Ich denke da zum Beispiel an das ZIM, das wir umbauen werden. Es geht um vereinfachte Antragsverfahren. Das ist insbesondere für kleine und mittlere Betriebe wichtig. (Beifall des Abg. Martin Rabanus [SPD]) Es geht uns um die Energieforschung, und zwar um den Bereich der Batteriesysteme und um Power to Gas. Es geht uns aber auch um Fachkräfte. Als letztes Beispiel lassen Sie mich die Förderinitiative zur Medizintechnik erwähnen; auch dazu finden Sie einiges. Insofern sage ich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Hightech-Strategie ist ein lebendiger und lernender Prozess. Ich lade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, gerne dazu ein, in den Diskurs einzusteigen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind mittendrin!) und sich nicht nur hinzustellen und zu sagen: Es reicht nicht, es ist alt, es ist schlecht, es ist nur daneben. – (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sammelsurium!) Mitarbeiten hilft manchmal, meine Damen und Herren. Für uns Sozialdemokraten gilt immer ein besonderer Spruch: Nicht das Bewahren macht den Fortschritt aus, sondern das Weitergehen und das Weiterentwickeln. Mit dieser Hightech-Strategie gehen wir weiter; nun erarbeiten wir Vorschläge zu ihrer konkreten Umsetzung. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Heinz Riesenhuber erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt wird’s spannend! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Happy Birthday to You! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Claudia da wäre, würden wir jetzt singen!) – Das haben wir jetzt hinter uns. – Bitte. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die freundliche Gratulation; aber die Musikalität ist nicht die beste Eigenschaft des Parlaments. (Heiterkeit – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das war jetzt leichtsinnig. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Herr Claus hat hier in freundlicher Weise darauf hingewiesen, es sei eine Anmaßung der Bundesregierung, darüber zu sprechen, auf dem Weg zur Spitze zu sein; er hat es in schönen Varianten ausformuliert. Herr Claus, Churchill hat einmal vor längerer Zeit gesagt: Setzt keine kleinen Ziele! They do not have the magic to stir the people’s minds. – Sie haben nicht die Magie, die Herzen der Menschen zu bewegen. – Wenn wir also keine großen Ziele setzen, werden wir nur Kleines erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Wille, wirklich gut zu sein und sich der Konkurrenz der Besten zu stellen, ist die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt eine Chance hat, voranzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]) Insofern wünsche ich der Linken einen fröhlichen Geist voller Tatkraft, Mut und Unternehmungsfreude und eine fröhliche Entschlossenheit, das Beste für unser Land zu erreichen. (Roland Claus [DIE LINKE]: Das können wir mal annehmen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir fangen in Thüringen an!) Wie haben wir die Hightech-Strategie angelegt? Lassen Sie uns einen Moment über das Geld reden; denn Geld ist in gewisser Weise die Voraussetzung für den Erfolg. Seit 2006 haben wir die Jahresausgaben für Forschung um 60 Prozent gesteigert; heute liegen sie bei 14,5 Milliarden Euro. So eine Steigerung gab es noch nie, und sie hat uns gutgetan. Nun sagt hier Frau Sitte, die Geisteswissenschaften seien im Rahmen der HT-Strategie ein bisschen unter-finanziert. Liebe Frau Sitte, Denken ist erstaunlich billig, gell? (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn ich es damit vergleiche, was es kostet, das CERN oder eine Raumstation zu errichten, dann komme ich zu dem Schluss, dass man mit wenig Geld weit kommt, wenn man die richtigen Köpfe und die angemessene Begeisterung hat. Daran wollen wir arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann können Sie die Leute auch angemessen bezahlen!) Insofern ist die Hightech-Strategie eine kluge Integration aus den unterschiedlichen Welten der technischen Entwicklung, der Betrachtung der gesellschaftlichen Folgen, der Integration in ein Gesamtsystem, aber auch ein erstaunlich harmonisches Zusammenspiel der verschiedenen Ministerien, die durchaus in Eigenständigkeit – einer hat darauf hingewiesen –, aber in dem gleichen Geist, der unsere Bundesregierung auszeichnet, mit der gleichen Strategie und mit dem gleichen Verständnis unserer Zukunft und der Aufgaben, die auf uns zukommen, die Arbeit anlegen. Wir haben seit 2006 ungefähr 50 Milliarden Euro, wenn man alles einbezieht, in die Maßnahmen der Hightech-Strategie investiert. Das war vernünftig investiertes Geld, wie die Erfolge zeigen, die ich jetzt im Einzelnen nicht beschreiben will; denn da sind wir uns alle einig. Unsere Wirtschaft schlägt sich tapfer, die technikgeprägten Bereiche sind erfolgreich, die wissensbasierten Dienstleistungen werden stärker, auf den Weltmärkten stehen wir gut da. Das heißt, wir haben hier eine gute Lage. In dieser Lage ist die HT-Strategie eben die Zusammenfassung. Die HT-Strategie war bis etwa 2010 ein Heraussuchen der zukunftsfähigsten, marktfähigsten Bereiche und hatte das Ziel, diese zu fördern und der Wirtschaft zu helfen – eine gute Sache. Seit 2010 bis heute ist das weiterentwickelt worden. Jetzt denken wir mehr vom Ziel her. Die Hightech-Strategie ist nicht alles. Wir haben die Grundlagenforschung; sie läuft außerhalb und unabhängig von der Hightech-Strategie. Sie ist nicht getragen von Zielen, sondern von der Neugierde, von der Leidenschaft der Forscher. Die Grundlagenforschung ist ein starkes Element, das wir mit steigenden Raten gefördert haben. Aber die Hightech-Strategie denkt jetzt von den Zielen her: Was brauchen wir, damit für eine wachsende Menschheit ein humanes Leben möglich wird? Was brauchen wir, damit unsere Natur erhalten bleibt? Was brauchen wir, damit in den Städten Wohnen und Arbeiten zusammenpassen, damit wir eine klimaneutrale Stadt entwickeln? Damit definieren wir die Fragen, die wir angehen aus dem unendlichen Sternenhimmel des Wissens heraus, aus dem wir das heraussuchen, was diesen Zielen dient, (Zuruf von der SPD: Aha!) und zu einer Strategie zusammenführen, begleitet von den leidenschaftlich engagierten Geisteswissenschaftlern, die uns immer sagen, was gut sei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daraus entsteht eine Strategie, die weit über eine klassische Forschungsstrategie hinausgeht. Es entsteht der Entwurf einer neuen Wirklichkeit, der sich immer wieder zurückkoppelt an die gesellschaftliche Diskussion, an die Diskussion mit den Wissenschaftlern, an die Diskussion mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften, mit den unterschiedlichen Organisationen. Natürlich koppelt er sich auch zurück an die Diskussionen im Bundestag; denn das ist die hervorragendste Quelle von geistiger Prägekraft und machtvoller Entschlossenheit des Wissens, von Verständnis für die Wirklichkeit, des Zusammenführens der unterschiedlichen Tendenzen zu einer einzigen entschlossenen Strategie. Dazu ist diese Debatte ein glanzvoller Beitrag. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dabei sind wir uns natürlich alle darüber im Klaren, dass wir hier – das ist eine wichtige Debatte – durchaus noch Bereiche haben, bei denen wir enorme Potenziale zu heben haben. Frau Wanka wies selbst darauf hin, dass die Forschungsleistungen der mittelständischen Unternehmen nicht so gewachsen sind, wie man es angesichts der Unterstützung erwarten konnte. Beim Mittelstand gibt es aber auch Erfreuliches. So ist die Zahl der mittelständischen Unternehmen, die mit Universitäten, mit Hochschulen zusammenarbeiten, im Rahmen der ZIM-Förderung von 17 Prozent auf 43 Prozent gestiegen. Hier entwickeln sich Strukturen. Das geht mir nicht schnell genug. Wir arbeiten schon lange daran. Das ist der Wandel einer Kultur. In den Universitäten muss man noch genauer lernen – darauf ist hingewiesen worden; ich glaube, Herr Albani sprach darüber –, wie man mit Erfindungen umgeht. Freunde, die Hochschulen haben im letzten Jahr 620 Patente angemeldet, die deutsche Wirtschaft insgesamt 47 000 Patente. Wir haben hier noch Potenzial nach oben. Relativ gerechnet liegt der Anteil der Hochschulpatente in den USA bei einer anderen Zehnerpotenz. Das heißt also: Wir haben Chancen, es gibt Entwicklungsmöglichkeiten. Daran arbeitet das Programm SIGNO, das Sie, Frau Wanka, auf den Weg gebracht haben, daran arbeiten die TechnologieAllianz und die Patentverwertungsagenturen. Aber es geht doch auch um die Frage der Entwicklung einer Kultur, der Entwicklung einer Leidenschaft für eine Wirklichkeit jenseits dessen, was man hier als primäre und unmittelbare wissenschaftliche Aufgabe sieht. Wir haben zu wenig Mädels, die in der Oberstufe Physik als Wahlfach nehmen; die EFI weist darauf hin. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin gibt es mehr Abiturientinnen als Abiturienten!) Es gibt zu wenige Frauen, die MINT-Fächer studieren. Der Unterschied bei den Einkommen von Frauen und Männern wird sich dann ändern, wenn mehr Frauen als Ingenieure arbeiten und weniger in einem anderen wichtigen Beruf. Bei der Gründung von Unternehmen können wir noch riesige Potenziale heben. In den letzten Jahren ist das ein bisschen vor sich hingedümpelt. In den letzten Jahren gab es besonders im Hightechbereich nicht die Dynamik, die wir hätten haben können. Wir stellen die Zuschüsse für Business Angels steuerfrei. Gut, wir haben zwar enorme Fonds, die spezifisch unterschiedlich sind – den High-Tech Gründerfonds, EXIST, GO-Bio –, aber jetzt müssen wir schauen – im Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, gesetzliche Rahmenbedingungen für Wagniskapital zu verbessern –, dass wir die privaten Wagniskapitalgeber dazu bringen, in junge Unternehmen, in junge Technik zu investieren; denn die Privaten kämpfen für ihr Geld, gell? Nichts ist so reizvoll, als erfahren zu müssen, dass das Geld gleich weg ist, gell? (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eigentlich nicht reizvoll!) Dann kämpft man. In einer solchen Situation wird auch der beste Beamte tendenziell entspannter sein. (Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es liegen viele Aufgaben vor uns: im Bereich Internet, Datenschutz, in Bezug auf das neue Telekommunikationsgesetz. Die Frage ist: Inwieweit werden wir Netzneutralität ermöglichen können, damit das Internet offen für Innovationen bleibt? Es gibt viele konkrete Möglichkeiten, Deutschland noch weiter voranzubringen. Aber ein Punkt scheint mir sehr wichtig. Es hat mich gefreut, dass es in der HT-Strategie ein Kapitel gibt, das die schöne Überschrift trägt: „Transparenz und Partizipation“. Also, die Überschrift gefällt mir nicht so gut. Denn das ist ziemlich lateinisch, und wir sollten eigentlich in Menschensprache sprechen, wenn wir um Vertrauen bei den Menschen werben wollen, gell? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Aber immerhin steht dahinter eine Idee, nämlich die Idee, dass wir überhaupt nur dann erfolgreich sein werden – nicht, wenn wir viel Geld in die Hand nehmen, nicht, wenn wir rein statistisch in technischer Hinsicht im internationalen Vergleich immer besser werden; nein –, wenn wir die Menschen mitnehmen können, wenn die Menschen verstehen und Freude an Technik haben, wenn die Wissenschaftler so reden, dass die Menschen daran glauben, dass das, was gesagt wird, nicht nur vernünftig ist, sondern vielleicht sogar wahr. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Riesenhuber, könnten Sie gelegentlich einen Blick auf die Uhr werfen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum denn? Er macht es doch gut!) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Das irritiert mich nur. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das habe ich mir wohl gedacht. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Nach diesem zarten Hinweis des Präsidenten, den ich an diesem festlichen Tag in einer harmonischen Debatte aufnehme, möchte ich eines festhalten: Wenn wir die Menschen in der gleichen Fröhlichkeit mitnehmen, mit der wir heute über alle Parteien hinweg im Deutschen Bundestag mit unterschiedlichen Standpunkten, aber mit dem gleichen Ziel, das Beste für Deutschland zu erreichen, diskutieren, wenn wir sie mitnehmen in dem Wissen, dass das, was wir machen, vernünftig ist, mit fröhlichem Geist und der Entschlossenheit für das Ziel, und wenn wir dann jenseits jeder Strategie gemeinsam aufbrechen, dann werden wir in einem fröhlichen Volk erfolgreich arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Ihnen möglicherweise ähnlich gegangen sein wie mir: Ich habe zwischenzeitlich gedacht, wir könnten viel Redezeit sparen, wenn wir bei bestimmten Tagesordnungspunkten den Kollegen Riesenhuber bäten, diesen Punkt zu erläutern, mögliche Einwände als gut begründet, aber erfreulicherweise gegenstandslos darzustellen, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?) um am Ende dem Parlament eine glanzvolle Debatte zu bestätigen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das vielleicht auch als Anregung an die Parlamentarischen Geschäftsführer für die Gestaltung weiterer Tagesordnungspunkte. Nun bekommt als krönender Höhepunkt dieser Debatte der Kollege Rainer Spiering das Wort. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Rainer, die Latte liegt jetzt hoch!) Rainer Spiering (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sie machen mich verlegen. Ich möchte aber gerne an Ihre Worte, Herr Dr. Riesenhuber, anknüpfen. Es ist mir eine Ehre, nach Ihnen sprechen zu dürfen. Sie haben Ihren Enthusiasmus für die Sache, für die Sie kämpfen, in dieses Haus getragen. Dafür herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es hat Vor- und Nachteile, als Letzter reden zu dürfen. Der große Vorteil ist, dass man die Bandbreite der Diskussion mitbekommt. Gestatten Sie mir einen Hinweis an die Damen und Herren der Opposition: Bei Ihrer Darstellung der Situation in Deutschland habe ich gelegentlich gedacht, ich sei im Zeitalter der Entwicklung der Dampfmaschine und nicht am Beginn des 21. Jahrhunderts. Ich glaube, das kann man auch anders darstellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Hightech-Strategie ist eine Vorwärtsstrategie, und sie ist eine kluge Gesamtkonzeption. Sie greift die derzeitige Situation in Deutschland auf und zeigt die Ziele auf, die wir erreichen wollen. Ich möchte versuchen, das an einer Entwicklung deutlich zu machen, die ich selbst erlebt habe: Als zehnjähriger Junge vom Lande saß ich auf einem Traktor. Ich werde Ihnen jetzt nicht verraten, wie lange das her ist; aber es ist sehr lange her. Es gab Traktoren mit 12 oder 15 PS. Daran hing ein Einscharpflug. Der Traktor hatte einen extrem hohen Kraftstoffverbrauch. In der Zwischenzeit hat sich ganz viel geändert. Ich möchte Ihren Blick auf einen Teilbereich der deutschen Wirtschaft lenken, der eine extrem gute Erfolgsquote aufweist und an dem man sehr gut ablesen kann, was Effizienzsteigerung bedeutet. Es geht um die Landmaschinentechnik. Schauen Sie sich einen modernen Schlepper an: Getriebe- und Motortechnik zeigen, dass darin ganz viel geistige Intelligenz steckt. An einem modernen Schlepper können Sie erkennen, welches Maß an Digitalisierung in Deutschland heute möglich ist. Im Landmaschinenbereich wird ein Umsatz von ungefähr 8,5 Milliarden Euro erwirtschaftet, und die Exportquote in diesem Bereich liegt bei – deswegen ist dieser Bereich so wichtig – weit über 70 Prozent. Das heißt, im Landmaschinenbereich wird eine Vorwärtsstrategie verfolgt, und man ist erfolgreich damit. Darum geht es bei der Hightech-Strategie. Zum Thema Effizienzsteigerung, die man an der Landmaschinentechnik sehr gut darstellen kann, möchte ich einen sanften Hinweis geben, weil mich das schon lange umtreibt. Hier wird häufig suggeriert, dass Kohle schlichtweg schlecht ist. Ich glaube das nicht. Schauen wir uns die Entwicklung der Kohleverstromung an: In den letzten 30, 40 Jahren gab es auch in diesem Bereich eine unglaubliche Effizienzsteigerung. Bevor ich einen fossilen Brennstoff völlig verloren gebe, lohnt es sich, wie ich finde, im Rahmen der Hightech-Strategie darüber nachzudenken, ob man die Effizienz der Kohleverstromung nicht noch deutlich weiter steigern kann, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) wodurch man einem Land wie Nordrhein-Westfalen eine faire Zukunftschance geben könnte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Und Sachsen!) Der Wirtschaftsminister hat sehr deutlich gemacht, dass der Bereich der Energieeffizienz mit allem, was dazugehört, wahrscheinlich einen größeren Spielraum bietet als der Bereich der regenerativen Energien. Auch ich glaube sehr fest daran. Ob wir über Gebäudesanierung oder über Gebäudesteuerung energetischer Art sprechen – das geht alles über Computertechnik und Digitalisierung. Da ist noch ganz viel Musik drin. Wenn wir diesen Ansatz auf unsere Energiewirtschaft übertragen, stellen wir fest, dass auch da eine Menge Musik drin ist. Daran glaube ich. Ich sage hier auch einmal: Kohle ist ein heimischer Wertstoff, mit dem wir umgehen können, und im Vertrauen auf deutsche Zukunftstechnologien würde ich ihn nicht einfach aufgeben. Ich glaube, es lohnt sich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Lassen Sie mich Folgendes abschließend sagen: Wer die Zukunft nicht gestalten will – dieses Gefühl hatte ich bei Anmerkungen aus der Opposition teilweise –, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden über die Kohle, und wir reden über die Zukunft!) der hat nur noch die Vergangenheit. Ich glaube, hier ist die Hightech-Strategie, über die wir heute sprechen, ein sehr vernünftiger Ansatz, weil sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse dieses Landes ressourcenübergreifend bündelt und, wie ich hoffe, in Zukunft so umsetzt, dass das gesamte Land damit eine vernünftige Zukunft und auch eine Ausstrahlkraft auf Europa und vor allen Dingen auf die Länder hat, in die wir unsere Güter exportieren können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/2497, 18/1510 und 18/760 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Solidarität zeigen – Aufnahme von syrischen und irakischen Flüchtlingen ausweiten Drucksache 18/3154 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland Drucksache 18/2999 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag informierte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, dass es die Hilfen für syrische Flüchtlinge einstellen muss, weil einige Geberländer ihre Zahlungsversprechen nicht eingelöst haben. Bereits im Oktober hatte die Organisation über mangelnde Finanzierung geklagt. 1,9 Millionen Menschen sind damit akut von Hunger und Kälte und somit auch ihres Lebens bedroht. Die chronische Unterfinanzierung solcher Organisationen, die das Leben von geflüchteten Menschen unmittelbar sichern, ist beschämend. Dass Zahlungsversprechen gemacht, aber nicht gehalten werden, ist aus unserer Sicht absolut inakzeptabel, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und ich bin froh und dankbar, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern 40 Millionen Euro für die Hunger- und Winterhilfe auf den Weg gebracht hat. Diese Reaktion verdient Respekt, und sie ist genau das, was wir Grüne uns unter der humanitären Verantwortung Deutschlands vorstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen natürlich, dass das keine direkte Reaktion auf die Vorkommnisse von gestern bzw. die Worte des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen waren, aber dennoch: Das Geld ist dort richtig angelegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 13 Millionen Menschen sind in der Region mittlerweile auf der Flucht. Es gibt 7 Millionen Binnenvertriebene in Syrien und 3 Millionen Vertriebene im Libanon, in Jordanien und in der Türkei. Fast 2 Millionen Iraker fliehen seit Jahresbeginn vor dem Terror des IS, und insgesamt 7 Millionen Kinder sind entwurzelt und von Gewalt und prekären Lebensumständen betroffen. Ihnen fehlt der Zugang zu eigentlich allem, was man zum Überleben braucht. An eine Rückkehr zur Normalität, zu einem Leben in Sicherheit, ist längst nicht mehr zu denken. Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Regierungserklärung zur Entscheidung von Waffenlieferungen in den Nordirak zugesagt, dort zu helfen, wo Menschen aufgrund der Gewalt des IS in Not sind – auch durch die zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen. Genau darum und um nichts anderes geht es heute in unserem Antrag. Die Worte der Kanzlerin dürfen keine Lippenbekenntnisse zur Beruhigung des eigenen Gewissens sein. Wir erwarten von der Kanzlerin, dass sie die Flüchtlingspolitik aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz zur Chefsache macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Da ich in dieser Debatte die erste Rednerin bin, kann ich schlecht auf die Argumente reagieren, die noch kommen. Ich hoffe ausdrücklich, dass wir die Debatte nicht, wie beim letzten Mal, auf das Gegeneinander-Ausspielen von Flüchtlingsgruppen verengen. Heute geht es nicht um den Westbalkan und auch nicht um die von Ihnen so definierte Gruppe der angeblichen Wirtschaftsflüchtlinge. Heute geht es um den Nahen Osten, es geht konkret um eine Gruppe von Schutzsuchenden, die – ich hoffe, da sind wir uns einig – ohne Wenn und Aber ein Anrecht auf Asyl hier in Deutschland haben müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Um einem Einwand, den Sie gebetsmühlenartig vorbringen, zuvorzukommen: Ja, Deutschland leistet viel. Ja, Deutschland leistet mehr als andere EU-Staaten. Ja, Deutschland kann und muss Vorbild sein. Das ist alles richtig. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland die historische Verpflichtung hat, Flüchtlingen zu helfen. Zur Wahrheit gehört, dass Deutschland die viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt ist. Zu dieser Wahrheit gehört, dass Deutschland seine Wirtschaftskraft der Einwanderung zu verdanken hat. Und zu dieser Wahrheit gehört auch, dass aufgrund der Demografie und des Fachkräftemangels in Deutschland Einwanderung zwingend notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass es eine starke UN braucht, ein starkes Europa und ein handlungsstarkes Deutschland, um den Menschen in Syrien und im Irak und auch in den Nachbarländern zu helfen. Hilfe besteht nicht nur in der Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auch in einer engagierten Friedens- und Entwicklungspolitik, in humanitärer Hilfe für die Region, in einer zukunftsgewandten Außenpolitik. An dieser Stelle erinnere ich daran, dass wir auch einmal Rücknahme-abkommen mit Machthabern wie Assad hatten, dass wir Schutzsuchende, Regimegegner zurück in die Verfolgung oder gar den Tod geschickt haben. Eine zukunftsgewandte Außenpolitik ist also vonnöten. Hilfe besteht auch aus der Aufnahme – und guten Behandlung – von Flüchtlingen in Deutschland. Vor Ort helfen allein reicht nicht. Deswegen haben wir uns in unserem Antrag auf die Feinheiten in der Sache konzentriert; denn manchmal können auch kleine Schritte Großes bewirken. Wir fordern in unserem Antrag ein neues Kontingent. Das alte ist zwar noch nicht ausgeschöpft; das muss es aber auch nicht sein, um zu wissen, dass ein weiteres im nächsten Jahr dringend notwendig sein wird. Dass unsere Forderung mit dem Argument abgewehrt wird, dass das alte Kontingent noch nicht ausgeschöpft sei, ist extrem technisch und zeigt, dass man sich vor dem eigentlichen Problem wegduckt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie selbst, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, sagen doch, dass der, der kommt, auch bleiben darf. Das ist mitnichten eine wohltätige Geste, sondern das Recht, das jedem politisch Verfolgten verfassungsmäßig zusteht in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist eine realitätsvergessene Haltung, diesen Kreis einengen zu wollen. „Wer es nach Deutschland schafft“, was ist das für eine Formulierung? Was glauben Sie denn, wie diese Menschen hierherkommen? Dass sie vom Himmel fallen und weich gebettet hier landen? Nein, die, die nicht über Kontingente kommen, kommen in Booten über das Mittelmeer und riskieren ihr Leben dabei; manche verlieren es auch. Kontingente sind ein Weg der legalen Zuwanderung. Diesen sollten wir stärken; das fordert unser Antrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Unser Antrag fordert auch, dass es schon aus der Region heraus möglich sein soll, eine Familienzusammenführung zu beantragen. Natürlich braucht es dann auch eine personelle Aufstockung der deutschen Vertretungen vor Ort. Auch das fordert unser Antrag. Wir wollen, dass Menschen im Libanon bei der Botschaft in Beirut ein Visum zur Einreise erhalten, wenn sie Familie in Deutschland haben. Bisher kann man Familienasyl nur von Deutschland aus beantragen; der Weg über das Mittelmeer – mit all seinen Risiken – ist somit eine Notwendigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und auch von der SPD – vor allen Dingen aber von der Union –, Sie heben doch an vielen Stellen immer wieder die Bedeutung der Familie hervor und dass Ihnen der Schutz der Familie wichtig sei. Ich verstehe nicht, warum das offensichtlich nicht gelten soll, wenn es sich um Flüchtlingsfamilien handelt. Weil wir Grünen den Schutz der Familien sehr wohl für wichtig erachten, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist, gelinde gesagt, Unsinn!) fordern wir in unserem Antrag, dass es keine Rückführungen mehr im Rahmen des Dublin-Abkommens in andere EU-Staaten geben soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es macht keinen Sinn, dass ein junger Mann, der mit dem Boot in Italien angelandet ist, wegen Dublin gezwungen ist, in Italien zu bleiben, auch wenn er Familie in Kiel oder Altötting-Mühldorf hat. Das ist in unseren Augen das Gegenteil vom Schutz der Familie. Eine weitere Hürde ist die sogenannte Verpflichtungserklärung, die hier lebende Syrerinnen und Syrer abgeben müssen, wenn sie Mitglieder ihrer Familie in Sicherheit bringen wollen. Diese Verpflichtungserklärungen sollen übrigens auch dann bestehen bleiben, wenn Schutzsuchende einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten und ein eigenständiges Leben aufbauen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch absurd, das macht doch keinen Sinn. Wir fordern, diese Verpflichtungserklärungen ersatzlos zu streichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Natürlich kann Deutschland die Flüchtlingskrise nicht allein lösen – dafür braucht es Partnerinnen und Partner in Europa. Aber es ist die deutsche Bundesregierung, die auch die Macht und Durchschlagskraft hat, die anderen europäischen Staaten zum Handeln zu zwingen. Das ändert allerdings nichts daran, dass auch wir besser werden können. Ich glaube, unser Antrag trägt dazu bei, innenpolitisch besser zu werden. Deshalb bitte ich Sie mit Nachdruck, ihn zu unterstützen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin. – Schönen guten Morgen an Sie alle und die Gäste auf der Tribüne. Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Ole Schröder für die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betrifft ein Thema, dem sich die Bundesregierung seit Ausbruch der Krise in Syrien intensiv widmet. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass sich Deutschland der Sache der syrischen Flüchtlinge annimmt wie kaum ein anderes Land außerhalb der Krisenregion. Das gilt sowohl für die dringend notwendige und daher vorrangige Hilfe vor Ort als auch für die Flüchtlingsaufnahme. Unsere Experten im Bundesinnenministerium, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, beim THW, im Auswärtigen Amt sowie in den betroffenen deutschen Botschaften tun alles, damit die Unterstützung für die von dem schrecklichen Krieg betroffenen Menschen in Syrien, im Irak und in der gesamten Krisenregion so effektiv wie möglich ist und die Hilfe auch wirklich ankommt. Deutschland wird allen Betroffenen in der Krisenregion weiterhin helfen. Schwerpunkt dieser Hilfe wird auch künftig die konkrete Unterstützung der Bemühungen der Erstaufnahmestaaten und der internationalen Organisationen vor Ort sein. Derzeit liegen die deutschen Hilfsleistungen für die Hilfe vor Ort bei 800 Millionen Euro. Deutschland ist damit eine der Nationen, die mit am meisten geben. Seit Ausbruch des Konflikts sind rund 60 000 syrische Staatsbürger als Asylbewerber nach Deutschland gekommen und haben bei uns Schutz gefunden. Jeden Monat werden es mehr. Daneben nimmt Deutschland mit humanitären Aufnahmeprogrammen aktiv Menschen aus Syrien und der Region auf. Mit den gesamten Aufnahmekapazitäten dieses Aufnahmeprogramms stellt Deutschland drei Viertel aller Plätze zur Verfügung. Insgesamt haben seit Ausbruch des Konflikts rund 75 000 syrische Staatsangehörige Schutz in Deutschland gefunden, meine Damen und Herren. Natürlich werden jetzt vielfach höhere Aufnahmequoten gefordert. Auch wenn es gut gemeint ist, ist es mit der Ankündigung von Kontingenten nicht getan. Die Flüchtlinge müssen in einem überschaubaren Zeitraum und einem nachvollziehbaren Verfahren ausgewählt und aufgenommen werden. Die Aufnahme in Deutschland kann nur dann einen echten Mehrwert bedeuten, wenn wir diejenigen finden, die unseren Schutz am meisten brauchen. Zudem müssen sich Menschen entscheiden, diese Region zu verlassen und einen völlig neuen Kulturkreis zu betreten. Wer die Krisenregion einmal bereist hat, der weiß, dass viele diesen Schritt scheuen. Die meisten wollen vor Ort bleiben. Das gilt übrigens auch für zahlreiche Personen, die von ihren Verwandten für die Aufnahme in Deutschland angemeldet wurden. Das ist eine Erfahrung aus den laufenden Verfahren. Wenn wir hier einen qualitativen Mehrwert erzielen wollen, müssen wir mit Bedacht vorgehen. Familien mit Kindern, Menschen, die eine spezielle medizinische Behandlung benötigen, Menschen, die bereits Bindungen nach Deutschland haben oder sonst in besonderem Maße von einer Aufnahme profitieren, müssen wir ausfindig machen. Ich glaube, bisher ist uns das recht gut gelungen. Unsere Programme finden jedenfalls auf internationaler Ebene allergrößte Beachtung und Lob, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr davon!) Am 9. Dezember, also am kommenden Dienstag, findet endlich die durch den Bundesminister des Innern erstmals im März 2013 und in der Folge immer wieder eingeforderte Pledging-Konferenz des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen zugunsten syrischer Flüchtlinge statt. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, unsere Partner inner- und außerhalb Europas immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass das notwendig ist. Wir brauchen diese Pledging-Konferenz, um ausreichend Plätze zur Verfügung zu stellen, damit es zu einer wirklichen Entlastung in der Region kommt; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) denn das fördert auch die Bereitschaft der Anrainerstaaten, ihre Tore für weitere Flüchtlinge aus Syrien offen zu lassen. Der UNHCR wirbt darum, verschiedene Zugangswege in Staaten außerhalb der Krisenregion für syrische Flüchtlinge zu eröffnen, um die Zahl derjenigen, die die Region verlassen können, auch außerhalb des klassischen Resettlements oder der schnelleren humanitären Aufnahmeverfahren zu erhöhen. Deutschland vollzieht diesen Schritt bereits. Neben dem humanitären Aufnahmeprogramm des Bundes mit 20 000 Aufnahmeplätzen haben die Bundesländer durch ihre Programme bereits mehr als 10 000 Aufnahmeplätze geschaffen, und die Programme laufen weiter. Ferner hat Deutschland jüngst ein mehrjähriges Maßnahmenpaket für syrische Studierende aufgelegt. In diesem Rahmen werden dem DAAD insgesamt 7,8 Millionen Euro für Stipendiaten zur Verfügung gestellt, mit dem syrische Studierende ihr Studium in Deutschland absolvieren oder fortsetzen können. Das Programm trägt den Namen „Leadership for Syria“ und richtet sich an syrische Flüchtlinge sowohl in der Region als auch in Deutschland. Das Bewerbungsverfahren läuft; die ersten Stipendiaten sollen im Frühjahr 2015 ihr Studium aufnehmen. Meine Damen und Herren, wir dürfen eines nie vergessen: Trotz aller Anstrengungen, die wir im Rahmen der Aufnahmeprogramme auf uns nehmen, erreichen wir die Masse der Flüchtlinge nur in der Region selbst. Wir können deren Leid nur dann wirklich lindern, wenn wir vor Ort helfen. (Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Beides!) Dort können wir mit dem Geld am meisten tun. Alles andere, etwa die Aufnahmeprogramme, können nur für besonders Schutzbedürftige gelten und für solche Menschen, die besondere Beziehungen nach Deutschland haben. Wichtig ist die Hilfe vor Ort. So hilft beispielsweise das Technische Hilfswerk bilateral in den Flüchtlingslagern in Jordanien und Nordirak bei der Sicherstellung der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung und beim Errichten weiterer Infrastruktur. Auch andere EU-Partner helfen. Aber hier sollte viel mehr geschehen. Im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens kann erheblich mehr an Hilfe geleistet werden. Die Europäische Kommission hat angekündigt, aufgrund neuer Bedarfserhebungen erneut an die Mitgliedstaaten heranzutreten. Es geht auch darum, beim Wiederaufbau zu helfen. Im Nordirak gibt es Binnenvertriebene, die in ihrem Heimatland Schutz finden und sobald wie möglich in ihre alten Wohngebiete zurückkehren wollen. Die Hilfsorganisationen wie auch die Bundesregierung konzentrieren sich hier auf die Hilfe vor Ort. Flüchtlingsaufnahmen in Deutschland kommen daher lediglich in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht. Wenn wir über Flüchtlingsschutz sprechen, geht es darum, dass die Menschen Schutz in einem sicheren Staat finden. Wer bereits in Europa um Asyl nachgesucht hat, fällt unter die in Europa geltenden Regeln. Das gilt auch für Syrer und Iraker. Es ist nicht nachvollziehbar, hier Ausnahmen vorsehen zu wollen. Im Rahmen des Dublin-Verfahrens wird das Vorhandensein familiärer Bindungen für alle Asylbewerber gleichermaßen berücksichtigt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein!) Insofern, liebe Frau Amtsberg, ist der Vorwurf, den Sie hier erhoben haben, dass dies im Dublin-Verfahren nicht berücksichtigt wird, nicht richtig; das entspricht nicht der Praxis. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja auch zustimmen!) Ich will damit nicht sagen, dass Behörden keine Fehler machen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um Fehler! Es geht darum, denen das zu sagen!) Wir müssen darauf achten, dass die familiären Bindungen berücksichtigt werden. Aber das geben die gesetzlichen Regelungen bereits her. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Forderung nach einer Erleichterung des Familiennachzugs wird zu einem beträchtlichen Teil durch unseren Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt sein. Wir werden den Status für subsidiär Schutzberechtigte erheblich aufwerten und ihn an die Regelungen für die Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention anpassen. Insofern ist dieser Punkt berücksichtigt. Diese Personen können dann selbstverständlich ihre Familien nachholen. Das ist uns sehr wichtig. Für die durch das Bundesaufnahmeprogramm berücksichtigten Personen gilt das bereits. Wir legen natürlich größten Wert darauf, dass die gesamte Familie, nicht nur ein Teil davon, nach Deutschland kommt. Wo das nicht gewährleistet ist, weil die Familie sich nicht zusammen an einem Ort aufhält, berücksichtigen wir das im Nachhinein. Wir sind da sehr flexibel und ermöglichen in Zusammenarbeit mit der Botschaft, dass die Familien zusammenbleiben können. Daran haben wir selbst ein großes Interesse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was den Abschiebestopp betrifft, ist es, denke ich, auch eine Selbstverständlichkeit, dass wir nicht nach Syrien abschieben. In Einzelfällen ist in den Nordirak – in sichere Herkunftsgebiete – abgeschoben worden. Es ist klar: Das muss in besonderen Ausnahmefällen möglich sein, insbesondere, wenn es sich um Kriminelle handelt. Das ist geltende Rechtslage. Davon wollen wir auch im Fall des Irak nicht Abstand nehmen. Unsere Gesetze nehmen den besonderen humanitären Schutz in den Blick. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung zeigt Solidarität und stellt sich ihrer internationalen Verantwortung in der aktuellen Flüchtlingskrise. Was wir machen, ist nicht nur gut gemeint, sondern ist auch im Vollzug gut gemacht. Dafür danke ich allen Beteiligten, die hier, aber vor allen Dingen auch vor Ort Verantwortung übernehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Dr. Schröder. – Nächste Rednerin ist Petra Pau für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Flüchtlingspolitik liegen ein Antrag und eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Meine Kollegin Ulla Jelpke wird für die Linke später näher darauf eingehen. Ich möchte mit Blick auf die aktuelle Situation hierzulande etwas grundsätzlicher werden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung und Pro Asyl haben dokumentiert: In den ersten drei Quartalen 2014 wurden bundesweit 29 gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge, 23 Brandanschläge auf Unterkünfte, 27 Sachbeschädigungen an Unterkünften sowie 194 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen registriert. Diese erschreckenden Zahlen dürften im vierten Quartal dieses Jahres noch anschwellen. Im statistischen Schnitt findet täglich eine fremdenfeindliche Aktion statt. Die Mobilisierung dazu wird immer unverhohlener. Wir erleben zunehmend Pogromstimmungen wie Anfang der 1990er-Jahre. Darauf müssen wir, muss die Bundespolitik endlich reagieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es kursieren Aufrufe gegen Asylsuchende und gegen eine vermeintliche Islamisierung Deutschlands. Es gehe um nicht weniger als die Verteidigung der Zivilisation. Die Hintermänner dieser Hetzkampagnen sind zumeist bekannte Nazis. Sie geben sich als besorgte Bürger, und sie bekommen Zulauf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es geht wirklich um die Zivilisation, begonnen bei Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und zwar die Würde aller Menschen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!) Deshalb muss auch die Würde der Menschen in Not, der Flüchtlinge, endlich einen höheren Stellenwert bekommen als bisher. Im Land Berlin hat die Linke diese Woche Leitlinien für eine neue Flüchtlingspolitik vorgelegt; sie sind im Internet abrufbar. Ein Autor dieses Konzepts ist der langjährige Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Günter Piening, übrigens Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ich würde Beifall für das gesamte Konzept und dieses Zusammenwirken vorschlagen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zwei Gedanken ziehen sich durch das Konzept: Erstens. Menschenwürdige Flüchtlingspolitik betrifft alle Ressorts und darf nicht auf die Innen- und Rechts-politik beschränkt werden. Zweitens. Sie kann nur gelingen, wenn Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik miteinander und eng mit der Zivilgesellschaft kooperieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne muss die Bundespolitik dringend revidiert werden. Wir sollten aber auch vor Folgendem nicht die Augen verschließen: Es gibt an vielen Brennpunkten längst Willkommensinitiativen, die Willkommenskultur leben und organisieren, auch in meinem Wahlkreis. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In meinem auch!) Zugleich mehren sich aber Beispiele, die belegen, dass die Aktiven dieser Initiativen mit Gewalt und Morddrohungen von Nazis überzogen werden. Ich könnte drastische Beispiele aufzählen; ich unterlasse das aus Zeitgründen. Umso dringender ist es allerdings, dass die Polizei solche Bedrohungen endlich ernster nimmt und dass das Willkommensengagement mehr gewürdigt wird. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie es auf gar keinen Fall geht, zeigt ein weiteres Berliner Beispiel. Der Senat hat Areale für Flüchtlingscontainerdörfer festgelegt, ohne vorherige Information der Bürgerinnen und Bürger, ohne Einbeziehung der Flüchtlingsinitiativen, ohne Konsultation der zuständigen Bürgermeister. Eine solche Politik ist selbstherrlich, kurzsichtig und obendrein gefährlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will mit einem nicht minder unglaublichen Beispiel schließen. In Sachsen-Anhalt haben jüngst Zehn- bis Zwölfjährige eine Menschenhatz auf Romafamilien veranstaltet. Kinder noch und schon rassistisch verhetzt! Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert seit langem einen Rassismusgipfel. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag hat belegt: Rassismus grassiert inmitten unserer Gesellschaft. Wir sollten das endlich ernster nehmen, bevor sich Pogrome wie seinerzeit in Rostock-Lichtenhagen, Mölln oder anderswo wiederholen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Petra Pau. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Staatsministerin Aydan Özoğuz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aydan Özoğuz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es wurde schon einige Male zu Recht gesagt, Frau Amtsberg: Deutschland und Europa stehen als große Wirtschaftskräfte vor großen flüchtlingspolitischen Herausforderungen. Wenn man auf die Menschenrechtskrisen in Syrien, aber auch im Irak, in Afghanistan und Eritrea schaut – wenn ich den Blick weiterschweifen lassen würde, könnte ich noch mehr Staaten aufzählen –, dann ist unbestritten, dass wir uns mittelfristig auf mehr Asylsuchende einstellen und den bevorstehenden Herausforderungen gerecht werden müssen. Wer aus purer Not wegen Krieg, Terror oder Verfolgung flieht, muss bei uns Schutz finden. (Beifall im ganzen Hause) Er muss menschenwürdig behandelt werden, muss seine Fluchtgeschichte darlegen können und gegebenenfalls auch dauerhaften Schutz erhalten. Ich empfinde die heutige Debatte als sehr angenehm. Ich möchte aber daran erinnern, dass das im Deutschen Bundestag nicht immer so gewesen ist. Wir haben lange Jahre anders gesprochen. Wir haben über Asylrecht und Asylmissbrauch gesprochen, und zwar auch in Fällen, in denen das nicht gerechtfertigt war. Es wurden Gesetze verschärft und Arbeitsverbote verhängt. Die Unterbringung in Sammelunterkünften wurde sogar vorgeschrieben; denn das erklärte Ziel war, den Schutzsuchenden eben nicht hier eine Heimat zu bieten, sie hier nicht heimisch werden zu lassen. Wir haben nicht gesagt: Kommt zu uns! – Ja, wir lernen aus der Vergangenheit. Wir tun gut daran und sollten deutlich zum Ausdruck bringen, dass jeder, der hier Schutz für sich, seine Familie und seine Kinder sucht, eine Perspektive erhält. Es ist also richtig, den betreffenden Menschen sehr früh die Zugänge zu unserer Gesellschaft zu öffnen, zu Arbeit und Beschäftigung, zu Sprachkursen und Schulen. Dann können aus Flüchtlingen tatsächlich neue Nachbarn werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin dankbar für die große Hilfsbereitschaft und Solidarität in unserer Bevölkerung. Die Kirchen, Flüchtlingsinitiativen, insbesondere die vielen Ehrenamtlichen – das habe ich hier schon einmal erwähnt – leisten in diesen Wochen und Monaten Großartiges. Wir müssen dieses Engagement noch stärker wertschätzen, und wir müssen es auch unterstützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Grund dafür, dass ich dieser Debatte ausnahmsweise nicht bis zum Ende folgen kann, ist – ich sage es bewusst an dieser Stelle –: Ich habe schon vor Wochen Flüchtlingsinitiativen und Ehrenamtliche genau zu 11 Uhr ins Bundeskanzleramt eingeladen, (Dr. Eva Högl [SPD]: Das schaffst du nicht mehr!) um mit ihnen gemeinsam zu erörtern, was wir tun können, um sie zu unterstützen, um sie besser zu vernetzen. Sie waren natürlich sofort einverstanden, dass ich hier noch meine Rede halte. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich wegen dieser Einladung heute etwas früher gehe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über die Große Anfrage und den Antrag der Grünen debattieren – meine Kolleginnen und Kollegen werden noch darauf eingehen –, dann müssen wir auch festhalten, dass unser Land über Bundeskontingente bereits 20 000 syrische Staatsangehörige aufgenommen hat. Es sind mittlerweile, seit 2011, 70 000 syrische Staatsangehörige hier. Bund und Länder handeln gemeinsam, erfreulicherweise in großem Einvernehmen und über Parteigrenzen hinweg. Das Auswärtige Amt hat die Mittel für humanitäre Hilfe in der Region gestern noch einmal um 40 Millionen Euro erhöht – Frau Amtsberg hat das erwähnt –; denn wir wissen alle, dass einige Millionen Menschen in der Region – in der Türkei, in Jordanien, im Libanon – auf der Flucht sind. Wir dürfen aber auch unsere europäischen Partner nicht aus der Verantwortung entlassen, für die Flüchtlinge und Vertriebenen des syrischen Bürgerkrieges einzustehen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Auch als ich zur Europäischen Grundrechtecharta reden durfte, wurde mir klar: Es reicht nicht, zu hören, dass Deutschland und Schweden eine tolle Arbeit machen. Das wird immer wieder gesagt, und dafür wird auch gedankt. Wir müssen schon sagen, dass auch von anderen EU-Staaten ähnliche Anstrengungen erwartbar sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Zustand, dass in der EU fünf Staaten 75 Prozent der Schutzsuchenden aufnehmen, kann uns nun nicht dazu verleiten, von einer europäischen Solidarität zu sprechen. Sagen wir es einmal positiv: Die Solidarität ist ausbaufähig. (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist milde ausgedrückt!) Insofern überzeugt es nicht, wenn wir mit Blick auf Italien die dortigen Registrierungsdefizite als größtes Problem des gemeinsamen europäischen Schutzsystems ausmachen. Wir müssen da einfach zu mehr Verantwortung aufrufen. Klar ist auch: Wir müssen in Europa alles tun, damit die Asyldiskussion nicht und niemals mehr auf dem Rücken der Schutzsuchenden ausgetragen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Große Koalition hat bereits im ersten Jahr viele Maßnahmen umgesetzt. Einige sind schon genannt worden; deswegen mache ich es ganz kurz: Das Personal des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wurde aufgestockt. Es reicht immer nicht – das wissen wir alle –; aber 300 Leute einzuarbeiten, das geht nicht in drei Monaten. Das muss man ein bisschen realistisch sehen. Die Asylverfahren werden mit Blick auf Asylsuchende mit hohen Anerkennungschancen optimiert. Aussichtsreiche Verfahren sollen vorgezogen werden können. Das hatte ich übrigens auch in meinem zehnten Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer gefordert. Die Verbesserungen beim Arbeitsmarktzugang sind wichtig; er ist nun nach 15 Monaten Aufenthalt zum Teil sogar ohne Vorrangprüfung möglich. Das Asylbewerberleistungsgesetz passierte final den Bundesrat. Damit ist die Zusage verbunden, dass der Bund die Länder mit bis zu 1 Milliarde Euro entlastet. Hoffentlich kommt diese Entlastung am Ende auch bei den Kommunen an. – Ohne die Unterstützung der Grünen wären viele der genannten Punkte nicht möglich gewesen; das möchte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen. Gestern haben wir im Bundeskabinett die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Geduldete verabschiedet. Für diesen Teil des Gesetzes haben viele hier im Haus Jahre und Jahrzehnte gekämpft, übrigens gemeinsam mit Kirchen und Sozialverbänden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das parlamentarische Verfahren steht noch an. Deswegen müssen wir die Diskussion darüber nicht heute führen. Die Residenzpflicht wird ebenfalls abgeschafft. Dazu möchte ich nur sagen: Sie wissen, dass ich am 18. Dezember 2014, am von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Tag der Migranten, einen Empfang gebe. Ich bin all denen von Ihnen sehr dankbar, die jeweils eine Person angemeldet haben, die sich besonders für Flüchtlinge engagiert. Die Veranstaltung ist mittlerweile voll; das haben die gemerkt, die mit ihrer Anmeldung zu spät kamen. Es ist eine schöne Sache, wie ich finde, dass zufällig – das konnte man nicht voraussehen – gleichzeitig eine weitere Syrien-Konferenz im Auswärtigen Amt tagt. Wir sind guter Dinge, dass wir dort allen wirklich ein sehr schönes Dankeschön sagen können. Es wurden auch einige angemeldet, die selber Flüchtlinge sind, aber schon lange im Land leben und der Residenzpflicht unterliegen. Nun muss ich allen Ernstes Briefe schreiben des Inhalts, dass das hier eine ordentliche Veranstaltung ist und doch bitte die Residenzpflicht für diese Menschen aufgehoben wird. Die Absurdität wird da einfach noch einmal besonders deutlich. Ich bin froh, dass wir das nun bald hinter uns lassen werden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu guter Letzt möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf eine Gruppe lenken, nämlich auf die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Sie sind, wie es naheliegt, ohne Erziehungsberechtigte eingereist. Wir dürfen, glaube ich, nicht vergessen, dass es sich bei den Beweggründen für das Verlassen der Heimat um sogenannte kinderspezifische Fluchtgründe handelt. Solche Begriffe sagen eigentlich wenig über das aus, was dahintersteht: drohende Zwangsrekrutierung als Kindersoldat, Gefahr von Entführung, bei Mädchen die anstehende Genitalverstümmelung oder Zwangsverheiratung. Wir alle kennen das. Deswegen sind wir in der Pflicht, dem Kindeswohl und den besonderen Bedürfnissen dieser jungen Menschen – es sind zum Teil stark traumatisierte Minderjährige – gerecht zu werden. Ja, es gibt auch Kriminalität bei einigen; das will ich überhaupt nicht verhehlen. Nur, was mich nach wie vor ärgert, ist: Wenn das einmal vorkommt, dann entsteht das Bild, alle seien so oder latent so. Dabei gibt es die anderen, die nun gerade darum kämpfen, etwas Besseres zu machen. Wir wissen, wie viele ihre Chance wahrnehmen, hier ein geregeltes Leben zu führen, eine Ausbildung zu machen. Wir haben soeben die Ausbildungsförderung auch für diese Gruppe viel schneller möglich gemacht. Gerade für diejenigen müssen wir einfach deutlich machen: Wir wollen, dass sie ein halbwegs faires und gutes Leben führen können und nicht immer mit den anderen unter einen Generalverdacht gestellt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass die Zahlen kontinuierlich zugenommen haben und dass wir auch noch eine Debatte darüber führen müssen, wie wir das Kindeswohl im Blick behalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass wir die Regelungen, die bestehen und die in meinen Augen dem Kindeswohl nicht gerecht werden – ich denke an den Fall, dass sich furchtbar viele an einem Ort tummeln –, verändern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie es mir erlauben, möchte ich als Beauftragte an dieser Stelle noch einen Satz sagen, der gar nichts oder fast nichts mit diesem Thema zu tun hat. Es ist mir ein Bedürfnis, heute Morgen hier einmal den Namen Tugce Albayrak zu nennen, (Beifall im ganzen Hause) den Namen der Frau, die für unsere Werte eingestanden ist und so Furchtbares erlebt hat. Der Familie, die wirklich unermessliches Leid erfahren hat, möchte ich hier unser Mitgefühl aussprechen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Danke auch für das Erinnern an den Mut und die Zivilcourage von Tugce! (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Nächste Rednerin in der Debatte: Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „… dort, wo Menschen in Not sind, werden wir helfen – auch durch die zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen.“ Mit diesen Worten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Grundsätze unserer Flüchtlingspolitik auf den Punkt gebracht. Dass wir diesen Worten auch Taten folgen lassen, haben wir – das können auch die Grünen und die Linken nicht bestreiten – bereits mehrfach gezeigt. Rund drei Viertel aller syrischen Flüchtlinge in Europa sind in Deutschland aufgenommen worden. Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 sind wir das Hauptaufnahmeland für syrische Flüchtlinge in Europa. Bund und Länder haben zügig humanitäre Aufnahmeprogramme geschaffen und diese immer wieder aufgestockt, um vor allem die besonders Schutzbedürftigen wie Schwerkranke, Schwangere oder Menschen mit Behinderung, die in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens keine Chance hätten, nach Deutschland zu holen. Statt immer nur höhere Kontingente zu fordern, sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Leistung auch einmal anerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich gemacht!) – Frau Amtsberg hat das vorhin in Teilen getan. Vor allem das ehrenamtliche Engagement der vielen Bürgerinnen und Bürger vor Ort in den Kommunen, die den Menschen aus Syrien mit ganz alltäglichen Dingen helfen, um sich in einem völlig fremden Land zurechtzufinden, verdient unseren größten Respekt. Gleiches gilt auch für das beträchtliche Engagement, das in der Krisenregion geleistet wird. Dort, in den Nachbarländern Syriens, wo die Not am größten ist, liegt der Schwerpunkt unserer Hilfe. Dies gilt auch und gerade, weil jeder Euro, der dort den Menschen zugutekommt, das Doppelte und Dreifache bewirkt wie hier bei uns in Deutschland. Allein in den vergangenen beiden Jahren hat Deutschland Gelder in Höhe von rund 800 Millionen Euro für die Hilfe in der Krisenregion bereitgestellt. Auf der internationalen Syrien-Konferenz vor wenigen Wochen in Berlin – im Übrigen auch eine Initiative der Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition – hat Deutschland weitere 500 Millionen Euro an Hilfsmitteln zugesagt. Wir reden also mittlerweile über insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro. Deutschland gehört damit zu den international größten humanitären Gebern bei der Bewältigung der syrischen Flüchtlingskatastrophe. Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie anerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nicht vergessen werden darf darüber hinaus das Engagement vieler deutscher Hilfsorganisationen. So leistet etwa das THW einen beträchtlichen Beitrag in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens und im Irak, wenn es darum geht, für die Menschen zu bauen, sanitäre Einrichtungen zu schaffen oder die Lager winterfest zu machen. Das alles wird in ganz großen Teilen ehrenamtlich geleistet. Man kann dafür, auch von dieser Stelle aus, nicht häufig genug Danke sagen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Danke für das, war hier geleistet wird, und dafür, dass Freiwillige mit ihrem Einsatz in den Krisengebieten dazu beitragen, die Situation der Menschen vor Ort zu verbessern und menschliches Leid zu lindern. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir als Deutsche, die in unserem Land so gut und sicher leben können, eine Verpflichtung gegenüber den Menschen haben, denen es in ihrer Heimat nicht so gut geht, die unseren Schutz und unsere Hilfe brauchen. Dieser Verpflichtung wollen wir gerecht werden, und dieser Verpflichtung werden wir auch gerecht. Deutschland trägt mit seinem vielfältigen Engagement auf den verschiedensten Ebenen dazu bei, dass Menschen in Not geholfen wird. Auch Ihre weiteren Forderungen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werden dem, was Deutschland für die Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak tut, nicht gerecht. Sie fordern, dass der Abschiebestopp nach Syrien verlängert und auf den Irak ausgeweitet wird. Dabei steht derzeit überhaupt nicht zur Debatte, dass jemand, solange der Konflikt andauert, nach Syrien abgeschoben werden soll. Ähnlich verhält es sich mit dem Irak. 7 500 Menschen aus dem Irak haben in diesem Jahr in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Die Schutzquote beträgt dabei mehr als 66 Prozent. Bedingt durch die abscheulichen Taten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit Mitte Juni dieses Jahres keinen Asylantrag mit dem Herkunftsland Irak negativ entschieden. Es wird also niemand, dem Gefahr für Leib und Leben droht, von der Bundesregierung heute in den Irak oder nach Syrien abgeschoben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf das Thema Familiennachzug eingehen. Auch hier wird die bisherige Praxis im Antrag kritisiert. Für den Familiennachzug wurden neben dem Bundesaufnahmeprogramm Programme der Länder eingerichtet, um in Deutschland lebenden Syrern die Möglichkeit zu geben, ihre Verwandten aus dem Kriegsgebiet bei sich aufzunehmen. Die Programme der Länder sind in den meisten Fällen zahlenmäßig nicht begrenzt, sodass noch viele Menschen aus Syrien bei uns Schutz finden werden. Vielerorts übernehmen die Länder und damit der deutsche Steuerzahler die Gesundheitskosten. Für weitere Aufwendungen muss die Familie in Deutschland aufkommen. Die Grünen fordern nun erneut, dass auf die Verpflichtungserklärungen durch die aufnehmenden Familien verzichtet wird und damit die meisten Kosten vom Steuerzahler getragen werden sollen. Sehr geehrte Damen und Herren, derzeit herrscht in Deutschland große Solidarität mit den Flüchtlingen. Dafür sollten wir dankbar sein. Diese Solidarität ist essen-ziell für die Akzeptanz unserer gesamten Flüchtlings-politik. Aber es gibt auch Ängste; auch damit müssen wir sorgsam umgehen. Hinzu kommt die Situation in den Ländern und Kommunen, die bereits heute an ihrer Leistungsgrenze angekommen sind. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Helfen Sie denen!) Auch sie können und wollen wir nicht noch mehr belasten. Wir brauchen deshalb keine Rufe nach immer mehr. Was wir brauchen, ist eine überlegte Strategie der umfassenden Hilfe. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt bin ich aber gespannt!) Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ja keinesfalls so, dass die Koalition nicht bereit wäre, die Mittel für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen aufzustocken. Im Gegenteil: Erst vor einer Woche haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass der Bund im kommenden Jahr 500 Millionen Euro bereitstellen wird, um vor allem den Landkreisen und Kommunen zu helfen, die die Kosten für die Aufnahme und Unterbringung der vielen Flüchtlinge kaum mehr bewältigen können. Sollte es notwendig sein, wird der Bund im Jahr 2016 die gleiche Summe nochmals zur Verfügung stellen. Diese Einigung zeigt einmal mehr, dass Deutschland seiner humanitären Aufgabe in der Welt gerecht wird und alle staatlichen Ebenen ihren Beitrag dazu leisten. Auf die Große Anfrage zum Thema „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, die ebenfalls zu diesem Tagesordnungspunkt gehört, möchte ich im Hinblick auf die noch ausstehende Beantwortung nicht detailliert eingehen. Nur so viel: Aufgrund der gestiegenen Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge beraten Bund und Länder derzeit darüber, wie eine bessere Verteilung in Deutschland erfolgen kann, die den besonderen Bedürfnissen von Minderjährigen Rechnung trägt. Fest steht aber bereits jetzt: In Deutschland sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gut versorgt. Ohne Ausnahme werden sie zunächst vom zuständigen Jugendamt in Obhut genommen, unabhängig davon, ob ein Asylantrag gestellt wird oder nicht. Zudem werden sie ausschließlich bei Pflegefamilien oder in geeigneten Einrichtungen untergebracht. In meinen Augen ist das genau der richtige Weg; denn dogmatisch an dem Grundsatz festzuhalten, dass unbegleitete Minderjährige dort bleiben müssen, wo sie aufgefunden werden, dient nicht dem Kindeswohl, wenn vor Ort keine geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden sind. Wenn stattdessen mit einer Reise von wenigen Stunden erreicht werden kann, dass die Minderjährigen in einer kinder- und jugendgerechten Unterkunft wohnen können, handeln wir im Interesse der Kinder und Jugendlichen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen: Deutschland will helfen, und Deutschland hilft – mit Maß und Mitte und Verstand. Das alles ist im Antrag der Grünen nicht zu erkennen. Lassen Sie uns diesen daher mit breiter Mehrheit ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in der Debatte: Ulla Jelpke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat spitzt sich die Lage für die Flüchtlinge in Syrien und im Irak dramatisch zu. Am Montag hat n-tv gemeldet, dass 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Region keine Lebensmittelkarten und Gutscheine mehr erhalten. Dem Welternährungsprogramm der UN fehlt einfach das Geld. Ein weiteres Problem ist der Winter. 2,4 Millionen Menschen brauchen Kleidung, Decken, ja, sie brauchen vor allem winterfeste Unterkünfte. Viele leben wirklich in schlimmen Behausungen. Gesundheit und Leben dieser Menschen sind bedroht, deshalb muss dringend gehandelt werden. Liebe Mitglieder der Regierungsparteien, wenn man sich nur in Selbstlob ergeht und überhaupt nicht mehr die aktuelle Lage und was momentan ansteht, zur Diskussion stellt, dann frage ich mich: Was ist das eigentlich für eine Ignoranz gegenüber der aktuellen Lage, die Sie hier zum Ausdruck bringen? Das ist wirklich nicht hinnehmbar, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und das vor dem Hintergrund – wir haben es bereits gehört –, dass die Nachbarstaaten Syriens und Iraks die größte Last tragen. Allein im Libanon leben über 1 Million Flüchtlinge aus Syrien. Aber die Hilfsbereitschaft lässt auch dort nach. Im Libanon und in Syrien sind die Grenzen dichtgemacht worden, Flüchtlinge werden sogar nach Syrien zurückverwiesen. Die Bundesregierung hat gestern zwar 40 Millionen Euro zusätzlich für die Welthungerhilfe zugesagt, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!) dennoch müssen wir uns als so reiches Land wie Deutschland fragen: Ist das wirklich genug? Nein, das ist nicht genug. Wir müssen mehr tun und unsere Möglichkeiten ausschöpfen, um den Gesamtbedarf zusammenzubekommen. Hier ist wirklich nicht nur Deutschland gefragt, sondern alle EU-Staaten. Alle reichen Länder dieser Welt müssen zur Kasse gebeten werden. Ich finde es wirklich eine Schande, dass reiche Industriestaaten nicht in den UN-Fonds eingezahlt haben und die Flüchtlingsorganisationen weltweit damit alleinlassen. Das kann ja wohl nicht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Meine Damen und Herren, im Sommer hat der Vormarsch der Terrorbanden des „Islamischen Staates“ weitere 2 Millionen Menschen zur Flucht aus dem Irak und aus Syrien gezwungen. Einige von ihnen kamen in das Gebiet Rojava im Norden Syriens, wo eine selbstverwaltete, demokratische Struktur besteht. Aus dieser Region hat man sowohl das Assad-Regime als auch die Dschihadisten herausgedrängt. Vor allen Dingen in dieser Region werden viele Flüchtlinge versorgt. Ich will hier aber noch einmal deutlich sagen: Weil die Türkei die Grenzen dort dichtgemacht hat, kommt auch dort keine humanitäre Hilfe an. Wenn nicht mit in den Blick genommen wird, dass auch seitens der Menschen in Rojava, die Flüchtlinge aufgenommen haben, Solidarität besteht, dann wird die nächste Flüchtlingswelle anstehen, bei der die Menschen millionenfach in die Türkei gehen bzw. nach Europa drängen. Insofern brauchen wir auch an dieser Stelle von Deutschland und Europa Druck, dass humanitäre Hilfe nach Rojava kommt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Zweifellos ist die Situation so, dass die Türkei viele Flüchtlinge aufnimmt. Das ist schon mehrfach betont worden. Aber es gibt in der Türkei eine Zweiklassenflüchtlingshilfe. Arabische Flüchtlinge aus Syrien beispielsweise sind in vergleichsweise guten Flüchtlingslagern untergebracht. Ich habe mir selbst davon ein Bild gemacht. Es gibt dort Supermärkte, Werkstätten, Schulen und alles, was man zum Leben braucht. Das ist auch gut so. Andererseits gibt es aber auch Hunderttausende von Flüchtlingen in der Türkei – die Jesiden, die Kurden –, die von der Türkei überhaupt keine staatliche Unterstützung bekommen und die zurzeit vor allen Dingen von der kurdischen Bevölkerung versorgt werden. Dort herrscht wirklich das humanitäre Grauen: Die Menschen leben unter freiem Himmel. Es gibt keine winterfesten Unterkünfte. Zum Teil müssen die Leute in irgendwelchen Garagen leben. Es kann einfach nicht sein, dass die Türkei mit diesem Problem alleingelassen wird. Auch hier muss ganz klar gesagt werden: Es muss mehr Hilfe geleistet werden. Vor allen Dingen müssen mehr Menschen in Europa und in Deutschland aufgenommen werden. Man kann sich nicht ständig darauf zurückziehen, dass bei uns 40 000 Flüchtlinge angekommen sind. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will hier aber auch noch einmal deutlich sagen – es wird ja immer von Fluchtursachen gesprochen –: Der Westen ist nicht ganz unschuldig. Wenn wir diese Hilfe einklagen, dann tun wir das nicht nur, weil wir sagen: „Es ist wichtig, die Flüchtlinge zu versorgen“, sondern auch, weil es eine Mitverantwortung für die Situation gibt, die im Mittleren und Nahen Osten entstanden ist. Ich will daran erinnern, dass beispielsweise die USA mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg vor zehn Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Kräfte wie der „Islamische Staat“, die Dschihadisten stark geworden sind, die heute mit ihrem barbarischen Krieg einen wesentlichen Anteil an der Vertreibung aus dem Irak und aus Syrien haben. Dieser Verantwortung muss der Westen gerecht werden; denn es hat nicht gerade einen sehr starken Druck auf die USA gegeben, diesen Krieg nicht zu führen, sondern es wurde im Gegenteil immer auf Dschihadisten und Rebellen verwiesen. Auch Europa hat im Grunde genommen solche Kräfte mit stark gemacht und ist deswegen mitverantwortlich, jetzt nach Lösungen zu suchen. Man darf nicht einfach nur zuschauen und keinen Druck ausüben. Die Türkei hat einen maßgeblichen Anteil an dem Krieg in Syrien. Wenn man Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, dann muss man auf jeden Fall dafür sorgen, dass keine Waffen mehr geliefert werden und dass die Menschen humanitäre Hilfe bekommen. Man muss vor allen Dingen die Solidarität in den reichen Ländern einklagen, dass, wie gesagt, eben nicht nur einzelne Länder etwas tun. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Wenn wir also die konkrete Aufstockung eines humanitären Flüchtlingsprogramms fordern, dann muss das spürbar sein und die Aufnahme vor allen Dingen wirken. Sie haben heute von Familienzusammenführung gesprochen. Ich kann Ihnen viele Menschen aus Syrien nennen, die seit Jahren nicht mehr mit ihren Familien -zusammengekommen sind, weil in Deutschland eine -unglaubliche Bürokratie existiert, wenn es um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge geht. Schauen Sie sich einmal an, seit wann Ihre Programme laufen! Über zwei Jahre dauert es, bis 20 000 Flüchtlinge aus dem Libanon überhaupt hier ankommen. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass man da nicht schneller und unbürokratischer hilft. Die Möglichkeiten, die Deutschland hat, wären bei weitem größer, um vor allen Dingen Familienzusammenführung zu ermöglichen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich denke dran. Ich komme zum Schluss. – Zum Schluss will ich sagen, dass die materielle Hilfe und die verstärkte Aufnahme besonders hilfsbedürftiger Flüchtlinge absolut nötig sind. Wir sollten vor allen Dingen den Libanon entlasten, denn dieses Land kollabiert inzwischen. Ich glaube, wir werden auch dort mehr Konflikte bekommen, wenn nicht wirklich geholfen wird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Jelpke. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Christina Kampmann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor etwa einem Jahr in den Bundestag gekommen bin, hat mir eine 3. Klasse aus meinem Wahlkreis einen Brief mit Wünschen und Forderungen zugeschickt, die ich hier zu erledigen habe. Ein Wunsch bezog sich -darauf, dass Peer Steinbrück und Angela Merkel sich endlich vertragen sollen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Ich bin irgendwann dorthin gefahren und habe mit den Kindern gesprochen und gesagt, dass ich darauf relativ wenig Einfluss habe, dass ich aber das Gefühl habe, dass es zwischen Peer Steinbrück und Angela Merkel gerade relativ gut läuft. Der erste Wunsch, den die Kinder formuliert haben, war – ich zitiere –, dass die Kinder aus Syrien zu uns dürfen, bis der Krieg aufgehört hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Forderung war damals genauso aktuell wie heute. Der Krieg wird bleiben. Er wird nicht heute und nicht morgen zu Ende sein. Niemand weiß, wie viele Menschen noch sterben müssen. Niemand weiß, wie viele noch flüchten werden, um das eigene Leben zu retten. Aber was können wir tun, um den Menschen in, um und aus Syrien zu helfen? Es sind vor allem zwei Punkte. Zum einen müssen wir Menschen, die aus -Syrien zu uns flüchten, aufnehmen, ihnen Schutz und Sicherheit, Nahrung, Bildung und medizinische Versorgung anbieten. Wir haben bereits die Aufnahme von 20 000 Flüchtlingen zugesagt; das wurde schon mehrfach gesagt. Mehr als 60 000 haben Schutz im Rahmen deutscher Asylverfahren erhalten. 15 Bundesländer haben eigene Aufnahmeprogramme zugesagt. Das heißt, wir haben schon viel getan. Gerade das, was Länder und Kommunen in den vergangenen Wochen und Monaten geleistet haben, kann man nicht hoch genug schätzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fest steht aber auch – hier gebe ich Ihnen recht, Frau Jelpke –, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen. Deshalb bin ich Thomas Oppermann dafür dankbar, dass er sich am Wochenende dafür ausgesprochen hat, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, und betont hat, wie wichtig es vor allem für Kinder ist, dass sie schnell in die Schule gehen und eine gute Ausbildung bekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei einem Krieg, der so lange dauert und so viele Menschenleben gekostet hat, reicht es nicht aus, einmal zu helfen und dann wegzuschauen. Bei einem Krieg wie dem in Syrien muss es eine konstante Unterstützung geben, für die wir uns gemeinsam starkmachen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die SPD bekennt sich deshalb zu ihrer humanitären Verantwortung. Wir wollen und wir werden weiter -helfen; denn immer dann, wenn Menschen in Not geraten sind, ist das nicht nur unsere politische, sondern vor allem auch unsere menschliche Pflicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wissen aber auch – diese Erkenntnis ist ebenso bitter wie wahr –, dass das, was wir angesichts einer Zahl von 2,8 Millionen Kriegsflüchtlingen, die Syrien seit Beginn des Krieges verlassen haben, tun können, niemals genug sein wird. Wir werden nicht jedem Menschen die Unterstützung zukommen lassen können, die er verdient hat. Wir werden nicht überall dort helfen können, wo Hilfe eigentlich nötig wäre. Deshalb ist die Forderung aus dem Antrag richtig: Auch andere europäische Länder müssen sich stärker zu ihrer humanitären Verantwortung bekennen. Es kann nicht sein, dass wir Tausende aufnehmen, während andere nur 200 aufnehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben uns in Europa zu gemeinsamen Werten bekannt. Werte sind aber nicht dazu da, um in den Mund genommen zu werden, weil sie sich so schön anhören; Werte sind da, um gelebt zu werden. Genau an solchen Fragen, bei denen es darum geht, dass Menschen vertrieben werden und um ihr Leben fürchten müssen, genau an solchen Fragen menschlichen Leids entscheidet sich, ob wir es mit einem Europa der Werte und der Menschlichkeit tatsächlich ernst meinen. (Beifall bei der SPD) Denn bei all diesen unvorstellbar großen Zahlen – die Zahl von 2,8 Millionen Flüchtlingen ist für uns alle, glaube ich, nicht wirklich vorstellbar – müssen wir uns immer wieder klarmachen: Hinter jeder Zahl verbirgt sich ein menschliches Schicksal, dessen Ausmaß an Leid und Not kaum zu erfassen ist. Das Zweite, das wir tun müssen, ist, Solidarität mit den Aufnahmeländern in der Region zu zeigen. Denn wenn diese an Stabilität verlieren, dann werden wir über ganz andere Probleme nicht nur in der Region reden, als wir es heute tun. Der Libanon, Jordanien, die Türkei, der Irak und Ägypten gehören zu diesen Ländern; sie haben mehr als 3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. -Deshalb ist es gut, dass wir Ende Oktober die Syrien-Flüchtlingskonferenz veranstaltet haben. Frank-Walter Steinmeier hat zusammen mit Entwicklungsminister Müller für die Zeit bis 2017 500 Millionen Euro zusätzlich für humanitäre Hilfe versprochen. Gestern kam die Meldung – das wurde heute auch schon gesagt –, dass weitere 40 Millionen Euro für diesen Winter zur Verfügung gestellt werden. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht zusätzlich!) Frank-Walter Steinmeier hat auch recht, wenn er sagt, dass wir uns eine verlorene Generation syrischer Kinder und Jugendlicher nicht leisten dürfen; (Beifall bei der SPD) denn dort, wo einer ganzen Generation eine Perspektive genommen wird, wird es auch nach dem Krieg nicht möglich sein, politische Stabilität zu erreichen. Bei allem, was wir uns im Bund vornehmen, ist aber eines klar – das dürfen wir nicht vergessen; es kommt im Antrag an keiner Stelle vor –: Eine gute Flüchtlingspolitik ist nur zusammen mit den Kommunen möglich. Am Ende sind es die Kommunen, die winterfeste und menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten bereitstellen müssen. Am Ende sind es die Kommunen, in denen sich entscheidet, ob Integrationsgeschichten Erfolgsgeschichten werden. Dabei müssen wir uns eines eingestehen: Die Menschen, die aus Syrien und dem Irak zu uns kommen, werden nicht heute und nicht morgen in ihre Heimat zurückkehren können; diese Menschen werden bleiben. Die Flüchtlinge von heute sind unsere Nachbarn, Kollegen, Freunde und Mitbürger von morgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von heute!) – Von heute auch. – Viele Menschen werden bleiben, und es ist gut, dass sie bleiben, nicht nur, weil wir gut ausgebildete Arbeitskräfte dringend brauchen, um dem demografischen Wandel zu begegnen, sondern auch, weil wir ihnen hier etwas bieten können, was für uns so selbstverständlich ist, was aber bei den Menschen aus Syrien und dem Irak ständig bedroht war: Schutz und -Sicherheit und ein funktionierender Rechtsstaat. Ich möchte, dass Flüchtlingsgeschichten Erfolgsgeschichten werden – Erfolgsgeschichten einer Integration, von der, wie ich überzeugt bin, alle profitieren werden. Die zweite und nicht minder wichtige Bedingung für eine gute Flüchtlingspolitik ist die Akzeptanz und das Verständnis der Menschen in unserem Land. Da erlebe ich an ganz vielen Stellen eine unglaublich stark aus-geprägte Bereitschaft, zu helfen und solidarisch zu sein. Egal ob es um Spenden, um Hausaufgabenbetreuung, um Sprachunterricht oder auch einfach um Zuhören geht: Das, was viele Menschen gerade an vielen Orten in Deutschland ehrenamtlich leisten, verdient Respekt, Anerkennung und vor allem ein ganz großes Dankeschön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kinder der 3. Klasse in meinem Wahlkreis wissen vielleicht nicht so genau, warum es diesen Krieg in Syrien eigentlich gibt und was Menschen antreibt, anderen Menschen Gewalt anzutun. Sie haben aber sehr wohl verstanden, dass wir denen, die zu uns kommen, um das eigene Leben zu -retten, alle Hilfe und Unterstützung zukommen lassen sollten, die wir zu leisten imstande sind. Deshalb dürfen wir in unserer Unterstützung nicht nachlassen – nicht weil das der Anspruch ist, den andere an uns haben, sondern weil das der Anspruch sein muss, den wir als Menschen an uns selbst haben. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, liebe Christina Kampmann. Als Gäste möchte ich Vertreter der Berufsfeuerwehr aus Hagen begrüßen, die auch oft Menschen in Not helfen. Herzlich willkommen hier in unserem Haus! (Beifall) Nächste Rednerin in der Debatte ist Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Frau Kampmann, wenn ich Sie in Ihrer Rede eben richtig verstanden habe, dann werden Sie unserem Antrag zustimmen, oder? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Interessen der Kinder, das Kindeswohl spielen eine nachrangige Rolle. Die Kinder werden nur selten als eigenständige Träger von Rechten wahr-genommen. Dies ist zum einen häufig mit einer Missachtung der Rechte dieser Kinder verbunden. Zum anderen wird die fehlende Wahrnehmung der Kinder durch Behörden, Politik und Gesellschaft der oftmals wichtigen Rolle, die Kinder in ihren Familien übernehmen, nicht gerecht. Das ist das wortwörtliche Zitat aus der UNICEF-Studie aus dem Herbst dieses Jahres zum Thema „Kinderflüchtlinge in Deutschland“. Ich wiederhole es: Kindeswohl spielt eine nachrangige Rolle. Die Rechte werden missachtet. Und das in unserem Land, in Deutschland, im 21. Jahrhundert. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der VN-Kinderrechtsausschuss kam übrigens zu -Beginn dieses Jahres zum gleichen Ergebnis; denn nach der UN-Kinderrechtskonvention, deren 25. Jahrestag wir morgen feiern, haben Kinder, egal woher sie kommen, egal wo sie geboren sind, genau die gleichen Rechte in Deutschland, aber das haben sie eben de facto in Deutschland momentan nicht. Das ist ein Unding. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir haben zu dieser Problematik eine Große Anfrage eingebracht. Wir arbeiten darin die Defizite heraus. Es ist gut, zu wissen, dass Frau Özoğuz da auf unserer Seite steht und diese Defizite auch benannt hat. Ich gebe ein Beispiel aus dem Bericht: Im Jahr 2013 wurden 1 136 Minderjährige nach Polen zurückgebracht. Im Jahr 2012 waren es 90 Minderjährige. Das entspricht einer Steigerung um mehr als das Zehnfache. Ob das Kindeswohl bei diesen Entscheidungen berücksichtigt wurde? Was bedeutet die Abschiebung häufig nach einem Jahr oder mehr für diese Kinder? Während dieses Jahres waren sie bei uns in der Schule, haben Deutsch gelernt, haben Freunde gefunden, und dann müssen sie zurück in ein Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, das sie noch nie gesehen haben, außer einmal kurz auf der Durchreise nach Deutschland. Was bedeutet das für diese Kinder? Ist das im Kindeswohl? Ich glaube, eindeutig nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In der Dublin-II-Verordnung – jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Schröder – wird das Kindeswohl sowohl in den Erwägungsgründen genannt als auch in Artikel 6 Absatz 1 festgelegt: Das Wohl des Kindes ist in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind, eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten. Deswegen haben Sie recht: Das EU-Recht gibt das genau vor. Das, was wir in Deutschland brauchen, sind deswegen nicht neue Gesetze, sondern Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften mit klaren Regelungen zur Beachtung und Umsetzung des Kindeswohls. Das brauchen wir dringend. Das erwarte ich von Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie festgelegt, im Asylverfahren endlich die Altersgrenze auf 18 Jahre anzuheben. Wann kommt das denn endlich einmal? Wann ist es denn so weit? Es steht im Koalitionsvertrag. Dazu haben Sie aber immer noch keine Vorlage eingebracht. Das wäre so ein wichtiger Schritt für die Jugendlichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rüdiger Veit [SPD]: Das wird bald kommen!) – Ich zähle auf Sie, dass es bald kommt. (Rüdiger Veit [SPD]: Das können Sie!) Ich will noch einen Bereich ansprechen, nämlich die Bildung. Im Asylverfahren haben Menschen keinen Anspruch auf Integrationskurse. Man geht davon aus, dass die Kinder in der Schule Deutsch lernen. Aber dort fehlen häufig Zusatzangebote. Diese Leistungen werden oft ehrenamtlich erbracht. – Dafür an dieser Stelle ein Dankeschön. Aber das fehlt eben, und das Schlimme ist, dass die 16- bis 17-Jährigen, die keine Schulpflicht mehr haben, komplett herausfallen. Die gehen nicht in die Schule, und die haben kein Anrecht auf Integrations- und Sprachkurse. Das ist eine Generation von Jugendlichen, die bei uns keine Zukunft hat. Das ist auch ein Unding, das wir dringend beheben müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vorletzte Woche besuchte ich eine Einrichtung in meinem Wahlkreis, wo mir ein Betreuer von einem somalischen Jungen berichtete, dem sie erfolgreich einen Ausbildungsplatz vermittelt hatten, und der dann doch abgeschoben wurde. Dazu kann man nur sagen – Herr Schweitzer vom DIHK hat total recht –: Stoppen Sie endlich diesen Irrsinn! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Angebote der Jugendhilfe, die Möglichkeiten der Hilfe zur Erziehung, die Maßnahmen der Jobcenter, die Maßnahmen der Arbeitsagenturen – all diese Dinge müssen allen Kindern und Jugendlichen, egal woher sie kommen, zur Verfügung gestellt werden, bzw. es muss ihnen ermöglicht werden, sie eins zu eins in Anspruch zu nehmen; das ist unser Ansatz. In Deutschland darf es keine Kinder zweiter Klasse geben. Die größere Verantwortung Deutschlands, von deren Wahrnehmung auf internationaler Ebene wir ständig sprechen, beginnt hier. Wenn wir hier nicht entsprechend handeln, dann brauchen wir über mehr Verantwortung gar nicht erst zu reden. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin Franziska Brantner. – Nächste Rednerin in der Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Laut den Vereinten Nationen sind weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Ein Zentrum dieser Katastrophe ist Syrien. Rund 10,8 Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht. Es gibt aktuell wenig Hoffnung, dass sich die Situation in absehbarer Zeit bessern wird. Doch auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint: Deutschland und seine Partner dürfen diese Katastrophe nicht einfach akzeptieren. Die Bundesregierung tut das auch nicht. Im Gegenteil: Sie trägt auf vielfältige Weise zur Verbesserung der Lage bei. So hilft Deutschland den Opfern des Bürgerkrieges wie kaum ein anderes Land. In den letzten zwei Jahren hat Deutschland rund 800 Millionen Euro für die Hilfe vor Ort bereitgestellt. Hinzu kommen rund 1,1 Milliarden Euro von der EU. Auch dazu leistet Deutschland als größter Nettozahler einen wesentlichen Beitrag. Für die nächsten drei Jahre hat die Bundesregierung weitere 500 Millionen Euro an bilateraler Hilfe zugesagt – im Rahmen einer Syrien-Konferenz, die von der Bundesregierung ausgerichtet wurde. Seit Kriegsbeginn wurden 75 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen. Seit drei Jahren gilt für Syrien ein Abschiebestopp. 20 000 besonders Schutzbedürftige werden im Rahmen von drei Sonderprogrammen hierhergeholt. Und die Bundesregierung stellt drei Viertel der humanitären Aufnahmeplätze für Syrien. Gestern hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet, der unter anderem das Programm zur Neuansiedlung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen verstetigen soll. Damit wird eine dauerhafte Aufnahmemöglichkeit geschaffen. Pro Jahr gewährt Deutschland über dieses Programm in 300 Härtefällen besonderen Schutz. Aus gutem Grund wurde die deutsche Flüchtlings-politik vom UN-Flüchtlingskommissar Guterres und vom EU-Kommissar für Migration und Inneres, Avramopoulos, als vorbildlich für Europa gelobt. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Noch mehr auf die Schulter klopfen!) Doch trotz dieses großen Engagements reicht die Hilfe insgesamt angesichts der katastrophalen Lage nicht aus. Laut den Vereinten Nationen sind die kurzfristig nötigen Hilfsmaßnahmen innerhalb Syriens und in den Anrainerstaaten nur knapp zur Hälfte finanziert. Es fehlen insgesamt rund 2,6 Milliarden Euro, um die Flüchtlingsversorgung in der Region bis Ende des Jahres sicherzustellen. Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir unsere begrenzten Mittel auch effektiv einsetzen. Es reicht nicht aus, dass wir über Sonderkontingente immer wieder Menschen zu uns holen. Mit Sonderkontingenten konzentrieren wir die Mittel auf einige Härtefälle. Mit dem Geld für die Antragsbearbeitung, den Transport, die Unterbringung und die Versorgung eines einzelnen Flüchtlings in Deutschland können vor Ort wesentlich mehr Familien unterstützt werden. Verantwortungsvolle Hilfe darf die begrenzten Mittel nicht selektiv verwenden. Es ist daher richtig, dass wir unseren Fokus auf die Hilfe vor Ort richten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Angesichts der dramatischen Lage in Syrien dürfen wir auch nicht die Katastrophen in anderen Teilen der Welt vergessen: In Eritrea, Somalia, Myanmar oder Sri Lanka leiden ebenfalls unzählige Menschen unter Hunger, Not und Krieg. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten Sie nicht überfordern! Aber Sie haben natürlich recht: Da sieht es auch schlimm aus!) Die Bundesregierung kann diese Krisen nicht alleine lösen. Deutschland, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist aber sehr solidarisch. Die Solidarität fängt bei der Bundesregierung an, geht über die Länder bis hin zu den Kommunen und den vielen, vielen Ehrenamtlichen, die sich um die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge kümmern. Es gibt vor Ort großartige Initiativen von Landräten und Bürgermeistern, die in ihren Gemeinden Großartiges leisten, von sich aus Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen und für uns alle diese Verantwortung tragen. Diese Hilfsbereitschaft wächst seit Monaten. Der Deutsche Spendenrat erwartet, dass 2014 ein neues Rekordjahr beim privaten Spendenaufkommen in Deutschland wird. Aber – auch darauf ist Frau Pau vorhin eingegangen – trotz aller Hilfsbereitschaft müssen wir auch die öffentliche Akzeptanz für unser Asylsystem erhalten. Deutschland ist zu einem Einwanderungsland geworden und auf den Ausgleich seiner schwachen Geburtenzahlen durch Migration angewiesen. Es gibt Menschen in Deutschland – das merkt man immer wieder –, die sich mit der Zuwanderung schwertun, die Ängste und Sorgen haben. Es gibt vielleicht auch den einen oder anderen Extremfall, zum Beispiel den, den Frau Pau geschildert hat. Ich kann aus meiner eigenen Kommune, in der wir vor drei Wochen im Gemeinderat beschlossen haben, auf einem Grundstück der Kirche eine Flüchtlingsunterkunft zu errichten, berichten, dass das große Ängste hervorgerufen hat, dass das mit Leserbriefen, Flugblättern und E-Mails an die Gemeinderäte einherging. Wir müssen diese Ängste ernst nehmen. Wir müssen den Menschen erklären, warum es wichtig ist, dass wir die Menschen in unserem Land aufnehmen. Wir müssen auch erklären, welche Chancen damit verbunden sind. Und das ist nicht allein Aufgabe der Politik, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nur so wird es uns gelingen, fremdenfeindliche Aktionen und fremdenfeindliche Gedanken aus diesem Land fernzuhalten. Das ist notwendig; denn das gefährdet den sozialen Zusammenhalt in diesem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Fograscher [SPD]) Daher muss die Einwanderung nach Deutschland klaren Regelungen folgen. Asyl dient weder der Fachkräftegewinnung noch der Entwicklungshilfe. Asyl dient ausschließlich dem Schutz von verfolgten Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) Unter den fast 11 Millionen syrischen Flüchtlingen befinden sich über 5 Millionen Kinder. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir uns bei der Flüchtlingshilfe vor Ort massiv engagieren. In Deutschland werden aktuell immer mehr unbegleitete Minderjährige in staatliche Obhut genommen. Eine aussagekräftige Statistik darüber gibt es nicht; denn bundesweit werden nur die Kinder gezählt, die einen Asylantrag gestellt haben. Und das wiederum bedeutet, dass ihr Alter und ihre Identität festgestellt werden können. Für Bayern rechnet der Landesbeauftragte in 2014 mit rund 3 000 Inobhutnahmen von Minderjährigen. Das sind sechsmal so viele Fälle wie im Vorjahr. Das zentrale Problem ist, dass sich der Großteil der Inobhutnahmen auf bestimmte grenznahe Jugendämter konzentriert; denn nach § 87 SGB VIII ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich der Minderjährige zuerst aufgefunden worden ist. Eine Verteilung, also ein Zuständigkeitswechsel, kann aktuell erst nach Abschluss des Asylverfahrens erfolgen. Das führt in der Praxis dazu, dass die Jugendämter und die Kommunen an den Hauptflüchtlingsrouten völlig überlastet sind. In Bayern gilt das für Rosenheim, München und Passau. Und die Jugendlichen können aus Platzmangel eben nicht so untergebracht werden, wie dies im Idealfall sein sollte, sondern sie müssen teilweise in Notunterkünften und Sporthallen untergebracht werden. Allein in München werden bis Jahresende 1 500 Inobhutnahmen erwartet. Die Jugendämter vor Ort leisten Großartiges; aber sie stoßen an ihre Grenzen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, wenn wir – das ist von allen richtig angesprochen worden – eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung und Versorgung vornehmen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb hat Bayern einen Antrag und einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den der Bundesrat am 19. Dezember 2014 abstimmen soll. Ziel ist es, die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge gemäß dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer gleichmäßig und gerecht aufzuteilen. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung innerhalb Deutschlands und innerhalb Europas. Ich gebe den Kolleginnen, die vor mir gesprochen haben, recht. Es reicht nicht aus, immer nur zu sagen: Deutschland tut viel, Schweden tut viel. – Nachdem ich hier so oft Unterstützung durch Europa angemahnt habe, wünsche ich mir nun, dass es uns in den nächsten zwölf Monaten gemeinsam gelingt, mehr Druck in Europa auszuüben, damit auch die anderen Staaten ihrer Verantwortung gerecht werden; denn Europa – liebe Christina Kampmann, da hast du völlig recht – darf keine Einbahnstraße sein. Das ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Ich hoffe, dass es uns gelingt, eine Lösung zu finden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Nächster Redner in der Debatte: Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus dem letzten Beitrag und dem von der Kollegin Brantner ist deutlich geworden, warum wir uns heute auch mit der Situation minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge befassen. Ich persönlich habe zuerst nicht ganz verstanden, warum Sie Ihre umfangreiche Anfrage auch zum Gegenstand der heutigen Debatte gemacht haben. Ich konzediere aber ausdrücklich, dass die von Ihnen gestellten Fragen – 239 an der Zahl, zum Teil auch noch mit Unterfragen – einen sensiblen Komplex beleuchten sollen, und bin gespannt auf die Antworten. Nach den Antworten der Bundesregierung würde ich dann gerne auch über die Konsequenzen diskutieren. Da, liebe Kollegin Lindholz, wäre ich ein kleines bisschen vorsichtiger hinsichtlich der Übernahme des Vorschlages aus Bayern, Jugendliche ohne Weiteres auch nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer zu verteilen; denn das ist unter Beachtung des Kindeswohls im Einzelnen vielleicht nicht immer machbar. Hier muss man sehr sorgfältig und vorsichtig sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insgesamt kann ich dieser Debatte, soweit es um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge geht, eigentlich nur bescheinigen – wenn Sie mir dieses Urteil erlauben –, dass wir uns lediglich in Nuancen unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist die Anwendung von Artikel 17 der Dublin-III-Verordnung. Des Weiteren muss man die Überlegung, syrische Flüchtlinge an den Grenzen auch in andere EU-Staaten abzuschieben, sicherlich noch einmal genau beleuchten und gucken, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Berücksichtigung familiärer Gesichtspunkte im Einzelfall nicht noch wesentlich großzügiger entscheiden kann; ich würde mir das wünschen. In der Quintessenz ist eigentlich nur ein wesentlicher Unterschied festzustellen: Sie, Frau Kollegin Warken – so richtig das war, was Sie sonst alles gesagt haben –, haben uns aufgefordert, dem Antrag der Grünen möglichst in der Breite des ganzen Hauses nicht zuzustimmen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn ich mir das Elend in der Region, von der wir reden, anschaue – auch und gerade das Elend von Kindern –, dann denke ich spontan – jugendliche Spontanität ist auch in meinem Lebensalter manchmal noch erlaubt –: (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es gibt in dem Antrag der Grünen kaum einen Punkt, dem man nicht zustimmen kann. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen aber auch sagen: Wir müssen gemeinsam versuchen – mein Appell ist „Gemeinsamkeit“ –, zu einer Position zu kommen, die auch wirklich hilft. Ich erlaube mir jetzt einmal, aus einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu zitieren: Seit den zunächst friedlichen Protesten ab März 2011 und im Zuge der militärischen Eskalation hat sich die Menschenrechtslage in Syrien dramatisch verschlechtert. Der Konflikt hat Oppositionsschätzungen zufolge bereits mehr als 190 000 Todes-opfer gefordert. Mehr als 3 Mio. Syrer sind in Nachbarländern als Flüchtlinge registriert. Fast die Hälfte der ca. 22 Mio. Syrer ist auf Hilfe ange-wiesen, darunter 6,5 Mio. Binnenflüchtlinge. Ca. 6,6 Mio. Kinder in Syrien und in den Nachbarländern sind vom Konflikt betroffen und benötigen humanitäre Hilfe, 10 000 haben bereits ihr Leben verloren. In diesem Bericht geht es mit wirklich erschütternden Schilderungen darüber weiter, wie auch und gerade Kinder und Jugendliche getötet werden, verschleppt werden, missbraucht werden und gefoltert werden und verschwinden. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nichts, was uns alle kaltlassen kann. Deswegen bin ich froh und dankbar, dass die Bundeskanzlerin – das wurde schon zitiert –, der Außenminister – das wurde schon zitiert –, unser Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann – das wurde schon zitiert – und auch Sie, Herr Kauder, übereinstimmend sagen: Da muss man etwas tun. Jetzt ist die Frage: Was? Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch für Flüchtlinge aus Syrien drei verschiedene Wege gibt, nach Deutschland zu gelangen und hier Schutz zu erhalten: Erstens ist es die Flucht über das Mittelmeer oder auf anderen verschlungenen und nicht selten sehr gefährlichen Pfaden, um hier einen Asylantrag zu stellen; das macht die größte Zahl aus. Zweitens sind das die Landesprogramme: Etwa 10 000 Menschen sind im Rahmen dieser Landesprogramme zu uns gekommen. Drittens sind das die Bundesprogramme. Weil diese drei verschiedenen Pfade zu verschiedenen Zielen, zu unterschiedlichen Rechtsstatus führen, müssen wir uns einmal überlegen, was eigentlich das richtige Instrument ist. Dazu will ich ein paar Gedanken beitragen und auch schildern, wie die Lage ist. Zunächst einmal zur Asylfrage. Wenn denn sowieso klar ist, dass diejenigen, die den Weg hierher zu uns schaffen, Flüchtlingsschutz bekommen, eine Anerkennung nach § 3 Asylverfahrensgesetz, muss man sich doch die Frage stellen: Warum erwarte ich dann, dass diese Menschen zunächst einmal ihr Leben und das ihrer Familie riskieren, indem sie unter schwierigsten Bedingungen und Umständen versuchen müssen, überhaupt erst einmal zu uns zu kommen? Gelegentlich wird ja gesagt, das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das wir mit zusätzlichen Mitteln und Stellen ausgestattet haben, müsse sich darauf konzentrieren, diejenigen, die aus den drei jetzt für sicher erklärten Westbalkanstaaten kommen, möglichst wieder zurückzuführen. Denen, die dieses fordern, will ich einmal sagen, wie die Lage in der größten Stadt meines Wahlkreises aussieht, wo sich Hessens Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge befindet: Wir haben dort und zum Teil bereits vorab verteilt in Städten und Gemeinden insgesamt über 3 000 Flüchtlinge, rund 1 000 davon allein aus Syrien. Ich bin froh und dankbar – und würde das gerne hier hervorheben –, dass die Außenstelle des Bundesamtes nicht nur dort, sondern generell, bundesweit, dazu übergegangen ist, Flüchtlingsangelegenheiten von denjenigen Menschen, bei denen ziemlich klar ist, dass sie hierbleiben können, prioritär zu bearbeiten. Es macht doch keinen Sinn, den ganzen Aufwand, die ganze seelische Belastung und die ganzen Kosten aufzuwenden für Verfahren, die Monate dauern, wenn von vornherein klar ist: Sie können dableiben. Deswegen bin ich stolz darauf, dass die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen – ich habe mir die Zahlen heute noch mal durchgeben lassen – in den letzten 14 Tagen insgesamt für 294 dieser 1 000 Flüchtlinge aus Syrien Anerkennungen ausgesprochen hat und 588 Akten angelegt worden sind. Man geht übrigens im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung dazu über, die entsprechenden Anhörungen auch gestützt auf Fragebögen durchzuführen, damit das alles schneller geht. Das ist begrüßenswert, und ich finde, auch da sind mehr Personal, mehr Manpower, und mehr Sachmittel richtig eingesetzt. Ich danke dem Bundesinnenminister ausdrücklich – Herr Dr. Krings, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm das ausrichten –, dass durch Erlass des Bundesinnenministeriums vom 7. November, wenn ich richtig informiert bin, ausdrücklich klargestellt worden ist, dass Flüchtlingsangelegenheiten von Syrern vorrangig zu bearbeiten sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Daneben haben wir die Landesprogramme mit den bereits erwähnten Problemen bei der Verpflichtungserklärung. Da ist es in der Tat so, dass die Bundesländer unterschiedliche Maßstäbe ansetzen. Das führt zu großer Verwirrung, übrigens auch bei Betroffenen. Schließlich haben wir das Bundesprogramm – wiederum mit anderen Rechtsfolgen –, bei dem jetzt von dem beschlossenen Kontingent von 20 000 überhaupt erst 10 000 hier sind. Aus dem Kontingent von 20 000 sind im Übrigen 16 000 entsprechende Übernahmeanordnungen oder Übernahmeerlaubnisse erteilt worden. Das heißt, wir haben da keine Eile. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum geht das so langsam?) – Die Frage ist völlig berechtigt. Aber mittlerweile laufen die Verfahren. Es hat am Anfang sehr lange gedauert, bis überhaupt die Abläufe in Ordnung gekommen sind. Jetzt ist es gelegentlich so, dass die Leute technische Schwierigkeiten haben, hierherzukommen. Nur mal ein Beispiel: Wenn etwa jemand, der unmittelbar aus Syrien stammt, ein Einreisevisum für Deutschland bekommen will, dann muss er, weil er das in Syrien nicht erhalten kann, da raus. Wenn er dann die Übernahmeanordnung, die Erlaubnis, hierherzukommen, hat, muss er versuchen, in irgendein Flugzeug zu steigen und dann auch allein hierherzukommen – soweit das nicht anderweitig organisiert ist. Das alles dauert – Tom Koenigs, da bin ich mit dir völlig einer Meinung – unendlich lange. Aber jetzt haben sich die Dinge einigermaßen eingefahren, jetzt geht es auch schneller. Es gibt übrigens auch Leute – so habe ich gehört –, die eine entsprechende Erlaubnis haben, hierher zu kommen, zum Beispiel auf Betreiben ihrer Verwandten, dann aber letztendlich gar nicht erschienen sind, weil sie sich entschieden haben, in Syrien oder in den Nachbarstaaten zu bleiben. Kurzum: Das alles sind Hinderungsgründe, die man überwinden kann. Das Verfahren läuft bereits besser. Lassen Sie uns deswegen nicht darüber streiten, wie die Probleme gelagert sind, sondern darüber, wie man noch mehr tun kann. Ich will Ihnen offen sagen: Da am 9. Dezember die Pledging-Konferenz auf europäischer Ebene stattfindet und anschließend, am Donnerstag/Freitag nächster Woche, die Innenministerkonferenz in Köln stattfindet, habe ich die Hoffnung, dass sich da etwas bewegt. Ich will mich da auf gar keine Zahl festlegen. Ich möchte hier aber angesichts der abgelaufenen Redezeit noch kurz einen Gedanken erwähnen. Wir sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen – das meine ich sehr ernst –, überlegen, wie wir Zureisemöglichkeiten bzw. Aufnahmemöglichkeiten vor allen Dingen für die Verletzlichsten, für die sogenannten vulnerablen Personen, schaffen können. Dabei habe ich vor allen Dingen im Blick Kinder, die zu Waisen geworden sind, die nicht im Familienverband in ihrer Heimat haben aufgenommen werden können, und auch alleinstehende Frauen mit Kindern, die sich ebenfalls in einer schwierigen und noch verzweifelteren Lage befinden als andere. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir gemeinsam – ich betone: gemeinsam – zu dem Ergebnis kommen könnten, dass Deutschland an dieser Stelle ein gutes Beispiel gibt, insbesondere in Anbetracht des jahreszeitlichen Zusammenhangs. Ich wäre dankbar, wenn wir die Gemeinsamkeiten, die in der heutigen Debatte zum Ausdruck gekommen sind, bewahren und nicht einfach einen Antrag ablehnen. Ich habe noch die Hoffnung, dass wir zu einer gemeinsamen Position kommen können. Ich habe den Wunsch, dass Sie diese Hoffnung nicht zu einer leeren Illusion werden lassen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Rüdiger Veit. – Nächste Rednerin in der Debatte: Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erika Steinbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über die Flüchtlinge aus dem Irak und aus Syrien macht eines deutlich: Es gibt keinen Dissens hinsichtlich des Mitgefühls, das wir den Flüchtlingen entgegenbringen sollten. Über die Fraktionsgrenzen hinweg ist erkennbar, dass alle sehen, dass Hilfe nötig ist, und zwar vor Ort und hier im Lande. Das ist ein erfreulicher Tatbestand. Warum ist das so? Ich glaube, es gibt eine gute Erklärung dafür, weshalb Deutschland so viele Flüchtlinge und mehr Flüchtlinge als andere in Europa aufnimmt: Es gibt Millionen Menschen in Deutschland, die dieses Schicksal am eigenen Leib erfahren haben und genau wissen, was es bedeutet, Flüchtling bzw. Vertriebener zu sein. Ich erinnere mich noch daran, wie wir, als ich drei Jahre alt war, in Schleswig-Holstein ein Jahr in einer 4 Quadratmeter großen Kammer zu dritt in einem Bett genächtigt haben. Der Bauer sagte damals zu meiner Mutter: Ihr seid ja schlimmer als die Kakerlaken. So etwas muten wir heute keinem Flüchtling zu. Es gibt zu viele Erfahrungen, die zeigen, was das bei den Menschen hinterlässt. Kein Flüchtling in Deutschland soll so leben. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass die Bundesregierung ausreichend Mittel zur Verfügung stellt und auch immer wieder zusätzliche Mittel bereitstellt, um Hilfestellungen zu geben. Weil Deutschland ein Land ist, in dem es viel Mitgefühl für solche Schicksale gibt, ist die Anziehungskraft unseres Landes für Menschen in Not und für Menschen, die eine bessere Zukunft suchen, gewaltig. Zudem ist auch unsere Aufnahmebereitschaft gewaltig. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!) Nach der neuesten OECD-Studie, nach dem Internationalen Migrationsausblick 2014 ist Deutschland gleich nach Amerika Ziel von Flüchtlingen und Zuwanderern. Wir rechnen allein in diesem Jahr mit 200 000 Asylbewerbern. Wir haben mehr Asylbewerber als das Zuwanderungsland Kanada oder gar Australien. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ein bisschen näher am Konflikt dran!) Die Grünen fordern heute aufgrund der anhaltenden islamischen Gewalt, weitere syrische und irakische Flüchtlinge aufzunehmen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich das richtig gehört? Sie haben gesagt: „islamische Gewalt“?) Mehrfach wurden seitens der Bundesregierung die Aufnahmekontingente erhöht. Ich erinnere mich: Vor einigen Jahren habe ich mich bei dem damaligen Innenminister Schäuble persönlich dafür eingesetzt, dass wir ein Kontingent für 10 000 irakische Flüchtlinge schaffen. Das war das erste Mal nach langer Zeit, dass das überhaupt wieder gelungen ist. Mehrfach wurden inzwischen Aufnahmekontingente erhöht. Ich empfehle aber dringend, sich die Situation vor Ort in unseren Städten und Dörfern anzusehen, die Flüchtlinge aufzunehmen haben. Die Kollegin Lindholz hat das treffend geschildert. Wir müssen mit großer Sensibilität vorgehen und werbend mit unseren Mitbürgern sprechen. Die Kapazitäten vor Ort sind zum Teil vollständig ausgelastet oder gar überlastet. Eine Erweiterung kann man nicht von heute auf morgen erreichen. Das kann man nicht von einer Stunde auf die andere schaffen. Das ist auch nicht von einem Tag auf den anderen möglich. Wir stellen natürlich fest – und wer davor die Augen verschließt, gießt Wasser auf die Mühlen der Rassisten; das dürfen wir nicht wollen –, dass bei unseren Bürgern dann das Verständnis aufhört, wenn abgelehnte Asylbewerber – immerhin 70 Prozent derer, die hierherkommen, erhalten kein Bleiberecht – nicht konsequent zurückgeschickt werden. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wenn sie schwanger und krank sind?) Es ist im Grunde genommen ein Skandal, wenn zum Beispiel das Land Bremen nur ganze 0,7 Prozent derer, die das Land verlassen müssen, weil sie nicht politisch verfolgt sind, abschiebt. Das darf nicht sein; denn es mindert die Akzeptanz unserer Bürger für die wirklich politisch Verfolgten, die wir in unserem Land haben (Beifall bei der CDU/CSU) und denen wir das Gefühl geben wollen und müssen, dass wir solidarisch an ihrer Seite stehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin Steinbach, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Luise Amtsberg? Erika Steinbach (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Steinbach, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben die Abschiebungsquoten angesprochen. Was sind denn die Gründe dafür, dass nicht abgeschoben wird? Darüber werden Sie sicher Erkenntnisse haben. Unsere Erkenntnisse sind, dass ein ganz großer Teil der Menschen aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden kann, etwa wegen Schwangerschaft, Traumatisierungen, ungeklärten Status oder deswegen, weil die Entscheidung bei der Bearbeitung des Asylantrags zu restriktiv gefällt wurde und die Situation im Heimatland nicht so ist, dass man jemanden zurückschicken kann. Das sind unsere Erkenntnisse. Was sind Ihre? Erika Steinbach (CDU/CSU): Diese Fälle gibt es. Sie sind aber schon aus den 70 Prozent herausgerechnet. Diejenigen, die ein Bleiberecht erhalten, gehören zu den 30 Prozent derjenigen, die das Land nicht verlassen müssen. Mit den 70 Prozent sind diejenigen gemeint, bei denen erkennbar kein Grund vorhanden ist, hier im Lande zu bleiben. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns auf die konzentrieren, die wirklich verfolgt sind, die wirklich der Hilfe bedürfen, und nicht auf die, die aus anderen Gründen kommen. Natürlich sind das zum Teil verständliche Gründe, etwa wenn jemand sagt: Hier finde ich einen Arbeitsplatz, hier könnte ich mein Leben besser leben als woanders. – Das kann ich verstehen. Aber dafür sind unser Asylrecht und unser Bleiberecht nicht gemacht. – Danke für die Frage. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schaffen Sie legale Wege!) Durch die Haltung der Länder, die nicht konsequent abschieben, wird die Akzeptanz für die wirklich Verfolgten im Lande gemindert. Diese Akzeptanz – das ist ja geschildert worden – ist ja nicht so, dass wir nicht gegenhalten und nicht Verständnis für die Flüchtlinge wecken müssten. Es wurde richtigerweise auch gesagt: Die meisten Menschen aus Krisengebieten wollen in der Nähe der Heimat bleiben. Wenn sie schon nicht in ihrer Heimat sein können, dann wollen sie wenigstens in der Nähe, in der Region bleiben, wo sie das Gefühl haben, sie können bald wieder nach Hause zurückkehren. Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung mit humanitärer Hilfe – diese wird auch ausgebaut – vor Ort hilft. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, tut man den Menschen etwas Gutes, wenn man ihnen die Zuversicht gibt: Ihr habt zu essen, ihr habt zu trinken, ihr habt ein Dach über dem Kopf, sodass ihr den Winter überstehen könnt. Da liegen aber die Probleme. Die größten Probleme liegen nicht bei uns im Lande. Die größten Probleme finden sich vor Ort, dort, wo die Menschen zum Teil jetzt noch unter freiem Himmel nächtigen. Wir müssen dort versuchen, zu helfen, wie auch immer wir helfen können. Aber eines muss man auch sehen: Wenn ich mir den Globus anschaue und ich mir Deutschland anschaue, ist klar: Alleine können wir das nicht stemmen. Da ist die ganze Europäische Union gefragt, und da sind die anderen Länder der Welt genauso wie wir auch gefragt. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nehmen alle mehr!) Erfreulich ist für mich bei dieser Debatte, dass wir diesen Menschen Mitgefühl entgegenbringen und dass wir alle miteinander helfen wollen. Dass wir dabei unterschiedliche Gewichtungen haben, liegt in der Natur der Sache. Aber ich glaube, wir sind insgesamt auf einem guten Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Steinbach. – Letzter Redner in dieser Debatte: Martin Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt nach einer so langen Debatte schwer, noch einmal das zu bekräftigen, was hier schon gesagt wurde. Es bringt auch nichts, hier Zahlen zu referieren. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie können doch Ihre Minuten zurückgeben! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können doch auf Ihre Minuten verzichten!) – Nein, ich will Ihnen trotzdem etwas mit auf den Weg geben. Warten Sie es doch bitte ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na denn! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Dann ist es die falsche Entscheidung!) – Das ist Ihre Beurteilung. Warten Sie es ab. – Frau Dr. Brantner, ich würde Ihrem Antrag so gerne zustimmen, wenn ich nicht ein großes Problem hätte: Ich bin kein Gutmensch, sondern ich bin Politiker. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist das denn? – Rüdiger Veit [SPD]: Das schließt sich nicht immer aus! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir sind beides!) Angesichts der Situation in unserem Land, die meine Kollegin, Frau Steinbach, gerade beschrieben hat, sage ich: Wir als Politiker haben auch eine große Verantwortung dafür, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Da haben Sie eine große Verantwortung! Wir auch!) dass es im Land nicht zu einer Polarisierung kommt, wie auf der deutschen Landkarte am Sonntagabend sehr deutlich und meiner Ansicht nach angstmachend zu sehen war. Das, was Sie gesagt haben, Frau Pau, macht auch mir Angst. Aber es sind schon lange nicht mehr allein rassistische und faschistische Kräfte, die auf die Straße gehen, sondern aus der Mitte der Bürger selbst hat sich eine Bewegung entwickelt. Ich erinnere nur daran, was in Dresden unter dem Namen „PEGIDA“ passiert ist. Dort gehen Bürger, die völlig unbescholten sind (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Der Anführer schon mal nicht!) und nie im Verdacht standen, rassistische und faschistische Tendenzen zu vertreten, auf die Straße und sagen: So geht es nicht mehr weiter. Ich erinnere an die Wahlerfolge der AfD. Als Politiker haben wir die Verantwortung dafür, in unserem Land den sozialen Frieden zu verwirklichen. Unsere Verantwortung besteht nicht darin, das, was wir persönlich für richtig und gut halten, den Menschen aufzudrängen. Das, was die deutsche Regierung in den letzten Wochen getan hat, zeigt ein hohes Maß an Engagement und Verantwortlichkeit. Alle Zahlen, die genannt wurden, sind ein nachdrücklicher Beleg dafür, dass wir uns nicht ausgeruht haben, sondern dass wir, weil, wie Frau Merkel es immer ausdrückt, Politik die Kunst des Machbaren und nicht des Wünschenswerten ist, versucht haben, auf diesem Weg voranzugehen. Die gesetzlichen Änderungen sind ein guter und großer Schritt dahin. Sie selber, Frau Brantner, und auch Staatssekretär Schröder haben festgestellt, dass es noch lange nicht so weit ist, dass wir die bestehenden Gesetze und Ausführungsbestimmungen tatsächlich ausfüllen. Ein guter Teil der Bestimmungen wird von den Kommunen und Ländern noch lange nicht mit Leben erfüllt. Wir wissen, dass es dafür unterschiedliche, insbesondere finanzielle, Gründe gibt. Die Bundesregierung hat das erkannt und will die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge zunächst mit 500 Millionen Euro und 2016 mit weiteren 500 Millionen Euro unterstützen. Dann muss man weitersehen. Es darf nicht aus finanziellen Gründen scheitern. Es gibt aber auch noch sehr viele andere Erschwernisse, zum Beispiel Bürokratie, mangelnde Empathie und kommunale Mitarbeiter mit einem Amtsverständnis, das sich nicht nach den Bedürfnissen der zu uns gekommenen Menschen, insbesondere der Minderjährigen, richtet, sondern das Dienst nach Vorschrift und nach den Buchstaben des Gesetzes in den Mittelpunkt rückt. Das kenne ich aus meiner kommunalen Erfahrung sehr gut. Für sie sind es nicht in erster Linie Menschen, die vor ihnen stehen, sondern Asylbewerber, denen mit Klischees und Vorurteilen begegnet wird. Artikel 16 a des Grundgesetzes gilt ungemindert. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Mein Anliegen ist vielmehr, dass dieses Grundgesetz in den Herzen und Köpfen der Menschen in unserem Land verankert ist, dass es Mehrheiten findet und dass die Menschen sagen: Ja, es ist gut, dass wir dieses Grundgesetz haben, und wir wollen es einhalten. – Es darf nicht sein, dass sie sich aufgrund der Ängste, die sie bewegen, und des Eindrucks angesichts steigender Flüchtlingszahlen und einer medialen Diskussion darüber, dass die Regierung das Problem nicht mehr meistern kann, nicht mehr den Menschen zuwenden, sondern in politischen Gleichschritt mit anderen Kräften unserer Gesellschaft verfallen, was wir durchaus befürchten müssen. Das ist meine große Sorge. Deswegen wiederhole ich, was ich schon im Sommer gesagt habe: Ich persönlich glaube, dass wir unbedingt einen Schulterschluss zwischen Politik und Zivilgesellschaft brauchen. In der Debatte ist deutlich gemacht worden, dass die Menschen in unserem Land vielfach – nicht nur aus den Kirchen heraus, sondern auch aus -anderen Initiativen heraus – selber aktiv geworden und mit Sensibilität und dem, was sie vermögen, auf die Flüchtlinge zugegangen sind. Deshalb ist es für uns in der Politik immer wichtig, zu unterscheiden. Wir können nicht alle Menschen aufnehmen, die eine wirtschaftliche Verbesserung ihres Lebens erwarten. Ich würde sie zwar aufnehmen, aber ich kann es nicht, und unser Land als Ganzes kann es ebenfalls nicht. Deswegen müssen wir umso mehr dafür Sorge tragen – daher kann ich Ihrem Antrag nicht zustimmen –, dass zunächst einmal die Flüchtlinge und die unbegleiteten Minderjährigen die Hilfe bekommen, die sie unbedingt brauchen. Die jungen Menschen, die hierhergekommen sind, haben zum Teil schwere Jahre hinter sich. Frau Özoğuz hat vorhin deutlich gemacht, aus welchen Gründen sie kommen. Sie hat einen Grund nicht genannt, den ich nun nachtragen möchte. Es gibt viele Minderjährige, die geflohen sind, weil sie von ihrer Familie getrennt wurden oder weil ihre Familienangehörigen tot sind. Für diese jungen Menschen haben wir eine besondere Verantwortung. Insofern sind die geltenden gesetzlichen Regelungen, soweit ich sie kenne, erst einmal gut. Gelegentlich muss eine Umverteilung vorgenommen werden, wenn die Kapazitäten vor Ort – die Jugendämter, die Beratungsstellen und die Unterbringungsmöglichkeiten – nicht mehr ausreichen, um tatsächlich zum Kindeswohl beizutragen. Wenn die jungen Menschen hierherkommen, dann stehen sie an einer Wegkreuzung. Dann ist es sehr entscheidend, wie wir ihnen begegnen, ob wir ihnen mit Beratung, Begleitung, Ermutigung und Bildung begegnen und ihnen eine Perspektive eröffnen oder ob wir sie in einer Massenunterkunft unterbringen und ihnen damit deutlich machen, dass wir sie nur aufbewahren, und das ausgerechnet in so wichtigen Jahren ihres Lebens. Es ist dann kein Wunder, dass sie untertauchen. Wir müssen unterstellen, dass sich diese jungen -Menschen auf ihrer Flucht Kompetenzen erworben haben. Sie haben sich nicht nur durch fremde Länder – oft ausgebeutet, prostituiert sowie auf Baustellen und Plantagen schuftend – bis in das Land ihrer Sehnsucht durchgeschlagen. Sie haben während ihrer Flucht auch ein regelrechtes Überlebenstraining absolviert. Wenn sie dann hierherkommen und mit einer Situation konfrontiert sind, die so gar nicht ihrer Vorstellung vom gelobten Land entspricht, tauchen sie ab. Die Zahlen aus Berlin und Hamburg sind alarmierend. Wir müssen regelrecht Sorge haben, dass die Polizei kapituliert. Es gibt jugendliche Banden, die sich mit Raub und Diebstahl über Wasser halten. Sie werden oft von anderen Kriminellen aufgrund ihrer Jugend und ihrer nicht vollen Strafmündigkeit ausgenutzt. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die von mir beschriebene -Wegkreuzung lenken. Hier müssen wir als Gesellschaft reagieren. Wir müssen die Potenziale, die wir haben, ausschöpfen. Da die Zeit knapp wird, sage ich nur noch eines – hier geht es um die Mitverantwortung der Bürgergesellschaft –: Wir können Gesetze machen und Geld geben. Ich erinnere daran, dass es sich dabei um das Geld der Steuerzahler und nicht um unser Geld handelt. Die Menschen im Land werden immer fragen: Wofür gibt die Regierung denn unser Geld eigentlich aus? – Auch hier müssen wir Mehrheiten erwerben, und zwar parteiübergreifend. Entscheidend wird sein, ob die Flüchtlinge und insbesondere die jungen Menschen, die zu uns geflohen sind, das Maß an Verständnis, Ermutigung, Begleitung und Unterstützung erfahren, das sie brauchen. Können eigentlich der Gesetzgeber, eine Behörde oder eine Verwaltung den Menschen die Begleitung geben, die sie brauchen? Von einem freundlichen Gesicht auf der Straße bis hin zur Aufnahme von Pflegekindern in die eigene Familie, das ist eine breite Spanne. Ich ermuntere Sie und auch mich immer wieder aufs Neue nach dem alten Lied, das wir früher als Kinder oft gesungen haben: „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt.“ Abgewandelt bedeutet das: Ein jeder tut, was er kann, und steckt den anderen an. – Das ist die größte Glaubwürdigkeit. Ich weiß aus vielen Zuschriften, dass die Menschen im Land schauen, was wir Politiker machen, und sich fragen: Gehen Politiker eigentlich voran, wenn es um Akzeptanz geht, oder stellen Sie nur Forderungen an die Verwaltung? Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich erinnere Sie nur daran, dass bald Weihnachten ist. Wenn Jesus Christus damals als Asylbewerber in Ägypten keine Unterstützung gefunden hätte, dann wäre die Weltgeschichte ein bisschen anders verlaufen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Patzelt. – Erlauben Sie mir eine Bemerkung zu dem, was Sie zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben. Ich glaube nicht, dass ein guter Mensch zu sein im Widerspruch zum Politikerdasein steht. Ich sehe hier viele gute Menschen im Saal, und zwar in allen Fraktionen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist zumindest eine widerlegbare Regelvermutung!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3154 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksachen 18/2586, 18/3008 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsauschusses (8. Ausschuss) Drucksache 18/3443 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Kollegen Alois Rainer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Erst letzte Woche haben wir nach intensiven Beratungen den Bundeshaushalt für das Jahr 2015 beschlossen. Mit diesem Haushalt zeigen wir auf, wie nachhaltige Politik betrieben wird; das heißt, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Wir tragen Verantwortung gegenüber den Menschen und den nachfolgenden Generationen in unserer Republik. Darüber hinaus sind wir damit ein Vorbild für viele andere Länder in Europa. Deutschland ist ein wirtschaftlich und sozial stabiles Land mit einer soliden finanziellen Basis. Damit dies auch so bleibt, wollen wir die Voraussetzungen für -Investitionen in die Zukunft auf einer weiterhin soliden finanziellen Grundlage schaffen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Doch ist gerade bei dieser Debatte das föderale -System ins Gedächtnis zurückzuholen. Unser föderales System ist eine Stärke der Demokratie und ein wichtiger Grund für die Leistungsfähigkeit Deutschlands. Ein lebendiger Föderalismus lebt unter anderem durch seine Kommunen. Wenn wir in Deutschland starke Kommunen haben wollen, dann brauchen sie eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei Einnahmen und Ausgaben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die bestehende Ordnung unserer Bund-Länder--Finanzbeziehungen folgt diesem Prinzip leider nicht immer. Viele Aufgaben werden im föderalen Streit häufig vermischt und vermengt. Außerdem wird das System oft falsch ausgelegt und wiedergegeben. So werden teilweise auch einmal von Ländervertretern Dinge versprochen, die eigentlich Aufgabe des Bundes sind. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Mittel, die außerhalb des föderalen Systems anfallen, auch so eingesetzt werden, wie sie tatsächlich festgesetzt wurden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchten wir den Kommunen zum einen, wie wir es schon in der letzten Wahlperiode taten, unter die Arme greifen, und zum anderen gehen wir damit auf unsere Forderung im Koalitionsvertrag ein, die da heißt, dass wir die Gemeinden, Städte und Landkreise in Deutschland weiterhin finanziell entlasten werden. Diese Unterstützung leisten wir aus voller Überzeugung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich durfte 18 Jahre Bürgermeister sein. In dieser Zeit konnte ich miterleben, wie hier in Berlin ein Paradigmenwechsel stattfand. Es ist nämlich keine Selbstverständlichkeit, dass der Bund die Kosten für die Grundsicherung im -Alter mit übernommen hat und damit die Kommunen kräftig und dauerhaft entlastet hat, und es ist auch keine Selbstverständlichkeit, dass der Bund ein gutes Kita-programm aufgelegt hat, für das wir heute noch einmal einige hundert Millionen Euro zur Verfügung stellen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Entlastung der Kommunen zählt zu den prioritären Maßnahmen dieser Großen Koalition. Mit dem -vorliegenden Gesetzentwurf hält diese Koalition ihre Zusage ein, die Kommunen zu stärken, und erweist sich als verlässlicher Partner. Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes sollen die Kommunen mit 5 Milliarden Euro jährlich ab 2018 entlastet werden. Geplant war hier -ursprünglich, Teile der Kosten der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Mir ist bewusst, dass es aufgrund der Vielfalt der Länder in Deutschland nicht einfach ist, die Summe von 5 Milliarden Euro über die Eingliederungshilfe zu verteilen. Deshalb ist der Verteilungsmechanismus noch offen. Aber ich hoffe – da bin ich guter Dinge –, dass hier eine gerechte Lösung gefunden wird und dass diese große Summe gerecht auf die Kommunen in Deutschland verteilt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der vorliegende Entwurf greift dem bereits ab 2015 vor und entlastet die Kommunen bis 2017 jährlich um 1 Milliarde Euro. Geschehen wird dies zur Hälfte über die Kosten der Unterkunft und zur Hälfte über eine höhere Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer. So haben wir im Mai dieses Jahres mit den Ländern unter anderem besprochen, dass das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ in den Jahren 2016 bis 2018 um weitere 550 Millionen Euro aufgestockt wird. Damit wird die Unterstützung für die Länder und Gemeinden beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige weiter erhöht. Dies ist ein starkes Signal an die Familien in Deutschland. Mit den zusätzlichen Mitteln stellt der Bund die Errichtung von weiteren Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren sicher. Daher ist es gut und gleichzeitig auch der richtige Weg, dass wir uns weiter dafür einsetzen, dass für jedes Kind bzw. jede Familie in Deutschland, sofern sie es denn möchte, ein guter Kitaplatz zur Verfügung steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass der Bund seine Beteiligung an den Betriebskosten der Kinderbetreuung in Höhe von 845 Millionen Euro in den Jahren 2017 und 2018 um jeweils 100 Millionen Euro erhöht. Mit dieser Kostenbeteiligung unterstützt der Bund die Länder und die Kommunen entscheidend beim nachhaltigen Ausbau der Kinderbetreuung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich nochmals betonen: Wir stehen zu unseren Zusagen und bleiben weiterhin ein verlässlicher Partner für die Kommunen in Deutschland. Wir wissen, dass die Kommunen einen wichtigen Beitrag zur dauerhaften Sicherung von Wachstum und Beschäftigung und damit Wohlstand in unserem Land leisten. Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir darauf achten, dass die Mittel, die zur Verfügung gestellt werden, nicht zweckentfremdet werden. Ferner brauchen wir eine klare Aufgabentrennung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass jede Ebene die Mittel zur Verfügung bekommt, die sie benötigt, um ihre Aufgaben adäquat erledigen zu können. Allerdings – und ich sage es gern noch einmal – müssen die Mittel auch dort ankommen, wo sie tatsächlich benötigt werden. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ja, das ist das Problem!) Es kann und darf nicht das Ziel sein, dass die Gelder zur Sanierung von Länderhaushalten verwendet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb erwarten wir auch – da spricht der ehemalige Bürgermeister –, dass die Länder die den Kommunen zugedachten Mittel auch entsprechend weiterleiten. Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass der Gesetzentwurf im Ergebnis den richtigen Weg aufzeigt. Ich freue mich, dass der Bund die Kommunen weiterhin finanziell unterstützt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herzlichen Dank, Herr Kollege Rainer. – Jetzt fragen sich natürlich alle, wo Sie Bürgermeister waren, Herr Kollege. In Haibach? (Alois Rainer [CDU/CSU]: Ja!) – Sehen Sie: Das ist der Exbürgermeister aus Haibach in Bayern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nächste Rednerin in der Debatte: Susanna Karawanskij für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Politik der Bundesregierung bleibt Mosaikwerk. Sie fügen ein Steinchen hinzu, fügen ein weiteres hinzu und hoffen, dass es passt, dass es ein hübsches Bild ergibt. Aber es bleibt dann doch nur Farbbrei. So ist es auch beim Kitaausbau. Sie erkennen zwar, dass die Kindertagesbetreuung ausgebaut werden muss, und Sie erkennen ebenfalls, dass finanziell etwas aufgestockt werden muss, aber letztendlich sind Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, nicht in der Lage, das wichtige Mosaikteilchen hinzuzufügen, wenn es nämlich um den qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung geht. Das vernachlässigen Sie aufs Sträflichste. Das ist tatsächlich skandalös. Ich möchte die Punkte hier benennen: Es geht um das Stichwort „Betreuungsschlüssel“, um die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und um die Weiterbildungsmöglichkeiten. Wenn die Vorgaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingehalten werden sollen, dann haben wir hier einen Finanzierungsbedarf von 9 Milliarden Euro. Das Problem ist doch, dass die armen Kommunen im Hinblick auf die qualitativen Standards je nach Kassenlage entscheiden werden. Aber auch der qualitative Ausbau der Kindertagesbetreuung muss ein Teil der Pflichtaufgaben der Kommunen sein; denn Kinder in ärmeren Kommunen dürfen nicht Kinder zweiter Klasse sein. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum zweiten Punkt, an dem es noch Leerstellen gibt. Sie erkennen zu Recht, dass viele Kommunen finanzieller Entlastungen bedürfen. In Anbetracht der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen hätten wir uns tatsächlich gewünscht, dass es, wie es in Ihrem Koalitionsvertrag zu lesen ist, zu einer Soforthilfe kommt, und zwar jetzt und nicht erst 2015. Das, was hier geschieht, kann man meines Erachtens nicht mehr „Soforthilfe“ nennen. In Ihrem Gesetzentwurf fehlen vor allem die Bestandteile, die die Kommunalfinanzen langfristig auf ein stabiles Fundament stellen. Die Höhe der Entlastung, also die geplante 1 Milliarde Euro für alle Kommunen, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. An genau dieser Stelle liest sich Ihr Gesetzentwurf erschreckend unzeitgemäß. Ihre Politik bleibt Stückwerk und wird leider immer wieder von der Realität eingeholt. Das wird beispielsweise an der aktuellen Debatte zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden deutlich. Auf Kommunen und Länder kommen dadurch Kosten zu, die sie mit den dafür bislang zur Verfügung stehenden Finanzmitteln kaum bewältigen bzw. schultern können. Hier muss schnellstens für eine menschenwürdige und sozial integrierte Unterbringung, Betreuung und Versorgung in den Städten und Gemeinden gesorgt werden. Dabei geht es einerseits darum, vor Ort mit den Menschen, mit der Bevölkerung zu sprechen, diese zu inte-grieren und zu beteiligen; ein gegenseitiges Kennenlernen hilft immer dabei, Vorbehalte abzubauen. Andererseits bedarf es allerdings auch der entsprechenden Rahmenbedingungen, die geschaffen werden müssen. Es ist unser aller gemeinsame Aufgabe, humanitäre Hilfe zu leisten, wenn Menschen aus Kriegsgebieten aus Angst um ihr Leben die Heimat verlassen, flüchten und dann um unsere Hilfe ersuchen. Der Bund darf sich nicht länger aus dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zurückziehen und sich hier aus der Verantwortung stehlen. Wir müssen vor allen Dingen verhindern, dass es zu einer Abwehrhaltung der Menschen kommt bzw. dass diese zunimmt. Das heißt, wir brauchen bei der Bewältigung dieser Aufgabe Herz und Verstand, aber auch Geld. Jüngst war zu lesen, dass Sie Geld aus dem Fonds für die Fluthilfe zugunsten der Flüchtlingsunterbringung umwidmen wollen. Doch auch hier sorgen Sie eher für eine temporäre statt für eine strukturelle Lösung, erst recht, wenn 500 Millionen Euro im kommenden Jahr und weitere 500 Millionen Euro erst im Jahr 2016 zur Verfügung gestellt werden. Soforthilfe muss auch hier anders aussehen. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben es ja gerade selbst zugegeben: Es bleibt auch weiterhin fraglich bzw. unklar, ob die Länder das Geld tatsächlich an die Kommunen weitergeben. Um ein gutes Gesamtbild ohne Lücken zu schaffen, müssen die Kommunalfinanzen umfassend und nachhaltig gestärkt werden. So bekommen die Kommunen wieder Handlungsspielräume, und so werden sie bei den sozialen Ausgaben entlastet. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist doch Aufgabe der Länder! Übrigens auch da, wo ihr mitregiert!) Wir Linke haben entsprechende Forderungen erhoben. In schnellen Schritten wollen wir die komplette Übernahme der Kosten der Unterkunft (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: In den Ländern umsetzen! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Machen! In den Ländern!) – zu den Ländern komme ich gleich – durch den Bund erreichen. Zuvor müssen vom Bund natürlich auch die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz übernommen werden, bis dieses abgeschafft ist. (Beifall bei der LINKEN – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Oh, wie toll! Und das Geld regnet vom Himmel, ja?) Meine Damen und Herren, um ein harmonisches Gesamtbild zu erhalten, dürfen wir uns natürlich nicht nur die Ausgabenseite anschauen, sondern wir müssen vor allen Dingen auch für stabilere, kontinuierliche Einnahmen der Kommunen sorgen. Auch dazu haben wir einen Antrag eingereicht, nämlich den Antrag, die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterzuentwickeln. Wir wollen also eine Kommunalsteuer, in deren Rahmen die Last der Gewerbesteuer auf breitere Schultern verteilt wird, (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Oh, wie schön! Steuererhöhungen!) nämlich auf alle unternehmerisch Tätigen, die eine Gewinnerzielungsabsicht haben, und bei der die Bemessungsgrundlage verbreitert wird, wobei natürlich entsprechende Freibeträge für Kleinunternehmer und Existenzgründer vorzusehen sind, um die Steuerlast zu senken (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Was? Sie wollen die Steuern doch erhöhen!) und zu verhindern, dass es zu einer Substanzbesteuerung kommt. Das alles – ich wiederhole es – ist eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer. Die Einnahmen daraus sollen dann auch bei den Kommunen landen. Natürlich braucht es einen solidarischen und aufgabengerechten Länderfinanzausgleich, der vor allem, wie im Grundgesetz beschrieben ist, für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgt. Auch dazu liegt ein Konzept von uns vor, das wir im Übrigen nicht am Bundestag vorbeidiskutieren, sondern bei dem wir uns Ihren Nachfragen bzw. Anfragen nicht verschließen. Dieses Konzept sieht vor, dass das gesamte kommunale Steueraufkommen einbezogen wird und nicht, wie bisher, nur ein Anteil von 64 Prozent. Wir fordern einen solidarischen Altschuldenfonds, damit die Kommunen von der Zinslast, die sich aufgrund ihrer Schulden ergibt, befreit werden oder diese zumindest in den Altschuldenfonds fließt, sodass hier neue Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Schlussendlich wollen wir einen Solidarpakt III für wirtschaftsschwache Regionen in Ost, West, Nord und Süd, um die strukturellen Mängel, die vor allem auch in der Infrastruktur vorhanden sind, zu beseitigen. Für Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, möchte ich noch einmal sagen: Damit den Kommunen und vor allem den darin lebenden Menschen dauerhaft geholfen wird, damit die Kommunalfinanzen langfristig stabil sind und sozusagen ein Gesamtbild entsteht, braucht es mehr Mosaiksteine. Wir brauchen keine Minimalstrategie – wie sie jetzt vorhanden ist –, die vor allem darauf abzielt, dass Stück für Stück immer wieder nachgebessert werden muss, sondern wir fordern eine nachhaltige Kommunalpolitik mit einer dauerhaft guten Finanzausstattung für unsere Städte und Gemeinden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in der Debatte: Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wie Familien in unseren Städten und Gemeinden leben, entscheidet sich vor Ort: ob es überhaupt einen Kitaplatz gibt, ob es einen guten Kitaplatz gibt, ob es gute Ganztagsschulen sowie Freizeitangebote gibt, wie es mit der Schwimmhalle aussieht, ob sie baufällig ist oder vielleicht gerade saniert wurde. Wir alle wissen aus unserer eigenen politischen Tätigkeit vor Ort, dass es viele Kommunen schwer haben. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetz eine große Finanzspritze für die Kommunen gibt: auf der einen Seite eine Entlastung um 1 Milliarde Euro und auf der anderen Seite zusätzliche Hunderte Millionen Euro für den weiteren Kitaausbau. 1 Milliarde Euro, sehr geehrte Abgeordnete, ist keine Kleinigkeit, sondern eine wichtige Geldspritze, und jeder von uns, der die Not vor Ort kennt, weiß, dass die Kommunen dringend darauf warten. Deshalb ist es gut, dass wir das jetzt zügig auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wie Herr Abgeordneter Alois Rainer sagte, übernimmt der Bund die Kosten für die Grundsicherung im Alter vollständig. Natürlich gibt es immer noch weitere Forderungen, aber ich finde, man muss die Kirche im Dorf lassen. Ich habe zehn Jahre lang Kommunal- und Landespolitik gemacht. Was jetzt der Bund an Entlastungen auf den Weg bringt – heute eine Finanzspritze von 1 Milliarde Euro und Aufstocken des Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“ nach Bereitstellung von 4 Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter und 1 Milliarde Euro pro Jahr für Bildungsausgaben –, das sind doch keine Peanuts, sondern das sind richtig große Beträge, die wir aus dem Bundeshaushalt „ausschwitzen“ müssen, ohne neue Schulden zu machen. Das ist kein Mosaiksteinchen, sondern ein Gesamtpaket der Generationengerechtigkeit: Investitionen in Kinder und Bildung und auf der anderen Seite schuldenfreier Haushalt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In meiner Heimatstadt Schwerin – übrigens eine sehr verschuldete Kommune – gibt es keine Zwei-Klassen-Kitas, sondern es gibt für alle Kinder gute Kitas. Das kann ich bestätigen, weil mein Sohn in die Kita ging und nun ziemlich relaxed den Schulübergang geschafft hat. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, dass es in Kommunen, die wenig Geld haben, Kitas zweiter Klasse gibt. Aber sie brauchen natürlich finanzielle Unterstützung. Das beschließen wir heute. In meiner Heimatstadt wurde in der letzten Woche die zweite 24-Stunden-Kita eröffnet. Die Kinder gehen nicht 24 Stunden am Tag in eine Kita; das will ich vorausschicken. Diese Kita hat rund um die Uhr an allen Tagen im Jahr geöffnet. Das ist gerade für Eltern, die im Schichtdienst arbeiten, sehr wichtig, weil sie sich die Arbeitszeiten nicht aussuchen können. Die Notfallaufnahme im Krankenhaus beispielsweise muss bereitstehen, da muss die Ärztin Schichtdienst machen. Bei dieser Kita bewerben sich Paare um einen Platz, die Polizisten oder Altenpfleger sind, also aus Dienstleistungsbereichen kommen, in denen Randzeiten abgedeckt werden müssen. Diese Kita ist unter anderem auch aus Bundesmitteln gefördert worden. Wir wissen, dass wir mehr solcher Ganztags-kitas – nicht mit einer Betreuung rund um die Uhr, aber mit einer Ganztagsbetreuung – im Land brauchen. Deshalb ist es gut, dass der Bund mit dem heutigen Gesetz auch das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ für diese Legislatur auf 1 Milliarde Euro aufstockt, um weitere Kitaplätze, vor allem Ganztagsplätze, zu schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich werde Ihnen in der nächsten Zeit den Fünften Zwischenbericht zum Kinderförderungsgesetz vorlegen und darf Ihnen heute schon sagen: Aus den Daten geht hervor, dass 90 Prozent der Eltern mit der Betreuung -ihrer Kinder und dem Angebot in Kitas zufrieden sind. Das ist eine gute Zahl. 25 Prozent der Eltern finden allerdings, dass es in Kitas bessere Lernangebote geben sollte. Wir wissen von den Jugendämtern auch, dass noch nicht jedem Elternteil sofort ein Kitaplatz zur -Verfügung gestellt werden kann, obwohl es einen Rechtsanspruch darauf gibt. So schrieb mir zum Beispiel eine 62-jährige Frau über ihre beiden Töchter, dass beide studiert haben, beide gute Jobs haben, und beide jetzt Kinder haben. Die Mutter ist, wie ich finde, zu Recht stolz: Die beiden haben alles richtig gemacht. Aber sie bekommen keine Ganztagsplätze für ihre Kinder. Jetzt springen Oma und Opa ein. Sie geben frühzeitig ihren Job auf, um die Betreuung der Enkel zu übernehmen. Ich glaube, dass wir einerseits gar nicht wollen, dass Leute deswegen vorzeitig aus ihrem Job aussteigen – für die Leute nicht, aber auch wegen des Fachkräftemangels nicht. Andererseits wissen wir: Nicht jeder hat Oma und Opa, die das leisten können. An diesem Beispiel sehen Sie, dass es eben nicht so ist, wie einige denken: „Wir haben doch so viel für den Kitaausbau getan, das muss doch jetzt genug sein“, sondern dass es weiterhin Bedarf in unserem Land gibt, dass junge Mütter und junge Väter mehr Kitaplätze, vor allem Ganztagsplätze, brauchen. Das bringen wir heute auf den Weg mit dem neuen Kitagesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) Das Kitagesetz ermöglicht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir leisten damit auch ganz konkrete Armutsbekämpfung; denn gerade die alleinerziehenden Frauen, die langzeitarbeitslos sind, können oft deshalb nicht arbeiten und ein eigenes Einkommen -haben, weil ihnen ein Ganztagsplatz fehlt. Unsere Gesamtevaluation der Familienleistungen hat gezeigt: Durch ein gutes Kitaangebot wird die Armutsquote um bis zu 7 Prozent reduziert. Insofern ist das alles wichtig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, für die Armutsbekämpfung, aber eben auch für die frühkindliche Bildung von Kindern; denn hier wird auch ein Sprachförderungsangebot gemacht, das für die Kinder wichtig ist. Das ist ein Gesetz, in dem eine ganze Menge Wertvolles für unsere Kinder steckt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wird zu Recht angesprochen, dass neben der Zahl der Plätze, die es geben muss, auch die Qualität stimmen muss. Deshalb ist es gut, dass wir erstmalig in einem Gesetz auch qualitative Standards setzen. Wir ermöglichen zum Beispiel, dass mit diesem Geld Ganztagsplätze geschaffen werden, aber auch Ausstattungsinvestitionen getätigt werden können. So können zum Beispiel -Küchen gebaut werden, um eine gesunde Ernährung anbieten zu können. Wir stellen Geld zur Verfügung für Sprachförderung, und wir wollen den Ganztagsausbau vor allem auch vor dem Hintergrund der Inklusion voranbringen. Das alles ist ganz wichtig. Ich bin sehr froh, dass Professor Rauschenbach, der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, erst kürzlich bestätigt hat, dass die Qualität unter dem Kitaausbau nicht gelitten hat. Die Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts besagt sogar, dass der Personalschlüssel sich leicht verbessert hat und auch das Qualifikationsniveau des Personals nicht gesunken ist. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns, so wie es auch im Koalitionsvertrag verankert ist, weiter Gedanken über qualitative Verbesserungen machen, weil die Herausforderungen im Kitabereich immer weiter steigen. Deshalb bin ich froh, dass es erstmalig gelungen ist, dass alle Länder und der Bund sich gemeinsam zu einem Qualitätsdialog verabredet haben. Wir wollen gemeinsam beschreiben, was wichtige Qualitätsziele sind und wie sie finanziert werden können. Das ist ein Prozess, der jetzt begonnen hat. Etwas Vergleichbares – ich habe es selbst fünf Jahre lang als Landesministerin erlebt – gab es bisher nicht. Da die Grünen vermutlich gleich in das gleiche Horn blasen werden: Es gibt ein Land, das dieses Kommuniqué nicht unterschrieben hat, das ist ausgerechnet Hessen, wo Sie an der Regierung beteiligt sind. Wenn Sie also bei den Vorschlägen zu Qualitätsverbesserungen glaubwürdig sein wollen, dann tun Sie auch selber etwas. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will an dieser Stelle sagen: Ich bin sehr dankbar, dass alle Länder mitziehen und dass auch die Kommunen mit an Bord sind. Ich glaube, das ist eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe, die man nur auf allen drei Ebenen gemeinsam stemmen kann. Es ist wichtig, dass wir in unserem Land mit dem Ausbau guter Ganztags-kitas weiter vorankommen, Kitas, die qualitativ stimmen. Wir wollen auch nicht auf die Ergebnisse dieses Dialogs warten, sondern wir wollen parallel etwas tun. Der Bund wird ab 2015 den dauerhaften Betrieb – hier geht es um die laufenden betrieblichen Kosten – mit -Mitteln in Höhe von jährlich 845 Millionen Euro unterstützen. So viel Geld haben wir noch nie dafür bereit-gestellt. Dann kommen noch die 100 Millionen Euro für 2017 und 2018 on top drauf. Der Bund hat sich noch nie so stark an laufenden Kosten und damit an den Kosten für Personal und Qualität beteiligt. Das ist ein wichtiges Signal und gut angelegtes Geld. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Chancengleichheit für Kinder ist ein Punkt, der für mich ganz besonders wichtig ist. Diese Chancengleichheit fängt auch in der Kita an. Deshalb ist es gut und richtig, dass der Bund mit jährlich über 100 Millionen Euro die Sprachförderung unterstützt, insbesondere auch in Brennpunktkitas. Ich bin froh, dass wir neben den erwähnten Mitteln dieses Geld noch zusätzlich zur Verfügung stellen, sodass die Sprachförderung, die schon gut vor Ort läuft – ich weiß, dass sich viele Abgeordnete dafür einsetzen –, weiter stattfinden kann. Das ist eine wichtige Unterstützung; denn alle Kinder sollen unabhängig von der familiären und der finanziellen Situation die beste Bildung bekommen. Die Bildung fängt in den Kitas an. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich im Wesentlichen auf die Entlastung der Kommunen konzentrieren. Auf die Kitaqualität wird gleich noch meine Kollegin Katja Dörner eingehen. Aber eines, Frau Ministerin, muss ich dazu doch -sagen: Das, was Sie jetzt beschrieben haben, ist eine -Mogelpackung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, was Sie glauben, was dort drin ist, ist nicht drin. Sie reden über Qualität. Sie haben einen Gipfel für mehr Qualität veranstaltet. Heraus kam ein Arbeitskreis, nicht mehr und nicht weniger. All das, was Sie an warmen Worten finden, steht nicht in diesem Gesetzentwurf. Das sind leere Versprechungen. Machen Sie es einmal konkret, dann können wir darüber reden, aber mit solchen Sätzen verkaufen Sie die Menschen für dumm. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Gottschalck [SPD]: Sie müssen den Gesetzentwurf lesen! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden diesen Gesetzentwurf dennoch nicht ablehnen. Eine Entlastung der Kommunen in Höhe von 1 Milliarde Euro ist richtig. Hier haben Sie recht, und wir müssen die Kommunen in diesem Punkt unterstützen. Es wäre aber besser gewesen, wenn man das gemacht hätte, was man sich vorgenommen hat, nämlich die Kommunen mit sozialen Brennpunkten zu entlasten. Dann hätte man die gesamte Milliarde über die Erstattung der Kosten der Unterkunft herausgeben müssen und dies nicht auch über eine Umverteilung der Umsatzsteueranteile regeln dürfen. Dann hätte man besser zur Lösung dieses Problems beitragen können. Sie haben jetzt einen Kompromiss gemacht: Hälfte-Hälfte. Ziel verfehlt. Etwas mehr Entschlossenheit hätte den Kommunen an dieser Stelle wirklich gut getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was mich noch mehr schockiert, ist der zweite Teil, den es eigentlich geben sollte. Es sollten noch 5 Milliarden Euro für Kosten der Eingliederungshilfen fließen. Davon verabschieden sich die Bundesregierung und auch der Finanzminister im Moment wieder. Noch deutlicher kann man den Missmut gegenüber einem solchen Gesetzentwurf nicht zum Ausdruck bringen. Die Bundessozialministerin Nahles geht immer noch davon aus, dass die 5 Milliarden Euro kommen. Ich betone das deshalb so deutlich, weil gestern an dieser Stelle ganz viele warme Worte für Menschen mit Benachteiligungen und Behinderungen gefunden wurden. Jetzt jedoch stehen genau die Mittel für Entlastungen nach dem Bundesteilhabegesetz zur Disposition. So geht das nicht. Das werden wir so auch nicht durchgehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Schauen Sie sich den Bereich Flüchtlingspolitik an. Sie reden jetzt darüber, dass es 500 Millionen Euro für die Kommunen geben soll. Bei Bedarf soll es weitere 500 Millionen Euro geben. Leider reden wir nicht über eine verlässliche und verstetigte langfristige Entlastung. Die Grünen haben den Vorschlag gemacht, die Flüchtlinge mit in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen. Das müsste natürlich nicht über Beiträge, sondern über Steuern finanziert werden. Es hätte den Vorteil, dass wir an diesem Punkt wirklich die Kommunen entlasten würden. Eine solche Entlastung wäre langfristig und verlässlich. Vor allem wäre es menschlich gewesen, hier dem humanitären Bedarf gerecht zu werden. So weit konnten, so weit wollten Sie aber nicht gehen. Deshalb zweifele ich daran, ob Sie die Kommunen wirklich entlasten wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde das sehr bedauerlich; denn damit hätten wir in dem Bereich wirklich etwas erreicht. Frau Ministerin, Sie sagen jetzt, Sie hätten so viel für die Kommunen in die Wege geleitet. Die Frage ist doch nicht nur, wie wir die Kommunen entlasten; die Frage ist auch, wie es erst so weit kommen konnte, dass die Kommunen so verlassen waren, (Ulrike Gottschalck [SPD]: Das ist aber müßig!) dass sie so hohe Defizite haben, dass sie auf Kassen-kredite zurückgreifen müssen. Dazu haben Sie einen großen Beitrag geleistet. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: In Niedersachsen waren es die Grünen, die es kaputtgemacht haben! – Ulrike Gottschalck [SPD]: Das war auch Rot-Grün! Das waren wir alle!) Darüber sollten wir auch mal reden. Ihr Gesetz aus der letzten Wahlperiode, das Wachstumsbeschleunigungs-gesetz, hat die Kommunen in diesem Land sage und schreibe 1,5 Milliarden Euro gekostet. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Märchen! Märchen! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Und sie hatten dadurch erhebliche Gewerbesteuermehreinnahmen!) Ich könnte diese Liste fortsetzen. Weil Sie die Kommunen in diese Situation gebracht haben, sind Sie in der Pflicht, für die Kommunen Geld auszugeben. Damit sollten Sie sich nicht rühmen; denn das sind Ihre Hausaufgaben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kommunen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind eine tragende Säule in diesem Land. Sie sichern die Daseinsvorsorge. Sie tragen die sozialen Kosten. Die sozialen Kosten werden steigen. Da müssen wir Verantwortung übernehmen. Wir dürfen die Kommunen nicht im Regen stehen lassen; das ist unsere Verpflichtung. Dafür brauchen wir mehr als nur leere Versprechungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Dafür brauchen wir diese Bundesregierung!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ingbert Liebing, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute beschließen, hält die Koalition Wort. Wir lösen eine -Zusage aus dem Koalitionsvertrag ein, indem wir die Kommunen in den Jahren 2015, 2016 und 2017 jeweils um 1 Milliarde Euro entlasten – insgesamt 3 Milliarden Euro zusätzlich für die Kommunen. Das sind keine leeren Versprechungen; das ist eine gute Botschaft für die Städte und Gemeinden in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun kann man sicherlich kräftig darüber streiten, wie dieses Geld verteilt wird, Frau Deligöz; aber wir haben uns um einen fairen Kompromiss bemüht. Indem die Hälfte der jährlichen Entlastung über eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft zustande kommt – 500 Millionen Euro – und die andere Hälfte über einen höheren kommunalen Anteil an der Umsatzsteuer, ist allen Kommunen in Deutschland geholfen: -sowohl denjenigen mit besonderer sozialer Belastung – über die höhere Beteiligung an den KdU – als auch den anderen Kommunen, die auch ihre Aufgaben zu finanzieren haben und bei denen es auch um die Stärkung der Finanzkraft und der Investitionskraft geht. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Ausgangspunkt! Der Ausgangspunkt war, die Kommunen mit sozialen Brennpunkten zu entlasten, wegen der Disparität!) Deswegen ist dies ein fairer Kompromiss, den wir hier vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es kommt hinzu, dass beide Instrumente – sowohl die Entlastung bei den KdU als auch die höhere Beteiligung an den Einnahmen aus der Umsatzsteuer – dazu führen, dass das Geld direkt bei den Kommunen landet und nicht in die Landeshaushalte fließt. Das macht deutlich, dass wir uns darum kümmern, dass das Geld, das wir im Bundeshaushalt für die Kommunen bewegen, tatsächlich in den Kassen der Städte und Gemeinden ankommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Meine Damen und Herren, damit knüpfen wir an die kommunalfreundliche Politik an, die wir unter der Führung der Union in der vergangenen Wahlperiode bereits geleistet haben. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist wahr! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Richtig!) Man kann es nicht oft genug sagen: In diesem Jahr tritt die dritte Stufe der Entlastung bei der Grundsicherung in Kraft – noch einmal 1,1 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Bundeshauhalt für die Kommunen in Deutschland, insgesamt eine Entlastung in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro. Nie zuvor hat es eine so starke Politik für die Kommunen in Deutschland gegeben wie in dieser Koalition und unter Führung der Union in der vergangenen Wahlperiode. (Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das gab es noch nie! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist eine Hausnummer! – Sönke Rix [SPD]: In dieser Koalition, nicht in der letzten!) Das heute vorliegende Gesetz ist der erste Schritt zur weiteren Stärkung der Kommunen in dieser Wahl-periode. Wir haben uns einen zweiten Schritt vorgenommen, der dann 2018 im Rahmen der Reform der Eingliederungshilfe folgt, wiederum mit einer Entlastung in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro. Nun wissen wir – darauf hat mein Kollege Alois Rainer bereits hingewiesen –, dass dies nicht einfach ist, weil die Eingliederungshilfe in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich organisiert und finanziert wird. Ich habe eine Karte mitgebracht: (Der Redner hält ein Schaubild hoch) Es gibt nur wenige – hier grün eingezeichnete – Länder wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, in denen die Eingliederungshilfe vollständig von den Kommunen finanziert wird, während diese Aufgabe im Saarland und in Sachsen-Anhalt vollständig vom Land finanziert wird und es in allen anderen Ländern eine Mischfinanzierung gibt. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist unabhängig von der Eingliederungshilfe. Darauf legen wir ausdrücklich Wert. Es erfolgt im Vorgriff auf die Reform der Eingliederungshilfe. (Zuruf von der SPD: Genau!) Deswegen ist der Beschluss des Bundesrates zu diesem Gesetzentwurf auch so unverständlich, in dem empfohlen wird, statt einer höheren Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Eingliederungshilfe vorzusehen. Die Absicht hinter dieser Stellungnahme des Bundesrates ist klar: Die Länder, die sich an den Kosten der Eingliederungshilfe finanziell beteiligen, wollen die Bundesmittel nicht den Kommunen zur Verfügung stellen, sondern in die Landeskasse umleiten. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Das ist nicht unsere Absicht. Das ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Deswegen legen wir Wert darauf, dass dieses Geld tatsächlich bei den Kommunen ankommt. Auch dazu dient dieser Verteilungsmaßstab. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Alles andere ist unverschämt!) Ich bin der Bundesregierung ausdrücklich dankbar für die Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme des Bundesrates, weil auch darin noch einmal die Absicht deutlich gemacht wird, dass das Geld bei den Kommunen ankommt. Dass wir hier nicht irgendeine Phantomdiskussion führen, zeigt die Situation in den einzelnen Bundesländern. Auch im Bereich der Kosten der Grundsicherung, bei den 5 Milliarden Euro, haben wir es leider erlebt, dass einzelne Bundesländer, die sich in der Vergangenheit an diesen Kosten finanziell beteiligt haben, die Mittel zur beabsichtigten Entlastung der Kommunen in die Landeskasse umgeleitet haben. Ein Beispiel dafür erlebe ich in meinem Heimatland Schleswig-Holstein, Frau Deligöz. Die grüne Finanzministerin, Frau Heinold, (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Frau!) hat etwa ein Viertel der Bundesmittel in die Landeskasse umgeleitet, dort einkassiert, obwohl dieses Geld eigentlich bei den Städten und Gemeinden ankommen soll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ungeheuerlich! Unverschämtheit! – Sönke Rix [SPD]: Wahrscheinlich, weil sie so einen schlechten Haushalt vorgefunden hat! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das erst heruntergewirtschaftet?) Diese Politik ist brandgefährlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn wer soll denn, wenn wir jetzt über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen diskutieren – dabei sprechen wir ja genau darüber, welches das richtige Instrument ist, um mit den 5 Milliarden Euro tatsächlich die Kommunen zu erreichen –, hier in diesem Haus tatsächlich noch Entscheidungen zugunsten der Kommunen treffen, wenn einzelne Landesregierungen diese kommunalfreundliche Politik unterlaufen und die Gelder, die eigentlich für die Kommunen vorgesehen sind, in die Landeskasse umleiten? Deswegen ist diese Politik auch so brandgefährlich, weil es die Akzeptanz für eine kommunalfreundliche Politik hier im Bund gefährdet. Denn die eigentlich Verantwortlichen für die Kommunalfinanzen, für eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen, sind die Bundesländer. (Beifall bei der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das kann gar nicht oft genug gesagt werden in diesem Haus!) Aus dieser Verantwortung werden wir die Länder nicht entlassen. Für den Bund ist das, was wir tun – das gilt auch für diesen Gesetzentwurf –, eine freiwillige Leistung. Alles das, was wir hier tun, ist keine originäre Bundesaufgabe. Das gilt im Übrigen auch für die Finanzierung der Kindertagesstätten oder für die U-3-Förderung. Es war Ausdruck eines fairen Kompromisses und eines fairen Entgegenkommens gegenüber den Kommunen, dass wir die Mittel für diese Aufgaben aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Aber die eigentliche Verantwortung für diese Themen und für die aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen liegt nach unserer Verfassungsordnung eindeutig bei den Ländern. Aber warum tun wir dann trotzdem etwas für die Kommunen? Wir tun es, weil wir ein Interesse daran haben, dass die kommunale Selbstverwaltung funktioniert, weil wir ein Interesse daran haben, dass die Kommunen ihre Aufgaben wahrnehmen können. Denn die Kommunen sind das Gesicht der Politik für die Menschen. -Nirgendwo sonst erleben die Menschen die Politik so hautnah wie im eigenen Lebensumfeld, im eigenen Erfahrungsbereich, zu Hause in ihrer Gemeinde, in ihrem Dorf, in ihrer Stadt. Deswegen ist es uns nicht egal, wie die Kommunen ihre Aufgaben wahrnehmen. Wir tun dies auch, weil wir die Investitionskraft der Kommunen stärken wollen. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen erfolgen durch die Kommunen; die restlichen 40 Prozent teilen sich der Bund und alle 16 Länder. Wenn wir darüber sprechen, dass wir die Investitionskraft des Staates, der öffentlichen Hand, stärken wollen, dann geht das nirgendwo so gut wie über die Stärkung der Finanzkraft unserer Kommunen. Auch dazu, zur Stärkung der Finanzkraft und der Investitionen in Deutschland, leistet dieser Gesetzentwurf mit jährlich 1 Milliarde Euro zusätzlich ab dem kommenden Jahr für die Kommunen einen wichtigen Beitrag. (Zuruf von der CDU/CSU) Deswegen ist dieses Gesetz gar nicht hoch genug zu werten. Es ist eine große Leistung des Bundes, der Bundesregierung und der Koalition für die Kommunen in Deutschland. Wir stimmen heute über die Beschlussempfehlung zu diesem Gesetz ab. Deswegen ist heute ein guter Tag für die Kommunen in Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben es eben wieder gehört: Der vorliegende Gesetzentwurf wird uns als ein Gesetz zur Qualitätsverbesserung in Kitas verkauft. Es wird darauf verwiesen, dass man jetzt den Bau von Küchen finanzieren kann und auch der behindertengerechte Ausbau gefördert wird. Ich muss wirklich sagen: Ich kenne keine Kita, die in den letzten Jahren gebaut wurde und keine Küche inklusive hatte. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Laut Landesgesetz ist es überhaupt nicht mehr erlaubt, ein öffentliches Gebäude nicht behindertengerecht zu bauen bzw. auszustatten. Das zeigt: Der Titel dieses Gesetzes ist reiner Etikettenschwindel. Dass Sie diesen Etikettenschwindel nötig haben, das zeigt, wie blank Sie beim Thema Kitaqualität tatsächlich sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben von der Ministerin und von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion gehört, wie wichtig Kitaqualität ist. Das stimmt ja auch; denn die -Kitas können für mehr Chancengerechtigkeit sorgen. Sie können insbesondere Kinder unterstützen, die in ihren eigenen Familien wenig mitbekommen. Gerade weil das so ist, ärgert es mich umso mehr, dass diese Bundesregierung in dieser Legislaturperiode faktisch nichts zusätzlich für die Kitaqualität tut. (Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ärgert uns ganz besonders deshalb, weil das so zukunftsvergessen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor einem Monat hat der Kitagipfel stattgefunden, bei dem es um bundeseinheitliche Qualitätsstandards in den Kitas gehen sollte. Der Gipfel ist in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Das wundert mich auch nicht: Er hatte nämlich keine relevanten Ergebnisse vorzuweisen. Es wurde jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet, und die Ministerin – wir haben es gehört – findet das auch ganz besonders toll. Ich muss sagen: Die Ministerin hat offensichtlich ein sehr kurzes Gedächtnis. Ich möchte Sie daran erinnern: Im August letzten Jahres hat die damalige Familienministerin Kristina Schröder genau das vorgeschlagen, nämlich die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, um gemeinsam mit den Ländern über bundeseinheitliche Qualitätsstandards zu sprechen. Die damalige Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns, die heutige Familienministerin Manuela Schwesig, bezeichnete damals die Einrichtung einer Arbeitsgruppe als – Zitat – „spärlichen Notnagel“; alle Vorschläge lägen auf dem Tisch, daher sei das nicht mehr nötig. Die Ministerin kritisierte also vor etwas mehr als einem Jahr eine Arbeitsgruppe als „spärlichen Notnagel“ und richtet sie heute selber ein. Daran sieht man: Sie sind blank, was die Kitaqualität angeht. Ich finde, das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Die grün regierten Länder machen doch auch mit!) Wir wissen: Das Qualitätsgesetz stand im Entwurf des Koalitionsvertrags drin. Es ist aber auf den letzten Metern aus dem Koalitionsvertrag herausgeflogen. Und warum? Weil der Bund nicht bereit ist, ernsthaft in die -Kitaqualität zu investieren. Das ist völlig falsch, das ist zukunftsvergessen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Vor allen Dingen ist das Aufgabe der Länder!) – Nein, das ist nicht Aufgabe der Länder. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Alle sind gefragt, weil wir nur so bei dem wichtigen Thema Kitaqualität weiterkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne wollen bundesweit verbindliche Standards. Es ist für uns selbstverständlich, dass der Bund bei der Finanzierung mit im Boot ist; denn – ich habe eben darauf hingewiesen – die Kitaqualität ist nicht nur die Aufgabe der Kommunen und der Länder. (Sönke Rix [SPD]: Was sagen denn die rot-grün regierten Länder dazu? ) Was die Kitaqualität angeht: Frau Schwesig macht leider da weiter, wo Frau Schröder aufgehört hat. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sie sollten eine Grundgesetzänderung anstreben!) Sie macht sich bei der Qualitätsfrage faktisch einen schlanken Fuß und schiebt den Ländern den Schwarzen Peter zu. Wir finden das nicht akzeptabel, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Welche Rolle spielen denn die Länder? – Ulrike Gottschalck [SPD]: Zuständigkeiten!) Die Kitas sind sowieso die Verlierer in dieser Koalition. Jenseits des Etikettenschwindels „Qualität“ betrifft das den Platzausbau, für den es zusätzliche Mittel nur in homöopathischen Dosen gibt. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Vielleicht sollten Sie die Länder abschaffen!) Mickrige 550 Millionen Euro sind bis 2017 zusätzlich vorgesehen, also mitnichten 1 Milliarde Euro zusätzlich, von der auch die Ministerin heute gesprochen hat. 450 Millionen Euro, die im Haushalt längst verplant und so gut wie ausgegeben waren, werden schwuppdiwupp eingerechnet, damit dieses sehr magere Ergebnis der Verhandlungen für die Kitas nicht ganz so offensichtlich wird. Das ist Augenwischerei zulasten der Kinder und Familien. Wir kritisieren das sehr scharf. Aus unserer Sicht gibt es dazu keine Alternative. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulrike Gottschalck, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ulrike Gottschalck (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde Ihre Aussagen schon erstaunlich, Frau Dörner. Offensichtlich gibt es keine Verantwortung der Länder mehr. An allem ist der böse Bund schuld. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Genau! Den Eindruck konnte man haben, ja! – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde den Gesetzentwurf, den wir heute vorgelegt haben, sehr gut. Ich bin mir sicher, dass unsere Kommunen, also die Städte, Gemeinden und Landkreise, sehr dankbar sind für diesen Gesetzentwurf; denn er entlastet die Kommunen richtig, konkret und direkt, und der Kitaausbau wird forciert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Unsere Regierungsbilanz kann sich sehen lassen, insbesondere im Hinblick auf die Kommunen. Einige Beispiele: Es gibt eine 100-prozentige Übernahme der Kosten der Grundsicherung durch den Bund. Die Mittel für die Städtebauförderung wurden auf 700 Millionen Euro aufgestockt. Der Bund übernimmt die Kosten für das BAföG. Wir sorgen bis 2018 für eine flächendeckende Grundversorgung mit schnellem Internet. Es gibt finanzielle Unterstützung für Kommunen, die von Armutswanderung betroffen sind. Es gibt – darüber haben wir vorhin debattiert – zusätzliche Hilfen für die Flüchtlinge. Alle diese Maßnahmen bedeuten zwei Dinge: Erstens. Wir entlasten die Kommunen wirklich eindeutig und nachhaltig. Klammer auf: Das ist auch dringend nötig. (Beifall bei der SPD) Das sagen alle, auch diejenigen, die vorher hier in Regierungsverantwortung standen, und zwar jeglicher Couleur. Zweitens. Diese Maßnahmen kosten richtig viel Geld. Alle Maßnahmen schmälern den Handlungsspielraum in unserem Haushalt. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist das!) Das müssen wir einfach einmal so festhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotzdem ist das gut angelegtes Geld, (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) weil den Kommunen wirklich die Luft ausgeht, und wir brauchen Kommunen, die Luft zum Atmen haben. Einige Kollegen haben es schon vor mir gesagt: So kommunalfreundlich wie diese war keine Regierung zuvor aufgestellt. Ich denke, darauf können wir wirklich ordentlich stolz sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist auch gut so; denn die Menschen erfahren in den Gemeinden ganz konkret, ob die Gemeinschaft funktioniert, ob die Infrastruktur und öffentliches Leben funktionieren. Sie merken, ob marode Straßen oder Turnhallendächer endlich repariert werden können oder Hallenbäder, die von der Schließung bedroht waren, weiterbetrieben werden können. Das ist wirklich wichtig. Ich denke, auch mit Blick auf unsere Demokratie ist das wichtig. In den Kommunen erleben die Menschen nämlich, ob das Leben funktioniert oder nicht. Langsam wird es in den Kommunen schwierig, geeignete Gemeindevertreterinnen oder Gemeindevertreter zu finden, weil die nichts mehr bewegen können, weil sie nur noch den Mangel verwalten können. Deshalb müssen wir die Kommunen so stützen, dass sie eine ordentliche Politik vor Ort machen können und sich Politiker nicht von ihrem Nachbarn am Zaun beschimpfen lassen müssen, weil das Schwimmbad geschlossen wird. Ich denke, das ist auch mit Blick auf unser Demokratieverständnis ganz wichtig. (Beifall bei der SPD) Peu à peu sorgen wir dafür, dass die Kommunen wieder mehr Handlungsspielräume bekommen. Deshalb ist heute ein guter Tag. Weitere Bausteine folgen: Wir entlasten die Städte, Gemeinden und Kreise mit jährlich 1 Milliarde Euro. Das sind keine Peanuts, das ist auch kein popeliger, kleiner Mosaikstein, sondern das ist ein dicker Brocken. 1 Milliarde Euro muss man erst einmal im Haushalt haben, und zwar jährlich. Die Entlastung erfolgt im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz. Ich finde schon, dass das erfolgreiches Regierungshandeln ist. Ich würde mir jedoch wünschen, dass es im Gegenzug auch in den Ländern gutes und faires Regierungshandeln gäbe. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir erwarten, dass unser gutes Bundesgeld auch wirklich zur Erreichung der vereinbarten Ziele eingesetzt wird: zur Entlastung der Kommunen und zur Stärkung der frühkindlichen Bildung. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das war das Grundkonzept!) – Das ist das Grundkonzept. – Da ist jeder von uns gefordert. Auch die Grünen sind gefordert, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) in den Ländern, in denen sie mitregieren, genau darauf zu achten, dass das so gemacht wird. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Da könnt ihr euch nicht aus der Verantwortung stehlen!) Liebe Ekin Deligöz, ich mache mit Hessen ein weiteres Negativbeispiel auf. Hessen nimmt jedes Jahr 345 Millionen Euro vorneweg aus dem kommunalen Finanzausgleich, und die Kommunen stehen da und müssen bluten. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hessen muss echt ein Trauma sein für Sie!) Ich denke: Guckt mal genau hin, was die Länder, in denen ihr mitregiert, treiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit einem weiteren Baustein – einem unserer wichtigsten – werden wir die Kommunen bei der Finanzierung von Kinderkrippen und Kitas weiter unterstützen. Das bestehende Sondervermögen wird ausgebaut. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen, 550 Millionen Euro sind für mich keine Peanuts, sondern das ist richtig viel Geld, das den Kommunen bei der Förderung der frühkindlichen Bildung wirklich hilft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Daneben stellen wir in 2017 und 2018 weiteres Geld für die Betriebskosten in den Ländern zur Verfügung, nämlich zweimal 100 Millionen Euro, insgesamt also 200 Millionen Euro. Wir wissen doch alle, wie wichtig eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Wir wissen insbesondere aber auch, dass die frühkindliche Bildung für jedes einzelne kleine Persönchen die besten Startchancen ins Leben bietet, und das ist doch auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Deshalb ist es gut, dass der Bund hier unterstützt. Ich erinnere an dieser Stelle ausdrücklich wieder an die Verantwortung der Länder. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, eine qualitativ hochwertige Betreuung unserer Kinder zukunftsfest zu gestalten. Das machen die Kommunen, und wir beteiligen uns daran, obwohl wir gar nicht so gefordert sind wie die Länder. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir müssten das gar nicht!) Deshalb ist es einfach ein Unding, dass die Grünen hier die Qualität kritisieren, während ihr Land Hessen das einzige Land ist, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Etwas anderes als Hessen haben Sie nicht?) das eine Vereinbarung über die verbindlichen Qualitätsstandards, Frau Dörner, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie nicht auf der Platte! Spärlicher Notnagel, sage ich nur!) nicht mitunterzeichnet hat. Vielleicht hinterfragen Sie das einmal. Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung: Das Wort „zukunftsvergessen“ kann ich aus dem Mund der Grünen nicht mehr hören. Sie haben es heute allein dreimal gesagt, und in den letzten Debatten war das auch so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es -wehtut! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist das ja das richtige Wort!) Ich finde, wir betreiben wirklich eine nachhaltige Politik und müssen uns das nicht sagen lassen. Abschließend lege ich Ihnen noch einmal die Zuständigkeit der Länder ans Herz. Ich lege Ihnen aber auch den Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, noch einmal ans Herz. Liebe Opposition, lassen Sie Ihre kleinkarierte Mäkelei! (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!) Stimmen Sie zu! Ich finde, das ist ein guter Tag für die Kommunen und für die jungen Familien in unserem Land. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das Wort der Abgeordneten Christina Schwarzer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Hoffentlich sind auch ein paar Ministerpräsidenten vor den Bildschirmen, die diese Debatte heute verfolgen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ja, hier ist ja keiner von denen!) – Die haben anderes Wichtiges zu tun. Ich bin sehr stolz, jetzt gerade hier zu stehen, weil ich glaube, heute ist ein ganz besonderer Tag für die Familienpolitik. Wir beschließen nachher nicht nur ein Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, sondern wir tun heute auch wieder etwas für die Kindertagesbetreuung und den Kitaausbau. Das ist uns und mir persönlich ganz wichtig. Deswegen ist heute ein guter Tag für die Familienpolitik. – Liebe Katja Dörner, ich hoffe, du hast dich wieder ein bisschen beruhigt. Das hat mir Sorgen gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat sich gar nicht aufgeregt! Sie müssten sie mal erleben, wenn sie sich aufregt!) – Jetzt müssen Sie mir auch zuhören. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung ist sowohl gesellschaftlich als auch volkswirtschaftlich eine bedeutende Aufgabe für unser ganzes Land: Gesellschaftlich ist er das deswegen, weil unsere gesamte Gesellschaft vor dieser Aufgabe steht. Die Familien brauchen Wahlfreiheit – der Kollege Rainer hat das heute schon angedeutet –, und damit meine ich echte Wahlfreiheit. Die Politik darf den Eltern kein bestimmtes Betreuungsmodell für ihre Kinder vorschreiben. Wir müssen es ihnen aber ermöglichen, einen guten Betreuungsplatz zu erhalten, wenn sie ihn benötigen. Volkswirtschaftlich ist er das nicht etwa deswegen, weil es sich schlicht um haushalterische Ausgaben in den Kommunen und Ländern sowie um den Etat von Minister Schäuble handelt, sondern er ist es deshalb, weil die Investition in eine gute Betreuung unserer Kinder eine Investition in die Zukunft ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Bund und wir haben das erkannt. Das zeigt vor allem auch der Gesetzentwurf, über den wir in wenigen Minuten abstimmen werden, mit Entlastungen von 1 Milliarde Euro pro Jahr in den Jahren 2015 bis 2017 für Länder und Kommunen. Dazu kommen natürlich noch die uns allen bestens bekannten 6 Milliarden Euro für Kitas, Schulen und Hochschulen. Ganz abgesehen von dem Anteil, der für den Bereich Kita vorgesehen ist, geht es auch beim BAföG um sehr viel Geld: Allein mit der vollständigen Übernahme der Finanzierung des BAföG zum Jahresbeginn 2015 entlastet der Bund die Länder jährlich um 1,2 Milliarden Euro. Ich erinnere aber noch mal gern an die letzte Legislaturperiode: (Sönke Rix [SPD]: Ungern!) Der Bundestag hat damals die größte finanzielle Entlastung der Kommunen in der Geschichte unseres Landes beschlossen, nachdem Rot-Grün die entsprechenden Belastungen seinerzeit auf die Kommunen abgewälzt hatte. Durch die vollständige Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sparen Länder und Kommunen zwischen 2012 und 2017 rund 25 Milliarden Euro. Ich gehörte damals zwar noch nicht dem Deutschen Bundestag an, war aber in meiner Heimatkommune Berlin-Neukölln politisch verantwortlich. Daher kann ich mich besonders gut daran erinnern, welchen positiven Stellenwert diese Entlastung für die Kommunen hatte. Neben den fiskalischen Vorteilen war sie vor allem auch ein Zeichen: ein Zeichen dafür, dass wir die Kommunen bei ihren vielfältigen Aufgaben unterstützen. Genau das hat der Bund nie so stark getan wie in diesen Jahren. Ich erinnere auch an die 5,4 Milliarden Euro für den Ausbau der U-3-Kinderbetreuung, die Finanzierung des Bildungs- und Teilhabepaketes, die Unterstützung der Kommunen bei der frühkindlichen Bildung und auch die Hilfe bei der Bewältigung der Flutschäden im Jahr 2013. Auch wenn für eine auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen die Länder zuständig sind, lässt der Bund die Kommunen nicht allein. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die Kommunen finanziell dauerhaft und nachhaltig auszustatten. Unsere Politik zeigt Wirkung: Im Jahr 2013 belief sich der Überschuss der kommunalen Ebene auf insgesamt 1,7 Milliarden Euro. Für 2014 und 2015 rechnen wir mit einem Überschuss der Kommunen zwischen 2 und 3 Milliarden Euro. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Gut, dass das mal gesagt wird!) – Gern. – Dass die Entlastungen wirken, kann man auch an den gestiegenen Investitionen der Kommunen sehen: Im vergangenen Jahr hat sich diese Quote um 8,4 Prozent erhöht. Da ich weiß, dass ganz viele Kollegen hier in diesem Haus noch in der Kommunalpolitik aktiv sind, bin ich mir sicher, dass unsere Herzen heute auch für die Kommunalpolitik schlagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube allerdings, man muss im Detail sehr aufpassen, wer was bezahlt; denn Länder und Kommunen müssen ebenfalls ihren Beitrag leisten, unter anderem dadurch, dass sie die bereitgestellten Mittel verab-redungsgemäß und bedarfsgerecht einsetzen. Als ehemalige Kommunalpolitikerin weiß ich, dass hier große Versuchungen bestehen, anders zu verfahren; aber wir hier im Deutschen Bundestag müssen darauf achten, dass die Verabredungen eingehalten werden. Wichtig ist außerdem, dass das Geld bei den Kommunen ankommt. Ich bin diesbezüglich ganz bei den kommunalen Spitzenverbänden und verspreche den Kommunen, dass wir das im Blick haben und es auch einfordern werden. Es kann nicht sein, dass schon jetzt einzelne Länder das Geld lieber für die Sanierung des Landeshaushalts nutzen möchten, anstatt es an die Kommunen weiterzugeben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ziel dieses Gesetzes ist ganz klar, die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu verbessern; das haben wir schon im Koalitionsvertrag versprochen. Wir sprechen im vorliegenden Gesetzentwurf von den Faktoren Qualität und Quantität. Zum Thema Quantität habe ich schon einiges gesagt: Hier müssen Länder und Kommunen die finanzielle Mehrausstattung bedarfs-gerecht einsetzen. Das Geld des Bundes sollte genau dort für den Ausbau von Kitaplätzen eingesetzt werden, wo der Bedarf ist. Wir wollen, dass dort neue Kitaplätze entstehen, wo sie von den Familien gebraucht werden. Ich kann Ihnen von Erfahrungen aus Berlin berichten, wo man sich um einen Kitaplatz bewirbt, wenn man im vierten Monat schwanger ist. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist erschreckend!) – Das ist erschreckend. – Deswegen freue ich mich, dass wir heute dieses Gesetz auf den Weg bringen. Aber auch bei der Qualität schaffen wir ein Novum: Erstmals legt ein Bundesgesetz hier Anforderungen fest. Wir wollen beispielsweise, dass es in der Kita ein gesundes Mittagessen gibt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; aber für mich hat auch das etwas mit Qualität zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auch das Thema Sprachförderung hat für mich mit -Qualität zu tun. Als Abgeordnete einer Kommune, die Einwohner aus über 160 Nationen beheimatet, kann ich sagen, dass Sprachförderung mancherorts sogar das wichtigste Qualitätskriterium ist. Eine halbe Milliarde Euro stellen wir in dieser Legislatur dafür zur Verfügung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn es um die Qualität geht, muss auch bedacht werden, dass einzelne Länder, sogar einzelne Kommunen innerhalb eines Landes völlig unterschiedlichen Herausforderungen gegenüberstehen. Das fängt zum Beispiel beim Personalschlüssel an. Um den gleichen Qualitätsstandard sicherzustellen, kann eine Kita in meinem Bezirk in Berlin-Neukölln, möglicherweise einen völlig anderen Erzieher-Kind-Schlüssel benötigen als eine Kita im Taunus oder in der Uckermark. Womöglich gibt es auch völlig unterschiedliche Anforderungen an die Sprachförderung oder andere individuelle Förderbedarfe, die ausschlaggebend für die Qualität der Betreuung sind. Unser föderales System hat das gut geregelt. Die -gemeinsam von Bund und Ländern entwickelten Qualitätsstandards sind sinnvoll. Die Ausgestaltung und -Anpassung müssen aber im Verantwortungsbereich der Länder und der Kommunen bleiben und damit auch die finanzielle Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben die Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren an vielen Stellen entlastet, und wir entlasten sie weiter. Dazu haben wir uns entschieden, weil wir dies für den richtigen Weg gehalten haben. Dann darf man aber auch einmal einen Blick darauf werfen, wie die Länder diese Entlastungen nutzen. Der Kollege Marcus Weinberg bringt in diesem -Zusammenhang gern ein Beispiel aus seiner Heimatstadt Hamburg vor. In der Hansestadt ist seit dem 1. August 2014 die fünfstündige Grundbetreuung in Kita und -Kindertagespflege von der Geburt bis zur Einschulung beitragsfrei, und zwar für alle, für die alleinerziehende Mutter aus Hamburg, aber auch für den Bundestags-abgeordneten Marcus Weinberg. (Zurufe von der CDU/CSU) Nun ist es nicht so, dass ich dem Kollegen diese Entlastung nicht gönne. Aber man kann sich schon einmal fragen, ob es nicht ein besserer Weg gewesen wäre, die finanziellen Mittel in den Ausbau der Betreuungsplätze oder gar in die Qualität der Betreuung zu stecken. Qualität ist in diesem Zusammenhang übrigens ein gutes Stichwort. Hamburg ist eines der Länder mit dem schlechtesten Betreuungsschlüssel. Der Betreuungsschlüssel ist zwar nicht das einzige Kriterium für Qualität in der Betreuung, aber ein wichtiges Kriterium. -Gerade vor diesem Hintergrund sehe ich die Nutzung der entlastenden Mittel des Bundes in Hamburg sehr kritisch. Als letzte Rednerin kann ich mich darauf freuen, dass wir jetzt – hoffentlich mit großer Mehrheit – diesem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kinder-tagesbetreuung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3443, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/2586 und 18/3008 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbeamtengesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/3248 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklung einer zivilgesellschaftlich ausgerichteten Präventions- und Deradikalisierungsstrategie im Bereich des gewaltbereiten Islamismus Drucksache 18/3417 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 j sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 33 a: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes Drucksache 18/3253 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/3448 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3448, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 18/3253, anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer dagegen stimmt, möge jetzt aufstehen. – Wer sich enthält, möge aufstehen. – Niemand. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen auch in dritter Lesung angenommen. Tagesordnungspunkt 33 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – Sofortprogramm für Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller-Gemmeke, Doris Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schluss mit Sonderwelten – Die inklusive Gesellschaft gemeinsam gestalten Drucksachen 18/1949, 18/977, 18/2878, 18/3208 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1949 mit dem Titel „Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut garantieren“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/977 mit dem Titel „Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – Sofortprogramm für Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2878 mit dem Titel „Schluss mit Sonderwelten – Die inklusive Gesellschaft gemeinsam gestalten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkte 33 c bis 33 j. Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen unseres Petitionsausschusses. Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 c auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 120 zu Petitionen Drucksache 18/3338 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 120 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 121 zu Petitionen Drucksache 18/3339 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 121 auf Drucksache 18/3339 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 33 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 122 zu Petitionen Drucksache 18/3340 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 122 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 123 zu Petitionen Drucksache 18/3341 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 123 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 124 zu Petitionen Drucksache 18/3342 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 124 auf Drucksache 18/3342 ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 33 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 125 zu Petitionen Drucksache 18/3343 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 125 angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke; keine Enthaltungen. Tagesordnungspunkt 33 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 126 zu Petitionen Drucksache 18/3344 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 126 angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 33 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 127 zu Petitionen Drucksache 18/3345 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 127 angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 3 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiewende durch Kohleausstiegsgesetz absichern Drucksachen 18/1673, 18/2904 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2904, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1673 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 3 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kohleausstieg einleiten – Überfälligen Strukturwandel im Kraftwerkspark gestalten Drucksachen 18/1962, 18/2906 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2906, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1962 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Damit sind wir mit diesen Abstimmungen am Ende. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zum Erreichen der Klimaschutzziele 2020 Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Abgeordnete Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Klimakonferenz hat schon begonnen. Nächste Woche wird die Bundesumweltministerin daran teilnehmen, aber auch wir als für die Klimapolitik zuständige Mitglieder des Umweltausschusses. Das Ziel der Konferenz ist, dass die Erderwärmung um nicht mehr als 2 Grad ansteigt. Was die einzelnen Länder, zum Beispiel Deutschland, dafür tun, um dieses Ziel zu erreichen, ist von entscheidender Bedeutung. Deutschland war lange Zeit Vorreiter, und alle blicken auch weiterhin auf Deutschland. Deshalb ist es absolut notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das Ziel der CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2020 erreicht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn es scheitert, hätte das verheerende Folgen, weil die anderen Länder dann natürlich fragen würden: Wenn nicht einmal Deutschland es schafft, seine Klimaziele zu erreichen, warum sollten wir das dann tun? Auch die Bundesregierung hat erkannt, dass bisher zu wenig gemacht worden ist und dieses Ziel mit den bisherigen Maßnahmen nicht erreichbar ist. Sie hat deshalb nachgesteuert und gestern im Kabinett einen Klimaschutzaktionsplan vorgelegt. Das Ergebnis ist allerdings enttäuschend. Denn dieser Aktionsplan enthält viele Prüfaufträge, vage Ankündigungen und Doppelbuchungen, kurzum: Versprechungen, die auf dem Prinzip Hoffnung beruhen, und viel heiße Luft. So geht es nicht, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Mit diesem Plan werden wir das Ziel, bis 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, nicht erreichen. So wird es nicht machbar sein. Warum? Eine Reduzierung um 40 Prozent ist sehr ambitioniert. Wir müssen in den nächsten Jahren dreimal so ambitioniert sein wie in den Jahren zuvor. Das heißt, jeder Bereich muss einen Beitrag leisten. Wir müssen von heute bis 2020 den CO2-Ausstoß noch um insgesamt 200 Millionen Tonnen reduzieren. Der Energiebereich stellt davon einen Block von 40 Prozent. Wer wie die Bundesregierung und insbesondere der Wirtschaftsminister behauptet, der Energiebereich erbringe nur einen minimalen Anteil von 22 Millionen Tonnen bzw. 10 Prozent, wird dieses Ziel nicht erreichen können. Wir müssen auch den Kohlebereich einbeziehen. Sonst wird es nicht gelingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele sagen, 40 Prozent seien total viel; das sei doch viel mehr, als die anderen erbringen. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass momentan in Deutschland mit 9,4 Tonnen pro Kopf mehr CO2 ausgestoßen wird als durchschnittlich in der EU mit 8,6 Tonnen pro Kopf. Wo entstehen die meisten Emissionen? Dort, wo Kohle verbrannt wird. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat einen Pro-Kopf-Ausstoß von 16 Tonnen CO2. Es ist entscheidend, dass wir auch die Kohle einbeziehen. Das macht auch die Bundesregierung. In ihrem Projektionsbericht, den der Wirtschaftsminister gestern erwähnt hat, sagt die Bundesregierung – das, was 2013 gesagt wurde, wurde dieses Jahr bestätigt –, dass der Energiebereich allein mithilfe der alten Maßnahmen eine Reduzierung von 71 Millionen Tonnen bis 2020 erbringen muss. 71 Millionen Tonnen! Zusätzlich fordert der Wirtschaftsminister 22 Millionen Tonnen. Aber gestern war er nicht in der Lage, zu beschreiben, wie die fehlenden 70 Millionen Tonnen erbracht werden sollen. Null Maßnahmen, null Ideen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Professor Schellnhuber hat gestern im Umweltausschuss noch einmal deutlich gemacht: Zwei Drittel der fossilen Energien müssen in der Erde bleiben, wenn wir das 2-Grad-Ziel noch erreichen wollen. Das bedeutet, dass die Kohle langfristig keine Zukunft hat. Wir müssen den Betroffenen die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist, dass wir nicht abrupt, wohl aber peu à peu aus der Kohle aussteigen müssen. Die Betroffenen wollen Planungssicherheit. Diese sollten die Politik und insbesondere der Bundestag ihnen geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen also die politische Kraft, hier etwas zu tun. Sogar Eon hat bemerkt, dass die erneuerbaren Energien die Zukunftsenergien sind und Arbeitsplätze schaffen. Eon sollte nicht schneller als der Wirtschaftsminister sein. Dieser hat gestern auf einer Pressekonferenz gesagt, er investiere 1 Milliarde Euro in den Gebäudebereich, was erhebliches privates Kapital akquirieren und schließlich zu neuen Arbeitsplätzen führen werde. Dazu kann ich nur sagen: Richtig, das führt zu neuen Arbeitsplätzen. Klimaschutz führt zu Arbeitsplätzen. Sonst ist immer die Rede davon, der Ausbau der erneuerbaren Energien sei zu teuer; er wird mit hohen Preisen gelabelt. Dabei wird vergessen, dass Kohle mit Arbeitsplätzen gelabelt wird. Oft wird Klimaschutz als teuer und arbeitsplatzvernichtend gelabelt. Das ist unverantwortlich. Klimaschutz schafft Arbeitsplätze und vernichtet nicht Arbeitsplätze. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem beschlossenen Programm lässt sich das Ziel einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent nicht erreichen, weil die Kohlekraftwerke keinen Beitrag erbringen müssen. So sollen die Energieeffizienz und die Elektroautos den notwendigen Beitrag erbringen. Das ist ein Sammelsurium. Wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen. Aber Herr Schäuble will die schwarze Null und will kein Geld für ein Investitionsprogramm für die Zukunft bereitstellen. Dann wird es nicht funktionieren. Was wir jetzt nicht erreichen, müssen wir den Menschen später viel stärker und schlimmer zumuten. Das heißt, wir verlieren nur Zeit, wenn wir uns nicht rechtzeitig um den Klimaschutz kümmern. Ich sage daher ganz deutlich: Wir alle, der Bundestag und der damalige Umweltminister Gabriel, haben gemeinsam die Zielvorgabe einer CO2-Reduktion von 40 Prozent beschlossen. Diese Bundesregierung muss endlich Verantwortung übernehmen und entsprechend wirksame Maßnahmen umsetzen. Das bedeutet, dass die Kohle einbezogen werden muss. Sonst wird es nicht gelingen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Haus schon einige Male darüber diskutiert, wie Deutschland seine Klimaziele erreichen wird. Heute kann ich sagen: Wir übernehmen diese Verantwortung. Wir haben geliefert. – Allen Unkenrufen zum Trotz hat das Bundeskabinett gestern die Aktionsprogramme zum Klimaschutz und zur Energieeffizienz beschlossen. Damit zeigen wir, dass wir klar hinter unserem nationalen Klimaziel stehen, und das ist auch gut so. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrte Frau Höhn, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum, ja, das sind keine Widersprüche, sondern sie können und müssen Hand in Hand gehen. Man kann mit Klimaschutz auch Arbeitsplätze schaffen und keine vernichten; aber dafür muss man es richtig machen. Mit dem neuen Aktionsprogramm setzen wir deshalb auf Anreize, auf Information, auf Beratung, auf Technologieoffenheit und nicht auf Zwang, und das ist der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat bisher auch nicht funktioniert!) Denn ordnungsrechtliche Maßnahmen auf nationaler Ebene wirken nicht nur wettbewerbsverzerrend für unsere Unternehmen, sondern sie helfen dem Klima unter dem Strich auch nicht. Es ist nämlich so: Wenn wir in Deutschland durch nationale Gesetzgebung in den Bereichen CO2 reduzieren, die dem Emissionshandel ohnehin unterliegen, dann werden Emissionszertifikate frei, und der Preis sinkt noch weiter. Diese dann noch billigeren Emissionszertifikate werden dann von anderen europäischen Staaten billig gekauft, und CO2 wird dort in die Luft geblasen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus dem Markt nehmen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb mehr tun! „Aus dem Markt nehmen!“ sagt die Kollegin!) Deshalb müssen wir auf nationaler Ebene konsequent auf den Bereich setzen, der nicht vom Emissionshandel erfasst ist, und das ist vor allem der Gebäudebereich, der Bereich der Gebäudesanierung. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau richtig!) Hierzu enthalten die Aktionsprogramme konkrete Maßnahmen, wie die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung, die Aufstockung und Verstetigung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms und die Weiterentwicklung der bestehenden Energieberatung sowie viele weitere konkrete Maßnahmen. Den größten Anreiz schaffen wir mit der steuerlichen Förderung von energieeffizienten Gebäudesanierungsmaßnahmen; denn in diesem Bereich liegt ein erhebliches Einsparpotenzial. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es gibt Berechnungen, die besagen, dass eine Erhöhung der Gebäudesanierungsquote von derzeit 0,8 Prozent auf 3 Prozent pro Jahr bis 2020 ein Einsparpotenzial von sage und schreibe 46 Millionen Tonnen CO2 bringen würde. Diesen Hebel müssen wir so weit wie möglich nutzen. Ich bin daher sehr froh, dass unser Herzensanliegen, die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung, in beide Programme aufgenommen wurde. Der Bund hat sich damit klar zur steuerlichen Förderung bekannt und hat sich für eine Förderung nicht nur der Komplettsanierung, sondern auch einzelner Maßnahmen ausgesprochen. Meine Damen und Herren, in sämtlichen letzten Debatten zu diesem Thema hat es von Ihrer Seite immer wieder Zwischenrufe gegeben, dass Finanzminister Schäuble sich bewegen und sich klar zur steuerlichen Förderung bekennen soll. Mit den Aktionsprogrammen hat er, hat der Bund das jetzt gemacht. Nun sind die Länder am Zug. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich kann nur ganz klar an die Länder appellieren: Bewegt euch! Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, alle haben landeseigene Klimaschutzgesetze oder -programme verabschiedet. Liebe Landesfürsten dieser Bundesländer, lassen Sie sich eines sagen: Sie werden Ihre Ziele nicht erreichen, wenn Sie bei der steuerlichen Förderung nicht mitziehen und weiterhin kneifen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bayern hat am Dienstag im Ministerrat beschlossen, eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen. Wir brauchen jetzt ein positives Signal aus den Bundesländern. Also lassen Sie uns keine Zeit verlieren und das endlich machen. Dies bringt nicht nur den Klimaschutz ein gewaltiges Stück voran, sondern es wäre auch ein effizientes Investitionsprogramm für unser heimisches Handwerk und den Mittelstand. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Jeder Euro, der in Sanierungsmaßnahmen investiert wird, löst mindestens 8 Euro an Folgeinvestitionen aus, wenn nicht sogar noch mehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Aktionsprogramm müssen alle Sektoren einen angemessenen Beitrag leisten, nicht nur der Gebäudebereich, sondern auch die Energiewirtschaft, die Industrie, die Kreislaufwirtschaft, der Verkehr und die Landwirtschaft. Dieses Paket ist eine gute Grundlage, auf der wir aufbauen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, natürlich ist klar, dass Sie „immer höher, weiter, besser“ sein wollen. Aber ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie einmal mit einem Satz anerkannt hätten, dass es gelungen ist, genau zum richtigen Zeitpunkt – vor dem Klimagipfel in Lima – diese Aktionsprogramme zu verabschieden. Ich möchte an dieser Stelle nur noch eines sagen: Jürgen Trittin und die damalige Bundesregierung haben sich im Herbst 2000 ein nationales Klimaschutzziel – 25 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2005 – gesetzt. Dieses Ziel wurde 2005 verfehlt. Wir setzen nun alles daran, dass uns das nicht passiert. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 ist schon ein starkes Stück, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja, finden wir auch!) nicht nur was die Dramatik der letzten Wochen, sondern auch die Vorstellung des Regierungsprogramms gestern betrifft. Wir haben lange hin und her überlegt, gerechnet und abgewogen. Ob Sie es nun glauben oder nicht: (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nein!) Wir finden, dass der heimliche Coup dieses Maßnahmenpakets – es geht darum, die Lücke bei den deutschen Klimaschutzzielen bis 2020 zu schließen – die Summe an Einsparungen im Kraftwerksbereich ist. Wenn es also wirklich stimmt, was sich rechnerisch aus dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 ergibt, nämlich die Gesamt-emissionen der Energiewirtschaft in den kommenden Jahren bis 2020 auf 284 Millionen Tonnen herunterzufahren: Hut ab! Dann haben Sie uns entgegen unseren Bedenken wirklich überrascht; denn das wäre eine Verdreifachung im Tempo der bisherigen CO2-Einsparung in diesem so schmutzigen Sektor – und das in nur fünf Jahren. (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!) Lassen Sie uns für das Protokoll jetzt festhalten: Die SPD-geführten Ministerien planen, im Energiesektor 93 Millionen Tonnen einzusparen, bezogen auf 2012. – Ich finde, dafür kann man ruhig mal applaudieren. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) Jetzt an Sie, Frau Hendricks, die Frage: Können Sie – Sie reden ja gleich – hier noch einmal ausdrücklich bestätigen, dass Sie den Kraftwerkspark auf 93 Millionen Tonnen Einsparung bis 2020 verpflichten wollen? (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks, wollen schon, aber machen nicht!) Dann hoffen wir, dass den großen Ansagen auch Taten folgen. Gestern hat Herr Gabriel gegenüber der Presse gesagt, diese Bundesregierung werde im ersten Quartal 2015 eine gesetzliche Grundlage schaffen, nicht nur für die 71 Millionen Tonnen Einsparung, die sowieso vorgesehen sind, sondern auch für die 22 Millionen Tonnen zusätzlich, also für das gesamte Paket von 93 Millionen Tonnen CO2-Einsparung der Energieindustrie. Dafür hat die Regierung gestern auch schon ein verhaltenes Lob von Greenpeace erhalten. Es wird gemunkelt, dass der nationale Kohleausstieg, den die Linke seit längerem fordert, wenn auch über andere Mechanismen, etwa über die Reform des Strommarkts, eingeleitet werden soll; Stichwort: Kapazitätsreserve. Schmutzige Kohlekraftwerke gehen vom Netz und stehen für Zeiten bereit, in denen wir für Netzstabilität und Versorgungssicherheit schnell und zuverlässig konventionelle Energien benötigen. Dem Klima wäre damit auf jeden Fall geholfen; denn jeder Tag, an dem die Kohleschlote nicht qualmen, ist ein gewonnener Tag fürs Weltklima. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich meine, das ist schon verrückt: Die zwei Kohlekraftwerke Neurath und Niederaußem in Nordrhein-Westfalen verpesten zusammen mit dem Kraftwerk Jänschwalde in Brandenburg die Luft so stark wie die Schweiz und Ecuador zusammen. Hier müssen wir ran; sonst nimmt uns in Lima und Paris wirklich niemand ernst! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auf keinen Fall darf das Klimaschutzprogramm ein reines Propagandainstrument im Vorfeld der UN-Klimakonferenz sein. Frau Ministerin, so geht das natürlich nicht: sich international abfeiern lassen und die angekündigten Errungenschaften dann zu Hause nicht umsetzen. Wir wollen, dass Sie Wort halten. Noch ein Wort zu den übrigen Maßnahmen bei der Effizienz und im Verkehr. Da müssen die meisten Ressorts ihren Beitrag noch leisten. Die Frage ist nun, was am Ende hinten rauskommt; das ist klar. Im konkreten Fall heißt das: Lässt sich mit dem Aktionsprogramm tatsächlich das 40-Prozent-Minderungsziel erreichen, (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja!) und zwar volkswirtschaftlich sinnvoll und sozial gerecht? (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja!) Da schaut es weniger toll aus. Denn es handelt sich bei den meisten übrigen Maßnahmen um solche, die die Bundesregierung nicht wirklich in der Hand hat. Sie setzen auf Freiwilligkeit, und zwar ganz. Zum Schluss noch zur sozialen Komponente des Aktionsprogramms. Es wird von uns Linken ja erwartet, dass wir auch dazu etwas sagen. Da findet man etwas im Bereich Gebäudesanierung, beim Stromspar-Check und bei der Stromsparinitiative. Allerdings wird hier überall nur geprüft, unter anderem, ob Zuschüsse für Energiespargeräte bei einkommensschwachen Haushalten mit Hartz IV verrechnet werden müssen. Das ist für mich ein Skandal. Wenn so die soziale Absicherung der Energiewende ausschauen soll, dann gute Nacht! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Für die Bundesregierung erteile ich das Wort Frau Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich gefragt, ob die Grünen wohl heute noch glücklich sind, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind zutiefst traurig über das komische Maßnahmenpaket!) Ich habe dann gedacht: Möglicherweise nutzen sie sie als Chance, um aus dem nörgelnden Abseits herauszukommen, in das sie sich seit gestern begeben haben. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Ja, genau!) Bedauerlicherweise haben Sie das nicht vor. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ihre Rede hat mich wirklich enttäuscht, Frau Höhn, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, wie die 70 Millionen erbracht werden sollen, Frau Hendricks!) zumal ich Sie fachlich und als Mensch durchaus schätze. Umso mehr erstaunt es mich, dass Sie wider besseres Wissen erneut das vortragen, was Sie schon gestern vorgetragen haben. Offenbar haben Sie in den vergangenen 24 Stunden nicht die Chance genutzt, sich unser Klimaaktionsprogramm einmal gründlich anzusehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Offenbar sind Sie auch nicht bereit, das zu akzeptieren, was der Bundeswirtschaftsminister gestern hier in der Befragung der Bundesregierung dem deutschen Parlament gesagt hat, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt, dazu sind wir nicht bereit! Das ist richtig! Weil er Quatsch erzählt hat!) mit der Verbindlichkeit, die die Aussage eines Mitglieds der Bundesregierung vor dem deutschen Parlament hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen es nicht sagen, sondern machen!) Seine Aussage war, dass er die Umsetzung bei der Stromerzeugung noch im ersten Halbjahr des nächsten Jahres gesetzlich regeln wird. Das ist auch die Antwort für Sie, Frau Kollegin Bulling-Schröter: Das ist diesem Parlament gestern vom zuständigen Wirtschafts- und Energieminister mitgeteilt worden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die International New York Times hat heute auf der ersten Seite eine Überschrift, die sinngemäß lautet: Deutschland verdoppelt seine Anstrengungen bei der Bekämpfung des Klimawandels. – Das wird sogar in New York wahrgenommen. Aber Ihnen ist das nicht gelungen; Sie sind vielleicht ein bisschen zu nah dran. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die tageszeitung, die normalerweise nicht im Verdacht steht, den Grünen sehr fern zu stehen, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte? Also wirklich, Frau Hendricks! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie wohl was verpasst!) schreibt heute: Denn bei aller Kritik im Detail hat die Große Koalition wesentlich mehr zustande gebracht, als viele Klimaschützer ihr zugetraut hätten. Und: Dennoch ist die Art und Weise, in der die Opposition die Pläne verteufelt, nicht gerechtfertigt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Süddeutsche Zeitung schreibt heute: Insofern ist das Klimapaket dieser Bundesregierung kein schlechter Anfang. Es enthält viele kleine Ideen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, kleine Ideen! Genau! Ganz kleines Karo ist das! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von der Überprüfung alter Heizungen bis zur Energie-Selbsthilfegruppe in der Industrie. Es sind Kleckerles-Ideen nur, aber sie summieren sich – in Bereichen, in denen sich die Dinge nur zäh verändern lassen. „Sie summieren sich“; viele kleine Dinge summieren sich: Das dürfte auch Ihnen aus der Mathematik bekannt sein. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Na ja, man darf aber auch nicht zu viel erwarten!) Und es klotzt dort, wo ein schnellerer Umbau nötig und möglich ist: bei der Stromerzeugung. Bei der Stromerzeugung! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?) – Ich werde das jetzt nicht noch einmal sagen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vielleicht können Sie uns ja mal sagen, warum Sie die ganze Zeit nur aus der Zeitung vorlesen!) Die zusätzlichen 22 Millionen stehen in diesem Programm. Dabei geht man von der Projektion der alten Bundesregierung aus. Der Wirtschaftsminister hat es hier gestern ausdrücklich und mehrfach erläutert; genau so ist es. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, wie er das erbringen soll! 70 Millionen mal eben! Hallo! – Gegenruf der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Dann machen Sie doch mal einen Plan!) – Tja, es ist in der Tat nicht so einfach. Wir müssen unsere Anstrengungen mehr als verdoppeln. Denn in der Vergangenheit haben wir für den Klimaschutz bzw. zur Erreichung des CO2-Minderungsziels von 40 Prozent tatsächlich nicht genug getan. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Exakt!) In den 90er-Jahren hatten wir etwa 14 Prozent Minderung. Das ist im Wesentlichen durch den industriellen Abbau in der ehemaligen DDR entstanden. Das war nicht im eigentlichen Sinne Klimaschutzpolitik, sondern das ist so geschehen – im Wesentlichen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau, ja!) In den Jahren von 2000 bis heute haben wir etwa 11 Prozentpunkte Minderung hinbekommen. Wir sind jetzt bei 25 Prozent – das haben Sie in der vorigen Woche richtig erkannt, Frau Kollegin Höhn –, und wir würden ohnehin, wenn wir nichts weiter tun würden, im Jahr 2020 zwischen 32 und 35 Prozent erreichen. Diese Lücke von 5 bis 8 Prozent schließen wir jetzt. Diese „Sowieso-Erreichung“ umfasst unter anderem natürlich auch die Projektion der alten Bundesregierung. Es dürfte Ihnen bekannt sein, dass die EVU ungefähr 50 Kraftwerksblöcke zur Stilllegung angemeldet haben – eben weil sich der Energiemarkt so entwickelt, wie er sich entwickelt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und neue gehen ans Netz! Das ist ein Nullsummenspiel, Frau Hendricks! Das ist Mathematik!) Wenn 50 Kraftwerksblöcke zur Stilllegung angemeldet werden, wird das doch irgendeine Art von Auswirkung auf den CO2-Ausstoß haben; das können doch selbst Sie, Herr Krischer, nicht leugnen. Das wird doch wohl so sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich kommt es darauf an, die Energiewende zum Erfolg zu bringen. Die Energiewende ist ja dazu da, das Klima zu schützen. Wir wollten natürlich alle gemeinsam aus der Atomenergie aussteigen – aus vielen guten Gründen, aber gerade nicht wegen des Klimas; deswegen hätten wir es nicht tun müssen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Ja, das stimmt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Deswegen ist es doch völlig klar, dass die erneuerbaren Energien an erster Stelle den nicht mehr produzierten Atomstrom klimafreundlich ersetzen. Wir sind im Moment bei 28,5 Prozent Stromproduktion aus erneuerbaren Energien, und es wird, wie wir alle wissen, nach 2022 keine Atomstromproduktion in Deutschland mehr geben. Wir haben uns aber alle vorgenommen, im Jahr 2050 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Mit anderen Worten: Den Atomstrom denken wir uns dann mal weg; denn er hört ja 2022 auf, also müssen wir ihn im Jahr 2050 nicht mehr in Rechnung stellen. Wenn wir also von einem Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien im Jahr 2050 ausgehen, sieht diese unsere Zielprojektion einen Anteil von 20 Prozent aus fossiler Energie vor; ich weiß jetzt nicht, ob aus Kohle oder Gas; das kann man mit den heutigen Methoden nicht vorhersagen. Das hängt auch davon ab, wie sich der Markt entwickelt. Aber das bedeutet doch, dass es völlig selbstverständlich ist – es ist ein System kommunizierender Röhren –: In dem Maße, wie die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zunimmt, nimmt die Stromproduktion aus fossiler Energie ab; denn wir haben uns in unserem Wirtschaften – trotz Wirtschaftswachstum – von der Stromproduktion abgekoppelt: Wir verbrauchen weniger Energie, obwohl wir Wirtschaftswachstum haben. Also gehen wir davon aus, dass wir nicht sehr viel mehr Strom brauchen werden als heute. Das wird man annehmen können; denn bisher ist es uns ja gelungen, das voneinander abzukoppeln. Das wird auch unsere Zielrichtung bleiben, dem dienen auch alle Effizienzstrategien. Das liegt auf der Hand und ist auch im Interesse der deutschen Wirtschaft – aus Kostengründen und um bei der Technologie weiter voranzukommen. Wenn dies also so ist, dann haben wir doch ein gemeinsames Interesse daran, im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen, die in der Energieversorgung tätig sind, diesen Pfad so zu beschreiben, dass es nicht zu Brüchen kommt – weder aus der Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder deren Unternehmen noch bei der Versorgungssicherheit. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Je mehr Zeit wir dafür haben, umso besser! Nicht zu spät damit anfangen!) Darum geht es doch: diese nächsten 35 Jahre gemeinsam ins Blickfeld zu nehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es geht nicht darum, heute aus der Stromproduktion mithilfe fossiler Energien auszusteigen; denn auch 2050 gehen wir immer noch von mindestens 20 Prozent fossiler Energie in der Stromproduktion aus. Vielmehr geht es darum, gemeinsam einen vernünftigen Pfad zu beschreiben und ihn auch gesetzgeberisch auf den Weg zu bringen, und dies hat der Bundesminister für Wirtschaft und Energie gestern in diesem Parlament angekündigt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und wie!) Nehmen Sie doch einfach zur Kenntnis: Es hat in den vergangenen Jahren hier in Deutschland Versäumnisse gegeben, was den Klimaschutz anbelangt. (Dirk Becker [SPD]: So ist das! Jawohl!) Auch heute noch haben wir in Deutschland einen höheren Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 als China. Es ist klar: Das wird bei denen mehr, weil die Chinesen ein höheres Wirtschaftswachstum haben als wir. Deswegen müssen sie natürlich besonders viel tun, weil sie ja zusammen mit den Vereinigten Staaten für fast 50 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Aber wir sind, was den Pro-Kopf-Ausstoß angeht, noch keine Musterschüler, sondern, wie gesagt, noch etwas schlechter als die Chinesen. Das müssen wir also auch international ins Blickfeld nehmen. Es ist unsere Aufgabe, darauf zu achten, dass wir das hier ohne Brüche sozialverträglich hinbekommen. Sie sollten bereit sein, zu akzeptieren, dass man für den Klimaschutz in der Bundesrepublik Deutschland die Zustimmung der Menschen auch auf Dauer braucht, und nicht nörgelnd im Abseits verharren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie gerade kaputt mit solchen Reden!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Andreas Jung, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem gestrigen Beschluss zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und zum Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz macht die Bundesregierung eines sehr deutlich: Wir stehen zu der deutschen Verantwortung im Klimaschutz. Wir halten an dem Ziel einer Reduktion der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent, das Bärbel Höhn zu Recht als ein ambitioniertes Ziel bezeichnet hat, fest. Dieses Ziel gilt, und daran wird nicht gerüttelt. Es werden Maßnahmen umgesetzt, um die Lücke, die es noch gibt, zu schließen, um das Ziel zu erreichen, um die Stellung Deutschlands im Klimaschutz zu verfestigen. Das wird gemacht. Darauf zählen wir. Als Beauftragter der Union für Klimaschutz sage ich: Für all das hat die Bundesregierung unsere Unterstützung und darüber hinaus – dessen bin ich sicher – auch eine breite Unterstützung im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es sind in dieser Debatte schon einige Fragen zu diesem Aktionsprogramm aufgeworfen worden. Ich will darauf eingehen. Eine Frage war: Welches ist der Beitrag im Bereich Strom, im Bereich der Energiewirtschaft? Dazu macht dieses Programm eine ganz klare Ansage. Diese Ansage lautet: Es muss bis zum Jahr 2020 ein zusätzlicher Reduktionsbeitrag von 22 Millionen Tonnen CO2 erbracht werden. Es wird genauso deutlich, schwarz auf weiß, dargelegt, was „zusätzlich“ heißt. Zusätzlich heißt: Es wird Bezug genommen auf den Projektionsbericht der Bundesregierung, der besagt: Bis zum Jahr 2020 ist ohnehin, auch ohne dieses Programm, mit einem Rückgang der durch die Energiewirtschaft verursachten CO2-Emissionen um 71 Millionen Tonnen zu rechnen. Das steht auf Seite 14 im Aktionsplan. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das habe ich gestern zitiert!) Wenn Sie beides zusammenrechnen, dann kommen Sie auf eine CO2-Einsparung in Höhe von 93 Millionen Tonnen bis 2020. Es geht jetzt darum, dass, wie es angekündigt wurde, im nächsten Halbjahr ein Gesetz umgesetzt wird, das sicherstellt, dass das kommt, was erwartet wird, und dass das obendrauf kommt, was jetzt vereinbart wurde. Dann werden wir diesen Reduktionsbeitrag der Energiewirtschaft erreichen. Und so muss es kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich wissen wir, dass es nicht nur, aber auch um die Kohle geht und dass das Ganze nicht funktionieren wird, ohne dass der Anteil der Kohle ganz erheblich zurückgeführt wird. Es wird deshalb jetzt die Frage gestellt: Ist das der Einstieg in den Ausstieg aus der Kohle? Ich weise dazu auf zwei Beschlüsse hin, die wir hier mit einer ganz großen Mehrheit getroffen haben. Das eine ist der Beschluss, dass erneuerbare Energien die tragende Säule der Energieversorgung werden – nicht mehr Kernenergie, nicht Kohle, auch nicht Fracking, nein, erneuerbare Energien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Zweite ist der Beschluss, den wir heute Abend mit der Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Konferenz in Lima wiederholen werden, dass wir die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 2050 gegenüber 1990 um 80 bis 95 Prozent zurückführen. Beides zusammen beschreibt, dass wir nicht von heute auf morgen und über Nacht aus der Kohle aussteigen können. Aber es geht jetzt darum, Schritt für Schritt einen immer geringeren Anteil der Kohle an unserem Energiemix zu erreichen. Das müssen wir angehen: sozial verträglich, wirtschaftlich vernünftig, aber vor allem auch mit Nachdruck und Verlässlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist Energieeffizienz angesprochen worden. Ich bin froh, dass wir mit dem Aktionsplan endlich ein Programm haben, das beschreibt, wie wir es schaffen, den schlafenden Riesen Energieeffizienz – so bezeichnen wir das seit vielen Jahren – aufzuwecken und mit diesen Maßnahmen so viel Emissionen einzusparen, wie Bremen und Thüringen zusammen ausstoßen. Das ist ein großer Wurf, den es umzusetzen gilt. Im Aktionsplan sind die Ausschreibung im Bereich der Energieeffizienz sowie die Aufstockung des Gebäudesanierungsprogramms vorgesehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles ungedeckte Schecks!) Sie weisen zu Recht darauf hin: Nicht alles kann die Bundesregierung allein machen. – Für manches brauchen wir die Länder. Sie von der Grünenfraktion haben im Bundestag gesagt: Steuerliche Förderung und Gebäudesanierung werden am Bundesfinanzminister scheitern. – Es ist nicht an ihm gescheitert. Der Vorschlag der Bundesregierung liegt jetzt auf dem Tisch, und damit liegt der Ball bei Ihnen, bei den Länderregierungen, auch und gerade bei denen, die grün und rot geführt sind. Ich habe noch nichts von Herrn Kretschmann gehört; ich habe noch nichts von Frau Kraft gehört. Wir warten auf das Signal der Länder, dass sie sagen: Ja, das setzen wir gemeinsam um. – Denn Klimaschutz ist keine Aufgabe der Bundespolitik, sondern der Bundesrepublik. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Der müssen wir gemeinsam gerecht werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sabine Leidig, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Anerkennung – sozusagen im Großen und Ganzen – hat meine Kollegin Eva Bulling-Schröter gerade schon mit Blick auf den großen Brocken Energiepolitik zum Ausdruck gebracht. Ich möchte mich mit einem anderen Brocken beschäftigen, der auch nicht ganz klein ist: Das ist die Verkehrspolitik. Immerhin machen die CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor 20 Prozent der Gesamt-emissionen aus. Das ist die Anerkennung, die ich für diesen Bereich aussprechen wollte – Sie haben sich ja einen Satz gewünscht –: Sie haben in Ihrem Klimaschutzbericht immerhin festgehalten, dass es ein relevanter Bereich ist und dass er im Unterschied zu den anderen Sektoren eine steigende Tendenz im CO2-Ausstoß aufweist. Deshalb muss man sich mit dem Verkehrssektor ganz besonders beschäftigen. Das ist das Gute, dass Sie es festgestellt haben. Schlecht ist aber, dass es offensichtlich überhaupt kein Konzept dafür gibt, wie man diesen steigenden Tendenzen begegnen kann. Sie stoppeln eine ganze Reihe von Maßnahmen zusammen, die ohnehin schon laufen, die halbherzig sind, die nicht mit konkreten Zielen und schon gar nicht mit konkreten Maßnahmen unterfüttert sind. Der BUND hat in seiner kurzen Bewertung geschrieben: Mehr Lücken als Lösungen. – Ich finde, das ist noch ziemlich milde ausgedrückt. Es geht um sehr grundsätzliche Fragen in diesem Bereich. Die FAZ hat vor ungefähr 14 Tagen einen sehr lesenswerten Artikel veröffentlicht, in dem der Autor beschreibt, dass das Kernproblem ist, dass die Politik davon ausgeht, dass sich der Verkehrssektor einfach weiterentwickelt. Die herrschenden Verkehrsprognosen gehen davon aus, dass nach wie vor der Personenverkehr mit 80 Prozent auf der Straße das Entscheidende sein wird, dass der Güterverkehr bleibt, wie er ist, dass der Verkehr insgesamt zunehmen wird. Man hat keinerlei politische Vorstellungen davon, wie man von diesem Wachstum und dieser Zerstörungskraft, die mit dem Verkehr einhergeht, herunterkommt. Das betrifft nicht nur das Klima, sondern auch die Lebensqualität der Menschen. Darauf möchte ich jetzt gar nicht eingehen. Der Autor dieses Artikels hat eine interessante Überlegung angestellt, die ich hier wiedergeben möchte, weil ich glaube, dass er den Kern gut erfasst hat. Er sagt, dass die gemeinsame Verkehrspolitik auf EU-Ebene in den 1990er-Jahren begonnen hat und dass es im Kern zunächst darum ging, zu liberalisieren. Er stellt noch einmal dar – das war mir gar nicht so klar –, dass der Verkehrssektor in Westdeutschland von 1957 bis weit in die 1990er-Jahre sehr streng reguliert war. Es gab beispielsweise Kontingente und Wettbewerbsbeschränkungen, die verhindert haben, dass sich eine unendliche Flut von Lkw auf die Straßen ergießt, dass es immer mehr Anbieter gab, die miteinander im Wettbewerb hätten stehen können, und dass der Wettbewerb zur Schiene systematisch organisiert wird. Er sagt, das alles – auch die Entwicklungen im Flugverkehr, die Billigfluglinien, die aus dem Boden schießen, die ganzen regionalen Flughäfen, die mit enormen Summen öffentlich bezuschusst werden – sei ein Ergebnis der Liberalisierung. Er sagt, dass es inzwischen Zeit sei, darüber nachzudenken, ob der Trend nicht umgekehrt werden muss. Genau das ist aus unserer Sicht das Richtige. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine systematische Politik, die reguliert und dazu führt, dass die zerstörerischen Verkehre reduziert werden. Es gibt einige Maßnahmen, die da sehr probat sind. Eine wichtige Maßnahme wäre zum -Beispiel, die Kosten anzulasten. Die Umwelt- und Verkehrsverbände haben vor einigen Monaten eine sehr schöne Studie vorgelegt: „Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland“. Ich will nur zwei Zahlen herausgreifen: Wenn man die Dieselsubventionen abschaffen würde, die den Diesel insbesondere für den Lkw-Verkehr verbilligen, würde man nur in Deutschland 6,6 Milliarden Euro einsparen, die dann für andere Maßnahmen zur Verfügung stünden – ganz zu schweigen von den vielen Milliarden Euro, die jedes Jahr in Form direkter und indirekter Investitionen für den Flugverkehr aufgewendet werden, obwohl der Flugverkehr dem Klima am meisten schadet. Würden wir diese Subventionen streichen, könnten wir locker 10 Milliarden Euro einsetzen, um den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und systematisch zu den Leuten zu bringen. Wir könnten mit diesem Geld Fahrradwege bauen und Stadtumbauprogramme finanzieren. Es wäre aus meiner Sicht notwendig, dass so etwas im Klimaschutzpaket enthalten ist. Ich hoffe sehr, dass es Ihnen in dieser Debatte gelingt, die Betonköpfe im verkehrspolitischen Bereich zu bewegen und da eine Trendwende herbeizuführen; denn sonst wird dieser Sektor vieles von dem zunichtemachen, was an anderer Stelle schon auf einen guten Weg gebracht worden ist. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Bundesregierung macht … Ernst beim Klimaschutz.“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja, Anton Hofreiter, ich wusste genau, dass du jetzt lachst. – Dieses Zitat kommt nicht von Matthias Miersch, sondern von Tobias Münchmeyer von Greenpeace; er hat es gestern gesagt. Ich finde, es zeigt, dass eure Kritik überzogen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich finde, in einer solchen Debatte – im Übrigen vielen Dank, dass wir sie hier führen dürfen – ist es vielleicht auch angezeigt, zu sagen, dass das berühmte Bild von dem halbvollen oder halbleeren Glas immer wieder auf die Politik angewendet werden kann. Wer in den letzten Jahren die Klimaschutzpolitik in diesem Haus -erlebt hat und nun auf den gestern vorgelegten Plan blicken kann, der weiß, dass ein Mitglied dieses Kabinetts etwas geschafft hat, was wirklich eine Herkulesaufgabe gewesen ist. An dieser Stelle möchte ich Barbara Hendricks danken. Sie hat einen wichtigen Etappensieg errungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde auch – jetzt müssen die Koalitionäre ein bisschen weghören –, es hat sich als gut erwiesen, dass wir jetzt Umwelt und Wirtschaft zusammendenken -können. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Insofern gilt mein Dank auch Sigmar Gabriel. Aber mein Dank gilt auch der Bundeskanzlerin; denn wenn man im Vorfeld verfolgt hat, wie versucht worden ist, das Ganze wieder ins neue Jahr zu verschieben, dann weiß man, dass es ohne sie auch nicht möglich gewesen wäre. Insofern ist es ein guter Tag. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Jetzt höre ich aber mit dem Dank auf; denn es liegt noch vieles vor uns. Um einzuordnen, ob in der Politik etwas gut oder schlecht ist, muss man immer die Reaktionen als Parameter wählen. Ich habe die Reaktionen am gestrigen Tag sehr aufmerksam verfolgt. Da gab es die massive Kritik der Grünen. Es gab aber auch – das will ich an der Stelle sagen – Kritik von einigen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU zu hören. Ich habe mich – das will ich hier sagen, weil jetzt nicht alle hier im Plenum sind, die sich gestern dazu geäußert haben – sehr über eine Aussage des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Michael Fuchs geärgert. Das widerlegt im Übrigen die These der Grünen, dass die Pläne zur Reduktion von zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 die Energiekonzerne wieder veranlassen würden, dagegen zu klagen. (Zuruf von der SPD: Das kann doch wohl nicht wahr sein!) Er verglich das Ganze mit den Klagen gegen den Atomausstieg. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Fuchs hat schon in der letzten Legislaturperiode Verantwortung getragen. Maßgebliche Begründung für die Klagen der Konzerne gegen den Atomausstieg ist die Laufzeitverlängerung und dann die Rolle rückwärts. So jemand, denke ich, sollte sich mit Kritik zurückhalten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Danke für den Applaus der Grünen. Jetzt wieder zu Ihnen. Ich finde, dass das, was wir gestern vorgelegt haben, genau das ist, was in den letzten Jahren vermisst worden ist, nämlich dass wir den -Konzernen auch Investitionssicherheit bieten und ihnen sagen: Ihr müsst bis 2020 das, was ohnehin geplant war, einsparen, aber ihr könnt zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das ist ein klarer Ordnungsrahmen, an den sich die Konzerne zu halten haben und der auch Investitionssicherheit gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Bärbel Höhn, du sagst, das stimme doch nicht, und du fragst, wie denn das Konzept aussehe. Dazu sage ich: Man kann das hier wahrscheinlich immer wieder herunterbeten, aber ihr wollt es nicht hören oder wahrnehmen. Wir haben alle immer gesagt: Wie das gesetzlich verankert wird, wird sich im nächsten halben Jahr entscheiden. Ich schlage euch vor, dass ihr regelmäßig in den -Sitzungswochen weitere Aktuelle Stunden beantragt. Dann können wir euch das immer wieder erklären. Ich bin mir sicher: Im Sommer werden wir euch ein Konzept vorlegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Heiterkeit bei der SPD – Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber weil bei den Aktuellen Stunden immer ganz wenig Zeit ist, will ich nur noch eine Sache sagen, was auch die Medien und die Politik betrifft. (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das, was wir gestern vorgelegt bekommen haben, ist das, was die Regierung geliefert hat. Daran anschließen muss sich doch ein breiter Diskussionsprozess nicht nur innerhalb der Regierung, sondern auch innerhalb des Parlaments; denn wir werden hier viele Gesetze diskutieren, beraten und auch entscheiden müssen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!) Deswegen, glaube ich, ist das eine Vorlage, die in keiner Weise Anlass bietet, sich zurückzulehnen, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch nicht so gut!) sondern sie ist Motivation für alle, die sich dem Klimaschutz verschrieben haben. Insofern glaube ich, dass es ganz entscheidend ist, auch in diesen Plan ein Monitoring einzubauen, damit man immer wieder transparent verfolgen kann, wie weit wir mit den jeweiligen Zielen gekommen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn wir wissen alle: Ein warmer Sommer, ein kalter Winter kann alles wieder verändern. Insofern ist das ein wichtiger Schritt für mehr Klimaschutz und, wie ich finde, ein wichtiger Schritt für mehr Glaubwürdigkeit auch auf internationalem Parkett. Barbara Hendricks, vielen Dank für dein Engagement! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wald- und Wiesenphilosophie hören wir jetzt! – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Jetzt steigt die Temperatur um 2 Grad! – Gegenruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man nichts tut, wird es noch wärmer!) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Umweltministerin! Wenn ich der SPD und inzwischen auch Teilen der CDU zuhöre, (Dagmar Ziegler [SPD]: Das machen Sie ja leider nicht!) muss ich immer an den Soziologen Ulrich Beck denken, der einmal etwas sehr Kluges zu solch einer Art von Sprache gesagt hat: verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen schauen wir uns doch einmal ganz entspannt an, wie die Realität ausschaut. Die Frau Ministerin hat davon gesprochen, dass es in der Vergangenheit Versäumnisse gab. Nun, die Versäumnisse will man allerdings nicht zur Kenntnis nehmen; denn wir wollen, wie auch sie zugestanden hat, 40 Prozent CO2 bis zum Jahr 2020 einsparen. Wir sind wahrscheinlich bis zum Ende dieses Jahres bei minus 25 Prozent. Das heißt, es fehlen noch 15 Prozent und nicht 5 bis 8 Prozent, von denen immer die Rede ist. Nein, wir betrachten einfach nüchtern die Realität. Es fehlen 15 Prozent. Diese 15 Prozent müssen wir schaffen, um das Klimaschutzziel zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wir bieten Ihnen einmal eine Rechenstunde an!) Sie können jetzt entspannt den Kopf schütteln und protestieren, aber an der Realität, dass 40 minus 25 15 ergibt, kommen auch Sie nicht vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie begründen Ihre Politik – 40 minus 25 ergibt angeblich nicht 15 – damit, dass der Klimaschutz sowieso, von selbst, passiert. Er passiert einfach, weil eine vergangene Regierung etwas gemacht hat, weil vielleicht Schwarz-Gelb etwas gemacht hat oder weil, wie gerade angesprochen, die Winter wärmer werden. Betrachten wir ganz nüchtern und entspannt, was in den letzten fünf Jahren geschehen ist. Wir haben eine CO2-Reduktion von plus/minus null, das heißt, wir sind längst vom Reduktionspfad abgewichen, und zwar seit ziemlich genau fünf Jahren. Das ist die Realität. (Zuruf von der CDU/CSU: Und warum?) Schauen wir uns an, was bei diesem „Sowieso-Pfad“ in den einzelnen Sektoren Realität ist. Was ist im Bereich der erneuerbaren Energien in Sachen Wärmeerzeugung passiert? Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeerzeugung ist von 11 auf 9 Prozent gesunken. Schauen wir uns den Bereich Elektromobilität an. Es sollte inzwischen 1 Million Elektrofahrzeuge geben, im Moment sind nur 24 000 Elektrofahrzeuge auf der Straße. Das ist lächerlich. Das heißt: Man dümpelt vor sich hin. Schauen wir uns den Bereich KWK an. Hiermit sollte ein Beitrag zur Stromersparnis von 25 Prozent erreicht werden. Was ist im Bereich KWK passiert? Die Kraft-Wärme-Kopplung stagniert; also auch hier passiert nichts. Schauen wir uns den Bereich Kohle an. Hier geht es doch nicht darum, die Kohlekraftwerke einfach abzuschalten, ohne andere Kraftwerke ans Netz zu nehmen. Bei der momentanen Auseinandersetzung geht es um etwas ganz anderes. Die Frage ist doch: Sollen Kohlekraftwerke aus der Zeit Konrad Adenauers – nichts gegen Konrad Adenauer; da ist spannende Wertarbeit gemacht worden –, die noch wunderbar funktionieren, vom Netz genommen werden, oder sollen drei, vier oder fünf Jahre alte hocheffiziente Gaskraftwerke vom Netz genommen werden? Ich frage Sie: Welche Investitionen wollen Sie entwerten? Die Investitionen in alte Kohlekraftwerke der 60er-Jahre oder die Investitionen in die hocheffizienten Gaskraftwerke des 21. Jahrhunderts? Sie haben sich dafür entschieden, die hocheffizienten Gaskraftwerke zu entwerten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Das ist doch Blödsinn! Meine Güte!) All das zeigt: Ihr „Sowieso-Pfad“, den Sie unterstellt haben, existiert nicht. Hier war davon die Rede, dass die erneuerbaren Energien die tragende Säule werden sollen. Ja, verbal ist das richtig-verbale Aufgeschlossenheit. Aber schauen wir uns doch ganz nüchtern die Realität an, seitdem Sie, seitdem die Große Koalition regiert, an der jetzt die SPD beteiligt ist; vorher war es Schwarz-Gelb. Was ist seitdem auf dem Markt der erneuerbaren Energien passiert? Was ist im Bereich Photovoltaik passiert? So wie es aussieht, haben wir auf dem Photovoltaikmarkt einen Einbruch von minus 40 Prozent zu verzeichnen, und das soll die tragende Säule sein? (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch totaler Unsinn!) Sie machen gerade den Markt für Photovoltaik in Deutschland kaputt, und dann reden Sie gleichzeitig davon, dass er die tragende Säule sein wird. Das hat nichts mit verbaler Aufgeschlossenheit zu tun! Vielmehr streuen Sie den Menschen Sand in die Augen. Sie verarschen die Leute. Sie tun das Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten. Das ist eine Frechheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Wortwahl ist eine Frechheit!) Wenn Sie wirklich eine CO2-Reduktion um 40 Prozent erreichen wollen, dann reicht es nicht, 38 Prüfaufträge zu erteilen. Lassen Sie die schönen Worte weg, und handeln Sie real! Ich muss ehrlich zugeben: Ich hätte nie gedacht, dass ich einer Bundesregierung, an der die SPD beteiligt ist, einmal sagen muss: Nehmen Sie sich beim Klimaschutz doch bitte Eon zum Vorbild. Wer hätte sich das jemals träumen lassen? (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Miersch [SPD]: Da wäre ich vorsichtig!) Eon hat erkannt, dass Kohle, dass Erdgas, dass die fossilen Energien die Vergangenheit und die erneuerbaren Energien die Zukunft sind. Für eine Regierung, an der die SPD beteiligt ist, ist das wirklich armselig. Lassen Sie die schönen Worte. Orientieren Sie sich nicht nur an Ulrich Beck. Handeln Sie endlich vernünftig! Handeln Sie endlich im Sinne des Klimaschutzes! Erkennen Sie endlich an, dass wir noch weitere 15 Prozent einsparen müssen. Tun Sie nicht so, als wäre alles auf einem guten Weg. Tun Sie nicht so, als wäre das hier eine Heiapopeia-Veranstaltung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Kai Wegner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Wegner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Anton Hofreiter, ja, die Vorgaben der Bundesregierung zum Erreichen der Klimaschutzziele sind ehrgeizig. Ich finde, sowohl in den Worten der Ministerin als auch in den Worten der Koalitionsredner ist deutlich geworden, dass wir anerkennen, dass diese Ziele ehrgeizig sind, aber auch, dass wir sie für erreichbar halten und dass wir alles tun werden, um sie zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Lieber Anton Hofreiter, wenn Sie betonen, dass die Ministerin Versäumnisse aus der Vergangenheit zugegeben hat, was ich absolut unterstreichen kann, dann gestehen Sie doch endlich auch ein, dass es gerade in Ihrer Regierungszeit, dass es unter Umweltminister Jürgen Trittin, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In meiner Regierungszeit?) dass es in der Regierungszeit von Bündnis 90/Die Grünen maßgebliche Versäumnisse gab. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zehn Jahre her!) Das wäre einmal eine Anerkennung von Verantwortung. Sie haben Ziele aufgestellt, und Sie haben sie noch in derselben Legislaturperiode ad acta gelegt. Das ist verantwortungslos. Diese Regierung handelt sehr viel verantwortlicher. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, wir werden die Energiewende gestalten – wir haben große Ziele –, aber wir wollen diese Energiewende gerade nicht gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher gestalten und auch nicht gegen die Wirtschaft. Unser Ziel ist und bleibt es, die Energiewende sozialverträglich und wirtschaftlich vernünftig zu gestalten. Wir wollen die Menschen von der Energiewende überzeugen. Wir wollen sie mitnehmen, und wir wollen ihnen dabei nichts aufzwingen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz legt die Bundesregierung nun ihre Effizienzstrategie für diese Legislaturperiode fest. Wichtige Elemente dabei sind erstens die Einführung der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung, zweitens die Aufstockung der Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und drittens die wettbewerblichen Ausschreibungen von Energiesparprojekten mit einem angestrebten Fördervolumen im dreistelligen Millionenbereich. Das zeigt einmal mehr, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht nur gut für das Klima sind, dass sie nicht nur gut für die Energieeffizienz sind, sondern dass sie auch gut sind für den Mittelstand, für das Handwerk, für Arbeitsplätze in unserem Land. So müssen wir die Energiewende verstehen und gestalten. Unser Land benötigt eine umfassende und ganzheitliche Gebäudestrategie. Hierbei darf nicht nur die energetische Optimierung im Vordergrund stehen, sondern es muss auch um die optimale Nutzung des Gebäudes und des urbanen Raums gehen. Der Energieeffizienz im Gebäudebereich kommt dabei eine Schlüsselstellung zu; denn durch fachgerechtes Sanieren und moderne Gebäudetechnik lassen sich bis zu 80 Prozent des Energiebedarfs einsparen. Wenn ich mir die drastischen Steigerungen der Mietzusatzkosten, der sogenannten zweiten Miete, anschaue, dann erkenne ich hier auch viel Entlastungspotenzial für Mieterinnen und Mieter. Das sollten wir nutzen. Es gilt, dieses Potenzial zu erschließen – für die Menschen in unserem Land. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ziel muss es sein, die Wirtschaftlichkeit von Energieeffizienzmaßnahmen und Energiesparmaßnahmen zu erhöhen und bestehende Hürden abzubauen. Um diese Maßnahmen noch stärker zu fördern, sind Information und Beratung notwendig. Die Programme müssen noch treffgenauer miteinander verknüpft werden. Auch das haben wir uns als Regierung vorgenommen. Gerade für uns als Union ist es wichtig, dass niemand gezwungen wird. Für uns gelten das Freiwilligkeits- und das Wirtschaftlichkeitsprinzip. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie ja weit gekommen!) Wir werden die Menschen überzeugen. Wir nehmen sie mit. Wir legen unsere Ziele, liebe Frau Kollegin, nicht ad acta; wir wollen sie erreichen. Die Investitionsentscheidungen von heute werden die Zukunft unseres Klimas von morgen bestimmen. Energieeffizienz im Gebäudebereich und energetische Quartiers- und Stadtentwicklung müssen daher eine herausragende Rolle spielen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Wir setzen Anreize, und wir ergreifen Maßnahmen, um dies zu fördern. Besonders hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang die energetische Stadtsanierung. Gefördert werden innovative Maßnahmen, um wirtschaftlich und städtebaulich akzeptable Lösungen für die Stadtquartiere zu finden. Auch und gerade dicht besiedelte Bereiche werden davon profitieren. Das sage ich ganz besonders als Abgeordneter aus Berlin. Wie wichtig dieser Koalition die Energieeffizienzförderung ist, sieht man auch daran, dass die energetische Sanierung auch Teil der Städtebauförderung ist. Deshalb soll die energetische Sanierung auch im nächsten Jahr einen Schwerpunkt im Rahmen des Programms „Nationale Projekte des Städtebaus“ bilden. Auch hieran wird deutlich, wie wichtig das Thema für uns ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wir werden die energetische Gebäudesanierung und die Energiewende weiter vorantreiben. Der Fokus muss dabei auf Maßnahmen liegen, die am meisten nutzen, aber auch am wenigsten kosten. Der uns leitende Gedanke bleibt dabei, die energetische Gebäudesanierung nach dem Prinzip Wirtschaftlichkeit und Freiwilligkeit umzusetzen. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Mit dem Programm der Bundesregierung werden wir das anspruchsvolle Ziel erreichen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade nicht!) Ich lade insbesondere Sie, Herr Hofreiter, und die Kolleginnen und Kollegen der Grünen ein: Kommen Sie aus Ihrer Schmollecke, machen Sie mit! Die Energiewende ist wichtig. Ich lade Sie ein: Wirken Sie mit, und gestalten Sie diese Ziele gemeinsam mit dieser Bundesregierung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das ein Koalitionsangebot? Sie haben uns nichts angeboten, weil Sie vom Klima nur reden, aber nicht handeln!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dirk Becker, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin, ich hatte schon bei dem letzten großen Energie- und Klimaprogramm, den Meseberger Beschlüssen – einem Meilenstein –, die Gelegenheit, in diesem Parlament dabei zu sein, und ich darf feststellen, dass Sie den Abgeordneten heute erstmalig seit dieser Zeit wieder ein komplettes Paket vorlegen, an dem es uns möglich ist, abzulesen, welche Zielgrößen wir in den einzelnen Sektoren haben und welche Maßnahmen bis wann beschlossen und ergriffen werden sollen, was dann auch unsere Aufgabe ist. Dieses Instrument gibt jetzt aber auch der Opposition die Möglichkeit an die Hand, in der Sache zu verfolgen, ob wir Wort halten. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) – Das sollten Sie zunächst einmal auch mit Anerkennung zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn man Parlamentarier ist, dann weiß man, dass das Gesetzgebungsverfahren in den einzelnen Bereichen jetzt noch ansteht. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es tröstlich, dass Sie uns gestatten, das zu verfolgen!) – Nachdem ich Sie hier heute gehört habe, muss ich sagen: Sie sind weder des Lesens noch des Rechnens fähig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielleicht können wir einmal Weiterbildungskurse in Mathematik und im Lesen anbieten. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr großzügig, dass Sie uns erlauben, Ihre Instrumente zu überprüfen! Das zeigt das Demokratieverständnis der Großen Koalition!) Ich hätte nie gedacht, dass ich mich nach den Wortbeiträgen von Eva Bulling-Schröter und den Grünen einmal hierhinstellen und feststellen muss, dass die Linken in Bezug auf eine realistische klimapolitische Betrachtung an den Grünen vorbeigezogen sind. Das finde ich bemerkenswert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Grünen sind in der Schmollecke, was man den Linken oftmals vorwirft. Frau Bulling-Schröter hat ganz klar anerkannt, dass wir ambitionierte Dinge planen – Matthias Miersch hat gesagt, dass auch Umweltverbände dies anerkennen –, und erklärt, dass man uns jetzt kritisch begleiten will. Ja, das müssen Sie. Auch wir werden kritisch darauf achten; denn wir wollen doch die 40 Prozent erreichen. Das hat Andi Jung auch gesagt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch logisch! Das sind doch Ihre Braunkohlefreunde aus Brandenburg!) Aber Sie machen immer nur Klamauk. Ihre eigene Basis fasst sich doch wegen dieses ständigen Klamauks an den Kopf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich versuche jetzt nicht zum dritten Mal, zu erklären, wie es mit den CO2-Minderungszielen aussieht, weil Sie das nicht verstehen wollen. Sie wissen das besser, aber das passt Ihnen nicht in Ihre grüne Marketingstrategie. Das ist das Problem. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für eine schlechte Laune?) Ich möchte noch einige Punkte erwähnen. Frau Ministerin, ich will eine ausgesprochen große Zustimmung zu einigen Punkten der Konkretisierungen im Programm – gerade auch für den Kraftwerksbereich – deutlich machen. Ja, es ist sehr gut, dass Sie beim Thema KWK auch die Anregungen aus dem Parlament aufgenommen haben. Es steht jetzt die eindeutige Zusage im Programm, dass die KWKG-Novelle vorgezogen und zu Beginn der Debatte über das Grünbuch beraten wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das dann gestern im Kabinett abgesetzt?) Bis zum Sommer des nächsten Jahres wird es eine KWKG-Novelle geben, woraus neue Potenziale der CO2-Verminderung erschlossen werden. Das alles steht darin. Wenn man das lesen wollte und lesen würde, dann wüsste man das. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das dann gestern noch von der Kabinettssitzung ausgeschlossen?) Herr Hofreiter, eine Bemerkung noch: Sie stellen sich hierhin und beschreiben ein Phänomen, das Fakt ist. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, nämlich 38 Prüfaufträge!) – Hören Sie doch erst einmal zu. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Fakt!) – Was der Mann hat, will ich jetzt nicht sagen. (Heiterkeit bei der SPD) Jeder hat eine andere Kinderstube genossen. Wenn mir einer etwas sagt, dann höre ich erst zu und meckere dann. Sie meckern erst und hören dann zu – oder auch nie. Ich weiß auch nicht, wie das funktioniert. (Beifall bei der SPD) Fakt ist eines: Ineffiziente Kraftwerke drängen moderne Kraftwerke gegenwärtig aus dem Markt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das hat keiner hier bestritten. Wir alle können energiepolitische Vorgänge nachvollziehen. Aber, lieber Kollege Hofreiter, ich weiß nicht, was Sie zwischen den Sitzungswochen und zwischen den Aktuellen Stunden, die Sie wöchentlich beantragen, sonst so treiben – um Energiepolitik kümmern Sie sich da anscheinend nicht. Denn sonst wüssten Sie, dass wir ein Grünbuch haben und an einem Weißbuch arbeiten, um den Strommarkt zu reformieren, um genau da Abhilfe zu schaffen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr vertagt! Vorbei!) Aber doch nicht mit diesem Klimaprogramm – das ist eine Frage des Strommarktes; doch das begreifen Sie schlichtweg nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist mir wichtig, noch einmal auf die Frage einzugehen: Wie bewertet man klimapolitische Instrumente? Auch ich habe mich geärgert über Darstellungen der letzten Tage, die wieder zu dem Ergebnis kamen, dass Klimapolitik, dass Energieeffizienzmaßnahmen per se eine Bedrohung der Wirtschaft seien, per se Arbeitsplätze infrage stellten. Wer nicht endlich begreift, dass Energieeffizienz, dass Klimaschutz neue Wirtschaftsbereiche, Exportmöglichkeiten gerade für deutsche Unternehmen erschließt, der ist in einer Wirtschaftspolitik des letzten Jahrhunderts stehen geblieben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Herr Kaster, Sie mögen es mir verzeihen: Ich weiß, man darf nicht eine gesamte Fraktion für Einzelmeinungen ständig in Mithaftung nehmen. Darum sage ich es zum Schluss, damit nicht schon vorher ein Aufschrei kommt. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie gar keine Klatscher mehr!) Vizepräsident Peter Hintze: Das mit dem Schluss war gut. Dirk Becker (SPD): Wenn Herr Ramsauer sagt, dass dieses Paket die Anleitung zur Bevormundung und Umerziehung sei und es besser sei, Kohlekraftwerke nach China zu liefern, anstatt diese Dinge zu machen, (Zuruf von der LINKEN) ist es, glaube ich, notwendig, ihm noch einmal zu erklären, warum wir nationale Maßnahmen ergreifen müssen. Ich sage ganz ehrlich: So etwas wie das, was er vorgeschlagen hat, kann man nicht machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das geht auch an der Sache vorbei. Er schädigt doch unsere eigene Regierung, die Regierung, die wir tragen. Von daher – ich hätte ihm das gerne selbst gesagt; aber er ist leider nicht da –: Da müssen wir wirklich zu einer anderen Sprachregelung finden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Aktuellen Stunde und bei knapper Redezeit muss man die Dinge ein bisschen zuspitzen. Deswegen will ich meine Rede einmal wie folgt einleiten: Der 3. Dezember 2014 war ein exquisit guter Tag für den Klimaschutz und ein besonders guter Tag für die Energieeffizienz. Dafür, meine Damen und Herren, danken wir dieser Bundesregierung besonders intensiv. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es geht mir wie vielen anderen Kolleginnen und Kollegen hier: Ich bin mir ein bisschen unsicher darüber, ob wir tatsächlich im Wochenabstand ein bis zwei Aktuelle Stunden zu diesem Thema brauchen, weil diese Aktuellen Stunden von den Grünen leider sehr häufig dazu missbraucht werden, der Bevölkerung Kohlestaub in die Augen zu streuen, und das der Sache nicht dient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Normalerweise würde man zu so was eine Regierungserklärung machen! Warum machen Sie das nicht?) – Herr Krischer, wir haben es beim letzten Mal ausprobiert: Ich hatte mir in meiner letzten Rede ein bisschen was Hübsches für Sie aufgehoben. Sie können sicher sein: Das soll heute nicht anders sein. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe noch nicht geredet! So ist es aber auch nett!) Ich will auf einen Bereich noch zu sprechen kommen, der heute angesprochen worden ist, nämlich den Verkehrsbereich, und einige wichtige Maßnahmen hervorheben. Zum einen geht die Bundesregierung sehr forciert voran, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie geht sehr forciert voran?) was den Bereich der Elektromobilität angeht. Ich will außerordentlich würdigen, dass wir im Bereich der Sonderabschreibungen für E-Mobile einen großen Schritt nach vorne machen. Es wird uns damit gelingen, die Zweitverwertung und dann eben auch die private Anwendung von Elektromobilität in die Breite zu tragen. Das ist wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ein zweiter wichtiger Baustein ist – wir sind stets technologieoffen –, dass wir uns heute schon darüber Gedanken machen, das Steuerprivileg für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben fortzuschreiben. Da wird es im nächsten Jahr große Bewegung geben – auch das halte ich für richtig –, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verminderung der Treibhausgasemissionen. Meine Damen und Herren, ich will die Gelegenheit nutzen – Sie wissen, das liegt mir sehr am Herzen –, hier noch einmal zu skizzieren, dass wir gestern einen besonders guten Tag für die Energieeffizienz hatten, und einige Meilensteine hervorheben. Ich finde an drei Punkten ganz bemerkenswert, was gestern auf den Weg gebracht worden ist: Zum einen ist da die energetische Gebäudesanierung. Da liegen enorme Potenziale. Damit ist die Energiewende tatsächlich handhabbar für jeden Bundesbürger. Damit können wir die Menschen mobilisieren. Die energetische Gebäudesanierung ist nichts anderes als ein enormes Investitionsprogramm für den Mittelstand und das Handwerk, und das liegt uns als Union stets am Herzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dirk Becker [SPD]: Auch der SPD!) – Daran habe ich im Moment keinen großen Zweifel; wir haben ja eine vernünftige Kanzlerin, die da die Leitlinien vorgibt. – Meine Damen und Herren, es ist doch einfach klug, in regionale Wertschöpfung zu investieren, anstatt das Geld für den Einkauf von Kohle, Gas und Öl auszugeben. Ich will allerdings auch sagen – deswegen nutze ich die Gelegenheit, mich an die Grünen zu wenden, gerne –: Es liegt jetzt tatsächlich an Ihnen. Sie sind an einer Vielzahl von Landesregierungen beteiligt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU genauso!) Sorgen Sie dafür, dass die Länder bei der energetischen Gebäudesanierung nicht weiterhin auf der Bremse stehen. Bisher haben Sie nur geredet, aber nicht gehandelt. So geht es nicht weiter. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD]) Meine Damen und Herren, ich finde es beispielhaft, dass wir im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz zum Ausschreibungsmodell kommen. Das ist besonders wichtig, um die Bevölkerung und auch unsere Unternehmen mitzunehmen. Wir gehen damit erstmals in diesem Maßstab einen besonders zukunftsweisenden Weg. Wir bedienen uns marktwirtschaftlicher Instrumente. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit viel zu wenig Geld!) Ich will durchaus zugeben, dass es da noch Luft nach oben gibt. Ich halte es für falsch, diese Energieeffizienzausschreibung nur auf den Strombereich zu konzen-trieren. Ich bin der Auffassung, dass wir auch den Wärmebereich einbeziehen müssen. Insofern bitte ich die Bundesregierung, kurzfristig entsprechende Vorschläge nachzureichen. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Wir haben vorhin über die Beteiligung von Industrie und Handwerk gesprochen. Die 500 Energieeffizienznetzwerke sind meines Erachtens der richtige Weg, um die Bewegung in die Breite zu tragen und damit eine große Mobilisierungswirkung zu erzielen. Deswegen gilt diesen voll und ganz meine Unterstützung. Meine Damen und Herren, ich habe vorhin Herrn Krischer angekündigt – Kollege Hofreiter kann das vielleicht auch übernehmen; es geht um seine Vorgängerin –, noch etwas zum Stand der Klimaschutzpolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu sagen. Ich fand es -äußerst bemerkenswert, dass eine Ihrer führenden Klimaaktivistinnen, Frau Renate Künast, sich gestern mit folgenden Worten gegenüber dem Morgenmagazin geäußert hat. Sie sagte: Eine ganzheitliche Beratung, sozusagen einmal ums Häusle laufen und überlegen, wo kann man mit dem geringsten Mitteleinsatz den höchsten Effekt haben, der ja den Geldbeutel auch entlastet, ja, also, dieses einmal ums Haus Laufen und alle Einzelteile betrachten, so was gibt es als geschlossene, ganzheitliche Beratung bisher nicht. Ich dachte, das wäre eine Fernsehkonserve von Mitte der 90er-Jahre. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Offensichtlich ist die ganze energie- und klimapolitische Debatte an einer Ihrer Vorkämpferinnen komplett vorbeigegangen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen!) Meine Damen und Herren von den Grünen, ich darf Ihnen ermunternd zurufen: Das gibt es alles schon! Im Übrigen laufen sie nicht nur um das Haus herum, sondern gehen sogar hinein. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sagen Sie das bitte Frau Künast. Wenn man weniger redet und mehr handelt, dann wird es gut. Deswegen rufe ich insbesondere der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in großer Fröhlichkeit zu: Willkommen in der Wirklichkeit! Willkommen beim Thema Klimaschutz! Machen Sie einfach mit! Dann wird es prima. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Arno Klare, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Arno Klare (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Leidig, ich fürchte, mit dem, was ich gleich sagen werde, werde ich in Ihren Augen ein Betonkopf bleiben, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist schade!) vielleicht aber auch nicht. Wir stellen fest – das hat der von mir sehr geschätzte Kollege Matthias Miersch festgestellt –, dass wir im Verkehrsbereich noch ein bisschen zu wenig geliefert haben. Was Beiträge zum Erreichen der Klimaschutzziele angeht, ist der Verkehr noch etwas schwach. Gemessen am Bezugsjahr 1990 ist der CO₂-Ausstoß im Verkehrssektor nur um rund 6 Prozent zurückgegangen. Allerdings lag der Peak beim CO₂-Ausstoß im Jahr 1999. Im Vergleich zum Jahr 1999 liegen wir jetzt aber deutlich darunter und sehr nahe an diesem Ziel. Gleichwohl kann der Verkehr mehr leisten und muss mehr leisten. (Beifall bei der SPD) Ich nenne ein paar Vorschläge dazu aus dem vorliegenden Aktionsplan, für den ich mich ausdrücklich bedanke. Ich bedanke mich ausdrücklich für das Prinzip, das dahintersteht, nämlich nicht den Versuch zu unternehmen, den ganz großen Wurf zu unternehmen und mit einem einzigen Schritt auch den letzten Schritt zu wollen – das ist meistens ein Schritt, der ins Leere führt –, sondern in ganz kleinen pragmatischen Schritten zu beschreiben, wie man ein großes Ziel erreicht. Ich kann mich wirklich bei Barbara Hendricks dafür bedanken, dass dieses Grundprinzip durchgehalten wird. (Beifall bei der SPD) Erster Punkt: Elektromobilität. Es ist schon angesprochen worden: Hinsichtlich des internationalen Benchmarks sind wir noch nicht an dem Punkt angekommen, bei dem wir eigentlich sein wollen; das ist vollkommen klar. In Deutschland sind – Stand Juli 2014 – rund 24 000 E-Kfz zugelassen und circa 4 800 öffentliche Ladesäulen installiert. In den Niederlanden fahren etwa 38 000 E-Kfz auf der Straße, und es sind circa 3 700 Ladesäulen installiert. Jeder weiß, dass die Niederlande ungefähr so groß sind wie Nordrhein-Westfalen. Was haben die Niederländer gemacht? Sie haben -finanzielle Anreize gesetzt. Genau das tun wir auch. Insofern wird dieser Hochlauf, wenn man das prozentual betrachtet, bei uns genauso sein. Auf die Wirkung auf die Sekundärmärkte ist vorhin schon sehr treffend hingewiesen worden. Man muss bei den Betriebsflotten anfangen. Nach zwei Jahren gibt es dann auf den Gebrauchtwagenmärkten entsprechende Angebote, die genutzt werden können. Insofern ist es wichtig, genau dort anzusetzen. Das wird mit diesem Plan erreicht. Insofern ist er richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir schwebt hier vor – da greife ich auf, was der Kollege Rimkus immer so treffend sagt –, um die E-Mobilität herum eine positive Geschichte zu erzählen. Wir müssen sie in ein Marketingnarrativ einbetten, das die Menschen verstehen. Es hilft allerdings wenig, wenn vonseiten der Grünen, wie ich der Presse vom heutigen Tage entnommen habe, im Zusammenhang mit der E-Mobilität von Regionalliga gesprochen wird. Das ist wieder despektierlich-kritisch. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist echt schlimm, dass es zu Zeiten der Großen Koalition die Opposition wagt, die Regierung zu kritisieren!) Sie sollten stattdessen den Versuch unternehmen, zu begreifen, dass es kein grünes, kein rotes und kein schwarzes Klima gibt, sondern nur ein gemeinsames. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie uns positiv gestimmt dazu beitragen, dass E-Mobilität funktioniert und bundesligatauglich wird. Zweiter Punkt: Verbesserung des ÖPNV. Gut ist der MIV, der nicht entsteht – mit MIV ist hier der motorisierte Individualverkehr gemeint; das hört sich zufällig genauso an wie das, was dabei hinten herauskommt –, und MIV entsteht nicht, wenn Menschen multimodal und elektromobil unterwegs sind. Das heißt, wenn sie S-Bahnen, Straßenbahnen oder E-Busse nutzen. Das ist wohlgemerkt auch eine der tragenden Säulen des Klima-aktionsplans. Hier allerdings muss ich feststellen, dass meine Vorstellung von notwendiger sowie hinreichender Bundes-finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs mit der aktuell beschlossenen Haushaltsrealität noch nicht vollständig in Übereinstimmung ist. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist aber zaghaft ausgedrückt!) Da wir bald Weihnachten haben, man sich etwas wünschen kann und ich weiß, dass uns dieser Wunsch über den Bundesrat erreichen wird, lassen Sie mich Folgendes sagen: Ich möchte, Kolleginnen und Kollegen, dass wir pro Schienenpersonennahverkehr entscheiden, wenn uns dieser Wunsch im Deutschen Bundestag erreicht, was alsbald der Fall sein wird. Das ist dann auch pro Klimaschutz. (Beifall bei der SPD) Ein dritter Punkt, den ich für sehr wichtig erachte: das Energiesteuergesetz. Es geht darum, dass im Moment Erdgas als Treibstoff begrenzt bis 2018 steuerlich begünstigt wird. Wir hatten vor kurzem ein Gespräch mit Vertretern dieser Branche. Sie haben uns erzählt, dass jetzt Entscheidungen für den Kauf großer Fahrzeugflotten bei öffentlichen Versorgern und auch bei Speditionsunternehmen anstehen. Wir sollten daher möglichst schnell – ich spreche hier vom ersten Quartal 2015 – die Steuerbegünstigung für Erdgas über das Jahr 2018 hinaus verlängern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Abschließend kann man feststellen: Wir haben zwei sehr gute Pläne vorliegen. Wir haben darin ehrgeizige Ziele formuliert, aber eben auch realistische, weil diese Schritt für Schritt umgesetzt werden. Wir werden diese Ziele unterstützen; daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Wir müssen hier weiterdenken; aber das geschieht ja bereits. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zum Schluss dieser Klimadebatte möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf die beiden Redner der Grünen, Bärbel Höhn und Anton Hofreiter, einzugehen. Ich habe bei Ihnen manchmal das Gefühl, dass Sie in einem anderen Land leben oder die Realität bewusst nicht anerkennen. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Die Debatte hat gezeigt, dass wir bei allen energie- und klimapolitischen Zielen in der Welt spitze sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Nein!) Wir setzen uns so hohe und ambitionierte Ziele wie kein anderes Land dieser Welt und sind auch in der Umsetzung, bei der Erreichung der Ziele spitze. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir steigern die Emissionen in Deutschland, Herr Bareiß!) Ich bitte dich, lieber Oliver Krischer, anzuerkennen, welche Erfolge wir in den letzten Jahren gemeinsam erzielt haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass die Emissionen steigen, oder wie? – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Schwafeln seid ihr vielleicht spitze, aber nicht im Handeln!) Ich kann die Erfolge gerne einmal benennen. Im Zusammenhang mit den CO2-Emissionen haben wir uns vorgenommen, den Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu verringern. Vor zwei Jahren haben wir eine Reduktion von 26 Prozent melden können und haben damit die Vorgaben des Kioto-Protokolls übererfüllt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir bei 25 Prozent! Es ist weniger geworden! Es ist nichts passiert!) Das haben nur fünf Länder der Europäischen Union geschafft. Wir werden die gerade vorgestellten Pläne umsetzen, um das 40-Prozent-Ziel bis 2020 zu erreichen. Wir sind auch im Bereich der erneuerbaren Energien in der Welt spitze. Wir haben uns ein Ziel gesetzt, das sich kein anderes Land dieser Welt vorgenommen hat. Wir wollen bis 2025 einen Anteil von 40 bis 45 Prozent erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung. In diesem Jahr haben wir schon 27 Prozent erreicht. Das ist für eine Industrienation wie Deutschland spitze. Ich bitte die Grünen, auch das einmal anzuerkennen. Der letzte Punkt, in dem wir spitze sind, ist die Energieeffizienz, die zum Thema Klimaschutz gehört. Wir wollen bis 2050 unseren Energieeinsatz halbieren und haben es – als einzige Industrienation auch in dem Bereich – schon heute geschafft, unser Wirtschaftswachstum von über 30 Prozent in den letzten 20 Jahren vom Energiebedarf zu entkoppeln. Wir haben in den letzten 20 Jahren 10 Prozent weniger Energie verbraucht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nichts vorangegangen!) Das sind die Erfolge, die wir gemeinsam erzielt haben. Das muss man zum Schluss der Debatte noch einmal feststellen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung hat gestern einen Plan vorgelegt, der klar und deutlich aufzeigt, welche weiteren notwendigen Schritte wir in den nächsten Jahren unternehmen werden. Wir müssen uns mehr anstrengen denn je. Denn uns entgehen – auch das gehört zur Wahrheit in der Debatte – durch den früheren Ausstieg aus der Kernenergie 40 Millionen Tonnen an CO2-Einsparung. Deshalb müssen wir in den anderen Sektoren umso mehr tun, und das wird uns entsprechende Anstrengungen abverlangen. Aber wir sind gemeinsam gewillt, diese Anstrengungen zu unternehmen. Wir wollen aber – das hat die Debatte der letzten Sitzungswoche gezeigt – neben dem Ausstieg aus der Kernenergie in den nächsten Jahren nicht auch noch einen Kohleausstieg voranbringen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so?) Ich bin dankbar, dass Sigmar Gabriel das vor zwei Wochen klargestellt hat. Denn damit würden wir nicht nur die Versorgungssicherheit in unserem Land sträflichst vernachlässigen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst 90 Millionen reduzieren! Das hat Ihr Kollege gerade gesagt! 90 Millionen Tonnen in fünf Jahren!) sondern auch die Wirtschaftlichkeit unserer Energieversorgung, die wir sowohl im privaten Bereich brauchen – die Menschen verlassen sich auf günstige Energiepreise –, als auch in der Wirtschaft, um die Wettbewerbsfähigkeit gerade im energieintensiven Bereich zu gewährleisten. Auch in dieser Hinsicht haben wir eine große Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU) Was mir in dieser Debatte zu kurz kam, ist die europäische bzw. globale Herausforderung, die daraus entsteht. Wenn wir dem Vorschlag der Grünen und anderer in diesem Hause, in den nächsten Jahren einseitig aus der Kohleverstromung auszusteigen, folgen würden, dann würde das den CO2-Ausstoß in Europa kein bisschen reduzieren; denn gleichzeitig würde der CO2-Ausstoß in anderen Ländern steigen. Ich glaube, das kann nicht unser Ziel sein. Wir müssen gemeinsam in Europa die richtigen Weichen stellen. Ein alleiniger Ausstieg Deutschlands innerhalb Europas würde gar nichts bringen. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gleiche Argument wie bei der Atomkraft!) Im Gegenteil: Wir würden dadurch ineffiziente Kraftwerke fördern. Deshalb brauchen wir Europa mehr denn je. Wir brauchen nicht nur Europa, sondern auch die Welt für den Klimaschutz. Wir brauchen vor allem die Hauptemittenten China und die USA. Es gab vor wenigen Tagen von den beiden Ländern eine gemeinsame Erklärung, und es gab auch Reaktionen aus der Fraktion der Grünen, die diese Erklärung begrüßt haben, was mich etwas verwundert hat. Denn China hat in dieser Erklärung klargemacht, dass es in den nächsten 15 Jahren den CO2-Ausstoß weiter steigern wird. Das, was wir in den nächsten sechs Jahren unter größter Anstrengung einzusparen versuchen, schafft China in 25 Tagen an Ausstoß. Diese Größenordnung müssen wir uns vor Augen halten, damit wir erkennen, dass wir ein ganz kleines Licht sind. Deshalb trifft das, was Frau Höhn zu Beginn der Debatte gesagt hat, nicht zu. Es hängt nicht an Deutschland allein, sondern an Europa und den anderen Staaten der Welt. Es müssen alle mitmachen. Ein Alleingang im Bereich des Klimaschutzes wäre auch für Deutschland schädlich. Deshalb brauchen wir weltweit ein gemeinsames Abkommen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf Drucksachen 18/3124, 18/3157 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/3449 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3450 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. – Dann ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die jetzt noch Besprechungen haben, bitte ich, diese außerhalb des Saales fortzusetzen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung Frau Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Heute ist ein guter Tag für Familien; denn nach nicht einmal einem Jahr bringen wir das dritte Gesetz für Familien auf den Weg, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in unserem Land stärken soll. Diese Gesetze helfen berufstätigen jungen Müttern und Vätern, aber auch den Berufstätigen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern. Wir haben zuerst das Elterngeld Plus beschlossen und dann heute den weiteren Kitaausbau. Nun kommen wir zur dritten wichtigen Maßnahme, die zum Ziel hat, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit pflegebedürftigen Angehörigen zu verbessern. Diese drei Gesetze gehören zusammen. Sie sind ein wichtiger Schritt in eine neue Zeit für Familien, in eine neue Balance der Herausforderungen, die Frauen und Männer spüren, die sowohl im Job präsent sein und ihn gut machen müssen als auch kleine Kinder haben, für die sie da sein wollen, und vielleicht sogar noch pflegebedürftige Angehörige. Die Hälfte der Menschen in Deutschland hat in den letzten zehn Jahren Erfahrungen mit Pflege in der Familie gemacht. Die Mehrheit bewertet diese Erfahrungen positiv. Die Bereitschaft, zu pflegen, ist nach wie vor hoch. Wir haben heute eine gute Nachricht für diese Menschen. Wir wollen Familien, die jemanden pflegen, sich um jemanden sorgen, sich um jemanden kümmern, besser unterstützen. Das kann ein junger Mann sein, dessen Vater nach einem Schlaganfall aus dem Krankenhaus entlassen wird und nun pflegebedürftig ist. Das kann eine verheiratete Frau sein, deren Kinder mittlerweile groß sind und die nun spürt, dass sie die letzten Wochen mit ihrer Mutter im Hospiz verbringen will. Das können Eltern sein, deren Kind mit Downsyndrom in einer Einrichtung lebt und am Wochenende nach Hause kommt, oder es können zwei Geschwister sein, die sich gemeinsam um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern. Ich selbst habe in meiner Familie fast alle diese Fälle erlebt. Meine berufstätige und alleinerziehende Cousine, deren behinderter Sohn in einer Einrichtung lebt, hätte sich über eine bessere Unterstützung in ihrer Situation gefreut. Meine Tante, die sich um meine 96-jährige Oma kümmert, gleichzeitig berufstätig ist und einen schulpflichtigen Sohn hat – die anderen beiden studieren –, wird sich sehr freuen, dass wir sie mit diesem Gesetz in ihrem Lebensalltag ganz konkret unterstützen. Diejenigen, die in der Familie zusammenhalten, die für andere da sind, sich sorgen, kümmern und pflegen, haben unsere Anerkennung, unseren Respekt und unseren Dank verdient. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie haben aber auch unsere Unterstützung verdient. Wir unterstützen sie mit der Pflegereform, die Gesundheitsminister Gröhe auf den Weg gebracht hat. Wir unterstützen sie mit dem Ausbau von Kurzzeit- oder Tagespflege und durch die Ausweitung der Leistungen der Pflegeversicherung. Die nächste gute Nachricht kommt heute: das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Es widmet sich erstmalig diesem Thema mit konkreten staatlichen – auch materiellen – Leistungen, unter anderem mit der zehntägigen Auszeit bei einem akuten Pflegefall, wenn beispielsweise der Vater einen Schlaganfall erlitten hat. Natürlich geht es nicht darum, den Vater in zehn Tagen gesund zu pflegen. Aber man hat in Zukunft zehn Tage Zeit, sich zu kümmern und beim Pflegestützpunkt nachzufragen, was man tun kann, die Mobile Wohnberatung anzurufen und zu erfahren, ob die Wohnung umgebaut werden muss, oder beim Stadthaus zu erfahren, wie das alles finanziert wird. Mir ist wichtig, dass es diese Auszeit, in der man sich kümmern und organisieren kann, wirklich für alle gibt. Die zehntägige Auszeit und den Lohnersatz – das ist das Herzstück des Gesetzes – gibt es für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass die Inanspruchnahme dieser Auszeit nicht davon abhängt, ob man Geld hat oder nicht, sondern dass sich diese Zeit jeder und jede leisten kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist zudem möglich, in eine längere Auszeit zu gehen – zum Beispiel 6 Monate in eine volle Auszeit oder 24 Monate in Teilzeit – und in dieser Zeit einen Lohnvorschuss im Sinne eines staatlichen zinslosen Darlehens zu bekommen. Wir wissen, dass in der Vergangenheit kaum jemand dieses Angebot angenommen hat, weil diesen Lohnvorschuss der Arbeitgeber zahlen musste und die wenigsten Arbeitgeber dazu bereit waren, weil damit ein Risiko verbunden ist. Dieses Risiko verlagern wir auf den Staat, und das ist richtig. Es ist richtig, dass der Staat und damit die Gesellschaft mit diesem Gesetz erstmals Verantwortung übernimmt und sagt: Wir lassen diese Familien nicht allein. Wir stellen ganz konkret Geld zur Verfügung für die zehntägige Auszeit und für das zinslose Darlehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch die Möglichkeit eines 6-monatigen Ausstiegs oder einer 24-monatigen Teilzeit mit zinslosem Darlehen haben alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch wenn hier teilweise anderes behauptet wird. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in kleinen Betrieben mit bis zu 15 bzw. 25 Mitarbeitern tätig sind, ist aber Voraussetzung, dass sie das mit ihrem Arbeitgeber absprechen. Das hat einen guten Grund. Freunde von mir haben einen Glasereibetrieb mit zwei Mitarbeitern. Die sagen: Du glaubst doch nicht, dass ich nicht alles dafür tue, dass wir miteinander klarkommen. Wichtig ist die staatliche Unterstützung. – Kleinbetriebe wie dieser machen ihren Mitarbeitern eher als große Betriebe Angebote, weil sie sie und ihre Familien kennen. Sie haben aber größere Schwierigkeiten, für 24 Monate einen Ersatz zu finden. Deshalb habe ich schon bei Einbringung des Gesetzentwurfs ins Kabinett angeboten, dass wir über die Regelung mit bis zu 15 Mitarbeitern noch einmal sprechen. Das haben wir getan. Ich habe diese Woche mit Vertretern des Zentralverbands des Deutschen Handwerks gesprochen. Die Wirtschaft würde es gerne sehen, dass wir eine Ausnahmeregelung für Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern schaffen. Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie meinem Vorschlag gefolgt sind: In Kleinbetrieben mit bis zu 25 Mitarbeitern sollen sich die Betroffenen einigen – das zinslose Darlehen wird auch dort gezahlt –, und in allen Betrieben mit mehr Mitarbeitern haben Beschäftigte einen Rechtsanspruch. Ich finde, das ist eine gute Balance zwischen den Interessen der kleinen Betriebe und den Interessen der Familien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Ausspielen von Gegensätzen ist Politik von gestern. Wirtschaftspolitik und Familienpolitik gehören zusammen. Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, ist dies ein gutes Gesetz, das den Familien in unserem Land helfen wird. 86 Prozent der Handwerksbetriebe machen bereits jetzt Angebote. Auch das berücksichtigen wir. Mit dem Beirat, der das Gesetz begleitet, haben wir die Möglichkeit, die Wirkung des neuen Gesetzes zu beobachten und das Gesetz in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln. Wichtig ist, dass dieses Gesetz jetzt kommt, dass wir uns ganz konkret um Familien kümmern, die füreinander Verantwortung übernehmen, um Familien, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, die einfach das tun, was für unsere Gesellschaft wichtig ist, die solidarisch sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin ist Pia Zimmermann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute den Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Schauen wir zunächst einmal, welche Verbesserungen die Bundesregierung damit anstreben will: Zum einen ist das der gesetzliche Anspruch auf zehn Tage Pflegezeit zur Organisation der Pflege, wenn plötzlich ein Pflegefall in der Familie eintritt. Zum anderen ist es der gesetzliche Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit für einen Zeitraum bis 24 Monate. Das ist dann aber auch schon alles. Durch meine jahrelange Erfahrung in der Pflege weiß ich, welch verantwortungsvolle und wichtige Aufgabe Pflege ist. Ich weiß, wie schwierig es ist, neben einer guten, qualifizierten Pflege noch erwerbstätig zu sein und eine Familie zu organisieren, ganz zu schweigen von den persönlichen Interessen. Glauben Sie im Ernst, dass sich eine plötzlich entstandene Pflegenotwendigkeit in zehn Tagen organisieren lässt? Wissen Sie, wie schwer es ist, Termine bei einem Pflegestützpunkt oder den Kranken- bzw. Pflegekassen zu bekommen? Haben Sie schon einmal ein Pflegebett beantragt und bestellt? Wissen Sie, wie lange das dauert? Sie haben auch keine Antwort darauf, was nach den 24 Monaten Familienpflegezeit passieren soll, und diese Ahnungslosigkeit bringen Sie in Ihrem Gesetzentwurf zum Ausdruck. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir uns den Gesetzentwurf und seine Auswirkungen einmal etwas genauer an: Der erste Fehler ist die falsche Richtung. Sie schieben die Pflegeverantwortung noch stärker in die Familien – weil es kostengünstiger ist –, (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Weil die Menschen das wollen!) anstatt die gesellschaftliche Verantwortung für Pflege auszubauen. Natürlich wollen die meisten Menschen zu Hause gepflegt werden, (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Aha! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das stimmt!) und das gilt es auch jedem zu ermöglichen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das tun wir!) Das heißt aber nicht, dass jeder von Angehörigen gepflegt werden möchte. Wichtig ist doch die Entscheidungsfreiheit, wie Pflege sich gestalten soll. (Beifall bei der LINKEN) Aber solange Sie die Leistungen der Pflegeversicherung nicht deutlich verbessern und eine Stärkung der professionellen Pflege vornehmen, so lange wird es auch keine individuelle Entscheidung über die Pflegebeziehungen – und zwar unabhängig vom Geldbeutel – geben. Das, was Sie als sensationelle Verbesserung in der familiären Pflege verkaufen, sieht folgendermaßen aus: Sie zwingen die Menschen, sich privat zu verschulden, wenn sie die Pflege übernehmen, nicht nur über Arbeitszeitschuldkonten beim Arbeitgeber, sondern auch durch die Darlehensregelung für den Ausgleich der Nettolohneinbuße. Und Sie setzen noch einen drauf: Das Darlehen muss vor Sozialleistungen in Anspruch genommen werden. In der Anhörung fiel einer Sachverständigen dazu nur noch Polemik ein – ich zitiere –: Wer zu wenig verdient, darf aufstocken. Wer pflegt, darf das nicht und muss ein Darlehen aufnehmen. – Meine Damen und Herren, so geht das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Bis gestern haben Sie noch über 5 Millionen Beschäftigte aus Betrieben mit bis zu 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dieser gesetzlichen Regelung ausgeschlossen. Und wie so oft: Kurz vor Toresschluss verändern Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf, reden von Betrieben mit bis zu 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und erhöhen die Zahl der ausgeschlossenen Beschäftigten mal eben auf über 7 Millionen und erklären diese damit zu Beschäftigten zweiter Klasse. Sie wollen die Arbeitgeber nicht nur nicht in die Pflicht nehmen; Sie machen hier sogar noch einen Kniefall, und die sozialdemokratische Fraktion macht das mit. Das ist wirklich unfassbar. (Beifall bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Sie kennen die Lebenswirklichkeit nicht!) Zudem weichen Sie den Kündigungsschutz der Kolleginnen und Kollegen, die pflegen wollen, auf – und das aus reiner Missbrauchsvermutung. So sieht also Ihre Wertschätzung aus. Mit diesem Gesetzentwurf haben Sie gar nichts gekonnt, außer dass Sie aus einem schlechten Gesetz ein noch schlechteres gemacht haben. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, packen Sie die Probleme wirklich an, zum Beispiel mit einer sechswöchigen Pflegezeit zur Organisation der Pflege! Nehmen Sie die solidarische Pflege-Bürgerversicherung in Angriff, und ermöglichen Sie den Familien eine individuelle Pflege- und Assistenzorganisation zu Hause mit professioneller Unterstützung! Und hören Sie endlich auf, die Pflegepolitik als Stiefkind Ihrer Regierungsarbeit zu betrachten! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Astrid Timmermann-Fechter, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns möchte im Fall einer Pflegesituation so lange wie möglich in vertrauter Umgebung bleiben, umsorgt werden von Menschen, denen man nahesteht, denen man vertraut. Doch für viele ist die Organisation der Pflege eines Angehörigen oftmals auch eine sehr schwierige Aufgabe, vor allem wenn man dabei einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht und noch die eigene Familie, die eigenen Kinder versorgen muss. Viele Berufstätige wünschen sich deshalb für die Pflege eines Angehörigen mehr Zeit, und diese wollen wir mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf künftig leichter ermöglichen. Das Gesetz ist ein weiterer Baustein, mit dem wir die Pflege insgesamt stärken – ein Schwerpunktthema der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode. Und dafür haben wir nach dem ersten Pflegestärkungsgesetz nun die beiden bereits bestehenden Gesetze zur Pflegezeit und zur Familienpflegezeit weiterentwickelt. So haben Berufstätige neben dem bisherigen Rechtsanspruch auf Pflegezeit mit Beginn des kommenden Jahres nun auch einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit. Und Frau Zimmermann, an dieser Stelle möchte ich erwähnen: Wie man das als „schlechter als schlecht“ bezeichnen kann, erschließt sich mir an dieser Stelle nun wirklich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Beschäftigte können ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten auf mindestens 15 Stunden in der Woche reduzieren. Damit schaffen wir einen flexiblen Rahmen, den Familien mit Pflegebedarf ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen in Anspruch nehmen können – ohne künftig in Sorge zu sein, aufgrund der Pflegetätigkeit womöglich die Berufstätigkeit ganz und gar aufgeben zu müssen. Genau das wollen wir nämlich mit diesem neuen Gesetz verhindern. Gleichzeitig bleiben den Betrieben somit wertvolle Fachkräfte erhalten. Die Arbeitszeitreduzierung bedeutet oftmals aber auch finanzielle Einbußen. Auch hier wollen wir die Familien nicht alleine lassen. Bereits jetzt kann für die Familienpflegezeit für die Hälfte des Verdienstausfalles ein Darlehen in Anspruch genommen werden. Ab dem kommenden Jahr kann dieses auch für die bis zu sechsmonatige Pflegezeit genutzt werden. Auch das bedeutet für die Familien mehr individuelle Wahlmöglichkeiten. Mit der gesetzlichen Neuregelung werden zudem die Antragsmodalitäten deutlich vereinfacht. Der Beschäftigte beantragt das Darlehen direkt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Der Arbeitgeber muss keine Wertguthaben mehr für seine Angestellten führen. Auch müssen keine Ausfallversicherungen mehr abgeschlossen werden. Hier trägt jetzt der Bund das Ausfallrisiko allein. Es werden also eine Menge bürokratischer Hürden abgebaut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, oft genug tritt ein Pflegefall unvermittelt, von einem Moment zum anderen, ein – eine Situation, die alles im Leben verändert und in der rasch gehandelt werden muss. Um solch einen plötzlichen, akuten Pflegefall in der Familie organisieren zu können, sieht das Pflegezeitgesetz für den Arbeitnehmer eine Freistellung von bis zu zehn Tagen vor. Bislang mussten in solch einem Fall häufig Gehaltseinbußen hingenommen werden. Das neue Gesetz sieht hier nun ein Pflegeunterstützungsgeld vor. Dieses können Arbeitnehmer künftig als Lohnersatzleistung in Anspruch nehmen, die zulasten der Pflegekasse des zu pflegenden Angehörigen abgerechnet wird. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch in den vergangenen Tagen noch darauf verständigt, die Regeln für die Inanspruchnahme der Freistellung dahin gehend zu konkretisieren, dass die zehntägige Auszeit in akuten Pflegesituationen nicht zusammenhängend genommen werden muss und dass auch mehrere Angehörige sich diese zehn Tage für einen Pflegebedürftigen in weiteren Akutsituationen untereinander aufteilen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dieser Möglichkeit des Splittings haben Familien auch hier jetzt mehr Möglichkeiten, einen Pflegefall kurzfristig flexibler zu organisieren. Darüber hinaus haben wir den Begriff der nahen Angehörigen erweitert, der nun unter anderem auch Stiefeltern oder Schwägerin und Schwager sowie lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften umfasst. Wir stärken damit die Familie als Verantwortungsgemeinschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesem Zusammenhang bin ich auch sehr froh, dass wir im Zuge des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens auch die Betreuung eines pflegebedürftigen Kindes erleichtert haben. So können Eltern nämlich die neuen Rechtsansprüche nutzen – sowohl für die häusliche als auch für die stationäre Betreuung eines pflegebedürftigen Kindes. Diese Flexibilisierung ist eine wirkliche Hilfe für viele Menschen in besonders schwierigen Lebenssituationen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich persönlich habe großen Respekt davor, was pflegende Angehörige leisten. Es sind diese Angehörigen, die mit ihrem persönlichen Einsatz dafür sorgen, dass zahlreiche Pflegebedürftige auch weiterhin so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Dafür nehmen sie oftmals sehr viele Einschränkungen in Kauf. Deshalb freue ich mich heute umso mehr, dass wir mit dem neuen Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf neue Rahmenbedingungen setzen, damit diese Angehörigen bei ihrer Pflegeaufgabe künftig noch stärker entlastet werden. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Elisabeth Scharfenberg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben für diese Debatte 38 Minuten angesetzt. Damit zeigen Sie uns überdeutlich Ihre Wertschätzung der Pflege. Agenda abarbeiten, Hauptsache, es geht schnell. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben in diesem Haus im November viereinhalb Stunden über assistierten Suizid gesprochen. Das war richtig, und es war wichtig. Aber wir müssen doch auch über das Leben diskutieren, gerade über das menschenwürdige Leben im hohen Alter bei Pflege- oder Hilfebedarf. Diese vorgelagerten Debatten, genau diese Themen, die den Menschen Angst machen, werden hier in aller Kürze abgehandelt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Da versagt diese Regierung, da versagen Sie, Frau Ministerin, und da versagt auch diese Große Koalition. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Das wurde dann auch mit den Änderungsanträgen zu Ihrem Gesetzentwurf noch einmal ganz deutlich. Frau Schwesig, liebe SPD, wie konnten Sie nur so einknicken? Sie wollten ein Gesetz für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf machen, für Menschen, die dringend darauf angewiesen sind, und dann erklärt die Vertreterin der Union gestern im Familienausschuss, es seien Verbesserungen für die Wirtschaft erreicht worden. Ich wusste gar nicht, dass wir hier ein Wirtschaftsförderungsgesetz vorgelegt bekommen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Liebe Frau Schwesig, liebe SPD, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie sich hier einen schlanken Fuß machen können? Es wurde gestern im Gesundheitsausschuss bereits von der SPD gesagt, dass sich die Union für diese Verschlimmbesserung verantworten muss. Nein, es ist auch Ihre Verantwortung. Das Gesetz kommt aus einem SPD-geführten Haus, es ist Ihr Gesetz. Leider ist Ihr Rechtsanspruch, auf den Sie so stolz sind, jetzt das Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gilt erst für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 25 Mitarbeitern. Das bedeutet, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 90 Prozent der Betriebe gilt dies nicht. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) In diesen kleinen Betrieben arbeiten überwiegend Frauen; und was tun all diese Frauen, wenn sie zu diesem Personenkreis gehören, den Sie vorhin endlos aufgezählt haben? Der Rechtsanspruch gilt auch für viele andere nicht. Er gilt nämlich für all die nicht, die sich um demenzkranke Angehörige kümmern wollen. Demenzkranke, die die sogenannte Pflegestufe 0 haben, haben nämlich keinen Rechtsanspruch. Sie tun in Ihrem Familienpflegegesetz so, als wäre das alles schon in trockenen Tüchern. Das ist es aber nicht. Wir haben dort noch immer eine Ausgrenzung. Demenzkranke werden bei der Einstufung in die Pflegeversicherung eben immer noch nicht berücksichtigt, und ohne Pflegestufe haben diese Familien auch keinen Anspruch auf Familienpflegezeit. Sie lassen damit einen ganz großen Teil von pflegenden Angehörigen einfach in der Luft hängen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Leider wurde beim Pflegestärkungsgesetz, das genau wie das Familienpflegezeitgesetz am 1. Januar 2015 in Kraft treten soll, das zentrale Vorhaben nicht umgesetzt: Es gibt keinen neuen Pflegebegriff. Das ist Pech für die Demenzkranken, und es ist Pech für die Angehörigen. Frau Ministerin, eine gute Pflege- und Familienpolitik denkt die Dinge zusammen, statt Unterpunkte des Koalitionsvertrages einfach nur abzuhaken. In einer guten Pflege- und Familienpolitik arbeiten die Ressorts und die Koalitionspartner zusammen, statt sich auf Kosten des jeweils anderen zu profilieren. Sie sind eine Große Koalition, aber man gewinnt den Eindruck, die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Sie demonstrieren das auch hier. Wie ich gesehen habe, ist das Gesundheitsministerium nicht einmal vertreten. Da passt nichts zusammen. Wir brauchen eine Pflege- und eine Familienpolitik, die die Ängste und Bedürfnisse der Menschen ernst nimmt, statt sie zusätzlich auch noch zu belasten, und genau das tun Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist denn Ihr Darlehen für Pflegende? Es ist eine Belastung. Es gleicht den Einkommensverlust durch Pflege nur teilweise aus und muss fristgerecht zurückgezahlt werden. Das ist eine Belastung für die Pflegenden, die gar nicht genau wissen, was die Zukunft bringen wird, wie lange sie pflegen werden und wie sich ihr gesamtes Leben überhaupt weiter gestalten wird. Nur eines wissen Sie genau: dass auch nach der Pflege das Einkommen weiterhin geringer sein wird. Würden Sie es mit Ihrem Engagement für die Pflege, für die Pflegenden und auch für die Pflegebedürftigen ernst meinen, dann würden Sie sich wirklich Zeit für Ihre Reformen nehmen. Sie würden die Menschen wirklich in den Mittelpunkt stellen, statt blinden Aktionismus zu demonstrieren. Sie würden Ihre Reformen als Teile des großen Ganzen sehen und entsprechend aufeinander abstimmen. Dies geschieht hier leider nicht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Vielleicht noch einmal zu einem Punkt, damit keine Missverständnisse entstehen und plötzlich die Regierung glaubt, sie hätte mehr Kompetenzen, als sie hat. Die Festsetzung der Redezeiten ist allein Aufgabe des Parlamentes und erfolgt immer einvernehmlich zwischen allen Fraktionen einschließlich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zu Beginn eines jeden neuen Tagesordnungspunktes wird gefragt, ob jemand Einwände gegen diese einvernehmliche Festsetzung hat. Nächste Rednerin ist jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute ein Gesetz für Menschen, die in der Mitte ihres Lebens stehen, für Männer und Frauen, die viel Verantwortung übernehmen: im Job, für Kinder und für ihre pflegebedürftigen Angehörigen. Wir sorgen jetzt dafür, dass sie diesen Spagat besser bewältigen können. Wir wollen ihnen helfen, ihre große Verantwortung ein bisschen leichter zu tragen. Wir verbessern heute das bereits bestehende Familienpflegezeitgesetz, das ist richtig, und das ist dringend erforderlich; denn das Gesetz, noch von der alten Regierung verabschiedet, war sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Es kam bei den Menschen nicht an. Mit 135 Beschäftigten im Jahr, die die Familienpflegezeit in Anspruch genommen haben, war es nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind gespannt, ob sich das ändern wird!) – Ich bin sicher, Kollegin Scharfenberg, das wird sich verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden sehen!) Dass es nur 135 Beschäftigte waren, hat uns in der Tat nicht überrascht; denn das alte Gesetz hatte ja gravierende Mängel, und wir verbessern es an diesen Stellen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber gespannt!) Wir führen erstens eine zehntägige bezahlte Familienpflegezeit ein. Dafür haben wir schon seit vielen Jahren gekämpft und gerungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir geben zweitens Beschäftigten einen Rechts-anspruch. Auch das ist seit vielen Jahren hier in diesem Parlament in der Diskussion. Wir erleichtern drittens die Inanspruchnahme mit einem zinslosen Darlehen. Wir machen das Gesetz besser, damit es wirkt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Reimann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann, Fraktion Die Linke? Dr. Carola Reimann (SPD): Ja, sehr gern. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Reimann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich hatte eine schriftliche Anfrage gestellt, und zwar ging es darin speziell um die zehn Tage zum Organisieren der Pflege. Ich habe danach gefragt, wie hoch der durchschnittliche Zeitbedarf ist, um eine Pflege zu organisieren. Die Antwort war, dass es keine statistischen Angaben gibt. Im letzten Satz heißt es, zehn Tage dürften nach allgemeiner Erfahrung für die Organisation der Pflege ausreichen. Da frage ich mich: Was sind das denn für allgemeine Erfahrungen? Ist es nicht vielmehr so, dass die zehn Tage nach allgemeiner Erfahrung nicht ausreichen? (Beifall bei der LINKEN) Dr. Carola Reimann (SPD): Ich gehe davon aus, dass Sie die Frage an die Regierung gerichtet hatten. Meine Haltung dazu ist: Dazu, ob diese zehn Tage ausreichen, kann es natürlich keine Statistik geben, weil wir alle wussten: Zehn Tage ohne Lohnersatzanspruch werden erstens sehr viele Menschen gar nicht in Anspruch nehmen können. Zweitens wird das, wenn sie das tun und einfach unbezahlten Urlaub nehmen, ja nirgendwo registriert. Wir haben uns jetzt damit durchgesetzt, dass man diese zehn Tage so flexibel wie möglich nehmen kann. Was meine ich damit? Man kann dieses Kontingent tageweise nehmen und es auf verschiedene Angehörige aufteilen. Es ist ja für die Situation gedacht, dass eine akute Krise auftritt, eine Pflegesituation erstmalig auftritt oder sich eine bestehende Pflegesituation noch einmal akut verschlechtert. Da ist es uns wichtig – ich glaube, da haben wir jetzt eine lebensnahe Lösung gefunden –, dass das eben flexibel genutzt werden kann, dass also, wenn meine Mutter krank wird, ich die ersten zwei Tage übernehme, aber zu meiner Schwester sagen kann: Sollte das noch einmal vorkommen, bist du diejenige, die diese Tage nehmen und kurz aus dem Job rausgehen muss, um das für unsere Mutter zu organisieren. – Das ist etwas, was, glaube ich, in Zukunft ganz viele in Anspruch nehmen werden, weil es wie das Kinderkrankengeld – das ist ja die Blaupause für dieses Instrument – gut exekutiert werden kann. Das Kinderkrankengeld wird sehr gut angenommen. Das funktioniert wunderbar. Ich glaube, dass sich das auch übertragen lässt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit diesem -Gesetzentwurf die Pflegebedürftigen, die pflegenden Angehörigen und auch die Wirtschaft im Blick. Wem die Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und die Angehörigen – das klang vorhin schon einmal an – nicht Grund genug sind, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, dem sei gesagt: Die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf macht auch wirtschaftlich Sinn. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Das muss kein Widerspruch sein, Kollegin Scharfenberg. Es ist wirtschaftlich sinnvoll, zum einen volkswirtschaftlich, weil wir ohne die Familien die Pflege in unserem Land gar nicht bewältigen könnten. 3,5 Millionen Menschen in Deutschland pflegen informell. Müssten wir diese Angehörigenpflege von jetzt auf sofort durch professionelle soziale Dienstleistungen ersetzen, würde unser Pflegesystem zusammenbrechen. Deshalb ist es auch volkswirtschaftlich sinnvoll, Beschäftigten die Pflege ihrer Angehörigen zu ermöglichen. Auch betriebswirtschaftlich macht es Sinn; denn nur der Weg über eine gute Vereinbarkeit von Pflege und Beruf führt zu mehr Fachkräften. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kluge Unternehmenschefs wissen das auch schon. Kluge Unternehmenschefs wissen, dass sie die Zeitkonflikte ihrer Beschäftigten ernst nehmen und gemeinsam mit ihnen Lösungen erarbeiten müssen. Ich finde, diesem Beispiel müssen wir folgen, anstatt in alte Denkmuster zurückzufallen und reflexartig von Belastungen für die Wirtschaft zu sprechen. Moderne Wirtschaftspolitik sucht nach Wegen, wie wir Fachkräfte halten, sichern und gewinnen können. Genau das machen wir jetzt mit diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, schauen wir einmal auf die guten Erfahrungen beim Elterngeld und beim Kitaausbau. Mit beiden Leistungen haben wir anerkannt, dass die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf kein privates Luxusproblem ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Das Signal, das vom Elterngeld wie vom Kitaausbau ausgeht, ist doch: Frauen, kommt nach einem Jahr Babypause wieder zurück in den Beruf, bleibt nicht dauerhaft zu Hause! – Die Mütter haben das Signal gehört und ihr Verhalten geändert. Sie haben es verstanden. Immer mehr Frauen kehren früh in den Beruf zurück; immer mehr, mit immer mehr Stunden . So wird es auch jetzt sein, wenn wir Pflege und Beruf immer besser in Einklang bringen können. Mit diesem Gesetzentwurf senden wir auch ein Signal: Gib deinen Job nicht auf wegen der Pflege der Angehörigen, behalte deinen Job wenigstens in Teilzeit bei, das ist besser für deine Gesundheit und übrigens auch für deinen Geldbeutel! – Ich bin sicher, dass auch dieses Signal wieder richtig verstanden wird. Dann wird das neue Gesetz den -Unternehmen nicht weniger, sondern mehr Arbeitskraft bescheren. Eine weibliche Fachkraft, die wegen der Pflege ihrer Mutter auf 20 Stunden reduziert, bleibt und steht dem Arbeitgeber natürlich noch zur Verfügung, und zwar deutlich mehr, als wenn sie unter dem Spagat von Pflege und Vollzeit zusammenbricht und den Job ganz hinschmeißt. Kolleginnen und Kollegen, wir machen heute einen weiteren wichtigen Schritt zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Mit dem Gesetzentwurf helfen wir Frauen und Männern, die ganz viel Verantwortung tragen. Wir helfen aber auch den Pflegebedürftigen, die mehrheitlich den Wunsch haben, zu Hause gepflegt zu werden. Wir tun auch etwas für unsere Unternehmen, indem wir einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Wir kommen also einen guten Schritt voran. Das wird aber nicht der letzte Schritt sein. Das verspreche ich hier; denn Zeitpolitik werden wir weiter auf der Tagesordnung haben und dann vielleicht mit noch mehr Zeit, Kollegin Scharfenberg. Danke für das Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Antje Lezius, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesellschaft wird immer älter. Bedingt durch eine gute Gesundheitsversorgung – mit die beste der Welt – verbessert sich dabei auch die Lebensqualität im Alter. Das ist die gute Nachricht. Der demografische Wandel allerdings bedeutet auch, dass wir auf der anderen Seite immer weniger Kinder bekommen und die Anzahl der Älteren gegenüber den Jüngeren in Zukunft deutlich zunehmen wird. Das ist eine Tatsache. Was diese Tatsache aber bedenklich macht – und das ist die Kehrseite der Medaille –: Im Alter treten verstärkt schwere Krankheiten auf, wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Parkinson oder Demenz. Von den heute über 60 Jährigen sind viele chronisch krank oder zumindest beeinträchtigt. Die Mehrheit der älteren Menschen ist heute bereits in ärztlicher Behandlung oder auf Pflege angewiesen. Gerade die Pflege älterer Menschen wird deswegen schon mittelfristig ein Thema werden, das uns alle angeht. Der vorliegende Gesetzentwurf will sich der Schwierigkeiten annehmen, die Arbeitnehmer mit der Vereinbarung ihrer Berufstätigkeit mit der Betreuung von Angehörigen haben. Hierzu schaffen wir einen Rechtsanspruch auf eine Lohnersatzleistung bei zehntägiger Pflegeauszeit in akuten Pflegesituationen. Darüber hinaus werden wir einen Rechtsanspruch auf 24 Monate Familienpflegezeit einrichten. Demnach haben pflegende Angehörige einen Anspruch darauf, ihre zu pflegenden Angehörigen in gewohnter Umgebung zu betreuen, ohne dafür die Berufstätigkeit ganz aufgeben zu müssen. Sie können weiterhin für wöchentlich 15 Stunden in Teilzeit arbeiten und erhalten zur besseren Absicherung des Lebensunterhaltes ein zinsloses Darlehen durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Hierbei steht allerdings nicht nur der als Existenzgrundlage erworbene Lohn im Vordergrund, sondern auch der sinnstiftende Wert der Arbeit an sich. Der demografische Wandel wird kommen, und wir haben jetzt die Möglichkeit, ihn aktiv zu gestalten. Wir wollen dabei nicht nur die Sozialsysteme zukunftsfest gestalten, sondern auch das gesellschaftliche Miteinander, also die Art und Weise, wie wir in Zukunft miteinander leben und arbeiten wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu gehört auch, dass wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, Politik und Gesellschaft, Jung und Alt, Männer und Frauen, aber auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Im Koalitionsvertrag haben wir gemeinsam festgelegt, dass wir die Rahmenbedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen verbessern wollen. Wir in der Politik sind uns im Klaren darüber, dass uns die jetzige gute Konjunktur nicht von selbst bis in alle Zeit erhalten bleibt. Weil dies so ist, müssen wir dafür sorgen, dass der Mittelstand als Motor dieser Volkswirtschaft am Laufen gehalten wird. Dabei wollen wir nicht nur die Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen verbessern. Uns kommt es auch darauf an, Hilfestellungen anzubieten, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich mit den immer drängender werdenden Fragen der Demografie auseinandersetzen müssen. Wenn jemand von heute auf morgen in eine Pflegesituation kommt, ist das für beide Seiten belastend. Oftmals muss dann sehr kurzfristig eine Lösung her. Dabei ist es nicht nur von Belang, für das pflegebedürftige Familienmitglied Pflege zu organisieren. Auch derjenige, der diesen Arbeitnehmer beschäftigt, steht vor zahlreichen Fragen, die im Zusammenhang mit der Freistellung des Arbeitnehmers für die Pflege zu beantworten sind. Wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf so gestaltet, dass er einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den berechtigten Anliegen der Arbeitnehmer und auch der Arbeitgeber darstellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Für beide Seiten wird Rechtssicherheit geschaffen. Besonders hervorzuheben ist die deutliche Reduzierung des Verwaltungsaufwandes, den die Betriebe durch die Gewährung des Darlehens an den Arbeitnehmer haben. Wo vormals ein bürokratisches Wertguthaben geführt werden musste, fällt dies nun weg. Die Union hat sich im Sinne der Ausgewogenheit dafür eingesetzt, dass der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers für jeden vollen Kalendermonat der Freistellung von der Arbeit um jeweils ein Zwölftel kürzen kann. Der absolute Kündigungsschutz wird frühestens zwölf Wochen vor Antritt der Familienpflegezeit durch den Arbeitnehmer gelten. Die Regelung, der zufolge der Rechtsanspruch erst in Firmen mit mehr als 25 Beschäftigten gilt, ist sinnvoll, da sie besonders für kleine und mittlere Unternehmen eine Erleichterung ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Circa 70 Prozent der Arbeitnehmer können, wenn sie wollen, in Zukunft die Leistungen nach diesem Gesetz in Anspruch nehmen. Fraglos positiv zu bewerten ist weiterhin, dass Unternehmen mit der Familienpflegezeit ihre bewährten Fachkräfte behalten können, die in Teilzeit weiterhin für sie arbeiten. Vor dem Hintergrund meiner Erfahrung als ehemalige Unternehmerin sehe ich allerdings die Einstellung einer Ersatzarbeitskraft, die den Arbeitsausfall des Stammarbeitnehmers kompensieren soll, als bedenklich an – etwas, was in der Anhörung durch die beteiligten Experten bestätigt wurde. Viele Unternehmer aus meinem Wahlkreis, der in einer sehr ländlich geprägten Region liegt, fragen sich bereits heute, wie sie ohne die Einschränkungen einer befristeten Stelle Fachkräfte anwerben können. Dazu müssen sie diesen heute etwas bieten. Der Wettbewerb um gute Köpfe ist oft schon so hart genug. Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist gut, weil es zeitgemäß ist und den Erfordernissen einer Welt im Wandel Rechnung trägt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich wünsche mir, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zukünftig bewusst und verantwortungsvoll mit diesem Instrument umgehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Heute ist ein guter Tag, ein guter Tag für die Familien, ein guter Tag, weil wir Hilfe anbieten – vorhin in der Debatte über das Kitaausbaugesetz, jetzt über das Familienpflegegesetz. Ich wollte eigentlich nur Positives sagen, aber, Frau Scharfenberg, Sie zwingen mich, auch ein paar kritische Worte anzubringen. Zu den 38 Minuten Redezeit, die vereinbart worden ist, hat die Frau Präsidentin das Nötige gesagt. Ich darf Ihnen noch einmal bestätigen: Jawohl, es ist nicht die Ministerin, die die Redezeit festlegt, es sind die Parlamentarischen Geschäftsführer. Mir ist nicht bekannt, dass die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen irgendwie an der Redezeit etwas zu mäkeln gehabt hätte. Fragen Sie Ihre PGF, und dann wissen Sie hierüber Näheres! Meine Damen und Herren, Sie, die Grünen, haben vor weniger als zwei Wochen in Hamburg einen Parteitag abgefeiert, stellten sich danach vor die Presse und sagten: Wir sind die Wirtschaftspartei, wir sind wirtschaftsfreundlich. Nun kommen Sie und fragen und sagen: Was machen wir hier? Wir sind doch nicht der Wirtschaftsausschuss. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Ja, da haben Sie recht. Wir sind der Familienausschuss. Das wissen wir. Aber diese Große Koalition verbindet beide Seiten, verbindet die Anliegen der Wirtschaft – Frau Kollegin Lezius hat darauf hingewiesen –, aber auch die sozialen Belange, die Dinge, die die Menschen in einer Situation brauchen, in der sie für einen Familienangehörigen Hilfe bieten wollen. Wir schaffen es, dies zusammenzubringen. Wir stellen uns nicht am Sonntag hin – in Hamburg – und sagen: „Wir sind die Wirtschaftspartei“, und sagen zehn Tage später hier im Bundestag: Aber um Himmels willen, wirtschaftsfreundlich dürft ihr nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wofür stehen die Grünen? (Zuruf der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Scharfenberg, Sie waren in Hamburg dabei. Stellen Sie mir doch eine Frage, dann habe ich mehr Zeit. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Gefallen tue ich Ihnen nicht!) Meine Damen und Herren, Sie haben ausgeführt, das Darlehen ist eine Belastung. Frau Scharfenberg, das Darlehen schafft finanzielle Freiräume, weil ein Teil des entfallenden Lohns von staatlicher Seite quasi vorfinanziert wird. Das gibt die Möglichkeit, in der Pflegesituation den Lebensstandard zu halten, dann deutlich weniger zu arbeiten – 50 Prozent arbeiten, 75 Prozent Gehalt. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden gerade von dem alten Gesetz!) Natürlich muss diese „Vorfinanzierung“ irgendwann, wenn die wirtschaftliche Situation – – Stellen Sie mir doch endlich einmal eine Frage, Frau Scharfenberg! (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden Sie nicht erreichen!) – Schade. Mehr Zeit und Hilfe, um helfen zu können, das ist kurz zusammengefasst, wie bereits ausgeführt, das Ergebnis der monatelangen Verhandlungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Wir haben es uns nicht leicht gemacht, Frau Ministerin. Wir haben viele nächtliche Stunden, Frau Ferner, miteinander verhandelt, bis wir die Positionen so weit zusammengebracht haben, dass dieses Gesetz die Form gewinnen konnte, die es heute hat. Im Falle eines plötzlich eintretenden Pflegefalls ist für berufstätige Familienangehörige der Spagat zwischen Haushalt, Familie und der Organisation der Pflege kaum zu bewältigen, es sei denn, sie treten im Job kürzer oder steigen für eine befristete Zeit aus dem Berufsleben aus. Frau Kollegin Zimmermann, nachdem Sie ausgeführt haben, bei der Festlegung auf Betriebe mit 15 Beschäftigten seien nur 5 Millionen davon nicht betroffen gewesen, jetzt durch die Erhöhung der Grenze auf 25 Beschäftigte 7 Millionen, darf ich Ihnen bestätigen: Die Erhöhung auf 25 haben wir nicht einfach aus der Luft gegriffen. Wir haben diskutiert, wie es mit dem Handwerksbetrieb, dem Bäckermeister, der mehrere Verkaufsfilialen hat, ist. (Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Die Frau Zimmermann möchte mir eine Frage stellen, Frau Präsidentin. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke, Herr Kollege Lehrieder. Ich hatte das schon gesehen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Darüber bin ich sehr froh. (Heiterkeit) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Deswegen frage ich Sie jetzt. Sie würden natürlich Ja sagen. – Bitte schön, Frau Kollegin Zimmermann. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank. – Da habe ich doch noch einmal eine Frage. Denn natürlich ist es für kleine Betriebe schwierig, dann für eine solche Situation aufzukommen. Aber dennoch ist es doch so: Sie lassen erst einmal über 7 Millionen Menschen ziemlich allein mit ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Aber Sie könnten das Ganze doch auch, wie das zum Beispiel beim Mutterschutz oder auch im Krankheitsfall organisiert ist, durch eine Umlagefinanzierung, die sich dort U 1 und U 2 nennt, gesetzlich regeln. Warum machen Sie das hier denn nicht genauso wie in den anderen Fällen? Warum überlassen Sie das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die doch in so hoher Zahl darauf warten, weil sie für diese wichtige Aufgabe und zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf darauf angewiesen sind? Paul Lehrieder (CDU/CSU): Frau Kollegin Zimmermann, ich muss jetzt das wiederholen, was ich schon in der ersten Lesung zu Ihrer Aufklärung und Erhellung versucht habe beizutragen. Es ist leider nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. (Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!) In einem Unternehmen mit 1 bis 25 Beschäftigten kennt der Chef in aller Regel seine Mitarbeiter, viele mit Vornamen. (Beifall bei der CDU/CSU) Da ist es leichter möglich, eine Lösung zu finden, die auf die Belange des Unternehmens ganz anders zugeschnitten ist. Da gibt es vielleicht ganz wenige auf dieser speziellen Stelle sitzende Fachkräfte, die schwer zu ersetzen sind, wo man vielleicht mit dem Kollegen reden muss, ob er ein paar Überstunden machen kann. Bei 1 bis 25 Beschäftigten ist es leichter, hier geschwind eine betriebsinterne Regelung zu finden, als in größeren Unternehmen, wo natürlich der Rechtsanspruch entsprechend eingeführt werden muss. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das beantwortet meine Frage nicht!) Noch einmal: Wir haben 43 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – bleiben Sie bitte stehen, Frau Kollegin; ich bin noch nicht fertig – in Deutschland. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das heißt: Auch wenn 7 Millionen Beschäftigte keinen Anspruch haben, so bleiben immerhin noch 36 Millionen Beschäftigte, die davon profitieren. Nach Adam Riese profitieren über 80 Prozent der Beschäftigten von dem Rechtsanspruch, Frau Kollegin Zimmermann. Die verbleibenden rund 17 Prozent werden in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern schon jetzt vernünftig berücksichtigt und werden auch in Zukunft berücksichtigt. Wir haben ein anderes Verständnis von der Arbeitswelt als die Linkspartei. Wir haben nicht nur Klassenkampfbegriffe im Kopf und sagen: Hier der böse Arbeitgeber, da der gute Arbeitnehmer. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Lassen Sie doch den Populismus weg!) Beide können miteinander reden, und das tun sie in den kleinen Handwerksbetrieben in der Regel auch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Ich wäre jetzt mit der Beantwortung der Frage fertig, Frau Präsidentin. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie können Fragen einfach nicht beantworten! Das ist und bleibt so!) Zwar konnten Berufstätige schon bisher eine Auszeit von bis zu zehn Tagen nehmen, wenn sie Angehörige kurzfristig selbst pflegen oder Hilfe organisieren müssen, (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Die meist nicht ausreicht! Sie haben doch von der Wirklichkeit keine Ahnung!) auf ihr Gehalt mussten sie währenddessen aber verzichten – bis jetzt. Mit dem vorliegenden Gesetz möchten wir, dass sich Pflegende ab dem 1. Januar 2015 voll und ganz auf das Organisatorische konzentrieren können, ohne sich dabei Sorgen um den Lohnausfall machen zu müssen. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Für die meisten aber nicht ausreichend!) Wir werden den schon bestehenden Rechtsanspruch auf eine zehntägige Pflegeauszeit – die gilt im Übrigen, Frau Zimmermann, für alle, auch für die Betriebe mit bis zu 25 Beschäftigten; nur zu Ihrer Information – (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie haben doch von der Realität keine Ahnung! Reden Sie einmal mit den Leuten!) bei akut auftretender Pflegesituation eines nahen Angehörigen mit einer Lohnersatzleistung analog zum Kinderkrankengeld ausgestalten. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das zahlt die Pflegeversicherung!) Die kurzfristige Auszeit im akuten Pflegefall eines nahen Angehörigen wird also genauso behandelt, als ob berufstätige Eltern sich bis zu zehn Tage um ihr krankes Kind kümmern. Frau Kollegin Reimann hat schon darauf hingewiesen. Beschäftigte haben damit ab Anfang nächsten Jahres einen Rechtsanspruch auf Pflegeunterstützungsgeld. Dabei handelt es sich um eine Lohnersatzleistung für eine bis zu zehntägige Auszeit, die Beschäftigte kurzfristig für die Organisation einer akut aufgetretenen Pflegesituation eines nahen Angehörigen in Anspruch nehmen können. Die hierfür erforderlichen Mittel im Umfang von geschätzt 100 Millionen Euro werden von der Pflegeversicherung getragen. Der Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung steigt ab 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte auf 2,35 Prozent des Bruttogehaltes. Die Weiterentwicklung der Familienpflegezeit verbessert dann die Situation für jene, die ihre Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen wollen, entscheidend. Mit dem heute in zweiter und dritter Lesung beratenen Gesetzentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf kommen wir dem im Koalitionsvertrag verankerten Ziel der Vereinbarkeit von Pflege und Berufsleben nach. Unser wichtigstes Ziel ist dabei, die Wertschätzung der familiären Pflege zu verbessern und diese Leistung insgesamt besser abzusichern. Ich spreche an dieser Stelle bewusst von Leistung; denn dem, was die Pflegenden Tag für Tag leisten, gebührt allerhöchste Anerkennung, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Präsidentin, da muss ein Fehler an der Uhr sein; demzufolge sei meine Redezeit schon abgelaufen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist der beste Spruch Ihrer Rede!) Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben es uns mit diesem Gesetz nicht leicht gemacht. Wir haben nach langem Ringen eine richtige, eine gute Lösung für die Familien gefunden. Ich bedanke mich bei allen, die konstruktiv mitgearbeitet haben. Liebe Grüne, noch habt ihr die Chance, zuzustimmen. Überlegt es euch noch einmal! Bei den Linken habe ich die Hoffnung aufgegeben. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Chance haben Sie gerade verwirkt!) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und einen schönen Tag noch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder. Sie dürfen sich bei Ihren Kolleginnen bedanken, die Ihnen etwas Zeit reserviert hatten. Sie hatten also zu Recht eine halbe Minute mehr Redezeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3449, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/3124 und 18/3157 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke angenommen. (Zuruf von der LINKEN: Andersherum!) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3454. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowie Zusatzpunkt 5 auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern Drucksache 18/3312 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/3260 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung gemäß § 154 Absatz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre Drucksache 18/3261 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 5 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/3260 hier: Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2014 Drucksache 18/3387 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ich bitte jetzt die Kolleginnen und Kollegen, die dem nächsten Tagesordnungspunkt im Plenum folgen wollen, Platz zu nehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nur weil das die Regierung so will!) – Nur, damit die Regierung nicht wieder verantwortlich gemacht wird. – Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ihren Rentenversicherungsbericht und den Bericht zur Rente erst ab 67 vorgelegt, und die Reaktionen waren verheerend. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Nur bei euch! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt aber nicht!) Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 15. November 2014: „Riestern funktioniert oft nicht“. – Und Norbert Blüm hat vorgestern in der Saarbrücker Zeitung die Riester-Rente als den größten Irrweg in der jüngsten Geschichte der Rentenversicherung bezeichnet. Recht hat er. (Beifall bei der LINKEN) Aber: Lassen wir es dabei. Für heute! Kommen wir zur Rente erst ab 67. Da haben Sie in Ihrem Rentenbericht wieder einmal schön die ollen Kamellen herausgeholt: Mehr Ältere würden länger arbeiten, also sei alles okay. Nichts ist okay. Aber Union und SPD halten sich die Augen zu und an der Rente erst ab 67 fest, und das ist schlecht. (Beifall bei der LINKEN) Frau Staatssekretärin, ich erinnere Sie wieder einmal höflich an den Beschluss des SPD-Parteikonvents von 2012. Ich darf zitieren: Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist erst dann möglich, wenn die … 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens zu 50 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Im Dezember 2013 waren es aber gerade einmal 33 Prozent, und im Alter von 64, also kurz vor der Rente, haben nur 16 Prozent einen sozialversicherungspflichtigen Job, und nur mickrige 11 Prozent arbeiten in Vollzeit. Das ist die traurige Wahrheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie verstoßen nicht nur klar gegen Ihre eigenen Beschlüsse, sondern Sie verkaufen die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auch noch als Erfolg pur. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Ist ja auch ein Erfolg!) Damit verkaufen Sie die älteren Beschäftigten für blöd. Die Beschäftigten sind aber nicht blöd, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen nämlich ganz genau: Ein Drittel Ältere mit Job, das heißt umgekehrt, fast sieben von zehn Beschäftigten im Alter von 60 bis 64 sind nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Und warum? Na ja, weil eine Krankenschwester im Durchschnitt mit 60 aus ihrem Job gehen muss, weil ein Bauarbeiter im Durchschnitt 57,5 Jahre alt ist, wenn er nicht mehr arbeiten kann. Die beiden können aber auch nicht in die Rente ab 63 gehen, weil sie noch keine 63 sind und weil sie natürlich auch die 45 Jahre Wartezeit noch nicht geschafft haben. Die Älteren werden aber auch von den Arbeitgebern komplett alleingelassen. Ich bitte Sie: Schauen Sie doch einmal in Ihren eigenen Bericht. Da steht auf Seite 57: Nur 18 Prozent der Betriebe bieten überhaupt irgendeine Maßnahme für Ältere an, die meisten übrigens Altersteilzeit. Aber Gesundheitsförderung für Ältere, altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung, Weiterbildung für Ältere – das alles gibt es nur in sehr, sehr wenigen Betrieben. Wann fangen Sie endlich damit an, die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen in die Pflicht zu nehmen? Die schreien doch am lautesten: „Fachkräftemangel“, „Arbeiten bis 70“, „Rente nicht mehr bezahlbar“. Warum hauen Sie nicht einmal auf den Tisch und sagen: „So, ab dem nächsten Jahr führen wir Quoten für Ältere ein! Ab dem nächsten Jahr wird Weiterbildung Pflicht! Ab dem nächsten Jahr werden altersgerechte Arbeitsplätze Standard!“? Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, was bieten Sie denn den Beschäftigten an? (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Länger arbeiten!) Nichts! Ich zitiere die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Die Koalition macht die Rente mit 70 attraktiver“. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!) So hat die FAZ über Ihre Koalitionsarbeitsgruppe berichtet, (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!) und das ist nicht einmal gelogen. Genau darum geht es dort. Sie diskutieren jetzt darüber, den Arbeitgebern Sozialversicherungsbeiträge zu erlassen, wenn die Beschäftigten weiter arbeiten, statt „nur“ in Rente zu gehen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Arbeiten bis zum Umfallen!) Liebe Koalition, lassen Sie die Finger davon! (Beifall bei der LINKEN) Der Sozialbeirat, das oberste Beratungsgremium in allen Rentenfragen, sieht das in seinem aktuellen Gutachten genauso: Arbeiten nach der Regelarbeitsgrenze werde schon heute mit Zuschlägen belohnt. – Und Hinzuverdienstgrenzen gibt es für Rentnerinnen und Rentner ab 65 auch keine mehr. Wenn wir Rentnerarbeit noch attraktiver, also für die Arbeitgeber billiger machen – das heißt das bei Ihnen ja immer, Herr Kollege Linnemann –, dann verdrängen wir die Jüngeren (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Da sind Sie nicht mehr auf dem aktuellen Stand!) und es werden erst recht keine Älteren mehr eingestellt. Deshalb sage ich Ihnen: Wir dürfen die Grenze zwischen Erwerbsarbeit und Ruhestand nicht weiter auflösen. (Beifall bei der LINKEN) Die Enkel wollen wissen, wann Opa mehr Zeit für sie hat und wann Oma nicht mehr putzen geht, sondern sie vielleicht in den Kindergarten bringt. Opa und Oma wollen endlich ihren kaputten Rücken auskurieren. Sie wollen sich um ihr Ehrenamt kümmern, und, ja, sie wollen vielleicht auch einmal eine Kreuzfahrt machen. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Also ich will das nicht! Ich bin auch Oma! – Heiterkeit bei der SPD) Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Wir Linken wollen nicht den arbeitenden Rentner oder die arbeitende Rentnerin zum neuen Leitbild machen, wie viele in der Union. Wir wollen gute Arbeit bis zur Rente, und zwar ohne Megastress (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Bis zur Frührente!) und das Ganze mit alters- und alternsgerechten Arbeitsplätzen. Wenn Arbeitgeber Ältere entlassen, dann sollen sie die Kosten dafür tragen. Liebe Koalition, nehmen Sie die Rente erst ab 67 zurück; (Beifall bei der LINKEN) denn mit 65 hat man sich zum Beispiel als Fliesenleger oder als Altenpflegerin den Ruhestand hart verdient. Wer krank ist, dem darf auch die Erwerbsminderungsrente nicht mehr verwehrt werden. Wir sagen aber auch: Nicht 45 Jahre arbeiten, sondern 40 Jahre sind genug. Nach 40 Jahren Arbeit soll man ab 60 in Rente gehen können. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Frühverrentung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, fragen Sie in Ihren Wahlkreisen nach: 40 Jahre Arbeit sind genug. Spätestens ab 65 muss Schluss sein! Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Geht es noch früher?) – Nein. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl Schiewerling. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu diesem Tagesordnungspunkt gehört auch die Diskussion über den Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung. Dieser Rentenversicherungsbericht gibt in einigen Punkten Anlass, mit dem, was sich in der Rentenpolitik entwickelt, sehr zufrieden zu sein. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was sagen Sie denn zu Blüm?) Ich will diese Gelegenheit gerne nutzen, daran zu erinnern, dass wir in dieser Woche das 125-jährige Bestehen der Deutschen Rentenversicherung feiern. Dieses Jubiläum sollte uns in dieser Diskussion nicht gleichgültig sein; denn diese Rentenversicherung steht seit 125 Jahren für eine gute und stabile Form der Sozialpolitik in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Darauf können wir miteinander stolz sein. Allerdings hat diese Rentenversicherung in ihrer Geschichte Höhen und Tiefen erlebt und ständige Verwandlungen, Wandlungen und neue Anpassungen durchmachen müssen. Diese Anpassungen haben sich immer durch äußere Umstände ergeben. Das, was die Rentenversicherung heute beschäftigt und in Zukunft beschäftigen wird, sind aktuelle demografische Entwicklungen. Vor der Demografie, meine Damen und Herren, sind alle Alterssicherungssysteme – ob umlagefinanziert oder kapitalfinanziert – gleich. Sie alle stehen vor derselben Frage: Wie können wir die Alterssicherung für Millionen von Menschen auf Dauer gesehen stabil gestalten? Die Union hat immer darauf Wert gelegt, dass die Rentenversicherung, die umlagefinanzierte Rente, der Kern der Alterssicherung ist, aber dabei betont, dass es auch auf private Alterssicherung und auf betriebliche Alterssicherung ankommt. Deswegen werden wir im kommenden Jahr über beide Formen miteinander zu reden haben. Auch die Säule der betrieblichen Alterssicherung muss deutlich gestärkt werden; wir müssen sehen, wie wir das unterstützen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) All denjenigen, die uns permanent sagen, wie schlecht es um die Rente stehe, will ich sagen: Wir haben eine Rücklage von 33,5 Milliarden Euro. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch!) Noch vor zehn Jahren wurde uns prognostiziert, der Rentenversicherungsbeitrag würde bei 19,5 Prozent liegen. Tatsächlich liegt er bei 18,9 Prozent, und hätten wir ihn in diesem Jahr tatsächlich abgesenkt, wie es nach ursprünglichen Planungen passiert wäre, läge er jetzt bei 18,3 Prozent. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch, warum Sie es nicht getan haben!) Das zeigt, dass sich die Rentenpolitik insgesamt in einer guten Verfassung befindet. Unsere Aufgabe besteht nun darin, dafür zu sorgen, dass das so bleibt. Von uns hat keiner ein Interesse daran, dass das Rentenniveau durchknallt unter 43 Prozent oder gar auf 42 Prozent. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 42 Prozent? Es waren schon einmal 43 Prozent!) Wir haben kein Interesse daran, sondern wollen alles tun, dass das Rentenniveau höher bleibt. Das wird eine der großen Herausforderungen sein, vor denen wir mit-einander stehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Völlig zu Recht, meine Damen und Herren, haben unser Kollege Carsten Linnemann und unsere Kollegin Jana Schimke immer wieder darauf hingewiesen, dass – anders als Sie, Herr Kollege Birkwald, das dargestellt haben – unter dem Eindruck der Demografie die Menschen auch in der Lage sein müssen, länger zu arbeiten, wenn sie es denn wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen die Rahmenbedingungen so setzen, dass jeder, der über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten will, auch die Möglichkeit dazu erhält. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das gibt es doch heute schon!) Die Grundlage dazu haben wir mit der Verabschiedung des Rentenpakets gelegt, als wir uns auf einige Fragen verständigt haben. Die weiteren Punkte diskutieren wir gerade in der Koalitionsarbeitsrunde. Ich sage Ihnen: Anders, als manche dies bewerten, laufen die Gespräche gut. Sie laufen konstruktiv und sie laufen gründlich, weil unser Interesse darin besteht, etwas zu schaffen, von dem die Menschen hinterher etwas haben, und das eigentliche Ziel erreicht wird: dass die Menschen nicht so früh wie möglich in Rente gehen – wie das die Absicht der Linken ist –, sondern so lange wie möglich im Erwerb bleiben können, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die brauchen gute Arbeit, damit sie frei entscheiden können!) weil dies eine der zentralsten Voraussetzungen dafür ist, dass wir das Rentensystem stabil halten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stabilität der Renten hängt nicht nur von der demografischen Entwicklung, sondern auch von der Prosperität der Wirtschaft ab. Dass es uns heute gutgeht, hängt damit zusammen, dass wir 42 Millionen Beschäftigte haben und davon über 30 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Hätten wir diese Rahmenbedingungen nicht, würde es um die Rente völlig anders stehen und wir hätten manche Diskussion, die wir auch im Frühjahr dieses Jahres miteinander geführt haben, anders geführt. Das bedeutet: Wenn wir die Rente stabil halten wollen, müssen wir die Wirtschaft stabil halten. Wenn wir die Rente stabil halten wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass Menschen auch so erwerbstätig werden können, dass sie für die zukünftigen Generationen mitsorgen, dann müssen wir alles tun, dass die, die noch länger arbeiten können, auch die Möglichkeit dazu erhalten, ohne dazu gezwungen zu werden. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir in der Koalition in dieser Frage auf einem guten Weg sind. Der Wille der Union ist es, dieses Rentensystem stabil zu halten. Hieran sei dann auch erinnert in der 125 jährigen Geschichte der Deutschen Rentenversicherung: Die entscheidenden Weichen zu einer neuen Rentenversicherung sind 1957 von der CDU unter Konrad Adenauer gestellt worden. Sie sind gestellt worden, als es darum ging, dass in Zukunft die Menschen angstfrei im Alter leben können sollten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da gab’s noch keinen Riester!) Daran werden wir arbeiten, und dafür werden wir alles tun. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Markus Kurth ist der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Matthias Birkwald, man möchte dir die alte Indianerweisheit zurufen: Wenn du merkst, dass das Pferd, welches du reitest, tot ist, dann steige ab! – Die Abschaffung der Rente mit 67, die Anhebung der Regelaltersgrenze – beides ist ein totes Pferd. Es ist so, dass jemand, der gesund ist und bis zu seinem 67. Lebensjahr arbeiten kann, nicht einem, wie Sie es sagen, gigantischen Rentenkürzungsprogramm unterliegt, sondern diese Person erwirbt durch zwei zusätzliche Jahre zusätzliche Rentenansprüche. Sie zahlt Beiträge und bezieht deshalb eine höhere Rente. Das ist die Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bin natürlich nicht naiv. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die eben nicht bis 67 arbeiten können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Die Antwort darauf kann aber doch nicht die Abschaffung der höheren Regelaltersgrenze sein. Vielmehr müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir Menschen dabei unterstützen können, diese zu erreichen, und was wir für Personen, die krank sind und das deshalb nicht schaffen, tun können, damit sie früher in den Ruhestand gehen können. Wir brauchen also eine individuelle und altersgerechte Anpassung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Grüne sind für Peitsche! Linke sind für Zuckerbrot!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Kurth, gestatten Sie – Nein. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hierzu gibt es drei Möglichkeiten. Erstens. Eine menschengerechte, humane Arbeitswelt. Allein darüber könnten wir einen ganzen Vormittag lang debattieren. Ich will nur einen Punkt nennen, nämlich die Anti-Stress-Verordnung. Wer Ja sagt zur Rente mit 67, der muss auch Ja sagen zu einer Anti-Stress-Verordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie schimpfen da immer über Kosten und Bürokratie. Ich sage Ihnen einmal, was Kosten sind: Jedes Jahr fallen zig Milliarden Euro Kosten an für die Behandlung psychischer Erkrankungen. Hinzu kommen zig Milliarden Euro Kosten für den Arbeitsstundenausfall. Geben Sie, meine Kollegen von der Union, endlich Ihren Widerstand gegen die Anti-Stress-Verordnung auf! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das kommt aber nicht alles von der Arbeitswelt!) Zweitens. Eine verbesserte Erwerbsminderungsrente ist natürlich auch erforderlich. Wir müssen denjenigen, die nachweislich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, eine Garantie bieten, dass sie eine armutsfeste Erwerbsminderungsrente erhalten. Hierzu reicht das, was Sie mit dem Rentenpaket auf den Weg gebracht haben, schlichtweg nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Drittens bleibt natürlich die Frage: Was ist mit denjenigen, die zu gesund sind für die Erwerbsminderungsrente, die gleichwohl nicht mehr das Leistungsvermögen haben, um noch mit voller Kraft bis 67 arbeiten zu können? Das ist noch eine offene Baustelle, die wir angehen müssen. Ich will einmal skizzieren, wie ein möglicher Lösungsweg aussehen könnte, und zwar am Beispiel von Frau Klein aus Dortmund. Frau Klein arbeitet in einem Dortmunder Logistikzentrum im Büro. Sie wird dieser Tage 60 Jahre alt. In letzter Zeit hat sie einige Bandscheibenvorfälle gehabt. Zudem ist sie privat und beruflich psychisch belastet. Kurzum: Wenn Frau Klein so weitermacht wie bis-her, wird sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Dann folgen -Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Zwangsverrentung, Grundsicherung und, weil das Risiko, krank zu werden, bei Arbeitslosigkeit erhöht ist, wahrscheinlich noch Behandlungskosten für die gesetzliche Krankenversicherung. Frau Klein könnte aber bis 67 weiter arbeiten, wenn sie ihre Arbeitszeit auf drei Tage in der Woche reduziert und eine Teilrente in Anspruch nimmt. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nach drei Bandscheibenvorfällen?) Dazu wird sie aber wahrscheinlich sagen, dass sie sich die Abschläge nicht leisten kann. Richtig. Wenn man aber die Kosten, die bei Arbeitslosigkeit entstünden, zum Teil nähme, um die Abschläge wieder auszugleichen, dann wäre das kein Nullsummenspiel, sondern eine Win-win-Situation, sowohl für Frau Klein als auch für die öffentlichen Kassen. In diese Richtung müssten Sie Gedanken entwickeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Das haben Sie aber durch Ihr Rentenpaket unmöglich gemacht. Ihr Rentenpaket hat doch nichts anderes hinterlassen als verbrannte Erde. Es ist überhaupt keine vernünftige rationale Diskussion über menschengerechte Altersübergänge möglich. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Natürlich. – Sie haben den bitteren Beifang der -sogenannten Koalitionsarbeitsgruppe „Flexi-Rente“ gemacht. Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese Arbeitsgruppe nicht dazu dient, sachgerechte Lösungen zu erarbeiten. Vielmehr ist das eine Schmerztherapie des Wirtschaftsflügels der Union, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo er recht hat, hat er recht!) und zwar keine Schmerztherapie, um der SPD Schmerzen zuzufügen – das vielleicht aber auch, gut –, sondern vor allen Dingen eine Therapie, um ihren Phantomschmerz zu lindern, weil sie der Rente mit 63 fast geschlossen zugestimmt haben. Dazu dient diese Koali-tionsarbeitsgruppe. Meine Damen und Herren, Bündnis 90/Die Grünen wollen jedem Menschen individuell zugeschnittene, gute Übergänge in den Ruhestand ermöglichen, aber eben keine gigantische Rentenkürzung oder Altersarmut. Wir wollen eine volkswirtschaftlich insgesamt vernünftige Betrachtungsweise. Wir wollen vor allen Dingen auch dadurch Nachhaltigkeit im Arbeitsleben und im Ruhestand erzielen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Markus Kurth, für den ersten Teil Ihrer Rede hätte ich Ihnen beinahe das Beitrittsformular der SPD ausgehändigt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der -LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schlecht war es gar nicht!) Aber zum zweiten Teil muss ich sagen: Wir können uns in der Sache auseinandersetzen, aber Begriffe wie „verbrannte Erde“ in diesem Zusammenhang gehen nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so empfindlich!) Meine Damen und Herren, der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung zeigt: Aktuell steht die Rentenversicherung gut da. Dank der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt haben wir die höchste Rücklage, die es überhaupt jemals gab. Das versetzt uns in die Lage, eine Beitragssatzsenkung vorzunehmen, und das tun wir auch. Gleichermaßen gilt: Wenn wir im Durchschnitt immer älter werden, müssen wir im Durchschnitt auch länger im Erwerbsleben bleiben. Das ist wichtig für die dauerhafte Sicherung unseres Rentensystems. Das ist aber genauso wichtig für die Sicherung unseres Wohlstands in einer Gesellschaft, in der die Zahl der Menschen im erwerbstätigen Alter stärker sinken wird als die Gesamtbevölkerung. Deshalb muss das tatsächliche Renteneintrittsalter in Deutschland steigen. Deshalb haben wir in der Vergangenheit Angebote zur Frühverrentung abgeschafft. Deshalb wird auch die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Jahr 2029 auf 67 Jahre steigen. Herr Birkwald, wenn Sie so tun, als läge das Renteneintrittsalter schon heute bei 67 Jahren – (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Habe ich nicht gesagt!) – Sie tun so, genauso stellen Sie die Realität hier dar –, dann will ich Ihnen sagen: Im Moment liegt das Renteneintrittsalter bei gerade 65 Jahren und drei Monaten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Real nicht! – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Entscheidend für die Beurteilung des Erfolgs dieser Politik ist die Erwerbsbeteiligung von älteren Menschen. Ich finde, wir sind dabei auf gutem Weg. Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen ist seit 2010 um 26 Prozentpunkte gestiegen, stärker als in allen anderen europäischen Ländern. Ein Blick auf die Gruppe der 60- bis 64-Jährigen zeigt eine Zunahme um 30 Prozentpunkte, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch wohlfeil! Nur 11 Prozent haben einen Vollzeitjob!) mehr als in allen anderen Altersgruppen. 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sind erwerbstätig, und etwa ein Drittel dieser Altersgruppe ist sogar sozialversicherungspflichtig beschäftigt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, nur!) Auch die Beteiligung an Weiterbildungen ist bei Älteren deutlich gestiegen. Diesen Erfolg wollen wir durch alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen und durch noch mehr Einsatz bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Ältere fortsetzen. Der begonnene Paradigmenwechsel in diesem Bereich muss fortgesetzt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, eines geht nicht, nämlich die Rückkehr in die Frühverrentungslogik der 80er- und 90er-Jahre, wie Sie uns das in Anträgen immer wieder vorschlagen. Wir brauchen vielmehr bedarfsgerechte Antworten, Antworten, mit denen auf die unterschiedlichen Lebensläufe eingegangen wird; denn immer noch schaffen es zu wenige Menschen bis zur gesetzlichen Altersgrenze. Deshalb haben wir das Rentenzugangsalter für besonders langjährig Versicherte vorgezogen, was vor allem den Menschen hilft, die sehr früh ins Arbeitsleben eingestiegen sind und in der Regel lange körperlich sehr hart gearbeitet haben. Deshalb haben wir mit unserem Rentenpaket Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente vorgenommen. Deshalb haben wir auch die Arbeitsgruppe „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ eingesetzt. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es in dieser Arbeitsgruppe vor allem darum, das insgesamt in den rentennahen Jahrgängen geleistete Arbeitsvolumen durch flexible Ausstiegsmöglichkeiten zu erhöhen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das dient nämlich nicht nur der Fachkräftesicherung, sondern das führt auch zu mehr Einkommen für die älteren Menschen, und es führt damit auch zu mehr Rentenanwartschaften. Hierfür wollen wir die Teilrente flexibler und attraktiver machen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. Wir sind auch offen dafür, die Teilrente bereits vor dem 63. Lebensjahr zu ermöglichen, wenn die Vorfinanzierungskosten im Rahmen tariflicher Lösungen übernommen werden und insgesamt damit Modelle geschaffen werden, die einen längeren Verbleib im Erwerbsleben gewährleisten. Wir brauchen darüber hinaus Lösungen des flexiblen Übergangs vor allem für diejenigen Beschäftigten, die gesundheitlich eingeschränkt sind, also für diejenigen, die zu krank für die Vollzeiterwerbstätigkeit, aber zu gesund für die Erwerbsminderungsrente sind. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Dieser Personengruppe wollen wir mit dem Arbeitssicherungsgeld die Möglichkeit geben, ihre bisherige Tätigkeit zumindest in Teilzeit fortzusetzen. Die Idee ist, dass das Arbeitssicherungsgeld als Leistung der Bundesagentur für Arbeit den Lohnverlust durch die Teilzeit-arbeit zumindest teilweise ausgleicht. Damit könnten wir Arbeitslosigkeit verhindern und eine wirkungsvolle Brücke in den Ruhestand bauen. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit wem setzen Sie das denn um? Haben Sie davon schon Herrn Linnemann überzeugt?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei guter Gesundheit möglichst lange im Erwerbsleben zu halten. Unsere Botschaft ist: Genauso wenig, wie wir auf gut ausgebildeten Nachwuchs verzichten können, kann unsere Wirtschaft auf die Erfahrung und das Wissen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verzichten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die im parlamentarischen Raum, aber auch in der Öffentlichkeit aktiven Miesmacher und Schlechtredner in Sachen Rente ist leider eine schlechte Zeit angebrochen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Meinen Sie Blüm? Norbert Blüm meinen Sie, oder wen?) und zwar aus folgendem Grund: Als wir das Rentenpaket der Großen Koalition beschlossen haben, das seit dem 1. Juli in Kraft ist, ist uns prophezeit worden, nun werde es mit den Rentenfinanzen rapide abwärtsgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Einnahmeentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Jahr war so gut, dass wir nach den gesetzlichen Vorgaben zum 1. Januar 2015 sogar eine Senkung des Rentenversicherungsbeitrags von 18,9 auf 18,7 Prozent vornehmen müssen. Um es kurz und knapp zu sagen: Alle Negativvoraussagen haben sich als falsch erwiesen. Die Rente steht besser da denn je. Das ist das Ergebnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr, sehr kurzsichtig gedacht! Wir sprechen uns 2018 wieder!) Die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages ist auch deswegen richtig, weil wir wissen, dass die Wachstumsprognosen für das kommende Jahr etwas bescheidener ausfallen, als man es ursprünglich gedacht hat. Deswegen ist eine finanzielle Entlastung der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein zusätzlicher Wachstumsimpuls, und die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages führt im Folgejahr zu einer deutlich besseren Rentenanpassung, sprich: Rentenerhöhung für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Zweiter Miesmacherpunkt. Als wir ebenfalls in einer Großen Koalition von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag beschlossen haben, die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung schrittweise bis zum Jahr 2029 auf 67 Jahre anzuheben, ist in diesem Hause und in der öffentlichen Debatte gedroht worden: Das wird eine gigantisches Rentenkürzungsprogramm. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ist es doch!) Auch wir Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und, denke ich, auch in der SPD-Fraktion haben uns bang gefragt: Werden wir es schaffen, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so zu verbessern, dass die Rente mit 67 überhaupt erreichbar ist? Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland, das damals, als wir diesen Beschluss gefasst haben, nicht gerade gut dastand, was die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anbelangt, hat es geschafft, die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich zu steigern. Waren wir früher in Europa eher unter den Schlusslichtern, sind wir heute zusammen mit Schweden Spitzenreiter in der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Erwerbstätigenquote bei den Älteren ist deutlich gestiegen. Lag sie im Jahr 2000 noch bei 20 Prozent, so hat sie nun die Marke von fast 50 Prozent erreicht. All das, was als Miesmacherei in der öffentlichen Debatte zur Rente mit 67 vorgetragen wird, stimmt nicht. Ja, wir haben die Kehrtwende geschafft. Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht Gott sei Dank nach oben. Das ist ein großartiger Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will gerne selbstkritisch hinzufügen, dass uns das nicht reicht. Wir müssen in den kommenden Jahren selbstverständlich unsere Anstrengungen bei altersgerechten Arbeitsplätzen, Gesundheitsförderung und Prävention verstärken. Wir werden demnächst den Entwurf eines Präventionsgesetzes im Deutschen Bundestag beraten. Wir wollen den Menschen die Perspektive geben, bis 65 bzw. 67 Jahre zu arbeiten und dabei gesund zu bleiben. Um das zu können, brauchen wir dringend mehr Flexibilität. Verehrter Herr Kollege Kurth, die Arbeitsgruppe „Flexi-Rente“, in der Kolleginnen und Kollegen aus den beiden Koalitionsfraktionen beraten, ist nicht zur Schmerztherapie da, sondern dafür, in unserem Alterssicherungssystem mehr Flexibilität für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen, einen flexibleren Übergang von der Berufstätigkeit in die Rente zu erreichen und damit vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen. Es ist nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, zu sagen, wann Schluss mit Arbeit ist, wie es die Linke will. Vielmehr ist das eine individuelle Entscheidung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Jeder soll so lange arbeiten können, wie er möchte, und dann aufhören, wann er will. Wir wollen die Freiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, selbst zu entscheiden, vergrößern. Das ist der Sinn von mehr Flexibilität. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wollen, dass sie bis 70 arbeiten! Das ist die Wahrheit!) Der Kollege Rosemann hat das schon vorgetragen: In rentenrechtlicher Hinsicht gibt es die Möglichkeit der Teilrente. Ein Teilrentenbezug ab dem 63. Lebensjahr ist möglich. Allerdings handelt es sich hier um eine sehr starre Regelung. Wir wollen durch Flexibilisierung dieser Regelung einen vielgestaltigen Teilrentenbezug ermöglichen und die Hinzuverdienstgrenzen erhöhen, -damit man Geld durch eine Teilzeittätigkeit hinzuverdienen kann, ohne eine Rentenkürzung hinnehmen zu müssen. Interessant ist, dass der Sozialbeirat, in dem Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und der Wissenschaft am Tisch sitzen, in seiner Stellungnahme unseren Vorschlag zur Flexibilisierung der Teilrente einmütig begrüßt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Forderung von uns!) Das heißt, wir als Große Koalition beraten derzeit über etwas, bei dem Sozialpartner und Wissenschaft hinter uns stehen. Kollege Karl Schiewerling hat eingangs an 125 Jahre Rentenversicherung erinnert. Sie ist damals gestartet mit einer Regelaltersgrenze von 70 Jahren. Die allerwenigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben diese Regelaltersgrenze jemals erreicht. Sie haben also von -ihren Rentenversicherungsbeiträgen überhaupt nichts gesehen. Was für ein Unterschied zu heute! Heute erreichen die allermeisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Renteneintrittsalter. Das Erfreuliche ist: Eine steigende Lebenserwartung sorgt dafür, dass sie länger Rente beziehen als jemals eine Generation zuvor. Wir wollen, dass die Rente auch in Zukunft stark und kräftig ist und für eine gute Altersversorgung in Deutschland sorgt. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, danke für die Gelegenheit, über das, was wir in diesem Jahr über das Rentenpaket hinaus geleistet haben, zu reden. Sie haben es auch geschafft, uns ein bisschen dazu zu verleiten, etwas aus der Arbeitsgruppe zu den flexiblen Übergängen zu berichten. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ihnen ist das gestern in der Fragestunde nicht so gut gelungen. Der Antrag der Linken war ein bisschen klüger. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Die Lage wird richtig beschrieben. Zum einen haben wir eine steigende Erwerbstätigkeit bei älteren Menschen – das ist gut und richtig so –; aber wir können noch lange nicht zufrieden sein mit 30 Prozent sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung bei Menschen zwischen 60 und 64 Jahren. Unser Ziel als SPD ist es, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund und in Vollzeit bis zur Regelaltersgrenze arbeiten zu lassen und ihnen damit auch ein gutes Auskommen im Alter zu sichern. (Beifall bei der SPD) Unser Ziel ist es nicht, die Menschen mit 60 in Rente zu schicken, und unser Ziel ist es auch nicht, dass Menschen ein gutes Auskommen im Alter erst dadurch erlangen, dass sie über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten. (Beifall bei der SPD) Wir wollen durch Prävention, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Qualifikation und Weiterbildung die Menschen gesund ins Rentenalter bringen, und wir wollen durch Ordnung am Arbeitsmarkt und gerechte Löhne die Voraussetzungen für ein gutes Auskommen im Alter schaffen. Vieles davon – bessere Löhne, stärkere Tarifbindung – haben wir bereits im Tarifpaket verwirklicht. Ich glaube, damit haben wir die richtigen Weichen gestellt, was Auswirkungen auf die Rente haben wird. Außerdem haben wir im Rentenpaket die richtigen Weichen gestellt. Wir haben mehr Geld in das Rehabudget gesteckt – ein wichtiger Beitrag für Gesundheitsschutz und Prävention –, und wir haben mit der Rente mit 63 für langjährig Versicherte einen Schritt getan, besonders die Berücksichtigung und die Betrachtung der individuellen Erwerbsbiografien in den Fokus zu nehmen. Gesundheitsschutz, Prävention am Arbeitsplatz und die individuelle Betrachtung der einzelnen Erwerbsbiografien, das ist, glaube ich, der richtige Weg, den wir dort eingeschlagen haben. (Beifall bei der SPD) Insofern haben wir auch – das Thema Prävention ist angesprochen worden – die Umsetzung einer Anti-Stress-Verordnung in unser Regierungsprogramm geschrieben, und wir warten jetzt gemeinsam auf die Ergebnisse der Forschungen zur psychischen Gefährdung am Arbeitsplatz an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Wir werden, wenn die Ergebnisse vorliegen, dieses Thema erneut aufgreifen. Wir werden – Herr Weiß hat es angesprochen – natürlich auch im Präventionsgesetz einen besonderen Wert darauf legen, die Rahmenbedingungen für die betriebliche Gesundheitsförderung durch mehr Geld und bessere Verbindlichkeit zu verbessern. (Beifall bei der SPD) Aber wir diskutieren in der AG „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ noch mehr als das. Wie Sie in Ihrem Antrag richtig schreiben, steigen die Qualifizierungs-anforderungen, und die lebenslange Beschäftigung in einem Betrieb wird mehr und mehr zur Ausnahme. Aber uns reicht es nicht – das ist das, was Sie fordern –, die Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten nur zu stärken. Wir wollen ein Recht auf Qualifizierung und Weiterbildung, wenn es aus Sicht der Erwerbsbiografie heraus notwendig ist. Es gibt zahlreiche Berufe – nicht nur den des Dachdeckers oder des Gerüstbauers, sondern auch den der Altenpflegerin oder der Erzieherin –, die man nach vielen Jahren Berufstätigkeit nur noch in den seltensten Fällen ohne gesundheitliche Einschränkung mit 60 ausüben kann. Aber das weiß man nicht erst, wenn man 60 ist; das weiß man bereits lange vorher. Wenn man dann 60 ist und die Gesundheit ramponiert ist, dann ist der Zeitpunkt, sich noch einmal sinnvoll umzuorientieren, -vorbei. Deswegen wollen wir auch Frau Klein aus Dortmund die Möglichkeit geben, bereits mit 50 die beruflichen Weichen neu zu stellen. Die Idee – wir haben sie einmal „Ü-50-Check-up“ genannt – sieht im Detail Folgendes vor: Wir wollen ein Recht für jeden Erwerbstätigen und jede Erwerbstätige, der oder die das 51. Lebensjahr erreicht hat, eine individuelle Arbeitslaufbahnprognose durch die Agentur für Arbeit zu bekommen. Diese Prognose umfasst die Erwerbsbiografie, die berufliche Qualifikation, die bisherigen psychischen und physischen Belastungen und bisherige Erkrankungen genauso wie individuelle Wünsche und Vorstellungen, wie sich das Arbeitsleben weiter gestalten kann. Aufgrund dieser Prognose werden Maßnahmen vorgeschlagen, die den Erwerbsverlauf positiv beeinflussen können. Aus den vorgeschlagenen Maßnahmen resultiert für den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin ein individuelles Recht auf die entsprechende Förderung. Wie Sie sehen, gehen wir nicht den einfachen Weg – ab in die Rente –, sondern den schwierigen Weg, den Menschen passgenaue und individuelle Hilfestellung zu geben, um das Rentenalter gesund im Beruf zu erreichen. Goethe sagte: Das Menschenleben ist seltsam eingerichtet: Nach den Jahren der Last hat man die Last der Jahre. Wir wollen beide Lasten mildern: gesund arbeiten bis zur Rente und mit der Rente ein gutes Auskommen im Alter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Matthäus Strebl ist jetzt der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der Fraktion Die Linke, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Guter Antrag!) die wieder einmal fordert, von der Rente mit 67 Abschied zu nehmen. Bei der Beratung dieses Tagesordnungspunktes möchte ich kurz den Blick in die jüngere Vergangenheit richten, und zwar auf die Entwicklung des Renteneintrittsalters. Seit Beginn des Jahres 2012 konnten Beschäftigte mit Erreichen des 65. Lebensjahres bei 45 Beitragsjahren ohne die sonst fälligen Abschläge in Rente gehen. Im Juli dieses Jahres haben wir, die Große Koalition, die Möglichkeit geschaffen, das bereits mit 63 Jahren zu tun. Bis Ende Oktober lagen dazu 163 000 Anträge vor. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit gehört aber auch: Es geht um Menschen, die die Wirtschaft dringend benötigt, die ihr fehlen und die nicht zuletzt auch als Beitragszahler für die Rentenversicherung ausfallen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Inzwischen gibt es Forderungen – das möchte ich bei dieser Diskussion auch sagen; das ist konträr zu dem Antrag der Linksfraktion –, das Eintrittsalter sogar auf 70 Jahre festzulegen. In der Europäischen Union gibt es verschiedene Vorschläge aus den verschiedensten Ländern: 72 Jahre, 68 Jahre, 70 Jahre. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Arbeiten, bis wir halbtot sind!) Es gibt auch die Forderung eines EU-Kommissars. (Zurufe von der LINKEN) – Ich berichte ja nur, damit Sie die Bandbreite sehen. – Es gibt zum Beispiel auch die Forderung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. – Das wollen wir nicht; um das gleich vorwegzusagen. Andere – dazu zählt die Fraktion Die Linke – wollen, dass man ab 60 Jahre in die Rente gehen kann. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Möglichkeit geben!) Das hört sich im ersten Moment sehr gut an; denn es gibt Menschen, die früher in Rente gehen wollen. Wer will das nicht? Auf der anderen Seite gibt es Menschen – das belegen Umfragen; das ist ein nicht unbeträchtlicher Personenkreis –, die sogar über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Unternehmer haben längst erkannt, wie wichtig die Erfahrung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist – um auch dieses Thema anzuschneiden –, und behalten solche Beschäftigten oder stellen sogar solche Menschen ein. In Bayern zum Beispiel – um auf mein Heimatland zu kommen – gibt es bereits 19 000 Arbeitnehmer -zwischen 65 und 69 Jahren – und das, so habe ich mir berichten lassen, mit steigender Tendenz. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass immer mehr Betriebe ihre Belegschaften auch im höheren Alter beschäftigen wollen. Weiter heißt es darin – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag –: Deswegen wollen wir, wie auch im Arbeitsmarkt, in der Rente Anreize setzen, damit möglichst viele Menschen bei guter Gesundheit möglichst lange im Erwerbsleben bleiben und über ihre Steuern und Sozialbeiträge die finanzielle Basis unserer Alterssicherungssysteme stärken. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz zum flexiblen Renteneintrittsalter kommen. Auf der einen Seite können flexible Übergänge vielleicht Fachkräfteengpässe mindern. Auf der anderen Seite aber bergen sie die Gefahr in sich, neue Frühverrentungen zu fördern. Eine Teilrente ab 60 Jahren wäre beispielsweise angesichts der demografischen Entwicklung ein völlig verfehltes Signal an die Wirtschaft und die Gesellschaft. Ich darf ein Wort des früheren Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement zitieren, der sich im -vergangenen Jahr ausdrücklich dafür ausgesprochen hat, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. So könne, so Clement, ein Teil der -hinzugewonnenen Lebensjahre aktiv am Arbeitsmarkt verbracht werden. Wolfgang Clement ist sicher ein unverdächtiger Zeuge, wie Sie mir zugestehen werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der ist verdächtig! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, sehr verdächtig!) Demgegenüber stellen Sie von der Fraktion Die Linke einige unhaltbare Forderungen auf, (Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) die zeigen, dass Ihre Stärken jedenfalls nicht in der Wirtschaftspolitik liegen. Sie wenden sich gegen die Teilzeit, und Sie wollen schließlich Versicherten mit 40 Beitragsjahren ab Vollendung des 60. Lebensjahres den abschlagsfreien Zugang zu einer Altersrente gewähren. – So steht es auf Seite 4 Ihres Antrags. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, ja! Guter Antrag!) Ich frage mich da schon: Ist das eine verantwortungsvolle Politik im Angesicht der demografischen Entwicklung? (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Natürlich!) Ich meine, das ist nicht der Fall. Was würde das Ganze kosten? 33 Milliarden Euro sind derzeit in der gesetzlichen Rentenversicherung. Aufgrund der hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Zahl von Beschäftigten war das möglich. Aber man muss auch sagen: Durch Ihre Politik wäre dieses Guthaben schnell aufgebraucht. Es ist der Vorzug der Opposition, in diesem Fall der Linksfraktion, unhaltbare Forderungen erheben zu können, ohne jemals in Verantwortung gebracht zu werden. Nach diesem Muster sind Sie auch hier verfahren. Sie werden sicherlich von mir erwarten, dass ich Ihren -Antrag für die CDU/CSU-Fraktion ablehne. Ich will Sie nicht enttäuschen und bitte das Hohe Haus, diesen -Antrag der Linken als unrealistisch und populistisch zurückzuweisen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/3312, 18/3260, 18/3261 (neu) und 18/3387 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksachen 18/3017, 18/3158 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/3441 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3442 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute beraten wir in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zoll-kodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, das sogenannte Zollkodex-Anpassungs-gesetz. Welch schöner Name! Früher haben wir einfach „Jahressteuergesetz“ gesagt. Neben den Änderungen der Abgabenordnung dient das Gesetz der Anpassung des Steuerrechts an Recht und Rechtsprechung der Europäischen Union sowie der -Umsetzung von Rechtsanpassungen in verschiedenen Bereichen des deutschen Steuerrechts. Es geht dabei um technische Änderungen, notwendige Klarstellungen, aber auch um materielle Regelungen. Der Regierungsentwurf sah zunächst 33 Änderungen des Steuerrechts vor. Die Länder haben dann über den Bundesrat in ihrer Stellungnahme kurzfristig immerhin weitere 58 Maßnahmen eingefordert, zum Teil Regelungen mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen. In den Beratungen haben wir uns mit jedem einzelnen Punkt beschäftigt. Aber eine sorgfältige Prüfung aller Forderungen der Länder war in dieser knappen Zeit nicht möglich. Gerade in der Steuergesetzgebung muss der Grundsatz gelten: Sorgfalt vor Eile. (Beifall bei der CDU/CSU) Steuerpolitik macht man nicht im Schweinsgalopp. Die Auswirkungen der jeweiligen Gesetzesregelungen müssen genau betrachtet werden. Schnellschüsse können ziemlich danebengehen und erhebliche Schäden anrichten. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, das war jetzt aber echt kein Schnellschuss!) Auch hätten die Steuerpflichtigen kaum oder eigentlich gar keine Zeit gehabt, sich auf die umfangreichen Rechtsänderungen einzustellen. Darum haben wir einige Änderungswünsche des Bundesrates nicht erfüllt. Diese Vorschläge bedürfen weiterer Beratungen und ihre Umsetzung eines gewissen zeitlichen Vorlaufs. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!) Wir werden uns mit den unberücksichtigten Anträgen im nächsten Jahr beschäftigen. Diese Beratungen wollen wir möglichst im ersten Halbjahr 2015 zum Abschluss bringen. Denn Steuergesetze sollten zeitlich möglichst so beschlossen werden, dass sich sowohl die Steuerpflichtigen als auch deren Berater rechtzeitig auf die Änderungen vorbereiten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, in der Koalition haben wir uns nach umfangreichen Beratungen auf nunmehr 16 Änderungen verständigt. Dabei sind insbesondere die zeitkritischen Forderungen des Bundesrates berücksichtigt worden. Aufgrund der knappen Zeit möchte ich nur einige Maßnahmen benennen: Wir stellen rückwirkend den sogenannten INVEST-Zuschuss für Wagniskapital steuerfrei. Es macht keinen Sinn, dass Zuschüsse aus Steuermitteln als Betriebseinnahmen wiederum versteuert werden müssen und sich somit im Ergebnis vermindern. Mit der Steuerfreistellung werden wir das Programm – so hoffen wir jedenfalls – noch attraktiver machen und mehr Beteiligungskapital aktivieren. Meine Damen und Herren, wir brauchen einen neuen Gründergeist in Deutschland. Dies muss auch das Steuerrecht begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Darum sage ich: Auch neben der Steuerfreistellung des INVEST-Zuschusses werden wir hinsichtlich des -Erhalts von Verlustvorträgen prüfen müssen, ob eine europarechtskonforme Lösung für junge innovative Unternehmen möglich ist. Darüber hinaus sollten wir – ich weiß, das ist umstritten – auch auf die Einführung einer Steuerpflicht für Veräußerungsgewinne bei Streubesitzdividenden verzichten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies werden wir aber, so vereinbart, bei der anstehenden Reform des Investmentsteuergesetzes noch einmal ergebnisoffen beraten. Mit der Einführung der Steuerfreiheit für Leistungen des Arbeitgebers für Serviceleistungen im Rahmen der Betreuung von Kindern und zu pflegenden Angehörigen wird ein weiterer wichtiger Beitrag für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geleistet. Neben den Beratungs- und Vermittlungsleistungen kann der Arbeitgeber nunmehr auch die Kosten für die Betreuung von Kindern und zu pflegenden Angehörigen, die kurzfristig aus zwingenden beruflich veranlassten Gründen entstehen, steuerfrei ersetzen. Wir haben uns weiter mit der Definition der Kriterien für die Erstausbildung in § 9 des Einkommensteuergesetzes aufgrund eines BFH-Urteils beschäftigt. Bisher, so die BFH-Richter, war der Begriff der Erstausbildung nicht hinreichend geklärt. Dies ist aber notwendig, da wir uns als Gesetzgeber entschieden haben, die Erstausbildung der privaten Lebensführung zuzuordnen und -somit keinen Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug zuzulassen. Bei einer anschließenden Ausbildung ist dies dann wiederum möglich. Es kam somit – wie immer im Leben – zu Umgehungen. So wurden vor dem Erststudium zum Beispiel „Ausbildungen“ als Taxifahrer oder Skilehrer gemacht. Es war also notwendig, eine neue Definition zu finden. Wir haben das an der Dauer der Ausbildung festgemacht. Der Gesetzentwurf sah zunächst eine Dauer von 18 Monaten vor. Aber um auch kürzere Ausbildungen, wie zum Beispiel als Helferin bzw. Helfer im Gesundheits- und Sozialwesen nicht unberücksichtigt zu lassen, haben wir die Mindestdauer auf zwölf Monate gesenkt. Dies ist, wie ich finde, eine gute und praktikable Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch bei der Besteuerung von geldwerten Vorteilen im Rahmen von Betriebsveranstaltungen haben wir den Regierungsentwurf durch einen gemeinsamen Änderungsantrag angepasst. Hier greifen wir insbesondere die im Rahmen der öffentlichen Anhörung geäußerten -Bedenken und Anregungen auf. Das Wichtigste ist: Die bisherige Freigrenze in Höhe von 110 Euro wird durch einen Freibetrag in gleicher Höhe ersetzt. Dies ist eine lang erhobene Forderung der Praxis und ein wichtiges Signal; denn das Thema Betriebsveranstaltungen – das kann ich Ihnen aus meiner beruflichen Praxis erzählen – war ständiges Streitthema in den Betriebsprüfungen, da 1 Euro mehr bei einer Freigrenze bedeutet, dass sofort die volle Besteuerung einsetzt und der Fallbeileffekt -eintritt. Wir sind nun zu einer moderateren Lösung, die zu einer Befriedung von sehr vielen Betriebsprüfungen führen wird, gekommen. Insgesamt halte ich dies für eine gute Lösung, auch für die Arbeitnehmer. Im Ausschuss wurde vorgetragen, da würde ja alles besteuert. – Herr Pitterle, für den Fall, dass Sie es nachher wieder sagen, möchte ich schon jetzt darauf hinweisen, dass in fast allen Fällen pauschal besteuert wird, -sodass der Arbeitnehmer überhaupt nicht betroffen ist, sondern sich an der Betriebsveranstaltung einfach erfreuen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! Eine sehr gute Lösung!) Des Weiteren passen wir das erst im Kroatien-Gesetz eingeführte Reverse-Charge-Verfahren für Metalle an und führen eine Bagatellgrenze in Höhe von 5 000 Euro ein. Wir haben auch den Leistungskatalog reduziert, um eine praktische Lösung zu finden. Außerdem schaffen wir einen sogenannten Schnellreaktionsmechanismus im Umsatzsteuerrecht. Er ermöglicht es, schnell und kurzfristig auf betrügerische -Handlungen zu reagieren. So kann die Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger bei einer Mehrzahl von Fällen des Verdachts auf Steuerhinterziehung zeitlich beschränkt erweitert werden – ein wirksamer Beitrag gegen den Umsatzsteuerbetrug. Meine Damen und Herren, das waren nur einige Beispiele der Neuregelungen, die wir heute mit dem Gesetz treffen. Ich hatte bereits erwähnt, dass wir weitere Dinge beraten werden, die auch vom Bundesrat aufgerufen worden sind. Es geht um die Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltung. Dazu sage ich Ihnen aber deutlich: Wir sollten dort auf eine internationale Lösung im Rahmen des BEPS-Projektes setzen und keine nationale -Lösung präferieren. Von daher sollten wir uns die Zeit nehmen, abzuwarten, was beim OECD-Verfahren herauskommt. Wir werden, wie angekündigt, über die künftige Besteuerung von Streubesitzdividenden und von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitzbeteiligungen sprechen. Wir werden uns auch über Änderungen im Bewertungsgesetz unterhalten. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Schneller wäre besser gewesen, ehrlich gesagt!) Insbesondere wenn das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Erbschaftsteuer am 17. Dezember verkündet hat, wird es unter Umständen Änderungsbedarf geben, und dann werden wir uns vielleicht auch die Bewertungsfragen anschauen müssen. Wir werden uns auch – das ist der Wunsch der Länder und unseres Koalitionspartners – mit dem § 20 des Umwandlungssteuergesetzes beschäftigen. Ich bitte nur darum, dass wir das mit Augenmaß tun. Das Umwandlungssteuerrecht soll Umstrukturierungen von Unternehmen steuerneutral ermöglichen, damit man auf neue Situationen reagieren kann. Wir sollten hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und eine schlechtere Lösung für die deutsche Wirtschaft, insbesondere auch für den Mittelstand, schaffen, wie wir es ja schon beim § 50 i EStG, den ich in diesem Zusammenhang auch noch erwähnen möchte, getan haben. Es wäre mein dringender Wunsch an den Koalitionspartner, dass wir auch über den § 50 i und die Anpassung dieser Regelung noch einmal reden. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein! Der ist gut gelungen! Den sollte man so lassen!) – Ja, Herr Binding, das habe ich ja befürchtet. Darum habe ich es ja noch einmal aufgenommen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir wollen keine Schlupflöcher mehr!) Herr Binding, ich war ja ganz froh, als ich am letzten Freitag die FAZ gelesen habe, der der nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans gesagt hat, er sei auch der Auffassung, dass eine Anpassung erfolgen müsse. Von daher hoffe ich, dass dieser Geist auch in der SPD-Fraktion hier im Hohen Hause ankommt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Anpassung kann auch Verschärfung heißen! Aber wir wollen es einfach einmal so lassen!) Wir haben jedenfalls eine überschießende Wirkung, die wir damals, als wir das sogenannte Kroatien-Gesetz beschlossen haben, nicht erkannt haben; das müssen wir zugeben. Auch die Sachverständigen haben diese nicht erkannt. Es gibt reine Inlandssachverhalte, die zu einer Besteuerung führen können. Es gibt auch Sachverhalte, in denen es zu Erbschaften oder Schenkungen kommt und bei denen das Steuersubstrat in Deutschland bleibt, die zu negativen steuerlichen Folgen führen. Von daher wollten wir auch den § 50 i EStG aufgreifen. Meine Damen und Herren, abschließend noch eine kurze Anmerkung zum Entschließungsantrag der Grünen. Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, das steuerliche Existenzminimum für Kinder 2014 bzw. 2015 an die verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen anzupassen und das Kindergeld entsprechend zu erhöhen. Bereits im Ausschuss ist von Herrn Staatssekretär Meister bekannt gegeben worden, dass noch in diesem Jahr ein neuer Existenzminimumbericht der Bundesregierung vorgelegt werden soll. Ich bin mir sicher – so viel Vertrauen habe ich in die Bundesregierung –, dass die entsprechenden gesetzgeberischen Initiativen ergriffen werden, sodass Aktionismus in Bezug auf dieses Gesetz nicht notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grün wirkt!) Lassen Sie mich zusammenfassen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Güntzler, schaffen Sie das in einem Satz? Sie sind leider weit über der Redezeit. Fritz Güntzler (CDU/CSU): Dann bedanke ich mich bei allen, die an diesem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt haben, sowohl bei den Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive Debatte als auch bei den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums, die uns immer geholfen haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Wehrpflichtige auf der Tribüne! (Manfred Zöllmer [SPD]: Wir haben keine Wehrpflichtigen mehr!) Weihnachten steht vor der Tür. Mit dem vorliegenden Gesetz haben Sie den Steuerpflichtigen auch ein Geschenk gemacht. Es ist schön verpackt unter dem märchenhaften Titel: „Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“. Zu der Frage, warum Sie das nicht als Jahressteuergesetz verpacken, habe ich eine Vermutung. Aber dazu komme ich später. Wenn man das Geschenk öffnet, stößt man erst auf positive Überraschungen – Klammer auf: hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut; Klammer zu –: Gut ist zum Beispiel, dass Sie einen Schnellreaktionsmechanismus bei der Umsatzsteuer einführen, um künftig auch kurzfristig auf betrügerische Karussellgeschäfte und dergleichen reagieren zu können. Gut ist auch die Änderung der Definition des Begriffes „Geschäftsbeziehung“ im Außensteuergesetz. Grenzüberschreitende Gewinnverschiebungen, die zum Ziel haben, einer Besteuerung zu entgehen, können nun leichter bekämpft werden. Zudem ist es lobenswert, dass Sie ein Einsehen bei den geplanten Kriterien zur Definition einer beruflichen Erstausbildung hatten und die Mindestausbildungsdauer von 18 auf 12 Monate herabgesetzt haben, sonst wäre nämlich zum Beispiel die Ausbildung zur Krankenpflegerin oder zum Altenpfleger steuerlich nicht als Erstausbildung anerkannt worden. (Manfred Zöllmer [SPD]: Dann könnt ihr ja zustimmen!) Damit wäre die Freude am Geschenk auch schon vorbei. Meine Vermutung ist, dass Sie die Verpackung „Jahressteuergesetz“ nicht gewählt haben, weil Sie verschleiern wollen, dass Sie wieder einmal viele Änderungen auslassen, die ein Jahressteuergesetz eigentlich mit sich bringen sollte. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber bunt!) Ich will Ihnen einmal drei Punkte nennen, die Sie hätten berücksichtigen müssen. Erstens: die Bekämpfung von Steuervermeidung. Hier wurde einiges in den Beratungen zum Gesetzentwurf angesprochen, zum Beispiel die sogenannten hybriden Steuergestaltungen, bei denen grenzüberschreitend tätige Unternehmen steuerrechtliche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern nutzen, um eine Nichtbesteuerung oder einen doppelten Betriebsausgabenabzug zu erreichen. Oder nehmen wir die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitzbeteiligungen nach dem Körperschaftsteuergesetz. Hier eröffnet die unterschiedliche Besteuerung von Dividendenerträgen auf der einen und Veräußerungsgewinnen auf der anderen Seite steuerlichen Gestaltungsspielraum. Klingt alles kompliziert, ist aber im Ergebnis immer denkbar einfach: Große Unternehmen nutzen Schlupflöcher und Gestaltungsmöglichkeiten, um kräftig Steuern zu sparen, während die vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, wie die Versicherungsangestellte oder der Bäckermeister von nebenan, sich fragen, in welche Taschen die teils riesigen Gewinne der Unternehmen eigentlich wandern. Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, sehen dabei einfach zu, und das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. (Beifall bei der LINKEN) Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme dazu geraten, diese Schlupflöcher mit dem vorliegenden Entwurf zu schließen. Von dringendem gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Vermeidung von Steuerausfällen war die Rede. Doch was machen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition? Nichts. Und das ist schlecht. Mit Verlaub, es ist nicht sonderlich glaubhaft, wenn Sie nun an anderer Stelle mit breiter Brust behaupten, Sie würden ja ach so entschlossen gegen Steuervermeidung vorgehen. Ich finde, da hilft Ihnen auch Ihr ständiger Verweis auf die internationale BEPS-Initiative zur Bekämpfung von Steuervermeidung nichts; denn wenn es um wirksame Maßnahmen auf nationaler Ebene geht, kommt bei Ihnen nur heiße Luft. Zweitens: der Kinderfreibetrag. Laut dem Neunten Existenzminimumbericht aus dem Jahr 2012 erfüllt der derzeitige Kinderfreibetrag nicht die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Freistellung des sächlichen Existenzminimums von Kindern. Er liegt 72 Euro darunter. Für Familien mit niedrigen Einkommen sind das keine Peanuts. Es darf nicht sein, dass zum Beispiel Geld für Schulhefte oder für ein gesundes Mittagessen fehlt. Das ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und gehört durch eine Anpassung des Betrages schnellstens geändert. (Beifall bei der LINKEN) In diesem Entwurf wäre die Gelegenheit dazu gewesen. Doch was machen Sie von der Bundesregierung? Wieder nichts. Sie können sich sicher sein, die Fraktion Die Linke wird Ihnen auch weiterhin auf die Finger klopfen, wenn Sie sich nicht endlich wenigstens an das halten, was die Verfassung unseres Landes als Minimum vorgibt. Drittens: die Altersvorsorge. Mit dem Entwurf soll bei der Einkommensteuer die Höchstgrenze des Absetzbetrages von 20 000 Euro für eine Basisversorgung im Alter an den Höchstbeitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung gekoppelt werden. Das entspricht derzeit einer Anhebung auf über 22 000 Euro. Damit sind zum einen Steuerausfälle in zweistelliger Millionenhöhe verbunden, zum anderen handelt es sich hierbei um eine Steuerentlastung für wenige Besserverdienende, von der die Mehrheit der Bevölkerung nichts hat. Ich bin mit der Aufzählung dessen, was in Ihrem Entwurf versäumt oder falsch gemacht wurde, noch nicht am Ende, leider aber fast am Ende meiner Redezeit. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die positiven Überraschungen Ihres Geschenks reichen leider nicht aus, um Ihren Entwurf zustimmungsfähig zu machen. Daher wird sich die Linke enthalten. (Manfred Zöllmer [SPD]: Schade!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Pitterle, die Ankündigung des Schlusses ersetzt ihn nicht. Kommen Sie bitte zum Schluss. Richard Pitterle (DIE LINKE): Sie haben bei teils guten Ansätzen leider wieder einmal zu viel ausgelassen, um wirklich etwas zu bewegen. Das scheinen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch so zu sehen, zumindest greift Ihr Entschließungsantrag einige dieser Punkte ebenfalls auf. Diesem werden wir daher zustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend das Jahressteuergesetz 2015. Es ist eine Herausforderung, ein -Gesetzgebungsverfahren mit mehr als hundert vorgeschlagenen Maßnahmen, die inhaltlich nicht zusammenhängen, als Berichterstatter zu betreuen. Dennoch dürfte jedem klar sein, dass auch diese kleinen steuerlichen Änderungen und Anpassungen in der Realität große Auswirkungen haben können. Da es noch keiner gemacht hat, will ich etwas zum Namensgeber dieses Gesetzes sagen, nämlich zur Anpassung des Zollkodexes; ich finde, das sollte zumindest der Form halber geschehen. Die EU-Rahmenverordnung, die den Zollkodex der Union neu regelt, dient der Modernisierung des EU-weiten Zollwesens. Deshalb ist es gut, dass die deutsche Abgabenordnung mit diesem Gesetz an den Zollkodex der Europäischen Union angepasst wird. Der größte Teil des Gesetzes enthält eine Reihe redaktioneller Änderungen quer durch das deutsche Steuerrecht, die eigentlich politisch unstrittig sind. Schließlich werden Empfehlungen des Bundesrechnungshofs berücksichtigt und viele Besteuerungsverfahren am Ende vereinfacht. Ich werde nicht auf jeden Änderungsvorschlag eingehen können, will aber trotzdem betonen: Bei vielen dieser Maßnahmen handelt es sich um wichtige Änderungen, die den Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten in den Verwaltungen ihre wichtige Arbeit erleichtern und Bürokratie abbauen werden; das muss man an dieser Stelle einmal betonen. (Beifall bei der SPD) Wir haben uns mit ganz vielen Änderungsvorschlägen intensiv beschäftigt. Als Sozialdemokraten haben wir die vorgeschlagenen Maßnahmen da, wo es nötig war, vor allem im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert. Wir haben – ich finde, auch das ist sehr wichtig – die Ratschläge der Expertinnen und Experten aus der Anhörung berücksichtigt. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man nach einer Anhörung der Experten noch einmal aktiv wird, weil es sonst am Ende eine Showveranstaltung bleibt. Ich will auf einige Beispiele konkret eingehen. Das Thema der Erstausbildung ist genannt worden. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir hatten Fälle, in denen Leute mehr oder weniger eine Form von Scheinerstausbildung gemacht haben – kurze und kürzeste Ausbildungen, nur um am Ende zum Beispiel im Studium in den Genuss eines Werbungskostenabzuges zu kommen. Diese Lücke haben wir mit diesem Gesetz geschlossen. Die Frage, ob eine Ausbildung mindestens 18 Monate oder 12 Monate dauern muss, um als Erstausbildung gewertet zu werden, haben wir intensiv diskutiert. Ich kann sagen: Für die steuerliche Behandlung ist es gar nicht entscheidend, ob es zwölf Monate sind oder nicht. Aber wir senden mit diesem Steuergesetz eine wichtige Botschaft nach draußen: Wenn jemand zwölf Monate lang eine Ausbildung macht, dann ist es eine Erstausbildung, nicht einfach irgendetwas, was man mal so macht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es wurde auch über die Besteuerung von Betriebsveranstaltungen gesprochen. Auch das ist hitzig diskutiert worden. Ich finde, das kann man verstehen. In vielen Betrieben, auch hier im Deutschen Bundestag, finden momentan die Weihnachtsfeiern statt. Es war nie unsere Intention oder die Intention der Bundesregierung, diese Betriebsfeiern unmöglich zu machen. Deswegen ist es gut, dass wir von der Freigrenze zum Freibetrag gekommen sind, dass wir bei den Gemeinkosten präziser geworden sind, dass die Reisekosten da jetzt ausgeklammert werden. Die Botschaft, die wir aussenden können, lautet: Die Weihnachtsfeiern und alle anderen Feiern, die in den kommenden Jahren in Unternehmen geplant sind, können stattfinden. Das ist eine Maßnahme vor allem im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch in deren Interesse ist es, dass wir uns darauf geeinigt haben, die sogenannte 44-Euro-Freigrenze für Gutscheine so beizubehalten, wie sie ist. 44 Euro sind für die Topmanager, über die wir heute reden und die große Boni bekommen, nichts. Aber für jemanden, der jeden Tag hart arbeitet und ein kleines Einkommen hat, sind 44 Euro etwas. Deswegen finden wir es richtig, dass es bei der Praxis bleibt, dass diese wie bisher zu den Sachbezügen gezählt werden und es da keine Verschlechterung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Einen Punkt will ich herausgreifen, weil ich auch Berichterstatter im Bereich der Geldwäscheprävention bin. Ich habe heute eine Petition zur Bekämpfung von Geldwäsche mit 75 000 Unterschriften entgegengenommen. Wir greifen mit der Änderung des § 31 b der Abgabenordnung genau dieses Thema im Jahressteuergesetz auf. Das ist wichtig, weil unserem Land auch hier Steuereinnahmen verloren gehen. Die Geldwäsche ist – das wird viel zu häufig vergessen – auch ein Teil der organisierten Kriminalität. Uns lagen auch – das ist schon erwähnt worden – jede Menge Änderungsanträge des Bundesrates vor. Ich stimme Ihnen zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass wir in Steuerfragen ordentlich arbeiten müssen. Aber uns muss auch klar sein, dass Zeit an dieser Stelle im wahrsten Sinne des Wortes auch Geld ist. Denn wenn man sich zu viel Zeit lässt, gehen dem Staat entsprechende Steuereinnahmen verloren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass es hier nicht der Fall sein wird; aber diese Gefahr steht im Raum. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Wir hätten uns an der einen oder anderen Stelle schon vorstellen können, ein bisschen schneller voranzugehen, die Initiativen des Bundesrates entsprechend zu unterstützen. Denn für die SPD im Bund und in den Ländern ist klar: Wir wollen legalen und illegalen Steuertricks einen Riegel vorschieben, und zwar je früher, desto besser. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang sind Themen wie der sogenannte Porsche-Deal zu nennen. Das ist genau so ein Punkt, weshalb wir eigentlich Jahressteuergesetze machen. Das war nichts Illegales, was dort gelaufen ist, sondern das war – so muss man konstatieren – eine sehr kreative Leistung von sehr findigen Beraterinnen und Beratern. Aber unsere Aufgabe hier im Deutschen Bundestag ist es, Lücken, die solche Dinge ermöglichen, die wir nicht möchten, zu schließen. Ich hoffe, dass es in der Zeit, die wir jetzt brauchen, bis wir die entsprechenden Änderungen beschlossen haben, keinen zweiten Porsche-Deal geben wird. Aber die gute Nachricht ist ja, wir sind uns in der Koalition an der Stelle einig – vielleicht nicht ganz über die Geschwindigkeit, über die Inhalte sehr wohl. Wir werden das Thema der hybriden Gestaltungen angehen. Ich finde es keine so clevere Idee, die BEPS-Initiative irgendwie kleinzureden. Wir wissen doch, hybride Gestaltungen sind kein nationales Problem, sondern ein internationales Problem. Deswegen müssen wir es auch international angehen. Ich denke, BEPS ist dafür ein sehr gutes Beispiel. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Alles in allem werden wir als SPD-Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf natürlich zustimmen. Das Jahressteuergesetz enthält in der Endfassung knapp 50 Maßnahmen quer durch das deutsche Steuerrecht, die zusammengenommen eine große Wirkung haben. Wir bauen Bürokratie ab, wir entlasten die Beschäftigten. Ich denke, das ist so kurz vor Weihnachten eine gute Nachricht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Lisa Paus hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden hier heute über ein Gesetz, das vor allen Dingen nicht Jahressteuergesetz heißen darf. Deswegen heißt es irgendwie anders. Warum nicht „Jahressteuergesetz“? Weil die Koalition ja im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, dass sie in dieser Legislaturperiode keine Steuerpolitik machen will, damit auch jede Erwartung, dass da irgendetwas passiert, sozusagen im Kern zerstört wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch ein Wert an sich! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wobei es so nötig wäre!) Deshalb ist klar: Es gibt keine Jahressteuergesetze mehr. Deswegen haben wir eben dieses „Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union“. Aber normalerweise müsste der Grundstandard eines solchen Gesetzes sein – wir haben keine Erwartungen, nur eine ganz kleine Resterwartung –, dass zumindest verfassungswidrige Zustände korrigiert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) Das, glaube ich, sollte eigentlich ein Standard sein, auf den wir uns hier alle gemeinsam einigen können. Was stellen wir fest? Es gibt eine Vielzahl von Regelungen – dazu haben wir jetzt schon einiges gehört –, die verschiedensten Dinge, aber eine Sache fehlt, und zwar die Korrektur des seit elf Monaten verfassungswidrigen Zustandes, dass das steuerfreie sächliche Existenzminimum für Kinder um 72 Euro zu niedrig ist. Das ist ein echter Skandal, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist übrigens umso dreister, als das eben auch schon seit 2012 bekannt ist. Das ist nichts, was man jetzt ganz kurzfristig festgestellt hat. Seit 2012 ist ausweislich des eigenen Existenzminimumberichts der Bundesregierung bekannt, dass, wenn man es nicht ändert, diese Bundesregierung im Jahr 2014 – jetzt, wo wir gerade beginnen, die Weihnachtsfeier zu planen oder durchzuführen – verfassungswidrig handelt. Das wäre jetzt die letzte Gelegenheit gewesen, das in diesem Jahr zu ändern. Sie machen das nicht. Das ist wirklich ungeheuerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was gehört außerdem dazu? Was fehlt noch? Die Anhebung des Kindergeldes um 2 Euro. Das würde zwar tatsächlich Geld kosten – das hätten wir dann letzte Woche auch im Haushalt verankern müssen –, nämlich 425 Millionen Euro. Seit 1995 wird das immer gemeinsam gemacht – diese Kopplung ist Praxis; hier vom Deutschen Bundestag beschlossen –, die notwendige Anhebung des steuerfreien Existenzminimums gemeinsam mit einer entsprechenden Kindergeldanpassung. Aber auch das haben Sie nicht gemacht. Deswegen muss man heute konstatieren, dass Herr Schäuble seine schwarze Null auch durch eine verfassungswidrige Verzögerung bei der steuerlichen Entlastung von Familien erkauft hat, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]) Was fehlt noch in diesem Gesetzentwurf? Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag versprochen – Sie haben nichts Großes versprochen, nur kleine Dinge, die aber für die Betroffenen wichtig sind –, den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zu erhöhen. Der liegt seit 2004 unverändert bei 1 308 Euro, und das trotz der gestiegenen Lebenshaltungskosten und der eklatanten Besserstellung von Ehen und Lebenspartnerschaften. Zum Vergleich: Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende führt zu einer maximalen Steuerersparnis von 600 Euro, bei Ehepaaren können allein durch das Ehegattensplitting bis zu 16 000 Euro pro Jahr gespart werden. Das muss sich ändern. Aber nicht einmal diese minimale Anhebung, wie sie seit langem gefordert wird – und die Sie auch versprochen haben –, ist in diesem Gesetzentwurf enthalten. Das ist nicht in Ordnung. Noch besser wäre es gewesen, Sie wären unserem Vorschlag gefolgt. Wir schlagen vor, dass der höhere Entlastungsbetrag plus eine Steuergutschrift kommen, damit auch Alleinerziehende mit geringem Einkommen erreicht werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es fehlt noch einiges. Vor allen Dingen fehlt eine gleichstellungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung. Ich muss allerdings sagen: Sie fehlt nicht nur bei diesem Gesetz, sondern bei fast allen Gesetzen der letzten 40, 50 oder 60 Jahre. Es ist aber wichtig, zu betonen: Das ist eigentlich Standard. In der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien wird die Bundesregierung verpflichtet, bei Gesetzentwürfen anzugeben, wie es mit der gleichstellungsorientierten Gesetzesfolgenabschätzung aussieht. In der Praxis passiert allerdings nichts anderes, als dass irgendjemand ein Kreuz in das Kästchen „keine Auswirkungen“ macht. Es gibt aber Auswirkungen beim Thema Altersvorsorge. In diesem Gesetz wird eine Erhöhung des Absetzbetrages für Altersvorsorgeaufwendungen von heute 20 000 Euro auf im nächsten Jahr 22 000 Euro verankert. Davon profitieren diejenigen in unserem Lande, die statt 1 600 Euro pro Monat 1 800 Euro pro Monat für die Altersvorsorge zur Seite legen können. Sie haben eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Menschen das in unserem Lande können? In der Summe sind es 10 000. Sie können sich auch vorstellen, wie viele Frauen darunter sind. Diese eine Maßnahme macht deutlich, dass wir dringend handeln müssen. Wir wollen mit unserem Entschließungsantrag über diesen und auch andere Punkte eine Diskussion anstoßen, damit wir zumindest im nächsten Jahr zu verfassungsgemäßen und der Sache entsprechenden Steuergesetzen in unserem Land kommen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: 2 Euro Kindergeld pro Monat, die sind auch diskriminierbar! Es ist klug, man überlegt sich da was Größeres!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Philipp Graf Lerchenfeld hat für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Es ist schon mehrfach gesagt worden, welche Änderungen wir mit dem Zollkodex-Anpassungsgesetz vornehmen wollen. Als ich unserem Kollegen Pitterle vorhin zugehört habe, war ich schon ganz euphorisch, weil ich mir gedacht hatte, der Weihnachtsfrieden treibt ihn so weit, dass er dem Gesetzentwurf voll umfänglich zustimmen würde. Aber ich bin schon dankbar, dass wir wenigstens umfänglich gelobt wurden. Vielen herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das war nur am Anfang!) Durch den Gesetzentwurf werden viele steuerliche Regelungen neu gefasst. Unser Steuerrecht wird an die Rechtsprechung der Europäischen Union angepasst. Die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes werden dadurch umgesetzt und Vereinfachungsverfahren im Besteuerungsverfahren durchgesetzt. Die Länder haben uns noch kurz vor Ende der Beratungen mit 72 Regelungen beglückt, die wir noch in die Beratungen einfließen lassen sollten. Wir haben das auch umfänglich getan. Es waren teils nur technische Dinge, aber teils auch durchaus politisch umstrittene Fragen. Wir haben den Anregungen der Länder in vielen Aspekten durchaus Folge geleistet, vor allem bei denen, die uns wichtig erschienen sind und die in der Kürze der Zeit auch vernünftig und ausführlich beraten werden konnten. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Mit den anderen Forderungen der Länder werden wir uns im kommenden Jahr sicherlich beschäftigen müssen; denn es wurden viele Dinge genannt, die uns zum Nachdenken gebracht haben und bei denen wir Änderungsmöglichkeiten sehen. Manche Forderungen müssen wir aber aus verschiedenen Gründen ablehnen. Die Vorschläge, die in der Anhörung von den Sachverständigen vorgebracht wurden, konnten in den Gesetzentwurf eingearbeitet werden. Aber auch hier gilt: Die Anregungen der Sachverständigen in der Anhörung werden uns auch im nächsten Jahr beschäftigen. Von besonderer Bedeutung – das wurde teilweise schon erwähnt – war für mich neben den Änderungen im Einkommensteuerrecht, bei der Abgabenordnung und bei der Grunderwerbsteuer die Einführung der Verordnungsermächtigung zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges. Mit dieser Ermächtigungsklausel in § 13 b Umsatzsteuergesetz erhält Deutschland die Möglichkeit, schnell auf erkannte Betrugsmaschen im Bereich der Umsatzsteuer zu reagieren. Mit diesem Schnellreak-tionsmechanismus, der im Übrigen auf einer EU-Richtlinie beruht, kann das Bundesfinanzministerium mit Zustimmung des Bundesrates schnell neue Tatbestände in § 13 b Umsatzsteuergesetz einfügen und damit Umsatzsteuerbetrug auch in Zukunft vernünftigerweise verhindern. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber leider ohne Beteiligung des Bundestages!) Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs und die vielen umfangreichen eingefügten Regelungen sind von meinen Vorrednern bereits ausführlich dargestellt worden. Es ist zu begrüßen, dass wir während der Beratungen des Gesetzentwurfs verschiedene Schärfen und -Unklarheiten, die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorhanden waren, verändern konnten. Ob es dabei um die Besteuerung der geldwerten Vorteile von Betriebsveranstaltungen ging, die Definition der Erstausbildung oder die Anpassung der Förderhöchstgrenze für Beiträge zugunsten einer Basisversorgung im Alter an die knappschaftliche Rentenversicherung – diese Vorschläge wurden aufgenommen und umgesetzt; sie sind ja schon benannt worden. Im Rahmen der Beratungen ist mir wieder einmal -aufgefallen, dass wir immer mehr dazu tendieren, Einzelfälle steuerlicher Art, die sicherlich oft durchaus spektakulär sind – Herr Dr. Zimmermann hat das ja angesprochen –, durch allgemeine Gesetzesnormen zu erfassen. Dabei schleichen sich leider Gottes immer wieder Fehler ein. Diese Fehler in den Gesetzen werden uns erst dann bewusst, wenn wir von der Praxis nach einiger Zeit darauf aufmerksam gemacht werden. Auch hierfür ist der vorliegende Gesetzentwurf ein leuchtendes Beispiel. Mit dem sogenannten Kroatien-Gesetz, das dieses Haus erst kürzlich verabschiedet hat, haben wir steuerliche Regelungen eingeführt, die hinsichtlich ihrer praktischen Auswirkungen auf die Besteuerung nicht in vollem Umfang erkannt wurden. Deshalb müssen wir jetzt Änderungen vornehmen. Wir haben dabei leider nur die Chance zur Änderung des § 13 b Absatz 2 Nummer 11 Umsatzsteuergesetz ergriffen. Nicht angefasst haben wir den § 50 i Einkommensteuergesetz. Ich halte diese Vorschrift für genauso bedeutend, für genauso wichtig wie die des § 13 b Umsatzsteuergesetz. (Beifall bei der CDU/CSU) In der Praxis hat sich herausgestellt, dass durch die Änderung des § 50 i Einkommensteuergesetz Umwandlungen von Unternehmen im Ausland und im Inland dramatisch erschwert werden. Faktisch werden durch diese Vorschrift auch Teile des Umwandlungssteuerrechts ausgehebelt. Wirtschaftlich notwendige Umstrukturierungen innerhalb von Unternehmen und Übertragungen sind in vielen Fällen nur noch unter Aufdeckung stiller Reserven möglich. Das trifft vor allem mittelständische Familienunternehmen. Heutzutage absolviert ein junger Mann seine Ausbildung vernünftigerweise zum Teil im Ausland. Manch einer wird, wiederum vernünftigerweise, von seinem Vater am Unternehmen beteiligt worden sein. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Problem! – Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) In diesem Fall müssen sofort, wenn der Sohn längere Zeit im Ausland ist und kein Doppelbesteuerungsabkommen vorhanden ist, stille Reserven aufgedeckt werden. Das kann nicht Ziel dieser Regelung sein. Wir müssen hier entschieden widersprechen. Im kommenden Jahr müssen wir hierfür auf jeden Fall vernünftige und familienfreundliche Regelungen für mittelständische Unternehmen zustande bringen. Das ist unsere Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU) Darauf setze ich meine Hoffnung. Ich will dazu nur sagen: Das ist notwendig, und wir sollten das durchführen. Ich bin gerne bereit, Kollege Binding, diese Sache in Ruhe zu besprechen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in meinem allerersten Lehrbuch zum Steuerrecht habe ich ein wunderbares Geleitwort gefunden – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidiums –: Die edelste Aufgabe der deutschen Steuergesetz-gebung ist die Erhaltung des Berufsstandes der Steuerberater. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich kann nur mit großem Respekt sagen, dass wir hier im Hohen Hause auch in diesem Jahr diesem hehren Anspruch wieder vollumfänglich gerecht werden: (Beifall der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir korrigieren unglaublich viele Vorschriften, wir lösen steuerliche Einzelfälle durch eine allgemeine Gesetzesnorm, das Steuerrecht wird komplizierter und für den einzelnen Steuerberater und Steuerpflichtigen immer undurchschaubarer. Erlauben Sie mir dazu noch eine Bemerkung: Ich halte es für hochbedenklich, so kurz vor Jahresende eine Vielzahl von Steueränderungen zu verabschieden, die neben denen, die wir bereits verabschiedet haben, ab dem 1. Januar 2015 Geltung haben sollen. Den Steuerpflichtigen und ihren Beratern entsteht ein erheblicher Mehraufwand, der so kurz vor dem Jahreswechsel eigentlich unzumutbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Nord [DIE LINKE]: Die Steuerberater brauchen wohl keine Weihnachtsferien!) Wir sollten es als Gesetzgeber im Interesse unserer Bürger unbedingt vermeiden, Gesetzentwürfe – insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts – so kurz vor dem Jahresende zu verabschieden. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, dass es vernünftig wäre, uns darauf zu einigen, steuerliche Regelungen nur noch in der ersten Jahreshälfte zu verändern, damit wir dann in der zweiten Jahreshälfte aufgrund der Erfahrungen in der Praxis die Fehler, die wir bei der ersten Verabschiedung gemacht haben, korrigieren können, wie uns das nun gelingt. Vielen herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Andreas Schwarz hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Andreas Schwarz (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Jens Zimmermann hat schon viel Richtiges und Wichtiges gesagt, und ich möchte hier jetzt nicht mehr in epischer Breite nochmals zu allen Themen dieses Gesetzentwurfs Stellung nehmen. Das gibt meine Redezeit nicht her, und ich möchte auch Frau Präsidentin nicht verärgern. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich einen kurzen Blick auf die Geschichte dieses Gesetzentwurfs werfen. Dieser Gesetzentwurf ist nur im Kontext mit dem Kroatien-Gesetz zu verstehen, das wir schon Mitte des Jahres angegangen sind, sodass wir Ihre Anregung, Graf Lerchenfeld, schon aufgenommen haben. Wir hätten auch Zeit gehabt, vieles umzusetzen. Damals kamen von den Bundesländern ja auch schon viele Änderungswünsche. Wir haben uns damals beim Kroatien-Gesetz aber darauf verständigt, vor allen Dingen technische Anpassungen vorzunehmen. Daneben haben wir uns darauf verständigt, weitere Veränderungen in einem zweiten Gesetz zu regeln. Dies tun wir jetzt in diesem Entwurf des sogenannten Zollkodex-Anpassungsgesetzes. Zeit für die Prüfung der Länderwünsche wäre also gegeben gewesen, aber wir haben sie uns einfach nicht genommen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Gesetz möglich. Hier war er eben leider nicht bis zum Ende zu erkennen. (Beifall bei der SPD – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist beschämend!) Im Rückblick auf das Kroatien-Gesetz erkennen wir: Gesetze können überaus erfolgreich sein. Sind sie es nicht, dann sind wir jedoch auch in der Lage, nachzubessern und nachzusteuern. Das haben wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf getan. Im Kroatien-Gesetz haben wir den § 50 i des Einkommensteuergesetzes sehr erfolgreich reformiert und somit wichtige bis dato legale Steuerschlupflöcher schließen können. Die Experten bei der Anhörung – außer der BDI; das gebe ich zu – waren hier unserer Auffassung, (Dr. Georg Kippels [CDU/CSU]: Nein, das stimmt nicht! Das DIW auch nicht!) und die von Ihnen genannten Fälle sind noch nicht real existent. (Beifall bei der SPD) Nicht alles gelingt aber beim ersten Wurf. Wenn die Kritik, die uns erreicht, überzeugend und auch zutreffend ist, dann ist die SPD-Bundestagsfraktion natürlich auch bereit, Nachbesserungen vorzunehmen. (Beifall des Abg. Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU] – Dr. Georg Kippels [CDU/CSU]: Das hören wir gerne!) Wie gesagt: Bei § 50 i des Einkommensteuergesetzes ist das nicht notwendig, wohl aber bei § 13 b des Umsatzsteuergesetzes, genauer gesagt, bei der Reverse Charge für Metalllieferungen. Die abstruse Situation, dass man beim Kauf einer einfachen Aluminiumfolie an der Supermarktkasse oder beim Schraubenkauf im Baumarkt plötzlich unter die Reverse-Charge-Regelung fiel, war für uns alle nicht hinnehmbar. Dies hätte in diesen Fällen die Umkehr der Steuerlast bedeutet. Konkret hätte man bei Edeka plötzlich eine separate Rechnung für den Kauf der Alufolie bekommen, und die Steuerschuldnerschaft wäre auf den Endverbraucher übergegangen. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran hätte man auch früher denken können!) Diesen vollkommenen Irrsinn haben wir in diesem Gesetzentwurf gestoppt. Indem wir eine Bagatellgrenze von 5 000 Euro vorsehen und die Liste der Metalle noch einmal kritisch beleuchtet haben, haben wir eine verbraucherfreundliche Regelung geschaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss will ich nochmals zur Geschichte dieses Gesetzes zurückkommen. Beim Beschluss des Kroatien-Gesetzes haben wir die Länder vertröstet, dass wir zahlreiche Anliegen im Zollkodex-Anpassungsgesetz umsetzen werden, Anliegen übrigens, die von SPD- wie von unionsgeführten Ländern gleichermaßen formuliert wurden. Dies ist nun leider nicht der Fall. Als ich den Gesetzentwurf in die Hand bekam, war ich, ehrlich gesagt, von seinem sehr geringen Umfang überrascht. Nachvollziehbarerweise fiel die Stellungnahme des Bundesrates deutlich umfangreicher aus: Sie enthält zahlreiche Anregungen, die fachlich eigentlich Konsens im Hause finden. Trotzdem konnten wir unseren Koalitionspartner leider nicht überzeugen, entschieden auf die berechtigten Interessen der Länder einzugehen. Ich sage Ihnen ganz offen, dass sich die SPD-Fraktion hier etwas mehr hätte vorstellen können, (Beifall bei der SPD) ob nun im Bewertungsgesetz, bei den hybriden Gestaltungen im Streubesitz oder dem Porsche-Deal. Aus unserer Sicht hat man hier die Chance vertan, weitere Steuerschlupflöcher zeitnah zu schließen und sinnvolle Änderungen in unserem Steuerrecht vorzunehmen. Ewig können wir unsere Länder mit Sicherheit nicht vertrösten, weshalb ich jetzt sehr gespannt bin, wie der Bundesrat auf das Zollkodex-Anpassungsgesetz reagieren wird. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3441, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3017 und 18/3158 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3452. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die antragstellende Fraktion – Bündnis 90/Die Grünen – und die Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Energiewende durch Energieeffizienz -voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen Drucksachen 18/1619, 18/2716 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag trägt den Titel „Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen“. Wie wir in der heutigen Aktuellen Stunde bereits ausführlich diskutiert haben, geschieht das bereits vollumfänglich. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja, das geschieht. Es wurde gestern ein Kabinettsbeschluss gefasst, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist aber noch kein Gesetz!) mit dem zwei dicke Programme verabschiedet wurden, die insgesamt über 100 Seiten umfassen, nämlich der Klimaschutzaktionsplan und der Nationale Energieeffizienzplan. Heute haben wir schon ausführlich darüber diskutiert, was alles mit diesen Plänen erreicht werden kann. Wir haben aber natürlich auch darüber diskutiert, an welcher Stelle es Schwierigkeiten gibt. Wir sollten so ehrlich sein und klar benennen, in welchen Bereichen wir hierzulande Schwierigkeiten haben, bestimmte Strukturen zu verändern, zumal wir bis 2020 nicht mehr so viel Zeit haben. Das CO₂-Minderungsziel bis 2020 steht fest. Das ist in den zahlreichen Debatten, die wir rund um diesen Themenkomplex geführt haben, auch von niemandem infrage gestellt worden. Insofern ist es müßig, die Grundausrichtung in diesem Hause immer wieder infrage zu stellen. Der vorliegende Antrag zielt jedoch -darauf ab, das infrage zu stellen. Deswegen ist dieser Antrag ein Stück weit überholt. Ich möchte zunächst einmal ein paar Kernpunkte benennen. Wie gesagt, das ist heute schon einmal debattiert worden. Ein wesentliches Element des Energieeffizienzplans, der gestern im Kabinett beschlossen wurde, ist zum Beispiel, dass wir das Fördervolumen für die energetische Gebäudesanierung erhöhen möchten. Diesen Punkt haben Sie in Ihrem Antrag auch erwähnt. Deshalb kann man einen Haken daran machen. Insofern hat sich die Forderung erledigt, das an die Bundesregierung -heranzutragen. Gleiches gilt für die Ausweitung des Gebäudesanierungsprogramms. Auch die Einführung von Ausschreibungsmodellen ist vorgesehen. Viele Dinge in Ihrem Antrag klingen an, etwa die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung als zusätzlicher Anreiz. Das ist Bestandteil des Nationalen Energieeffizienzplans. Auch die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes ist heute schon thematisiert worden. Das ist zwar nicht Bestandteil dieser Programme. Das deckt sich aber mit dem Koalitionsvertrag und den Vorhaben, die in den nächsten Monaten noch zu leisten sind. Stichwort Strommarktdesign. Dirk Becker hat das vorhin angesprochen. Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, in diesem Bereich etwas auf den Weg zu bringen. Die Kraft-Wärme-Kopplung wird sogar noch vorweggenommen behandelt werden. Insofern kann man sagen, dass sich Ihr Antrag allein schon aufgrund der genannten Punkte erledigt hat. Nicht erledigt hingegen hat sich natürlich unser gemeinsames Vorhaben, die von Ihnen genannten Aspekte voranzubringen. In diesem Zusammenhang möchte ich ein paar Punkte nennen, die eine Herausforderung sein werden, weil natürlich auch die Punkte, die gestern im Kabinett behandelt wurden, Bereiche enthalten, bei denen es noch der Konkretisierung bedarf. Das sollte man aber nicht nur einfach als Makel deklarieren, wie dies von Ihnen heute Nachmittag kritisch angemerkt wurde. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass man nicht alles mit einem Programm bis zum Ende durchdeklinieren kann, sondern dass man bestimmte Dinge auch entwickeln muss. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwas wäre schon einmal gut!) Sie als Grüne haben sich zum Beispiel sehr stark für den Handel mit Emissionszertifikaten eingesetzt. Wir alle wissen, dass der Handel mit Emissionszertifikaten sehr krankt. Zurzeit greift dieser nicht als Anreizmoment, um aktiven Klimaschutz zu gewährleisten. Wir alle konnten vielleicht nicht abschätzen, wie sich der Handel mit Emissionszertifikaten entwickeln wird. Ich muss eingestehen, dass ich dabei schon immer etwas skeptisch war. Viele andere waren auch skeptisch. Man hat sich trotzdem darauf geeinigt. Sie waren Treiber dieses Programms. Man muss heute feststellen, dass er möglicherweise hin und wieder auch blockiert. Wir haben aber den Handel mit Emissionszertifikaten. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass er funktioniert. Das ist ein Beispiel, an dem man erkennen kann, dass die Definition von Handlungsbedarfen nicht immer so einfach ist. Das ist gestern mit dem Kabinettsbeschluss vollzogen worden. Es ist schwierig, gleichzeitig mit der Definition von Handlungsbedarfen auch jeden Umsetzungsschritt mit zu definieren. Das ist schlichtweg nicht immer so einfach möglich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt weitere Tatsachen, die man berücksichtigen muss. Wir haben eine sehr restriktive Vereinbarung weitere ordnungsrechtliche Schritte betreffend. Diese Schritte sind mit dem Koalitionspartner jetzt nicht vorgesehen. Insofern müssen wir schauen, wie wir in den Jahren bis 2020 anderweitig zurechtkommen. Hier muss man immer wieder überprüfen, ob wir mit dieser Vereinbarung weiterkommen. Eine Tatsache ist: Es ist immer noch sehr attraktiv, Energie zu verschwenden. Eine weitere Tatsache ist der Rebound-Effekt. Sprich: Es ist einfacher, in unserem Land auf erneuerbare Energien zu setzen, als Energie einzusparen. Das ist hierzulande leider immer noch so. Diesen Tatsachen muss man ins Auge blicken, und man muss sie mitberücksichtigen, wenn es um die Umsetzung geht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen immer nur Problembeschreibung!) Genau an diesem Punkt möchte ich dafür werben, dass man erst einmal lobend hervorhebt, dass wir für eine Verstetigung von bestimmten Programmen, natürlich auch mit Verbesserungsansätzen, eintreten, die sich bewährt haben; denn wir haben gelernt, dass Verunsicherung das Schädlichste ist, was uns im Energieeffizienzbereich passieren kann. Auf der Grundlage der zuvor genannten Punkte möchte ich einfach darum bitten, dass wir die gesammelten Erfahrungen der letzten Jahre in die Umsetzung der vorliegenden Maßnahmenpakete einbringen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass wir erneuerbare Energien brauchen, dass es eine Verquickung zwischen den erneuerbaren Energien und der Wärmewende gibt, dass wir eine Verknüpfung zu Effizienzmaßnahmen brauchen. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sollten wir dabei berücksichtigen. Es darf nicht passieren, dass die erneuerbaren Energien einen Einbruch erleben. Damit möchte ich einen Schlusspunkt setzen. Mir bleibt abschließend nur noch, zu sagen, dass der Antrag in der vorliegenden Form überholt ist – ich verweise auf die vorgelegten Programme und unsere Vorhaben – und insofern abzulehnen ist. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Effizienz sprechen, müssen wir auch über Gebäudesanierung reden. Der Ruf der Gebäudesanierung ist zurzeit total mies. „Die Volksverdämmung“ titelt Der Spiegel diese Woche ziemlich böse. Es heißt, die Wärmedämmung führe nicht zu niedrigeren Heizkosten, man hantiere mit giftigen Materialien, und all das nutze nur geldgierigen Investoren, die Mieter vertreiben. Ja, die Dämmung sei sogar brandgefährlich, so war diese Woche zu lesen. Diesen schlechten Ruf hat die Wärmedämmung zum Teil zu Recht. Es ist einem schweren Fehler der Politik geschuldet, dass es zum Beispiel Vermietern ermöglicht wird, große Teile von Sowiesokosten für Modernisierung unter dem Deckmantel der Ökologie binnen kurzer Frist auf die Miete umzulegen. Vermieter können die Wärmedämmung zum lukrativen Geschäftsmodell machen und bei den Mietern absahnen. Das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist leider tatsächlich möglich, und damit muss endlich Schluss sein. Die Modernisierungsumlage muss dringend überarbeitet und unbedingt kurzfristig auf 5 Prozent gesenkt werden, sonst wird es keine Akzeptanz von dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen geben. Der schlechte Ruf der Gebäudesanierung ist für mich größtenteils lobbygesteuert; denn in unzähligen Fällen ist die Sanierung erfolgreich und nützt den Menschen und der Umwelt; das wissen wir doch alle. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie von den Grünen verzeihen mir bitte, dass ich heute weniger über Ihren Antrag rede, sondern mehr über den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz. Dieser setzt auf besonders rentable Geschäftsmodelle; eine Vokabel, die viele Leute eher fürchten als befürworten, weil sie die Auswirkungen dieser sogenannte Geschäftsmodelle durch Mieterhöhungen schmerzhaft zu spüren bekommen haben. Ich begrüße ausdrücklich, dass laut Nationalem Aktionsplan Energieeffizienz Maßnahmen zur Gebäude-sanierung und andere Effizienzmaßnahmen endlich von der Steuer abschreibbar sind. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht!) Dies halte ich für einen guten Schritt. Dieser Effizienzplan ist aber kein Ersatz für ein Gesamtkonzept, das unbedingt langfristig angelegt werden muss. Angesichts des bisher Versäumten wirkt er eher wie eine Art Notfallplan. Aber der Kern meiner Kritik ist ein anderer: Der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz setzt allein auf Freiwilligkeit und Förderung. Ich habe meine Zweifel. Ich frage mich, ob er damit den gewünschten Erfolg haben wird, oder ob sich am Ende herausstellt, dass das alles Luftschlösser waren. Zu viele Beispiele freiwilliger Selbstverpflichtung sind bereits gescheitert. Wir haben in unserer Zeit als Parlamentarier bereits entsprechende Erfahrungen gemacht. Angesichts der Dringlichkeit, die eine drohende Klimaschutzlücke mit sich bringt, ist in der gegenwärtigen Situation das vollständige Setzen auf freiwillige Maßnahmen der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen Energieeffizienz zu einem Lifestyle-Produkt machen wie das schnittige Auto, das neueste Smartphone oder die italienische Kaffeemaschine. Wie soll man sich das vorstellen? Dämmung als der letzte Schrei für modebewusste Yuppies? Ich sehe schon Agenturen daran arbeiten, die Energieeffizienz sexy zu machen, (Klaus Mindrup [SPD]: Ist das schlimm?) nach dem Motto „Schau mir auf die Holzhackschnitzelheizung, Kleines“. Das ist doch ein Witz. (Beifall bei der LINKEN) Zum Glück gibt es Beispiele wie Dänemark. Dänemark ist Deutschland ein paar Schritte voraus. Und wie haben die Dänen das geschafft? Richtig: mit Ordnungsrecht. Im Neubau ist in Dänemark der Einbau von Öl- und Gasheizungen seit 2013 verboten. Ab 2016 müssen auch Altbauten auf Gas und Öl verzichten, sofern sie an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden können. Dänemark setzt seit vielen Jahren konsequent auf erneuerbare Wärme, Fernwärme und Kraft-Wärme-Kopplung. 70 Prozent der Fernwärme stammen aus erneuerbaren Energien oder der Müllverbrennung. Der Schlüssel zum Erfolg ist ein ambitioniertes Ordnungsrecht, also klare Vorgaben aus der Politik, die selbstverständlich sozial flankiert werden müssen. Anders werden wir es nicht schaffen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren auf der Tribüne! Ich glaube, es gibt kaum ein Thema, über dessen Bedeutung sich die im Bundestag vertretenen Parteien in der Zwischenzeit so einig sind. Die Steigerung und Förderung der Energieeffizienz ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende. Die Energieeffizienz ist der schlafende Riese, und wir sind uns alle darüber im Klaren, dass wir diesen schlafenden Riesen wecken müssen. Denn ohne eine signifikante Steigerung der Effizienz ist die Energiewende nicht zu schaffen. Der vorliegende Antrag, über den wir heute zum zweiten Mal debattieren, reicht schon eine Weile zurück. Er fordert die unverzügliche Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie. Die Umsetzungsfrist – ich nehme an, darauf werden Sie noch eingehen – ist am 5. Juni 2014 abgelaufen. Es ist verständlich, und ich finde es auch in Ordnung, dass die Grünen als Oppositionsfraktion darauf reagiert haben. Das hätten wir an Ihrer Stelle vermutlich auch getan. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das glaube ich nicht!) – Doch, das glaube ich schon. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Thema Energieeffizienz nicht!) – Da sind Sie völlig falscher Auffassung. Denn wir sind der Überzeugung, dass die Energieeffizienz ein ganz zentraler Bestandteil ist. Das wird gleich in meiner Rede noch an manchen Stellen deutlich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie regieren schon ein bisschen länger, und da haben Sie nichts gemacht!) – Wir haben eine ganze Menge gemacht. Deswegen sind wir in Europa immer noch mit die Besten, was diese Frage angeht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mehr!) Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Bundesregierung – das ist gerade schon angeklungen – mit Hochdruck gearbeitet hat und deshalb gestern den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz und auch das Klimapaket im Kabinett verabschiedet hat. Energieeffizienz ist aus vielen Gründen wichtig. Zunächst einmal gilt: Was nicht verbraucht wird, muss auch nicht produziert werden. Gleichzeitig leistet die Förderung der Energieeffizienz einen wesentlichen Beitrag zu anderen energiepolitischen Kernaufgaben wie die Steigerung der Versorgungssicherheit, die Sicherstellung der Bezahlbarkeit von Energie, die Reduzierung des Netzausbaubedarfs, die Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und damit auch die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Außerdem leistet sie einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele. So reduziert sich beispielsweise allein durch die energetische Sanierung des Gebäudebestandes in Deutschland der jährliche Ausstoß des Treibhausgases CO2 infolge der geförderten Baumaßnahmen um 7 Millionen Tonnen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ein Bruchteil von dem, was wir noch schaffen müssen!) Deutschland ist in Sachen Energieeffizienz in Europa Vorreiter; dazu gibt es hinreichend Studien. Unsere Ergebnisse finden weltweit Beachtung. Uns ist es als Industrienation gelungen, das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln, und das schon seit vielen Jahren. Wir verzeichnen in den letzten Jahrzehnten – sei es das Gewerbe, der Handel oder die Industrie – erhebliche Effizienzgewinne, in Zahlen: rund 12 Prozent jährlich. Aber durch einen unangepassten Umgang, unseren nach wie vor steigenden Bedarf und einige andere Faktoren wurden diese Gewinne leider fast gänzlich neutralisiert. Deswegen war für die schwarz-rote Koalition von Anfang an klar, dass wir neue Lösungen finden müssen, dass wir Energieeffizienz zum Teil neu denken sollten, um insbesondere bisher zu wenig beachtete Faktoren und Akteure stärker in den Blick nehmen zu können, und dass wir vor allem auch die Einbeziehung der Bevölkerung signifikant steigern wollen. Wie ich eingangs erwähnte, bin ich fest davon überzeugt, dass wir uns alle über die Bedeutung der Energieeffizienz einig sind. Aber es gibt einen Unterschied. Wir alle haben das gleiche Ziel, aber unsere Lösungswege gehen zum Teil recht weit auseinander, wie der Antrag der Grünen abermals zeigt und die gestrige Regierungsbefragung erneut unter Beweis gestellt hat. Energieeffizienz funktioniert nach unserer Auffassung nur, wenn sie als Chance und Ansporn verstanden wird; das hat die Vergangenheit gezeigt. Zwang hingegen führt in der Regel zu Stillstand. Da musste auch meine Partei in einem Bundesland durchaus schlechte Erfahrungen machen. Aber Sie verfallen in die gleichen fehlerhaften Verhaltensweisen. Wir setzen auf Ansporn, Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit. Darauf setzt auch der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz. Mit dem NAPE schreiben wir letztendlich eine Erfolgsgeschichte in Sachen Energieeffizienz fort. Das ist das krasse Gegenteil von dem, was Sie gerade behauptet haben. Der NAPE setzt aber auch erhebliche neue Akzente. Er setzt vor allem drei wesentliche Pfeiler zum Marktanreiz: Energieeffizienz im Gebäudebereich voranbringen, Energieeffizienz als Geschäftsmodell etablieren und für mehr Eigenverantwortung sorgen, verbunden mit mehr Information und Beratung. Im Bereich der Energieeffizienz lohnen sich die meisten Investitionen. Sie sind wirtschaftlich. Unsere Aufgabe ist, hier verlässliche und gute Rahmenbedingungen zu schaffen sowie sinnvolle Anreize zu setzen. Ich will hier nicht alle geplanten Maßnahmen des NAPE wiedergeben, da sie heute schon genannt wurden; das würde auch zu lange dauern. Die Sofortmaßnahmen wie die Aufstockung der Mittel für das CO2-Gebäude-sanierungsprogramm und die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung will ich ebenfalls nicht extra erwähnen. Ich möchte viel lieber auf die geplanten weiterführenden Arbeitsprozesse zu sprechen kommen, die der NAPE ebenfalls formuliert. Es gibt Bereiche – das ist mir wichtig –, die man zusätzlich beleuchten könnte. Dazu gehört für uns zum Beispiel die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Contracting. Wir alle haben schon viel über das Investor-Nutzer-Dilemma diskutiert. Darüber hinaus wissen wir, dass es auch für Eigenheimbesitzer zum Teil finanziell nicht machbar oder nur schwer machbar ist, eine energetische Sanierung durchzuführen. Selbst wenn sich die Kosten amortisieren, fehlt oft der Anreiz oder schlicht und ergreifend das Geld für eine Finanzierung. Hier könnten wir zum Beispiel über eine Ausweitung von Mini-Contracting-Modellen nachdenken. Durch diese Form der Finanzierung könnte ohne eigenes Kapital eine Modernisierung durchgeführt werden. Sogar eine vom Mieter angeregte energetische Sanierung wäre hier denkbar. Bisher sind die Rahmenbedingungen für derartige Ansätze allerdings nicht zufriedenstellend ausgestaltet. Der zweite Punkt, der mir auch persönlich sehr wichtig ist, ist: Deutschland war immer ein Land der Forscher und Entwickler. Um Innovationen im Bereich der Energieeffizienz hervorbringen zu können, müssen die Hochschul- und Forschungseinrichtungen über ausreichend Mittel verfügen. Das ist vor allem ein Appell an die Länder – das sage ich als ehemalige Wissenschaftssenatorin ganz bewusst –, hier ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Außerdem ist es wichtig, die Unternehmen stärker einzubeziehen, insbesondere auch die kleinen und mittelständischen; das ist ein grundlegender Gedanke, der den NAPE durchzieht. Dann müssen wir aber auch die Rahmenbedingungen für die Forschungs- und Entwicklungskosten im Sinne der kleinen und mittelständischen Unternehmen anpassen; denn nicht jedes Forschungsvorhaben ist von Erfolg gekrönt. Es muss daher endlich möglich sein, diese Kosten steuerlich geltend zu machen. Sonst werden wir vermutlich auf lange Sicht international abgehängt werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Lösungsansätze für die Förderung der Energieeffizienz in Deutschland sind vielfältig. Es gibt nicht nur die eine ideale Lösung. Unterschiedliche Voraussetzungen und Gegebenheiten erfordern nun einmal unterschiedliche Lösungen. Energieeffizienz ist nichts für die Gießkanne. Mit der Umsetzung der EU-Effizienzrichtlinie und der Verabschiedung des NAPE werden wir ein ganz entscheidendes Stück weiterkommen. Wir bauen Barrieren und Hemmnisse ab. Wir regen an, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen und dann auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Wir fördern Initiativen, und wir unterstützen auch monetär, wo es nötig ist. Dabei steht eines für die CDU/CSU-Fraktion immer außer Frage: Energieeffizienz funktioniert am besten ohne Zwang. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen kann ich mich den Ausführungen der Kollegin Scheer nur anschließen: Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist durch die Beschlüsse des Kabinetts in den letzten Wochen und in den letzten Tagen überholt. Deswegen lehnen wir ihn ab. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Grüne haben im Juni dieses Jahres diesen Antrag eingebracht, weil wir wollen, dass in der Energieeffizienzpolitik endlich etwas passiert, und weil wir wollen, dass die EU-Energieeffizienzrichtlinie endlich vollständig und korrekt umgesetzt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Zwischenzeit ist ein blauer Brief aus Brüssel gekommen, und es ist wirklich wenig passiert. Sie erzählen uns immer, Sie seien die größten Freunde der Energie-effizienz. Aber die Frage ist doch, ob Sie auch Energieeffizienzpolitik machen. Bisher ist Ihre Liebe zur Energieeffizienz eher im Verborgenen geblieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß, was Sie von der SPD und der Union zum Teil schon gesagt haben und gleich wieder sagen werden: Nun warten Sie doch erst einmal ab, Frau Verlinden; das kommt schon alles noch. – Das erzählen Sie mir nun seit einem Jahr. Aber ich sage Ihnen: Ich habe es satt, abzuwarten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ehrlich gesagt, habe ich nicht für den Bundestag kandidiert, um abzuwarten. Die Klimakrise wartet auch nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Kabinett hat gestern den NAPE, also den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz, vorgestellt, wobei die Aktion aus dem Wort „Aktionsplan“ erst noch folgen muss. Bisher sind das alles nur Ankündigungen. Sie haben sich heute Mittag in der Klimadebatte gewünscht, dass wir Grüne das kritisch im Parlament begleiten. Ja, Sie können sich darauf verlassen, dass wir Sie daran erinnern, dass bei der Energieeffizienzpolitik etwas passieren muss. Deswegen steht unser eigener Antrag heute wieder auf der Tagesordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Aktionsplan Energieeffizienz stehen viele geplante Maßnahmen und keine großen Überraschungen. Überrascht und auch wirklich geärgert hat mich aber, dass die Bundesregierung nicht bereit war, diese -Maßnahmen im Haushalt für 2015, der ja letzte Woche beschlossen wurde, auch mit Geld zu hinterlegen. Deswegen frage ich mich: Geht bei Ihnen die Energieeffi-zienzpolitik eigentlich erst 2016 los? Wollen Sie wirklich noch ein Jahr warten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Aktionsplan Energieeffizienz werden Sie das Ziel, das Sie sich selbst gesteckt haben, selbst dann nicht erreichen, wenn all Ihren Worten darin noch Taten folgen werden. Denn im Vergleich zum Jahr 2008 wollen Sie ja 20 Prozent Energie einsparen bis 2020. Die Hälfte der Zeit ist herum, und Sie haben nicht einmal 4 Prozent geschafft. Wie wollen Sie also in der restlichen Zeit Ihr Ziel noch erreichen? Die im NAPE angekündigten Maßnahmen werden dazu nicht reichen; das hat Minister Gabriel gestern selbst zugegeben. Das magere Ergebnis bisher, die knapp 4 Prozent Energieeinsparung seit 2008, muss sich vor allem die Union zuschreiben; denn sie hat ja die letzten Jahre regiert. Wenn ich dann lese, dass Abgeordnete aus der Union – auch Frau Gundelach, die hier eben sprach und sagte, wie wichtig die Energieeffizienz doch ist – den Aktionsplan Energieeffizienz sogar noch verwässern oder noch einmal verschieben wollen, dann frage ich mich wirklich, wie ernst Sie es mit dem Energieeinsparziel und mit der Energiewende eigentlich meinen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich stehe mit meiner Kritik übrigens nicht allein da. Neben dem Aktionsprogramm Klimaschutz und dem NAPE ist gestern auch der Fortschrittsbericht zur Energiewende veröffentlicht worden. Ich zitiere hier jetzt aus der Stellungnahme der Experten, die Sie selbst beauftragt haben: Die Expertenkommission kann nicht nachvollziehen, wie die Regierung bei Festhalten am Effizienzziel ein großes Defizit feststellen kann, dann aber Maßnahmen vorschlägt, die kaum mehr als ein Drittel des Defizits ausgleichen können. Die Expertenkommission hätte eine Aussage dazu erwartet, wie mit der verbleibenden Deckungslücke umgegangen werden soll. Das hätte ich von der Bundesregierung auch erwartet, und zwar ganz konkret. Ich will hier keine Sonntagsreden hören; ich will wissen, wie Sie Politik gestalten wollen, wie Sie politische Maßnahmen umsetzen. Ich will hier im Parlament mit Ihnen über Finanzierung und konkrete gesetzliche -Rahmenbedingungen diskutieren. Das ist doch keine Talkshow hier! Das Parlament muss gestalten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Das, was Sie gestern mit dem NAPE vorgelegt haben, sind vor allem Maßnahmen für die Nachfrageseite – und das ist auch sehr wichtig, da wir den Endenergieverbrauch reduzieren wollen. Der Wirtschaftsminister hat gestern aber auch gesagt, dass er die verbliebene Lücke zum Effizienzziel mit Einsparungen auf der Erzeugungsseite decken will – ein richtiger Ansatz; jedoch: Wirklich konkret ist er nicht geworden. Wenn Sie den Strukturwandel konsequent in Richtung eines Kohleausstiegs vorantreiben und den Ausbau der erneuerbaren Energien wieder ambitioniert in den Mittelpunkt rücken würden, dann würde das dem Klima und auch Ihrem Primärenergieeinsparungsziel nützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen haben Sie den Ausbau der Erneuerbaren gedeckelt und wollen läppische 22 Millionen Tonnen CO2 im Kraftwerkspark sparen, was in etwa 150 Petajoule entsprechen würde. Selbst wenn Sie hoffen, im Verkehr noch was einsparen zu können: Sie brauchen dann immer noch 550 Petajoule, um Ihr eigenes Ziel zu erreichen. Ein Drittel Ihres selbst gesteckten Energieeinsparziels bleibt also offen – nach all den Maßnahmen, die Sie hier bisher angekündigt haben. Helfen würde auch, wenn Sie Ihr Ziel zur Kraft-Wärme-Kopplung ernsthaft verfolgen würden. Aber das Streichen des KWK-Indikators im Monitoringbericht zur Energiewende lässt mich befürchten, dass Sie die KWK schon abgeschrieben haben. Was lange währt, wird endlich gut? Ich weiß nicht. Bei Ihrer Effizienzpolitik hat sich das leider noch nicht bewahrheitet. Wenn Sie im Parlament selbst keine -Anträge zu dem Thema stellen, dann stimmen Sie doch einfach unserem Antrag zu. Der ist überhaupt nicht überholt, sondern packt das Thema jetzt konsequent und konkret an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Herr Kollege Klaus Mindrup hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle tragen hier gemeinsam eine große Verantwortung. Die Energiewende muss ein Erfolg werden. Wir wissen auch, dass sie auf zwei wesentlichen Säulen basiert: auf der Energieeffizienz und auf den erneuerbaren Energien. Das an sich ist aber trivial. Manche sprechen von einer Energierevolution; ich meine, wir brauchen eine Energieevolution. An dieser Stelle muss man sich ehrlich machen. Keine große Industrienation ist vor uns diesen Weg gegangen. Wir sind die Pioniere. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ich den Vergleich mit Dänemark höre – nichts gegen die Dänen; man muss von überall lernen; man muss überall gucken, was gut gemacht wird –, muss ich sagen: Dänemark kann man wohl eher mit Schleswig-Holstein vergleichen als mit der gesamten Bundesrepublik. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) – Schleswig-Holstein bekommt eine ganze Menge hin. Aber vergleichen wir die Statistiken demnächst. Mein Dank geht an dieser Stelle ausdrücklich an Barbara Hendricks und an Sigmar Gabriel für das -Aktionsprogramm Klimaschutz und den Nationalen -Aktionsplan Energieeffizienz. Beides ist gestern beschlossen worden, und das hat den heute vorliegenden Antrag gegenstandslos gemacht. Es ist richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Beide Vorlagen enthalten auch Prüfaufträge. Ich habe heute schon mehrere Zwischenrufe gehört, in denen betont wurde, dass Prüfaufträge darin sind. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bei so einer komplexen Materie ist es doch richtig: Erst prüfen, dann handeln. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann prüfen Sie! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie prüfen jetzt seit 20 Jahren!) Wenn Sie bei den Grünen es andersherum machen – erst handeln, dann prüfen –, dann ist das Ihre Sache. Wir machen das nicht so, weil das unseriös und gefährlich ist. Unser Motto ist: Gründlichkeit vor Hektik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hektik?) Sowohl Barbara Hendricks als auch Sigmar Gabriel haben betont, dass die Ziele für den Klimaschutz und die Energieeffizienz gelten, die dieses Haus vor langer Zeit beschlossen hat. Ich weiß nicht, warum Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Hörgeräte zu verteilen, wird an dieser Stelle wohl nicht helfen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Och! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sagen Sie doch mal konkret, was passiert!) Große Ziele erfordern große Anstrengungen. Wenn man es richtig macht, bietet die Steigerung der Energieeffizienz große Chancen für die Menschen in unserem Land, für den Mittelstand und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gerade Effizienztechnologien werden ein Exportschlager werden. Es geht um nichts anderes als um die ökologische Modernisierung. Es geht um die Schaffung eines modernen Deutschlands, das im Jahr 2050 auf einer weitgehend dekarbonisierten Wirtschaft basieren wird. Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir die Potenziale nutzen, vor allem in den Quartieren. Die ganze Intelligenz muss in die Quartierslösungen -hinein. Wir brauchen Kraft-Wärme-Kopplung als Effi-zienztechnologie; das wird natürlich auch schon gemacht. Wir brauchen Strom- und Wärmespeicher, Solarenergie und Geothermie, Power to Heat, intelligente Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnologien (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie das KWK-Ziel nicht erreichen, ist Ihnen so peinlich, dass Sie es noch nicht mal in den Monitoringbericht reinschreiben!) – ich kann Ihre Zwischenrufe nicht verstehen; da müssen Sie schon lauter rufen –, (Heiterkeit bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Problem! Können Sie haben! – Gegenruf von der CDU/CSU: Bitte nicht! Muss nicht sein!) die über das Internet verbunden werden und dabei helfen, Energie intelligent zu nutzen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mindrup, ich habe die Uhr angehalten, weil der Abgeordnete Kühn um die Möglichkeit bittet, Ihnen eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen. Klaus Mindrup (SPD): Das kann er gerne machen. Bitte, bitte. Vizepräsidentin Petra Pau: Dann haben Sie das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Mindrup, Sie haben gerade das Hohelied auf das Quartier und die energetische Quartiersanierung gesungen. Ich frage mich, wo im NAPE Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz im Quartier enthalten sind. Wenn sie nicht im NAPE enthalten sind, wann gedenken denn die Bundesregierung und auch die SPD-Fraktion sich dafür einzusetzen, dass die Energiewende auch im Quartier ankommt? Klaus Mindrup (SPD): Wir machen das ja bereits. Sie müssen sich nur das Programm „Energetische Stadtsanierung“ ansehen; da wird das bereits praktiziert. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben beantragt, dass das mehr wird!) Es gibt auch KfW-Programme, in deren Rahmen das -bereits praktiziert wird. Das befindet sich also in einer vernünftigen Umsetzung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen, dass das Niveau viel größer wird!) Das muss weitergeführt werden, und das wird auch weitergeführt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch die Anstrengungen erhöhen!) Aus meiner Sicht brauchen wir mehr genossenschaftliche Lösungen. Denn da tun sich viele Menschen zusammen, um etwas Wirtschaftliches und Gutes auf den Weg zu bringen. Vor allen Dingen gibt es dort, Frau Dr. Gundelach, in der Regel kein Investor-Nutzer--Dilemma. Da können wir also etwas tun. Wir müssen natürlich auch Hürden überwinden. Mich persönlich ärgert die steuerliche Diskriminierung von Mieterstrom. Ich hoffe, dass wir darüber noch nachdenken werden. Aber zurück zum Nationalen Aktionsplan Energie-effizienz. Was ich da ganz wichtig finde, ist, dass auch kleinteilige Maßnahmen gefördert werden. Lieber tausend kleine Projekte als ein Leuchtturmprojekt! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kann ein Beispiel aus Berlin erwähnen, das man bundesweit ausweiten könnte – das gibt es seit über 20 Jahren –: das Projekt „Fifty/Fifty“ an Schulen. Dabei geht es um verhaltensbedingte Energieeinsparung und darum, die Menschen dabei mitzunehmen und ihnen deutlich zu machen, dass ihr Verhalten sehr wichtig ist. Das Interessante ist: Man kann die Ergebnisse messen und nachweisen, dass Energie eingespart wird. Die Überschrift des Aktionsplans Energieeffizienz „Mehr aus Energie machen“ ist richtig. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mindrup, Sie wurden offensichtlich erhört, nicht was die Lautstärke der Zwischenrufe betrifft, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, wer so was anfragt, kriegt es!) aber die Möglichkeit des Austausches. Die Kollegin Verlinden wünscht das Wort. Klaus Mindrup (SPD): Bitte. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade sehr viele Projekte genannt, die es schon lange Zeit gibt und die zum Teil auch einen erfolgreichen Beitrag dazu geleistet haben, die Energieeinsparung voranzutreiben. Aber Fakt ist doch, dass Sie nach wie vor eine Lücke haben werden. Sie werden Ihr Ziel nicht erreichen, wenn Sie nicht mehr machen als das, was Sie bzw. die Union schon immer getan haben, und zusätzlich nur die Maßnahmen umsetzen, die der NAPE enthält. Das hat Ihnen doch die Expertenkommission ins Stammbuch geschrieben. Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie nicht endlich eine Antwort auf die Frage geben, wie Sie das letzte Drittel, das noch übrig ist, einsparen wollen. Klaus Mindrup (SPD): Wenn Sie in die Zukunft sehen können und hier die Rolle der Kassandra wahrnehmen wollen, dann kann ich das an dieser Stelle nicht teilen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das sagen die Experten! Ihre eigenen Experten sagen das!) – Nein, nein, nein. Was die Experten geschrieben haben, haben wir gelesen. Die Regierung hat klar erklärt, -welche Maßnahmen notwendig sind, um das Ziel zu erreichen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hat sie nicht!) – Doch. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) – An dieser Stelle könnten wir uns, glaube ich, ewig streiten. Die Regierung hat gesagt, dass die Ziele fest-stehen, sie hat Maßnahmen aufgeführt, mit denen man diese Ziele erreicht, und sie hat gesagt: Wir überprüfen das jährlich, und wir machen uns ehrlich. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 500 Petajoule laut NAPE! Sie wollen aber 3 500 erreichen!) Das muss man doch zur Kenntnis nehmen. Sie haben da eine andere Auffassung; Sie nehmen das nicht zur Kenntnis. Was soll ich dazu sagen? Da kommen wir nicht zusammen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offenbar können Sie nicht rechnen!) Sie müssen wissen, ob Sie Ihre Funktion als Kassandra weiterhin ausüben wollen oder nicht. Ich kann Ihnen an dieser Stelle nicht helfen. Machen Sie es doch konkreter, wenn Sie Vorschläge haben. Der Antrag, den Sie jetzt eingebracht haben, ist doch überhaupt nicht konkret. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man schon Gabriel verteidigen will, muss man besser sein!) Ich habe ein ganz anderes Problem: Im Augenblick wird hier alles zerredet. Das führt dazu – die KfW merkt das schon –, dass es nach bestimmten Programmen keine so große Nachfrage mehr gibt (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch klar! Wenn man für 2016 was ankündigt, dann würde ich jetzt auch nicht sanieren!) – nein, es geht um die bestehenden Programme zur Energieeffizienz (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das macht doch keiner!) und zur ökologischen Sanierung und um CO2-Programme –, weil hier ständig davon geredet wird – daran haben auch Sie einen Anteil –, dass das alles nichts bringt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Was soll das denn heißen? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert hier eigentlich, Herr Mindrup?) Das ist ein Problem. Denn der Bürger weiß im Prinzip gar nicht, was er machen soll, wenn hier ständig kritisiert wird, und zwar von Ihnen und von ein paar Verirrten, die der Auffassung sind, dass man damit keinen Klimaschutz machen kann. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Hören Sie uns doch mal zu!) Ich finde, das ist ungünstig. Das ist schlecht für dieses Land. Sie müssen sich überlegen, welche Rolle Sie hier spielen wollen. Geht es Ihnen um den Schutz des Weltklimas, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) oder wollen Sie das aktuelle politische Klima anheizen? Ich finde, das ist ein Problem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, es ist ein wirkliches Problem. Insofern hilft manchmal ein Blick in ein altes Buch. Im Lukas-Evangelium steht: Im Himmel ist mehr Freude über einen reuigen Sünder als über tausend Gerechte. – Darüber sollten Sie einmal nachdenken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja albern!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion beschließt der Kollege Hansjörg Durz die Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Machen Sie mal!“, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wer soll das machen?) so ähnlich lauteten die Zwischenrufe der Opposition, als wir diesen Antrag am 5. Juni hier schon einmal debattierten. In der Debatte wurden von allen Fraktionen die Notwendigkeit und die Vorteile von Energieeffizienzmaßnahmen eingehend diskutiert, und alle waren sich einig, dass Energieeffizienz ein ganz entscheidender Faktor ist, um – wir haben es heute bereits mehrfach gehört – CO2-Ziele zu erreichen, den Ausbau der Infrastruktur zu begrenzen, die Abhängigkeit von Importen zu reduzieren und Investitionen zu fördern. Es herrscht große Einigkeit über die Wirkung und die Bedeutung von Energieeffizienzmaßnahmen. Die Kritik „Machen Sie doch mal!“ bezog und bezieht sich darauf, dass Deutschland bei der Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie in Teilen hinterherhinkt. Die Richtlinie wurde zwar nur von ganz wenigen Ländern fristgerecht umgesetzt, von Deutschland jedoch nicht. Deshalb ist die Kritik am zeitlichen Verzug durchaus berechtigt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!) Das bedeutet aber nicht, dass bei der Energieeffizienz in Deutschland nichts vorangegangen wäre. Deutschland ist die einzige Industrienation, in der Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch entkoppelt sind. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass wir im Jahr 2014 einen um etwa 5 Prozent niedrigeren Energieverbrauch haben werden. Diese Reduzierung des Verbrauchs ist nicht nur mit milderen Temperaturen zu erklären, sondern spiegelt auch Effekte von Energieeinsparungen und Effizienzmaßnahmen wider. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Durz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Verlinden? Hansjörg Durz (CDU/CSU): Bitte. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Sie haben eben gesagt: Es ist etwas passiert im Bereich Energieeffizienz. – Man kann nicht bestreiten, dass etwas passiert ist. Aber ich frage mich trotzdem, warum wir bisher, seit 2008, erst bei 3,8 Prozent Einsparung der Primärenergie liegen, obwohl wir im Jahr 2012 immerhin bei 4,3 Prozent und 2011 bei 5,4 Prozent lagen. Das heißt, wir hatten von 2008 bis 2011, also in diesen drei Jahren, mehr geschafft und sind dann sozusagen wieder abgefallen. Diese Frage habe ich gestern Herrn Gabriel gestellt. Er hat sie mir nicht beantwortet. Aber vielleicht weiß Herr Durz viel besser Bescheid. Vielleicht können Sie mir erklären, woran das genau liegt; denn das ist ja ein Problem. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Herr Gabriel hat die Frage sehr wohl beantwortet. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hat er nicht!) – Aus meiner Sicht doch, das habe ich schon so verstanden. Außerdem wollen wir ja in die Zukunft blicken, und wir wollen die Lücke, die es gibt, schließen, und dies tun wir mit NAPE, ganz einfach. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort! Wir haben so viel gemacht, und es wird trotzdem schlechter!) Dennoch: Um die Energiewende zum Erfolg zu führen und die Klimaschutzziele zu erreichen – wir haben darüber bereits heute in der Aktuellen Stunde diskutiert –, müssen wir deutlich größere Anstrengungen unternehmen. So haben die Redner der Koalitionsfraktionen auf dieses „Machen Sie mal!“ am 5. Juni mit dem Hinweis reagiert, dass die Regierung an einem Aktionsplan arbeitet. Gestern hat das Kabinett nun „gemacht“ und den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz beschlossen. Darin sind Maßnahmen und Ziele formuliert, die es ermöglichen, die nationale Einsparverpflichtung aus der EU-Energieeffizienzrichtlinie vollständig sicherzustellen, und das – was für uns und für die Umsetzung sehr wichtig ist – mit einem Programm, welches die Potenziale auf der Basis von Wirtschaftlichkeit und Freiwilligkeit durch Anreize und nicht durch Zwang heben wird. Wir halten es für absolut richtig, dass im NAPE klar formuliert wurde, dass neue ordnungsrechtliche Vorgaben nicht vorgesehen sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Stattdessen wollen wir einen Weg gehen, der Verbraucher, Haushalte und Unternehmen motiviert, freiwillig vorhandenes Effizienzpotenzial zu heben. Dabei ist eine Fülle von Maßnahmen und Initiativen geplant. Drei Schwerpunkte möchte ich kurz herausgreifen. Erstens. Die Industrie hat sich verpflichtet, in Selbstverantwortung 500 Energieeffizienznetzwerke aufzubauen, um ihre Potenziale zu heben. Dazu haben bereits gestern insgesamt 18 Verbände und Organisationen eine entsprechende Vereinbarung mit der Bundesregierung unterzeichnet. Bis zur Umsetzung ist sicher noch ein Wegstück zu gehen, aber die Wirtschaft hat gestern ihre Offenheit und ihre Bereitschaft, sich beim Thema Energieeffizienz zu engagieren, deutlich dokumentiert und trägt mit diesen Netzwerken das Thema ins Land. Das ist allemal besser, als wenn dies durch staatliche Vorgaben auferlegt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Die besten Effizienzpotenziale sollen durch wettbewerbliche Ausschreibungen identifiziert und unterstützt werden. Wir bedienen uns hier ganz bewusst der Suchfunktion des Marktes, um kostenoptimal Einsparpotenziale zu aktivieren, und hinterlegen diese Maßnahmen mit entsprechend aufwachsenden Fördervolumina von bis zu 150 Millionen Euro im Jahr 2018 – ein innovatives Instrument, das Innovationen fördern wird. Drittens. Wir werden durch verschiedene Maßnahmen die energetische Gebäudesanierung im kommunalen, gewerblichen und privaten Bereich bei Nichtwohngebäuden und bei Wohngebäuden deutlich vorantreiben. Die Ausweitung der bestehenden Gebäudesanierungsprogramme um zusätzlich 200 Millionen Euro auf künftig 2 Milliarden Euro jährlich ab 2015 ist eine ganz konkrete Maßnahme. Weitere Potenziale wollen wir durch die Möglichkeit der steuerlichen Abschreibung aktivieren; denn durch steuerliche Anreize im Bereich der Gebäudesanierung können wir nicht nur erhebliche Fortschritte bei der Energieeffizienz und beim Klimaschutz erreichen, sondern auch ein Konjunkturprogramm für den Mittelstand und für das Handwerk auflegen und vor allem private Investitionen anreizen. Haushaltsmittel sind zwingende Voraussetzung für den Anreiz von Maßnahmen, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Genau! Und was ist letzte Woche passiert?) führen aber noch nicht zur Umsetzung. Ein Blick auf die aktuelle Situation belegt dies: Die Anzahl der geförderten Wohneinheiten beim energetischen Sanieren konnte von 2012 bis 2013 zwar von 240 000 auf 275 000 gesteigert werden, diese Zahl wird aber 2014 nur schwer zu erreichen sein. Im Bundeshaushalt stehen für energetische Gebäudesanierungen zwar Mittel in Höhe von 1,8 Milliarden Euro zur Verfügung, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Cent mehr!) allerdings wird voraussichtlich nur circa 1 Milliarde Euro abgerufen. Dies hat drei Gründe: erstens das Zinsniveau, zweitens hat die Einführung der Zuschüsse zu einem Rückgang der Darlehen geführt, was sich auf das Volumen auswirkt, und drittens – das ist die entscheidende Komponente – wird seit einiger Zeit darüber diskutiert, ob es steuerliche Vergünstigungen bei der energetischen Sanierung geben wird. Auf diese Entscheidung warten viele Menschen. Es ist vorhin schon angeklungen: Verunsicherung ist am schlechtesten für die Energieeffizienz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass eine schnelle Einigung zwischen Bund und Ländern zu steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten zustande kommt. Zunächst wird dies zu Steuerausfällen bei Bund, Ländern und Gemeinden führen. Da wir mit dieser Maßnahme aber ein Konjunktur- und Investitionsprogramm anschieben, werden diese in den Folgejahren weit überkompensiert. Eigentlich müssten dabei alle mitmachen. Als die steuerlichen Abschreibungen von energetischen Sanierungen zuletzt auf der Tagesordnung standen, wurden diese von einigen Ländern im Bundesrat blockiert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allen!) Gestern wurden die steuerlichen Abschreibungen im Kabinett beschlossen. Die Unionsfraktion steht hinter diesen Anreizen. Es liegt nun an den Ländern und somit auch an den Grünen, ob wir diese Potenziale heben können oder nicht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch an den Unionsländern! Es gibt davon ja noch ein paar!) Deshalb rufe ich Ihnen heute zu: Machen Sie mal! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2716, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1619 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/3321 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien Drucksache 18/3234 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/3440 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Dirk Becker. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dirk Becker (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten heute eine Änderung des EEG, die im Wesentlichen aus drei Gründen erfolgt. Ich will mich auf die Kernänderungen konzentrieren. Wie Sie alle wissen, haben wir im Rahmen der Beratungen zum EEG im Sommer die Besondere Ausgleichsregelung für die energieintensiven Unternehmen, aber auch für die Schienenbahnen neu regeln müssen. Nach dieser Änderung und nach der Einigung, die zunächst mit der Europäischen Kommission erzielt wurde, haben wir die Mitteilung erhalten, dass die Befürchtung besteht, dass die Regelung, wie wir sie getroffen haben, den Markteintritt neuer Betreiber von Schienenbahnen behindern könnte. Deshalb haben wir gesagt: Das wollen wir korrigieren. Das wird mit diesem Gesetzentwurf auch entsprechend getan. Damit schaffen wir Rechts-sicherheit für alle Unternehmen im Bereich der Schienenbahnen, damit alle zum 1. Januar 2015 in den Genuss der Besonderen Ausgleichsregelung kommen. Das schafft Planungssicherheit auch im Hinblick auf die Fahrpreisgestaltung. Von daher ist es richtig und wichtig, es heute in dieser Form zu tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der zweite Bereich. Wir haben bei der Änderung des Gesetzes Formulierungen gewählt, die sich anschließend als problematisch herausgestellt haben. Man kann sagen: Es ist ein Fehler bei der Formulierung passiert. Das führte insbesondere im Bereich der Biomasseanlagen zu Vergütungsausfällen. Das war politisch nicht beabsichtigt, das war politisch nicht gewollt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechte Gesetzgebung!) Da es einen Eingriff in den Bestand darstellt, ist es auch richtig und wichtig, heute diesen Fehler – für den die Betreiber nichts können – rückwirkend zum 1. August zu korrigieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese Koalition hat ohne Wenn und Aber den Mut, das zuzugeben und die Konsequenz zu ziehen und dies zu korrigieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ohne Wenn und Aber“, das ist aber relativ!) – Jetzt kommt Oliver Krischer mit „ohne Wenn und Aber“. Ich habe mir gestern im Ausschuss die Vorwürfe angehört: Weil alles so schnell läuft, sind die Fehler passiert. Ihr hättet gründlicher beraten müssen. – Dann sagte man auch: Nicht einmal unsere Anträge tragt ihr jetzt mit, sondern müsst auch noch eigene machen. – Ich sage: zum Glück. Wir haben eure beiden Anträge nämlich noch einmal rechtlich geprüft: In beiden sind rechtliche Fehler enthalten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Kabinettsbeschluss!) Beide hätten nicht zu dem Ergebnis geführt, das die Koalition jetzt herbeiführt. Es gibt einen Gesetzentwurf zur Regelung der anteiligen Direktvermarktung, und es gibt einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Im Gesetzentwurf der Grünen zur anteiligen Direktvermarktung sagen sie: Wir wollen die Änderung rückwirkend zum 1. August vornehmen. – Dieser Hinweis fehlt im Änderungsantrag. Das heißt, die beiden Punkte in eurem Änderungsantrag würden zwar für die Zukunft gelten, aber nicht rückwirkend in Kraft treten. Wären wir diesem Antrag gefolgt, hätte es diesen Bestandsschutz nicht gegeben. Jetzt komme ich – wie gesagt, wir haben das rechtlich überprüft – zum Gesetzentwurf. Ja, mit dem Gesetzentwurf wird versucht, den Fehler bei der anteiligen Direktvermarktung rückwirkend zu korrigieren und Rechtssicherheit herzustellen. Dabei passiert ein entscheidender Fehler: Es wird zwar ein Fehler korrigiert; ihr vergesst aber, im Anhang die anderen Absätze zu korrigieren. Dadurch werden neue Gesetzesfehler ausgelöst. Ich sage also bei aller Kritik: Ja, wir haben da einen Fehler gemacht. Ihr sagt, das sei nur wegen der Hektik passiert; aber ihr hattet Monate Zeit, diesen Gesetzentwurf vorzubereiten, der im Wesentlichen aus zwei Sätzen besteht, und schafft es, bei beiden einen Fehler einzubauen. Daher wäre an dieser Stelle ein bisschen Zurückhaltung angemessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir schuld, dass wir euch zur Änderung getrieben haben! Das ist ja wohl das Allerletzte!) Jetzt komme ich zum dritten Punkt. Das ist die Frage, wie wir mit der anteiligen Direktvermarktung umgehen. So, wie es im Gesetzentwurf der Grünen steht, kann man es aus den gerade dargestellten Gründen nicht machen; er ist erneut fehlerhaft. Wir haben uns in der Großen Koalition darauf verständigt, auch diesen Punkt noch zu prüfen. Es stellt sich die Frage: Ist das in der Tat ein Rechtsversäumnis, das einen Eingriff in den Bestandsschutz bedeutet, oder hätten die Anlagenbetreiber früher Alternativen gehabt? Wir werden das klären, wir werden das prüfen. Wenn sich herausstellen sollte, dass auch das ein Fehler ist, werden wir das ebenso selbstverständlich korrigieren. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt ja schon Betroffene!) Wie gesagt: Da gibt es gegenwärtig unterschiedliche Auffassungen. Ich finde aber, es gehört zu sauberer Politik, anzuerkennen: Wir tun alles, um im EEG das zu bereinigen, was den Ausbau hemmt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr tut nichts!) Denn wir wollen die Anlagenbetreiber schützen, Investitionssicherheit schaffen und den Bestandsschutz garantieren. Das wird mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition getan. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier Monate nach Inkrafttreten des umkämpften Erneuerbare-Energien-Gesetzes treten wir heute wieder zusammen, um im Wesentlichen handwerkliche Fehler im EEG 2014 auszubessern. Sie wissen: Wir haben das EEG im Sommer scharf kritisiert, weil es einen Paradigmenwechsel einleitet und die erneuerbaren Energien dem Marktgeschehen und den großen Investoren übereignet. Wir sehen hier eine Weichenstellung, die wirklich in die falsche Richtung führt – weg von der festen Einspeisevergütung für erneuerbare Energien hin zur Direktvermarktung und zu Ausschreibungen. Wir haben kritisiert, dass damit den großen Investoren, natürlich auch den großen Energiekonzernen, das Feld bereitet wird. Eon hat diese Botschaft mittlerweile verstanden und setzt künftig ganz auf die Erneuerbaren. Die Bürger-energie wird nicht mehr so leicht mitspielen können. Das nehmen wir nicht hin, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben auch den übermäßigen Zeitdruck kritisiert, unter dem die Bundesregierung das EEG auf den Weg gebracht hatte. Vermutlich werden nach und nach noch mehr Fehler bekannt, die einzelne Betriebe empfindlich treffen können. Die heute zu Beschluss stehenden Änderungen am EEG führen zu Verbesserungen im Bereich der Schienenbahnen; insbesondere sollen ausländische Anbieter von Schienenverkehrsleistungen nicht benachteiligt werden und nun auch in den Genuss einer abgesenkten EEG-Umlage kommen. Wir begrüßen dies, obwohl die Linke, wie Sie wissen, grundsätzlich die größtenteils überzogenen Privilegien für die Industrie ablehnt, die das EEG vorsieht. Die Schienenbahnen sind da für uns aus ökologischen Gründen eine Ausnahme. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt im EEG weitere handwerkliche Fehler, die die Erzeuger erneuerbarer Energien bares Geld kosten. Deshalb sollten sie alsbald behoben werden. Es ist bedauerlich, dass sich die Koalition gestern im Wirtschaftsausschuss nicht darauf einigen konnte, den Gesetzentwurf der Grünen zur Direktvermarktung anzunehmen. Wenn darin ein Fehler enthalten war, hätte man ihn heilen und den Gesetzentwurf dann trotzdem beschließen können; wir sind da nicht so. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Klaus Barthel [SPD]: Seit wann seid ihr nicht so?) Damit wären weitere Fehler bereinigt worden; dann müssten wir nicht immer wieder nachbessern. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um auf die Perspektive der Erneuerbare-Energien-Branche einzugehen. Die Folgen des EEG 2014, aber auch schon des EEG 2012 für die Biogasbranche zeichnen sich als verheerend ab. Vermutlich kommt der weitere Ausbau im Biogasbereich komplett zum Erliegen. Das ist schlimm. Die Branche investiert jetzt vornehmlich im Ausland – so viel zur Abwanderung von Investoren. Nun hören wir aber auch aus der Solarbranche, dass bereits in diesem Jahr das Ausbauziel verfehlt wird. Es wird wahrscheinlich nicht einmal 1,9 Gigawatt betragen. Von der Bundesregierung waren 2,5 Gigawatt angestrebt. Wir konstatieren: Das Ausbauziel Solar wird in diesem Jahr bereits um 20 Prozent verfehlt. Im nächsten Jahr sieht es nach Prognosen der Branche noch wesentlich schlimmer aus. Die Solarwirtschaft rechnet dann mit nur noch 1 Gigawatt. Wenn dieses Negativszenario eintreten sollte, dann hat dies auch Auswirkungen auf das Klimaschutzziel; denn ich vermute, dass Sie bei Ihren Berechnungen zum Nationalen Aktionsplan Klimaschutz davon ausgegangen sind, dass die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien erreicht werden. Vielleicht sagen Sie nachher noch etwas dazu. Es gibt im gesamten Strommarkt noch sehr viele Unsicherheiten, zum Beispiel auch was die Ausschreibungen im Sektor der erneuerbaren Energien angeht. Weil wir in diesen Tagen vermehrt über den Wärmemarkt sprechen: Die Solarthermie stagniert seit Jahren und ging 2012 sogar um 11 Prozentpunkte zurück. Das ist übrigens das Ergebnis des Marktanreizprogramms, das Sie fortführen wollen. Man sieht daran, dass es einfach nicht funktioniert. (Beifall bei der LINKEN) Wir können es uns nicht mehr leisten, die erneuerbaren Energien im Bereich der Wärme so sträflich zu vernachlässigen. Jetzt komme ich noch einmal auf Dänemark zu sprechen. Es tut mir leid, aber da klappt es eben. Dort ist man mit dem Ausbau der Erneuerbaren schon viel weiter als hierzulande, weil man von Anfang an auf Ordnungsrecht gesetzt hat. Ich muss Ihnen das immer wieder sagen, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. Bundesminister Gabriel hat gestern bei der Regierungsbefragung erklärt, wir seien bei den Erneuerbaren auf Zielkurs. Ich kann da nur sagen: Es wäre schön, wenn dem so wäre. Die Zahlen sagen etwas anderes. Also, tun Sie etwas! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als das EEG im Sommer dieses Jahres verabschiedet wurde, war allen Beteiligten von vornherein klar: Eine solche EEG-Novelle hat es bisher noch nicht gegeben. Dass die Bundesländer schon vorzeitig ihre Ansprüche und Wünsche anmelden, war aus vorhergehenden Novellen bekannt. Aber dass jetzt auch die Genehmigung der EU-Kommission notwendig war, war neu und hat die Abstimmungen bei den Vorarbeiten zum Gesetzentwurf nicht gerade vereinfacht. Die EU ist auch der Grund, warum wir heute das EEG erneut beraten und nachher hoffentlich auch verändern werden. Lassen Sie mich kurz auf die vorliegenden hauptsächlichen zwei Änderungspunkte im Detail eingehen. Es besteht ein breiter politischer Konsens – das kam gerade auch in den Ausführungen der beiden Vorredner zum Ausdruck –, dass Schienenbahnen von der EEG-Umlage entlastet werden. Auch wenn der Schienenverkehr nicht wie die energieintensive Industrie im internationalen Wettbewerb steht, müssen wir trotzdem die Schienenbahnen entlasten, weil sie einen ganz entscheidenden Beitrag zu einem umweltfreundlichen Verkehrssystem leisten. Deshalb haben wir zu Recht im Sommer beschlossen, dass die Schienenbahnen nicht die volle Umlage, sondern nur 20 Prozent der EEG-Umlage zahlen müssen. Heute ist deshalb eine Änderung notwendig geworden, weil die EU-Kommission die Regelungen zur Entlastung des Schienenverkehrs – erst Anfang November dieses Jahres übrigens – als teilweise beihilferechtswidrig bewertet hat. Problem aus Sicht der Kommission ist es, dass neue Schienenbahnunternehmen nicht antragsberechtigt sind. Damit hätten sie bei einer Ausschreibung einen Nachteil gegenüber bestehenden Wettbewerbern. Mit der vorliegenden Änderung wird dieses Problem gelöst. Die Änderungsmöglichkeiten für neue Schienenbahnen werden zeitlich vorverlagert, sodass Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden. Ohne diese Änderungen würden ab dem kommenden Jahr erhebliche Belastungen auf die Zugfahrer in ganz Deutschland zukommen. Das wollen wir mit der jetzigen Novelle vermeiden. Sonst würde es nämlich so sein, dass deutsche Bahnfahrer, aber auch Straßenbahnkunden erhebliche Ticketpreiserhöhungen in Kauf nehmen müssten. Das verhindern wir mit dem heutigen Änderungsantrag. Das wollen wir auch zügig umsetzen. Wir wollen, meine Damen und Herren, mit der EEG-Novelle einen weiteren Schritt machen. Wir haben dazu im Sommer eine Reihe von grundsätzlichen Änderungen auf den Weg gebracht. Für uns hatte dabei die Wahrung des Bestandsschutzes immer oberste Priorität. Auch bei der zweiten Änderung, die wir gestern im Ausschuss einstimmig verabschiedet haben, geht es um die Herstellung des Bestandsschutzes; denn im Zuge der Übergangsregelungen des EEG 2014 ist eine Gesetzeslücke entstanden, von der die Kraft-Wärme-Kopplung in Biomasseanlagen betroffen ist, die unter Geltung des EEG 2012 in Betrieb genommen wurden. Biomasseanlagen, die sich in der Direktvermarktung befinden, waren von der Wärmenutzungspflicht befreit. Diese Befreiung ist auch richtig. Biomasse-KWK-Anlagen, die sich aufgrund der Direktvermarktung am Markt orientieren und damit auch ihren Strom bedarfsorientiert produzieren und einspeisen müssen, können keine stetige Wärmelieferung garantieren. Mit dem EEG 2014 wurde die Direktvermarktung neu geordnet, jedoch wurde die Befreiung von der 60-prozentigen Wärmenutzung in den Übergangsregelungen – das war nicht gewollt; Kollege Becker hat das bereits gesagt – nicht fortgeschrieben. Das hat zur Folge, dass rund 300 Biomasseanlagen keine EEG-Vergütung mehr bekommen und die Anlagen zwangsläufig vor dem Aus gestanden hätten. Deshalb ist es im Sinne des Bestandsschutzes und unserer Energiepolitik, diesen Fehler zu korrigieren, und es war ein Fehler; auch das muss am heutigen Abend, glaube ich, gesagt werden. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, den auch Kollege Becker bereits angesprochen hat. Wir wollen prüfen, inwiefern die anteilige Direktvermarktung noch einmal angepackt werden muss. Wir wollen klären, inwiefern Rechtsunsicherheit besteht. Auch hier wollen wir in den nächsten Wochen für Klarheit sorgen. Mit der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes haben wir im Sommer die erste große energiepolitische Maßnahme in dieser Wahlperiode beschlossen. Ziel war es, den Kostenanstieg bei der Förderung der erneuerbaren Energien zu dämpfen, was uns auch, glaube ich, gelungen ist, und die erneuerbaren Energien zusätzlich stärker in den Markt zu integrieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihnen nicht gelungen! Im Gegenteil!) Zwei Elemente waren dabei von entscheidender Bedeutung: erstens die Festlegung von klaren Ausbaukorridoren und zweitens der Umstieg aus dem EEG hin zu -einem Ausschreibungsmodell. Wir haben erstmals gesetzlich verbindliche Ausbaukorridore für die Wind , Sonnen- und Bioenergie festgelegt. Wir wollen im Bereich von Wind-onshore 2 500 Megawatt pro Jahr zubauen. Im Bereich der Solarenergie/PV wollen wir ebenfalls 2 500 Megawatt pro Jahr zubauen. Im Bereich der Biomasse wollen wir 100 Megawatt pro Jahr zubauen. Im Bereich von Wind-offshore haben wir das Ziel, bis 2020 6,5 Gigawatt auf den Markt zu bringen. Damit wurde Planungssicherheit für die Investoren im Erneuerbare-Energien-Bereich geschaffen, die sich nun an dem Ausbaupfad orientieren können. Das gilt auch für den Netzausbau, der dringend mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt halten muss. Weiterhin wollen wir die weitere Planung des konventionellen Kraftwerks-parks, der für die Versorgungssicherheit höchste Priorität hat und den Ausgleich fluktuierender erneuerbarer Energien sicherstellt. Auch wurde mit dem EEG-Beschluss im Sommer der Ausstieg aus dem EEG eingeleitet. Unser Ziel ist es, die Förderhöhe für erneuerbare Energien spätestens ab 2017 durch Auktionen zu ermitteln. Das ist ein Schritt hin zu mehr Kosteneffizienz und zu mehr Markt, was im Übrigen auch von der Europäischen Kommission gefordert wird. Es ist wichtig, erste Erfahrungen zu sammeln. Deshalb sind wir gerade in den finalen Abstimmungen zu einer Verordnung, die die Pilotausschreibung für PV-Freiflächen im nächsten Jahr regeln soll. Die Ausschreibung soll in einem Nischenmarkt erprobt werden. Wir werden prüfen, wie das im Ausland in den letzten Jahren mit der Ausschreibung funktioniert hat, und werden diese Erfahrungen dann in die zukünftige Ausschreibung einfließen lassen. Es werden sicherlich Fehler gemacht, aus denen wir lernen können. Ich kann nur jeden Einzelnen hier auffordern: Machen Sie mit! Es ist notwendig, dass wir einen weiteren Schritt im EEG vornehmen. Das EEG in seiner bisherigen starren Struktur war relativ einfach aufzubauen. Es wurde vielfach in der Welt, wie oftmals hier beschrieben, kopiert, wenn auch nicht mit diesem enormen Volumen und diesem enormen Kostenrahmen. Der nächste Schritt wird das Marktmodell sein. Wenn das Marktmodell funktioniert, werden wir es schaffen, dass erneuerbare Energien zu einer tragenden Säule und auch wettbewerbsgerecht werden. Wenn wir das geschafft haben, dann wird auch unsere Energiewende ein Exportschlager sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit der EEG-Novelle haben wir zwar die künftige Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien geregelt, jedoch war allen Beteiligten klar, dass auch zeitnah wirkende Regelungen auf den Weg gebracht werden müssen. Um den Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien und die Netzverträge zu gestalten, müssen wir einen weiteren Schritt gehen. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, und auch das wird Bestandteil der nächsten Novellierung des EnWG und des EEG im nächsten Jahr sein. Nach der Novelle des EEG ist vor der Novelle des EEG. Das bleibt auch in Zukunft so. Da die erneuerbaren Energien noch keine Marktreife erlangt haben, müssen wir intensiv daran arbeiten. Die erneuerbaren Energien müssen mit dem Netzausbau in Einklang gebracht werden, aber auch mit dem konventionellen Kraftwerkspark abgestimmt werden. Nur so kann die Energieversorgung in Zukunft sicher und wirtschaftlich bleiben. Hier liegt noch ein großes Stück Arbeit vor uns. Vertrauensschutz muss dabei oberste Priorität haben. Deshalb bitte ich Sie heute um Zustimmung zu den zwei Änderungen, die ich vorhin beschrieben habe. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um eines klarzustellen: Die EEG-Novelle, die die Große Koalition im Sommer verabschiedet hat, ist eine Abrissveranstaltung für erneuerbare Energien. Sie beenden den Biogasausbau ganz offiziell, beim Wind produzieren Sie durch die Ankündigung von Ausschreibungen eine Schlussverkaufsmentalität, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist die falsche Rede!) und der Ausbau der Photovoltaik ist nach Ihrer Novelle zusammengebrochen. Sie bleiben unter dem von Ihnen selbst festgelegten Korridor. Schon allein deshalb, weil der Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien nicht so läuft, wie Sie es zugrunde gelegt haben, ist klar, dass Ihr Klimaschutzprogramm eine Luftbuchung ist. Sie selbst haben die Grundlage dafür kaputtgemacht. Ich finde, das muss an dieser Stelle noch einmal klargestellt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Haben Sie es nicht ein bisschen kleiner?) Weil der Kollege Bareiß gerade die EEG-Novelle gelobt und betont hat, was damit alles gemacht wird, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Vor der Verabschiedung im Ausschuss wurden uns 200 Seiten auf den Tisch gelegt. Der Herr Großwesir, der Wirtschaftsminister, hat sich hier hingestellt und gesagt, dass man das wohl in anderthalb Stunden lesen könne, das sei wohl kein Problem, das sei alles richtig. Seine Worte hallten noch durch den Raum, als wir eine Woche später, eine Woche nach der Verabschiedung, die erste Korrektur vornehmen mussten. Das, was Sie an dieser Stelle abgeliefert haben, ist nicht nur politischer Murks, sondern auch handwerklicher Murks. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele haben damals gesagt, diese Fehler, die schon bei der Verabschiedung festgestellt worden sind, würden nicht die einzigen Fehler bleiben. Jetzt haben wir weitere auf dem Tisch. Wir debattieren jetzt hier über das ganze Thema nur, weil inzwischen weiterer EEG-Murks, weil weitere Fehler aufgefallen sind. Es ist schon unglaublich, dass Sie sich auch noch selber dafür loben, dass Sie diese Fehler korrigieren. Es ist eine pure Selbstverständlichkeit, dass man das tut. (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Wer hat den Murks denn auf den Weg gebracht?) Dafür sollte man sich entschuldigen. Man sollte sagen: „Wir haben Murks gebaut“, und sich nicht hier breitbeinig hinstellen und sagen: Das ist alles wunderbar, was wir machen. – Das ist unanständig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt werde ich etwas zu den Kollegen Becker und Heil sagen, weil ich es eine Unverschämtheit finde, wie das hier dargestellt wird. Wir haben vor vier Wochen einen Gesetzentwurf zur anteiligen Direktvermarktung eingebracht. Dazu gab es die Bitte der Großen Koalition in Person von Hubertus Heil – er nickt –, diesen Gesetzentwurf zurückzustellen. Man werde sich in der Großen Koalition darauf verständigen. Darauf habe ich gewartet. Irgendwann hörte man dann, dass das Bundeskabinett noch irgendetwas beschließen muss, dass noch eine Formulierungshilfe erstellt werden muss und es keine gemeinsame Initiative geben wird. Jetzt steht die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs an. Den Fehler, der beim Thema Biomasse aufgetreten ist, korrigieren wir, und auch den Fehler im Bereich Schienenverkehr – das ist alles Konsens –, aber bei der anteiligen Direktvermarktung wird nicht korrigiert. Ich frage mich, da Sie seit vier Wochen unseren Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen haben: Warum, liebe Mitglieder der Großen Koalition, haben Sie nicht zusammengefunden? Warum haben Sie nicht den Mut, uns hier eine Änderung vorzulegen, wenn Sie meinen, dass unser Gesetzentwurf nicht richtig ist? Das verstehe ich überhaupt nicht. Das ist mir völlig unklar. Dann möchte ich noch eines sagen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Krischer, gestatten Sie dem Kollegen Heil eine Bemerkung oder Zwischenfrage? Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gern. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herzlichen Dank, Herr Kollege Krischer. – Ich will keine Zwischenfrage stellen – das muss ich auch nicht; es gibt nach der Geschäftsordnung die Möglichkeit einer Zwischenbemerkung – und Ihnen auch gar nicht widersprechen, sondern ich will Ihnen nur der Hygiene wegen und damit wir hier ganz klar miteinander sind, meine persönliche Auffassung und auch die mehrheitliche Auffassung meiner Fraktion mitteilen. Danach ist der Fehler beim Thema „anteilige Direktvermarktung“ mit dem Fehler beim Thema Biomasse vergleichbar. Wie der Kollege Becker bestätigt hat, haben wir das miteinander geprüft und festgestellt, dass wir in der Koalition hierzu noch nicht zu einer Lösung gekommen sind. Wir arbeiten aber nach wie vor daran; das Thema ist nicht vom Tisch. Bei aller Auseinandersetzung, die wir hier im Plenum führen, will ich Ihnen erst einmal ganz persönlich dafür danken, dass Sie eine Woche lang gewartet und Ihren Antrag nicht gestellt haben. Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass wir in diesem Punkt gemeinsam vorankommen. Sie persönlich wissen aber, wie es ist, wenn man miteinander koaliert. Wir haben uns untereinander darauf verständigt, dass wir Anträge zusammen stellen, damit die Regierung funktioniert. Dabei geht es nicht um eine Gewissensfrage nach Artikel 38 Grundgesetz. Deshalb wollte ich noch einmal sagen: Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen, und wir haben auch bei der einen oder anderen Formulierung das Gefühl, dass es dadurch neue Rechtsunsicherheiten gäbe. Der Punkt ist folgender: Es gibt zwei Fehler, die zu korrigieren sind; denn ich finde, wenn eine Regierung oder eine Regierungsfraktion Fehler macht, dann muss man sie korrigieren. Den Fehler, den wir beim Thema Biomasse gemacht haben, korrigieren wir. Darin sind wir uns auch einig. Beim Thema Schienenbahnen gab es keinen Fehler, sondern das Problem hatte etwas mit der Notifizierung der Europäischen Kommission zu tun. Hier sind wir uns in der Sache auch einig. Zum Thema „anteilige Direktvermarktung“ sage ich Ihnen: Wir werden Ihrem Antrag heute nicht zustimmen können, weil es in der Koalition noch keine Einigkeit hinsichtlich der Frage der abgeschlossenen Prüfung gibt und weil bei der einen oder anderen Formulierung die Befürchtung besteht, dass Ihre Vorschläge zu neuen Fehlern führen könnten. Wenn Sie sagen, Ihre Formulierung entspreche der in der Formulierungshilfe des Kabinetts – das haben Sie ja gerade gesagt –, dann sage ich Ihnen: Auch diese ist nicht unveränderbar. Wir bleiben aber an dem Thema dran. Noch einmal: Ich wollte Ihnen, Oliver Krischer, gar nicht widersprechen, sondern ich wollte den Sachverhalt darstellen, damit man draußen auch weiß, um es einmal klar zu sagen, dass wir inhaltlich an dieser Stelle überhaupt keiner unterschiedlichen Meinung sind. Das ist der Hintergrund dieses Verfahrens. Ich wollte Sie nicht behumsen, als ich Sie anrief und gebeten habe, ein, zwei Wochen zu warten, weil wir nach einer gemeinsamen Lösung suchen, und ich wollte hier einmal zugeben: Wir haben keine gemeinsame Lösung gefunden. Wir müssen das Problem aber lösen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU]) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Herr Kollege Heil, für diese Klarstellung, weil sie eines zeigt: In der Sache gibt es null Dissens. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das ist auch so!) Wir haben den Änderungen bei den Themen Schienenverkehr und Biogas zugestimmt. Nur einmal am Rande erwähnt: Zum Thema Biogas hatten wir einen Änderungsantrag eingebracht. Dem konnten Sie als Große Koalition aber nicht zustimmen, weil nicht „Union“ und „SPD“ darübersteht, weshalb Sie einen eigenen Änderungsantrag einreichen mussten, der identisch mit dem ist, den wir eingebracht haben. Das alles ist geschenkt. Sie haben aber gerade ausgeführt, dass es hier im Haus einen Konsens über das Thema „anteilige Direktvermarktung“ gibt. So habe ich das wahrgenommen, und so interpretiere ich jetzt Ihre Äußerungen. Man kennt das Thema seit Wochen, und das Kabinett hat dazu eine Formulierungshilfe beschlossen, die wir eins zu eins hier einbringen. Unsere Formulierung entspricht also genau der Formulierung von Sigmar Gabriel und des Bundeskabinetts Angela Merkel. Sie tun hier aber so, als sei das rechtsfehlerhaft. Das mag ja sein, aber dann frage ich mich: Wieso legen Sie seit Wochen nichts Eigenes vor? Ich kann das nur folgendermaßen interpretieren: Sie sind in dieser Großen Koalition offensichtlich nicht in der Lage, sich über Selbstverständlichkeiten, über Dinge, die Konsens sind, zu verständigen. Da Sie schon nach einem Jahr Große Koalition so weit sind, dass Sie sich über Dinge, die eigentlich Konsens und Selbstverständlichkeiten sind, nicht mehr verständigen können, frage ich mich: Wie wollen Sie ein Klimaaktionsprogramm umsetzen, bei dem noch ganz andere Herausforderungen zu lösen sind? Nach dem Sittenbild Ihrer Koalition geht es doch nur darum, wer wen an dieser Stelle in der Energiepolitik demütigt, und das kann doch nicht sein. Das ist ein Unding! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bedauere das sehr, weil das, was Sie hier abliefern, Menschen und eine ganze Reihe konkreter Unternehmen betrifft, die uns sagen: „Wenn die Probleme beim Thema ,anteilige Direktvermarktung‘ nicht gelöst werden, dann droht eine Insolvenz“, und Sie haben hier gerade dokumentiert, dass Sie sie nicht lösen wollen und können – jedenfalls nicht vor Jahresende. Damit treiben Sie Unternehmen, die Vertrauensschutz genießen sollten, die sich darauf verlassen haben, dass das, was eine Bundesregierung hier beschließt, gilt, möglicherweise in die Insolvenz. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir in der Energiepolitik brauchen: Wir brauchen Planungssicherheit, die Menschen müssen wissen, wo es hingeht. Das, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, ist ein absolutes Armutszeugnis. Deshalb werden wir hier unseren Gesetzentwurf zur anteiligen Direktvermarktung zur Abstimmung stellen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, hier aktiv zu sagen: Nein, wir wollen das nicht, wir wollen dieses Problem nicht lösen. Ihren Änderungen, die ja dem entsprechen, was wir Ihnen vorgelegt haben beim Thema Biomasse und KWK, werden wir selbstverständlich zustimmen. Das ist eine Notreparatur Ihres vermurksten Gesetzes, die wir an der Stelle mittragen werden. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Florian Post das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Post (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Sommer dieses Jahres, zum 1. August, ist das reformierte EEG in Kraft getreten. Wir haben uns hier insbesondere mit einer mit dem EU-Recht konformen Ausgestaltung der Besonderen Ausgleichsregelung befasst. Einen Teil allerdings, die Teilbefreiung der Schienenbahnen, hatten wir noch ausgenommen. Die EU sieht in der derzeitigen Regelung einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Sie beanstandet, dass Markteintrittsbarrieren für neu zu gründende Schienenbahnen auftreten, da diese im Vorfeld noch keine Privilegierungen in Anspruch nehmen konnten und dementsprechend bei öffentlichen Ausschreibungen mit anderen Preisen bieten müssten als bereits existente Schienenbahnen. Diesen Nachteil räumen wir heute aus. Künftig sollen auch Schienenbahnbetreiber, die bisher noch nicht von der Besonderen Ausgleichsregelung profitierten, bzw. neu zu gründende Unternehmen in öffentlichen Ausschreibungen mithalten können. Wir stellen sicher, dass auch 2015 noch alle Schienenbahnbetreiber Anträge auf Privilegierung beim BAFA stellen können. Andernfalls würden auf bereits existierende Schienenbahnbetreiber enorme Kosten zukommen. Allein in meiner Heimatstadt, in München, würde das für die Münchner Verkehrsgesellschaft Mehrkosten von 14 Millionen Euro bedeuten. Das wäre – ich glaube, hier sind wir uns einig – verkehrs- wie umweltpolitisch Unsinn, den wir nicht wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Trotz der existierenden Privilegierung der Schiene ist es nicht so, dass die Bahn keinen Beitrag zum EEG leistet: Sie bringt bei der EEG-Umlage einen Betrag von circa 105 Millionen Euro pro Jahr auf, 75 Millionen Euro allein im Güterverkehr. Gerade im Hinblick darauf, dass der Schienenverkehr den wichtigsten Beitrag zur Energiewende im Verkehrssektor leistet, können wir nicht zulassen, dass eine Situation entsteht, in der sich der Schienenverkehr im Wettbewerb gegenüber anderen Verkehrsmitteln nicht mehr behaupten kann. Wir wollen den Schienenverkehr insgesamt stärken, sowohl den Güterverkehr als auch den Personennahverkehr; denn er leistet einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, und wir wollen natürlich nicht, dass aufgrund eines Kostenanstiegs auf andere Verkehrsmittel ausgewichen wird. Diese Auffassung schlägt sich natürlich auch in unserem Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ nieder, wodurch der Güterverkehr gestärkt werden soll. Wir werden die Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur insgesamt erhöhen und Engpässe in der Schieneninfrastruktur beseitigen, zum Beispiel durch Elektrifizierungen. Großes Vertrauen habe ich hierbei, dass wir es auch 2016, 2017 und 2018 schaffen, entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Natürlich soll auch der Personenverkehr klimafreundlicher gestaltet werden. Dabei steht der öffentliche Personennahverkehr, insbesondere auf der Schiene, im Fokus. Noch größere Bedeutung hat die Schiene im Personenfernverkehr; auch hier werden wir von Bundesseite mehr Mittel zur Verfügung stellen. Wir dürfen in der Debatte über die Energiewende den Blick nicht auf den Stromsektor verengen, sondern müssen auch den Wärmesektor betrachten. Im Verkehrssektor geht es nicht nur um die vielbeschworene Elektromobilität, auch der Schienenverkehr trägt zur Erreichung des Zieldreiecks bei unserer Energiewende bei. Um die Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern wettbewerbsfähig zu halten, bitte ich darum, diesem Gesetz heute zuzustimmen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Andreas Lenz das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD]) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Mit dem Gesetzentwurf stellen wir sicher, dass die Verkehrsunternehmen in Deutschland auch weiterhin die Besondere Ausgleichsregelung für Schienenbahnen in Anspruch nehmen können. Davon profitieren in erster Linie die Fahrgäste. Deshalb ist es richtig, dass wir diese Änderung noch vor Jahresende verabschieden. Außerdem bereinigen wir redaktionelle Fehler im Bereich der Biomasse. Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Juli war ein wichtiger Schritt. Wir haben damit einen verlässlichen Ausbaupfad für die erneuerbaren Energien geschaffen. So wird der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch im Jahr 2025 40 Prozent bis 45 Prozent und im Jahr 2035 55 Prozent bis 60 Prozent betragen. Der gesetzliche Ausbaukorridor und die verpflichtende Direktvermarktung bringen die erneuerbaren Energien weiter voran und führen sie gleichzeitig stärker an den Markt heran. Außerdem konnten wir die Besondere Ausgleichsregelung für stromintensiv produzierende Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, europarechtskonform reformieren. Die hohen Energiekosten haben bereits zu einer chronischen Investitionsschwäche der energieintensiv produzierenden Industrie in Deutschland geführt. Vor allem Erweiterungsinvestitionen werden an Standorten getätigt, an denen die Energiekosten günstiger sind. Wir schaffen einen stabilen Rahmen für diese Unternehmen. Wir wollen Deutschland als wettbewerbsfähigen Industriestandort erhalten. Wir schaffen so eine verlässliche Perspektive für Tausende von hochwertigen Arbeitsplätzen in der Grundstoffindustrie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die EEG-Umlage konnte stabilisiert werden. Im Jahr 2015 sinkt sie voraussichtlich auf 6,17 Cent pro Kilowattstunde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit der EEG-Novellierung zu tun!) Zahlreiche Stromversorger haben angekündigt, im nächsten Jahr ihre Strompreise zu senken. Die am 1. August in Kraft getretene Reform des EEG leistet zukünftig einen Beitrag zur langfristigen Preisstabilität. Letztlich werden diese Maßnahmen auch zur langfristigen Akzeptanz der Energiewende beitragen. Die Europäische Kommission hat zwar am 23. Juli das novellierte EEG mit den Besonderen Ausgleichsregelungen für besonders stromintensiv produzierende und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen genehmigt, nicht jedoch die Besonderen Ausgleichsregelungen für Schienenbahnen. Hierzu hat die Kommission ein eigenes Notifizierungsverfahren eingeleitet. Zudem fordert die Kommission Anpassungen, um die Genehmigung erteilen zu können. Aus Sicht der Kommission ist die Besondere Ausgleichsregelung für Schienenbahnen in ihrer ursprünglichen Form nicht mit europäischem Wettbewerbsrecht vereinbar. Die Kommission sah für neu in den deutschen Markt eintretende Schienenverkehrsunternehmen einen Wettbewerbsnachteil. Nach der bisherigen Regelung können am Markt neue Unternehmen keinen Antrag auf Ermäßigung der EEG-Umlage stellen. Der Grund hierfür ist, dass zum Nachweis der Überschreitung der Schwelle von mindestens 2 Gigawattstunden selbstverbrauchter Strommenge bislang nur Istdaten vorgelegt werden konnten. Vor allem ausländische Marktteilnehmer könnten so laut Kommission Nachteile erlangen. Zukünftig wird eine Antragstellung bereits vor Aufnahme des Fahrbetriebs möglich sein. Die Basis der Antragstellung bildet der prognostizierte Stromverbrauch für das Jahr der Aufnahme des Fahrbetriebs. Die tatsächlich verbrauchte Strommenge wird nachträglich überprüft. Würden wir den Forderungen der Kommission nicht nachkommen, könnte die Kommission die Genehmigung der Besonderen Ausgleichsregelung für die Schienenbahnen verweigern. Die Folgen wären eine massive Erhöhung der Fahrpreise zum 1. Januar 2015 und eine Verschlechterung der Wettbewerbssituation der Bahn gegenüber dem Straßenverkehr. Die Gesetzesänderung ist deshalb vor allem für die Fahrgäste des Schienennah- und -fernverkehrs notwendig. Wir wollen die Pendler und Bahnfahrer eben nicht mit zusätzlichen Fahrpreis-erhöhungen im Jahr 2015 belasten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Außerdem berichtigen wir mit der Änderung redak-tionelle Fehler im Bereich der Biomasse. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Redaktionelle Fehler sind das nicht! Das sind substanzielle Fehler!) Nach dem EEG 2014 waren Bioenergieanlagen, wenn sie ihren Strom direkt vermarktet haben, von Mindestanforderungen hinsichtlich der Kraft-Wärme-Kopplung befreit. Durch einen fehlenden Verweis in den Übergangsvorschriften des neuen EEG standen Hunderte Betreiber von Biogasanlagen vor der Frage, ob sie diese sinnvolle Regelung weiter nutzen können. Ohne diese Richtigstellung hätte Anlagebetreibern der Verlust der Einspeisevergütung gedroht, obwohl sie genau das gemacht haben, was sinnvoll ist, nämlich sich mit ihrer Stromproduktion an den Markterfordernissen zu orientieren. Dies wäre in vielen Fällen existenzbedrohend gewesen. Außerdem wird ein redaktioneller Fehler hinsichtlich der Definition der Bemessungsleistung behoben. So ist für Anlagen nach dem EEG 2009 auch weiterhin die in das Netz eingespeiste Leistung und nicht die erzeugte Leistung maßgebend. Diese Regelungen gelten rückwirkend zum 1. August dieses Jahres, um einen tatsächlichen Bestandsschutz zu gewährleisten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beschließen Sie aber nur, weil wir das eingebracht haben! Sonst wäre das hier nicht Thema!) – Auch das ist ein Unterschied zu Ihrem Antrag, in dessen erster Version das Datum „1. August“ nicht enthalten war. So ärgerlich solche Fehler auch sind, so richtig ist es, das als richtig Erkannte nun umzusetzen. Das tun wir heute. Wir werden die Energiewende voranbringen und dabei die Bürgerinnen und Bürger nicht überfordern. Uns ist die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen wichtig. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung stehen hinter der Energiewende. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass das so bleibt. Die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes war hierfür ein erster wichtiger Schritt. Ebenso wichtig ist der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze hinsichtlich der Integration der erneuerbaren Energien. Wir sind auch dabei, die Neuausrichtung des Strommarktdesigns zu erarbeiten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zur anteiligen Direktvermarktung! Warum reparieren Sie den Fehler denn nicht?) – Für die anteilige Direktvermarktung werden wir, wie die Kollegen der SPD schon erläutert haben, eine handwerklich gut gemachte Regelung finden. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Weihnachtsferien?) Dafür nehmen wir uns die notwendige Zeit. Dabei vertrauen wir nicht nur auf Ihre Anträge, obwohl diese natürlich, wenn sie der Sache dienen, berücksichtigt werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war der Beschluss des Bundeskabinetts! Ich verstehe überhaupt nichts mehr!) Das Ministerium hat bereits ein Grünbuch vorgelegt, das jetzt intensiv diskutiert wird. All das spielt zusammen und muss europäisch koordiniert werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Koalition?) Unsere französischen Nachbarn haben uns gestern im Ausschuss eindrucksvoll von ihren Anstrengungen berichtet. So will Frankreich seinen Anteil an erneuerbaren Energien bis 2030 auf 32 Prozent steigern. Wir sind also mit unseren Bemühungen nicht ganz allein. Die Reform des EEG im Juli dieses Jahres war richtig. Das Richtige muss man auch richtig machen; dazu tragen wir heute bei. – Herr Krischer, wir sind der Meinung, das sich Ehen entwickeln und im Laufe der Zeit besser werden können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können sich ja noch nicht einmal auf Selbstverständliches verständigen! Das ist doch unglaublich! Da kommen formale Ausreden!) Wenn Sie in Ihrem Leben andere Erfahrungen gemacht haben, ist das Ihre Sache. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ich weise darauf hin, dass hierzu eine Erklärung des Abgeordneten Heil gemäß § 31 der Geschäftsordnung vorliegt. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3440, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/3321 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/3451 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die Opposition. Wer stimmt dagegen? – Die Koalition. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Zustimmung durch die Opposition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Ich komme zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Ich komme zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur zweiten Änderung des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3440, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3234 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Die Opposition. Wer stimmt dagegen? – Die Koalition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Ausschussöffentlichkeit Drucksache 18/3045 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Rednerin Frau Dr. Sitte das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! In der vergangenen Woche hat eine ganze Reihe von uns Abgeordneten an einem Kongress des Magazins politik & kommunikation teilgenommen. Niccolo Machiavellis Mechanik der Macht sollte dazu anregen, über politische Kommunikation zu diskutieren. Die politische Machtmechanik Machiavellis, Politik sozusagen als rein erfolgsgetriebenes Geschäft frei von irgendwelchen moralischen Fesseln zu betrachten, sollte sich eigentlich überlebt haben, wobei ich mir da manchmal nicht ganz sicher bin. Aber für uns in diesem Hause sind vivere -politico und vivere libero durchaus wichtige Themen für eine gelingende Politik und eine gelingende Republik. Dabei sind sich mit der Digitalisierung die Akteure sehr nahe gekommen; sie kommunizieren sehr direkt miteinander. Sie alle merken das jeden Tag an Ihrem elektronischen Briefkasten, Ihren Smartphones etc. Jeder von uns erfährt täglich, wie sehr sich Kommunikations- und Informationsprozesse beschleunigt haben. Deshalb ist für uns alle zu klären, was wir tun müssen, um eine lebendige Demokratie zu gestalten. Wir Linken wollen eine offene, bürgernahe politische Kultur. (Beifall bei der LINKEN) Wer Bevormundung verhindern und mündige, weil auch informierte und engagierte Bürgerinnen und Bürger will, muss viele Fenster öffnen. Die Mehrheiten der größten Koalition in der Geschichte des Bundestages bewirken zum Beispiel, dass Oppositionsaufgaben wie Kontrolle, Kritik der Bundesregierung und das Vorlegen alternativer Vorschläge mehr als jemals zuvor auf eine wache mediale und gesellschaftliche Öffentlichkeit angewiesen sind. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn die Große Koalition ihrerseits nicht im eigenen Saft verschmoren will, sollte auch sie ein waches Ohr für die gesellschaftliche Resonanz haben. Das Grundgesetz regelt, dass der Bundestag öffentlich verhandelt. Im Plenum tun wir das, wie zum Beispiel heute wieder. Nun fragt sich jeder, warum das nicht auch für die Ausschüsse gilt. In Landtagen wird das längst praktiziert. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der politische Prozess soll nachvollziehbar sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang betont – ich zitiere –: Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente der parlamentarischen Demokratie. Bisher ist die Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen die Regel. Wir wollen das umkehren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nicht die Öffentlichkeit, sondern die Nichtöffentlichkeit ist in einer Demokratie gesondert zu begründen. Sicherlich sind Ausnahmen denkbar, beispielsweise soweit die Geheimschutzordnung greift oder schutzwürdige Interessen Dritter zu wahren sind. Wir wollen auch, dass alle Beratungsgrundlagen in einem Register zusammengefasst und zeitnah veröffentlicht werden. Dann bleibt beispielsweise Interessierten erspart, das Informationsfreiheitsgesetz zu bemühen, um eine Information zu erhalten. Nun behaupten Abgeordnete der Koalition gelegentlich, öffentlich könne man nicht mehr ganz so frei und offen reden; Fensterreden würden überhandnehmen, und überhaupt würden Kompromisse erschwert. Da kann ich nur fragen: Was ist das denn für ein Demokratieverständnis? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Überdenken von Positionen oder das freie Reden – auch ins Unreine – muss doch nicht gefiltert werden. Die Bürger sind doch nicht doof. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Argument und Gegenargument sollten bei der Entscheidungsfindung nachvollziehbar sein. Abschließende Antworten hat in diesem Haus ohnehin niemand. Dafür sind viele Prozesse, die wir bewerten, oder Entscheidungen, die wir zu fällen haben, viel zu komplex geworden. Weil sie so komplex geworden sind, finde ich, dass gerade politische Entscheidungsprozesse kooperativ gestaltet werden sollten und gestaltet werden müssen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Gern. – Kompromisse zu finden ist nicht Ausnahme, sondern Regelfall und grundgesetzliches Leitbild. Dafür ist die Demokratie schließlich da. Das sollte für uns -Anlass sein, einen Schritt mehr zu gehen und eine neue politische Kultur in diesem Haus und für die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu schaffen. Danke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Bernhard Kaster das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ist die Not schon so groß, dass ein solcher Schaufensterantrag gestellt werden muss? (Widerspruch bei der LINKEN) Der Geschäftsordnung widmet man sich in diesem Haus erfahrungsgemäß immer dann – das ist bei den meisten Geschäftsordnungsanträgen so –, wenn sich die politisch-inhaltliche Kreativität dem Ende zuneigt. Dann geht es um Verfahren und die Geschäftsordnung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zum Inhalt!) Man nimmt dann ein paar Schlagworte wie Transparenz und Lobbyismus, mischt sie mit ein paar Vorurteilen gegenüber der Politik und baut auf die mögliche Unkenntnis der Bürgerinnen und Bürger über die tatsächlichen Abläufe im Parlament. Dann kommt ein solcher Antrag wie Ihrer dabei heraus, mit seitenlanger Begründung. Damit kein Missverständnis aufkommt: Es ist unbestritten – da haben Sie in Ihrem Antrag recht –, dass ein Parlament und insbesondere der Bundestag zwingend Transparenz und Öffentlichkeit braucht; das ist ganz wichtig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?) Die Feststellung in Ihrem Antrag, dass auch Abgeordnete Menschen sind, ist schön. Diese teilen wir und -erfreut uns. Es ist erfreulich, dass Sie das festgestellt -haben. Nun zur eigentlichen Sache. Worum geht es hier? Das erklärt man am besten mit dem, was ist. Jedes Gesetz wird in öffentlicher Sitzung in erster, zweiter und dritter Lesung hier im Parlament debattiert. Zudem nehmen die Ausschüsse ihr Recht nach der Geschäftsordnung wahr und führen Ausschusssitzungen öffentlich durch, wenn sie dies beschließen; das kommt häufig vor. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das kommt nicht häufig vor! Das kommt jetzt gar nicht mehr vor!) Die Ergebnisse – auch die der nichtöffentlichen Ausschusssitzungen – sind ebenfalls öffentlich. Alle An-hörungen der Ausschüsse, in denen oft konträr Expertenmeinungen ausgetauscht werden, sind öffentlich. Ebenfalls öffentlich sind Gesetzentwürfe, Anträge, Beschlussempfehlungen sowie Berichte aus öffentlichen und nichtöffentlichen Ausschusssitzungen einschließlich der unterschiedlichen Fraktionsmeinungen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt seit der Großen Koalition überhaupt nicht mehr vor!) Ebenfalls öffentlich sind Änderungs- und Entschließungsanträge sowie Große und Kleine Anfragen. Diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen. Bei so viel Öffentlichkeit kann man natürlich die Frage stellen, warum wir den Zwischenschritt einer nichtöffentlichen Beratung brauchen. Das hat einfach etwas mit unserem parlamentarischen Selbstverständnis zu tun; denn unser Parlament hat – deswegen lasse ich Vergleiche zu anderen Parlamenten nicht zu – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht? Dem müssen Sie sich stellen!) den Charakter eines Arbeitsparlaments. In den Ausschüssen wird im Rahmen des Berichterstattersystems detailliert beraten. Bekanntlich verlässt kein Gesetz den Bundestag so, wie es in den Bundestag eingebracht wurde. Wir möchten diesen Charakter unseres Parlaments erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, interessanterweise argumentieren Sie in Ihrer langen Begründung des Antrags auch damit, in nichtöffentlichen Sitzungen spiele die Interessenvertretung eine zu große Rolle, Stichwort „guter und böser Lobbyismus“. Genau andersherum ist es. Der Regelfall ist, dass die Abgeordneten mit einer Vielzahl von Interessen und Wünschen konfrontiert werden. Die gilt es dann abzuwägen. Jeder Abgeordnete im Ausschuss hat die freie Entscheidung, sich zu Wort zu melden, sich zu äußern. Aber bei konsequenter Öffentlichkeit – davon müssen wir bei Zulassung von Fernsehen, Presse, Internet-Livestream ausgehen – steigt unzweifelhaft der öffentliche Erwartungsdruck, ob von Branchen, Sozialverbänden, Gewerkschaften oder dem eigenen Wahlkreis, sich zwingend zu Wort zu melden und eine erwartete Haltung zu formulieren. Ich sage nicht, dass das immer so wäre; aber in jedem Fall würde der öffentliche Druck steigen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gut so! Was haben Sie denn für ein Problem?) Lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassend drei Kritikpunkte zu diesem Antrag nennen: Erstens. Der Charakter und die Ergebnisoffenheit der Detailberatungen würden sich verändern. Zweitens. Der Antrag suggeriert, wie ich finde, in fataler Weise, dass jeder Form einer vertraulichen Beratung ein Generalverdacht der Unrechtmäßigkeit beiwohnt. Es ist eigentlich unmöglich, so einen Eindruck aufkommen zu lassen. Drittens. Eine Ausschussöffentlichkeit stärkt nicht den einzelnen Abgeordneten, sondern die Parteien, die Fraktionen. Der unverzichtbare Prozess der Kompromissfindung würde sich letztlich in andere Gremien verlagern. Wir werden diesen Antrag an den Geschäftsordnungsausschuss überweisen und ihn dort gerne in öffentlicher Sitzung – das liegt in der Natur der Sache – beraten. Das lässt die Geschäftsordnung zu. Dazu brauchen wir keine Änderung der Geschäftsordnung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Britta Haßelmann das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Heute reden wir über das Thema „Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen“. Es ist aus Sicht der Grünen und der Linken absolut überfällig, darüber im Deutschen Bundestag zu diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Transparenz und Offenheit gegenüber Dritten, den Bürgerinnen und Bürgern, interessierten Medien, interessierten Verbänden, hatten wir schon in der Vergangenheit. So eingeschränkt wie jetzt war die Situation noch nie. Deshalb hat meine Kollegin Petra Sitte an dieser Stelle recht: Die Große Koalition erfordert ganz besonders, dass die Regeln von Transparenz und Offenheit eingehalten werden. Vonnöten ist auch eine Opposition, die das einfordert. Wir wollen, dass die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen demnächst grundsätzlich gilt und nicht der umgekehrte Fall zu begründen ist, wie es nach Auffassung der Koalitionsfraktionen zu geschehen hat. Die Realität sieht im Moment so aus, dass Ausschüsse so gut wie nie öffentlich tagen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Das haben Sie aus dem geltenden Grundsatz gemacht. Hier schaue ich insbesondere meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD an: Was haben Sie Seit’ an Seit’ mit den Grünen in der letzten Legislaturperiode gestritten? Da war es noch üblich, dass der Sportausschuss, dass der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“, dass der Ausschuss für Kultur und Medien, dass der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung grundsätzlich jede Woche öffentlich getagt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die SPD war ganz eng an der Seite von Grünen und -Linken, um zu verhindern, dass der Sportausschuss zur Nichtöffentlichkeit übergeht, als unter Schwarz-Gelb eine entsprechende Initiative entstand. Wo sind die Argumente? Die gehen Ihnen doch aus, Frau Steffen. Ich bin gespannt, wie Sie heute darlegen wollen, weshalb das alles jetzt nicht mehr möglich ist und weshalb wir auf jeden Fall hinter verschlossenen Türen beraten -müssen. Sehen Sie sich doch einmal das Europaparlament an: Alle Ausschüsse tagen grundsätzlich öffentlich. Alle -Dokumente sind zugänglich. Wo führt das denn zu furchtbaren Frakturen und schrecklichen Situationen, Herr Kaster? Nirgendwo! Reden Sie doch einmal mit den Abgeordneten des Europaparlaments. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Wir sprechen über den Deutschen Bundestag!) Das ist Transparenz im besten Sinne. Das ist Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen für Bürgerinnen und Bürger. Sie beschreiben hier die Ausschussrealität, als säßen wir dort alle zusammen und berieten ganz intensiv über Vorlagen, und erst danach legten sich die Fraktionen fest. Ich bitte Sie, in welchem Ausschuss ist das denn so? Ich sitze im Finanzausschuss. Ich saß im Familienausschuss. Ich bin stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss. Ich kann Ihnen sagen: Da gibt es vorher Festlegungen der Fraktionen, wie man am Ende über Anträge abstimmt. Das gehört zur Realität. Deshalb muss es an der Stelle kein geschützter Raum sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben darüber hinaus in den Landesparlamenten in Bayern, Berlin und Brandenburg die grundsätzliche Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen, weil das selbstverständlich ist und weil wir uns gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären haben. Wir sollten froh sein über das Interesse der Menschen, darüber, dass sie erfahren wollen, was wir beraten, wie wir beraten und über welche Dokumente wir beraten. Deshalb gibt es unsere Antragsinitiative an dieser Stelle. Kommunalparlamente machen seit über 20 Jahren gute Erfahrungen damit. Selbstverständlich gibt es Geheimschutzinteressen; dann hat man nichtöffentliche Teile. Das alles ist in unserem Antrag aufgeführt. Das sind keine K.-o.-Argumente, was unseren Antrag angeht. Deshalb werbe ich für unser Anliegen. Ich bin gespannt auf die Darlegungen der SPD, warum sie eine Kehrtwende, eine Wende um 180 Grad, gemacht hat, nur weil sie jetzt in der Regierung ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Sonja Steffen. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mir kommt jetzt eine schwere Aufgabe zu, Frau Haßelmann. Ich soll darlegen, warum die SPD von dem Öffentlichkeitsprinzip, das Sie hier vorgestellt haben, abweicht. Das ist im Grunde genommen nicht der Fall. Ich sage Ihnen auch, warum. Ich will aber mit einem Satz anfangen, den wir alle bisher mehr oder weniger auch so formuliert haben. Er stammt von Heiner Geißler und lautet wie folgt: Transparenz schafft das Vertrauen, von dem eine Demokratie lebt. – Das hat er im Zusammenhang mit Stuttgart 21 gesagt. Ich denke, da sind wir uns alle einig. Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, geht in diese Richtung; das ist auch richtig so. Sie wollen das Regel-Ausnahme-Prinzip, das wir im Moment haben, umkehren. Sie wollen künftig, dass alle Ausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen; darüber hinaus wollen Sie bei allen Ausschüssen einen Livestream einführen, was dann heißt: Echtzeitübertragung der Ausschusssitzungen. (Beifall bei der LINKEN) Die aktuelle Situation ist die – ich will das noch einmal sagen; das ist die Situation, die wir immer schon hatten –: Nach § 69 der Geschäftsordnung tagen die Ausschüsse grundsätzlich nicht öffentlich; aber jeder Ausschuss kann die Öffentlichkeit beschließen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das findet aber nicht statt!) In der Vergangenheit, in der Opposition, hat die SPD – Frau Haßelmann, auch da gebe ich Ihnen recht – mit den Grünen und auch mit den Linken gemeinsam -Anträge auf Öffentlichkeit gestellt, beispielsweise im Sportausschuss. Sie haben es schon gesagt: Der Sportausschuss hat sehr häufig öffentlich getagt. Wir hätten das gern fortgesetzt, sind mit diesem Anliegen aber – so ehrlich muss man sein – bei der Union gescheitert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Es ist nicht so, dass wir grundsätzlich im Geheimen tagen – darauf hat der Kollege Kaster schon hingewiesen –; das stimmt so nicht. Wir haben in den Ausschusssitzungen sehr häufig öffentliche Anhörungen. Wenn es um Gesetzesvorhaben geht, werden Sachverständige angehört. Es gibt Jahresberichte, die öffentlich vorgetragen werden. Es gibt auch im Petitionsausschuss – das weiß ich von meiner Arbeit dort – regelmäßig öffentliche -Anhörungen. Ich erinnere mich gerne an die Anhörungen zu den Hebammen, zur Finanztransaktionsteuer, zur Palliativmedizin und zum bedingungslosen Grund-einkommen, mit denen wir eine breite Öffentlichkeit erreicht haben. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Genau!) Die Frage ist jetzt: Wollen wir von dem Regel--Ausnahme-Prinzip, das wir im Moment haben – grundsätzlich nichtöffentlich, ausnahmsweise öffentlich, nämlich dann, wenn der Ausschuss das will –, abgehen? Ich sage Ihnen eines: Wir befinden uns heute in der ersten Beratung. Auch bei Geschäftsordnungsänderungen gibt es ein Prozedere im Parlament, und wir sind da noch nicht am Ende der Fahnenstange. Wir fangen mit der Diskussion gerade an. Ich denke, ich spreche für die SPD-Fraktion, wenn ich sage: Wir wollen in die Debatte einsteigen und schauen, wohin das führt – mit offenem Ergebnis. (Beifall bei der SPD) Es gibt natürlich – das ist von den Kollegen der -Opposition schon gesagt worden – viele Argumente für das öffentliche Tagen der Ausschüsse, beispielsweise – das ist schon genannt worden – die Information der Öffentlichkeit, aber auch die Kontrolle, die Teilhabe und letztendlich auch die Akzeptanz. Es mag durchaus sein, dass die Akzeptanz erhöht wird, wenn man nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern zukünftig öffentlich tagt. Allerdings stellt sich auch die Frage – darauf ist der Kollege Kaster in seiner Rede schon sehr ausführlich eingegangen –: Dient das tatsächlich auch der Funktionsfähigkeit des Parlaments? (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das ist eine wichtige Frage, ja!) Ich finde, dieser Pragmatismus muss an dieser Stelle sein, ohne dass man sagt: Wir wollen die Öffentlichkeit in Zukunft nicht mehr. Aber es besteht doch tatsächlich eine Gefahr: Wenn zukünftig alle Ausschusssitzungen öffentlich sind, wird es so sein – das haben Sie schon gesagt –, dass jedes Ausschussmitglied, das da sitzt, selbstverständlich auch zu Wort kommen will. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und nicht schlafen kann!) Alles andere würde vielleicht dazu führen, dass dann nicht nur im Wahlkreis, sondern auch an anderer Stelle gesagt würde: Na ja, dieses oder jenes Ausschussmitglied macht ja überhaupt nicht mit. Er oder sie hat sich da überhaupt nicht zu Wort gemeldet. – Wozu würde das führen? Das könnte dazu führen, dass sich die Ausschusssitzungen – nach dem Motto „Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem“ – ins Unendliche hinziehen. An dieser Stelle, denke ich, hätten wir dann auch nichts davon. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, wie toll! Dieses Argument hatten Sie letztes Mal noch nicht!) Ich muss Ihnen noch etwas sagen: Ich erinnere mich gerne an meinen sehr geschätzten Kollegen Anton Schaaf; viele von Ihnen kennen ihn noch. Er, ein sehr guter Redner, hat uns, als er mit uns seinen Abschied begangen hat, einen ziemlich guten Satz mit auf den Weg gegeben. Dieser Satz lautet: Rede nur, wenn du wirklich etwas zu sagen hast. – Das, finde ich, gilt auch für Ausschusssitzungen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollte auch im Plenum gelten! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist kein Beweis für diesen Satz!) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Frau Haßelmann, Sie haben vorhin gesagt, in welchen Ausschüssen Sie sind und wie es da abläuft. Ich selber bin im 1. Ausschuss und im Haushaltsausschuss. Ich sage allen Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen – ich möchte gerade die Opposition ansprechen –: In den Ausschüssen, in denen ich bin, ist es wirklich so, dass jeder, auch die Opposition, zu Wort kommt, und zwar mehrmals. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sollte das denn nicht selbstverständlich sein? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Wirtschaftsausschuss ist das nicht selbstverständlich!) Es wird über alle Themen breit diskutiert. Es ist nicht so, Frau Haßelmann, dass ein Gesetzentwurf ins Parlament kommt, in den Ausschüssen verhandelt wird und das Parlament dann so verlässt, wie er hineingekommen ist; das Struck’sche Gesetz ist schon genannt worden. In meiner Oppositionszeit, beispielsweise in meiner Zeit im Rechtsausschuss, habe ich oft genug erlebt, dass im Rahmen von Berichterstattergesprächen und Ausschusssitzungen auch die Opposition ihre Meinung in die Beratung von Gesetzentwürfen einbringen konnte. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist doch jetzt nicht das Thema! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei Berichterstattergesprächen auch so, ja!) Das ist heute noch so. Das, denke ich, sollten wir an dieser Stelle nicht vergessen. (Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Jetzt stellt sich also die Frage: Wie wägt man das ab? Ich habe gerade das Für und Wider genannt und gesagt: Wir sind am Beginn der Debatte. Wir wollen in diese Diskussion einsteigen. Meine Fraktion ist da sehr offen. Es gibt vielleicht wirklich Möglichkeiten. Beispielsweise würde ich es gut finden, wenn wir überlegen würden, ob wir Ausschusssitzungen zu bestimmten Themen zukünftig mit einem Mindestmaß an Öffentlichkeit versehen. Es ist ja so: Nicht jedes Thema ist für die Öffentlichkeit superinteressant. Es gibt aber sehr interessante Themen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das haben wir alles versucht! Ohne Erfolg!) Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut – daran werde ich mich mit Sicherheit auch in Zukunft noch erinnern – an die Debatte zu TTIP, die wir in der letzten Sitzungswoche geführt haben, in der unser Wirtschaftsminister von seiner ursprünglich geplanten Rede völlig abgewichen ist und wir plötzlich eine Debatte hatten, in der das Parlament richtig lebendig wurde. Ich glaube, das ist der Zustand, den wir erreichen wollen. Das eint uns alle wieder. Letztendlich geht es doch auch darum, dass wir etwas gegen die Politikverdrossenheit der Menschen im Land tun wollen. Wenn wir etwas Positives erreichen können, indem wir Ausschusssitzungen in dem einen oder anderen Fall öffentlich machen, dann leben wir eine lebendige Demokratie. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Hans-Peter Uhl das Wort. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Thema geht es um die Frage einer sinnvollen, pragmatischen Organisationsstruktur für ein Gesetzgebungsverfahren. Wir haben unser Gesetzgebungsverfahren als einen lernenden Prozess ausgestaltet – mit Recht. Er ist transparent, hat aber auch vertrauliche Elemente. Diese Kombination gewährt vor allem gute Ergebnisse in dem lernenden Prozess. Sie haben vollkommen recht mit dem Zitat Ihres ehemaligen Kollegen: „Melde dich nur zu Wort, wenn du etwas zu sagen hast.“ In diesem lernenden Verfahren der Gesetzgebung haben wir oft etwas zu fragen, und dieses Fragen muss möglich sein. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das kann man nicht öffentlich?) Ganz unverkrampft fragen muss möglich sein, ohne sich dabei zu blamieren. Es tut uns allen gut, wenn man das ab und zu tut. Wir müssen ehrlicherweise zugeben: Wir haben auch schon Gesetze gemacht; hätten wir länger darüber nachgedacht und vorher gefragt, dann wäre das eine oder andere Gesetz vielleicht besser geworden. Manchmal merken wir gleich nach der dritten Lesung, dass etwas übersehen worden ist. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: EEG zum Beispiel! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir gern noch ein drittes Mal korrigieren!) Ich meine, wir sollten uns in aller Ruhe überlegen, ob unser Verfahren verbesserungsbedürftig ist oder ob wir es so belassen. Im Augenblick bin ich mit der Geschäftsordnung, die wir haben, sehr zufrieden. Wir haben – der Kollege Gerster hat es erwähnt – alle Möglichkeiten der Transparenz, der Öffentlichkeit, und ich habe nicht den Eindruck – auch wenn ich jetzt auf die Zuschauertribüne schaue; es sind mehr Abgeordnete als Zuhörer da, das ist öfters so –, dass die Bevölkerung nach mehr Erkenntnissen dürstet und den Verdacht hat, wir würden ihr etwas vorenthalten und ihr würde etwas verheimlicht. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Die Medienüberschwemmung sorgt dafür, dass der Bürger gar nicht mehr weiß, was wichtig und was unwichtig ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bürger ist klüger, als Sie glauben! Sie wollen die Leute also bevormunden, oder wie?) Mit noch mehr Transparenz ist das eher noch schlimmer als besser. Wenn Sie so viel Transparenz für alles und jedes im Laufe des Verfahrens wollen, gebe ich eines zu bedenken: Ein wichtiger Abschnitt im Gesetzgebungsverfahren ist nach der ersten Lesung und der Ausschussberatung das Berichterstattergespräch, meist sogar mit Vertretern der Regierung. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nicht in unserem Antrag!) Da werden Fragen gestellt, und es werden Antworten gegeben, manchmal von der Regierung, manchmal von anderen Kollegen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nicht in unserem Antrag!) Ich habe das immer für sehr wichtig gehalten. Wenn Sie für Transparenz des Verfahrens sind, dann müssten Sie auch dieses Berichterstattergespräch öffentlich machen; (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss man nicht!) denn Sie sind ja für Transparenz. Das können Sie aber nicht fordern. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns reicht es erst einmal, wenn es die Ausschüsse wären! – Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) – Warum, Frau Sitte? Es gibt nach ständiger Rechtsprechung auch bei der Regierung einen Arkanbereich der Geheimhaltung. Dort können Sie nicht einmal durch einen Untersuchungsausschuss erfahren, was sich die Regierung im Laufe des Prozesses der Willensbildung ausgedacht hat. Obwohl dort Protokoll geführt wurde, haben Sie keinen Anspruch, das Protokoll zu bekommen. Auch der Gesetzgeber braucht einen solchen Bereich, einen Arkanbereich, in dem er laut nachdenken können muss, ohne dass alles über die Medien in jedes Wohnzimmer getragen wird. Ein Letztes: Öffentliche Sitzungen fordern natürlich von einer Fraktion und einer Partei die vorherige Festlegung. Dies hängt mit unserem Parteiensystem zusammen, mit Regierung und Opposition; und Demokratie lebt von Rede und Gegenrede zwischen Regierung und Opposition. Die öffentliche Festlegung muss vorher geschehen. Warum? Im Grundgesetz steht: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Wenn Sie also eine öffentliche Übertragung machen und der eine Abgeordnete der CDU so sagt und der andere so und der dritte wieder etwas anderes sagt oder noch fragt, ob das alles richtig ist, was wir machen, dann fragt sich der Zuschauer mit Recht: Was will jetzt eigentlich die Partei? Der eine hat so gesagt und der andere so. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns bei Ihnen auch oft!) Das wird dann bei der Übertragung nicht mehr möglich sein. Auch bei den Grünen wird es nicht mehr möglich sein; denn sie werden in der Ausschusssitzung mit einer Stimme sprechen müssen – ohne Wenn und Aber. Sie müssen sich vorher öffentlich festlegen. Das ist schade, weil es nicht zu einem Erkenntniswert führt, da Sie ja vorher bereits die Erkenntnisse festgelegt haben. Das ist kein lernendes Verfahren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen aber ein lernendes Verfahren, bei dem wir besser werden im Laufe des Prozesses von der ersten Lesung über die – in der Regel nichtöffentliche – Ausschusssitzung bis zur zweiten und dritten Lesung, und dann wird alles protokolliert, veröffentlicht und über Internet abrufbar gemacht. Das ist unser Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3045 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern Drucksache 18/3144 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern Drucksache 18/3160 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/3444 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Andrea Lindholz als erster Rednerin das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über 200 000 Asylanträge erwartet das Bundesinnenministerium in diesem Jahr. Bund, Länder und Kommunen tragen gemeinsam Verantwortung für ein funktionierendes Asylsystem, das die Unterstützung der Bevölkerung erhält und den wirklich Schutzbedürftigen hilft. Dazu sollte sich unsere Flüchtlingspolitik an vier Eckpunkten orientieren: Erstens. Asyl dient ausschließlich dem Schutz verfolgter Menschen. Asyl ist kein Mittel gegen Armut und auch kein Instrument zur Fachkräftegewinnung. Zweitens. Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren muss auf drei Monate sinken. In diesem Zeitraum muss auch geklärt werden, ob jemand Aussicht auf Flüchtlingsschutz hat oder nicht. Drittens. Wer einen Anspruch auf Schutz hat, der sollte frühzeitig integriert werden und auch die Chance bekommen, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen. So verhindern wir Parallelgesellschaften und Abhängigkeiten vom Sozialstaat. Viertens. Wir brauchen eine faire Lastenverteilung und ein funktionierendes Asylsystem in ganz Europa; denn sonst können die stetig wachsenden Flüchtlingszahlen nicht dauerhaft bewältigt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung und die Koalition haben im Jahr 2014 zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um das deutsche Asylsystem zu stabilisieren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat 650 neue Stellen und 37 Millionen Euro für Dolmetscher und Sachmittel bekommen. Das Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten hilft uns, aussichtslose Asylanträge schneller zu bearbeiten und schneller abzuschließen; denn rund 17 Prozent aller Asylanträge werden von Menschen gestellt, die aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina stammen, obwohl die Anerkennungsraten für diese Länder nahe bei null liegen. Der Bund unterstützt die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Wir haben das Baurecht flexibilisiert, und Bundesimmobilien werden den Kommunen zur Verfügung gestellt. Das Asylbewerberleistungsgesetz entlastet Länder und Kommunen künftig um 43 Millionen Euro pro Jahr bei der Flüchtlingsversorgung. Den Löwenanteil übernimmt der Bund. (Beifall bei der CDU/CSU) Obendrein hat der Bund nun zugesagt, die Länder 2015 um weitere 500 Millionen Euro zu entlasten. Für 2016 wurde die gleiche Summe in Aussicht gestellt. Die Hälfte dieser Mittel wird als langfristiger Kredit gewährt. Die Mittel für die Integrationskurse wurden im laufenden Haushalt um 40 Millionen Euro auf 244 Millionen Euro aufgestockt, und im Haushalt 2015 wurde die Entwicklung verstetigt. Die Mittel für die individuelle Migrationsberatung wurden um 8 Millionen Euro aufgestockt. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf stärken wir zusätzlich Integration und Selbstständigkeit der Flüchtlinge. Das Sachleistungsprinzip wird auf den Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung beschränkt. Anschließend sollen vorrangig Geldleistungen erbracht werden. Ich halte das auch für richtig. (Rüdiger Veit [SPD]: Sehr richtig!) Wichtig ist aber, dass Sachleistungen in Ausnahmefällen zulässig bleiben, zum Beispiel um Versorgungsengpässe zu decken. Das haben wir geregelt. Die Leistungen für Unterkunft, Heizung und Hausrat können wahlweise als Geld- oder als Sachleistung erbracht werden. So viel Handlungsspielraum sollten wir den Kommunen auch belassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Residenzpflicht entfällt nach drei Monaten und wird durch die Wohnsitzauflage ersetzt. Die Flüchtlinge können sich dann also im gesamten Bundesgebiet bewegen. Sozialleistungen werden zunächst nur an dem in der Auflage festgelegten Wohnort bezogen. Damit soll die Belastung zwischen den Kommunen gerecht verteilt werden. Für alle, die ihren Lebensunterhalt selbstständig sichern, entfällt die Wohnsitzauflage. Die Flüchtlinge können damit bundesweit eine Arbeit aufnehmen. An dieser Stelle müssen wir aber genau beobachten, ob es zu dem gleichen Phänomen kommt, wie es im Zuge der Armutsmigration aus EU-Staaten festgestellt wurde; denn wenn ein Asylbewerber seinen Arbeitsplatz nach dem Umzug verliert, dann geht die Wohnsitzauflage zusammen mit der Leistungsverpflichtung auf seinen neuen Wohnort über. Das kann vor allen Dingen in Ballungszentren zu einer wesentlichen Erhöhung der Zahl der leistungsberechtigten Asylbewerber führen. Gut ist, dass die Residenzpflicht dann wieder auflebt, wenn die Ausweisung bevorsteht oder Straftaten und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegen. Den letzten Punkt konnten wir mit einem Änderungsantrag verbessern. Es freut mich, dass die Grünen nun der so geänderten Fassung zustimmen wollen. Zumindest im Bund hatten sie den Kompromiss zunächst abgelehnt. Der generelle Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Asylbewerber und Geduldete wurde bereits von neun auf drei Monate gesenkt. Mit einer Rechtsverordnung wird nun zudem die Vorrangprüfung für Asylsuchende bei der Arbeitssuche und für Geduldete auf 15 Monate beschränkt. Diese Verordnung ist zunächst auf drei Jahre befristet. Der Gesetzgeber kann jetzt anhand der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entscheiden, ob die Vorrangprüfung dauerhaft in dieser Fassung bleiben kann oder ob sie vielleicht wieder aufleben soll. In meiner Rede von heute Vormittag habe ich schon dargelegt, wie sich die Bundesregierung mit internationaler Flüchtlingshilfe vor Ort engagiert und die Fluchtursachen bekämpft. Dieser beachtliche Maßnahmenkatalog der Bundesregierung im Asylbereich wurde im Jahr 2014 umgesetzt. Das zeigt, dass die Bundesregierung und die Große Koalition ihrer humanitären Verpflichtung gegenüber den Flüchtlingen nachkommen und sie sehr ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Verpflichtung gegenüber den deutschen Kommunen und unseren Bürgern vergessen wir dabei nicht; denn bei aller Hilfsbereitschaft dürfen wir die Zustimmung der Bevölkerung zu unserem Asylsystem keinesfalls gefährden. Daher muss Zuwanderung selbstverständlich gesteuert werden. Zuwanderung muss auch klaren Regeln folgen. Asyl darf es nur für Verfolgte geben. Es fehlt daher noch ein wichtiger Baustein in unserer Strategie zur Neuordnung des deutschen Asylsystems. Diejenigen nämlich, die kein Recht auf Asyl haben, müssen konsequenter als bisher zurückgeführt werden. Das ist angesichts von rund 11 Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen auch nötig, um weitere Kapazitäten zu schaffen. Die Ausweisung von Ausreisepflichtigen und straffällig gewordenen Ausländern funktioniert auch nicht mehr richtig. Das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht mit einer Kann-, einer Soll- und einer Mussregelung wurde in der Rechtsprechungspraxis quasi obsolet. Die Gerichte treffen heute fast nur noch Ermessensentscheidungen und bewerten den Einzelfall. Das bestätigen uns die Praktiker mit großer Mehrheit. Deswegen halten auch wir es für richtig und nötig, das Ausweisungsrecht grundlegend zu reformieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verschärfen heißt das!) Gestern hat das Kabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet, der dieses Problem lösen soll. Für mich ist das insgesamt ein vernünftiger Kompromiss. Mit dem Gesetzentwurf soll einerseits das Ausweisungs- und Abschieberecht deutlich vereinfacht werden. Die Gerichte sollten zukünftig abschließend entscheiden, wer ein Bleiberecht hat. Straftäter und Personen, denen nach gründlicher Abwägung und Prüfung kein Aufenthaltsrecht zusteht, sollen auch künftig konsequenter abgeschoben werden. Gleichzeitig wird das Bleiberecht für gut integrierte und schutzbedürftige Ausländer, die bisher kein Aufenthaltsrecht haben, verbessert, nämlich wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, die für eine gelungene Integration sprechen. Ihnen soll dann ein verlässlicher Aufenthaltsstatus gewährt werden. Die Verbesserungen im Bleiberecht sind zu verantworten, aber nur dann, wenn eine konsequente Rückführung stattfindet. Derzeit werden bei uns nur rund 10 Prozent der Ausreisepflichtigen tatsächlich abgeschoben. Dadurch wird unser Asylsystem ein Stück weit ungerecht, es wird willkürlich, und es wird unberechenbar. Die Länder sind hier absolut in der Pflicht, ihre Aufgaben zu erfüllen. Der Bund alleine kann dieses Problem nicht lösen. Der Bund hilft Flüchtlingen, er hilft Ländern, und er hilft den Kommunen in vielerlei Hinsicht. Wir dürfen darüber nicht die Sorgen und Ängste unserer Bevölkerung vergessen, die vorhanden sind und sich an vielen Stellen zeigen. Wir müssen Zuwanderung steuern; denn sonst verlieren wir die öffentliche Akzeptanz für unser Asylsystem. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre eigentlich die größte Katastrophe. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt heute einen Gesetzentwurf vor, um den sogenannten Asyldeal des Bundesrates umzusetzen. Wir erinnern uns: Im September hat der Bundesrat der Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten zugestimmt, und zwar auch mit der Stimme des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Das magere Ergebnis dieses Deals liegt jetzt hier vor, mit dem sperrigen Titel „Rechtsstellungsverbesserungsgesetz“. Es enthält unbestreitbar einige Verbesserungen; aber diese Verbesserungen werden mit der Ausgrenzung einer großen Gruppe von Flüchtlingen erkauft. Im Kern geht es um die Residenzpflicht und die Versorgung von Asylsuchenden. Die Residenzpflicht soll nun nach dreimonatigem Aufenthalt erlöschen. Das wird das Leben vieler Flüchtlinge zweifellos erleichtern, die dann nicht mehr vor jeder Zugfahrt bei der Behörde nachfragen müssen. Doch warum nach drei Monaten? Die Verletzung des Rechts auf Bewegungsfreiheit wird nicht erträglicher, wenn man sie auf drei Monate verkürzt. Deswegen bleibt die Linke dabei: Die Residenzpflicht gehört gänzlich abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, warum gibt es hier wieder Ausnahmen? Es reicht zum Beispiel schon der bloße Verdacht auf Besitz von Betäubungsmitteln. Ohne jeden Beweis, ohne Gerichtsbeschluss wird den Betroffenen dann jahrelang die Residenzpflicht wieder auferlegt. Das ist aus unserer Sicht vollkommen unverhältnismäßig. (Beifall bei der LINKEN) Auch wenn – ich zitiere – „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung … bevorstehen“, soll die Residenzpflicht wieder verhängt werden können. Schon bei den Beratungen im Innenausschuss konnte mir niemand erklären, was das eigentlich in der Praxis bedeutet. Eine solche Regelung, wie sie im Gesetz steht, ist völlig unbestimmt. Auf jeden Fall sind Geduldete von dieser Ausnahme besonders hart getroffen. In Deutschland leben etwa 100 000 Menschen, die geduldet sind, das heißt, mit anderen Worten, ausreisepflichtig sind. Viele von ihnen, etwa 50 Prozent, sind seit über sechs Jahren in Deutschland. Gegen sie können also jederzeit Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ergriffen werden und damit in der Folge wieder die Residenzpflicht verhängt werden. Die angebliche Lockerung der Residenzpflicht ist gerade für diese Menschen nichts anderes als eine Mogelpackung. Meine Damen und Herren, einen Schritt vor, einen Schritt zurück, das sehen wir auch beim Asylbewerberleistungsgesetz. Sie kündigen an, endlich den Vorrang von Geld- vor Sachleistungen festzuschreiben. Das heißt, Asylsuchende erhalten künftig keine Fresspakete, Einkaufsgutscheine oder Altkleiderbündel mehr, sondern Bargeld. Das wäre auch gut so. Auch hier gibt es aber wieder Ausnahmen: Erstens soll die neue Regelung nicht in den Erstaufnahmeeinrichtungen gelten, und zweitens gibt es eine Öffnungsklausel. Dort steht: „soweit es nach den Umständen erforderlich ist“, kann vom Vorrang der Geldleistungen abgewichen werden. – Das ist der Türöffner für Länder und Kommunen, um – wie zum Beispiel in Bayern – an ihrer restriktiven Praxis festzuhalten. Das ist bestenfalls ein Fortschritt mit angezogener Handbremse, meine Damen und Herren. Wir freuen uns natürlich über jede konkrete Verbesserung im Leben von Flüchtlingen, Asylsuchenden und natürlich auch Geduldeten. Dieser Gesetzentwurf setzt diesen Anspruch allerdings nur halbherzig um. Deswegen werden wir uns hier nur enthalten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Rüdiger Veit das Wort. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt, Frau Lindholz, nicht vom Bleiberecht reden. Nur so viel sei gesagt: Ich bin froh – das ist für mich das entscheidende Wort in dieser Legislatur-periode –, dass an einer Stelle, was die Lebensunterhaltsicherung angeht, aus einem „und“ wieder ein „oder“ geworden ist, so wie wir es auch vereinbart haben. Darüber werden wir noch einmal reden, wenn das Gesetz dann letztlich hier zur Beratung vorliegen wird. Ein Hinweis vielleicht noch aus der Praxis – ich habe ja einmal auf der anderen Seite, sozusagen in der Exekutive, sitzen dürfen –: Die Frage, welche Abschiebungen all derjenigen letztendlich vollzogen werden, die hätten vollzogen werden können, ist eine Frage, die uns nicht erst im Jahr 2014 begegnet, sondern die ist, soweit ich den Sachverhalt überblicke, mindestens so alt wie das Gesetz, weil die verschiedensten Hinderungsgründe – manchmal sind es auch Mitmenschlichkeit, Mitleid, und manchmal ist es auch bürgerschaftliches Engagement – dazu führen, dass viele Abschiebungen nicht vollzogen werden. Aber jetzt zu diesen Gesetzen. Wir haben als Sozialdemokraten – ich gebe übrigens unumwunden zu, dass das nicht immer ganz so einfach war, und manchmal hat es auch eine Weile gedauert – im Ergebnis dann doch unstreitig in unseren Reihen gesagt: Die Residenzpflicht in der uns bekannten Form muss weg, und das Sachleistungsprinzip und der Zwang zur Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften müssen es auch. Wir haben das im Beschluss des Parteivorstandes vom Montag letzter Woche noch einmal bekräftigt. Ich bin froh, dass das hier und heute, wenn allerdings vielleicht auch nicht so stark beachtet, wie man es diesem Thema eigentlich hätte zubilligen wollen, von uns auch vollzogen wird. Ich bin froh darüber, liebe Ulla Jelpke, dass es gelungen ist, im Bundesrat, aus Anlass einer allerdings schwierigen, von mir auch nicht befürworteten Gesetzgebung, zu einer solchen Vereinbarung zu kommen, wie sie der Ministerpräsident von Baden-Württemberg schlussendlich erzielt hat. Denn uns war es in den Koalitionsverhandlungen trotz intensiven Bemühens eben nicht ganz gelungen, bei der Residenzpflicht noch weiter zu kommen und das Sachleistungsprinzip anzufassen. Insofern haben wir uns da nach dem Motto „getrennt marschieren, vereint schlagen“ ein bisschen auf der gleichen Linie bewegt wie der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Den Grünen sei zum Trost gesagt: Nach meinem Dafürhalten ist das, was er an dieser Stelle im Sinne der Flüchtlinge herausgehandelt hat, eine beachtliche Leistung, und ich glaube, jenseits der Schmerzgrenze auf der anderen Seite, bei der Union, ist auch wirklich nicht mehr zu erreichen gewesen. Nun kommen wir zu den einzelnen Maßnahmen. Wegfall des Vorrangprinzips ist bereits in der Beschäftigungsverordnung vor etwa 14 Tagen, wenn ich mich richtig erinnere, umgesetzt worden. Wegfall der Residenzpflicht, jedenfalls nach drei Monaten, und des Sachleistungsprinzips machen wir heute. Das ist deswegen ganz bedeutsam für die betroffenen Menschen, weil ich nicht selten den Eindruck hatte, dass viele durch die problematischen Unterbringungsbedingungen und durch den Sachleistungsbezug genauso wie durch die Beschränkungen, die ihnen die Residenzpflicht auferlegt hat, in einer Weise – Sie entschuldigen bitte die Wortwahl – nicht nur gegängelt, sondern vielleicht auch schikaniert worden sind, wie das unserem Menschenbild und unserer Position von menschenwürdiger Flüchtlingspolitik jedenfalls nicht immer entsprochen hat. Dass das jetzt wegkommt, ist gut. Darüber freue ich mich. Darüber sollten wir uns vielleicht auch alle freuen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann zu dem, was die einzelnen Regelungen angeht: Ich persönlich – das sage ich jetzt an die Adresse von Ulla Jelpke – bin durchaus der Auffassung, dass eine Zeit „bis zu“ drei Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Versorgung mit Sachleistungen dort auch unter humanen Gesichtspunkten der vielleicht bessere Weg ist, als die betroffenen Flüchtlinge, die vielleicht aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen und sich bei uns überhaupt nicht allein orientieren könnten, so ohne Weiteres in die Fläche eines großen Landes zu schicken, wo sie keinerlei Kontakt haben, keinerlei Unterweisung, keinerlei Anleitung, wie man sich hier bei uns zurechtfinden kann. Ich persönlich jedenfalls halte diese Zeit für vernünftig, für richtig, auch und gerade im Interesse der Flüchtlinge, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn jetzt kritisiert wird, wir hätten an einer Stelle da noch einmal eine Verschärfung angebracht, will ich zum allgemeinen Trost auch Folgendes sagen dürfen: In dem Bundesratsbeschluss – das kann man nicht sagen –, in der Vereinbarung steht, dass derjenige sozusagen wieder in die Residenzpflicht zurückfällt, von dem bekannt geworden sei, er habe etwas mit Betäubungsmitteln zu tun gehabt. Das ist ja nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine noch schwächere Kategorisierung als etwa ein Anfangsverdacht, der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führt. Von daher gesehen war die Formulierung im ursprünglichen Gesetzentwurf mit dem „hinreichenden Tatverdacht“, der nach der Definition der Strafprozessordnung voraussetzt, mit mindestens 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ist nach Anklageerhebung eine Verurteilung zu erwarten, sozusagen fast das andere Extrem. Wir haben nun einen Mittelweg gefunden, von dem ich glaube, dass er im Ergebnis ganz vernünftig ist. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: „Auf Verdacht“! Unglaublich!) Nicht einfach nur einmal so, irgendetwas Vages, vom Hörensagen her oder wie auch immer – sondern wir -setzen schon ein bisschen mehr voraus. Das halte ich im Ergebnis für richtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]) Ich will noch ein Wort des Trostes an die vielleicht immer noch verzweifelten Anhänger der Residenzpflicht und des Sachleistungsprinzips richten. Ich erinnere mich an ein Parlamentsseminar mit Mitarbeitern von Ausländerbehörden aus der ganzen Bundesrepublik. Diese haben uns gesagt – übrigens zu meiner Überraschung, das hatte niemand bestellt –: Wenn wir als Gesetzgeber in Berlin etwas Vernünftiges tun wollten, dann sollten wir doch bitte die Residenzpflicht abschaffen, die mache ihnen nämlich nur Arbeit und bringe weder für sie noch für die Sache noch für die Flüchtlinge irgendeinen vernünftigen Vorteil. Ich bin froh, dass das heute passiert. Wir sollten uns von Praktikern aus allen Teilen unseres -Staates leiten lassen und festhalten: Jetzt haben wir umgesetzt, was die in der Praxis schon immer als unnötig und lästig empfunden haben. Was das Sachleistungsprinzip angeht: In der Gesetzesbegründung heißt es jetzt, für die Kommunen entstehe kein höherer Aufwand, weil die Kosten nicht höher werden. Ich will Ihnen von einer persönlichen Erfahrung berichten, die jetzt schon 28 Jahre zurückliegt; ich hoffe, ich muss davon hier zum letzten Mal berichten, weil es dann nicht mehr relevant sein wird. Als ich damals die letzte große Erstaufnahme-Gemeinschaftsunterkunft bei uns im Landkreis zugunsten von wohnähnlicher Unterbringung bzw. Unterbringung in Wohnungen zugemacht habe, haben wir als Landkreis gespart. Als das Land Hessen seine Kostenerstattung auf Pauschalen umstellte, hatten wir in unserer Kreiskasse – ich weiß das noch ganz genau – über 900 000 DM. Aber wir hatten natürlich nicht lange etwas davon. Wir sollten nämlich nichts verdienen; das hat der damalige Ministerpräsident Eichel auch erkannt. Lassen Sie mich zum guten Schluss auf die kommunalen Finanzen zu sprechen kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind heute in der, wie ich finde, glücklichen Lage, dass die Flüchtlinge, die bei uns Schutz -suchen, in der Bevölkerung auf große Akzeptanz stoßen. Vor 22 Jahren, Anfang der 90er-Jahre, war das eher umgekehrt. Damals aber hatten wir vonseiten des Staates – und das war nicht nur in Hessen so – wenigstens das Geld, um diese Aufgabe vor Ort vernünftig regeln zu können. Ich halte es für außerordentlich problematisch – deswegen haben wir jetzt mit der Bereitstellung von zusätzlich 500 Millionen Euro die ersten richtigen Schritte getan – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Rüdiger Veit (SPD): – jawohl –, wenn heute Städte, Gemeinden und Landkreise auf den Kosten für die Unterbringung und für die Versorgung von Flüchtlingen sitzen bleiben. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: In Bayern nicht!) Das darf nicht sein. Daran sollten wir arbeiten, und zwar auf allen staatlichen Ebenen zugunsten der kommunalen Seite. Es wäre schön, wenn wir so in der Frage einer vernünftigen und akzeptablen Flüchtlingspolitik ein weiteres Stück vorankommen würden. Ihnen vielen Dank für die Geduld und der Frau Präsidentin auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Luise Amtsberg das Wort. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie soll man den vorliegenden Gesetzentwurf bewerten? Darüber, dass das Gesetz eine Verbesserung für die Rechtsstellung von Flüchtlingen darstellt – das sagt ja schon der Name –, gibt es hier im Hause keine Uneinigkeit. Die Frage ist eher: Wie ist es dazu gekommen, und welcher Preis wurde dafür gezahlt? Das ist der Dissens, der hier besteht und über den wir bereits an anderer Stelle ausreichend diskutiert haben. Gucken wir uns also an, was konkret in dem vorliegenden Gesetzentwurf steht. Erstens. Die sogenannte Residenzpflicht, also die räumliche Beschränkung von Asylbewerbern und Geduldeten, wird ab dem vierten Monat nach Aufenthaltsnahme für das gesamte Bundesgebiet abgeschafft. Die Menschen können sich also künftig im gesamten -Bundesgebiet frei bewegen und damit auch Verwandte, Bekannte und Freunde in anderen Bundesländern besuchen. Das ist selbstverständlich eine große Erleichterung im Alltag der Flüchtlinge. Denn die Residenzpflicht -verbietet bislang den Betroffenen das Reisen innerhalb Deutschlands unter Strafandrohung – eine gravierende, europaweit auch einmalige Schikane, gegen die wir gemeinsam, also die meisten der hier im Hause vertretenen Fraktionen, mit NGOs und den Betroffenen zu Recht seit Jahren bekämpft haben. Das Recht auf Bewegungsfreiheit soll nach der Neuregelung jedoch – und das ist das Bedauerliche – nicht uneingeschränkt gelten. Es ist nämlich vorgesehen – liebe Ulla, du hast es angesprochen –, dass die Residenzpflicht bei Geduldeten im Einzelfall eben doch angewandt werden kann, etwa wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen. Wir alle wissen, wie lange so eine Duldung dauern kann. Wir wissen auch, dass es sehr große Unterschiede hinsichtlich der Bewertung durch die Ausländerbehörden in Deutschland gibt. Insofern kann man wahrscheinlich davon ausgehen, dass von der Residenzpflicht in der Bundesrepublik in unterschiedlichem Maße weiter Gebrauch gemacht wird. Das ist bedauerlich. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Aufhebung des Sachleistungsprinzips. Hier gibt es dasselbe Phänomen: Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht bislang einen Vorrang für Sachleistungen, zum Beispiel Kleidung und Lebensmittel, vor. In Zukunft wird es einen Vorrang für Geldleistungen geben. Das ist gut. Auch dafür haben wir lange gekämpft. Die Selbstbestimmung von Flüchtlingen im Alltag wird damit entscheidend gestärkt werden. Die Abschaffung des Vorrangs des Sachleistungsprinzips ist ein Fortschritt; denn damit wurde Menschen nach wie vor ihre eigene Mündigkeit entzogen: Dinge des täglichen Bedarfs durften sie nicht selber aussuchen, sondern mussten Fehlendes, so privat es auch sein mochte, erfragen. Dass das geändert wird, ist gut. Aber auch hier geht man den Weg nicht zu Ende: Nach wie vor soll es möglich sein, Sachleistungen den Geldleistungen vorzuziehen. Hier hätte ich mir eine klarere Positionierung gewünscht. Neben der Feststellung, dass ein Schritt nach vorne unternommen wird, geht es natürlich auch um eine politische Bewertung dieses Gesetzentwurfes. Ich finde, an diesem Gesetzentwurf sieht man an verschiedenen Stellen, wie schwer der Bundesregierung dieser lange überfällige Schritt zur Abschaffung von Schikanen nach wie vor fällt. Das sieht man beispielsweise daran, dass sich geduldete Ausländer, die ihren zugewiesenen Wohnort für mehr als drei Tage vorübergehend verlassen wollen, weiterhin vorher bei der Ausländerbehörde abmelden müssen. Das ist völlig unnötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Von Bürokratieabbau keine Spur. Das ist ein Gesetzentwurf, der nach wie vor von Misstrauen geprägt ist. Ich verstehe das nicht. Ich finde, dafür gibt es überhaupt -keinen Anlass. Die Länder, in denen die Grünen mitregieren, haben im Sinne der Liberalisierung, der Vereinfachung und des Bürokratieabbaus mit der Bundesregierung verhandelt. Dass diese Gespräche geführt wurden, war gut und richtig. Richtig war auch der Druck der Grünen beim Wegfall der Vorrangprüfung; denn wir wissen, dass diese immer einem realistischen Zugang zum Arbeitsmarkt im Wege stand. Ich glaube, ich spreche für annähernd die Mehrheit im Hause, wenn ich sage: Es ist gut, dass die Vorrangprüfung wegfällt, (Rüdiger Veit [SPD]: Wohl wahr!) weil wir es so und nur so möglich machen können, dass Flüchtlinge tatsächlich den Schritt in den Arbeitsmarkt und somit in ein selbstbestimmtes Leben schaffen. Zu mehr Zugeständnissen war die Bundesregierung traurigerweise nicht bereit. Dennoch ist dieser Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige Richtung. Wir werden ihm selbstverständlich zustimmen und hoffen, dass vielleicht auch ohne Schubser der Grünen weitere Schritte folgen; die sind nämlich notwendig. Ich freue mich, dass ich von der Kollegin von der Union gehört habe, dass auch die Union viel Sinnvolles und Gutes in diesen Änderungen sieht. Das lässt für künftige Debatten zum Thema Flüchtlinge hoffen und zeigt: Wenn man die ideologische Brille einmal abnimmt, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) muss man vielleicht zugestehen, dass auch das politische Gegenüber – wir haben diese Dinge ja immer gefordert; das wissen Sie – nicht ganz unrecht hat und nicht nur Schwachsinn erzählt. Vielleicht müssen wir Sie künftig nicht mehr so viel schubsen, vielleicht gehen Sie in Zukunft diese Sachen auch alleine an. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3444, die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/3144 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 18/3160 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich komme zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Dynamik für nukleare Abrüstung – Der Humanitären Initiative beitreten Drucksache 18/3409 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN VN-Resolution zu Uranmunition zustimmen Drucksache 18/3410 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE In UN-Generalversammlung der Uranwaffen-Resolution zustimmen Drucksache 18/3407 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin erhält die Kollegin Agnieszka Brugger das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor ein paar Jahren war die Euphorie für die Vision einer atomwaffenfreien Welt spürbar und greifbar, und nun scheint diese verflogen zu sein. Die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag, der das wirkmächtigste Regime in der internationalen nuklearen Abrüstungs-politik ist, sollte eigentlich ein Ereignis sein, dem alle Abrüstungspolitikerinnen und Abrüstungspolitiker weltweit mit freudiger Erwartung entgegensehen. Wer aber auf die Überprüfungskonferenz im nächsten Jahr schaut, der tut dies mit Bauchschmerzen und Pessimismus. Noch 2010 hat sich die Staatengemeinschaft auf eine gemeinsame Linie verständigt und einen umfangreichen Aktionsplan verabschiedet. Wir alle haben das groß als Erfolg gefeiert. Unterm Strich muss man vier Jahre -später aber ernüchtert und enttäuscht feststellen: Kaum etwas davon ist umgesetzt worden, und es ist auch nicht mehr viel zu erwarten. Das einzige kleine Hoffnungszeichen ist, dass die Atomverhandlungen mit dem Iran nicht gescheitert sind. Meine Damen und Herren, gerade weil die Rahmenbedingungen für die Abrüstungspolitik insgesamt derzeit nicht besonders gut sind – auch nicht erst seit der Ukraine-Krise –, dürfen wir nicht verzagen und müssen wir hier mutig vorangehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch wenn die Verhandlungen im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages schwierig sind, muss man neue Ideen unterstützen und neue Wege begehen. Für eine neue Dynamik sorgt eine Initiative, die von einer Reihe von Staaten und von einer lebendigen Zivilgesellschaft ausgeht und sich mit den verheerenden -humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes auseinandersetzt. Sie bietet die Chance, dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt langfristig über ein Verbot von Nuklearwaffen näherzukommen. 155 Staaten unterstützen mittlerweile die damit verbundene Erklärung, die einen Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen unter allen Umständen verbietet. Die Bundesregierung aber will dieser Erklärung nicht beitreten. Sie verweigert sich hier und verweist dabei auf ihre NATO-Mitgliedschaft. Das ist wenig überzeugend, da andere NATO-Mitgliedstaaten wie Norwegen, Island und Dänemark trotzdem dabei sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der nächsten Woche findet in Wien die dritte Konferenz zu den humanitären Folgen des Einsatzes von Nuklearwaffen statt. Wir fordern Sie an dieser Stelle daher auf: Hören Sie auf, sich hier herauszuwinden! Unterstützen Sie vielmehr von deutscher Seite aus endlich diese wichtige Erklärung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die deutsche Abrüstungspolitik leidet nicht nur unter Ihrer Zögerlichkeit, sondern sie ist auch wenig glaubwürdig. Es ist miteinander unvereinbar, auf dem internationalen Parkett für internationale Abrüstung einzutreten und gleichzeitig daran festzuhalten, dass US-amerikanische Atomwaffen in Deutschland stationiert sind, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und es ist ein längst überfälliger und wichtiger Schritt, für den Abzug dieser Waffen einzutreten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Stattdessen billigt die Bundesregierung die Modernisierung dieser Massenvernichtungswaffen und will auch noch einmal Geld obendrauf legen, damit die Tornados, die Trägersysteme dieser Waffen, modernisiert werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, stoppen Sie diese Aufrüstung, und verabschieden Sie sich ein für alle Mal von diesen falschen Modernisierungsplänen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in den letzten Jahren, als Sie noch in der Opposition waren, haben wir Außenminister Westerwelle und die schwarz-gelbe Regierung gemeinsam kritisiert. Man könnte jetzt, wo Sie mitregieren, erwarten, dass es tatkräftig vorangeht. Man hört von Ihnen aber nichts zu den Modernisierungsplänen, man hört von Ihnen auch nichts mehr zum Abzug der Atomwaffen. Ich habe noch ein weiteres trauriges Beispiel: Unter Schwarz-Gelb hat Deutschland im Rahmen der Vereinten Nationen der Resolution zur Uranmunition immer zugestimmt. Sie ist ja auch sehr sanft und vorsichtig formuliert. Nun hat sich unter Schwarz-Rot erstmalig eine deutsche Bundesregierung entgegen einer breiten Mehrheit von 143 Staaten enthalten. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN: Oh!) Das ist inkonsequent: Einerseits werden die eigenen Soldatinnen und Soldaten durch die Vorschriften vor den Gefahren durch Uranmunition geschützt. Wenn es aber andererseits um den Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten geht, enthalten Sie sich. Das ist einfach wirklich nicht richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sorgen Sie hier für einen Kurswechsel; denn die deutsche Nichtzustimmung zu dieser wichtigen Resolution ist ein falsches und fatales Signal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir Grüne lassen an dieser Stelle nicht locker. Mit den beiden Anträgen, die wir heute hier einbringen, geben wir Ihnen wichtige Anregungen mit auf den Weg, die Sie aufgreifen sollten. Wachen Sie endlich aus Ihrer Lethargie auf! Laufen Sie nicht rückwärts, sondern schreiten Sie mutig voran – für mehr Frieden, Sicherheit und Abrüstung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Robert Hochbaum das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussage unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier zu Global Zero: „Das ist keine Vision, sondern eine Notwendigkeit“, kann gar nicht oft genug unterstrichen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, wir sind uns hier und heute fast alle einig, dass eine Welt ohne Atomwaffen unser Ziel ist und auch unser Ziel bleiben muss. Doch an der Frage, wie wir dieses Ziel erreichen, scheiden sich wie so oft die Geister. Dies erkennt man auch deutlich an dem zur Debatte stehenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Weltweite nukleare Abrüstung kann eben mal nicht mit einem Handstreich vollzogen werden. Es ist wie bei vielen Dingen ein weiter Weg zum Ziel, vor allem ein Weg der vielen kleinen Schritte. Einer dieser Schritte ist zum Beispiel das stete Einwirken Deutschlands auf alle Nuklearstaaten, konkrete Lösungen im Bereich der bilateralen Abrüstung zu erarbeiten. So ist es unter anderem dem Betreiben von Deutschland zu verdanken, dass vom NATO-Gipfel in Wales bei der nuklearen Abrüstung die Botschaft der ausgestreckten Hand auch weiterhin ausgeht – ich zitiere –: Das Bündnis ist entschlossen, eine sicherere Welt für alle anzustreben und die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen in Übereinstimmung mit den Zielen des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu schaffen, und zwar in einer Art und Weise, die die internationale Stabilität fördert … Ich glaube, dies ist ein klares Votum, dem man eigentlich nur zustimmen kann. Wichtig ist dabei natürlich auch die Aussage, dass nukleare Abrüstung die internationale Stabilität fördern muss. Das heißt, sie kann auf gar keinen Fall einseitig erfolgen, sonst könnte sie im Extremfall sogar bewaffnete Konflikte begünstigen, und das wollen wir sicher alle nicht. Man sieht also, dass Erfolge auf diesem Gebiet nur im gegenseitigen Dialog zu erreichen sind. Sichtbar wird dies aktuell dadurch, dass die Bundesregierung mit Nachdruck auf eine Lösung der Problematik im Iran hinwirkt, vor allem auch in Person unseres Bundesaußenministers. Von dieser Stelle aus möchte ich ihm, aber natürlich auch den anderen Beteiligten aus der Bundesregierung dafür danken, dass sie immer wieder, ohne nachzulassen, auf eine friedliche Lösung dieses Konflikts hinwirken. Meine Damen und Herren von der Opposition, auch wir sehen natürlich die Notwendigkeit einer atom-waffenfreien Welt. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!) Um dies zu erreichen, sind jedoch keine Rundumschläge, sondern ist konstruktive Arbeit erforderlich. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir ja gemacht!) Hier liegt der kleine Unterschied: Sie haben eine Vision – wir arbeiten daran, sie Wirklichkeit werden zu lassen. (Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Schön wär’s!) Diese Wirklichkeit wird aktuell – wir haben heute schon davon gehört – in einem anderen Bereich der abrüstungspolitischen Debatte auf die Probe gestellt, und zwar auf dem Feld des Einsatzes von Uranmunition. Wie Sie sicher wissen, setzt die Bundeswehr diese Munitionsart seit den 70er-Jahren nicht mehr ein. Da Uranmunition aber auch weiterhin von einigen unserer Bündnispartner eingesetzt wird, ist die Debatte darüber wieder entflammt. Nun entzündet sich die Diskussion – man sieht es an den vorliegenden Anträgen – an der Enthaltung Deutschlands bei der Abstimmung über eine entsprechende UN-Resolution. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie mal erklären!) Es geht dabei jedoch nicht um einen Bann von Uranmunition, sondern um die Feststellung der Schädlichkeit. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit immer wieder, auch durch entsprechende Stimmerklärungen bei ihrem zustimmenden Verhalten – das kann man alles sehr genau nachlesen –, gefordert, alle Aspekte bzw. Gutachten mit einzubeziehen, neue Gutachten zur Entscheidung heranzuziehen und – das war ganz wichtig – die Argumente der deutschen Delegation in die Schlusserklärungen mit zu übernehmen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt mit der Enthaltung?) Da dies bisher aber in keinem dieser Fälle geschehen ist, hat man dieses Mal beschlossen, sich zu enthalten, also – ich weise darauf hin –, sich zu enthalten, nicht, dagegen zu stimmen. Sehr geehrte Damen und Herren, in den vorliegenden Anträgen, vor allem im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, sind natürlich Passagen enthalten, denen auch wir zustimmen könnten. Mehrheitlich sind es jedoch die genannten Rundumschläge, die uns den entsprechenden Zielen nicht näherbringen, im Extremfall sogar Lösungen blockieren. (Zuruf von der CDU: So ist es!) Deshalb müssen wir diese Anträge leider ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Neu das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Waffensysteme mit nuklearer Wirkung sind Massenvernichtungswaffen. Es ist egal, ob es sich dabei um hochangereichterte Atombomben handelt oder um abgereicherte panzerbrechende Munition. Denn neben der intendierten direkten Tötungsfunktion von Kombattanten wirken nukleare Waffen in räumlicher und zeitlicher Dimension unterschiedslos. Das heißt, Zivilisten werden unmittelbar getötet oder langfristig getötet aufgrund von Verstrahlungen. Es können ganze Regionen auf Tausende, ja sogar Hunderttausende von Jahren verseucht werden, je nach Halbwertzeiten. Nun aber zu den kleinen Nuklearwaffen, zur abgereicherten Uranmunition. In der internationalen Gemeinschaft wird zunehmend akzeptiert, dass Uranmunition Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen hat. Damit wird sie zunehmend relevant für das humanitäre Völkerrecht. So heißt es zum Beispiel in Artikel 35 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention – ich zitiere –: Es ist verboten, Methoden oder Mittel der Kriegführung zu verwenden, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen. Ich finde es unerträglich, wenn immer noch behauptet wird, es gebe keinerlei Beweise dafür, dass abgereicherte Uranmunition tötet oder langfristige Schädigungen der Gesundheit oder gar der Gene verursacht, wodurch die Schädigung sogar über Generationen hinweg weitergetragen wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die explodierenden Krebsraten, die massiv zunehmende Zahl von Totgeburten und Missgeburten in den Einsatzregionen sprechen eine deutliche Sprache. Die Leugnung der Zusammenhänge zwischen dem Einsatz abgereicherter Munition und menschlichen Schäden oder auch die Behauptung, das seien nur spekulative Korrelationen, ist nur mit einem zu erklären – da widerspreche ich Ihnen, Herr Hochbaum –: Man will nicht Verbündete wie die USA oder Großbritannien düpieren. In Afghanistan, in Jugoslawien, im Irak zweimal, in Libyen und wahrscheinlich auch in Syrien wurde bzw. wird dieses Waffensystem eingesetzt. Ich finde, das spricht Bände über die miserable Ethik und den widerwärtigen Charakter der Befürworter und Verharmloser abgereicherter Uranmunition. Die Bundesregierung sollte zumindest daran interessiert sein, die Zusammenhänge weiter wissenschaftlich überprüfen zu lassen. (Beifall bei der LINKEN) Aber nichts da. Selbst das will Schwarz-Rot nicht, sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger. Ich finde, das ist skandalös. Das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung in der UN-Generalversammlung war skandalös. Die Bunderegierung hat vor wenigen Tagen dem von Indonesien vorgelegten Resolutionsentwurf eben nicht zugestimmt. Schwarz-Rot enthielt sich schlichtweg der Stimme. Damit fällt Schwarz-Rot hinter Schwarz-Gelb zurück. Dabei ging es in dem Entwurf noch nicht einmal um ein Verbot, sondern nur um einen Prüfauftrag an alle Mitgliedstaaten. Ich finde dieses Enthaltung Deutschlands in der UN-Generalversammlung wirklich schändlich für Deutschland und besonders für die SPD, (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) weil sie sich in dieser Frage rechts von der FDP verortet. Ja, sehr geehrte Damen und Herren der CDU/CSU und der SPD, dieses Verhalten ist genau das Gegenteil von verantwortungsvoller Außen- und Sicherheitspolitik; denn es handelt sich um eine bewusste Verantwortungslosigkeit im humanitären Sinne aufgrund niederer Interessenmotive. Noch ein Blick auf die in Deutschland stationierten Atomwaffen. Diese etwa 20 Atomwaffen könnte man abziehen lassen. Man will es aber nicht. Es gab verschiedene Initiativen. Trotz aller Global-Zero-Rhetorik könnten Sie hier voranschreiten. Im Jahr 2012 haben Sie aber in Chicago die Hoheit darüber an die NATO abgetreten. Wie kann man die souveräne Entscheidung über die Lagerung von US-amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden an die NATO abtreten? Das ist ein Höchstmaß an Verantwortungslosigkeit. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Finckh-Krämer. (Beifall bei der SPD) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den beiden Tribünen! Am 26. September 1983 wäre es um ein Haar zu einem Atomkrieg aus Versehen gekommen. Wir verdanken es Stanislaw Petrow, damals Oberst der sowjetischen Armee, dass ein Fehlalarm tatsächlich als ein solcher behandelt wurde. Er handelte gegen seine Vorschriften. Wenn er den Alarm weitergegeben hätte, hätte die sowjetische Führung nur wenige Minuten zur Entscheidungsfindung gehabt, und es könnte gut sein, dass wir heute hier nicht säßen und diskutierten. Dieser Vorfall wurde erst 1998 bekannt. Er war einer von mehreren schwerwiegenden nuklearen Zwischenfällen in der Zeit des Kalten Krieges, die alle hohes Eskalationspotenzial hatten. Die Problematik, die uns besondere Sorgen macht, ist nicht so sehr der geplante Einsatz von Atomwaffen. China hat inzwischen erklärt, dass es überhaupt keinen Ersteinsatz plant, und den anderen Atomwaffenstaaten trauen wir das aus verschiedenen Gründen auch nicht unbedingt zu. Das Hauptproblem sind angesichts der Tatsache, dass wir noch so viele Atomwaffen in höchster Bereitschaft haben, vielmehr Fehlinterpretationen wie die, die 1983 vorgekommen ist, oder eventuelle Unfälle, sodass der erste Fehler unter Umständen der letzte sein könnte. Insofern ist es gerade in Zeiten, in denen sich bestimmte Konflikte zuspitzen, wichtig, das vertrauensbildende Element von Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung wieder zu stärken und sich dafür einzusetzen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die schwarz-rote Bundesregierung beteiligt sich aktiv an Rüstungskontrollkonferenzen, wie zum Beispiel der vom 20. bis 22. November dieses Jahres in Moskau oder an der Konferenz kommende Woche in Wien zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen. In Moskau, wo Experten, Diplomaten und Wissenschaftler aus 42 Ländern gemeinsam diskutiert haben, waren viele eher pessimistisch und meinten, dass der Spielraum für nukleare Abrüstungsschritte im Augenblick geringer geworden ist. Aber es gab in Moskau auch die Frage von der Abrüstungsbeauftragten der Vereinten Nationen, Angela Kane, ob es denn so schwierig sei, sich vorzustellen, dass die Russische Föderation und die USA ihren Widerstand gegen eine Nuklearwaffenkonvention – darum wird es ja auch in Wien indirekt gehen – aufgeben könnten. Ich habe aus ihrer Rede, die man inzwischen im Internet nachlesen kann, herausgehört, dass sie sich das gut vorstellen kann, und ich selber kann es auch. Ein Ansatz, der weder in dem Antrag der Grünen noch in der Diskussion bisher zur Sprache gekommen ist, ist der Deep-Cuts-Ansatz. Seit letztem Jahr gibt es eine trilaterale Kommission von Experten aus Russland, den USA und Deutschland, die sich Gedanken darüber macht, wie man über den New-START-Vertrag hinaus in die strategischen Atomwaffenpotenziale der USA und Russland tiefe Einschnitte, also Deep Cuts, machen kann. Der erste Bericht dieser Kommission ist im April 2014 veröffentlicht worden. Es wurde ein Vorwort hinzugefügt, demzufolge die Vertreter in dieser Kommission trotz der damals gerade beginnenden Ukraine-Krise daran festhalten, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung im nuklearen Bereich wichtige Aufgaben sind. Die SPD hat immer vertreten, dass eine Politik für Frieden und Abrüstung mit dem Begriff „gemeinsame Sicherheit“ verbunden sein muss: wechselseitige Abhängigkeiten, gemeinsame Verantwortung für Frieden und Sicherheit mit dem anderen und nicht gegen andere. Insofern finde ich es nicht ganz fair, dass Sie uns vorwerfen, dass wir nicht an dem festhalten, was wir in den letzten Jahren in der Opposition gefordert haben. 2012, lieber Alexander Neu, waren wir übrigens nicht in der Regierung, sondern es war die schwarz-gelbe Regierung, die beim NATO-Gipfel in Chicago das erwähnte Votum abgegeben hat. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn gegen die Modernisierungspläne?) – Ist das eine offizielle Zwischenfrage? Dann bekomme ich noch ein bisschen Zeit. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Kollegin Brugger, Sie haben die Möglichkeit, zu fragen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, liebe Kollegin Finckh-Krämer. – Ich stelle meinen Zwischenruf noch einmal als Frage: Wenn das nicht fair ist, was wir Ihnen hier vorgeworfen haben, nämlich dass Sie nicht mehr festhalten an dem klaren Kurs, den die SPD immer hatte – Sie haben immer gegen die Modernisierungspläne bezüglich der Tornados gekämpft, die die amerikanischen Atomwaffen im Notfall tragen sollten; außerdem haben Sie immer für den Abzug der Atomwaffen gestritten –, würde ich doch gern die Frage stellen: Was macht denn die Bundesregierung gerade angesichts dieser beiden konkreten Fragen, und was machen auch die Koalitionsfraktionen, um sich offen gegen die Modernisierungspläne zu positionieren und sich für den Abzug der Atomwaffen einzusetzen? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Die geplante Modernisierung der B61 ist ja zunächst ein amerikanisches Programm, das nicht nur die in Europa stationierten Atomwaffen, sondern vor allem auch die auf amerikanischem Boden stationierten umfasst. Der Entscheidungsprozess darüber ist in den USA noch nicht endgültig abgeschlossen. Insofern haben wir hier noch Zeit, das in den zuständigen Ausschüssen und Fraktionsarbeitsgruppen zu diskutieren. In den USA wird das unter anderem unter der Finanzierungsfrage diskutiert. Wir wissen, dass sehr viel mehr Modernisierungspläne zu Atomwaffen existieren, als tatsächlich Geld im amerikanischen Haushalt zur Verfügung steht. Insofern werden wir das diskutieren, auch mit den Fraktionen in den Ausschüssen. (Beifall bei der SPD) Die Nuklearwaffenkonvention, die – wie bei den ersten beiden Konferenzen zu humanitären Folgen von Atomwaffen – in Wien mit Sicherheit zur Sprache kommen wird, wird von den P 5, also den offiziellen Atommächten, ein Stück weit als Konkurrenz zu dem Regime des Nichtverbreitungsvertrages, also des Atomwaffensperrvertrages, gesehen. Wir sehen das eher als sich ergänzende Prozesse an. Deswegen ist es uns auch wichtig, dass Deutschland sich an allen drei Konferenzen beteiligt hat. Wir begrüßen es als SPD besonders – ich denke, da kann sich das ganze Haus anschließen –, dass die USA und Großbritannien, anders als bei den letzten beiden Konferenzen, ihre Teilnahme angekündigt haben. Ich persönlich bin sehr gespannt auf das, was sie dort erzählen werden. In Bezug auf die Waffensysteme mit abgereichertem Uran kann ich hier noch sagen, dass die Forderung nach einer wissenschaftlichen Untersuchung der Folgewirkungen des Einsatzes von Uranmunition von Deutschland immer mit unterstützt wurde. Aus meiner Sicht ist noch nicht endgültig geklärt, was Radioaktivität tatsächlich bewirkt, welche Schäden die Toxizität von Uran und möglicherweise andere, gleichzeitig in Einsatz gekommene Waffen in den entsprechenden Regionen bewirkt haben. Was wir aber machen werden – das kann ich, Herr Hochbaum, glaube ich, hier schon sagen –: Wir werden in der nächsten Sitzung des Unterausschusses „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ ein Gespräch mit Fachleuten über diese Waffen führen und können dann anschließend hier vielleicht schon mehr sagen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Julia Bartz das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer ist wohl der bessere Wachhund: der wohlfrisierte Pudel oder der Dobermann? Eigentlich gibt es keinen Grund, warum ein Pudel nicht auch ein guter Wachhund sein könnte. Man glaubt es ihm allerdings erst, wenn er zubeißt. Der zähnefletschende Dobermann wird wohl kaum beißen müssen, er sieht ja schon so böse aus. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Meinen Sie damit die USA? – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch von Goethe, oder?) Sehr geehrte Damen und Herren, die Grünen fordern in ihrem Antrag unter anderem den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland und aus der Europäischen Union. Ich halte das für den falschen Schritt zum falschen Zeitpunkt. Schauen wir uns doch die geopolitische Lage an. Schauen wir auf das aggressive Verhalten Russlands in der Ukraine, in Abchasien und in Südossetien. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und des Westens!) Ich erinnere an die gute Rede Ihrer Kollegin Marieluise Beck in diesem Hohen Hause vor wenigen Wochen, als es um die Sanktionen gegenüber Russland ging. Sie hat deutlich gemacht, dass Russland in Bezug auf das Budapester Memorandum Vertragsbruch begangen hat. Sie erinnern sich: Die Ukraine hat 1994 freiwillig alle ihre Atomwaffen abgegeben, weil man ihr zugesichert hat, dass ihre Grenzen nicht berührt werden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So war es!) Das Gegenteil ist nun der Fall. Zudem ignoriert Russland bereits seit einigen Jahren die Angebote der Vereinigten Staaten, in bilateralen Abrüstungsverhandlungen weiter ins Gespräch zu kommen. Hier wäre es sinnvoll, über ein Folgeabkommen, New START, zu verhandeln. Russland lehnt dieses Angebot ab. Außerdem müssen wir bedenken, dass es neben den fünf Nuklearmächten De-facto-Atommächte gibt, unter anderem Nordkorea. In den vergangenen Wochen haben wir gesehen, dass die Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomprogramm noch nicht erfolgreich zum Abschluss gekommen sind. Ich teile Ihren grundsätzlichen Wunsch nach einer atomwaffenfreien Welt. Aber die Punkte, die ich eben genannt habe, machen deutlich, dass wir dies nicht über eine Einbahnstraße erreichen können, auch nicht, wenn sich alle Staaten, die über keine Atomwaffen verfügen, darüber einig sind. Wir müssen diesen Weg gemeinsam mit den Nuklearmächten gehen. Sonst landen wir hier in einer Sackgasse. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Zu den beiden anderen Anträgen zur Uranmunition wurde bereits viel gesagt, insbesondere vom Kollegen Robert Hochbaum. Ich möchte deutlich betonen: Es handelt sich bei der entsprechenden UN-Resolution nicht um einen Bann von Uranmunition. Vielmehr geht es um die wissenschaftliche Untersuchung. Nun liegen uns bereits zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen vor: von NATO, UNEP, IAEO, der Weltgesundheitsorganisation und der Europäischen Kommission. Keine dieser Untersuchungen konnte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Einsatz dieser Munition und Krankheiten feststellen, die von den Medien mit dieser Munition in Verbindung gebracht wurden. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist wie bei den Atomkraftwerken!) So hat die Bundeswehr gemeinsam mit der Gesellschaft für Strahlenforschung zum Beispiel die deutschen Kosovo-Kontingente untersucht und keine Rückschlüsse auf besondere radiologische Gesundheitsrisiken ziehen können. Zwar hat UNEP in Studien festgestellt, dass im ehemaligen Jugoslawien, in Kuwait und im Irak noch Spuren von abgereichertem Uran in der Umwelt nachweisbar waren. Aber diese Spuren waren in einem so geringen Maß vorhanden, dass sie weit unter den Grenzwerten lagen, die die IAEO vorschlägt. Die Ergebnisse all dieser Studien kommen aber nicht in dem aktuellen Resolutionstext vor. Deshalb ist die Resolution nicht auf dem aktuellen Stand. Das ist der Grund, warum sich die Bundesregierung enthalten hat und warum wir Ihre beiden Anträge ablehnen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin Bartz, der Kollege Neu hat noch eine Frage. Lassen Sie sie zu? Julia Bartz (CDU/CSU): Ja. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Frau Bartz, Sie haben unter anderem auf die wissenschaftliche Untersuchung der NATO verwiesen, die zu dem Schluss kommt, dass es keinen ursächlichen Zusammenhang gebe. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich werde im Frühjahr im Rahmen der Parlamentarischen Gruppe nach Serbien fahren und werde Ihnen einen Liter Milch aus Südserbien mitbringen. Wir werden sehen, ob Sie den trinken werden. Sind Sie damit einverstanden? Julia Bartz (CDU/CSU): Ich befürchte, dass die Milch sauer ist, wenn Sie wieder zurückgekehrt sind. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Ich glaube, nicht. Sie wollen also nicht. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/3409, 18/3410 und 18/3407 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entscheidung der Konferenz von Doha vom 8. Dezember 2012 zur Änderung des Protokolls von Kyoto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Doha-Änderung des Protokolls von Kyoto) Drucksache 18/3123 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Klimakonferenz in Lima zum Erfolg führen Drucksache 18/3406 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz von Lima als Wegbereiter für ein neues globales Klimaabkommen und eine nachhaltige globale Entwicklung nutzen Drucksache 18/3411 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte erhält der Kollege Frank Schwabe das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf die Klimakonferenz in Lima zu sprechen komme, muss ich leider zu einem unerfreulichen Vorgang Stellung nehmen: Das ist der Affront, der Mitgliedern des Deutschen Bundestages entgegengebracht wurde, als sie vor der Klimakonferenz in Lima nach Ecuador reisen wollten, um sich dort mit Projekten des Klimaschutzes, des Regenwaldschutzes zu beschäftigen. Ich glaube – ich hoffe es zumindest –, es ist wirklich ein einmaliger Vorgang, dass eine Regierung einer Delegation des Deutschen Bundestages die Einreise verweigert. Am Ende ist das ein Eigentor für Ecuador. Es war keine gute Werbung vor der Klimakonferenz in Lima. Dieses Einreiseverbot war vor allen Dingen deswegen völlig absurd, weil wir, Deutschland, ein Land sind, das eigentlich eine sehr enge Zusammenarbeit in Entwicklungs- und Klimafragen mit Ecuador pflegt. Insofern müssen wir, der Deutsche Bundestag, dieses Einreiseverbot ganz heftig verurteilen und sagen, dass das wirklich ein Verfahren ist, das für uns absolut unakzeptabel ist. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zur Klimakonferenz in Lima. Deutschland wird mit Rückenwind nach Lima fahren, Barbara Hendricks, die Bundesumweltministerin, vorneweg. Wir werden nach einigen Jahren, in denen die Entwicklung ein bisschen mau war, in Lima wirklich ein belebendes Element sein. Das hat etwas damit zu tun, dass das Kabinett gestern das Klimaaktionsprogramm beschlossen hat. Weil es so schön ist, darf ich zitieren – die Ministerin hat es heute schon gemacht –, und zwar den Kommentar von Malte Kreutzfeldt in der taz. Er hat gesagt: Die Koalition hat in Sachen Klimapolitik viel geleistet. Germanwatch hat kommentiert: Germanwatch begrüßt neue Ernsthaftigkeit beim Klimaschutz … Oder: Germanwatch hofft, dass Bundesumwelt- und Wirtschaftsministerium ihre im Vergleich zur letzten Legislatur erstaunlich gute Zusammenarbeit für ambitionierte Klimaschutzziele jetzt auch fortsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das 40-Prozent-Ziel steht, und wir haben einen Plan, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal, das wir nach Lima mitnehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt im Übrigen noch ein gutes Signal, das wir nach Lima mitnehmen: dass der Grüne Klimafonds mittlerweile ein Volumen von knapp 10 Milliarden US-Dollar hat. Das ist nicht Deutschland allein zu verdanken; aber der Impuls dafür, dass es zu diesem Volumen von knapp 10 Milliarden US-Dollar gekommen ist, ist von Deutschland ausgegangen. Ich glaube, auch das muss man lobend erwähnen. Es gibt zwei positive Aspekte, mit denen wir Deutsche mit Barbara Hendricks an der Spitze Richtung Lima fahren können: Barbara Hendricks ist eine Frau, die nüchtern die Politikthemen beackert, die sie zu beackern hat. Aber sie macht das auf konsequente Art, und sie hat Deutschland innerhalb eines Jahres wieder auf internationalen Klimakurs gebracht, und das ist gut so. (Beifall bei der SPD) Ich will zur Klimakonferenz in Lima im Besonderen, aber auch im Allgemeinen etwas sagen. Ich möchte noch einmal die taz zitieren, in diesem Fall Bernhard Pötter, der mir mit einem Essay mit dem Titel Besser als ihr Ruf – ich empfehle sehr, ihn zu lesen – aus der Seele gesprochen hat. Ich möchte eine Passage daraus zitieren: Denn die Klimakonferenzen sind ein großer Erfolg. Kaum ein anderer internationaler Prozess ist so zielführend und engagiert … Sie haben konkrete Ergebnisse gebracht, wirksame Institutionen geschaffen, Geld aufgebracht und Menschen mobilisiert. Die globale Energiepolitik verändert sich in rasantem Tempo – auch durch das jährliche Ritual der Klimagespräche. Ich will das wirklich dreimal unterstreichen, bei aller Kritik, zu der auch wir immer wieder beitragen, weil wir von solchen Konferenzen natürlich immer noch mehr erwarten. Würde es sie genau in diesem UN-Format nicht geben, müsste man sie jetzt erfinden. Insofern ist es gut, dass die Klimakonferenz in Lima stattfindet. Aber es ist natürlich schwierig, die Welt zu verändern. Über nichts anderes reden wir: Wir reden darüber, dass wir die Volkswirtschaften von mindestens 192 Staaten, deren Vertreter an den Klimakonferenzen immer wieder teilnehmen, verändern wollen. Es geht um eine Veränderung der Lebensgrundlagen. Für manche soll das Althergebrachte infrage gestellt werden. Andere fragen sich, ob sie mit dem, was wir auf Klimakonferenzen beschließen, ein ordentliches Entwicklungsmodell haben können. Angesichts all dessen haben wir eine unglaubliche Dynamik geschaffen: Es gibt in China und in den Vereinigten Staaten jetzt die Bereitschaft, Verpflichtungen einzugehen. Es gibt das EU-2030-Klima-und-Energiepaket. Das hätten wir uns sicherlich ambitionierter gewünscht – aber immerhin. Es gibt Einzelbeiträge vieler Staaten, auch von Entwicklungsländern. Außerdem gibt es in Deutschland das untermauerte 40-Prozent-Ziel. Deswegen haben die SPD und auch ich die große Hoffnung, dass wir 2015 in Paris ein Abkommen erleben werden, das die Erreichung des 2-Grad-Ziels international noch möglich macht. Das, was wir erleben, ist, dass wir Investments haben weg von fossilen Energien. Das, was bei Eon und bei Vattenfall passiert, ist nicht singulär, sondern das passiert weltweit. Wir haben eine unglaubliche Dynamik bei den erneuerbaren Energien. 2013 war bereits das Wendejahr, es war das Jahr, in dem wir bei den erneuerbaren Energien einen höheren Zubau als bei den konventionellen Energieträgern inklusive Atom hatten – bereits im Jahr 2013! (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nachlesbar ist das im Übrigen im manager magazin. Ich empfehle das allen Wirtschaftspolitikern, die in den letzten Stunden und Tagen das Klimaaktionsprogramm kritisiert haben. Sie müssen sich genau angucken, was eigentlich weltweit passiert, und müssen überlegen, ob sie mit ihrer Wirtschaftspolitik eigentlich noch auf der Höhe der Zeit sind. Ich glaube, bei einigen ist das nicht der Fall. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) Ich will einen kritischen Satz zu dem sagen, was aus meiner Sicht zu dieser Wende nicht gehört, und das ist das, was in der Europäischen Union zumindest droht: Wir werden demnächst Öl aus Teersanden – nicht nur aus Kanada, aber auch aus Kanada – in die Europäische Union bekommen. Das Ganze ist wirklich ein Frevel am Klimaschutz, ein Frevel am Naturschutz. Wir müssen alles versuchen, damit dieser Frevel innerhalb der Europäischen Union nicht stattfindet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen nach Lima wirklich diese Dynamik mitnehmen und untermauern. Wir müssen in Lima unsere Hausaufgaben machen, um zu einer guten Vorarbeit für das Abkommen in Paris 2015 zu kommen. Wir müssen dafür sorgen und intonieren, dass auch die G 7 ihren Beitrag leisten. Wir alle hier miteinander im deutschen Parlament, denke ich, werden dazu beitragen, Angela Merkel im nächsten Jahr wieder auf den Stuhl der Klimakanzlerin zu rücken, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu rücken? – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hoffen, die bewegt sich auch selber dahin!) sodass wirklich die zentralen Impulse auch für Paris von der G-7-Präsidentschaft ausgehen. Ich will zum Schluss sagen, dass es in Lima auch darum geht, Vertrauen zu schaffen. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen, weil der Klimawandel bereits Realität ist, nicht nur bei uns – ich glaube, das kann man mittlerweile sehen –, sondern vor allen Dingen in den ärmsten Staaten der Welt. Ich will den Klima-Risiko-Index von Germanwatch erwähnen – vielleicht wird er gleich noch ein paarmal genannt – und nur die zehn am stärksten betroffenen Länder aufführen. Das sind Honduras, Myanmar, Haiti, Nicaragua, die Philippinen, Bangladesch, Vietnam, die Dominikanische Republik, Guatemala und Pakistan. Diese Staaten leiden am meisten darunter, wie wir in der Vergangenheit wirtschaftlich gearbeitet und Energie erzeugt haben. Deswegen ist es ganz wichtig, bei ihnen Vertrauen aufzubauen, ihnen zu helfen, Entwicklungsmodelle zu erarbeiten, die Klimaschutz und Entwicklung vereinbar machen, ihnen zu helfen, Anpassungsmechanismen zu entwickeln, und mit ihnen auch darüber zu reden, wie man das Thema „Loss and Damage“ regelt. Es geht also darum, wie man die Schäden, die schon aufgetreten sind, beheben kann. Wenn wir das als Paket in Lima auf den Weg bringen, dann, glaube ich, wird das eine gute Konferenz. Ein herzliches Glückauf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder … Keine Angst, ich werde jetzt kein Weihnachtslied singen! (Zurufe von der CDU/CSU und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!) Nein, alle Jahre wieder, wenn wir Klimapolitikerinnen und Klimapolitiker zu den UN-Konferenzen fahren, bekomme ich – Sie sicher auch – dieselbe Frage gestellt: Lohnt sich denn überhaupt noch dieser weite Weg nach Lima, Bali, Durban oder Cancún? Die Fakten würden doch zeigen, so heißt es, dass die Klimadiplomatie am Ende ist. Und in der Tat fällt es mir zunehmend schwerer, zu überzeugen; schließlich ist der globale Kohlenstoffausstoß von 1990 bis 2013 von 22 auf 36 Milliarden Tonnen im Jahr gestiegen. Auch nehmen die Emissionen jedes Jahr immer schneller zu. Die Gesamtemissionen werden 2020 weltweit doppelt so hoch sein wie noch vor 30 Jahren. Jetzt steht also Lima auf dem Programm. Der Welt-klimarat forderte zuletzt eine – ich zitiere – „aggressive“ Klimapolitik. Die Konferenz soll einen Vertragsentwurf vorbereiten, damit es in Paris im kommenden Jahr zum Nachfolgeabkommen des Kioto-Protokolls kommt. Von „Aggressivität“ heute aber keine Spur! Die Anträge der Regierungskoalition und auch der Grünen sind stattdessen sonderbar optimistisch; so empfinde ich das. (Frank Schwabe [SPD]: Wo ist der Antrag der Linken?) Da lobt der Grünenantrag das butterweiche Abkommen zwischen China und den USA. „Die internationale Agenda bestimmen inzwischen andere“, so heißt es dort. Ich bin ja auch für das Prinzip Hoffnung, aber China und die USA als gut für die Klimapolitik zu loben, das grenzt schon an Berufsoptimismus. Vielleicht brauchen wir den aber auch. Als ob eine Senkung der Emissionen der USA bis 2025 um 26 bis 28 Prozent, bezogen auf 2005, der große Durchbruch wäre! (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und wir machen es bezogen auf 1990! Deswegen: Wir sind ambitionierter!) Zu China will ich nur so viel sagen: Ein Viertel seiner Klimagase entfällt auf den Export. Dieser Anteil müsste also eigentlich den Ländern angerechnet werden, die Konsumgüter aus China importieren oder ihre Produktion dorthin verlagert haben. Erst 2030, also in nicht weniger als 16 Jahren, will Peking den maximalen Ausstoß erreicht haben. So ganz verstehe ich nicht, woher Ihr Optimismus kommt. Über was für ein künftiges Abkommen reden wir überhaupt? Wie es derzeit aussieht, wird im Rahmen des Paris-Protokolls nur ein überaus schwacher Mechanismus verabredet werden – schwach darum, weil der Mechanismus weder einklagbare Verpflichtungen im Hinblick auf CO2-Reduktionen vorsieht noch Sanktionen bei Verstößen gegen das Abkommen geplant sind. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, das gibt es im Völkerrecht halt auch selten!) Natürlich ist es gut und sinnvoll, dass überhaupt ein Abkommen zustande kommt; da sind wir uns sicher einig. Gut ist auch, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt; auch da sind wir uns einig. Allerdings sehen wir mit großen Bauchschmerzen, dass im Antrag der Regierungskoalition zwar völkerrechtliche Bindungen im Hinblick auf das 2-Grad-Limit, für Lima und Paris aber lediglich nationale Klimaschutzziele der Staaten gefordert werden. Das ist gut gemeint, aber zu kurz gesprungen, kann ich da nur sagen. (Beifall bei der LINKEN) Noch ein Wort zu unseren nationalen Zielen. Hehre Klimaschutzziele auf dem Papier zu erklären, ist die eine Seite der Medaille; das wissen Sie. Die andere Seite der Medaille ist die Umsetzung. Unser Antrag, CO2 endlich als Umweltschadstoff zu definieren, steht heute nicht auf der Tagesordnung. Das haben Sie, die Koalition, verhindert. Meine Damen und Herren, wenn Sie die USA schon loben, dann machen Sie es ihnen doch nach. Trauen Sie sich wieder Ordnungspolitik zu, setzen Sie sich durch, auch gegen den Koalitionspartner, und schreiben Sie die Klimaschutzziele verbindlich ins Gesetz! (Beifall bei der LINKEN) Dann haben Sie auch wieder eine frohe Botschaft für Lima und Paris. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht der Kollege Andreas Jung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zu später Stunde unsere Vorbereitungen der Klimakonferenz in Lima. Spätestens seit der UN-Konferenz in Cancún, bei der der Durchbruch, glaube ich, morgens um 5 Uhr erzielt wurde, wissen wir, dass eine späte Stunde wegweisenden Debatten nicht entgegenstehen muss. Wir haben allen Grund, hier die Leitplanken für die Klimakonferenz in Lima zu formulieren. Ich will vorneweg sagen: Der Antrag der Koalitionsfraktionen zur Klimakonferenz unterstreicht einmal mehr die aktive deutsche Rolle in diesem Prozess und die Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz, zu der wir uns bekennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine Forderung unseres Antrags ist seit gestern erfüllt, nämlich: Vor dieser Klimakonferenz, bevor es in Lima zur Sache geht, müssen wir in Deutschland einen Kabinettsbeschluss haben, mit dem klargemacht wird, dass wir das 40-Prozent-Ziel erreichen werden und dass wir dafür entsprechende Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes und der Energieeffizienz vorschlagen. – Das ist gestern gelungen; wir haben heute Mittag schon darüber gesprochen. Das ist in der Tat, wie Kollege Frank Schwabe sagte, Rückenwind für die Verhandlungen in Lima. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Damit zu unseren Erwartungen. Was erwarten wir von dieser Konferenz? Wir wissen: Dort wird es nicht den Durchbruch geben. Wir wissen: Diese Konferenz ist eine Zwischenstation auf dem Weg nach Paris. Wir wollen, dass der Startschuss gegeben wird, damit im nächsten Jahr der Einlauf bei der Tour de France in Paris gelingt und wir dort tatsächlich den Durchbruch erzielen. Dafür arbeiten, dafür kämpfen wir seit langem. Worauf kommt es jetzt an? Es kommt darauf an, dass in Lima der Entwurf eines Verhandlungstextes vorgelegt wird, auf den man sich einigt und der unseren Anforderungen an dieses Klimaabkommen gerecht wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das eingehen, was Eva Bulling-Schröter sagte. Selbstverständlich halten wir daran fest, dass es ein internationales, völkerrechtsverbindliches, umfassendes Abkommen werden muss, das alle Emittenten einbezieht und mit dem wir das 2-Grad-Ziel erreichen. Das ist immer unser Ziel gewesen, und das bleibt unser Ziel. Das halten wir im Übrigen auch im Antrag so fest. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es muss den Grundriss, den Rohbau in Lima geben, damit wir im nächsten Jahr in Paris das Dach draufsetzen und Richtfest feiern können. Das ist die erste Anforderung. Die zweite Anforderung ist, dass man sich auf einen Fahrplan für die Ziele und für die Frage einigt, wie es uns gelingt, die Lücke, die zur Erfüllung des 2-Grad-Zieles noch besteht, zu schließen. Dabei kommt Lima eine wichtige Rolle zu. Es muss Transparenz hinsichtlich unterschiedlicher Klimaziele geschaffen werden; sie müssen vergleichbar gemacht werden. Es muss klare Regeln geben, und es muss klar vereinbart werden, wann die Ziele auf den Tisch gelegt werden müssen. Wir wollen, dass im Frühjahr nächsten Jahres die nationalen Ziele formuliert und eingebracht werden. Davon erhoffen wir uns die Dynamik, die auch im Beschluss des Europäischen Rates deutlich wird, in dem es heißt: mindestens 40 Prozent Reduktion in der EU bis 2030. „Mindestens“ – das ist ein kleines Wort, aber es wird und muss große Bedeutung haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir alle wissen: Es war gar nicht einfach, diesen Beschluss zu erreichen, weil es in Europa Bremser gibt, die auch diesen Beschluss schon nicht mittragen wollten. Die Bundesregierung hat dafür gekämpft, dass dieser Beschluss so gefasst werden konnte. Das war ein guter Schritt. Gleichzeitig ist aber auch richtig, dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung gesagt haben: Wir waren schon jetzt bereit, mehr zu machen, und wir werden, wollen und müssen in Zukunft mehr machen. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin angekündigt haben, Klimaschutz zu einem wichtigen Thema im Rahmen der G-7-Präsidentschaft zu machen. Das brauchen wir, um diese Dynamik zu erreichen, um beispielsweise die USA und China in die Pflicht zu nehmen. Man kann zwar vorsichtig optimistisch sein ob der neuen Ankündigungen, aber die Wahrheit ist nachher konkret, und sie muss dann konkret sein, wenn wirklich Klimaziele vorgelegt werden, auch von den USA und China. Wir wissen, dass wir sie brauchen. Deutschland und Europa werden eine aktive Rolle spielen und alles dafür tun, diese Staaten mitzunehmen. Eines haben wir bereits getan: Wir haben als erster Staat angekündigt, dass 1 Milliarde Dollar für den Green Climate Fund, für die Finanzierung von Klimaschutz und Klimaanpassung in den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt werden. Da haben wir unsere Vorreiterrolle ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Wir alle setzen darauf, dass uns die Konferenz in Lima einen wichtigen Schritt voranbringt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Annalena Baerbock. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde gern mit dem Wort „mindestens“ des Kollegen Jung beginnen, da Sie sich in den vergangenen Debatten immer wieder darüber echauffiert haben, dass wir Grünen jetzt auch noch Kritik an den 2030-Zielen, am Klimaaktionsplan üben, wo doch eigentlich alles schon gut sei. Mit Blick auf das Wort „mindestens“ muss man auch an das Thema dieser Debatte denken: Doha-Änderung des Protokolls von Kioto. Es war gut, dass Deutschland als einer der letzten Staaten, dass die EU mit an Bord -geblieben ist. Aber man muss bei dieser Änderung des Kioto-Protokolls auch berücksichtigen, dass da eigentlich drinstand, dass man bei der Änderung des Kioto-Protokolls nachlegen werde – dazu hat sich die Europäische Union verpflichtet –, wenn die Ambitionen erreicht würden. Die Europäische Union hat die Ziele erreicht; wir sind heute schon bei 19 Prozent. Das heißt also, eigentlich hätte die Europäische Union nachlegen müssen. Sie hat es aber nicht getan. Wir bleiben bei 20 Prozent. Deshalb stellt uns auch das Wort „mindestens“ in den 2030-Zielen nicht zufrieden, weil es deutlich zeigt: Wenn man von Anfang an keine ambitionierten Ziele formuliert, dann wird es mit der Nachbesserung äußerst schwer werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Klimavertrag: Es ist absolut richtig – und Eva, ich verstehe dich an dieser Stelle überhaupt nicht –, dass wir gemeinsam daran arbeiten, wieder einen völkerrechtlichen Vertrag auf die Beine zu stellen, und dass wir für das 2-Grad-Ziel kämpfen. Bisher ist es nur politisch formuliert, auch von der Bundesregierung, und jetzt soll es in einen internationalen Vertrag gegossen werden. Das wäre wirklich ein großer Erfolg. Ja, es gibt dann nur nationale Minderungspläne, mit denen das umgesetzt werden soll. Aber wir haben aus der Vergangenheit auch gelernt, dass ein Bottom-up-Ansatz eine gute Ergänzung zum Top-down-Ansatz ist; denn manchmal zählt auch das, was wir gemeinsam aus dem Rio-Prozess gelernt haben: Global denken, lokal handeln. Tausend kleine Menschen an tausend verschiedenen Orten der Welt können das Gesicht der Welt verändern – wenn wir dafür den Rahmen setzen. Deswegen halten wir diesen neuen Ansatz für wirklich gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wichtig ist aber, und da kommen wir dann wieder zu der Rolle der Industriestaaten; die dürfen sich da nicht rausmogeln, dass wir dann zusätzlich festschreiben, zusätzlich zu den 2 Grad, dass das, was im IPCC-Bericht steht und was ihr als Koalition ja auch in eurem eigenen Antrag, zumindest im Prosateil, sehr deutlich hervorhebt, nämlich dass zwei Drittel der fossilen Energieträger unter der Erde bleiben müssen, wenn wir das 2 Grad-Ziel erreichen wollen, in konkrete Forderungen und Maßnahmen umgesetzt wird. Und das tut euer Antrag dann leider nicht mehr. Das ist der entscheidende Punkt. In diesem Zusammenhang ist die entscheidende Frage: Was wird Deutschland dafür tun? Da haben wir auch angesichts des „Aktionsprogramms Klimaschutz 2020“ doch ein bisschen Sorge, dass die Bundesregierung der Mut verlässt. Schon nach dem Einführungstext eures Antrags, mit dem ich ganz d’accord bin, verlässt euch der Mut, sodass ihr bei den Forderungen nur noch schreiben könnt, dass ihr postfossile Wirtschaftsweisen im Klub der Vorreiter vorantreiben wollt, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungsländer. Was ihr als deutsche Bundesregierung tun wollt, das sagt ihr aber mit keinem Wort. (Frank Schwabe [SPD]: Zitier doch mal euren Antrag!) Ihr sagt nicht, dass die KfW auch bei der IPEX-Bank nicht mehr in Kohleprojekte investieren soll. Ihr sagt nicht, dass bei uns in Deutschland die fossilen Energieträger unter der Erde bleiben müssen. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Seit 48 Stunden reden wir jetzt permanent darüber!) Ihr sagt auch nicht, dass die G 7 nicht nur über Klimafinanzierung reden müssen, sondern sie sich vor allen Dingen auch endlich dazu bekennen müssen, dass die Industriestaaten die Subventionen für fossile Energieträger abbauen. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Ihr wollt einfach nicht hinhören!) Das wäre der Beitrag Deutschlands und der Industriestaaten zu einem internationalen Vertrag. Deswegen müssen wir bei euch immer wieder den Finger in die Wunde legen, damit ihr euch traut, das auch auszusprechen. Denn wie soll man denn andere Länder dazu bringen, ihre Ölreserven unter der Erde zu lassen, wenn ihr noch nicht einmal sagen könnt: (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer ist eigentlich „ihr“?) „Ja, die Kohle soll auch bei uns in Zukunft unter der Erde bleiben“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das gilt auch für das Beispiel Polen, das Minister Gabriel hier gestern wieder als Argument angebracht hat. Wie soll man denn die Polen überzeugen, nicht weiter auf Kohleverstromung zu setzen, wenn dann – Kollege Schulze weiß es ganz genau – direkt vor ihrer eigenen Haustür an der Oder neue Tagebaue erschlossen werden sollen und die Bundesregierung dafür auch noch ihr Okay gibt? Ihr habt das heute mit der Ablehnung unseres Antrags zu einem Ende neuer Tagebaue leider auch noch einmal bekräftigt. In diesem Sinne können wir nur sagen: Bitte nehmt den IPCC-Bericht ernst, auch in Zukunft, auch nach Lima, als G-7-Präsidentschaft. Bitte nehmt ihn ernst in eurem „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“; denn nur wer den Kohleausstieg einleitet, vollzieht auch wirklich die ganze Energiewende und trägt dazu bei, dass die Erderwärmung global um nicht mehr als 2 Grad ansteigt. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD] – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So, jetzt wollen wir was zum Thema hören!) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Werte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorweihnachtszeit ist ja eigentlich die stade Zeit, wie man bei uns in Bayern sagt. Aber klimapolitisch ist es im Moment überhaupt nicht still. Derzeit läuft die 20. internationale UN-Klimakonferenz in Lima. Wir haben gute Vorarbeit für diese Konferenz geleistet. Ende Oktober 2014 haben sich die EU-Staaten wieder auf verbindliche Klimaziele geeinigt. Die Bundesregierung hat gestern ein „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ vorgelegt, und sie hat es auch mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Vor diesem Hintergrund möchte ich an dieser Stelle erst einmal sagen: Wir können selbstbewusst nach Lima fahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem Aktionsprogramm zeigen wir auch, dass Klimaschutz und Wohlstand keine Gegensätze sind, sondern in Einklang zu bringen sind oder – wie es die Grünen in ihrem Antrag formulieren – sich sogar gegenseitig unterstützen können. Wir leben das in Deutschland vor. Jetzt müssen – das soll die Hauptbotschaft meiner Rede sein – andere Länder der Welt endlich genauso handeln und mitziehen. Wir müssen andere Staaten, und zwar die Industriestaaten und die Schwellenländer, dazu bewegen, ihre eigenen konkreten Klimaziele bis zum Frühjahr 2015 vorzulegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu den Entwicklungs- und Schwellenländern. Es ist ganz wichtig, dass sie ihre Wirtschaft von Anfang an klimafreundlich und effizient aufbauen. Dafür brauchen sie finanzielle Mittel. Deswegen ist es ein gutes Signal, dass Deutschland als erstes Land 1 Milliarde US-Dollar bereitgestellt hat und damit knapp 10 Prozent des Betrages stellt, der bislang eingegangen ist; bislang sind es 9,3 Milliarden US-Dollar. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Geld fließt in wichtige Investitionen in diesen Schwellenländern, zum Beispiel zielgerichtet in gute Projekte für erneuerbare Energien. Zu den Industrieländern. Es ist ein gutes Signal, dass die laufende Präsidentschaft von Angela Merkel genutzt wird und der Klimaschutz zum Schwerpunktthema erklärt wird. Diese Ankündigung wird jetzt auch mit Leben erfüllt. Das kann für den Erfolg in Paris entscheidend sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir mit dem internationalen Klimaschutz vorankommen wollen, dann brauchen wir auch die anderen großen Industrienationen dieser Welt. China und die USA müssen sich endlich zu verbindlichen Klimazielen durchringen. Sie begrüßen in Ihrem Antrag die positiven Signale aus diesen Ländern (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie begrüßen sie auch!) – ja, wir haben sie auch begrüßt –, Sie nennen aber im gleichen Atemzug die angeblich zu wenig ambitionierten Klimaziele der Europäischen Union und Deutschlands. Das wiederum kann ich nicht nachvollziehen. Das muss ich an dieser Stelle auch ganz klar sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wichtig für den Erfolg in Lima ist, dass wir die anderen Staaten zwingen, sich diese ambitionierten Ziele zu setzen, aber auch eine Überprüfbarkeit einführen. In dem internationalen Abkommen muss ein Überprüfungsmechanismus verankert werden. Zum einen muss damit überprüft werden, ob die Minderungszusagen zum Erreichen des 2-Grad-Ziels ausreichen. Zum anderen müssen die Länder gegebenenfalls aufgefordert werden, nachzubessern, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird. Ich halte es für eines der wichtigsten Ziele, diesen Überprüfungsmechanismus zu verankern. Verbindlichkeit, Überprüfbarkeit sowie Transparenz müssen rein in dieses internationale Abkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Am Ende meiner Rede möchte ich noch einmal auf die europäische Ebene zurückkommen. Für mich ist nach wie vor der Emissionshandel das Herzstück der europäischen Klimapolitik. Wenn wir den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument reformieren und stärken, dann müssen wir auch nicht auf nationales Ordnungsrecht setzen, wie Sie es immer wollen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stärken Sie mal!) – Ja, wir bringen uns auf europäischer Ebene dafür ein, dass diese Reform kommt. Ich bin froh darüber, dass die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene ganz klar Kurs hält. Auch in diesem Antrag haben wir die Position der Bundesregierung ganz klar gestärkt und ihr damit den Rücken gestärkt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zu drei Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3123 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 17 b. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/3406 mit dem Titel „Klimakonferenz in Lima zum Erfolg führen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 17 c. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3411 mit dem geänderten Titel „Klimakonferenz von Lima als Wegbereiter für ein neues globales Klimaabkommen und eine nachhaltige globale Entwicklung nutzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Anerkennungskultur!) Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustandes Drucksache 18/3315 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3315 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksache 18/3247 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer internationalen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort für die Bundesregierung hat Staatsministerin Dr. Maria Böhmer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ursprünglich ist der Einsatz im Rahmen der Operation Active Endeavour eine Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie der Ausrufung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages gewesen. Die Bundesregierung schlägt heute eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung unter unveränderten Bedingungen vor. Dabei beträgt die Laufzeit des Mandats zwölf Monate; es endet spätestens am 31. Dezember 2015. Lassen Sie mich hierzu festhalten: Die Operation Active Endeavour hat sich von einer aktiven Operation zur Terrorbekämpfung zu einem Aufklärungseinsatz entwickelt. Das zeigt, dass sich die Einsatzrealität verändert hat. Es besteht ein breiter Konsens, dass der Einsatz in seiner heutigen Form hilfreich und zeitgemäß ist. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass das Mittelmeer von strategischer Bedeutung für uns ist. Wir haben deshalb ein großes Interesse an einem lückenlosen Lagebild. Denn damit können potenzielle Risiken und Bedrohungen frühzeitig erkannt werden und mit allen uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Prävention – und zwar primär mit politischen Maßnahmen – abgewendet werden. Angesichts der beschriebenen Entwicklung wollen wir den Einsatz zukünftig auf eine neue Grundlage stellen. Dafür haben wir in den vergangenen Monaten vielfältige Anstrengungen unternommen, die ich Ihnen kurz nennen möchte. Die Bundesregierung hat sich insbesondere gegenüber den USA und Frankreich mit Nachdruck für eine Entkoppelung der Operation von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages eingesetzt. Bundesminister Steinmeier und Bundesministerin von der Leyen haben im Februar, wie sie es bereits vorher in der Debatte angekündigt hatten, in einem gemeinsamen Schreiben an den NATO-Generalsekretär auf die Diskrepanz zwischen Einsatzgrundlagen und Einsatzrealität hingewiesen. Im Juni 2014 haben die NATO-Außenminister Maßnahmen zur Operationalisierung der Maritimen Strategie der Allianz beschlossen. Darunter fällt auch eine Empfehlung zur Weiterentwicklung der OAE auf neuer Einsatzgrundlage. Im August dieses Jahres konnte in bilateralen Konsultationen mit den USA der Kompromiss ausgehandelt werden, dass die USA einer Entkoppelung der Operation Active Endeavour von Artikel 5 erstmals zustimmen. Wir haben dann erreicht – das war im September –, dass im Kommuniqué des NATO-Gipfels in Wales erstmals auf eine Erwähnung von Artikel 5 im Zusammenhang mit der OAE verzichtet wurde. Derzeit stehen wir in Brüssel in trilateralen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten und Frankreich. Wir hoffen, schon bald die Zustimmung von Frankreich zur Entkoppelung zu erhalten. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Bei all unseren Bemühungen – Sie sehen, die Anstrengungen waren intensiv, und sie haben sich über die Monate hingezogen – ist zu berücksichtigen, dass die Anpassung des Operationsplans nur im Konsens aller 28 NATO-Staaten möglich ist. Ich hätte Ihnen heute gern etwas anderes gesagt, aber ich muss feststellen, die Entkoppelung kann bis Ende dieses Jahres nicht mehr umgesetzt werden. Das ist der Hintergrund, weshalb die deutsche Beteiligung an OAE nur auf Grundlage einer weiteren Mandatsverlängerung möglich ist. Die Entkoppelung von Artikel 5 könnte im Laufe des Jahres 2015 erreicht werden. Wir setzen alles daran, dies zu erreichen. Je früher, desto besser. Wenn dieser Fall eintritt, wird das jetzt beantragte Mandat automatisch seine Gültigkeit verlieren. In diesem Fall würden wir prüfen, in welcher rechtlichen Form eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Operation Active Endeavour in Zukunft erfolgen kann. Dieser Einsatz – das will ich festhalten – ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir unsere internationale Verantwortung wahrnehmen und dabei präventive Elemente in den Vordergrund stellen. Ich darf noch einmal hervorheben: Wir brauchen den Aufklärungseinsatz durch OAE, um mögliche Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und ihnen mit allen politischen Mitteln begegnen zu können. Deshalb bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Zustimmung. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Nächster Redner ist Dr. Alexander Neu, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit über zehn Jahren hören wir: Operation Active Endeavour ist eine Selbstverteidigungsmaßnahme. Die Behauptung ist rechtlich absurd, und sie wird von Jahr zu Jahr absurder – sowohl bezüglich der räumlichen als auch der zeitlichen Dimension. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Eine absurde Behauptung!) Zur räumlichen Dimension. Der Anschlag am 11. September 2001 war bekanntlich in New York und nicht im Mittelmeer. Dafür reichen auch geringe geografische Kenntnisse aus, meine Damen und Herren, um das festzustellen. (Zuruf von der CDU/CSU) Zur zeitlichen Dimension. Der Anschlag war 2001, nicht 2014. Dafür reichen auch die Grundrechenarten. Dass dem so ist, schwant auch der Bundesregierung. Daher versucht sie eben, eine Entkopplung der OAE von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages hinzubekommen. Ich kann jedoch nicht ganz nachvollziehen, warum man sich – so der Antrag – wieder so verhalten hat, wie man es in der Vergangenheit getan hat. Man hat in Wales mit Blick auf Operation Active Endeavour gesagt: Okay, wir werden Artikel 5 da jetzt nicht erwähnen. Man feiert das in dem Antrag ab. – Zugleich nennt man doch wieder Artikel 5. Man hätte auch hier vorangehen und sagen können: Wir verschweigen einfach Artikel 5. Wir werden ihn in dem Antrag gar nicht erwähnen. – Aber nein, das wurde nicht gemacht, sondern man macht genau das, was man in den letzten Jahren gemacht hat: Man verweist auf das Selbstverteidigungsrecht. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist eine Argumentation wie saure Milch!) Das zweite Argument lautet, die wachsenden terroristischen Aktivitäten im Osten und im südlichen Mittelmeer würden manche unserer Bündnispartner doch verunsichern. Dazu frage ich mich: Sind die Islamisten in Libyen und in Syrien nicht doch unsere westlichen Bündnispartner im Kampf gegen die dortigen Regierungen gewesen bzw. im Falle Syriens immer noch unsere Bündnispartner? Die Antwort ist einfach: Ja. Die islamistischen Kreaturen werden gegen unliebsame Regierungen im Nahen Osten eingesetzt, gehegt und gepflegt. Wenn diese islamistischen Freunde dann auch mal wieder außer Kontrolle geraten, was sie regelmäßig tun, muss man sie auch bekämpfen. Das zeigt, welchen Irrsinn die westliche Sicherheitspolitik darstellt. Aber kommen wir zurück zur Legende der Selbstverteidigung. Die Bundesregierung und ihre westliche Wertegemeinschaft sollen von der Heuchelei einer Selbstverteidigungsformel endlich Abstand nehmen und sagen, worum es wirklich geht. Es geht um „Mare Nostrum“, übersetzt „unser Meer“, und zwar im imperialen Sinne des antiken Roms. Caesar hat den Begriff „Mare -Nostrum“ zum ersten Mal verwendet. Der Westen betrachtet das Mittelmeer als sein Meer und nicht als Meer der Anrainerstaaten. In Ihrem Orwell’schen Neusprech hört sich das etwa so an: dass die westliche Marine einen präventiven Ordnungsfaktor darstellt. Eine weitere Kuriosität ist die Begründung für Operation Active Endeavour mit Blick auf die Sicherheitslage. Es wird hier von abstrakten Bedrohungen gesprochen. Das heißt, die Fantasie reicht aus, um einen Einsatz des Militärs zu legitimieren. – Welch ein Verdummungsversuch gegenüber der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren! Der Antrag der Bundesregierung im letzten Jahr war noch ein bisschen ehrlicher; Sie sind kurz darauf eingegangen, Frau Staatssekretärin. (Niels Annen [SPD]: Staatsministerin!) Sie haben gesagt: Es gibt auch strategische Erwägungen. Auch im letzten Jahr wurde vom Selbstverteidigungsrecht fabuliert, aber zumindest war der imperiale Charakter im Antrag enthalten. Ich zitiere: Das Mittelmeer gehört zu den wichtigsten interkontinentalen Transportkorridoren weltweit und ist für den innereuropäischen und transatlantischen Handel von geostrategisch vitaler Bedeutung. Dafür werden also Steuergelder verbraten. Den Soldatinnen und Soldaten wird etwas von Verantwortung in der Welt erzählt. Zum Thema Verantwortung in der Welt. Was ist eigentlich mit der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer? (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Mare Nostrum“!) Italien hat in einem Jahr mehr als 150 000 Menschen gerettet. Italien hat sein Mare-Nostrum-Programm – dies war ein humanitäres Programm und kein imperiales – zur Rettung von Flüchtlingen eingestellt, weil es mit diesem Projekt von den EU-Partnern allein gelassen wurde. Warum gibt es keine finanzielle und operative Unterstützung durch Deutschland? Haben die Flüchtlinge keinen wirtschaftlichen Wert, weswegen man sie nicht zu retten braucht? (Michael Brand [CDU/CSU]: Zyniker!) – Nein, Zyniker bin ich nicht. Das sind Sie. (Henning Otte [CDU/CSU]: Warum das denn? Das ist doch nicht der Auftrag!) Wie viele Menschen wurden im Rahmen der Operation Active Endeavor gerettet? Wie viele Menschen wurden im Mittelmeer von der deutschen Marine gerettet? Oder muss die Besatzung deutscher Schiffe den hilfesuchenden Menschen sagen: Oh, sorry, tut uns leid. Wir dürfen euch nicht retten, liebe Leute, denn wir müssen eine „abstrakte Bedrohung“ jagen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist eine gute Nachricht! – Beifall des Abg. Wilfried Lorenz [CDU/CSU]) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. – Aus all den genannten Gründen, sehr geehrte Damen und Herren, lehnt die Linke diesen lächerlichen Dauereinsatz ab. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Die Rede war lächerlich!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Lars Klingbeil. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Neu, ich bin froh, dass Sie in unserem Land keine Verantwortung tragen. (Beifall der Abg. Gisela Manderla [CDU/CSU]) Es würde keine vier Wochen dauern, und wir hätten überhaupt keinen internationalen Bündnispartner mehr, wenn das, was Sie hier vortragen, Realität würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Mit denen wollen Sie morgen in Thüringen regieren?) Ich stelle fest: Nicht jede Bewegung von deutschen Soldaten ist ein kapitalistischer, imperialistischer Angriffskrieg. Sie müssen sich langsam überlegen, ob Sie hier im Parlament ernsthaft über Sicherheitspolitik mitdiskutieren oder ob Sie weiter am Rand stehen bleiben und sich nicht ernsthaft in eine Debatte einbringen wollen, lieber Kollege Neu. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will zu Beginn meiner Rede wiederholen, was ich in der letzten Sitzungswoche, als wir am Donnerstag gegen 23 Uhr über den Sudan geredet haben, gesagt habe: Es ist nicht angemessen, dass wir im Deutschen Bundestag zu so später Stunde über Auslandseinsätze diskutieren. Wir als Parlament sind in der Verantwortung für die Bundeswehr. Wir sind diejenigen, die immer wieder eine sicherheitspolitische Diskussionskultur in Deutschland einfordern. Wir ermahnen die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft, sich intensiver mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Egal ob wir über Afghanistan, über den Kosovo oder über die Operation Active Endeavour diskutieren: Diese Diskussionen gehören in eine andere Tageszeit. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten, die wir in Auslandseinsätze schicken, schuldig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir beraten heute in erster Lesung über die Fortsetzung der Operation Active Endeavour. Die letzte Diskussion Anfang des Jahres hat gezeigt, dass wir uns alle bewusst sind, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen Einsatzrealität und dem, was im Mandatstext steht. Wir als Parlament fordern ein, dass es vonseiten der NATO zu Änderungen bzw. zu einer Weiterentwicklung des Einsatzes kommt. Wir haben die Regierung in der letzten Diskussion darauf hingewiesen. Wir wissen aber auch, dass Veränderungen innerhalb der NATO nur dann gelingen, wenn zwischen allen 28 Staaten Konsens besteht. Ich will betonen: Wir sind auf einem guten Weg. Vor allem Minister Steinmeier und Ministerin von der Leyen haben innerhalb eines Jahres deutliche Fortschritte erzielt. Über Artikel 5 Nordatlantikvertrag wird diskutiert. Durch die Debatte wurden Veränderungen eingeleitet. Das ist ein Erfolg, und das sollten wir hier im Parlament nicht kleinreden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das vorliegende Mandat bleibt ein Übergangsmandat. Es geht darum, im Mittelmeer Lagebilder zu erstellen und faktisch eine Seeraumüberwachung durchzuführen. Der Beginn des Einsatzes vor 13 Jahren wurde mit 9/11 und der Abwehr des Terrorismus im Mittelmeerraum begründet. Aber wir alle wissen, dass das heute nicht mehr die Realität ist und dass es heute um ganz andere Einsätze geht. Es geht um die Erstellung eines Lagebildes. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Gut, dass wir schon da sind!) Es geht auch darum, mit der Operation Active Endeavour eine Plattform zu schaffen, wo Kommunikation und Kooperation innerhalb des Bündnisses mit den betroffenen Mittelmeeranrainerstaaten stattfindet. Es geht darum, Abstimmungen im Bündnis vorzunehmen, und es geht darum, einen Mehrwert, nämlich Sicherheit im Mittelmeerraum, zu haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) All das sind Erfolge der Vergangenheit, die sich nicht kleinreden lassen. Meine Fraktion hat trotzdem – darauf will ich noch einmal eingehen – immer wieder darauf gedrungen, dass es bei der Operation Active Endeavour zu Veränderungen im Mandat kommt. Wir haben gesagt: Artikel 5 des Nordatlantikvertrages kann keine Grundlage, kann keine Legitimation für dieses Mandat mehr sein, weil es nicht mehr um Terrorabwehr geht. Es geht um Überwachung; es geht um Lagebilder. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung vor einem Jahr hier zugesagt hat, dieses Mandat zu verändern, und sie sich innerhalb der NATO aufgemacht hat, um dieses Mandat zu ändern. Wir haben gesehen, dass dieser Wunsch in den unterschiedlichen Gremien entschieden kommuniziert wurde. Mit relevanten Partnern wie den USA, der Türkei und Frankreich wurde geredet. Die Staatsministerin hat darauf hingewiesen, dass es ein großer Erfolg ist, dass die Amerikaner den Artikel 5 bei diesem Mandat erstmals grundsätzlich infrage stellen. Und im Schlusskommuniqué des Gipfels von Wales wurde OAE erstmalig ohne Bezug auf Artikel 5 genannt. Das sind große Erfolge. Ich will den beiden Ministern ausdrücklich dafür danken. Ich will aber auch klarmachen: Der Weg ist noch nicht zu Ende. Wir haben noch einen längeren Weg zu gehen. Wir müssen innerhalb der 28 NATO-Staaten einen Konsens erreichen. Es muss darum gehen, Artikel 5 aus diesem Mandat herauszubekommen. Ich wünsche den Ministern viel Kraft bei der weiteren Diskussion, und ich wünsche uns gutes Gelingen bei der Debatte hier im Parlament. Ich sage aber auch: Wir werden diesem Mandat am Ende zustimmen, weil wir auf dem richten Weg sind. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Omid Nouripour das Wort. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die 13. Verlängerung der Operation Active Endeavour. Das ist etwas, was nach den Worten des Herrn Außenministers nicht hätte passieren sollen. Eigentlich, wenn man genau hinschaut, passiert das auch nicht, eigentlich ist das Versprechen eingehalten worden; denn das, was vorliegt, ist nicht wirklich ein Mandat. Das ist ein klinischer Fall fortgeschrittener politischer Schizophrenie: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na!) Sie beantragen die Teilnahme an einer Mission zur Terrorismusbekämpfung, stellen aber niemanden dafür bereit. Sie beantragen die Mission auf einer völkerrechtlichen Grundlage, von der Sie selbst sagen, dass sie nicht mehr trägt. Der Minister sagte selbst – ich zitiere –: Der Bündnisfall kann heute, mehr als zwölf Jahre nach 9/11, nicht mehr dauerhaft tragfähige Rechtsgrundlage sein … Damit hat er einfach völlig recht. Er hat auch noch gesagt, dass diese Mission der Einsatzrealität nicht mehr gerecht wird. Das ist alles richtig. Ich kann nur hoffen, dass die Schiffe für den Einsatz solider sind als dieses Mandat, sonst hätte ich wirklich Angst um die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten. Es scheint so zu sein, dass die vielen klugen Gedanken, die der Herr Minister hier formuliert hat, keinerlei Konsequenzen gehabt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, Sie haben jahrelang mit uns gegen dieses Mandat gestimmt. Jetzt werden Sie beruhigt mit den Bemühungen, die die Frau Staatsministerin beschrieben hat. Ich bin sehr glücklich darüber, dass es diese Bemühungen gibt – es ist nicht so, dass wir sie falsch finden –, nur, Bemühungen schaffen keine Rechtsgrundlage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie tun so, als gebe es einen Automatismus, den es einfach nicht gibt. Kollege Klingbeil, wenn es so ist, dass Artikel 5 des Nordatlantikvertrages nur gemeinsam aus dem Mandat herausgenommen werden kann, was ich teile, dann ist es gut und schön, dass die Bundesregierung sich darum bemüht, dass dies endlich passiert; aber das ist keine Begründung für ein Mandat. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aber Sie bemühen sich ja auch nur!) Es gibt keinerlei Grund, sich an einem Einsatz zu beteiligen, wenn man der Meinung ist, dass Artikel 5 nicht mehr greift. Zu fragen ist selbstverständlich auch, ob es der NATO hilft, wenn der Bündnisfall dauerhaft verlängert wird, oder ob dies nicht eine Unterminierung der Bündnissolidarität wäre. Wir sind der Meinung, dass es nicht glaubwürdig ist, einfach immer weiterzumachen wie bisher. Die Beistandsverpflichtung – das ist der Kern der -Allianz – wird unterminiert. Das ist gerade in diesen Zeiten keine gute Nachricht. Vor allem muss man aber sehen, dass es nicht einfach ist, den Soldatinnen und Soldaten zu erklären, dass sie in einen Einsatz gehen, zu dem Mitglieder der Bundesregierung bereits erklärt haben, dass es dafür eigentlich keine Rechtsgrundlage gibt. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Soldaten wissen, was sie tun!) Das ist auch der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Richtig ist – diese Einschätzung teile ich –, dass es positive Nebeneffekte geben kann, dass es der Vertrauensbildung im Mittelmeer bedarf und dass Sie ein umfassendes Lagebild brauchen. Das haben Sie, Frau Staatsministerin, vorhin alles gesagt. Aber dann beantragen Sie doch ein Mandat für einen entsprechenden Einsatz. Dann bringen Sie mit dieser Begründung hier einen Mandatsantrag ein, und begründen Sie Ihren Antrag nicht damit, dass es um Terrorbekämpfung geht; denn darum geht es nicht. Bringen Sie vor allem nicht ein Mandat ein, bei dem es noch immer um 9/11 geht. Die Situation im südlichen und im östlichen Mittelmeer ist heute bei aller Fragilität eine andere. Wir leben in einem anderen Sicherheitszeitalter, und man kann nicht einfach sagen, dass wir hier wegen 9/11 aktiv sind. Das, was hier vorliegt, ist falsch und aus unserer Sicht definitiv nicht zustimmungsfähig. Im Gegenteil: Das, was die Bundesregierung hier tut, ist viel gravierender, sie betreibt nämlich Schabernack mit den Grundsätzen der NATO. Beenden Sie endlich den permanenten Kriegszustand und diese Mission! Gerade als Bundesrepublik Deutschland, als großes Land, können Sie ein klares Zeichen dafür setzen, dass sie es ernst damit meinen, dass Artikel 5 des Washingtoner Vertrages nun endlich aufzuheben ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Bevor ich gleich der Kollegin Julia Bartz das Wort gebe, möchte ich hier die Soldatinnen und Soldaten des 2. Feldjägerregiments 3 aus Sigmaringen begrüßen. Schön, dass Sie heute Abend hier sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir bedanken uns für Ihren Einsatz und auch für die gute Arbeit, die Sie leisten, wovon sich viele von uns vor Ort überzeugen konnten. Ich kann Ihnen versichern: Wir fühlten uns bei Ihnen gut aufgehoben und auch gut beschützt. Danke schön dafür. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Bartz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute im Zusammenhang mit OAE über ein Übergangsmandat. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nicht darin!) Auch im vergangenen Jahr haben wir über dieses Übergangsmandat gesprochen, und wir müssen es jetzt noch einmal verlängern. Die diplomatischen Verhandlungen laufen und sind auf einem sehr guten Weg. Bereits 2012 hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, das Einsatzprofil von OAE weiterzuentwickeln. Wir haben hier bereits viele Zwischenergebnisse verzeichnen können. Im Oktober 2013 hat die Bundesregierung ein entsprechendes Strategiepapier vorgelegt. Im Februar des Jahres 2014 haben unsere Bundesministerin der Verteidigung und unser Außenminister ein gemeinsames Schreiben an den NATO-Generalsekretär gerichtet, in dem sie auf die Diskrepanz zwischen der Einsatzgrundlage und der Einsatzrealität hingewiesen haben. Im Juni dieses Jahres haben die NATO-Außenminister im Rahmen ihrer maritimen Strategie der Allianz eine Weiterentwicklung von OAE auf einer neuen Einsatzgrundlage beschlossen, und im August dieses Jahres haben sich die USA in bilateralen Konsultationen grundsätzlich für eine Weiterentwicklung von OAE unabhängig von Artikel 5 des Washingtoner Vertrages bereit erklärt. Im September dieses Jahres wurde auf dem Gipfel in Wales ein Kommuniqué verabschiedet, das bei der Nennung von OAE zum ersten Mal auf Artikel 5 verzichtet. Wie Sie also sehen, sind wir auf einem guten, auf dem richtigen Weg, und die Bundesregierung wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass OAE von Artikel 5 entkoppelt wird. Dies erfordert allerdings intensive diplomatische Bemühungen, weil die Zustimmung aller 28 NATO-Mitgliedstaaten dazu notwendig ist, wie Sie alle wissen. Nun den Abzug zu fordern, ist der falsche Weg, und ich denke, die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die das tun, sind hier auf dem falschen Dampfer. Schauen wir uns doch die aktuelle geopolitische Lage an: In der jetzigen Situation, bei dem aggressiven Vorgehen Russlands in der Ukraine, ist es ganz wichtig, dass wir mit der Verlängerung dieses Mandats das Zeichen an unsere östlichen Partnerländer senden können, dass Artikel 5 gilt. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bringen Sie ein Mandat mit der Begründung Russland ein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann beantragen Sie das doch!) Unsere Präsenz im Mittelmeer ist notwendig, um dort aufzuklären und ein klares Lagebild zu haben. Das erhöht die maritime Sicherheit im Mittelmeer. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gott, ist das an den Haaren herbeigezogen!) Zudem findet ein wichtiger Austausch mit den Anrainerstaaten statt. Das wirkt sowohl vertrauensbildend als auch als Frühwarnsystem. Unsere Präsenz und die Lagebilderstellung in dieser strategisch wichtigen Region sind also sinnvoll. Wir wollen sie nun ein weiteres Mal unter dem Dach von OAE fortsetzen. Geben wir doch der Diplomatie die Zeit, die sie braucht, um den rechtlichen Rahmen neu zu zimmern; denn das Ziel der Mission ist zweifelsohne sinnvoll. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Einsatz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3247 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich stelle fest, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE sowie den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Leistungsschutzrechtsaufhebungsgesetz – LSR-AufhG) Drucksache 18/3269 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich stelle fest, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3269 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Ich lasse zunächst abstimmen über den Über-weisungsvorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen: Federführung beim Ausschuss -Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung Drucksachen 18/3018, 18/3161 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/3439 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen Drucksachen 18/556, 18/1035 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich stelle fest, Sie sind damit einverstanden. Es liegt eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Tagesordnungspunkt 20 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3439, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/3018 und 18/3161 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 20 b. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1035, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/556 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Bei einigen Enthaltungen bei der Linken!) – Bei zwei Enthaltungen in der Fraktion Die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksachen 18/3120, 18/3251 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksache 18/3145 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/3445 – Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/3446, 18/3447 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3445, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/3120 und 18/3251 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in dritter Lesung angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3453. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3145. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3445, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3445 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch Drucksache 18/3122 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/3437 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3437, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3122 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union Drucksache 18/2137 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/3438 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2137 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Stellungnahme des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung zum Bericht des Peer Review 2013 zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie „Sustainability – Made in Germany“ Drucksache 18/3214 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute Abend über die Stellungnahme des Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Peer-Review-Gutachten 2013. Die Ausführungen des Peer Reviews wurden von acht hochkarätigen internationalen Expertinnen und Experten erstellt. Das Gutachten bewertet die nationale Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland. Außerdem bezieht sich der Bericht auf den internationalen Aspekt zum Thema einer nachhaltigen Entwicklung. Die Gutachter betonen die gewaltigen Aufgaben auf globaler Ebene, die im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung bestehen. Während meiner fünfminütigen Redezeit sterben weltweit circa 30 Kinder an Unterernährung oder behandelbaren Krankheiten. In diesen fünf Minuten wird eine vollständige Tier- oder Pflanzenart aussterben. In diesen fünf Minuten werden wir weltweit circa 30 Schwimmbäder von olympischer Größe an Öl verbrennen. In diesen fünf Minuten werden 150 Fußballfelder an Waldfläche gerodet werden. Die Herausforderungen auf globaler Ebene sehen die Gutachter vor allem im Hinblick auf Hunger und Armut ebenso wie hinsichtlich des zu erwartenden Bevölkerungswachstums auf etwa 9 Milliarden Menschen bis 2050. Aber auch die weltweit ungebremste Nutzung fossiler Energieträger und die damit einhergehende klimatische Veränderung stehen einer nachhaltigen Entwicklung entgegen. Wenn wir also über nationale Ziele sprechen, dürfen wir nie den internationalen Kontext aus den Augen verlieren. Auch deshalb ist es wichtig, dass Deutschland im Rahmen des Post-2015-Prozesses zur Schaffung nachhaltiger globaler Entwicklungsziele eine aktive Rolle spielt. Deutschland selbst geben die Experten ein grundsätzlich gutes Zeugnis. Gerade die deutsche Energiewende wird als vorbildhaft gesehen und als größtes kollektives Transformationsprojekt seit der deutschen Wiedervereinigung bezeichnet. Die Experten honorieren das Ziel, bis 2022 aus der Atomenergie auszusteigen und gleichzeitig bis 2050 das Ziel einer CO2-armen Wirtschaft durch die Reduktion der Treibhausgase um 80 bis 90 Prozent, gemessen am Niveau von 1990, erreichen zu wollen. Wir hatten heute bereits die entsprechenden Debatten im Plenum. Es ist zudem notwendig, den Nachhaltigkeitsgedanken auch in Betrieben und Unternehmen, in den Unternehmenskulturen zu verankern und zu leben. Die Experten weisen auf den deutschen Nachhaltigkeitskodex hin, der vom deutschen Nachhaltigkeitsrat entwickelt wurde. Dieser kann ein Beispiel sein, nach welchen Kriterien der Aspekt der Nachhaltigkeit in Unternehmen verankert werden kann. In ihrem Bericht verdeutlichen die Experten, auf welchen staatlichen Ebenen bereits Fortschritte erzielt worden sind und wo noch Handlungsbedarf besteht. So wurde gegenüber dem ersten Peer Review von 2009 das Bundeskanzleramt als Schnittstelle der Nachhaltigkeitspolitik gestärkt. Ein eigenständiges Referat, das die Nachhaltigkeitspolitik inhaltlich verantwortet, wurde installiert. Die Verankerung einer formellen Nachhaltigkeitsprüfungsbewertung sämtlicher Verordnungen und Gesetze seit 2010 zeigt, dass das Parlament die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitspolitik beim Wort nimmt. Die zielgerichtete Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsprüfung wird nun eine große Aufgabe in dieser Legislaturperiode sein. Auch dazu sind zusätzliche Ressourcen für den Beirat erforderlich. In dieser Forderung sehen wir uns durch die Empfehlungen der Gutachter bestätigt. Der Beirat für nachhaltige Entwicklung unterstützt die Forderung, den Nachhaltigkeitsgedanken stärker in die Ausbildungspläne für angehende Lehrkräfte und im Bildungsbereich generell zu integrieren. Wir müssen Mittel und Wege finden, um das Bewusstsein für die Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklung zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU) Letztlich muss der Gedanke der Nachhaltigkeit die Herzen der Menschen erreichen. Nachhaltigkeit muss gelebt werden, um nicht als Floskel und Worthülse zu verkommen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf allen Ebenen, auch in der Regierung!) Die Experten zeigen uns in ihrem Bericht, wo wir bei der Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie stehen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da können die Grünen noch etwas lernen!) – Alle können etwas lernen. – Wir haben schon vieles erreicht, auch dadurch, dass wir uns ambitionierte Ziele gesetzt haben. Trotzdem gibt es noch Hausaufgaben für uns auf nationaler Ebene, aber auch auf internationaler Ebene. Lassen Sie mich noch einen Satz bezüglich der Stellungnahme des Beirats sagen. Man lernt sich in den verschiedenen Berichterstatterrunden doch etwas besser kennen, Frau Wilms. Das uns selbst auferlegte Konsens-prinzip kann hier manchmal zur Belastung werden. Letztlich kommt es aber darauf an, was am Ende herauskommt. Ich bin der Meinung, dass die Stellungnahme ein guter Ansatz für eine Stärkung einer nachhaltigen Entwicklung ist. Danke für die gemeinsame Arbeit und vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Hubertus Zdebel. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bericht der acht internationalen Expertinnen und Experten zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie liegt seit vergangenem Jahr vor. Er zeigt, dass die Anstrengungen für die Umsetzung einer Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland in vielen Politikbereichen deutlich gesteigert werden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Die Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens in den verschiedenen Politikbereichen des Deutschen Bundestages ist eine zentrale Aufgabe, wenn wir die Verantwortung für die zukünftigen Generationen wahrnehmen wollen. In dem Bericht wird klar formuliert, dass „jede Verarbeitung fossiler Rohstoffe weitere Treibhausgase freisetzt“ und die „Funde neuer Quellen fossiler Rohstoffe die Begrenztheit des Planeten Erde nicht aufheben“ können. Ich hoffe, dass der Parlamentarische Beirat es in dieser Legislaturperiode auch schafft, daraus eine gemeinsame Forderung für eine schnelle Dekarbonisierung der Energiepolitik zu entwickeln. (Beifall bei der LINKEN) Ausdrücklich unterstützen wir alle Anstrengungen und Anregungen für ein Kohleausstiegsgesetz und den schnellstmöglichen Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverstromung. Ich hoffe, dass die Diskussionen im Parlamentarischen Beirat dazu beitragen werden, den Forderungen der Kohlelobby eine Gegenposition für den schnellen Ausbau dezentraler Anlagen zur Erzeugung von Energie aus regenerativen Quellen entgegenzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Alternativen, zwischen denen es weltweit im Energiesektor zu entscheiden gilt, werden im Expertenbericht besonders kritisch gesehen. Ausdrücklich erwähnt wird im Bericht Fracking. Das finde ich sehr bemerkenswert, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung plant, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Fracking ermöglicht. Ich denke, der Bericht hat darauf eine klare Antwort gegeben. Eine nachhaltige Energiepolitik muss in den nächsten Jahren die Grundlagen für eine dezentrale Energieerzeugungs- und -verteilungsstruktur schaffen. Die bisherige Politik der Bundesregierung wird dem nicht gerecht. Die Entscheidungen der letzten Monate schreiben die zentralisierten Strukturen mit Großkraftwerken fort und müssen grundlegend verändert werden. Die Linke fordert die Stärkung dezentraler, demokratischer Strukturen in der Energieerzeugung. (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Damen und Herren, mit der Forderung an die Europäische Kommission, die europäische Nachhaltigkeitsstrategie fortzuschreiben, kann der Deutsche Bundestag dazu beitragen, die Fixierung der EU-Kommission auf die aus unserer Sicht falsche Ausrichtung der Strategie „Europa 2020“ zu verändern. Die Fraktion Die Linke sieht in der einseitigen Fixierung der EU-Kommission auf den Ausbau von transeuropäischen Netzen in der Verkehrspolitik, der Energiepolitik und der Infrastrukturpolitik eine falsche Entwicklung. Die Kommission setzt mit der Strategie „Europa 2020“ auf eine einseitige Wachstumsfixierung durch konventionelles Wirtschaftswachstum. Damit wird die EU-Kommission die Ziele zur Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase nicht erreichen – ebenso wenig wie einen Umbau der industrialisierten Agrarindustrie. Sehr geehrte Damen und Herren, die grundlegende Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens als zentrale Querschnittsaufgabe der Politik muss aber auch im Deutschen Bundestag verwirklicht und weiterentwickelt werden. Die dazu angestellten Überlegungen finden unsere ausdrückliche Unterstützung. Mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung ist eine erste Grundlage für die Verbesserung der Nachhaltigkeitspolitik im Deutschen Bundestag geschaffen worden; das begrüßen wir ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wie mir berichtet wurde – ich selber bin ja nicht Mitglied in diesem Beirat –, herrscht dort eine sehr kon-struktive Arbeitsatmosphäre. Der Versuch, trotz zum Teil sehr unterschiedlicher Politikvorstellungen gemeinsame Lösungen zur Stärkung des Nachhaltigkeitsgedankens voranzubringen, dürfte, auch für den Bundestag, etwas Besonderes sein. Insofern auch im Namen meiner Fraktion herzlichen Dank für die im Beirat geleistete Arbeit! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Carsten Träger, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat einigen Grund, auf seine Errungenschaften im Übergang zu einer nachhaltigeren Welt stolz zu sein. Das sage nicht ich, obwohl ich diese Auffassung durchaus teile; vielmehr stammt dieses Zitat von Björn Stigson, dem Vorsitzenden der internationalen Expertenkommission, die die Bundesregierung eingesetzt hat, um die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie zu begleiten. Dieses Zitat ist im Peer Review Sustainability – Made in Germany, den wir heute diskutieren, nachzulesen. Das Lob der Peers gilt einerseits den Ansätzen und Strukturen, die wir in Deutschland für nachhaltige Entwicklung haben, aber durchaus auch einzelnen politischen Themen. So nennen die Peers als ein zentrales Projekt der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland die Energiewende. In der Tat blickt die ganze Welt auf uns. Wir gehen hier in Sachen erneuerbare Energien voran. Der Peer Review stammt aus dem Jahr 2013. Darin fordern die Peers eine klare Koordination und Planung der Energiewende. Am Ende des Jahres 2014 können wir feststellen: Deutschland macht seine Hausaufgaben. Unser Wirtschafts- und Energieminister schultert dieses Vorhaben gerade. Er bringt Planungssicherheit und Rahmenbedingungen für einen geordneten Ausbau der erneuerbaren Energien zusammen. Das ist nicht einfach. Hier geht es nicht zuletzt um viel Geld. Aber eines möchte ich hier sagen: Sigmar Gabriel macht einen richtig guten Job. (Beifall bei der SPD) Deutschland kann auf die Energiewende stolz sein. Herr Kollege Zdebel, Sie haben Fracking angesprochen, dazu muss ich sagen: Die Peers reagieren schlicht und einfach deshalb nicht auf die Fracking-Gesetze der Bundesregierung, weil sie sich schon im Jahr 2013 geäußert haben. Sie haben es ja erwähnt, Herr Zdebel: Sie sind nicht Mitglied im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung; deswegen haben Sie an dessen Diskussionen nicht teilgenommen. Von daher ist Ihnen Ihre Anmerkung vielleicht nachzusehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Errungenschaft des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung, dass jedes Gesetz über seinen Tisch geht. Wir überprüfen, ob in den Vorlagen die sogenannten Indikatoren und Managementregeln berücksichtigt wurden – (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur formal!) eine wichtige Aufgabe des Parlamentarischen Beirats, aber es ist eine rein formale Prüfung, die wir da bisher vornehmen; gut, aber nicht gut genug. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Wenn wir das Prinzip der Nachhaltigkeit ins Bewusstsein rücken wollen, wenn wir Nachhaltigkeit immer mitdenken wollen, dann dürfen wir hier nicht stehen bleiben. Wir wollen hin zu einer inhaltlichen Prüfung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen wir mal, ob das gelingt!) Wir wollen uns einmischen. Einen Schritt in die richtige Richtung gehen wir in zwei Wochen. Auf Anregung der SPD und unseres zuständigen Kollegen im Umweltausschuss, Michael Thews, werden wir am 17. Dezember eine öffentliche Anhörung im Beirat zum Thema Produktverantwortung durchführen. Die Produktverantwortung ist Teil des Wertstoffgesetzes, das das parlamentarische Verfahren bald erreichen wird. Da stellen sich dann ganz zentrale Fragen: Wie können wir Anreize für Hersteller schaffen, schon beim Produktdesign Abfallvermeidung zu berücksichtigen und auch dort schon an die leichte und effiziente Recycelbarkeit zu denken? Wie kann dies durch Forschungsvorhaben oder gesetzliche Vorschriften unterstützt werden? Wie kann die Produktverantwortung insgesamt zu einem sinnvollen Steuerungselement der Ressourcenschonung werden? Hier kann und hier wird die Debatte im Parlamentarischen Beirat hoffentlich Impulse setzen. Sie alle sind zu der Anhörung natürlich herzlich eingeladen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an der Stelle aber auch kritisch sein. Das alles geht nicht oder jedenfalls nicht so gut, wie wir uns das wünschen, mit unserer bisherigen Ausstattung. Auch die Peers kamen zu dem Schluss, dass es dringend einer besseren personellen Ausstattung bedarf. Wir brauchen ein größeres Beiratssekretariat, damit es uns bei der Vorbereitung der Gesetzesprüfung unterstützen kann; genauso benötigen wir dringend Strukturen und Personal in den Fraktionen, die die Arbeit für die Nachhaltigkeit stärken. Meine Meinung ist, dass es nicht sein kann, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros neben all der Arbeit, die sie für uns zur Unterstützung in den regulären Ausschüssen leisten, für uns auch noch für die Berichterstattergruppen des Beirats arbeiten müssen; denn dies ist tatsächlich ein erheblicher Aufwand. Wie gesagt, wir beschäftigen uns mit sehr vielen Gesetzesvorlagen. Deshalb bitte ich darum, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen, um eine bessere Ausstattung zu erreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir es ernst meinen mit einer inhaltlichen Nachhaltigkeitsprüfung der Vorlagen, dann stoßen wir an Grenzen. Wenn wir es ernst meinen mit dem Koalitionsvertrag, in dem wir eine Stärkung des Parlamentarischen Beirats festgeschrieben haben, und wenn wir es ernst meinen mit all unseren Reden über die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit, dann brauchen wir diese bessere Ausstattung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, in dem wir uns im Beirat fraktionsübergreifend einig sind. In jeder Wahlperiode verliert der Beirat wertvolle Zeit, oft Monate, bis er wieder eingerichtet ist. Hier suchen wir gerade nach einem praktikablen Verfahren, wie man das besser machen kann. Meine Meinung – ich glaube, auch die der meisten Beiratsmitglieder – ist, dass wir den Beirat am besten verstetigen können, indem wir ihn in der Geschäftsordnung verankern. Ich hoffe, dass wir auch hier gute Diskussionen führen können und am Ende zu einem guten Ergebnis kommen. Ich glaube, dass dieser Weg lohnend ist. In meiner Vorstellung entwickelt sich der Parlamentarische Beirat zu einem Ort, an dem weitblickend angelegte Debatten zu wichtigen Fragen geführt werden können. Nachhaltige Politik ist eben mehr als Umweltpolitik im neuen Gewand; sie ist auch mehr als der berühmte Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Nachhaltigkeitspolitik, wie ich sie mir vorstelle, nimmt die langen Zeitschienen in den Blick. Genau hier sehe ich den Parlamentarischen Beirat als den Ort der Debatte und als Impulsgeber. Natürlich werden wir nicht für alle Fragen Lösungen liefern können; aber ich bin der Überzeugung, dass es dem deutschen Parlament gut anstehen würde, einen solchen Ort zu haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Deutschland hervorragende Ansätze, wie uns der Peer Review bescheinigt: eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, den Staatssekretärsausschuss mit seiner Verankerung im Bundeskanzleramt, den Rat für nachhaltige Entwicklung, der die Regierung berät. Aber wir als Parlament müssen noch etwas nachlegen; wir hinken da etwas hinterher. Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Schluss. Wenn ich mir die späte, die nächtliche Debattenzeit vor Augen führe, muss ich sagen: Das ist schon ein Hinweis darauf, dass das Thema Nachhaltigkeit noch nicht in der Mitte des Bundestags angekommen ist. Da gehört es aber hin. Ich wünsche mir zu Weihnachten, dass wir die nächste Debatte über dieses Thema zu einem früheren Zeitpunkt, vielleicht bei Tageslicht, führen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Da das schon das zweite Mal war, dass auf die Debattenzeit hingewiesen wurde, möchte ich nur darauf aufmerksam machen, dass sich alle diesbezüglich an ihre Parlamentarischen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen wenden; denn die bestimmen die Debattenzeit. Das macht nicht das Präsidium. Bitten Sie sie, dass beim nächsten Mal alle Themen morgens behandelt werden. Dann müssen wir sehen, wie wir das parallel hinbekommen; vielleicht klappt das ja. Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist jetzt Dr. Valerie Wilms. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können wir einfach mal mitklatschen! – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Valerie hat es verdient!) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben ja schon erwähnt: Wir reden heute über die erste Unterrichtung – so heißt es formal –, die der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung in dieser Legislaturperiode abliefert. Daran haben alle vier Fraktionen wirklich gleichberechtigt mitarbeiten können; da machen wir nicht diesen Mummenschanz zwischen Koalition und Opposition. Dafür herzlichen Dank! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Aber wenn ich mir die die Debatte anhöre, habe ich den Eindruck, dass wir hier eigentlich über unterschiedliche Sachen reden. Denn wenn ich mir den Peer-Review-Bericht anschaue, stelle ich fest: Da steht deutlich drin, dass Deutschland hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Das ist nämlich die bittere Kernbotschaft, die uns die Peers mitgegeben haben: Wir könnten deutlich mehr machen. – Gerade an der Situation bei der Energiewende machen die Peers diese Aussage fest. Da stimme ich ihnen – leider – voll zu. Da müssen wir deutlich nachlegen. Es gibt bislang keine Koordinierung im Hinblick auf das Zusammenspiel der verschiedenen Energieträger bis zur vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energien; das haben wir noch nicht geschafft. Wir müssen uns fragen: Wie viele CO2-Schleudern, also vor allem Braunkohlekraftwerke, sind wirklich noch nötig, und zwar heute und dann, wenn die Atomkraftwerke endlich abgeschaltet worden sind? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage ist doch, wie die Energieversorger, große wie kleine, ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln können. Dafür brauchen sie von uns eindeutige Vorgaben, und das dringend. Wir lassen es zu, dass der Strompreis an der Börse verfällt, und subventionieren dafür stromintensive Unternehmen. Hier ist mehr konzeptionelles Arbeiten dringend nötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Je besser wir die Energiewende durchplanen, umso besser können sich die Unternehmen darauf vorbereiten und ihre Mitarbeiter entsprechend qualifizieren. Eon zeigt durchaus, in welche Richtung das gehen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch einen Blick auf die Debatte um Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität werfen. – Vorher muss ich aber erst einmal einen Schluck trinken, um mich zu beruhigen. (Heiterkeit – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte keine Schlaftablette nehmen!) Diese Debatte kocht ja immer wieder hoch. In der letzten Wahlperiode hat eine Enquete-Kommission einen Vorschlag mit einer großen Menge an Wohlstandsindikatoren, Warnlampen und Hinweislampen vorgelegt; irgendwo hier im Bundestag sollte es eine entsprechende Installation geben. So sollte nämlich der Wachstumsindikator Bruttoinlandsprodukt ergänzt werden. Dabei wurde einfach ignoriert, dass es das schon längst gibt. Seit 2002 haben wir die nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Aber es macht ja immer mehr Spaß, neue Messsysteme auf weißes Papier zu schreiben, als sich darum zu kümmern, das alte Messsystem mit seinen 21 Indikatoren wie Flächenverbrauch, Artenvielfalt, Ressourceneffizienz anzuwenden und die notwendigen Ziele wirklich zu erreichen. Das, was nun im Bundeskanzleramt mit der Strategie „Gutes Leben“ geplant ist, scheint eher eine Strategie zur Ablenkung von diesen vorhandenen Nachhaltigkeitszielen zu sein, vor allem eine Ablenkung davon, dass die Entwicklungen im Hinblick auf viele Nachhaltigkeitsziele stagnieren oder sogar rückläufig sind, wie uns der Fortschrittsbericht und der Indikatorenbericht zeigen. Wir Politiker, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen ein lebenswertes Leben auf dieser Erde ermöglichen, nicht nur für alle, die heute hier leben, nein, auch für unsere Kinder und deren Kinder, und das nicht nur für uns in Deutschland. Dafür gibt es seit Rio 1992 die Agenda 21 und in Deutschland die Nachhaltigkeitsstrategie. Ab Herbst nächsten Jahres wird es sogar weltweite Nachhaltigkeitsziele geben: die SDGs. Da vergleichen wir nicht nur Zahlenreihen von Indikatoren und schauen auf irgendwelche blinkenden Lämpchen. Wir haben wirklich zu erreichende Ziele für die einzelnen Indikatoren festgelegt. Das steckt hinter unserer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die wir bislang, unabhängig von den Farben der Regierung, regelmäßig fortgeschrieben haben. Dazu müssen wir kein gutes Leben neu erfinden. Lassen Sie uns besser die Ziele unserer vorhandenen Nachhaltigkeitsstrategie ernsthaft operativ umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Fensterreden haben wir darüber schon genug gehalten. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Andreas Jung, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nicht auch noch eine Bemerkung zu der Uhrzeit, zu der diese Debatte stattfindet, machen und füge hinzu: Ich nehme es noch nicht einmal persönlich, dass der letzte Besucher gerade kurz vor meiner Rede die Tribüne verlassen hat, (Heiterkeit – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein kleines bisschen Selbstwertgefühl muss einfach sein, ja!) sondern ich möchte, im Gegenteil, sagen: Es ist gut, dass wir diese Debatte über Nachhaltigkeit noch im Parlament führen. Nachhaltigkeit ist eine Daueraufgabe, und das heißt, zu jeder Tages- und Nachtzeit. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hätten das auch noch um halb eins gemacht!) Das heißt auch, dass es notwendig ist, dass es hier im Deutschen Bundestag ein Gremium wie den Nachhaltigkeitsbeirat gibt, das sich dauernd dieser Aufgabe widmet. Deshalb möchte ich zu Beginn an den Kollegen Carsten Träger anschließen und sagen: Ja, es ist notwendig. Der Parlamentarische Beirat besteht jetzt zehn Jahre, und in dieser Dekade haben wir uns etabliert. Wir sind im parlamentarischen Betrieb nicht nur angekommen, sondern ich bin der Überzeugung: Der Nachhaltigkeitsbeirat ist überhaupt nicht mehr wegzudenken. Deshalb müssen die Fraktionen, müssen wir gemeinsam die Schlussfolgerungen daraus ziehen und den Nachhaltigkeitsbeirat verstetigen, ihn in der Geschäftsordnung verankern und damit klarmachen: Nachhaltigkeit bleibt Daueraufgabe, und der Nachhaltigkeitsbeirat wird sich im Deutschen Bundestag dauerhaft darum kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei allem – das zeigt auch der Peer-Review, dass wir einiges erreicht haben – ist auch wahr, dass wir noch große Aufgaben vor uns haben. 1992 – es wurde von Valerie Wilms angesprochen – fand die große Nachhaltigkeitskonferenz in Rio de Janeiro statt. Ich war noch auf der Schule, und mein Bundestagsabgeordneter war Hans-Peter Repnik. Er war stellvertretender Leiter der Delegation von Klaus Töpfer, und er bekommt heute noch leuchtende Augen, wenn er vom Geist von Rio berichtet. Damals hat man in der Tat gedacht, dass es gelingt, nachdem der Gegensatz zwischen Ost und West aufgebrochen war, die Nord-Süd-Probleme gemeinsam anzugehen und die Grundlagen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Wenn wir uns mehr als 20 Jahre danach fragen, was eigentlich erreicht worden ist, dann lautet die Antwort: Es ist bisher nicht gelungen, diesen Schwung von Rio mitzunehmen. Es ist bisher im weltweiten Maßstab beschämend wenig erreicht worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb freuen wir uns darüber, dass die Peers würdigen, dass Deutschland eine Vorreiterrolle für nachhaltige Politik einnimmt. Wir nehmen es ernst, dass diese Vorreiterrolle auch für die Zukunft eingefordert wird. Valerie Wilms hat ebenfalls bereits die internationalen Bemühungen angesprochen, zu weltweiten Nachhaltigkeitszielen in Weiterentwicklung der Millenniumsziele zu kommen. Das müssen wir erreichen. Hier muss Deutschland, hier muss sich Europa kraftvoll einbringen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir auf einem guten Weg!) Wir müssen jetzt fortführen und zum Erfolg bringen, was damals in Rio begonnen wurde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer, wenn nicht die Europäische Union, soll dabei der entscheidende Antreiber sein? Dabei sehen wir als Nachhaltigkeitsbeirat noch Entwicklungsbedarf. Wir werden Anfang des Jahres in Brüssel sein, dort Gespräche führen und dafür werben, dass die Nachhaltigkeitsstrategie der Europäischen Union kraftvoll fortgeschrieben wird. Wir bedauern, dass dies nicht selbstverständlich ist, und hoffen, dass unter dem jetzt zuständigen Vizepräsidenten Timmermans die richtigen Weichen gestellt werden können. Es ist notwendig. Europa muss hier eine drängende Rolle, eine Vorreiterrolle einnehmen. Das beginnt damit, dass in Europa selber eine kohärente Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Deutschland – das ist in der Debatte angesprochen worden; das zeigen uns die unterschiedlichen Berichte – haben wir in vielen Bereichen Fortschritte zu verzeichnen, aber es gibt eben auch noch Bereiche, in denen wir besser werden müssen. Der Nachhaltigkeitsbeirat hat sich vorgenommen, das Thema „nachhaltiges Wirtschaften“ in den Mittelpunkt der Arbeit der nächsten Jahre zu stellen. Da haben wir viel zu tun. Wir wollen auch den Blick darauf richten, was die Bundesregierung selbst macht. Wir haben erst gestern ein Papier zum Thema „nachhaltige Beschaffung“ beschlossen, in dem wir sagen: Wenn wir das wollen, dann muss auch für den Bundestag und die Bundesregierung (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch im Bundestag!) das Elektroauto bzw. das Ökoauto zum Standard werden, weil nur dann Elektroautos in der Breite gefahren werden, dann müssen wir auch unsere bundeseigenen Immobilien sanieren, dann müssen auch Bundesverwaltung und bundeseigene Unternehmen den Nachhaltigkeits-kodex unterschreiben und umsetzen, dann sind hier viele Aufgaben zu erledigen. Dafür wollen wir uns gemeinsam einsetzen. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Nachhaltigkeitsbeirat ist ein besonderes Gremium. Wir arbeiten, wie gesagt wurde, konstruktiv zusammen und in den allermeisten Fällen auch einvernehmlich. So werden wir noch einiges erreichen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3214 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden Drucksache 18/3125 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3125 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Dezember 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Schluss: 22.17 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 4.12.2014 Bleser, Peter CDU/CSU 4.12.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 4.12.2014 Freese, Ulrich SPD 4.12.2014 Freitag, Dagmar SPD 4.12.2014 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 4.12.2014 Gabriel, Sigmar SPD 4.12.2014 Jung, Xaver CDU/CSU 4.12.2014 Kermer, Marina SPD 4.12.2014 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 4.12.2014 Lenkert, Ralph DIE LINKE 4.12.2014 Liebich, Stefan DIE LINKE 4.12.2014 Lutze, Thomas DIE LINKE 4.12.2014 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 4.12.2014 Mortler, Marlene CDU/CSU 4.12.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 4.12.2014 Müntefering, Michelle SPD 4.12.2014 Roth (Heringen), Michael SPD 4.12.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4.12.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 4.12.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 4.12.2014 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 4.12.2014 Dr. Steinmeier, Frank-Walter SPD 4.12.2014 Tillmann, Antje CDU/CSU 4.12.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4.12.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 4.12.2014 Zollner, Gudrun CDU/CSU 4.12.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hubertus Heil (Peine) (SPD) zu den Abstimmungen über – den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und – den von den Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Tagesordnungspunkt 11) Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, greift ein tatsächliches Problem auf. Auch weil Messanlagen teuer sind und in der Vergangenheit bei anteiliger Direktvermarktung nicht die Notwendigkeit einer getrennten Messung gesehen wurde, wird in manchen Fällen die Stromerzeugung von mehreren Anlagen – zum Beispiel mehrerer Windräder in einem Windpark – über ein- und dieselbe Messeinrichtung gemessen. Dies entsprach der gängigen Praxis unter dem EEG 2012. Im EEG 2014 gibt es hierzu widersprüchliche Aussagen, die im Ergebnis dazu führen, dass eine anteilige Direktvermarktung nicht mehr zulässig ist, wenn der von einer Messeinrichtung gemessene Strom aus mehreren Anlagen stammt, von denen einige direkt vermarkten und andere die Einspeisevergütung erhalten. Der Anlagenbetreiber wird sanktioniert, indem er Vergütungsansprüche verliert. Dieses Ergebnis widerspricht der Gesetzesbegründung des EEG 2014. Daher sollte die bisherige Praxis wieder ermöglicht und eine anteilige Direktvermarktung über einen Zähler zugelassen werden. Dass ich dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimme, liegt zum einen an dem Umstand, dass der Gesetzentwurf rechtlich nicht ausgereift ist und zu Folgeproblemen führen könnte, und zum anderen daran, dass es bei unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, noch Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage der Rückwirkung gibt. Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner den Fehler korrigieren und zeitnah eine rechtssichere Lösung finden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Richard Pitterle und Halina Wawzyniak (beide DIE LINKE) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (Tagesordnungspunkt 20 a) Wir haben uns bei dem Antrag der Fraktion Die Linke „Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen“ enthalten. Ziel des Antrages ist es, die Möglichkeit der Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung gemäß § 371 AO abzuschaffen und Bagatelldelikte künftig als Ordnungswidrigkeiten zu behandeln. Wir halten Steuerhinterziehung für ein nicht zu entschuldigendes Delikt. Wer Steuern hinterzieht, entzieht sich der Verantwortung für die Gemeinschaft. Es ist deshalb richtig, die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung zu verschärfen. Es ist deshalb auch richtig, den zu zahlenden Geldbetrag beim Absehen von Strafe und dessen Staffelung nach § 398 a AO deutlich anzuheben sowie den Hinterziehungsbetrag, ab dem eine Straffreiheit nicht mehr möglich ist, von 50 000 Euro auf 25 000 Euro zu senken. Das findet unsere Zustimmung. Die ersatzlose Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige halten wir allerdings nicht für sinnvoll. Wir enthalten uns bei dem Antrag der Linken deshalb, weil wir der Meinung sind, dass eine Ausweitung der strafbefreienden Anzeige auf andere Bereiche ausgedehnt werden sollte. Es könnte dann ein Mensch, der zum Beispiel einen Diebstahl, eine Sachbeschädigung begangen hat, oder jemand, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, soweit er noch nicht als Täter entdeckt wurde, sich durch eine Selbstanzeige von der Strafbarkeit befreien. Dies würde zur Entkriminalisierung beitragen und die Gerichte entlasten. Außerdem kennt das Strafrecht in einigen Bereichen die sogenannte tätige Reue. Der Abschaffung der Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige hätten wir dann zustimmen können, wenn zumindest die Möglichkeit der tätigen Reue an ihre Stelle getreten wäre. Dies würde keine zwingende Straffreiheit bedeuten, sondern hätte lediglich dem Gericht im Rahmen einer Ermessensentscheidung die Möglichkeit gegeben, die Strafe im konkreten Einzelfall zu mildern oder von der Strafe abzusehen. Die tätige Reue gibt es beispielsweise über den § 314 a Absatz 2 Nummer 2 d StGB auch für das Freisetzen ionisierender Strahlen (§ 311 StGB). Dieser Straftatbestand stellt unter Strafe, wenn jemand unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten ionisierende Strahlen freisetzt oder Kernspaltungsvorgänge bewirkt, die unter anderem geeignet sind, Leib oder Leben eines anderen Menschen zu schädigen. Wir halten es für unverhältnismäßig, bei Gefährdung von Leib und Leben die tätige Reue zu ermöglichen, bei der Hinterziehung von Steuern hingegen nicht. Sinnvoll ist es aus unserer Sicht, dafür zu sorgen, dass tatsächlich Steuern gezahlt werden. Die Linke hat deshalb in der 17. Wahlperiode die Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanzermittlungsbehörde (vergleiche http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/127/1712708.pdf) gefordert. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustandes (Tagesordnungspunkt 16) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Um den Schutz vor Diskriminierungen im Sinne des Artikels 3 des Grundgesetzes zu verbessern, hatte die Große Koalition in der 16. Wahlperiode das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beschlossen. Dank des AGG wurden und werden Diskriminierungen erfolgreich beseitigt und verringert. Dies erkennt auch die Linksfraktion an, die dem Gesetz damals nicht zugestimmt hatte. Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist ein modifizierter Antrag der Linksfraktion aus der letzten Wahlperiode. Sein Ziel ist die Aufnahme chronischer Erkrankungen als Diskriminierungsmerkmal ins AGG. Damit soll „klargestellt“ werden, dass auch chronisch kranke Menschen durch das AGG geschützt werden. Begründet wird die angestrebte Änderung des Gesetzes im Wesentlichen mit der Kündigungsschutzklage eines an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankten Klägers gegen ein Pharmaunternehmen. Diese sei in den ersten beiden Instanzen erfolglos und erst vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgreich gewesen. Was war der Sachverhalt? Ein Pharmaunternehmen, das intravenös zu verabreichende Arzneimittel herstellt, hatte den Kläger für eine Tätigkeit in einem Reinraum eingestellt. Wenige Tage nach Arbeitsbeginn hatte der Kläger den Betriebsarzt auf seine HIV-Infektion hingewiesen. Der Betriebsarzt hatte Bedenken gegen den Einsatz des Klägers im Reinraum. Daraufhin kündigte das Pharmaunternehmen den Arbeitsvertrag unter Berufung auf seine Standard Operating Procedures. Nach diesen betriebsinternen Regeln sei die Beschäftigung von Mitarbeitern mit ansteckenden Krankheiten im Reinraum verboten. Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landes-arbeitsgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zurückverwiesen, denn das Instanzgericht habe insbesondere nicht geprüft, ob das beklagte Pharmaunternehmen durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Tatsächlich wäre eine unterschiedliche Behandlung aufgrund beruflicher Anforderungen unter den Voraussetzungen des § 8 Absatz 1 AGG zulässig. Dies ist dann der Fall, wenn der Diskriminierungsgrund gerade wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt und sowohl der Zweck rechtmäßig als auch die Anforderungen angemessen sind. Vom Bundesarbeitsgericht wurde entschieden, dass eine symptomlose HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des AGG zur Folge hat. Eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG liegt nach BAG vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren – die Teilhabe an der Gesellschaft, einschließlich der Teilhabe am Berufsleben, substanziell beeinträchtigt sein kann (sogenannter bio-psycho-sozialer Behindertenbegriff). Eine symptomlose HIV-Infektion sei eine Behinderung in diesem Sinne, denn eine solche Infektion führe zu einer chronischen Erkrankung, die sich auf die Teilhabe des Arbeitnehmers an der Gesellschaft auswirke. Das gelte so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende -soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern. Aus den Ausführungen des BAG kann man den Schluss ziehen, dass künftig grundsätzlich jedwede chronische Erkrankung eine Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sein kann. Dies gilt grundsätzlich sogar für weitverbreitete Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose, Rheuma oder Depressionen, an denen laut BAG etwa 40 Prozent der Deutschen leiden. Im Zeitpunkt, als die Linke in der letzten WP den Vorgängerantrag gestellt hatte, lag das BAG-Urteil noch nicht vor. Insofern war der Vorschlag grundsätzlich nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund des jetzt vorliegenden BAG--Urteils werden wir uns im Ausschuss mit der Frage befassen müssen, ob die ausdrückliche Aufnahme von chronischen Krankheiten in den Katalog der in § 1 AGG aufgezählten Gründe zur Klarstellung grundsätzlich sinnvoll und erforderlich ist. Unabhängig davon ist der Gesetzentwurf der Linken – ebenso wie der damalige Antrag – unzureichend, denn er definiert den Begriff der chronischen Erkrankung nicht. Diese Abgrenzungsfrage, welche Krankheiten „chronische Erkrankungen“ im Sinne des Gesetzes sind, muss für den Anwendungsbereich aber klar beantwortet werden, zumal es eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen und unterschiedliche Definitionen hierfür gibt. Die in Artikel 2 des Gesetzentwurfs vorgeschlagene Änderung des Gesetzes über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten und ihre Begründung überzeugt nicht. Die Behauptung, behinderte Soldatinnen und Soldaten seien „gänzlich schutzlos“ gestellt, ist schlicht falsch. Es liegt auch keine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Sowohl mit dem AGG als auch mit dem SoldGG wurden EU-Richtlinien zur Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes umgesetzt. Ebenso wie andere Staaten auch haben wir in Deutschland aus militärischen Gründen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Richtlinie hinsichtlich von Diskriminierungen wegen einer Behinderung nicht für die Streitkräfte der Bundeswehr umzusetzen. Aufgrund des Erfordernisses der Einsatzbereitschaft und der Schlagkraft der Streitkräfte ist es gerechtfertigt, dass die Streitkräfte keine Personen einstellen oder weiterbeschäftigen müssen, die hinsichtlich ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, die jeweiligen Anforderungen an sämtliche ihnen zu stellende militärische Aufgaben zu erfüllen. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist Deutschland seiner Verpflichtung nachgekommen, vier Richtlinien der Europäischen Union umzusetzen, die den Schutz vor Diskriminierung regeln. Daraufhin trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, am 14. August 2006 in Kraft. Mit dem Gesetzentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustands“ fordert die Opposition nun, das Tatbestandsmerkmal „Gesundheitszustand“ in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen, da andernfalls eine Schutzlücke für chronisch kranke Menschen und Menschen mit Pflegebedarf bestünde. So heißt es in § 1 AGG: Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Bereits in der letzten Wahlperiode ist ein gleichlautender Antrag von der Fraktion Die Linke – Drucksache 17/9563,17/13765 – mit gleicher Forderung eingebracht worden. Dieser wurde mit guten Argumenten abgelehnt. Seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, BAG, mit Urteil vom 19. Dezember 2013 – Az. 6 AZR 190/12 – ist der vorgelegte Gesetzentwurf darüber hinaus obsolet. Denn chronische Erkrankungen können seither unter das Tatbestandsmerkmal „Behinderung“ subsumiert werden. Gegenstand der Entscheidung des 6. Senats war die Wirksamkeit einer sogenannten Wartezeitkündigung. Der an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankte Arbeitnehmer wurde von der Beklagten, einem Pharmaunternehmen, das intravenös zu verabreichende Arzneimittel zur Krebsbehandlung herstellt, als chemisch-technischer Assistent für eine Tätigkeit im sogenannten Reinraumbereich eingestellt. Bei einer Einstellungsuntersuchung wenige Tage nach Arbeitsbeginn wies der Arbeitnehmer den Betriebsarzt auf seine Infektion hin. Dieser äußerte Bedenken gegen einen Einsatz des Arbeitnehmers im Reinraum und informierte die Arbeitgeberin, nach Entbindung von seiner Schweigepflicht, über die Infektion des Arbeitnehmers. Die Arbeitgeberin kündigte noch am selben Tag ordentlich und berief sich auf ihr internes Regelwerk, das eine Beschäftigung von Mitarbeitern mit ansteckenden Krankheiten im Reinraum verbiete. Dieses Regelwerk geht auf Leitlinien der EU-Kommission über eine „gute Herstellungspraxis“ zurück und sieht unter anderem vor, dass Vorkehrungen getroffen werden sollten, „die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist“. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und machte eine Entschädigung geltend. Da seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei, sah er sich durch die Kündigung wegen seiner Behinderung diskriminiert. Auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Krankheitsmerkmale sei ein risiko- und gefahrloser Einsatz des Arbeitnehmers im Reinraumbereich möglich gewesen. Das BAG führt dazu aus, dass die Kündigung des Arbeitnehmers unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen sei. § 2 Absatz 4 AGG stehe dem nicht entgegen, da diese Vorschrift nur das Verhältnis zwischen dem AGG und speziell auf Kündigungen zugeschnittener Vorschriften wie insbesondere dem KSchG regele. Die -symptomlose HIV-Infektion des Arbeitnehmers stelle als chronische Krankheit eine Behinderung im Sinne des AGG dar. Dies gelte jedenfalls, wenn und soweit das auf solche Infektionen zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauerten und eine gesellschaftliche Partizipation der HIV-Infizierten damit unmöglich gemacht würde. Der Gesetzentwurf ist demnach folgerichtig abzulehnen. Denn im Ergebnis steht fest, dass Behinderungen im Sinne des AGG grundsätzlich auch chronische Krankheiten sind, sofern die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt. Es besteht keine Regelungslücke und für die von der Opposition genannte Personengruppe ein gesetzlicher Diskriminierungsschutz. Das begrüßen wir ausdrücklich, denn mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland – also rund 27 Millionen Menschen – leiden an einer oder an mehreren chronischen Erkrankungen, und die Zahl der Betroffenen nimmt immer weiter zu. Dr. Matthias Bartke (SPD): Am Montag dieser Woche war Welt-Aids-Tag. Seit 1988 wird er jedes Jahr am 1. Dezember begangen. Die rote Schleife ist eines der sichtbarsten Zeichen an diesem Tag. Sie ist ein Zeichen für Toleranz und Solidarität mit den Menschen, die von HIV oder Aids betroffen sind. In diesem Jahr gibt es außerdem eine Schwerpunktkampagne unter dem Motto „Positiv zusammen leben“. Es geht dabei um Gewissensfragen. Was würdest du zu einem HIV-positiven Bäcker sagen? Dürfte dein Kind mit HIV-positiven Kindern spielen? Würdest du mit einem HIV-positiven Kollegen in die Kantine gehen? Vertrauen wir auf unser Wissen um HIV und Aids, wenn es darauf ankommt? Oder ist die Angst größer? Im Sommer veröffentlichte die Deutsche Aids-Hilfe eine Studie zur Diskriminierung von Menschen mit HIV. Mehr als drei Viertel aller Befragten gaben an, solche Erfahrungen im letzten Jahr gemacht zu haben. Das ging von Gerede über Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen. Bei diesem Ergebnis verwundert es nicht, dass Berater und Experten einen neuen Trend zum Verschweigen und Verstecken von HIV-Infektionen beobachten. Umso wichtiger ist die Aufklärung! Meine Damen und Herren von der Linken, ich gehe hier deshalb so umfänglich auf HIV und Aids ein, weil Sie in Ihrem Antrag einen HIV-infizierten Chemielaboranten zum Beispielfall machen. Diesem Laboranten wurde gekündigt, als der Arbeitgeber von der Infektion erfuhr. In der letzten Legislaturperiode haben Sie einen ähnlichen Gesetzentwurf wie den heutigen vorgelegt. Schon in diesem war der Chemielaborant Ausgangspunkt Ihrer Forderungen. Zum Zeitpunkt Ihres damaligen Antrags lagen nur die Gerichtsurteile des Berliner Arbeitsgerichts und des Berliner Landesarbeitsgerichts vor. Diese bestätigten beide die Kündigung. Das ist unter den gegebenen Umständen ein Unding. Das Bundes-arbeitsgericht aber hat die Kündigung bereits vor etwa einem Jahr für rechtswidrig erklärt. Ich frage mich wirklich, ob Sie das Urteil gelesen haben. Das Urteil nämlich nimmt der Kündigung zwar definitiv nichts an Brisanz. Es begründet aber auch sicher nicht die Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals Gesundheitszustand. Das Landesarbeitsgericht hat eben nicht festgestellt, ob der Kläger behindert ist, sondern dies ausdrücklich offen gelassen. Dem Chemielaborant war durch das zuständige Versorgungsamt aber ein GdB von 10 zuerkannt worden. Das ist der geringste GdB, den es gibt. Doch das spielt keine Rolle: Auch mit diesem geringen GdB war der Chemielaborant selbstverständlich behindert und fiel unter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG. Bei der Kündigung handelte es sich also klar um eine Ungleichbehandlung, auch wenn nach einem scheinbar objektiven Kriterium entschieden wurde. Kurz und gut: Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung bestätigt, obwohl ein Diskriminierungsmerkmal des AGG vorlag. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Urteil daher zu Recht aufgehoben. An diesem Beispielfall soll aber nicht entschieden werden, ob die Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals Gesundheitszustand unsere Ablehnung oder Zustimmung erfährt. Zumal es bei chronischen Krankheiten nicht nur um HIV und Aids geht. Es geht auch um Diabetes, Krebs und Adipositas, es geht um Hautkrankheiten oder psychische Erkrankungen. Dennoch wirft der Fall eine sehr wichtige Frage auf. Das ist die Frage: Wird chronische Erkrankung von Behinderung erfasst? Nicht jeder chronisch kranke Mensch gilt heute als behindert. Schon gar nicht gilt der Umkehrschluss, dass jeder Behinderte chronisch krank ist. Und es ist auch nicht so, dass jede chronische Erkrankung einen besonderen, besseren Schutz nötig macht. Ob Menschen mit chronischen Krankheiten unter den Schutz des AGG fallen, hängt heute davon ab, ob ihre Erkrankung als Behinderung gilt. Sie sind also nicht grundsätzlich vom AGG ausgeschlossen Im AGG sind chronische Erkrankungen erfasst, wenn sie zu Behinderungen werden. Das ist keineswegs erst dann der Fall, wenn eine Schwerbehinderung mit einem GdB von mindestens 50 vorliegt. Eine Behinderung liegt dann vor, wenn die körperliche Funktion, die geistige Fähigkeit oder die seelische Gesundheit eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. So steht es im SGB IX. Und von diesem Behinderungsbegriff sind die allermeisten chronisch kranken Menschen erfasst. Ich habe einige Zeit das Hamburger Versorgungsamt geleitet und weiß, wovon ich spreche. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen dieser Behinderungsbegriff in Bezug auf chronische Erkrankungen an seine Grenzen stößt. Das ist dann der Fall, wenn mit der chronischen Erkrankung eine relativ geringe Funktionsbeeinträchtigung einhergeht, die Erkrankung selbst aber in der Gesellschaft besonders stark stigmatisiert wird. Auch diese Betroffenen müssen vor Diskriminierung geschützt werden. Diesen Schutz gilt es zu verankern, und der Weg dafür ist schon vorgegeben: Es geht uns um eine Weiterentwicklung des Behinderungsbegriffs im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Danach folgt das AGG einem sozialen Modell und erfasst chronische Krankheiten immer dann, wenn sie zu elementaren Teilhabestörungen führen. In diesen Fällen fallen sie grundsätzlich unter den Behinderungsbegriff und werden damit durch das jetzige AGG voll erfasst. Das AGG ist die Grundlage, um allen Menschen in Deutschland Schutz vor Diskriminierung zu bieten. Für eine echte Kultur der Nichtdiskriminierung – im Alltag und in unseren Köpfen – ist Aufklärung notwendig. Unser Ziel muss am Ende sein: Gewissensfragen sollen von allen in der Gesellschaft im Sinne von Solidarität und Toleranz beantwortet werden. Ohne Unterscheidung zwischen Behinderung und chronischer Erkrankung! Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Meine Fraktion hat Ihnen den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen vorgelegt. Der letzte Auslöser dafür war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Zusammenhang mit der Kündigung gegen einen HIV-infizierten Chemielaboranten. Diesem jungen Mann war aufgrund seiner HIV-Infektion gekündigt worden, nachdem sein Arbeitgeber von der Infektion erfahren hatte. Als er gegen diese Kündigung klagte, verlor er sowohl in der ersten Instanz vor dem Berliner Arbeitsgericht als auch in der zweiten Instanz vor dem Berliner Landesarbeitsgericht. Erst das Bundesarbeitsgericht erklärte die Kündigung für rechtswidrig. Schicksale wie dieses könnte ich Ihnen ohne Unterbrechung darlegen. In meiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei einer der Brandenburger Aids-Hilfen ist mir beispielsweise ein Mann – ich nenne ihn hier einmal R. – begegnet, der in einem sehr großen, ehemals öffentlichen Unternehmen arbeitet. Auf einer Betriebsfeier rutschte ihm im leicht angeheiterten Zustand vor den Kollegen heraus, dass er HIV-positiv sei. Er selbst hatte sein diesbezügliches Test-Ergebnis erst wenige Tage vorher erfahren. Deshalb war er noch in einer Art seelischen Ausnahmezustands. Von diesem Moment an war plötzlich nichts mehr wie vorher. Seine Kollegen – und ich benutze bewusst die männliche Form – behandelten ihn von einer Sekunde auf die andere, als ob er plötzlich ein Monster geworden wäre. Sie weigerten sich beispielsweise, gemeinsam mit ihm noch dasselbe Diensttelefon zu benutzen. Andere Kollegen lehnten es ab, von ihm gefahren zu werden. Die absurdesten Dinge passierten. Die Wochen nach diesem eher unfreiwilligen Coming-out waren für R. die Hölle. Er wurde schwer depressiv und war lange krankgeschrieben. Es drohte eine Kündigung aufgrund dieser langen gesundheitsbedingten Ausfallzeiten und Krankschreibungen. Glücklicherweise gelang es uns seitens der Aids-Hilfe, im Unternehmen Personalräte zu finden, die sich für den Kollegen einsetzten. So konnten wir gemeinsam eine Kündigung verhindern. R. wurde versetzt und in einem anderen -Betriebsteil eingesetzt. Das war in dem großen Unternehmen glücklicherweise möglich. In einem kleinen Unternehmen hätte es mit Sicherheit keine derartige Chance der Konfliktdämpfung gegeben. Sein altes Team weigert sich bis heute trotz Aufklärung und Gespräch strikt, weiter mit R. zu arbeiten. Nun ist mir natürlich bewusst, dass sich durch ein Gesetz an dieser Haltung der Kollegen gar nichts ändern würde. Und die aktuelle Kampagne der Deutschen Aids-Hilfe und der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung machen deutlich, wie wichtig es ist, Verhalten und Einstellung zu hinterfragen. Denn genau darum geht es: Würde ich mit einem HIV-positiven Kollegen mitfahren? Na klar, warum denn nicht? Wenn er pünktlich ist? Aber rechtlich wäre R. erheblich besser vor Diskriminierung und Mobbing geschützt als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Und dies müssen wir erreichen und sicherstellen, auch ohne dass ein Bundesarbeitsgericht erst durch entsprechende Rechtsprechung dafür sorgt, dass vorherige Kündigungen oder andere Diskriminierungen für rechtswidrig erklärt werden. Wenn eine Kündigung oder Diskriminierung aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder einer chronischen Krankheit rechtswidrig ist, dann kann und sollte dies auch in dem Gesetz klar und deutlich benannt und geregelt werden, das dieser Bundestag zum Schutz vor Diskriminierungen beschlossen hat – dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, AGG. Nicht mehr, aber auch nicht weniger schlagen wir Ihnen heute vor und werben um Ihre Zustimmung dafür. Im Übrigen haben wir damit auch eine Forderung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufgegriffen, die seit ihrem Bestehen darauf hinweist, dass chronische Erkrankungen ebenso wie Behinderung ausdrücklich im AGG benannt werden sollten. Und wenn die Bundesrepublik es ernst meint mit der Anerkennung der UN-Behindertenrechtskonvention, wie sie es mit ihrer Unterschrift bekundet hat, dann muss sie sich auch von ihrem bisher eingeschränkten Behindertenbegriff verabschieden. Denn in dieser UN-Behindertenkonvention heißt es: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Dieser Begriff hätte im AGG benutzt werden müssen. Am vergangenen Montag war Welt-Aids-Tag. Eine Gruppe Abgeordneter aus allen Fraktionen dieses Hauses hat gemeinsam mit der Berliner Aids-Hilfe Spendengelder gesammelt und Rote Schleifen als Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen verteilt. Das ist ein starkes politisches Signal: Menschen mit HIV und Aids sind uns hier nicht egal. Und es gibt in allen Fraktionen Verbündete in Sachen Solidarität. Das ist gut so! Es wäre zu wünschen, dass diese Gemeinsamkeit in der tätigen Solidarität auch zu einer Gemeinsamkeit in der konkreten politischen Unterstützung für Menschen mit chronischer Krankheit oder gesundheitlicher Beeinträchtigung – für Menschen mit HIV und Aids – führen könnte. Angesichts der Tatsache, dass es in anderen Mitgliedsländern der EU – in Belgien, Finnland, Frankreich, Lettland, Slowenien, Tschechien und Ungarn – einen gesetzlichen Diskriminierungsschutz gibt, der auch den Schutz vor Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustandes ausdrücklich benennt, sollten wir sofort -aktiv werden und handeln. Auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO empfiehlt dies ausdrücklich. Großbritannien benennt HIV als chronische Krankheit. Und Rumänien und Holland benennen chronische Krankheiten als eigenes Diskriminierungsmerkmal. Wie man es also dreht und wendet, eine Verbesserung des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes ist für chronisch Kranke und Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung mehr als überfällig. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum Wochenanfang warnte Manuel Izdebski von der Deutschen Aids-Hilfe, dass Diskriminierung heute das wichtigste Thema sei, wenn wir von HIV und Aids sprechen. Ihm sei es wichtig, deutlich zu machen, dass man heute auch mit HIV ein langes und erfülltes Leben führen kann. Diskriminierung mache dagegen das Leben schwer und könne tödlich sein. Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion haben mit ihrem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes gegen Diskriminierungen aufgrund des Gesundheitszustands ein richtiges Problem erkannt, da es auch HIV-positive Menschen einschließt. Der Diskriminierungsschutz für chronisch erkrankte Menschen muss verbessert werden; das sehen Bündnis 90/Die Grünen genauso. Leider ist der vorliegende Gesetzentwurf aber dringend überarbeitungsbedürftig. Nachdem die EU dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beigetreten war, hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg im April 2013 den Begriff der Behinderung im Sinne des AGG neu definiert. Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht Ende 2013 angeschlossen. Danach stellt eine heilbare oder unheilbare Krankheit eine Behinderung dar, wenn sie die Betroffenen an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindert und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist. Mit Blick auf die Werbekampagnen für mehr Akzeptanz von HIV-positiven Menschen in dieser Woche, die mit dem Welt-Aids-Tag begann, ein richtiger Punkt. Das AGG enthält Lücken, die geschlossen werden müssen. Das haben die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion erkannt. Ihr Gesetzentwurf ist zweifelsohne gut gemeint. Leider aber ist er schlecht gemacht. Er führt in das Antidiskriminierungsrecht drei unterschiedliche Begriffe ein. Während im Zivilrecht Benachteiligung wegen „des Gesundheitszustands“ unzulässig sein sollte, schlagen die Linken vor, im Arbeitsrecht die Benachteiligung wegen einer „chronischen Erkrankung“ zu verbieten, und im Gesetz über Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten wird zusätzlich der Begriff der „gesundheitlichen Beeinträchtigung“ benutzt. Ob das ein Versehen war oder nicht und welche Absicht dahintersteckt, kann man leider der Begründung nicht entnehmen, die fälschlicherweise stets von „Folgeänderungen“ spricht. Eine Linie in einheitlichen Begrifflichkeiten fehlt völlig. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist ein Erfolg der langjährigen Arbeit der grünen Bundestagsfraktion, die unter Rot-Grün die Einführung und Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien vorangetrieben hat. Wegen der vorgezogenen Wahlen 2005 ist das Gesetz erst unter Schwarz-Rot und in einer leider verwässerten Version verabschiedet worden. Das AGG hat nicht nur die Rechte der Betroffenen, die Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erfahren haben, gestärkt. Vielmehr hat das Gesetz eine Antidiskriminierungskultur in deutschen Unternehmen etabliert. Dennoch bleibt noch einiges zu tun. Außer der Verbesserung des Diskriminierungsschutzes müssen folgende Punkte noch umgesetzt werden: Wir fordern die Einführung des Klagerechts für Antidiskriminierungsverbände. Wir müssen Sanktionen verschärfen, damit sie – wie in der europäischen Vorgabe vorgesehen – „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind, und wir müssen die Fristen für Geltendmachung der Ansprüche aus dem AGG verlängern. Außerdem sollten wir die Chance nutzen und über die Aufnahme weiterer Diskriminierungsmerkmale nachdenken, beispielsweise beim Familienstand und der Kinderzahl, was beides jeweils zum Nachteil im Bewerbungsverfahren ausgelegt werden kann und zweifelsohne dann eine Diskriminierung darstellen würde. Last, not least muss die Ausnahmeklausel der Kirchen explizit nur auf den Kernbereich der Glaubensverkündung beschränkt werden. Wir sind beim Antidiskriminierungsschutz auf halber Strecke stehen geblieben. Es ist Zeit für einen neuen Schwung. Für ein Berichterstattergespräch stehen wir gerne zur Verfügung. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Leistungsschutzrechtsaufhebungsgesetz – LSR-AufhG) (Tagesordnungspunkt 18) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Derzeit ist einer der meistdiskutierten Beiträge zum breiten Themenkomplex Google der Gastbeitrag von Jeff Jarvis in der Zeit. Lassen Sie mich daraus ein Zitat herausgreifen: „So sehr Dr. Döpfner Google auch fürchten mag: Erstaunlicherweise verhält sich gerade Google oft wie ein scheues, verschrecktes Tier.“ Erstaunlich, dass Google, dessen Suchmaschine allein in Deutschland bereits einen Marktanteil von rund 96 Prozent erreicht, von Herrn Jarvis hier als „scheu“ und „verschreckt“ charakterisiert wird. Vor zwei Jahren, als die Einführung eines Leistungsschutzrechts für die Presseverlage heiß diskutiert und vom Bundestag beschlossen wurde, war ich mitten im Geschehen, und ich muss sagen, dass mir in dieser Debatte keiner der Beteiligten als verhalten, scheu oder vorsichtig begegnet ist – nicht die Verlage, am allerwenigsten jedoch Google selbst. Um noch eine Bemerkung zu dem zitierten Beitrag von Jeff Jarvis anzufügen: Es ist erstaunlich, wie wenig er Politikern und ihrem Einfluss offenbar zutraut. Die Resolution des Europäischen Parlaments, die in der vergangenen Woche verabschiedet wurde, hat zwar keine bindende Funktion, wie mehrfach betont wurde. Dennoch zeigt die Debatte um und über diese Resolution, dass Parlamentarier als demokratisch legitimierte Entscheider Akzente setzen, Debatten anstoßen und Entscheidungslinien für ihre jeweilige Exekutive vorzeichnen können. Die Debatte über die Marktmacht von Google ist jedoch nur die eine Seite. Die andere Seite betrifft das Urheberrecht und damit den Schutz geistigen Eigentums allgemein. Bei der Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage, das im August vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, ging es eben gerade nicht um ein Gesetz zur Regulierung eines einzelnen Unternehmens. Vielmehr ging es uns darum, für den Bereich der Presse einen ordnungspolitischen Rahmen im Internet herzustellen. Mit diesem Gesetz haben wir eine seinerzeit bestehende Schutzlücke im Urheberrecht geschlossen und die technisch-organisatorischen Leistungen der Presseverleger auch für den digitalen Markt anerkannt. Leistungsschutzrechte sind dabei keineswegs eine Neuerfindung, sondern fast so alt wie das Urheberrecht selbst. Die ordnungspolitische Rahmensetzung haben wir also mit der Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage begonnen. Vor allem war auch Kern des Gesetzes, was derzeit Gegenstand der eher kartellrechtlichen Debatten ist: ein Gleichgewicht zwischen Beteiligten eines Marktes herzustellen, der bislang weitestgehend unreguliert ist. Die parlamentarische Opposition schlägt im vorliegenden Gesetzentwurf nunmehr die Aufhebung des genannten Gesetzes vor. Detailliert wird in der Problembeschreibung der bisherige Verlauf der Entwicklungen seit dem Inkrafttreten des Gesetzes beschrieben. Genau darin liegt das Problem des Gesetzentwurfs: Nicht nur das Urheberrecht, sondern jedwede abstrakt-generelle gesetzliche Regelung besteht seit jeher auch aus unbestimmten Rechtsbegriffen, die üblicherweise durch die Rechtsprechung ausgelegt und konturiert werden. Insofern läuft derzeit das vollkommen übliche Verfahren: dass die Wahrnehmung und Durchsetzung der Leistungsschutzrechte einer Verwertungsgesellschaft übertragen wurden und diese dem Deutschen Patent- und Markenamt einen aufgestellten Tarif zur Prüfung vorgelegt hat. Auch das zivilrechtliche Vorgehen der VG Media bei der Schiedsstelle des Patent- und Markenamts ist daher nicht unüblich. Und wahrscheinlich wird nach der Schiedsstellenentscheidung auch der gesamte weitere zivilrechtliche Instanzenweg ausgeschöpft werden. Insofern hat die Wahrnehmung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage gerade erst begonnen. Da das Recht bisher nicht durchgesetzt werden konnte, können weder zulässige Snippetlängen benannt noch Urheber an zu erwartenden Einnahmen beteiligt werden. Schließen möchte ich ebenfalls mit einem Zitat, und zwar aus dem vorliegenden Gesetzentwurf: Es sei „nach wie vor nicht nachvollziehbar, was genau geschützt werden soll und weshalb“. Zu diesen Fragen ist zu empfehlen, den Text des Urheberrechtsgesetzes, namentlich den § 87 f, nachzulesen. Im Übrigen füllen sich die Ergebnislisten von Suchmaschinen, anders als es der Gesetzentwurf annimmt, nicht von selbst. Hinter griffigen Überschriften sowie Interesse weckenden Textanreißern stecken die geistigen Leistungen von Redakteurinnen und Redakteuren ebenso wie die technisch-organisatorischen Leistungen der Verlage, die die Inhalte auf ihren Internetseiten entsprechend aufbereiten. Daher stehen wir nach wie vor zur Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage und werden die weiteren Entwicklungen der Wahrnehmung und Durchsetzung des Gesetzes mit großem Interesse verfolgen. Michael Frieser (CDU/CSU): Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger hat uns bereits intensiv in der vergangenen Legislaturperiode beschäftigt, und offensichtlich können die Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen gar nicht genug davon bekommen. Schließlich haben sie seit Beginn der neuen Legislaturperiode schon wieder mehrere Anfragen zu diesem Thema an die Bundesregierung gestellt. Ein weiterer Beweis für ihre Ungeduld ist der heute zu debattierende Antrag, der eine Abschaffung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger beinhaltet. Dabei sind seit dem Inkrafttreten gerade einmal 16 Monate vergangen. Nach der intensiven Diskussion vor der Verabschiedung des Leistungsschutzrechts in der vergangenen Legislaturperiode war zudem allen Beteiligten klar, dass es nicht bereits mit dem oder unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu schnellen Lizenzverträgen zwischen den Presseverlegern und den Nutzern ihrer Angebote kommen würde. Schließlich mussten sich beide Seiten zunächst auf den neu geschaffenen Rechtsrahmen einstellen und orientieren. Dies haben sie – im Gegensatz zu der Darstellung in Ihrem Antrag – auch gemacht. Mehrere große Verlage haben sich in der VG Media zusammengeschlossen, um zukünftig ihr vom Gesetzgeber zugewiesenes Recht gegenüber Nutzern ihrer Erzeugnisse geltend machen zu können. In der Folge hat die VG Media im Juni 2014 nach den Vorgaben des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes einen Tarif über die Vergütung für die öffentliche Zugänglichmachung von Ausschnitten aus Onlinepresseerzeugnissen zu gewerblichen Zwecken gemäß § 87 f Absatz 1 Satz 1 UrhG veröffentlicht und diesem dem Deutschen Patent- und Markenamt zur Prüfung vorgelegt. So wie dies in der Vergangenheit übrigens auch andere Verwertungsgesellschaften – wie beispielsweise die VG Wort oder die GEMA – in vergleichbaren Situationen bereits gemacht haben. Der Tarif liegt seitdem der Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften beim Deutschen Patent- und Markenamt vor und wird dort derzeit am Maßstab des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes überprüft. Die zwischenzeitlich von einigen Verlagen unter Widerruf erteilte Nutzungserlaubnis für einige Suchmaschinen, unentgeltlich auf veröffentlichte Texte zuzugreifen, berührt das laufende Verfahren eben gerade nicht. Mit einer Entscheidung durch das Deutsche Patent- und Markenamt ist im kommenden Jahr zu rechnen. Dies mag zwar Ihren Bogen der Geduld überspannen, ist aber angesichts der rechtlichen Vorgaben und der derzeitigen personellen Ausstattung beim Deutschen Patent- und Markenamt zumindest derzeit noch die Realität. Ich sage bewusst „derzeit“, denn wir beabsichtigen, das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt zu beschleunigen. Eine entsprechende Initiative werden wir im nächsten Jahr vorstellen. Ich würde mich freuen, wenn diese dann auch mit der Unterstützung der Opposition vom Deutschen Bundestag beschlossen werden könnte. Schließlich scheint die Ungeduld bei Ihnen – gerade in Fragen der angemessenen urheberrechtlichen Vergütung – oftmals überhandzunehmen. Wie Sie angesichts des von mir geschilderten Sachverhalts erkennen können, besteht derzeit kein Grund, als Gesetzgeber erneut tätig zu werden. Angesichts dessen, dass es noch keine rechtsverbindliche Entscheidung durch das Deutsche Patent- und Markenamt gibt, kann es selbstverständlich auch noch keine abschließenden Regelungen dazu geben, wie, und vor allem in welcher Höhe, die Urheberinnen und Urheber von den möglichen Einnahmen aus dem Leistungsschutzrecht profitieren werden. Auch die immer wieder zitierte „Verwirrung“ bei den betroffenen Unternehmen vermag ich angesichts des eingeschlagenen Weges durch die VG Media nicht nachzuvollziehen. Da es sich bei dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger um eine neue Rechtsmaterie handelt, ist es keinesfalls ungewöhnlich, dass im Rahmen der Regelung auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen wurde. Falls diese in der Praxis tatsächlich in der Auslegung zwischen den betroffenen Marktteilnehmern streitig werden sollten, was derzeit meines Erachtens noch nicht erkennbar ist, ist in diesen Fällen die Rechtsprechung gefordert. Auch dies ist weder etwas Besonderes noch gar etwas Verwerfliches. Nach alledem, auch nach der gestrigen Sachverständigenanhörung im Ausschuss Digitale Agenda, scheint mir der wahre Grund für Ihren Antrag nicht die Entwicklung in den vergangenen Monaten zu sein, sondern die bereits in der letzten Legislaturperiode vertretene Auffassung, dass es eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger nicht bedarf. Mit dieser Meinung stehen Sie sicher nicht allein, aber Sie müssen eben auch akzeptieren, dass die Mehrheit des Deutschen Bundestages dies bereits in der vergangenen Legislaturperiode aus anderen Gründen anders gesehen hat und ein vollständiger Meinungsumschwung angesichts der derzeitigen tatsächlichen Entwicklung auch nicht erkennbar ist. Im Gegenteil, die jüngsten Entwicklungen auf europäischer Ebene bestätigen sogar unsere damalige Entscheidung. Spanien hat Ende Oktober 2014 ebenfalls eine gesetzliche Regelung zum Schutz der Presseverleger erlassen, und der neue EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, hat in einem Interview gegenüber dem Handelsblatt am 28. Oktober ausgeführt, dass er nicht nur eine Modernisierung des Urheberrechts beabsichtige, sondern dass Teil dieser Modernisierung auch die Einführung einer Abgabe für intellektuelle Werte sein müsse, wenn diese bezogen und weiterverarbeitet würden. Wir sollten daher am bisherigen Plan festhalten und zunächst die im Koalitionsvertrag vereinbarte Evaluierung des Leistungsschutzrechts abwarten, bevor wir erneut als Gesetzgeber tätig werden. Christian Flisek (SPD): Im gestrigen Fachgespräch des Ausschusses Digitale Agenda zum Urheberrecht wurde eines sehr deutlich und die Bewertungen der Sachverständigen dazu waren einstimmig: Alle plädierten für eine Überprüfung, gar für eine Abschaffung des Leistungsschutzrechtes für Presseverleger, und zwar in der Form, wie es in der letzten Legislatur verabschiedet wurde. Nach gerade einem Jahr kommen die Wissenschaftler zu dem klaren Urteil, diese Gesetzesänderung sei „kurzatmig und lobbygetrieben“. Das bestärkt mich als Berichterstatter meiner Fraktion für das Urheberrecht, hier zukünftig tätig zu werden. Ich sage es ganz klar: Wir benötigen eine zeitnahe Evaluierung, um zu einer Lösung der offensichtlichen Probleme zu kommen. Und dies ist ganz im Sinne unseres Koalitionsvertrages. Bereits zu Beginn gab es an der Idee, einen gesonderten Schutz für presseverlegerische Leistungen auch für „kleine“ und „kleinste“ Textausschnitte zu gewähren, viel Kritik aus den verschiedenen Fachrichtungen. Wissenschaftler wie Rechtsgelehrte waren sich bereits weitestgehend darin einig, dass die nun bestehende Norm des Leistungsschutzrechtes bezüglich ihres Wirkungsgrades und ihrer rechtlichen Durchsetzbarkeit höchst kritisch zu betrachten sei. Das aktuell bestehende Leistungsschutzrecht für Presseverleger schützt weder die journalistische Qualität noch kleine Verlage vor deren Sterben. So ist die damals eingebrachte Begründung auch heute noch dahin gehend fragwürdig, welche Elemente des bestehenden Leistungsschutzrechts tatsächlich zu einer qualitativ hochwertigeren Arbeit im redaktionellen Bereich beitragen könnten. An dieser Stelle möchte ich gerne anfügen, dass die von uns, der SPD-Fraktion, zur Einführung dieses Gesetzes geforderten Bestimmungen, was „Teile“, „kleine Teile“ und „kleinste“ Teile von Presserzeugnissen seien, nach wie vor fehlen. Auch diese Pflichtvergessenheit ist einer positiven Bewertung dieses Gesetzes nicht zuträglich. Jedoch möchte ich ein bestehendes Gesetz nicht gänzlich verurteilen, ohne dessen Wirksamkeit tatsächlich geprüft zu haben. Deshalb kommt zuvorderst die Gesetzesevaluierung, um dann daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Anwendbarkeit des Leistungsschutzrechtes für Presseverleger durch die aktuell erteilten Sondergenehmigungen -eines Großteiles der Verleger an Google, Kurzdarstellungen ihrer Texterzeugnisse kostenlos zu nutzen und online zur Verfügung zu stellen, ausgehebelt wurde. Es gibt nicht wenige Menschen, die sprechen hier von einem Offenbarungseid. Nicht nur als Mitglied im Rechtsausschuss, sondern auch als Existenzgründungsbeauftragter meiner Fraktion, beschäftigt mich die Frage der Sinnhaftigkeit dieses Gesetzes. So ist beispielsweise in Bezug auf Start-up--Unternehmen und innovative Internetfirmen auch zu prüfen, ob dieses Gesetz gar ein Innovationshemmnis darstellt und damit der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes schadet. Gleichwohl leugne ich nicht, dass Verwerter geeignete Gesetzesinstrumente zur Durchsetzung der urheberrechtlichen Schutzrechte für ihre Mitglieder benötigen, um sich besser gegen die unstrittig vorkommenden Urheberrechtsverletzungen wehren zu können. Es muss jedoch in einer Demokratie das Interesse bestehen, eine freie Verbreitung von Nachrichten und Berichten zu ermöglichen. Deshalb muss kritisch hinterfragt werden, inwieweit, „kleine“ bis „kleinste“ Teile – gar einzelne Wörter – eines Presseerzeugnisses unter den urheberechtlich schutzwürdigen Bereich fallen. Die in den Begründungen erwähnten Ziele des im Februar 2013 verabschiedeten Gesetzes zum urheberrechtlichen Schutz der Presseverleger, nicht den Informa-tionsfluss im Internet behindern zu wollen, wurden durch die aktuellen Entwicklungen gar ausgehöhlt. Es scheint, dass durch die Auslistung der VG Media angehöriger Verlage auf Plattformen von Telekom und Anbietern wie 1&1, zu welchen beispielsweise beliebte kostenlose E-Mail-Plattformen wie GMX und web.de gehören, diese Presseverleger einen erheblichen Schaden erleiden; denn die Zugriffe, der sogenannte „traffic“, sind seitdem auf diesen Seiten bis zu 80 Prozent rückläufig. Somit könnte man schlussfolgern, dass sowohl das eingeführte Leistungsschutzrecht als auch die Klage der VG Media ihren Mitgliedern bisher mehr Schaden als Nutzen eingebracht hat. Deshalb sage ich hier nochmals: Lassen Sie uns das Leistungsschutzrecht für Presseverleger zuerst zeitnah evaluieren und dann gemeinsam eine vernünftige Lösung finden; dies entspricht auch den Vereinbarungen unseres Koalitionsvertrages. Der Antrag von den Linken und Bündnis 90/Die Grünen kommt dabei etwas zu früh in die Diskussion und in die sich anschließenden Ausschussberatungen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Das in der vergangenen Wahlperiode von der damaligen schwarz-gelben Koalition eingeführte Leistungsschutzrecht für Presseverleger war, ist und bleibt falsch. Es schafft Rechtsunsicherheit, es ist innovationsfeindlich, und es verbessert die Lage von Urheberinnen und Urhebern an keiner Stelle. Weil das so ist, kann eine im Koalitionsvertrag vorgesehene Evaluierung nicht abgewartet werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlagen die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger aufzuheben. Worum geht es eigentlich? Sie alle nutzen Suchmaschinen. Wenn Sie nicht nach etwas Bestimmtem suchen, sondern sich einen Überblick über aktuelle Ereignisse verschaffen wollen, dann nutzen Sie sogenannte Newsaggregatoren, Internetseiten also, die Artikel von Nachrichtenseiten sammeln und sortieren. Im Regelfall – Sie kennen das alle – sehen Sie auf diesen Seiten Überschriften und Anrisse von Texten. Vermutlich wählen Sie danach aus, was Sie lesen. Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger sollte es nun so sein, dass die Newsaggregatoren und Anbieter von Suchmaschinen für die Darstellung der Überschriften und Textanrisse Gebühren an die Verlage zahlen. Wenn nicht gezahlt wird, dann ist eben weniger zu lesen, zum Beispiel nur Überschriften oder gar nur Links oder gar nichts, weil die Artikel von den Verlagen komplett aus der Suchmaschine genommen wurden. Für den Nutzer oder die Nutzerin wird dadurch der Wert der Suchergebnisse eingeschränkt, da anhand von Überschriften deutlich schwerer bewertet werden kann, ob ein Artikel relevant ist oder nicht. Darum sollen laut dem Leistungsschutzrecht kleinste Textausschnitte ausgenommen sein. Doch wie lang ein solcher Textausschnitt sein darf, ist nicht geklärt und Gegenstand langer Debatten. Davon profitiert ironischerweise genau der Anbieter einer Suchmaschine, dessentwegen das Leistungsschutzrecht überhaupt erst eingeführt wurde. Ausgerechnet Google bekam von den Verlagen, die auf eine Durchsetzung des Leistungsschutzrechts bestehen – das sind längst nicht alle; viele namhafte Verlage verzichten aus guten Gründen komplett darauf –, einen Freifahrtschein, ihre Artikel mit Überschrift und kleinen Textausschnitten anzuzeigen – ohne irgendetwas dafür zu bezahlen. Offensichtlich hat sich auch hier die Erkenntnis durchgesetzt, dass Google so viele Nutzerinnen und Nutzer auf die Seiten der Verlage bringt – und damit bares Geld –, dass ein Verzicht auf Textanreißer finanzielle Einbußen bedeuten würde. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Zahlen der Nutzer, die Google News auf Seiten des Springer-Verlages führte, um 80 Prozent eingebrochen sind, nachdem nur noch Überschriften angezeigt wurden. So jammerte zumindest Mathias Döpfner. Das hätte ich ihm auch früher sagen können. Leider scheint diese Erkenntnis nur für Google zu gelten. Kleinere Anbieter von Suchmaschinen oder Newsaggregatoren sollen auch weiterhin die Gebühren bezahlen. Das Anti-Google-Gesetz wird zum Google-Stärkungs-Gesetz. Kleinere Anbieter werden geschwächt. Google wird sich bedanken. Innovationen bleiben auf der Strecke. Das Ganze klingt zu absurd, um wahr zu sein. Nun wird oft argumentiert, dass das Leistungsschutzrecht verlegerische Leistungen schützen soll. Aber bei den Suchmaschinenanbietern und Newsaggregatoren werden kleine Ausschnitte einzelner Artikel angezeigt, weder ganze Artikel noch ganze Publikationen. Um diese lesen zu können, muss man immer noch auf die Seiten der Verlage. Verlage müssen daher nicht geschützt werden. Geschützt werden muss der unabhängige Journalismus. Es sollte daher vielmehr um den Schutz der Journalistinnen und Journalisten gehen. Deren Rechte gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern sind aber über das Urheberrecht gewahrt. Dazu bedarf es keines zusätzlichen Leistungsschutzrechts. Wenn etwas einer Stärkung bedarf, dann die Rechte der Journalistinnen und Journalisten gegenüber den Verlagen. Zum Beispiel, indem Total-Buy-out-Verträge deutlich eingeschränkt werden. Total-Buy-out-Verträge bedeuten, dass der Urheber bzw. die Urheberin seine bzw. ihre Rechte an Verwerter oder Verlage komplett abtritt, welche das journalistische Werk dann so oft veröffentlichen können, wie sie wollen – ohne den Urheber oder die Urheberin für jede einzelne Veröffentlichung zu bezahlen. Eine angemessene Vergütung wird so mit Sicherheit nicht erreicht. Hier gibt es also wirklich etwas zu tun. Das Leistungsschutzrecht ist dagegen verzichtbar. Also lassen Sie uns ein unsinniges Gesetz abschaffen und uns Gedanken über ein sinnvolles Urhebervertragsrecht machen. Ein innovationsfeindliches Gesetz, das Rechtsunsicherheit schafft, ist ein unsinniges Gesetz. Deshalb kann es auch aufgehoben werden. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Vorbereitung auf diese Debatte habe ich noch einmal die Protokolle der früheren Leistungsschutzrechtsdebatten gelesen. Da findet man manch Spannendes. Zum Beispiel dieses Zitat von Montesquieu: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Zitiert hat dies Brigitte Zypries von der SPD bei der abschließenden Lesung. Heute ist die geschätzte Kollegin Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, und mit dem vorliegenden Aufhebungsgesetz verlangen wir von ihr und ihren Kollegen der schwarz-roten Koalition genau das, was Montesquieu sagt: dass ein unnötiges Gesetz wieder rückgängig gemacht wird. Wie unsinnig das Leistungsschutzrecht ist, hat die Posse rund um Google und die VG Media bewiesen. -Zuletzt haben die meisten der in der VG Media zusammengeschlossenen Verlage, darunter auch Springer als Leistungsschutzrechtvorantreiber, entschieden, dass sie auf Google weiterhin auch mit den Snippets ihrer Texte gefunden werden wollen. Warum? Weil sie sonst erhebliche Rückgänge ihrer Klickzahlen zu verbuchen hätten. Darum haben diese Verlage eine widerrufliche Einwilligung an Google erteilt, dass ihre Verlagsinhalte in Snippets weiterhin wie üblich angezeigt werden dürfen – und zwar gratis. Erinnern wir uns doch noch mal kurz an die Begründung des Leistungsschutzrechts. Damals sagte Günter Krings von der CDU: „Das Leistungsschutzrecht allein wird die Pressevielfalt in Deutschland nicht sicherstellen. Aber es ist ein wichtiger Beitrag für den Erhalt einer lebendigen Presselandschaft in unserem Land.“ – Debatte zum Leistungsschutzrecht, erste Lesung am 29. November 2012. Ich konstatiere: Das Leistungsschutzrecht hat exakt null zum Erhalt der Presselandschaft beigetragen. Bisher flossen unseres Wissens nach keine Lizenzgebühren von Suchmaschinen an die -Verlage. Die Aggregatoren wie bei web.de oder Rivva haben etliche Verlagsangebote vorsorglich aussortiert. Andere stellen Google ihre Snippets wieder gratis zur Verfügung. Verdient haben bisher nur Anwälte. Und war das überraschend? Nein, denn wie Kollegin Zypries in der selben Rede sagte: „Denn ich garantiere Ihnen: Vor allem Gerichte werden sich mit dem Leistungsschutzrecht befassen, bevor auch nur irgendein Verlag Geld für sein -Angebot im Internet bekommt.“ Oder Thomas Oppermann, heute Fraktionsvorsitzender der SPD: „Es ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte, und das dürfen wir als Bundestag nicht beschließen.“ Oder Kollege Lars Klingbeil, auch von der SPD: „Das ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwaltskanzleien. Gerichte müssen nachher klären, wie es mit diesem Leistungsschutzrecht weitergeht. Sie schaffen Rechtsunsicherheit, und ich sage Ihnen: Sie verhindern auch Innovationen.“ – Debatte am 1. März 2013. Recht hatte und hat er. Es kam die Wahl, das Leistungsschutzrecht blieb, trotz aller Mängel. Lediglich eine Evaluierung versprach der Koalitionsvertrag. Wir aber geben zusammen mit der Linken den Kolleginnen und Kollegen der SPD die Möglichkeit, eine verpasste Chance doch noch zu nutzen und das Leistungsschutzrecht aufzuheben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie müssen nicht die Suppe auslöffeln, die Ihnen maßgeblich von der Union eingebrockt wurde. Denn die Union – das muss man klar sagen – war bis auf wenige Abgeordnete geschlossen für das Leistungsschutzrecht und hat es regelrecht durchs Parlament geprügelt. Gestern in der Anhörung zum Urheber- und zum Leistungsschutzrecht haben ausnahmslos alle Experten, auch die von der Koalition benannten, die Abschaffung des Leistungsschutzrechts gefordert. Hören wir doch mal auf die Fachleute! Ich finde, als Mitglieder des Bundestages haben wir die Pflicht, unsere Arbeit kritisch zu hinterfragen. Wenn etwas so offensichtlich schiefläuft wie das Leistungsschutzrecht, ist es keine Schande, einen Fehler zuzugeben und zu korrigieren. Es wäre aber eine Schande, trotz besseren Wissens weiterzumachen wie bisher. Es ist ganz einfach: Stimmen Sie dem Gesetzentwurf von -Linken und uns zu – oder legen Sie einen eigenen zur Abschaffung des Gesetzes vor. Sie haben über die Weihnachtspause Zeit, sich darüber Gedanken zu machen und sich einen Ruck zu geben. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Antrag: Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen (Tagesordnungspunkt 20) Bettina Kudla (CDU/CSU): Das vorliegende Gesetz ist ein wichtiger Eckpfeiler in der Absicht der Koalition, die Steuerhinterziehung wirksamer zu bekämpfen. Die Grundaussage ist klar: Für Steuerunehrliche wird es deutlich teurer, für Steuerehrliche schaffen wir mehr Rechtssicherheit. Für die CDU/CSU-Fraktion muss eine gute Finanz-politik immer dreierlei beachten: Erstens gilt es, für einen ausgeglichenen Haushalt zu sorgen – dies verlangt nicht die wirtschaftliche Vernunft, sondern allein schon die Schuldenbremse des Grundgesetzes von uns. Zweitens darf die Belastung für die Bürger nicht zu hoch sein. Drittens ist dafür zu sorgen, dass die Steuergesetze auch eingehalten werden, Steuerhinterziehung also wirksam bekämpft wird. Gerade die derzeitige Finanzpolitik von Bundesminister Wolfgang Schäuble zeigt, dass ein ausgeglichener Haushalt auch ohne eine höhere Belastung der Bürger möglich ist. Die Zahlung der Steuern ist für viele Bürger, aber auch mittelständische Betriebe eine große Last. Die Zahlung von Steuern wird häufig als ein notwendiges Übel angesehen, damit der Staat hiermit viele wichtige Aufgaben finanzieren kann. Wie so oft ist es aber auch hier eine Frage des Maßes. Deswegen muss gerade in einem sich abkühlenden konjunkturellen Umfeld Rücksicht genommen werden. Zukunftsweisende Politik sollte folglich keine Erhöhung der Steuerlast betreiben, sondern muss perspektivisch die Entlastung von Steuern in den Blick nehmen. Die hohe Steuer- und Abgabenlast führt leider dazu, dass manche versuchen, sich dem Zugriff des Staates zu entziehen. Das kann durch Steuerhinterziehung – die natürlich nicht entschuldigt werden darf –, aber auch beispielsweise durch Wegzug geschehen. Durch Abwanderung fähiger und zahlungskräftiger Einwohner und Unternehmen entsteht ein nicht zu unterschätzender kurz- und langfristiger volkswirtschaftlicher Schaden. Das zeigt, dass wir, die wir den Bürgern die Steuern auferlegen, bei aller Notwendigkeit des wirksamen Eintreibens von Steuern auch immer wieder hinterfragen sollten, ob die Belastung angemessen ist. Hier geht es bei weitem nicht nur um die Höhe der Belastung, die – ich habe es erwähnt – perspektivisch moderat sinken sollte. Es geht auch darum, dass der Steuermoral der Bürger und Unternehmen eine Besteuerungsmoral des Staates gegenüberstehen muss. Das heißt, der Staat muss ein verlässlicher Partner sein. Er muss Rechtssicherheit, Kontinuität und Planbarkeit so weit wie möglich sicherstellen. Hier komme ich wieder zum vorliegenden Gesetzentwurf. Er kommt nämlich beidem zugute: Auf der einen Seite hält er die Bürger zu mehr Steuermoral an. Auf der anderen Seite soll er dazu dienen, dass der Fiskus ein verlässlicherer Partner der Steuerbürger ist. Mehr Steuermoral wird dadurch entstehen, dass Selbstanzeigen nicht nur schwieriger, sondern auch deutlich teurer werden. Ein Taktieren mit dem Entdeckungsrisiko wird es nicht mehr geben. Dies gilt umso mehr in Verbindung mit dem hoffentlich bald reibungslos funktionierenden automatischen Informationsaustausch zahlreicher Staaten. Der Anreiz, mutwillig Steuern zu hinterziehen, sinkt noch weiter. Damit wird auch die Akzeptanz der Steuerlast bei den ehrlichen Steuerzahlern, die die deutliche Mehrheit stellen, erhöht. Sie sehen: Unsoziales Verhalten lohnt sich nicht. Auf der anderen Seite bleibt aber die Selbstanzeige als Instrument des Steuerstrafrechts bestehen. Die Hand des Staates bleibt ausgestreckt. Wer Steuern hinterzogen hat, kann nach wie vor in die Legalität zurückkehren und damit Straffreiheit oder zumindest ein Absehen von Strafverfolgung erreichen, wenn er den fälligen Preis hierfür zahlt. Außerdem, mindestens ebenso wichtig, wird im unternehmerischen Bereich Rechtssicherheit wiederhergestellt. Zu weitgehende Wirkungen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes von 2011, insbesondere im Bereich der Umsatz- und Lohnsteueranmeldungen, werden korrigiert. Fehler in der Buchhaltung sind keine kriminellen Handlungen. Hier zeigen wir ganz klar: Wir haben die Praxis im Blick. Wir sind bereit, uns auch zu korrigieren, wenn sich bestimmte Regelungen als unpraktikabel erwiesen haben. Die Berichterstattergespräche habe ich als sehr konstruktiv empfunden. Wichtig war, dass wir in der abschließenden Ausschussberatung noch einmal verdeutlicht haben, dass wir seitens des Bundesfinanzministeriums in Abstimmung mit den Finanzbehörden der Länder eine Verwaltungsanweisung erbitten, die die Abgrenzung von einer reinen Berichtigung nach § 153 AO zur Selbstanzeige klarstellt. Uwe Feiler (CDU/CSU): Nach einer anfangs heftigen und kontroversen Debatte beraten wir heute abschließend über einen Entwurf, der es meines Erachtens verdient hat, als gut und ausgewogen bezeichnet zu werden. In vielen gemeinsamen Gesprächen – sei es unter den Berichterstattern oder auch im Nachgang zur öffentlichen Anhörung – ist es in guter und enger Zusammen-arbeit mit dem BMF gelungen, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der das bewährte Mittel der strafbefreienden Selbstanzeige sowie die Möglichkeit des Absehens von Verfolgung in besonderen Fällen beibehält und gleichzeitig den deutlich geäußerten Wunsch nach Verschärfung aufnimmt. Im politischen Raum gibt es Stimmen – leider auch vom Finanzminister meines Heimatbundeslandes Brandenburg –, die in einem Reflex auf die öffentliche Debatte zu bekannt gewordenen Einzelfällen die Abschaffung dieses seit fast 100 Jahren bewährten Mittels der Finanzbehörden fordern. Hierbei wird verkannt, dass wir in keinem anderen Rechtsgebiet eine derart umfangreiche Mitwirkung verlangen. Gleichzeitig wird für die Aufdeckung von Steuerstraftaten hochqualifiziertes Personal benötigt, das mit großem Ermittlungsaufwand tätig ist, da im Unterschied zu Diebstählen oder Gewaltverbrechen die Tat erst im Nachgang aufgedeckt werden kann und nicht unmittelbar augenscheinlich ist. Ich halte es auch für äußerst fragwürdig, wenn der Staat sich dauerhaft sogenannter Steuer-CDs aus zweifelhaften Quellen bedienen soll. Genau deshalb ist es richtig, dem Steuersünder den Weg zurück in die Gemeinschaft der ehrlichen Steuerzahler zu eröffnen, als Staat die hinterzogenen Steuern nebst Zinsen und einem angemessenen Zuschlag zu erhalten und im Umkehrschluss unter gewissen Voraussetzungen Straffreiheit zu gewähren. Für mich war es interessant, in den Gesprächen zu erfahren, dass nunmehr auch Italien und Frankreich zu diesem Instrument greifen wollen, anstatt im regelmäßigen Abstand von Jahren Steueramnestien auszurufen, die ohne jede Gegenleistung gewährt werden. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist vorgesehen, den Betrag bis zu dem eine Steuerhinterziehung ohne Zahlung eines zusätzlichen Geldbetrages straffrei bleibt, von 50 000 Euro auf 25 000 Euro zu reduzieren. Ferner ist der Zuschlag zukünftig vom Volumen der verkürzten Steuer abhängig. Auch die Zinsen müssen nun nachgezahlt worden sein, wenn die strafbefreiende Wirkung eintreten soll. Der Zeitraum für nicht erklärte ausländische Kapitalerträge wird erweitert und durch die Anlaufhemmung sichergestellt, dass niemand mehr darauf vertrauen kann, im Nachgang nicht mehr belangt zu werden, wenn er sein Geld in Ländern „parkt“, die nicht dem Informationsaustausch angeschlossen sind. Dass wir hier mit Augenmaß vorgegangen sind, zeigt der Umstand, dass wir Verwerfungen, die mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingetreten sind, lösen konnten. Durch die wieder eingeführte Möglichkeit der Teilselbstanzeige für die Umsatzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldung sind Korrekturen möglich, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Mit dem Verzicht auf die Ausdehnung der strafrechtlichen Verjährung ist den Bedenken des Bundesjustizministeriums Rechnung getragen worden, um die Fristen mit ähnlich gelagerten Delikten zu synchronisieren. Abschließend darf ich mich für die gute Zusammenarbeit mit dem BMF und den Kollegen und das Engagement meiner Kollegin Kudla bedanken. Andreas Schwarz (SPD): Heute schließen wir eine monatelange Debatte ab, an deren Ende ein großer Erfolg steht: die deutliche Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige – ein großer Erfolg für all diejenigen, denen das Gemeinwohl am Herzen liegt. Von Beginn an haben Bund und Länder an einem Strang gezogen: Steuerbetrug muss konsequenter und härter bestraft werden. So ist es! Deshalb haben wir als SPD-Bundestagsfraktion diesen Gesetzgebungsprozess auch immer nach Kräften gefördert und unterstützt. Wir danken allen Beteiligten aus Bund und Ländern, auch parteiübergreifend, für das Zustandekommen dieses Gesetzes. Es spricht für den Gesetzentwurf, dass über SPD und Union hinaus auch grüne Landesministerinnen eine so konstruktive Rolle bei der Vorbereitung des Beschlusses der Finanzministerkonferenz im Mai 2014 hatten, der ja die Grundlage für die Erarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs darstellt. Dabei waren der AG Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion die nachfolgenden Punkte besonders wichtig: Ausdehnung des Berichtigungszeitraums von fünf auf zehn Jahre; Absenkung der Straffreiheitsgrenze von 50 000 auf 25 000 Euro; Erhöhung und Staffelung des Strafzuschlags von bislang 5 Prozent bei 50 000 Euro Hinterziehungsvolumen auf jetzt 15 Prozent bei 100 000 Euro und 20 Prozent ab einer Hinterziehungssumme von Millionen Euro; Zahlung der Hinterziehungszinsen ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Selbstanzeige; Wiedereinführung der Teilselbstanzeige bei den Anmeldesteuern für Unternehmen. Wir haben eine gemeinsame Botschaft an all diejenigen, die ihr Geld immer noch an der Steuer vorbei ins Ausland schaffen und weiter mit Steuerhinterziehung ihr Glück versuchen: Das Netz zum Durchschlüpfen wird immer engmaschiger. Deshalb offenbaren sich auch immer mehr Steuerbetrüger den Steuerbehörden. Damit ist dieses Gesetz bereits vor seiner Verabschiedung überaus erfolgreich, wobei die Reue wohl eher der Aussicht auf deutlich höhere Strafzinsen oder gar eine Haftstrafe geschuldet ist und nicht der wiedergewonnenen Einsicht, dem Staat die -Finanzmittel zuzuführen, die ihm zustehen und die er für die Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes lehnen wir uns keinesfalls selbstzufrieden zurück nach dem Motto: Ein gutes nationales Gesetz reicht uns jetzt erst einmal. – Nein, im Gegenteil! Unseren Kampf gegen Steuerhinterziehung setzen wir auf allen Ebenen konsequent fort. Die Steueroasen werden weiter ausgetrocknet. Beim Datenaustausch kommen wir sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene immer weiter voran, und zwar in einem Maße, wie es sich vor einem Jahr nur ganz wenige hätten vorstellen können. Die Bundesregierung kann sich bei ihren Bemühungen um weitere internationale Erfolge im Kampf gegen Steuerbetrug und -vermeidung weiterhin voll auf die SPD-Bundestagsfraktion verlassen. Dieses Gesetzgebungsverfahren verlief so erfolgreich, dass wir sogar eine parlamentarische Regel verletzen mussten: Dieser Gesetzentwurf verlässt den Bundestag genauso, wie er hineinkam. Das Struck’sche Gesetz kam hier also nicht zur Anwendung. Der Gesetzentwurf war einfach zu überzeugend. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt ihn einhellig. Ich komme zum Schluss. Persönlich möchte ich mich vor allem bei der zuständigen Berichterstatterin der Unionsfraktion, Frau Kollegin Kudla, herzlich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Wir senden heute gemeinsam von dieser Stelle aus ein starkes Signal an alle Steuerbetrüger: Sie haben von heute an noch knapp drei Wochen Zeit, reinen Tisch zu machen und mit der aktuell noch gültigen Regelung günstiger davonzukommen. Machen Sie davon Gebrauch! Heute ist ein schwarzer Tag für alle Steuervermeider, -betrüger und -hinterzieher und ein guter Tag für alle ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Mit der Verabschiedung sorgen wir wieder für ein Stück mehr Gerechtigkeit in diesem Land. Richard Pitterle (DIE LINKE): Steuerhinterziehung gilt für viele Leute immer noch als Kavaliersdelikt, aber das ist es nicht. Im Gegenteil, Steuerhinterziehung ist hochgradig gemeinschädlich. Sie hat nämlich nicht nur in finanzieller Hinsicht negative Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft, wenn Geld in den Kassen fehlt, das dringend zur Sanierung der öffentlichen Infrastruktur, für Schulen, Straßen, Krankenhäuser, gebraucht würde. Steuerhinterziehung hat auch erhebliche soziale Auswirkungen. Bei ungleicher Verteilung des Wohlstandes in einem Land und einer Gesellschaft, wie es in der Bundesrepublik mehr und mehr der Fall ist, verstärkt Steuerhinterziehung auch soziale Spannungen. Häufig ist es nämlich eine finanziell ohnehin privilegierte Oberschicht, sind es die Reichen und Superreichen, die durch Steuerhinterziehung ihre üppigen Pfründe dem Zugriff der Allgemeinheit vorenthalten wollen. Uns muss doch allen klar sein: An dieser Stelle fragt sich der Großteil der Bevölkerung, die vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, stets, warum sie eigentlich die Hauptlast der Finanzierung unseres Landes tragen müssen, während diejenigen, die in Reichtum schwelgen, diesen auch noch mehr oder weniger unbehelligt am Fiskus vorbeischleusen können. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass in den letzten Jahren über die Fälle eines bekannten Fußballvereinspräsidenten und einer bekannten Frauenrechtlerin ein Umdenken begonnen zu haben scheint, dessen Auswirkungen wir nun auch im vorliegenden Gesetzentwurf und in einer nach 2011 erneuten Verschärfung der Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige sehen können. Da es die Option der strafbefreienden Selbstanzeige allerdings nur für den Bereich der Steuerhinterziehung gibt, stellt sie letztlich immer noch eine strafrechtliche Privilegierung von Steuerkriminellen dar. Einfache Betrüger, die nicht zuerst den Staat, sondern ihre Mitmenschen direkt schädigen, haben diese Option nicht. Die Fraktion Die Linke stellt daher heute auch ihren Antrag zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige zur Abstimmung. Zu diesem Schritt konnten Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, sich nicht durchringen. Meine Fraktion wird Ihrem Entwurf daher auch letztlich nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten. Aber ich will Ihnen trotzdem zugutehalten, dass mit der geplanten Neuregelung wenigstens eine deutliche Verschärfung der bisherigen Regelungen einhergeht. Hervorzuheben ist hier die deutliche Anhebung und Staffelung des zu zahlenden Geldbetrages beim Absehen von der Strafverfolgung nach § 398 a der Abgabenordnung. Wer Steuern hinterzogen hat, muss hier künftig tief in den Geldbeutel greifen, um eine strafbefreiende Wirkung zu erzielen. Darüber hinaus war es sinnvoll, die Problematik der Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteueranmeldung gesondert zu berücksichtigen, indem nachträglich korrigierte oder verspätete Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen zukünftig wieder als wirksame Teilselbstanzeige gelten. Für die kleine Unternehmerin oder den kleinen Unternehmer herrscht hierdurch nun Rechtssicherheit. Sie müssen zum Beispiel nicht mehr fürchten, bei versehentlich zu niedrig angesetzten Umsatzsteuervoranmeldungen gleich Gefahr zu laufen, wegen Steuerhinterziehung verurteilt zu werden. Am Ende müssen wir aber trotz dieser Verschärfungen und Verbesserungen nach wie vor immer noch eines feststellen: Die Regelung der strafbefreienden Selbst-anzeige ist letztlich auch Ausfluss einer Steuerhinterziehungskultur, die sich in dieser Form überhaupt erst aus ungleicher Verteilung und intransparenter, ineffizienter und teils auch schlicht ungerechter Besteuerung ent-wickeln konnte. Hier liegt der eigentliche Kern des Problems, und die Fraktion Die Linke wird diese Debatte auch weiterhin vorantreiben. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich über dieses Gesetz. Mit der Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige demonstrieren wir die Gestaltungskraft des Parlaments. Durch die nunmehr hohen Kosten für Steuerhinterzieher begegnen wir dem weit verbreiteten Schicksalsglauben, wonach eine sehr gut verdienende Elite nach ihren eigenen Regeln spielt und sich dem Zugriff des Gesetzgebers leichtfertig entzieht. In diesem Jahr haben bereits über 32 000 Personen eine strafbefreiende Selbstanzeige gestellt. Spätestens mit den prominenten Fällen der letzten Zeit hat sich der Wind gedreht. Steuerhinterziehung belastet zwar weiter die öffentlichen Haushalte, aber sie wird zunehmend auch zur finanziellen und psychischen Belastung für -diejenigen, die sich vor kurzem noch für besonders -trickreich und risikofreudig gehalten haben. Es ist ein Ausrufezeichen der demokratischen Kultur, dass wir der Globalisierung des Steuerbetrugs endlich mit der gebotenen Konsequenz begegnen. Nach wie vor ist uns nicht jedes Auslandskonto deutscher Staatsbürger bekannt. Dennoch gibt es sehr konkrete Informationen über den Umfang der hinterzogenen Gelder. Gabriel Zucman, ein Schüler des berühmten Thomas Piketty, ist zu erstaunlichen Ergebnissen gelangt. Die Euro-Zone ist weltweit der zweitgrößte Schuldner, aber nur solange man die Milliarden unberücksichtigt lässt, die in Steuersümpfen versunken sind. Bezieht man dieses Geld in die Zahlungsbilanzen ein, dreht sich das Bild. Vom Schuldner wird die Euro-Zone auf diese Weise zu einem Gläubiger gegenüber dem Rest der Welt. Im Kampf gegen Steuerhinterziehung steht demnach der Wohlstand Europas auf dem Spiel – er sollte deshalb auch mit dem nötigen Engagement geführt werden. Um Peer Steinbrück einmal vom Kopf auf die Füße zu stellen: Aus diesem verborgenen Nix müssen Deutschland und die EU endlich eine gerechtes X machen. Das nun vorliegende Gesetz leistet einen Beitrag zu diesem Vorhaben. Wie wurde dabei vorgegangen? Die bisherige Systematik der strafbefreienden Selbstanzeige ist im Kern -erhalten geblieben, aber die Voraussetzungen für die strafbefreiende Wirkung sind verschärft worden. Unverzichtbar für den effektiven Kampf gegen Steuerhinterziehung ist aber etwas, das nicht in diesem Gesetz steht: Um Steuerhinterzieher überhaupt erst zum Geständnis zu bewegen, muss es ein ernstzunehmendes Entdeckungsrisiko geben. Wer nicht den Atem des Gesetz-gebers im Nacken spürt, wird kaum als Kronzeuge im eigenen Verfahren auftreten – deswegen ist das von uns Grünen unerbittlich eingeforderte Abkommen für den automatischen internationalen Informationsaustausch ein wegweisender Durchbruch gewesen. Das vorliegende Gesetz hat wiederum zum Ziel, die Kosten der Selbstanzeige wohl zu dosieren. Sie müssen einerseits den Steuerehrlichen finanziell eindeutig besser stellen, andererseits müssen sie auch den Hinterziehern einen Anreiz bieten, ihr Versteck aufzugeben. Die strafbefreiende Selbstanzeige darf kein wohlkalkulierter Abschreibungstrick sein, sie muss dem zweifelnden Steuerbetrüger aber auch einen gangbaren Notausgang anbieten. Was bedeutet das neue Gesetz im Detail für die Selbstanzeige? Ich möchte ihnen kurz die einschneidensten Maßnahmen darstellen: Die Grenze zur Selbstanzeige ohne Strafzuschlag sinkt von 50 000 auf 25 000 Euro. Damit wird die Schwelle zur schweren Steuerhinterziehung gesenkt, die ein heftiges Vergehen an der Finanzierung des Gemeinwesens ist und zu Recht mit einer Geldstrafe geahndet wird. Der Erklärungszeitraum für eine wirksame Selbstanzeige verlängert sich von fünf auf zehn Jahre. Die Steuerverwaltung hat ein langes Gedächtnis, deswegen ist es sinnvoll, den strafrechtlichen Erklärungszeitraum damit zu harmonisieren. Die Geldzuschläge auf hinterzogene Steuern werden kräftig angehoben und deutlich gestaffelt. Wer über 25 000 Euro hinterzieht zahlt 10 Prozent zusätzlich, bei über 100 000 Euro sind es schon 15 Prozent und bei über 1 Million Euro sogar 20 Prozent. Das nunmehr größer gewordene Entdeckungsrisiko macht neben einer Reform der Selbstanzeige weitere Maßnahmen dringend erforderlich. Die Abgeltungsteuer hat ihre Rechtfertigung endgültig verloren. Eine Besserstellung von Kapitaleinkünften, die pauschal mit 25 Prozent besteuert werden, ist prinzipiell fragwürdig, mit dem verbesserten Informationsaustausch haben ihre Befürworter nun ihr zentrales Argument eingebüßt. Nur durch den Widerstand von uns Grünen konnten die ursprünglichen Pläne für ein Steuerabkommen mit der Schweiz verhindert und Finanzminister Schäuble zu wirkungsvolleren Maßnahmen gedrängt werden. Offensichtlich hat sich aber noch nicht in der ganzen konservativen Parteienfamilie rumgesprochen, wie wichtig der Erhalt der staatlichen Einnahmebasis ist. Internationale Zahlungsströme sind nicht nur anfällig für Steuerhinterziehung, sondern auch für Steuervermeidung. Wie seit kurzem gut dokumentiert ist, hat Luxemburg in der Amtszeit von Jean-Claude Juncker großen Konzernen dabei geholfen, ihre Steuerlast teilweise auf unter ein Prozent zu drücken. Wir müssen diese Entdeckungen als sehr präzisen Handlungsauftrag begreifen. Neben der steuerlichen Strafgesetzgebung müssen wir auch die Steuerverwaltung neu ordnen. Auf europäischer Ebene sind momentan gerade einmal acht Mitarbeiter damit befasst, tausende Deals, die neben Luxemburg auch die Niederlande und Irland geschlossen haben, daraufhin zu prüfen, inwieweit es sich um illegale Beihilfen handelt. Die EU muss sich hier besser aufstellen und Deutschland muss es auch. Wir brauchen eine Steuerverwaltung, die auf Augenhöhe mit den Konzernen agieren kann. Es geht hier um komplexe Geschäfte und weitverzweigte Geldflüsse. Diese außerordentlichen Finanzbeziehungen rechtfertigen auch besondere Fahndungsmethoden: Eine Spezialeinheit auf Bundesebene muss sich der Steuerfälle von international agierenden Konzernen und extrem reichen Bürgern und Bürgerinnen annehmen. In ihr kann die Steuerverwaltung besondere Kompetenzen bündeln. Fachleute aus Steuerberatungsgesellschaften, der Wissenschaft und der Wirtschaft selbst plus erfahrene Kräfte der bestehenden Verwaltung kommen zusammen, um politische Empfehlungen zu entwickeln und das geltende Steuerrecht international durchzusetzen. Nur eine solche Spezialeinheit wird den Anforderungen des weltweiten Geldverkehrs auch gewachsen sein. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): „Menschlich unzumutbar und rechtsstaatlich unerträglich wäre es, über die Stasiherrschaft einen Mantel des Vergessens zu breiten. Recht und Gesetz nehmen ihren Lauf.“ Diese Worte stammen aus der Ansprache des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker anlässlich des Staatsaktes zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 in Berlin. Im nächsten Jahr feiern wir den 25. Jahrestag dieses Ereignisses. Auch nach nun 24 Jahren Wiedervereinigung stellt der Umgang mit den Opfern des SED-Regimes eine wichtige Säule der Aufarbeitung dar. Aufarbeitung hat die Pflicht, die Vergangenheit zu verstehen, geschehenes Unrecht zu dokumentieren und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie soll uns jederzeit das Schicksal jener Menschen mahnend vor Augen halten, die für das Eintreten ihrer elementaren Rechte und für das Streben nach Freiheit verfolgt wurden. Wenn sich alte DDR-Grenzer alljährlich in Brandenburg treffen und dabei SED-Opfer vor laufender Kamera des Magazins Spiegel TV verhöhnt und verspottet werden, zeigt mir das, wie sehr wir die weitere Aufarbeitung benötigen. Es zeigt mir insbesondere, wie systemtreue Kader der SED jene Menschen betrachten, die sich nach einem anderen Leben sehnten. Aus Gründen wie diesem haben sich CDU und CSU stets für eine Aufarbeitung eingesetzt, und sie werden es auch weiterhin tun. Denn wir können und wir dürfen die Gräueltaten der SED niemals als ein „bloßes Ereignis“ in der deutschen Geschichte hinnehmen – insbesondere so lange nicht, wie ewiggestrige Ideologen weiterhin ihre kruden Ansichten verbreiten. Aufgrund der geschichtlichen und rechtsstaatlichen Verantwortung haben wir uns der im Koalitionsvertrag geplanten Erhöhung der Beiträge im Strafrechtlichen und Beruflichen Rehabilitierungsgesetz angenommen. Um den Betroffenen pünktlich zum 1. Januar des kommenden Jahres einen erhöhten Betrag zu gewährleisten, haben wir uns zu einer zügigen Umsetzung entschlossen. Denn es ist für uns wichtig, dass unabhängig von anderen Forderungen, die in diesem Haus vorgetragen wurden, die erhöhte „SED-Opferrente“ schnell und unbürokratisch mit Beginn des nächsten Jahres auf die Konten der Empfänger überwiesen wird. Das heißt jedoch nicht, dass wir uns den Forderungen der SED-Opfer verschließen. Im Gegenteil: Wir haben uns die Zeit genommen, sowohl Vertreter der Opferverbände als auch weitere Experten zu diesem Thema in einem Berichterstattergespräch anzuhören. Dies war für uns als CDU/CSU-Fraktion besonders wichtig. Infolge des Berichterstattergesprächs haben wir uns entschieden, eine Entschließung zum Gesetzentwurf einzubringen. Darin werden drei wesentliche Punkte der Experten aufgegriffen und an die Bundesregierung he-rangetragen: Zum einen möchten wir, dass die Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Ländern das Verfahren dahin gehend erleichtert, dass die Opfer des SED-Regimes die Möglichkeit haben, ihr Anliegen auch mündlich vorzutragen. Ferner sollen Behörden für die Erstellung von medizinischen Gutachten auf einen Pool von Ärzten zurückgreifen können, die im Umgang mit DDR-Häftlingen besonders geschult sind. Und schließlich konnte unsere Fraktion eine Überprüfung der Frist zu den Rehabilitierungsanträgen durchsetzen, die nach der derzeitigen Rechtslage am 31. Dezember 2019 endet. Mit dieser Überprüfung können wir die möglichen Auswirkungen auf die Praxis besser einschätzen. Das langfristige Ziel der Unionsfraktion ist es, diese Frist endgültig zu streichen. SED-Opfer, die bislang noch nicht in der Lage waren, einen Antrag für das Rehabilitierungsverfahren zu stellen, möchten wir damit den zeitlichen Druck nehmen. Sie sollen sich die notwendige Zeit nehmen, um ihr persönliches Schicksal aufzuarbeiten. In seiner Rede betonte Richard von Weizsäcker: „Wie gut uns die Einheit menschlich gelingt, das entscheiden kein Vertrag der Regierungen, keine Verfassung und keine Beschlüsse des Gesetzgebers. Das richtet sich nach dem Verhalten eines jeden von uns, nach unserer eigenen Offenheit und Zuwendung untereinander.“ Ich stimme Herrn von Weizsäcker zu. Ich finde, unsere Aufgabe als Staat ist es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Einheit unseres Landes voranzutreiben. Das schließt auch die Aussöhnung mit der Vergangenheit mit ein. Mit dem Gesetzesvorhaben und unserer Entschließung bewegen wir uns einen weiteren Schritt in die richtige Richtung. Den Opfern des überwundenen Regimes soll damit das Rehabilitierungsverfahren erleichtert werden. Gemeinsam mit den Erhöhungen der „Opferrente“ bilden die aufgegriffenen Punkte ein sehr gutes Paket, um die Rehabilitierung zu erleichtern und die Aus-söhnung mit der DDR-Vergangenheit weiter voranzutreiben – das ist und bleibt das Ziel der Fraktion von CDU und CSU. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Im 25. Jahr der friedlichen Revolution wollen wir an die Menschen erinnern, die ihre persönliche Freiheit und ihre Unversehrtheit geopfert haben, um dem DDR-Regime entgegenzutreten. Es waren nicht materielle Beweggründe, sondern der Drang nach Freiheit vor Bevormundung, nach Rechtsstaatlichkeit und persönlicher Selbstbestimmung, der die Ostdeutschen in Massen gegen die allmächtige Partei SED und ihr Unrechtsregime auf die Straße brachte. Die materiellen Gewinner der deutschen Einheit finden sich dann eher aufseiten der alten Nomenklatura: Direktoren und Parteiseilschaften, die ihre materielle und organisatorische Überlegenheit vielfach in die neue Zeit retten konnten. Mit der Erhöhung der SED-Opferrente wollen wir uns heute den Tausenden von Menschen zuwenden, die unter dem Unrecht der sowjetischen Besatzungsmacht oder der SED-Herrschaft großes persönliches Leid erlitten haben. Im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wird die monatliche Zuwendung für ehemalige Haftopfer der DDR von maximal 250 Euro auf maximal 300 Euro angehoben. Im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz wird die monatliche Zuwendung für Verfolgte, die in der DDR berufliche Nachteile erlitten haben, von 184 Euro auf 214 Euro erhöht, sofern diese Personen in ihrer wirtschaftlichen Lage heute besonders beeinträchtigt sind. Für Verfolgte, die bereits eine Altersrente beziehen, erhöht sich die monatliche Zuwendung von 123 Euro auf 153 Euro. Die gesetzliche Regelung soll bereits ab dem 1. Januar 2015 in Kraft treten. Mir ist wohl bewusst, dass die Opferverbände sich mehr gewünscht hätten. Ich verstehe, dass die Erhöhung der SED-Opferrente von 50 Euro auf 300 Euro viele als zu niedrig bemessen ansehen. Gemessen an dem erlittenen Unrecht ist gar kein Betrag hoch genug; das ist ganz klar. Aber ich bin davon überzeugt, dass insbesondere diejenigen, die mit einem geringen Einkommen auskommen müssen, diese Erhöhung im Portemonnaie sehr wohl spüren. Bei der Erhöhung der SED-Opferrente haben wir uns an dem orientiert, was wir für Opfer anderer Diktaturen getan haben. Daraus abgeleitet ergeben sich die Mindesthaftzeit von 180 Tagen, die Bedürftigkeitsprüfung sowie der Betrag in Höhe von bislang 250 Euro. Als die Wiedergutmachung für NS-Opfer erhöht wurde, haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Erhöhung der monatlichen Zuwendungen für SED-Opfer im Koalitionsvertrag verankern können, woraus sich nun ein Betrag von 300 Euro im Monat ab dem 1. Januar 2015 ergibt. Der Antrag der Linksfraktion ist hingegen blanker Hohn für die Opfer des SED-Unrechtsregimes. Die ehemaligen Täter und ihre heutigen Parteigänger fordern unter anderem eine Beweislastumkehr sowie keine Festlegung einer Mindesthaftdauer. Die Forderung nach einer Senkung der Mindesthaftdauer auf null hält dem Vergleich mit den Wiedergutmachungsleistungen gegenüber NS-Opfern nicht stand. Sie sind auch – wie alle ihre Zusatzforderungen – aus dem Munde der Linkspartei wohlfeil und klingen sehr nach „Haltet den Dieb“. Die Linkspartei ist die letzte politische Kraft in Deutschland, die ein Recht hätte, zu verlangen, dass für das von ihr allein verursachte Unrecht nun die ganze Gesellschaft aufzukommen hätte, und dies in einer Höhe und unter Bedingungen, die die Linkspartei selbst festlegt. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Linken, eine Zusatzleistung aus Ihrem eigenen Vermögen und den Einkommen Ihrer Mitlieder für die SED-Opfer aufzubringen wünschen, so steht dem nichts entgegen. Aber dies fordern Sie ja gerade nicht. Der wirkliche Hintergrund Ihres Antrags scheint auch nicht die Sorge um die SED-Opfer zu sein, weil sie diesen in allen Ihren Verlautbarungen genauso feindselig gegenüberstehen wie zu SED-Zeiten. Nein: Ihr Antrag ordnet sich ein in Ihr permanentes Bestreben, diesen Staat, in den die DDR aufgegangen ist, durch Überforderung zu zerstören, um die Genugtuung zu haben, dass nicht nur Ihr Staatsgebilde, sondern auch die verhasste BRD am Ende scheitert. Dem dient auch Ihre Forderung nach einer Beweislastumkehr. Die Kausalität zwischen schädigendem Ereignis, Schädigung und Schädigungsfolge ist bereits jetzt in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen und festzustellen. Die Einführung einer Beweislastumkehr wäre ein Präzedenzfall, der sich nach und nach auf alle möglichen Fälle von Gemeinschaftshaftung ausdehnen ließe. Sie ist angesichts dieser bestehenden Erleichterungen weder erforderlich noch vertretbar. Die Kausalität würde nicht mehr im Einzelfall geprüft, sondern für einen bestimmten Personenkreis automatisch unterstellt. Eine solche Unterstellung widerspricht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft, da jeder Mensch individuell auf schädigende Ereignisse reagiert. Sie würde mit dem Verzicht auf den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen zudem einen Systembruch innerhalb des Sozialen Entschädigungsrechts darstellen und zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Besserstellung von SED-Opfern gegenüber den anderen Personenkreisen der Sozialen Entschädigung – zum Beispiel Kriegsopfer, geschädigte Soldaten und Wehrdienstleistende, Gewaltopfer – führen. Außerdem würde dies dem Grundsatz der Rechtseinheitlichkeit im Sozialen Entschädigungsrecht widersprechen, da hier wie im gesamten Sozialrecht die Grundsätze der objektiven Beweislast gelten. Die materielle Verbesserung können wir heute beschließen. Aber damit ist es nicht getan. Die SED-Opfer haben darüber hinaus ein Recht der moralischen Würdigung ihres politischen Kampfes gegen das SED-Regime. Meine Damen und Herren von der Linkspartei: Sie sollen sich wahrlich nicht einbilden, dass Sie sich mit Ihrer wohlfeilen Forderung, mehr Geld auf die Konten der SED-Opfer zu überweisen, das Recht erkaufen, mit Ihrer Unrechtsstaatsdebatte, die Sie zur Reinwaschung der DDR angezettelt haben, den SED-Opfern ins Gesicht spucken zu dürfen. Diese Menschen sind nicht käuflich. Dr. Matthias Bartke (SPD): 1989 waren es massenhaft Menschen, die in den ostdeutschen Städten auf die Straße gingen. Und es waren viele Menschen, die der SED-Diktatur mutig die Stirn boten und den Fall der Mauer herbeiführten – der Mauer, die die Welt in Ost und West teilte. Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls sollten wieder viele Menschen auf die Straße gehen. Das war die Idee der Lichtgrenze hier in Berlin. Und es war auch so. 8 000 weiße, leuchtende Ballons markierten den ehemaligen Mauerverlauf und stiegen am 9. November in den Himmel auf. Hinter jedem der Ballons steckte auch eine persönliche Geschichte. Was für eine großartige Symbolkraft! Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls beschäftigen wir uns heute mit den Zuwendungen für Opfer des SED-Unrechts. Mehr als 45 000 ehemaligen politischen Häftlingen kommt die SED-Opferrente zugute. Hinter dieser Zahl an Menschen steckt jeweils eine ganz persönliche Geschichte. Das sind Geschichten von Behinderung im beruflichen Weiterkommen, Geschichten von Haft und Erniedrigungen aus politischen Gründen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir eine Erhöhung der Opferrente für die Menschen einführen, die nach den Stasidrangsalierungen wirtschaftlich nicht mehr auf die Beine gekommen sind. Eine Erhöhung im 25. Jahr des Mauerfalls – auch das hat immense Symbolkraft. Die Sachverständigenanhörung in der vergangenen Woche war sehr beeindruckend. Sie machte einmal mehr deutlich, dass erfahrenes Unrecht mit Geld nicht wiedergutzumachen ist. Die Anhörung hat uns zu dem Entschließungsantrag bewegt, der Ihnen vorliegt. Darin machen wir deutlich, was uns für die Opfer des SED-Unrechts überdies noch wichtig ist. Die Begutachtung in Rehabilitierungsverfahren führt bei Opfern immer wieder auch zu Retraumatisierungen. Das muss vermieden werden. Es darf nicht sein, dass Opfern durch Gutachter vollkommen unsensible Fragen gestellt werden. Es darf nicht sein, dass je weiter man nach Westen kommt, desto weniger Verständnis bei den Gutachtern vorhanden ist. Opfer mit gesundheitlichen Folgeschäden müssen mit Sachverstand und Einfühlungsvermögen der Gutachter rechnen können. Deswegen verweisen wir im Entschließungsantrag auf das Thüringer Modell eines Gutachterpools. In diesem Pool sind besonders geschulte und zertifizierte Gutachter erfasst. Sie haben Erfahrungen im Umgang mit traumatisierten SED-Opfern und wissen um das Repressionssystem in der ehemaligen DDR. Die emotionale Belastung, die mit einem Antrag auf Rehabilitierung verbunden ist, wird jedoch nie gänzlich zu vermeiden sein. Es gilt daher, den Opfern Zeit zu geben, Zeit, sich den eigenen Erfahrungen und dem erlebten Leid zu stellen. Die derzeitige Frist für Anträge endet 2019. Bis dahin werden 30 Jahre seit dem Mauerfall vergangen sein. Dennoch werden bis dahin noch längst nicht alle Stasiopfer einen Antrag gestellt haben. Deswegen fordern wir die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag auf, eine Streichung der Frist in Abstimmung mit den Ländern zu prüfen. Die Linke fordert, weitere Opfergruppen einzubeziehen und die Bedürftigkeitsprüfung abzuschaffen. Wir stimmen Ihnen in diesen Punkten nicht zu. Die von Ihnen genannten Opfergruppen haben regelhaft die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung und des Rückgriffs auf die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge. Hinsichtlich der Bedürftigkeit, kann ich nur immer wieder betonen: Die Ausgleichsleistungen und Zuwendungen, über die wir hier sprechen, sind nicht beliebig. Sie sind für diejenigen gedacht, die die traumatischen Erfahrungen der Haft und der Repression nicht verwunden haben und wirtschaftlich nicht mehr auf die Beine gekommen sind. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würdigen wir die Menschen aus der ehemaligen DDR, die Vorkämpfer waren für Freiheit, Demokratie und für ein vereinigtes Deutschland. Dass wir hierzu einen interfraktionellen Konsens haben, ist sehr gut. Und ich will offen gestehen: Es freut mich besonders, dass die Linke angekündigt hat, dem Gesetz und der Entschließung zuzustimmen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die LINKE wird heute dreimal „Ja“ sagen. Sie sagt „Ja“ zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, sie sagt „Ja“ zum Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD und sie sagt selbstverständlich „Ja“ zu ihrem eigenen Gesetzentwurf. Natürlich hätten wir uns gewünscht, die die Regierung tragenden Fraktionen nehmen unseren Gesetzentwurf, setzen ihren Namen drauf und stimmen dann zu. Wir hätten es auch getan. Der Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, ist derjenige, der den Opfern politischer Verfolgung in der DDR am gerechtesten wird. Denn wir heben unter anderem die Befristung der Antragstellung auf, wir beziehen die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen in die Regelungen des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes ein und wir stellen klar: Die Leistungen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz werden nicht mit dem Einkommen verrechnet. Wir sehen in dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD Ansatzpunkte für eine weitere Verbesserung der Lage der Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR. Deshalb werden wir zustimmen, denn jede Verbesserung wird unsere Zustimmung finden. Wir stellen aber fest, dass die Verbesserungen vor allem das Verfahren der Prüfung der Ansprüche betreffen. Es ist richtig, den Antragstellern und Antragstellerinnen auf eigenen Wunsch eine mündliche Anhörung einzuräumen. Es ist richtig, einen Gutachterpool einzurichten, in welchem besonders geschulte und zertifizierte Gutachter erfasst werden, und es ist richtig, zu prüfen, ob die Befristung der Antragstellung gestrichen werden kann. Es ist bedauerlich, dass Sie von den Koalitionsfraktionen in Ihrem Entschließungsantrag nicht weiter gehen. Ich habe bereits darauf verwiesen. Wenn Sie unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen wollen, weil er von uns kommt, hätten Sie ihn einfach übernehmen können. Wenn Sie auch das nicht wollen, hätten Sie aber auch in dem von Ihnen vorgelegten Entschließungsantrag Forderungen aus unserem Gesetzentwurf aufnehmen können. Dies umso mehr, als sich unsere Forderungen mit denen der Opferverbände decken. Im erweiterten Berichterstattergespräch haben die Opferverbände eine Rente ab dem ersten Tag der Haft gefordert. Das steht in unserem Gesetzentwurf. Die Opferverbände fordern eine Rente für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen. Das steht in unserem Gesetzentwurf. Die Opferverbände fordern eine Beweislastumkehr im Hinblick auf den Grund der Gesundheitsschädigung. In unserem Gesetzentwurf schaffen wir eine kleine Beweis-erleichterung. Eine der wichtigsten Forderungen der Opferverbände war die Streichung der Bedürftigkeitsprüfung bei der Auszahlung der Opferrente. Auch das steht in unserem Gesetzentwurf. Das Engagement und der Einsatz von Menschen in der ehemaligen DDR für Bürgerrechte und Freiheit bedürfen größerer Anerkennung als bisher. Deshalb haben wir unseren Gesetzentwurf eingebracht. Wir wissen um die Verantwortung unserer Vorvorgängerpartei. Wir werden diese Verantwortung nicht los, das ist uns bewusst. Diese Geschichte gehört zu uns. Diese Geschichte hat Auswirkungen bis heute. Ich habe bereits in der ersten Lesung gesagt: Wir können Dinge nicht ungeschehen machen. Wir können aus ihnen lernen und Schlussfolgerungen ziehen. Für uns bedeutet dies, uns dafür einzusetzen, dass die Betroffenen eine Anerkennung und eine Entschädigung für ihr Engagement und ihren Einsatz erhalten. Wir Linke werden an dem Thema der Opferrente und der Entschädigungen für Opfer politischer Verfolgung in der DDR dranbleiben. Wir werden überlegen, wie systematisch auch die verfolgten Schülerinnen und Schüler sowie die Zwangsausgesiedelten, ein Anliegen der Opferverbände, einbezogen werden können. Wir müssen uns gemeinsam Gedanken machen, wie auch in diesen Fällen Ausgleichsleistungen ohne die Zusatzvoraussetzung weiterer Folgeschäden ermöglicht werden können. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gehört zu den beeindruckendsten zivilisatorischen und gesellschaftlichen Leistungen in unserem Land, sich der eigenen Geschichte, der Geschichte der Diktaturen auf deutschem Boden zu stellen, sie aufzuarbeiten und dabei die vielen Opfer staatlicher Willkür gegen kritisch Denkende nicht zu vergessen. Der demokratische Rechtsstaat sühnt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vergangenes, systematisches, staatliches Unrecht, indem er für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR die Rehabilitierung auch materiell vorantreibt. Das ist richtig, und deshalb kann man nur empfehlen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir sollten auch besonders unseren Kolleginnen und Kollegen danken, die sich in der Vergangenheit und heute für die straf- und rentenrechtliche Rehabilitation eingesetzt haben; stellvertretend seien unsere bis heute aktiven Kollegen Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion und Iris Gleicke für die SPD-Fraktion genannt. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, dass sich in der Linksfraktion in den letzten Jahren zunehmend eine differenzierte Sichtweise auf das DDR-Unrecht eingestellt hat und konkrete weiterführende Vorschläge zur Rehabilitation unterstützt bzw. unterbreitet wurden. Für uns hat die Rehabilitierung nicht vornehmlich einen abstrakten symbolischen Wert, sondern ist in jedem gewährten Fall eine Anerkennung der je eigenen Verfolgungs- und Leidensgeschichte. Und an diesem Punkt möchte ich uns alle davon überzeugen, die Diskussion mit dem Ziel weiterzuführen, bisher nicht berücksichtigte, vergleichbar politisch Verfolgte einzubeziehen. Glauben Sie mir, es bedurfte nicht einer Haftstrafe von 180 Tagen und mehr, um körperlich und seelisch zu zerstören, die Menschenwürde zu rauben. Es gab viele Formen der behördlichen und staatssicherheitsdienstlichen Zersetzung mit manchmal durchaus noch gravierenderen Folgen für den Einzelnen als die Haft. Auch -erzwungene stationäre psychiatrische Behandlungen gehörten zu den schweren Menschenrechtsverletzungen. Wir schlagen als Diskussionsgrundlage die Annahme unseres Entschließungsantrages vor. Danach sollte der Empfängerkreis um definierte Personengruppen erweitert werden. Für die Betroffenen selbst sind besonders die Bedürftigkeitsprüfung, die Beweislast für Gesundheitsschädigung und dass die mündliche Anhörung nicht als Regel verankert ist, Hürden bei der Antragstellung und Gewährung. Auch sollten die Fristen nach § 7 und § 17 des Gesetzes gestrichen werden. Der Gesetzentwurf der Linken versucht, die dargestellten Probleme zu lösen. Er zeigt darüber hinaus, dass es in der Fraktion offenbar konkrete Unrechtserfahrungen in der DDR im Umfeld der Weltfestspiele 1973 gibt. Allerdings gehörte eine Verurteilung wegen asozialen Verhaltens auch ansonsten zum Repertoire staatlicher Unterdrückung in der DDR. Deshalb sehen wir Verbesserungsbedarf und werden uns zum Entwurf enthalten. Zustimmung also zum Gesetzentwurf der Koalition und Einladung zur Fortsetzung der Diskussion auf Grundlage unseres Entschließungsantrages, zu dem wir ebenfalls um Zustimmung bitten. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Tagesordnungspunkt 22) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Es kommt nicht oft vor, dass sich Opposition und Regierungskoalition bei einem Thema so einig waren wie wir bei der Aufarbeitung der Edathy-Affäre. Wir alle waren damals erschrocken, als zutage gefördert wurde, dass sich mittlerweile ein ganzer Markt, eine ganze Branche gebildet hatte, die mit dem Handel von gerade noch legalen Kindernacktbildern Millionenumsätze macht. Wir alle waren uns über eines einig und im Klaren: Dieser Markt muss trockengelegt werden! Insoweit passte es ganz gut, dass uns ohnehin über das Übereinkommen des Europarates vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch eine erhebliche Handlungsverpflichtung traf. Heute beraten wir nun über die Ratifizierung dieses Gesetzes, und ich freue mich feststellen zu dürfen, dass wir unserer gemeinsamen Zielsetzung gerecht geworden sind. So haben wir mit der Erweiterung des Begriffes „Kinderpornografie“ die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung aufgegriffen und den Begriff im Sinne der Lanzarote-Konvention definiert. Neben Abbildungen sexueller Handlungen an oder von Kindern und Darstellungen von unbekleideten Kindern in unnatürlicher geschlechtsbetonter Körperhaltung ist nun auch die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien bzw. des Gesäßes eines Kindes strafbar. Gerade mit der letzten Alternative schließen wir eine nicht hinnehmbare Strafbarkeitslücke. An dieser Stelle darf ich mich für den wichtigen Vorstoß des bayerischen Justizministers Professor Dr. Winfried Bausback bedanken, der diesen Punkt auch immer wieder gefordert hat. Ich denke, auch dieser Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass wir hier zu so einem guten Ergebnis gekommen sind. Dennoch ist es uns aber gleichzeitig gelungen, den Begriff der Jugendpornografie in § 184 c StGB von dem der Kinderpornografie in § 184 b StGB trennscharf abzugrenzen. Jugendliche verfügen eben bereits über eine andere Sexualität. Hier wäre es falsch, unreflektiert dieselben Maßstäbe anzulegen. Deshalb war es richtig, die Einwilligungsfähigkeit bezüglich entsprechender Bilder zum persönlichen Gebrauch zu etablieren. Nach dem Übereinkommen des Europarates, das wir heute hier in Gesetzesform gießen wollen, ist die Zielrichtung, sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern in jedweder Form zu unterbinden. Dies wäre uns aber nach den traurigen Erkenntnissen der Edathy-Affäre allein mit einer Novelle des § 184 b StGB nicht gelungen. Denn eine der wichtigsten Erkenntnisse war, dass die Branche immer wieder Kunstgriffe unternahm, um Bilder und Filme zu fertigen, die sich gerade noch an der Grenze zur Illegalität befanden. Hierzu haben sich die Produzenten solcher Filme zum Beispiel das Vertrauen armer Familien und Kinder in Osteuropa erschlichen. Mit Geschenken, Geld und -Süßigkeiten wurde hier Vertrauen aufgebaut, um dann Kinder unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit dazu zu bringen, nackt miteinander zu raufen, sich gegenseitig einzuölen oder zu baden. Diese Szenen wurden dann aus allen möglichen Perspektiven gefilmt, um das Material später gewinnbringend in Pädophilenkreisen zu vermarkten. Alles gerade noch legal! Mögliche Täter gaben sich dann als Kunst- bzw. Naturfreund aus. Alles sei unverfänglich, man habe nur seine Freude „am Anblick von spielenden, unbeschwerten Kindern“, waren da zum Beispiel Einlassungen im Rahmen der Ermittlungen. Deshalb war es richtig und wichtig, den Versuch zu unternehmen, im Zuge der Reform des § 201 a StGB hier jegliche Zweifel an der Illegalität solchen Handelns zu beseitigen. Wer solche Bilder und Filme fertigt, bzw. wer solche Bilder und Filme bezieht, der beutet Kinder sexuell aus, und er missbraucht sie. Deshalb kann ich die Kritik der Opposition an der Neuformulierung des § 201 a StGB, wonach sich derjenige strafbar macht, der Nacktbilder einer Person unter 18 Jahren in der Absicht herstellt, diese einem Dritten entgeltlich zu verschaffen, oder der sich solche entgeltlich verschafft, an dieser Stelle schlichtweg nicht nachvollziehen. Wer ernstlich den oben dargestellten Markt trockenlegen will, der muss auch bereit sein, dafür etwas zu tun. Und die hier bemühten Argumente taugen allesamt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und Grünen. Denn auch hier gibt es weiterhin das Rechtsinstitut der rechtfertigenden Einwilligung, weshalb das Nacktbild einer 17-Jährigen in einer Jugendzeitschrift unproblematisch ist. Hierfür konnten die Eltern einwilligen, denn im Gegensatz zu anzüglichen Nacktbildern raufender Knaben ist in diesem Fall die Zustimmung vom Sorgerecht gedeckt. Ich hätte mir aber von Ihnen, Herr Justizminister Maas, an einer anderen Stelle einen genaueren Blick auf die Zielsetzung des hier zu beratenden Übereinkommens gewünscht, nämlich bei der Frage der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim sogenannten Cybergrooming. Cybergrooming ist ein Phänomen, was heutzutage tausendfach im Internet geschieht: Hier nehmen Erwachsene – teilweise unter Vorspiegelung, selbst ein Kind zu sein – in Chatrooms oder anderen Foren für Kinder Kontakt zu diesen mit dem Ziel auf, sexuellen Kontakt anzubahnen. Diesbezüglich berichten Kriminalbeamte aus der Praxis, dass es mittlerweile Foren gibt, in denen zum Beispiel eine „Julia2004“ binnen Minuten zehn bis 20 Anbahnungsversuche erhält. Nun ist die spannende Frage, wie man an solche Täter herankommt: In der Anhörung wurde uns verdeutlicht, dass das nur über Ermittler möglich ist, die sich im Netz als Kind ausgeben. Da dann aus juristischer Sicht ein sogenanntes „untaugliches Tatobjekt“ vorliegt, ist dieser untaugliche Versuch nicht strafbar. Genauso verhält es sich, wenn zum Beispiel die Mutter das Treiben bemerkt, die Konversation mit dem Gegenüber weiterführt und sich als das Kind ausgibt. Selbst wenn der Täter eindeutige Bilder schickt, eindeutige Aufforderungen formuliert oder Ähnliches, die Tat bleibt straflos. Vertreter aus der Praxis haben deshalb in der Anhörung ausdrücklich die Bitte formuliert, den untauglichen Versuch unter Strafe zu stellen, da diese Konstellationen quasi die einzige Möglichkeit darstellen, solcher Täter habhaft zu werden. Denn das Anzeigeverhalten in diesen Fällen geht gen null. Die Kinder vertrauen sich oftmals den Eltern nicht an – sei es aus Scham oder mangels ausreichender Fähigkeit zur Bewertung des Vorgangs. Leider konnten wir uns hier mit unserer Forderung, den untauglichen Versuch unter Strafe zu stellen, weder bei der SPD noch beim Justizminister durchsetzen. Auch das Ministerium sieht hier keinen Handlungsbedarf. Allerdings muss man feststellen: Wenn man den Handlungsauftrag aus diesem Übereinkommen ernst nimmt, führt an einer Strafbarkeit in solchen Fällen kein Weg vorbei. Denn Herr Minister, geschätzte Kolleginnen und Kollegen: Die Welt hat sich schlichtweg verändert! Früher mussten mögliche Täter mit entsprechenden Neigungen Anbahnungsversuche vor Kindergärten, Schulen oder Kinderspielplätzen vornehmen. Dies barg zum einen das erhebliche Risiko der Aufdeckung, und es war zum anderen wesentlich zeitintensiver. Heute geschieht das in Deutschland täglich hundertfach, im Sekundentakt und im Schutze der Anonymität des Netzes. Deshalb werden wir als CDU/CSU hier von unserer Forderung nicht abweichen. Diesbezüglich bin ich froh, dass sich aus den Berichterstattergesprächen zumindest die Möglichkeit ergeben hat, in einem weiteren Fachgespräch nochmals die Forderung aus der Praxis ergebnisoffen zu diskutieren. Hierauf setzten wir große Hoffnung. Dennoch bleibt festzustellen: Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Mit Nacktbildern von Kindern werden in Zukunft in unserem Land keine Geschäfte gemacht. Deshalb stimmen wir dem Gesetz gerne zu. Dirk Wiese (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines „Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu diesem Gesetz ist gemäß Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes Voraussetzung für dessen Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland. Für diese Zustimmung möchte ich hier und heute werben. Aber Deutschland hat seine Umsetzungspflichten aus dem Abkommen bereits erfüllt. Letzter und entscheidender Schritt waren dabei die von uns in der letzten -Sitzungswoche verabschiedeten Änderungen im Sexualstrafrecht. Es würde den Rahmen sprengen, die Änderungen vorzutragen, deshalb beschränke ich mich kurz auf die wichtigsten Punkte und verweise ansonsten auf die Debattenbeiträge der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Sexualstrafrechts. Kernstück dieser Reform ist dabei, dass wir das Strafmaß für den Besitz von Kinderpornografie von zwei auf drei Jahre erhöht haben und genau definiert haben -welche Bilder und Aufnahmen unter Strafe fallen und welche nicht. Daneben haben wir Strafbarkeitslücken bei dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen geschlossen. Zur Verdeutlichung auch in der heutigen -Debatte folgendes Beispiel: Das OLG Koblenz musste im Dezember 2012 einen Lehrer, der sich gezielt an eine 14-jährige Schülerin herangemacht hatte und das Mädchen über fünf Monate und letztendlich erfolgreich zum Sex gedrängt hatte, vom Vorwurf des Missbrauchs von Schutzbefohlenen freisprechen. Grund für den Freispruch war einzig und -allein, dass der Lehrer das Mädchen nicht regelmäßig unterrichtete und er damit als Vertretungslehrer in keinem sogenannten Obhutsverhältnis zu der Neuntklässlerin stand. Mit der Neufassung bzw. Ergänzung des § 174 Absatz 2 StGB schließen wir diese Regelungslücke nun. Ganz klar: Niemand soll seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchen dürfen. Ferner haben wir den Straftatbestand des „Cybergroomings“ konkretisiert, um Kinder und Jugendliche im Internet besser vor Sexualstraftätern schützen zu können. Ein äußerst wichtiger Teil der Reform des Sexualstrafrechts, denn die Fälle des „Cybergroomings“ nehmen deutlich zu. Allein in NRW gab es eine Steigerung im Jahr 2013 von 54,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Außerdem haben wir die Genitalverstümmelung, eines der abscheulichsten Verbrechen an jungen Frauen und Kindern, in den Katalog der Auslandsstraftaten aufgenommen, um Eltern davon abzuhalten, ihre Kinder im Urlaub beschneiden zu lassen. Darüber hinaus haben wir auch ein starkes Signal an die Opfer von sexuellem Missbrauch gesandt, indem wir die Verjährungsfristen deutlich erhöht haben. Denn -Opfer von sexuellem Missbrauchs können oftmals erst viele viele Jahre später über die Taten sprechen, deren Opfer sie einst wurden. Mit der Erhöhung der Verjährungsfristen setzen wir ein Zeichen dafür, dass wir diese Menschen mit ihrem Leid nicht alleine lassen. Wenn wir über den Schutz von Kindern und Jugendlichen reden, dürfen wir aber nicht nur über Strafrecht -reden. Denn in dem Moment, wo es zur Anwendung kommt, ist es für die Opfer bereits zu spät. Sie sind mitunter ein Leben lang gezeichnet oder traumatisiert. Darum müssen wir vorher ansetzen, also bevor die Taten geschehen. Wir müssen also dafür sorgen, dass es gar nicht erst zu sexueller Gewalt kommt. Deshalb möchte ich hier noch auf das Präven-tionskonzept von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt“, hinweisen. Es stützt sich auf fünf Säulen, von denen die erste die bereits von mir dargestellte Reform des Sexualstrafrechts und der Verjährungsfristen beinhaltet. Die zweite Säule bilden der Schutz und die Begleitung von Opfern im Strafverfahren. Nach einem -Referentenentwurf zur 3. Opferrechtsreform aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird künftig ein Anspruch auf psychosoziale Prozess-begleitung bestehen, um die Belastung der Kinder -und Jugendlichen im Strafprozess deutlich zu reduzieren. -Zusätzlich soll durch eine Ergänzung des Kinderschutzgesetzes eine engere Kooperation von Ermittlungsbehörden und Jugendämtern ermöglicht werden. Eine weitere Säule des Gesamtkonzepts von Ministerin Schwesig bildet die Schaffung eines für Kinder -uneingeschränkten Beratungsanspruchs gegenüber der Kinder- und Jugendhilfe – auch ohne Kenntnis der Eltern –, flankiert durch Einführung von Schutzkonzepten in Schulen und anderen Einrichtungen. Ein klares Signal für mehr Kinderschutz! Die vierte Säule bilden Beratung, Hilfen und Therapien für Betroffene. Auf Bundesebene wird eine Koordinierungsstelle geschaffen werden, um die Beratungsstrukturen für Betroffene zu verbessern und sie leichter an die spezialisierte Fachberatung überweisen zu können. Daneben werden auch mögliche und potenzielle -Täter mit entsprechenden Neigungen ins Auge gefasst: Präventionskonzepte werden gestärkt, damit diese erst gar nicht straffällig werden. Abgerundet wird das Gesamtkonzept durch die fünfte und letzte Säule, nämlich den Schutz von Kindern und Jugendlichen in den digitalen Medien. In Zusammen-arbeit mit dem Zentrum für Kinderschutz im Internet soll ein Netzwerk einrichtet werden, um Grauzonen von Missbrauchsdarstellungen im Netz national und international besser bekämpfen zu können. Zusätzlich werden Eltern und Kinder über Risiken beim Umgang mit digitalen Medien aufgeklärt und sensibilisiert. Durch eine gesetzliche Informationsverpflichtung soll dabei sichergestellt werden, dass diese Aufklärung auch wirklich stattfindet. Sie sehen, die Bundesregierung hat sich sowohl des strafrechtlichen als auch des präventiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch angenommen. Wir haben dabei die Zielvorgaben des Übereinkommens des Europarates erfüllt und gewährleisten in manchen Bereichen sogar einen weitaus besseren Schutz, als er im Abkommen -gefordert wird. Deshalb werbe ich heute hier um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Entwurf des Vertrags-gesetzes, damit die Bundesrepublik Deutschland nach der Zustimmung dieses Hohen Hauses das Abkommen auch ratifizieren kann. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch – Lanzarote-Konvention – am 25. Oktober 2007 unterzeichnet. Der Bundestag muss nun die nach Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erforderliche Zustimmung zum Vertragsgesetz beschließen. Diese Ratifizierung setzte nach Auffassung der Bundesregierung eine Änderung des Strafgesetzbuches voraus, die von der Mehrheit des Bundestages vor wenigen Wochen mit der Änderung des Sexualstrafrechtes beschlossen wurde. Die Linke hat aus verschiedenen Gründen diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Ich will all die Gründe heute nicht wiederholen, zumal diese bei Interesse im Plenarprotokoll nachgelesen werden können. Das Ziel des Vertragswerks, die Verhütung und Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern, teilen wir ausdrücklich. Die in der Konvention enthaltenen Regelungen im Hinblick auf die Verpflichtung zur Prävention in Bezug auf Täter und Opfer und auf die Unterstützung von Opfern stellen eine sinnvolle und begrüßenswerte Verbesserung im Vergleich zu bisherigen internationalen Vorgaben dar und fördern auch in Deutschland den Ausbau der Prävention. Das finden wir richtig und gut. Die in der Konvention enthaltenen Vorgaben für präventive Maßnahmen, etwa verpflichtende Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung der Opfer sowie Bestimmungen zu Präventions- und Interventionsprogrammen und Maßnahmen für Sexualstraftäterinnen und -täter, sind sinnvoll. Es ist ebenfalls gut, dass Kinder in der Schule über sexuellen Missbrauch aufgeklärt werden und Beratung erhalten sollen. Auch die zwingende flächendeckende Einrichtung von Beratungsstellen für Opfer und potenzielle Opfer oder Ratsuchende sowie die Auflegung von Täterpräventionsprogrammen findet unsere Zustimmung. Wenn wir uns dennoch enthalten, dann hat dies damit zu tun, dass wir einen Teil der Vorgaben im Strafrecht für problematisch halten. Kind im Sinne des Übereinkommens nach Artikel 3 a ist eine Person unter 18 Jahren. Gerade im Bereich der Sexualität finden wir es aber ausgesprochen richtig, einen Unterschied zu machen, ob es sich um unter 14-jährige und um über 14-jährige, aber unter 18-jährige Personen handelt. Dieser Konflikt zieht sich durch die gesamten strafrechtlichen Regelungen im Übereinkommen. Da ist zum Beispiel der Artikel 20. Dieser fordert, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um die Herstellung von Kinderpornografie, das Anbieten oder die Verfügbarmachung von Kinderpornografie, das Verbreiten oder Übermitteln von Kinderpornografie, das Beschaffen von Kinderpornografie für sich selbst oder einen anderen, den Besitz von Kinderpornografie und den wissentlichen Zugriff auf Kinderpornografie mithilfe der Informations- und Kommunikationstechnologien unter Strafe zu stellen. Selbst bei einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Strafrecht dürfte unstreitig sein, dass in den aufgezählten Fällen das Strafrecht eingreifen sollte – wenn es sich um unter 14-Jährige handelt. Nach Artikel 20 Absatz 2 ist Kinderpornografie jedes Material mit der bildlichen Darstellung eines Kindes – und nach dem Übereinkommen meint dies eben Personen unter 18 Jahren – bei wirklichen oder simulierten eindeutig sexuellen Handlungen oder jede Abbildung der Geschlechtsteile eines Kindes zu vorwiegend sexuellen Zwecken. Wir haben uns bei der Verschärfung des Sexualstrafrechtes schon trefflich darüber gestritten, ob wir nicht zumindest mit der zweiten Tatbestandsalternative in einen Bereich des Motivstrafrechts kommen. Wie soll denn bitte geklärt werden, ob die Aufnahme einer bildlichen Darstellung eines Geschlechtsteiles aus vorwiegend sexuellen Motiven stattgefunden hat? Aber unabhängig davon gilt dies nach dem Übereinkommen ja auch für Abbildungen von Geschlechtsteilen von zum Beispiel 16-Jährigen oder 17-Jährigen. Wir laufen hier durch die Definition, wer als Kind gelten soll, Gefahr, die Sexualität von Jugendlichen zu kriminalisieren. Aus unserer Sicht führt dies aber auch zu Wertungswidersprüchen. Denn sowohl nach dem Übereinkommen als auch nach deutschem Recht dürfen Personen ab 14 Jahren mit Volljährigen einvernehmliche sexuelle Handlungen vornehmen. Sie dürfen sich aber nicht dabei fotografieren oder die Bilder besitzen. Eine Herausnahme aus der Strafbarkeit ist für die Unterzeichnerstaaten nicht möglich für den Fall, dass eine 18-Jährige, die ihren 17-jährigen Freund bei sexuellen Handlungen – die sie vornehmen dürfen – fotografiert und das Bild behält oder gar Freunden zeigt oder ihnen per E-Mail sendet. Wir sind nicht davon überzeugt, dass ein solches Verhalten dem Strafrecht unterliegen soll. Wir glauben, diese von der Konvention betriebene Kriminalisierung jugendlichen Sexualverhaltens ist nicht gerechtfertigt und verletzt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Wir halten es tatsächlich für besser, zwischen Kinder- und Jugendpornografie und sexuellen Handlungen mit Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden, wie dies in Deutschland der Fall ist. Insofern hätten wir uns Regelungen gewünscht, die sicherstellen, dass in keinem der Unterzeichnerstaaten die einvernehmliche Sexualität – und entsprechende Fotos – von Jugendlichen mit He-ranwachsenden oder Erwachsenen unter Strafe gestellt werden kann. Wir sehen viele gute Ansätze in der Lanzarote-Konvention; angesichts der aufgezeigten Probleme bleibt uns allerdings nur die Stimmenthaltung. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als der Europarat im Oktober 2007 seine Konvention verabschiedete, war dies ein Meilenstein. Es war ein Schritt zum besseren Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und vor Missbrauch. Dies ist inzwischen mehr als sieben Jahre her, und erst heute verabschiedet der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Ratifizierung der sogenannten Lanzarote-Konvention. Wir werden diesem Gesetz zustimmen, obwohl – und darauf muss ich hinweisen – wir die Definition von Kind differenzierter sehen als die völkerrechtliche Definition von Kind. Wir unterscheiden zwischen Kindern und Jugendlichen, zum Teil sogar zwischen 14- und 16-Jährigen. Viele der strafrechtlichen Regelungsbedarfe wurden jüngst mit dem „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ umgesetzt. Das Gesetz aus dem Hause von Bundesminister Maas hat öffentlich große Aufmerksamkeit erfahren. Dies wurde meiner Auffassung nach allerdings vor allem durch zwei Punkte beeinflusst. Zum -einen wurde durch die Ermittlungen gegen einen ehemaligen Bundestagsabgeordneten eine öffentliche Debatte über sogenannte Posingbilder ausgelöst. Diesem Vorfall ist es quasi zu verdanken, dass viele der sexualstrafrechtlichen Vorgaben der Konvention vor wenigen Wochen umgesetzt wurden. Zum anderen erfuhr das Thema so viel Aufmerksamkeit, da der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium im Bereich der Persönlichkeitsverletzung derart über das Ziel hinausgeschossen ist. Ich sage nur: „bloßstellende Aufnahmen“. Gerade die Medienvertreter wurden da natürlich aufmerksam, schließlich wären sie durchaus Betroffene dieses Gesetzes geworden, wenn es in dieser Form durch den Bundestag gekommen wäre. Nun: Die mediale Konzentrationsfähigkeit ist schnell dahin. Vermutlich will die Bundesregierung uns und den Menschen im Lande auch suggerieren, dass mit der Verabschiedung des Gesetzes nun alles getan ist, was getan werden musste. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Ratifizierung der so wichtigen Lanzarote-Konvention in dieser Sitzungswoche praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Es sind jedoch insbesondere die Präventionsmaßnahmen, auf die die Konvention großen Wert legt und die bisher völlig unzureichend umgesetzt sind. Ich will nur drei Beispiele nennen: Die Schulungsmaßnahmen für alle Berufsgruppen, die mit potenziellen minderjährigen Opfern des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Ausbeutung in Kontakt kommen, sind in Deutschland weiterhin unzureichend. Ebenso gibt es in Deutschland keine bedarfsgerechte Betreuung und Therapie von minderjährigen Betroffenen – vor allem in ländlichen Regionen. Auch wären gesetzliche Regelungen, wie „privacy by design“ als Grundeinstellung, womit höhere Datenschutzstandards vor allem bei sozialen Netzwerken im Internet erreicht werden, ein Beitrag zur Umsetzung der Konvention. Auf viele der Punkte, die noch umzusetzen sind, haben wir in unserem Antrag „Kinder schützen – Prävention stärken“ – Drucksache 18/2619 – hingewiesen. Auch das Gesamtkonzept für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt, das Bundes-familienministerin Schwesig am 22. September 2014 in Anwesenheit des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Rörig, auf einer Presseveranstaltung vorgestellt hat, beabsichtigt, Forderungen aus der Konvention umzusetzen. Ich bin froh, dass Konventionen mit ihrer Ratifizierung innerstaatlich verbindlich werden. Dies erhöht den Umsetzungsdruck. Diesen Druck werde auch ich künftig machen. Deswegen habe ich mit meiner Fraktion in dieser Sitzungswoche die Bundesregierung mit einer Kleinen Anfrage um Antwort gebeten, was denn bei der Umsetzung der Präventionsmaßnahmen Stand der Dinge ist. In einigen Wochen werden wir dann hoffentlich etwas schlauer sein. Ich kann nur hoffen, dass nach den vielen Ankündigungen dann konkrete Umsetzungsschritte zu erkennen sind. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 23) Sebastian Steineke (CDU/CSU): Durch die Schaffung des EU-Binnenmarkts ist der Handel innerhalb der Europäischen Union deutlich einfacher geworden. Heutzutage gehört es für Verbraucher zur Normalität, Waren aus anderen Mitgliedstaaten zu beziehen, und für Unternehmen zur Normalität, Waren in diese Länder zu exportieren. Zudem errichten viele Unternehmen mittlerweile Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dennoch bestehen nach wie vor Barrieren, die Verbraucher und Unternehmer häufig vom internationalen Handel abhalten. Zu diesen Barrieren gehört auch das schwierige und umständliche Verfahren zur Beschaffung von Informationen über seinen ausländischen Geschäfts- oder Vertragspartner. Zur Überwindung von Sprachpro-blemen und zur Verbesserung des Zugangs zu solchen Unternehmensinformationen bedarf es daher einer grenzüberschreitenden Lösung. Der vorliegende Gesetzentwurf, der der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregister in der Europäischen Union (RL 2012/17/EU) dient, soll diese Barrieren beseitigen. Der Gesetzentwurf sieht entsprechende Änderungen des Handelsgesetzbuches sowie der Handels-registerverordnung vor. Mit der Richtlinie soll der grenzüberschreitende Zugang zu Unternehmensinformationen über das europäische Justizportal verbessert und die genauen Kanäle für die Kommunikation zwischen den nationalen Registern der Mitgliedstaaten über eine zentrale europäische Plattform festgelegt werden. Zukünftig bilden folgende drei Teile gemeinsam das europäische System der Registervernetzung: die Register der Mitgliedstaaten, die zentrale europäische Plattform und das europäische Justizportal. Bisher musste man sich für die Informationsbeschaffung beim ausländischen Register anmelden und die dortige Gerichtssprache beherrschen. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Zugang zu diesen Registern im grenzübergreifenden Kontext erheblich zu vereinfachen und dadurch sichere Rahmenbedingungen für den innereuropäischen Handel zu schaffen. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Verbraucher, der nach dem Onlinekauf im Ausland aufgrund von mangelhafter Warenlieferung eine Klage gegen den Lieferanten anstrebt, kann dies zwar – dank der Verbrauchergerichtsstandregelung – in Deutschland tun. Dennoch benötigt er für die Klageerhebung verlässliche Angaben zum Sitz, zur Anschrift und zum gesetzlichen Vertreter des Prozessgegners. Dies stellt ihn bislang vor eine schwierige Prozedur. Oftmals führte dies dazu, dass Betroffene den Schaden lieber in Kauf nahmen, da es zu umständlich erschien, die notwendigen Schritte zur Ermittlung der anderen Vertragspartei einzuleiten. Durch die Verbesserung des grenzüberschreitenden Zugangs zu Unternehmensinformationen soll sich dies ändern. Beispielsweise sind nun Änderungen in der Regel innerhalb von 21 Tagen ab Vorliegen der vollständigen Anmeldung in das Handelsregister einzutragen und bekannt zu machen. Diese Verbesserung wird durch die Vernetzung der nationalen Register zu einem europäischen Justizportal erreicht werden. Darüber hinaus wird durch die Schaffung von zeitgemäßen Kommunikationskanälen und die Ergänzung des europäischen Justizportals um alle Sprachen der EU das Registerverfahren beschleunigt sowie Bürokratie abgebaut. Alle in Deutschland tätigen Kapitalgesellschaften erhalten eine einheitliche europäische Kennung, damit sie problemlos zugeordnet werden können. Die weiteren technischen Details des Datenverkehrs kann das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz in einer Rechtsverordnung regeln, für die wir ihm mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Ermächtigungsgrundlage schaffen. Da der Gesetzentwurf viele technische Regelungsdetails hinsichtlich der Verknüpfung der einzelnen Register beinhaltet, führte der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz auf Initiative der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD am 5. November 2014 eine öffentliche Anhörung durch, in der der Gesetzentwurf von allen anwesenden Sachverständigen im Grundsatz begrüßt wurde. Trotzdem erlebten wir hier ein Paradebeispiel, dass Anhörungen des Bundestags nicht nur für das Schaufenster gedacht und wirkungslos sind. Denn gerade weil dieser Gesetzentwurf viele technische Details berücksichtigen musste, haben uns die Experten auf vermeintliche Kleinigkeiten hingewiesen, die aber für die Praxis und insbesondere für die handelnden Personen der Rechtspflege von immenser Bedeutung sind. Unter anderem ging es um Begrifflichkeiten, die das Einreichen von Dokumenten zum Handelsregister betreffen. Wir als Union haben die Hinweise der Sachverständigen aufgegriffen und im Anschluss gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium erörtert. Die nun eingearbeiteten Änderungen werden in der Praxis für Rechtssicherheit sorgen und für den Anwender eine Erleichterung sein. Dass das System der Registervernetzung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten notwendig ist, wird auch daran deutlich, dass es nach Erhebungen der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2013 rund 31 Millionen Unternehmen in der Europäischen Union gibt, die in den Handelsregistern der Mitgliedstaaten erfasst sind. Der Gesetzentwurf trägt zukünftig nicht nur zur Stärkung des grenzüberschreitenden Handels und Informationsaustauschs innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im internationalen Vergleich bei, sondern schafft auch mehr Rechtssicherheit in diesem Bereich. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz beschlossenen Fassung zustimmen. Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit diesem Gesetz tragen wir dazu bei, dass Richtlinien ins deutsche Recht umgesetzt werden, die den Wirtschaftsverkehr innerhalb der Europäischen Union wesentlich erleichtern werden. Mit dem Gesetz sollen Änderungen der Publizitätsrichtlinie, der Zweigniederlassungsrichtlinie und der Fusionsrichtlinie umgesetzt werden, die auf Verknüpfung der Handelsregister abzielen. Ziel des Gesetzesvorhabens ist es, dass alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger einen europaweiten Zugriff auf wichtige Unternehmensdaten der Kapitalgesellschaften erhalten – und zwar einfach und schnell über das Internet. Viele Unternehmen innerhalb der EU nutzen längst die Möglichkeit, über Ländergrenzen hinweg zu expandieren, Zweigniederlassungen zu gründen oder stehen mit Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in geschäftlichem Kontakt. Die Handels- bzw. Unternehmensregister sind in diesem grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr wichtige Informationsquellen. Über die Handelsregister können Unternehmen, aber auch Verbraucherinnen und Verbraucher relevante Informationen über die Unternehmen erhalten, die ihre potenziellen Geschäftspartner sein könnten oder mit denen sie bereits Geschäfte machen. Mit dem schnellen zentralen Onlinezugriff auf Handelsregisterdaten haben wir in Deutschland bereits beste Erfahrungen gemacht. Wir haben schon vor Jahren die Daten von 130 Registergerichten aus allen Bundesländern auf nationaler Ebene miteinander vernetzt. Jedermann kann seit 2007 über das gemeinsame Register-portal der Länder unter www.handelsregister.de Unternehmensdaten abrufen, aber auch wichtige Dokumente wie Gesellschaftervertrag, Jahresabschluss oder Gesellschafterliste einsehen. Die Register sind zwar vernetzt, die Daten bleiben aber bei den Ländern. Der Onlinezugriff hat hier bereits zu steigender Nachfrage geführt. Genau dieses Erfolgsmodell wird jetzt auf europäischer Ebene ebenfalls eingeführt. Jeder Mitgliedstaat behält auch hier die Herrschaft über seine Register, die aber miteinander vernetzt werden. So wird über das Europäische Justizportal ein zentraler und europaweiter Zugriff für Bürgerinnen und Bürger, Rechtspraktiker, Unternehmen und Gerichte installiert. Das ist eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung. Denn Millionen Unternehmen in der EU sind mittlerweile in verschiedenen Handelsregistern der Mitgliedstaaten registriert. Nun erhalten Kapitalgesellschaften sowie deren Zweigniederlassungen eine einheitliche europäische Kennung. Das ermöglicht einen besseren Datenaustausch und mehr Transparenz. Veränderungen wie Insolvenz, Liquidation, Löschung oder Verschmelzung von Kapitalgesellschaften werden den betroffenen Registern mitgeteilt. Außerdem haben die zuständigen Registerstellen nun eine Frist von 21 Tagen für die Bekanntmachung oder Änderung der Registerangaben einzuhalten, eine Frist, die in Deutschland kein Problem darstellen wird. Die Eintragungen erfolgen bei uns regelmäßig sehr viel schneller. Der Suchservice über das Europäische Justizportal wird kostenlos sein und in 23 Sprachen zur Verfügung stehen. Dieser verbraucherfreundliche Ansatz soll an dieser Stelle besonders betont werden. Das Vorhaben, ein europäisches Handelsregisterportal zu installieren, mag ambitioniert sein. Aber dieses Gesetz ist ein notwendiger Schritt dahin. Und ich bin überzeugt, dass es zur Harmonisierung des Wirtschaftsverkehrs beitragen, den Informationsaustausch vereinfachen und in Zukunft von vielen Menschen und Unternehmen genutzt werden wird. Richard Pitterle (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eigentlich ein unterstützenswertes Ziel verfolgt. Denn bei den mehr und mehr europaweit vernetzten Handelsbeziehungen, Warenströmen und Dienstleistungserbringungen macht eine Vernetzung auch der verschiedenen Handels- und Unternehmens-register durchaus Sinn. So soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemäß der zugrunde liegenden EU-Richtlinie gewährleistet werden, dass die Register der Mitgliedstaaten, die zentrale Europäische Plattform und das Europäische Justizportal künftig gemeinsam das Europäische System der Registervernetzung bilden. Um die Register der Mitgliedstaaten hier kompatibel zu machen, soll eine einheitliche europäische Kennung für alle Kapitalgesellschaften eingeführt werden. Und hier liegt auch schon der erste Knackpunkt in Ihrem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. Warum nur Kapitalgesellschaften? Was ist mit den Personengesellschaften? Auch diese nehmen am Wirtschaftsleben in der Europäischen Union teil, beispielhaft möchte ich hier Aldi nennen – ein Unternehmen in der Form einer offenen Handels- und somit Personengesellschaft. Ein weiterer Schwachpunkt in dem vorliegenden -Gesetzentwurf liegt in dem nicht sonderlich verbraucherfreundlich geprägten Zugang zu den relevanten -Informationen. Wichtige Angaben wie ladungsfähige -Anschriften oder Vertretungsberechtigungen bei den Gesellschaften sind nicht zwingend vorgeschrieben. Das sind aber genau jene Angaben, die Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Verfolgung ihrer Ansprüche zu allererst benötigen – wenn Sie ein Unternehmen verklagen wollen, müssen Sie auch wissen, an wen die Klage zu richten ist. Wenn man die geplante praktische Umsetzung betrachtet, fällt zudem auf, dass die Richtlinie und leider auch die vorliegende Umsetzung ins deutsche Recht keinen Zwang zur Übersetzung in die europäischen Amtssprachen enthalten. Zur Überwindung der jeweiligen Sprachbarrieren wäre eine solche aber durchaus notwendig. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch kleiner und mittlerer Unternehmen ist überdies zu bemängeln, dass der Zugang zu den entsprechenden Unterlagen nicht kostenlos sein soll. Wir müssen daher feststellen, dass die Gestaltungsspielräume, die hier bei der Umsetzung der Richtlinie zum Beispiel zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher gegeben gewesen wären, von der Bundesregierung leider nicht genutzt wurden. Zwar ist es richtig, dass hier widerstreitende Interessen in Einklang gebracht werden müssen. Da ist das Recht auf den Zugang zu Informationen auf der einen und die Rechte der diese Informationen zur Verfügung stellenden Kapitalgesellschaften auf der anderen Seite. Dennoch wäre eine effektivere Ausgestaltung des Informationsflusses hier wünschenswert gewesen. Zuletzt muss ich Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, noch an einer weiteren Stelle tadeln. Die Bundesrepublik hinkt bei der Umsetzung der hier zugrunde liegenden EU-Richtlinie nämlich wieder einmal hinterher. Eigentlich hätte die Richtlinie nämlich bis zum Juli dieses sich dem Ende zuneigenden Jahres in das nationale Recht implementiert sein müssen. Das ist nicht geschehen, und somit hat Deutschland wieder einmal kein gutes Beispiel bei der Beachtung europarechtlicher Vorgaben abgegeben. Hier wäre zukünftig etwas mehr Disziplin durchaus wünschenswert. Abschließend bleibt mir zu vorliegendem Gesetzentwurf letztlich nur Folgendes zu sagen: Der zugrunde liegende Ansatz ist gut, aber bei der Umsetzung hakt es mal wieder. Die Fraktion Die Linke wird sich daher enthalten. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit diesem Gesetzentwurf geht Deutschland den ersten Schritt zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU, mit der mittelfristig das Europäische System der Registervernetzung auf den Weg gebracht werden soll. Künftig sollen die Register verknüpft werden und alle Kapitalgesellschaften eine einheitliche Kennung erhalten. Die Voraussetzungen hierfür sollen im Handelsgesetzbuch geschaffen werden. Der immer weiter zusammenwachsende europäische Binnenmarkt führt zu einem zunehmenden Angleichungsdruck in rechtlicher Hinsicht. Wir erleben dies im verbraucherrechtlichen Bereich genauso wie im Gesellschaftsrecht oder im Handelsrecht. Und eben auch bei den Handelsregistern. Grenzüberschreitende Anfragen gewinnen in der täglichen Arbeit der Handelsregister stetig wachsendes Gewicht. Es wird immer wichtiger, sich auch in den Registern der anderen EU-Mitgliedstaaten zu informieren. Hierbei stößt der Anwender in der Praxis leider häufig auf Hindernisse. Meist setzt zum Beispiel der Zugang zu einem nationalen Register schlicht die Kenntnis der Landessprache voraus. Ein Informationsaustausch zwischen den Registern erfolgt bisher nicht. Dabei setzen bestimmte Sachverhalte dringend einen besseren Informationsaustausch zwischen den Registern voraus. Dies ist aber im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr bisher nicht möglich. Es ist zum Beispiel so, dass die inländische Eintragung einer Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens häufig gewissermaßen die Eintragung der Hauptniederlassung im Ausland spiegelt. Das Register der Hauptniederlassung meldet Veränderungen aber nicht automatisch an das Register der Zweigniederlassung und das Register der Zweigniederlassung kann nicht unentwegt die Eintragung im Register der Hauptniederlassung überprüfen. Eine elektronische Kommunikation zwischen den Registern ist bisher nicht möglich. Dies kann zu unschönen Missverständnissen führen! Die deutschen Handelsregister und das deutsche -Unternehmensregister sollen mittels der zentralen Europäischen Plattform mit den Registern der übrigen europäischen Mitgliedstaaten verbunden werden. In Deutschland sind die Daten der 130 Registergerichte bereits seit 2007 miteinander vernetzt. Die Daten liegen dabei nicht auf einem zentralen Server, sondern die einzelnen Landesserver werden miteinander vernetzt. Dieses System soll nun auch auf europäischer Ebene angewendet werden, ohne dass dabei die bisherigen Plattformen mit ihren unterschiedlichen Schwerpunktangeboten abgelöst werden. Es werden weiterhin das gemeinsame Registerportal der Länder, das Unternehmensregister und zusätzlich das Europäische Justizportal verfügbar sein. Es ist gut, dass hierbei der Mindestdatensatz kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Die Zugangshürden zu den Informationen des Registers sollten möglichst niedrig gehalten werden. Die zentrale Europäische Plattform wird die Verbindung zwischen den Daten sicherstellen und das Europäische Justizportal dient als zentrale Suchplattform, speichert aber selbst auch keine Daten. Diese Lösung halten wir für sinnvoll. Die Nutzer werden die mehrsprachige Suche schätzen. Registereintragungen sollen in allen Amtssprachen der EU recherchiert werden können. Das hilft dabei, Sprachbarrieren zu überbrücken. Als Indexdaten sollen erfasst werden: der Name der Gesellschaft, ihre Rechtsform, der Sitz der Gesellschaft, der Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft eingetragen ist, sowie die Registernummer der Gesellschaft. Die Sachverständigen haben in ihren Stellungnahmen für die Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz noch die Frage aufgeworfen, ob es nicht eventuell auch sinnvoll wäre, die Registerinformationen selbst in übersetzter Form zur Verfügung zu stellen. Das finde ich einen sinnvollen Hinweis, dem man nachgehen sollte. Es würde mich freuen, wenn die Kommission diesen Gedanken aufnehmen würde. In der Handelsregisterverordnung soll künftig festgelegt werden, dass Änderungen im Register in der Regel innerhalb von 21 Tagen ab Vorliegen der vollständigen Anmeldung in das Handelsregister einzutragen und bekannt zu machen sind. Die Sachverständigen haben hier in ihren Stellungnahmen zu bedenken gegeben, dass die deutsche Regelung sich bei der 21-Tage-Frist nicht nur auf die notwendigen Daten beschränkt und die Richtlinie übererfüllt wird. Es sei außerdem so, dass die Frist von 21 Tagen in der deutschen Registerpraxis in aller Regel unterschritten würde. Hier verstehe ich nicht, wieso auf diese Bedenken nicht eingegangen wurde, vor allem da es in der Praxis offensichtlich kein Problem gibt, das diese weite Interpretation der Richtlinie notwendig machen würde. Dies ist für uns zwar kein Grund, das Gesetz abzulehnen, aber wieder ein Beweis dafür, dass die Koalition im Gesetzgebungsverfahren den Sachverständigen nicht genug Gehör schenkt. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden (Tagesordnungspunkt 25) Uwe Feiler (CDU/CSU): Heute beraten wir über den Gesetzentwurf zur Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der zu einer Anpassung der Gesetzeslage an einige der Bestimmungen des neuen Unionszollkodex führen wird. Durch das Gesetz werden die Voraussetzungen im innerstaatlichen Zustimmungsverfahren nach Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 GG für die Ratifikation des Übereinkommens geschaffen. Der Zollunion, eine der ersten Errungenschaften der EU, kommt im Zeitalter der Globalisierung eine wichtige Rolle zu. Sie schützt den Binnenmarkt der EU mit seinem freien Warenverkehr und kontrolliert dabei die Ein- und Ausfuhr von Waren an den Außengrenzen der EU. Unabhängig davon, wo in der EU die Waren verzollt werden, gelten dank der Zollunion dieselben Regeln. Die Zollbeamten in den 28 Mitgliedstaaten arbeiten in Häfen, an Flughäfen und Grenzübergängen. Durch ihre Arbeit werden die Verbraucher geschützt, der unlautere Wettbewerb vermieden und ein Teil der EU-Einnahmen gesichert. 2012 machten die Zölle als Einnahmequelle mit einer Summe von 16,3 Milliarden Euro beinahe 13 Prozent des EU-Haushalts aus. Die Zollbehörden der EU wickeln fast 16 Prozent der weltweiten Importe ab – das sind über 2 Milliarden Tonnen Waren pro Jahr. Dazu bearbeiten sie über 260 Millionen Zollanmeldungen im Jahr. Mit der EU-Verordnung Nr. 952/2013 vom 9. Oktober 2013 wird endlich auch die Möglichkeit einer zentralen Zollabwicklung geschaffen. Damit können zugelassene Wirtschaftsbeteiligte ihre Waren elektronisch anmelden und Zölle am Ort ihrer Niederlassung entrichten, unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem die Waren vom Zollgebiet der EU ausgeführt, in das Gebiet eingeführt oder in dem sie verbraucht werden. Die Änderung ist zu begrüßen, da sie die Arbeit der Unternehmen vereinfacht und zu einem Bürokratieabbau beiträgt. Ziel der zentralen Zollabwicklung ist es, Buchführung, Logistik und Vertrieb zu zentralisieren und zu integrieren, damit die Wirtschaft Verwaltungs- und Transaktionskosten spart. Wir wollen das Zollverfahren modernisieren, den Handel vereinfachen und die Unternehmen entlasten, ohne auf die Sicherheit der Außengrenzen zu verzichten. Die neuen Regelungen führen jedoch auf der anderen Seite dazu, dass nicht nur ein Mitgliedstaat, sondern zwei an der Zollabwicklung beteiligt sind. Folglich entstehen in beiden Ländern Verwaltungskosten, die mit der Zollabwicklung verbunden sind. Die Zölle werden von den Mitgliedstaaten als Einfuhrabgaben erhoben, die sie der Europäischen Union als deren Eigenmittel bereitzustellen haben. Für den Verwaltungsaufwand erhalten die Mitgliedstaaten eine sogenannte Erhebungskostenpauschale. Bis zum sogenannten Eigenmittelbeschluss aus dem Jahr 2000 durften die Mitgliedstaaten 10 Prozent der von ihnen bereitzustellenden Zölle behalten. Nunmehr sind es 25 Prozent. Im letzten Jahr nahm Deutschland rund 4,2 Milliarden Euro an Zöllen ein. So durfte Deutschland von den im Jahr 2013 eingenommenen 4,2 Milliarden Euro gut 1 Milliarde Euro behalten. Die Erhebungskostenpauschale wird bisher vom jeweiligen Mitgliedstaat einbehalten, in dem die Abgaben entrichtet werden. Nach dem Übereinkommen darf die Pauschale geteilt werden. 50 Prozent der Erhebungskostenpauschale werden vom Mitgliedstaat einbehalten, in dem die Ware zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet wurde, die andere Hälfte bleibt in dem Staat, in den die Ware tatsächlich eingeführt wurde. Dadurch werden die in beiden Mitgliedstaaten entstandenen Verwaltungskosten angemessen gedeckt. Darüber hinaus enthält das Übereinkommen Regelungen über den Anwendungsbereich, die Ermittlung und Weiterverteilung der Erhebungskosten, die Streitbeilegung bei Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Auslegung oder des Funktionierens des Übereinkommens sowie Durchführungs- und Schlussbestimmungen. Durch den neuen Unionszollkodex wird der Zollbereich für die Wirtschaftsbeteiligten vereinfacht und wirtschaftsfreundlicher gestaltet. Der Warenfluss soll durch die Zollabwicklung so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Auch der Zoll gehört mit seiner Anpassung an die Bedürfnisse der Unternehmen und die globalen Entwicklungen durch die Implementierung der modernen Möglichkeiten zu einer wirtschafts- und serviceorientierten Verwaltung. Die Folgen der Vorschriftenänderung für die Mitgliedstaaten werden unter anderem in dem vorliegenden Abkommen behandelt und müssen ins deutsche Recht umgesetzt werden. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Der heute eingebrachte Gesetzentwurf mit dem sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden“ ist sehr technischer Natur. Er regelt die gerechte Verteilung des Verwaltungsaufwandes bei der Erhebung von Zöllen zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Der Gesetzentwurf setzt mit dem Unionszollkodex eine entsprechende EU-Verordnung aus dem Jahr 2013 um. Verordnungen sind Rechtsakte der Europäischen Union, die wir als Gesetzgeber eins zu eins in deutsches Recht übernehmen müssen. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt eine Regelungslücke. Hintergrund ist die Zollerhebungspraxis in der EU. Die Mitgliedstaaten erheben Zölle als Einfuhrabgaben, die sie an die Europäische Union abführen müssen. Für ihren Verwaltungsaufwand erhalten die Mitgliedstaaten eine Pauschale – Erhebungskostenpauschale – in Höhe von derzeit 25 Prozent, die sie von den abzuführenden Zöllen einbehalten dürfen. Durch den sogenannten Unionszollkodex wird das Instrument der zentralen Zollabwicklung in allen EU-Ländern eingeführt. Danach können Waren in einem Mitgliedstaat zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet, aber in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich eingeführt werden. Einfuhrstaat und Anmeldestaat fallen in der Praxis mitunter auseinander. Dadurch sind also nicht nur ein, sondern zwei Staaten beteiligt. Wenn nun zwei Staaten an einem Einfuhrvorgang beteiligt sind, entsteht auch in beiden Staaten ein Verwaltungsaufwand. Bislang wurde die Erhebungskostenpauschale aber von dem Mitgliedstaat einbehalten, in dem die Abgaben entrichtet werden. Mit der zukünftig zentralen Zollabwicklung wird auch der Verwaltungsaufwand des anderen Staates berücksichtigt. Die Mitgliedstaaten haben beschlossen, mithilfe eines multinationalen Übereinkommens zwischen allen EU-Mitgliedstaaten ein geeignetes Instrument für die Regelung der Aufteilung der Erhebungskostenpauschale zu schaffen. Ziel ist es, die Pauschale zwischen den tatsächlich an der Einfuhr beteiligten Mitgliedstaaten gleichmäßig aufzuteilen. In dem Übereinkommen haben sich die Mitgliedstaaten auf eine Aufteilung im Verhältnis 50 zu 50 geeinigt. Diese Regelung ist für mich plausibel und angemessen. Zusätzlich enthält der Gesetzentwurf weitere Regelungen des multinationalen Übereinkommens, die es umzusetzen gilt, so zum Beispiel verfahrenstechnische Fragen zur Ermittlung und Weiterverteilung der Erhebungskosten oder der Streitbeilegung bei Meinungsverschiedenheiten: Ist bei einem Streit zwischen zwei Mitgliedstaaten nach drei Monaten noch keine Einigung erzielt worden, wird ein Vermittler eingeschaltet. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Umsetzung in Deutschland auf den Weg gebracht hat, und gehe von einem zügigen parlamentarischen Verfahren aus. Richard Pitterle (DIE LINKE): Der vorliegende Entwurf trägt den sehr umständlichen Namen „Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die zentrale Zollabwicklung hinsichtlich der Aufteilung der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel für den Haushalt der Europäischen Union einbehalten werden“. Kurioserweise ist der Titel damit fast so lang, wie der Inhalt des Gesetzes. Es handelt sich hierbei nämlich nur um zwei kleine Artikel, mit denen dem zugrunde liegenden Übereinkommen zugestimmt wird. Kommen wir daher also zum Inhalt des Übereinkommens. Die von den Mitgliedstaaten erhobenen Zölle der EU werden dieser nach Einzug zur Verfügung gestellt. Die Mitgliedstaaten können für den angefallenen Verwaltungsaufwand von den an die EU abzuführenden Beträgen eine Erhebungskostenpauschale in Höhe von derzeit 25 Prozent einbehalten. Durch die Einführung der zentralen Zollabwicklung in der EU können die erforderlichen Zollanmeldungen für Waren, die in einen Mitgliedstaat eingeführt werden, auch in einem anderen Mitgliedstaat abgegeben werden. Da somit in diesen beiden Staaten jeweils Verwaltungsaufwand entsteht, die Erhebungskosten für den Verwaltungsaufwand jedoch nur von dem Staat einbehalten werden, in dem die Anmeldung stattfindet und die Abgaben auch entrichtet werden, soll mit dem Übereinkommen ein Ausgleich geschaffen werden. Dieser sieht vor, dass die einbehaltene Erhebungskostenpauschale hälftig an den Staat weitergeleitet wird, in dessen Gebiet die Waren gestellt werden. Damit wäre so weit auch schon alles gesagt. Auf den ersten Blick erscheint das dem Entwurf zugrunde liegende Übereinkommen zur Aufteilung der Erhebungskosten konsequent und in Anbetracht des wohl tatsächlich anfallenden Aufwandes in verschiedenen Staaten auch sachlich gerechtfertigt. Weshalb sollte nur der Staat von der Erhebungskostenpauschale profitieren, in dem die Waren angemeldet werden, obwohl in dem Staat, in den sie eingeführt werden, ebenfalls Verwaltungsaufwand entsteht? Nun gilt es natürlich, in den kommenden Ausschussberatungen noch einmal ins Detail zu gehen, zum Beispiel hinsichtlich der hälftigen Teilung oder des genauen Prozedere der Weiterverteilung. Ob hier weiterer Diskussionsbedarf besteht, weil sich in dem Übereinkommen und somit hinter den zwei einsamen Artikeln des Gesetzentwurfs vielleicht doch noch das ein oder andere Problem versteckt, wird sich dann zeigen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um Formalitäten zur Aufteilung der Zollerhebungskostenpauschale. Sind zwei EU-Mitgliedstaaten an der Zollerhebung einer Einfuhr von Waren in die EU beteiligt und haben beide aus diesem Grund Erhebungskosten, so wird auch beiden Staaten ein Anteil von 50 Prozent an der Erhebungspauschale gewährt. Die Aufteilungsregelung ist daher zur Vorbeugung von Konflikten zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich als sinnvoll anzusehen. Diesem Gesetzentwurf wollen wir als Grüne nicht entgegenstehen. Die einzige Frage, die wir in diesem Zusammenhang aufwerfen, ist, warum dieser Gesetzentwurf gesondert und nicht im Rahmen des Zollkodexgesetzes eingebracht und diskutiert worden ist. Anlagen