Plenarprotokoll 18/80 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 80. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 18: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2014 und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/2990 7619 A b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bildung in Deutschland gemeinsam voranbringen, Lehren aus dem Nationalen Bildungsbericht 2014 ziehen, Chancen der Inklusion nutzen Drucksache 18/3546 7619 B c) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bildung schafft Teilhabe und Chancengleichheit – Empfehlungen des Nationalen Bildungsberichts 2014 zügig umsetzen Drucksache 18/3412 7619 C d) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bildungsverantwortung gemeinsam wahrnehmen – Konsequenzen aus dem Bildungsbericht ziehen Drucksache 18/3728 7619 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 7620 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 7623 A Kerstin Tack (SPD) 7625 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7627 A Albert Rupprecht (CDU/CSU) 7627 C Xaver Jung (CDU/CSU) 7628 B Katrin Werner (DIE LINKE) 7629 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) 7631 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7633 C Uwe Schummer (CDU/CSU) 7634 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 7635 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7637 A Sybille Benning (CDU/CSU) 7638 A Willi Brase (SPD) 7639 D Sven Volmering (CDU/CSU) 7640 D Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsultationsergebnisse beherzigen – Klageprivilegien zurückweisen Drucksache 18/3747 7642 C b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Interessengeleitetes Gutachten zu Investorenschutz zurückweisen Drucksache 18/3729 7642 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7642 D Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 7644 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7644 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 7648 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 7649 B Klaus Barthel (SPD) 7651 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 7651 C Max Straubinger (CDU/CSU) 7653 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7653 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 7655 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) 7656 C Dirk Wiese (SPD) 7657 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7659 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 7659 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 7660 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) 7661 B Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi 7662 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7664 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) 7665 B Dr. Matthias Miersch (SPD) 7667 B Tagesordnungspunkt 20: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits Drucksache 18/3693 7669 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits Drucksache 18/3694 7669 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits Drucksache 18/3695 7669 A Michael Roth, Staatsminister AA 7669 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 7670 C Manfred Grund (CDU/CSU) 7671 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 7673 A Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) 7674 A Franz Thönnes (SPD) 7675 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7675 D Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 7677 A Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Mai 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz- und Zollbehörden Drucksache 18/3696 7678 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 7678 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 7679 D Wolfgang Gunkel (SPD) 7680 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7682 B Günter Baumann (CDU/CSU) 7683 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder Drucksache 18/2884 7684 C Nächste Sitzung 7684 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7685 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder (Tagesordnungspunkt 22) 7685 D Sylvia Pantel (CDU/CSU) 7685 D Gudrun Zollner (CDU/CSU) 7687 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 7688 C Gülistan Yüksel (SPD) 7689 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) 7690 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 7691 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 7691 D Inhaltsverzeichnis 80. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 80. Plenarsitzung und rufe gleich die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2014 und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/2990 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Bildung in Deutschland gemeinsam voranbringen, Lehren aus dem Nationalen Bildungsbericht 2014 ziehen, Chancen der Inklusion nutzen Drucksache 18/3546 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bildung schafft Teilhabe und Chancengleichheit – Empfehlungen des Nationalen Bildungsberichts 2014 zügig umsetzen Drucksache 18/3412 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bildungsverantwortung gemeinsam wahrnehmen – Konsequenzen aus dem Bildungs-bericht ziehen Drucksache 18/3728 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es offenkundig keinen Dissens. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Frau Professor Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland ist mittlerweile ein Land, in dem Bildung großgeschrieben wird. Deutschland ist eine Bildungsrepublik. Die massiven Investitionen der letzten Jahre, sowohl an Geld als auch an Ideen, in den Bereich der Bildung haben sich ausgezahlt. Das ist kein Verdienst, mit dem wir uns allein schmücken können, sondern das ist eine gemeinsame Anstrengung des Bundes, der Länder, der Kommunen, der Sozialpartner, aber vor allen Dingen der Lehrerinnen und Lehrer und der Erzieherinnen und Erzieher, die hervorragende Arbeit leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich den Bericht anschaut, dann erkennt man die zeitliche Entwicklung. Das Entscheidende an dem Bericht ist ja, dass seit 2006 Daten zu denselben Indikatoren erhoben werden. Damit gibt es in Deutschland endlich einmal eine Längsschnittbetrachtung, also eine Darstellung der Entwicklung im Zeitverlauf. Dieser Bildungsbericht zeigt die positive Entwicklung auf. Wenn ich in die Anträge schaue, dann stelle ich fest, dass die grüne Fraktion sagt: „Ja, positive Entwicklung, aber zu gering und zu langsam“, und die linke Fraktion sagt: Nur leichte Fortschritte erkennbar. – Nein, meine Damen und Herren, es sind große Steigerungen erkennbar. Ich will einmal einige wenige Punkte herausgreifen. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, lag einmal bei 8 oder 9 Prozent. Ich erinnere mich noch, dass dieser Anteil ursprünglich sogar bei 12 Prozent lag. Jetzt liegt er bei 5,9 Prozent. Diese Zahl umfasst auch diejenigen, die eine Förderschule besuchen, was nicht als Abschluss gerechnet wird. Natürlich wollen wir eine weitere Senkung, aber hinter dem jetzt erreichten Ergebnis steckt bereits eine enorme Anstrengung. Nehmen wir den Übergangsbereich: Jahrelang hatten wir – Sie hier im Bundestag; wir in allen Landtagen – darüber diskutiert, dass sich immer mehr junge Menschen in diesem Übergangsbereich, also in Warteschleifen, befinden. Zum ersten Mal in den letzten Jahren hat sich die Zahl der jungen Menschen in diesem Übergangsbereich verringert. 2013 – das steht in diesem Bericht – wurde ein absoluter Tiefstand erreicht. Trotzdem muss noch viel getan werden; das ist völlig unstrittig. Auch über die Studienanfängerquote wird viel diskutiert. Sie liegt bei über 50 Prozent, wobei – kleiner Nebensatz – bei dieser Studienanfängerquote auch alle ausländischen Studierenden erfasst werden. Es sind also nicht über 50 Prozent eines Altersjahrgangs, die hier leben und die ein Studium beginnen, sondern es werden auch alle ausländischen Studierenden hinzugerechnet. Im Moment gibt es einen riesigen Run aus dem Ausland. Wir sind in einer Spitzenposition, was die Zahl ausländischer Studierender betrifft. Was mich besonders freut, ist, dass wir auch in den MINT-Fächern einen Zuwachs an Studierenden zu verzeichnen haben, und da ist ein überproportionaler Zuwachs des Anteils von jungen Frauen festzustellen, vor allem dann – das wundert uns nicht –, wenn es um die Abschlüsse geht. Stichwort Weiterbildungsangebote. Dieser Bericht macht deutlich: Seit 15 Jahren haben erstmals 49 Prozent der 16- bis 64-Jährigen an einer Weiterbildung teilgenommen. Viel diskutiert wurde auch der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die unter Dreijährigen. Das Fazit des Bildungsberichts lautet, dass dieser Rechtsanspruch umgesetzt wurde und dass ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen vorhanden ist. Wenn ich mir einmal die Studien ansehe, dann bin ich immer wieder verblüfft, dass in Deutschland 96 Prozent aller Kinder, die vier Jahre alt sind, in eine Betreuungseinrichtung gehen. Das vermutet man gar nicht; denn im OECD-Durchschnitt sind es 82 Prozent. In diesem Bereich hat Deutschland in den letzten Jahren eine enorme Veränderung erfahren. Der Bericht zeigt noch etwas anderes sehr deutlich. In dem Bericht steht – das möchte ich zitieren –, dass im Zusammenhang mit dem Ausbau „keine Abstriche bei der Qualifikation des in Kindestageseinrichtungen tätigen pädagogischen Personals oder den Personalschlüsseln erkennbar sind“. Dieser kleine Ausschnitt – wir werden noch andere Zahlen hören – zeigt, dass es richtig war, dass sich die Bundeskanzlerin zusammen mit den Ministerpräsidenten auf dem Bildungsgipfel 2008 konkrete Zahlenziele gesetzt hat, auch wenn das immer ein bisschen gefährlich ist. Wir gehen in die richtige Richtung. Auf dem Bildungsgipfel wurde vereinbart, dass man die Ziele bis 2015 erreichen will. Das heißt, der Bildungsbericht, der uns 2016 vorliegen wird, wird zeigen, ob wir die Ziele erreicht haben und wo wir stehen. Ich glaube, es kommt nicht so sehr darauf an, jedes Ziel zu erreichen. Ich kenne keinen Gipfel, egal zu welchem Thema, auf dem so viel geschafft wurde wie im Zusammenhang mit dem Bildungsgipfel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Anders als die Grünen das in ihrem Antrag formulieren, ist Aufstieg durch Bildung kein „uneingelöstes Versprechen“. Schauen Sie sich einmal an, wo wir hinsichtlich der sozialen Mobilität im internationalen Vergleich liegen: Im Vergleich mit vergleichbaren Ländern sind wir unter den Besten. Wenn Sie diese Zahlen hören, denken Sie vielleicht, dass wir sehr selbstzufrieden sind. Selbstzufriedenheit wäre falsch, aber ich denke, dass man sich auch in der Politik einmal freuen kann. Man kann sagen: „Es ist etwas geschafft worden“, ohne dabei zu verkennen, dass noch eine Wegstrecke vor uns liegt und noch ganz viel zu tun ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zentrales Anliegen ist natürlich die Verbesserung der Bildungschancen und der Teilhabechancen für alle Kinder und Jugendlichen. Ein guter Start ins Leben ist wichtig. Dieser Bereich ist aber auch mit Blick auf das Thema Integration außerordentlich wichtig. Wenn man sich die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund anschaut, stellt man fest, dass laut PISA-Studien diese Gruppe zwischen 2003 und 2012 einen Kompetenzzuwachs von 24 Punkten verzeichnen konnte. Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund konnten während desselben Zeitraums einen Kompetenzzuwachs von 3,6 Punkten verzeichnen. Das heißt, dass sich in diesem Bereich Anstrengungen auszahlen und die jungen Leute motiviert sind. Wir können also sagen: Die jungen Leute mit Migrationshintergrund holen auf, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufholen reicht nicht!) auch wenn sie noch nicht das Niveau erreicht haben, das wir uns wünschen. Dass man aufseiten der Linken in diesem Zusammenhang von einer „hohen Ausgrenzung von Lernenden mit Zuwanderungshintergrund“ spricht, kann ich nicht verstehen; denn dafür gibt es überhaupt keine Belege (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! PISA!) in dem dicken Bildungsbericht, im Gegenteil. (Beifall bei der CDU/CSU) Entscheidend ist die Sprachförderung. Diesbezüglich wird in den Ländern viel gemacht. 2013 haben wir das Programm BISS, Bildung durch Sprache und Schrift, aufgelegt. Es kommt da darauf an, dass die Millionen, die auch von den Ländern zur Verfügung gestellt werden, effektiv eingesetzt werden. Das passiert aber an vielen Stellen nicht. Man muss gemeinsam mit den Ländern die Wirksamkeit dieses Programms überprüfen und Schlussfolgerungen daraus ziehen. Meine Damen und Herren, was soll in den nächsten Jahren wichtig sein? Entscheidend ist, dass die Qualität von Bildungsprozessen verbessert wird. Die zentralen Figuren in Bildungsprozessen sind natürlich die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Lehrerinnen und Lehrer. Zur Verbesserung der Qualität der frühen Bildung unterstützt unser Ministerium die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. Sie sollte eigentlich bis 2014 laufen, wurde aber verlängert, erst einmal bis 2018. Ich habe mich gefreut, dass die Linken sagen, dass diese Weiterbildungsinitiative einen Vorbildcharakter hat. (Zuruf der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) – Ja, das kann man auch einmal sagen. Ärgerlich ist aber, dass in Ihrem Antrag behauptet wird, wir würden eigentlich nicht viel machen und es würde alles nur ein bisschen weiterentwickelt. Als Beispiel führen Sie die Bildungsketten an. An dieser Stelle kriege ich wirklich Zustände. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Können Sie -lesen?) – Ja. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Scheinbar nicht!) Bildungsketten bedeuten – das habe ich hier schon einmal erläutert –: siebente, achte Klasse, Potenzialanalyse, individuelle Ansprache, dann Entscheidung für Berufe, Berufseinstiegsbegleitung etc. Ich habe bei all meinen Besuchen in unterschiedlichsten Einrichtungen, auch schon als Landesministerin, von den Lehrern, von den Erziehern, von den betreffenden Jugendlichen und von den Eltern nur Positives gehört. Das funktioniert. Aber: Modellversuche sind das eine, wichtig ist, dass die Dinge auch einmal im großen Maßstab, in der Fläche funktionieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Da entwickeln wir nicht nur ein bisschen weiter, sondern Frau Nahles und ich haben uns darauf verständigt, dass in den nächsten Jahren 1 Milliarde Euro für diesen Bereich ausgegeben wird. So können wir 500 000 Jugendliche erreichen; bei der Berufseinstiegsbegleitung sind es über 100 000. Das gab es noch nie. Wir brauchen nicht alle fünf Minuten einen neuen Vorschlag, ein neues Modell, sondern das, was funktioniert, muss in der Fläche verstärkt angewendet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen, dass wir im Bereich der dualen Ausbildung Probleme haben. Wir müssen die Attraktivität erhöhen. Es geht vor allen Dingen um die Passgenauigkeit, also darum, dass jeder den für sich geeigneten Beruf findet. Wir können es uns nicht mehr erlauben, dass wie noch vor Jahren nur mit Abitur eingestellt wird und Jugendliche mit einem Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss keine Chance haben. Das ist aber auch in der Wirtschaft angekommen. Wir haben uns im Ministerium überlegt, wie man jetzt dort das Rad ein Stück weiterdrehen kann, und haben dann alles, was uns eingefallen ist, und auch die Vorschläge, die von den Regierungsfraktionen gekommen sind, in das große Paket „Chance Beruf“ gepackt. Es soll dafür sorgen, dass wir mit unserer dualen Ausbildung nicht nur international wertgeschätzt werden, sondern dass auch genügend junge Leute eine duale Ausbildung machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Thema Weiterbildung habe ich bereits genannt. 49 Prozent sind eine gute Zahl. Wir haben beim Bund Instrumente, um Weiterbildung individuell zu befördern, zum Beispiel die Weiterbildungsprämie. Dieses Instrument haben wir jetzt evaluiert, um zu schauen, wer es nutzt. Das Ergebnis ist sehr schön. Diese Weiterbildungsprämie wird entgegen dem sonstigen Trend in der Weiterbildung gerade von denen genutzt, die wir sonst nicht erreichen, die aus finanziellen Gründen oder weil sie bildungsfern sind nicht in Weiterbildung gehen. Deswegen ist dieses Instrument so wichtig. Wir haben seit dem 1. Januar einen Telefonservice freigeschaltet, damit in dem großen Bereich der Weiterbildung gute Informationen für jeden Bürger bereitgestellt werden, damit sich jeder zurechtfindet und die Möglichkeiten nutzen kann. Noch ein paar weitere Stichpunkte. Über den Hochschulpakt haben wir schon öfter gesprochen. Ich muss hier nicht noch einmal die Milliarden, die investiert werden, und all die anderen Punkte nennen. Aber zwei Sachen sind mir wichtig. Der Hochschulpakt ist aus meiner Sicht die größte Leistung in der Bundesrepublik Deutschland für die Bewältigung der demografischen Entwicklung. Zweitens ist es ein Rieseninstrument für Chancengerechtigkeit. Ohne den Hochschulpakt hätten die jungen Leute, die in den Jahren von 2005 bis 2020 18 geworden sind bzw. werden, geringere Chancen. Wir haben dafür gesorgt, dass sie genau die Chancen haben wie die jugendlichen Generationen vor ihnen. Gerade Chancengerechtigkeit ist mir ein wichtiges Thema. Aber es geht nicht nur um Quantitäten, sondern auch um die Qualität. Ich denke hier an den Qualitätspakt Lehre und anderes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt keinen Königsweg, aber die Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Bildungsgängen wird verbessert. Ich denke zum Beispiel an berufliche Bildung, Studieren mit beruflicher Qualifikation und an Studienabbrecher, die in Meisterberufe oder andere Ausbildungen wechseln. In einem Ihrer Anträge las ich: Na ja, da gibt es ANKOM und Bundesprojekte. Das betrifft 20 Hochschulen, an denen der Bund Maßnahmen gefördert habe. – Erst einmal muss ich sagen, dass es um viel Geld geht. Die TU Braunschweig beispielsweise bekommt 8 Millionen Euro; das ist eine beachtliche Summe. Es geht aber nicht darum, ein einzelnes Modell zu haben. Wir haben uns im letzten Jahr auf einer Konferenz damit befasst. Die Oldenburger Uni hatte die Förderung für ein Projekt bekommen – hier wurden wichtige Ergebnisse erzielt –, bei dem es um die Anrechenbarkeit ging: Was ist denn ein IHK-Abschluss in unterschiedlichen Studiengängen an Credits wert? Die Ergebnisse gelten natürlich nicht nur für Oldenburg oder Umgebung, sondern sie sind – das wurde bei der Tagung deutlich – auch für andere interessant und verwendbar. Das ist deswegen wichtig, weil es das ist, was wir als Bund oft machen, was wir können: Initiativwirkung. Natürlich spielt Geld auch eine Rolle; es fließen Millionen. Aber damit wird auch eine Anregung gegeben, die weit über das hinausgeht, was vielleicht ein einzelnes Bundesland macht. Im Bildungsbericht gibt es immer ein Schwerpunktkapitel. Diesmal geht es um die Situation von Menschen mit Behinderung. Die Analyse, die dort vorgelegt wird, ist einzigartig. So etwas gab es noch nicht. Es wird analysiert, wie die Situation von Menschen mit Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland im frühkindlichen Bereich, im Studium usw. ist. Sonst haben wir immer nur partiell Zahlen und Daten. Es ist auch ein Sinn des Bildungsberichts, im Schwerpunktkapitel ein Thema flächendeckend ganz genau zu untersuchen. Im nächsten Bildungsbericht wird der Schwerpunkt auf Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere im Bildungsprozess, liegen. Wenn man sich das Kapitel im aktuellen Bericht bezüglich der Inklusion der Menschen mit Behinderung – es geht natürlich um mehr – durchliest, dann muss man sagen: Ich war sehr erfreut über die Einschätzung, dass es ein hochdifferenziertes ausgebautes System im rechtlichen und im sozialen Sinn für Menschen mit Behinderung gibt. Aber was die Abstimmung zwischen den einzelnen Bildungsbereichen angeht, funktioniert es nicht. Wir haben es manchmal falsch gemacht und etwas in Deutschland eingeführt, nur weil wir gesehen haben, dass es in Großbritannien oder in Asien gut funktioniert, ohne dabei die gewachsene historische Situation in Deutschland zu berücksichtigen. Man kann aus dem Bildungsbericht herauslesen – das finde ich gut –: Wir haben in Deutschland ein System der Förderschulen, wir haben geschützte Werkstätten, und wir wollen Inklusion. Wir müssen zwar Änderungen vornehmen. Wir dürfen dies aber nicht tun, indem wir einfach die Rezepte von woanders übernehmen. Vielmehr müssen wir uns fragen: Wie können wir im Rahmen unseres gewachsenen Systems klug – und nicht vor allen Dingen schnell – für Inklusion sorgen? Weil wir nicht einfach die Rezepte von woanders übernehmen können, besteht hier viel Forschungsbedarf. Wir starten in diesem Jahr das Forschungsförderprogramm „Inklusion im Bildungssystem“, das sehr breit angelegt ist. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Jahre nach der UN-Konvention!) Daraus werden sich Empfehlungen für konkrete Maßnahmen ergeben. 70 Prozent aller Grundschullehrer sagen laut Bildungsbericht, dass sie sich nicht gerüstet fühlen. Sie brauchen in diesem Bereich Kompetenzen, zum Beispiel Diagnostikmöglichkeiten. Diese werden wir effektiv auf der Basis der Forschungsergebnisse entwickeln. Ich glaube, dass es auch im Hinblick auf die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, die schon läuft, Möglichkeiten gibt, diese Dinge im Rahmen der Lehrerbildung schon jetzt zu verankern oder zu erproben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben große Fortschritte gemacht. Wir müssen aber immer daran denken: Es dauert lange, bis Fortschritte im Bildungsbereich ihren Niederschlag finden. Änderungen, die man heute vornimmt, zeigen vielleicht erst in 15 Jahren ihre Wirkung. Das heißt, das wird nicht fix gehen. Man braucht also einen langen Atem, und man braucht lange Zeit Geld. Die Bildungsfinanzierung muss auf hohem Niveau fortgesetzt werden. Meine letzte Bemerkung. Heute ist der 16. Januar 2015. Das heißt, seit 16 Tagen liegt auf dem Tisch der Länder ein schönes Geldpaket; ich meine die BAföG-Mittel. Mit diesem Geld können sie das, was von einzelnen Rednern, wie ich annehme, nachher bestimmt gefordert wird, machen. Sie können, wenn sie es wollen, Schulsozialarbeiter, Personal für Ganztagsschulen, Ju-niorprofessoren, Professoren, Laboringenieure und weiteres Personal für Hochschulen einstellen. Das ist Geld, das dauerhaft zur Verfügung steht, und zwar für Dauerstellen; so etwas gab es noch nie, jedenfalls nicht, solange ich mich erinnern kann. Diese Mittel müssen -natürlich genutzt werden; denn es war eine große Kraftanstrengung, sie zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben die Weichen richtig gestellt. Aber es gibt noch viel zu tun. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der fünfte nationale Bildungsbericht gibt erneut Anlass, den Zustand des Bildungssystems in Deutschland kritisch zu beleuchten. Das will ich tun. Vor allen Dingen müssen wir die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht finde ich ausgesprochen enttäuschend. Sie macht vor allem das, was sie in Sachen Bildung seit Jahren tut: Sie lobt sich (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Zu Recht! – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Allerdings, und zwar zu Recht!) – das finde ich nicht –, und sie setzt auf ein „Weiter so“. Doch mit einem „Weiter so“ werden wir die gravierenden Defizite, die es im deutschen Bildungssystem auf allen Ebenen nach wie vor gibt, nicht beheben können. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie wissen ja nicht, worüber Sie reden!) Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen. Das Bildungssystem in Deutschland ist insgesamt nach wie vor von einer großen sozialen Ungleichheit geprägt. Kinder von Eltern, die keinen akademischen Abschluss haben, besuchen um ein Vielfaches seltener ein Gymnasium als Kinder aus Akademikerelternhäuser. Das Ziel der Hochschulreife erreichen sie häufiger als andere – auch wenn das besser geworden ist – erst über den längeren Weg der berufsbildenden Schulen. Ein deutlich geringerer Anteil von ihnen nimmt ein Hochschulstudium auf. Sechsmal häufiger landen sie an Hauptschulen. Ich finde, das ist ein Ausweis, dass es, was das Bildungssystem in Deutschland betrifft, so nicht weitergehen kann. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie reden die berufliche Bildung schlecht! Das ist nicht gut, Frau Hein! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Es gibt nicht nur die akademische Bildung, Frau Kollegin!) Probleme gibt es nach wie vor auch im Bereich der beruflichen Bildung. Ende des vergangenen Jahres – inzwischen liegen auch neuere Zahlen vor – wurde festgestellt, dass wieder weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden als im Jahr zuvor, in dem schon ein Tiefststand zu verzeichnen war. Das ist nicht mit -Passungsproblemen zu erklären, wie es die Bundes-regierung und Sie, Frau Ministerin, immer wieder tun. Es fehlt eindeutig ein Ausbildungsangebot. Es gibt genügend Bewerberinnen und Bewerber, die einen Beruf erlernen wollen. Sie bekommen aber keinen Ausbildungsplatz; das ist das Problem. 81 000 Bewerberinnen und Bewerber sind im vergangenen Jahr ohne Ausbildungsvertrag geblieben. Das sind zwar 2 400 weniger als im Jahr zuvor; aber wenn das Abbautempo so weitergeht, werden wir nicht 10 oder 15, sondern 34 Jahre brauchen, um dieses Defizit auszugleichen. Vor allem fehlt Geld, viel Geld. Sie haben zum wiederholten Male auf die 1,2 Milliarden Euro verwiesen, die der Bund den Ländern zur Verfügung stellt. Ich frage mich, was von diesem Betrag noch alles finanziert werden soll. (Zuruf von der CDU/CSU: Bildung!) Sie haben angekündigt, dass Sie in den nächsten vier Jahren insgesamt 6 Milliarden Euro mehr in die Bildung geben werden. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und?) Es gibt aber Studien, die belegen, dass jährlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro zusätzlich nötig wären, um die Defizite im Bildungsbereich insgesamt auszugleichen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung bestimmt!) Sie können nicht immer nur auf die Länder verweisen, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Natürlich! – Sybille Benning [CDU/CSU]: Die Länder müssen das Geld nur richtig verwenden!) Sie müssen die Länder auch entsprechend ausstatten; anders funktioniert das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe 15 Jahre Bildungspolitik in den Ländern gemacht. Ich weiß, was dort in den Bildungshaushalten steht. Ich weiß, was das für ein Kampf ist, (Sybille Benning [CDU/CSU]: Ja, wir sind so!) und ich weiß, wo dann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Wir wollen nicht verhehlen, dass es auch positive Entwicklungen gibt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!) Aber wie das so ist: Auch bei den positiven Entwicklungen gibt es Defizite. Obwohl die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige stark gestiegen ist, wurden vor allen Dingen in den westlichen Bundesländern die Zielzahlen gar nicht erreicht. Sie haben uns zitiert, weil wir die WiFF-Initiative loben. Wir loben sie, weil diese Weiterbildungsinitiative geeignet ist, bei ausgebildeten Fachkräften sonderpädagogische Sachkompetenz zu entwickeln. Was diese Initiative jedoch nicht leisten kann, ist die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Man darf nicht verkennen, dass die WiFF-Initiative ein Weiterbildungsprogramm ist. Ihre Arbeit ist aller Ehren wert, reicht aber nicht aus für eine vernünftige Versorgung mit ausgebildetem Erziehungspersonal. (Beifall bei der LINKEN) Zu den positiven Trends gehört auch der Wunsch nach höheren Bildungsabschlüssen. Der Realschulabschluss – das steht auch im Bildungsbericht – wird zum neuen Regelabschluss; das ist sehr schön. Bei Lernförderung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes der Bundesregierung ist das Ziel, einen höheren Bildungs-abschluss zu erreichen, jedoch nicht vorgesehen. Dies sei kein Grund, Lernförderung zu beantragen, hat uns die Bundesregierung schriftlich erklärt. Wenn der Realschulabschluss aber ein solch anerkannter und erstrebenswerter Abschluss wird – wir wissen, dass man dadurch deutlich besser einen Ausbildungsplatz bekommt –, dann muss auch er Ziel von Lernförderung sein. Ich kann Ihnen versichern: Die Schulen könnten mit dem Geld, was man in die Lernförderung steckt, etwas Besseres anfangen. Aber die Schulen bekommen das Geld nicht und das gehört zu den Grundstrickfehlern in unserem Bildungssystem. Gut ist auch, dass immer mehr junge Leute ein Studium aufnehmen; hier wurden die Zielzahlen des Bildungsgipfels in der Tat überboten. Doch die Lehre an den öffentlichen Hochschulen wird vor allem durch befristet eingestelltes Lehrpersonal abgesichert. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das liegt doch an den Ländern! Die können das doch ändern! 1,2 Milliarden Euro! Ich hoffe, Sie können rechnen!) – 1,2 Milliarden Euro; ich hoffe, Sie können rechnen. (Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! -Judex non calculat! Juristen können nicht rechnen!) Es ist keine zukunftsfähige Entwicklung, wenn man durch prekär Beschäftigte die Lehre absichern will. Da muss etwas passieren! Das können Sie jetzt im Übrigen auch leisten. (Beifall bei der LINKEN) Besondere Probleme weist der Bildungsbericht bei der schulischen Bildung aus. Es wurde schon gesagt: 2012 haben immer noch 5,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. An den Förderschulen besteht in den Ländern sehr oft nicht einmal die Möglichkeit, einen Hauptschulabschluss zu erwerben; auch das gehört zu den Defiziten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist -Sache der Länder, Frau Hein!) Problematisch ist, dass die Entwicklung neuer Schulformen – die es gibt in den Ländern, und zwar zuhauf – von den Autoren des Bildungsberichtes so eingeschätzt wird, dass dies die Übersichtlichkeit im Bildungssystem nicht erhöht, im Gegenteil, es wird unübersichtlicher. Familien werden immer mehr verunsichert und sind dadurch auch in ihrer Mobilität eingeschränkt. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Früher war -alles besser!) Besonders nachdenklich gemacht hat mich die Feststellung, dass die Zahl der allgemeinbildenden Schulen in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen ist und dass es nicht mehr möglich ist, überall ein wohnortnahes Angebot zu machen. Die Schulwege werden länger. Darüber verliert die Bundesregierung leider kein Wort. Das sei nicht ihr Bier, dafür sei der Bund nicht zuständig, nicht für die Schulsanierung, nicht für die Schulsozial-arbeit, nicht für die Ausstattung mit Lehrkräften usf. – alles Ländersache. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Für was sind denn die Länder noch zuständig! Für gar nichts mehr? – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn niemand für irgendetwas zuständig ist, brauchen wir auch keinen Bildungsbericht mehr! – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) – Wissen Sie, ich bin Lehrerin. Ich weiß, was es heißt, jeden Schultag fünf bis sechs Stunden das Interesse von Schülerinnen und Schülern wachzuhalten. Es steht im Bildungsbericht, wir sind heute bei diesem Thema. Dann lassen Sie mich auch darüber reden! Sie können sich dort nicht einfach rausmogeln! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn die Länder für die Kultur nicht mehr zuständig sind, werden sie abgeschafft! Polizeiminister allein brauchen wir nicht!) – Herr Kauder, ich mache mal einfach weiter, ja? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie ruhig! Ist sowieso Unsinn, was Sie da erzählen!) – Das kennen Sie noch nicht. – Seit meiner Schulzeit hat sich die Lebenswelt von Kindern gravierend verändert. Ich habe große Hochachtung vor dem, was die Lehrenden zurzeit leisten. (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir auch!) Die Bundespolitik erfindet in ihrer Unzuständigkeit Programme, mit denen sie an der Schule vorbei versucht, die Defizite, die es im schulischen Bereich gibt, zu beseitigen. Das sind durchaus vernünftige Programme, wie „Kultur macht stark“, die als Ergänzung von uns sehr wohl durchaus anerkannt werden. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben -dagegen gestimmt!) – Wir haben nicht wegen des Programms dagegen gestimmt, sondern weil es einen Ersatz leisten soll, was nicht möglich ist. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gucken Sie doch einmal nach! Dagegen gestimmt! Immer nur dagegen und fordern!) Das können diese Programme einfach nicht leisten – auch nicht die Berufseinstiegsbegleitung. Das alles kann die Situation an Schulen nicht verbessern. Über die inklusive Bildung wird meine Kollegin nachher reden; ein paar Minuten Redezeit wird sie noch haben. Wir haben uns entschlossen, einen entsprechenden Antrag einzureichen, weil die Bundesregierung eben nicht die Konsequenzen zieht, von denen wir glauben, dass sie gezogen werden müssen. Wir fordern deshalb erneut die Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“, damit wir hier nicht immer darüber debattieren müssen, wer zuständig ist; (Beifall bei der LINKEN) denn die Bildung unterliegt laut Grundgesetz der staatlichen Aufsicht, und Staat sind wir bitte schön auch. Zu dieser Gemeinschaftsaufgabe gehören eine bessere Ausfinanzierung des Bildungssystems und ein Rechtsanspruch auf Ausbildung. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben, glaube ich, ein anderes Staatsverständnis als wir!) Die hohe Betreuungsqualität im frühkindlichen Bereich und die hohen Betreuungszahlen haben auch etwas damit zu tun, dass es hier einen Rechtsanspruch gibt. Das darf man nicht vergessen. Daneben ist auch eine inhaltliche und strukturelle Debatte notwendig. Hier könnte ein Bildungsrat helfen, den wir schon 2012 vorgeschlagen haben. Ich freue mich, dass die SPD dem jetzt zustimmt. Vielleicht finden wir ja noch mehr Gemeinsamkeiten. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit jeher wissen wir: Bildung ist der Schlüssel und die Eintrittskarte zu einem selbstbestimmten Leben, zu gesellschaftlicher Teilhabe und zu ökonomischer Unabhängigkeit. Weder die soziale oder ethnische Herkunft noch die religiöse Weltanschauung, das Geschlecht, das Alter, die Sexualität oder der Umstand einer Behinderung sollen hier beeinflussend wirken. Deshalb möchte ich mich in meiner Rede auf das Schwerpunktthema des Berichtes fokussieren, nämlich auf die Menschen mit Behinderung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schauen wir uns die aktuelle Datenlage an, so sehen wir, dass wir in unserer Verantwortungsgemeinschaft beim Umgang mit Menschen mit Behinderung, bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und hinsichtlich eines inklusiven Bildungssystems noch einen langen Weg vor uns haben. 35 Prozent der Kindertagesstätten in Deutschland arbeiten im Moment inklusiv, das heißt, dort werden Kinder mit und ohne Behinderung gemeinschaftlich betreut, erzogen und gebildet. 35 Prozent: Diese Zahl ist nicht klein, aber deutlich ausbaufähig. Im Bereich der Schule haben 6,6 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Das sind eine halbe Million Kinder und Jugendliche. 72 Prozent von ihnen gehen in die Förderschule. Lediglich 28 Prozent werden also in einer allgemeinbildenden Schule beschult. Auch das ist deutlich steigerungsfähig. Zwar besuchen immer mehr Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam unsere Kitas und Schulen, doch diese Zahl nimmt mit steigendem Alter ab, das heißt, vom Besuch einer Kita an wird mit jedem weiteren Übergang – von der Kita zur Grundschule, von der Grundschule zur weiterführenden Schule – erneut selektiert, wodurch junge Menschen – insbesondere mit Behinderung – aus dem Bildungssystem herausfallen. Das kann nicht unser Anspruch an ein inklusives, gemeinsames Bilden und Lernen in Schulen sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fast drei Viertel der Förderschülerinnen und -schüler haben überhaupt keinen Schulabschluss. Auch da ist unser Anspruch ein anderer. Ein großes Defizit – Frau Wanka hat es erwähnt – besteht auch in der Fortbildung der Lehrkräfte. Obwohl 70 Prozent der Grundschullehrkräfte – Sie hatten es erwähnt – einen Bedarf an Fort- und Weiterbildung an-gemeldet haben, haben real aber nur 9,5 Prozent ein -solches Angebot angenommen. Bei den Gymnasiallehrkräften sind es gerade einmal 2 Prozent. Das heißt, selbst wenn eine Schule Fortbildung anbietet, so ist die Wahrnehmung dieses Angebots doch immer noch sehr überschaubar. Ausbildungsuchende junge Menschen müssen eine doppelte Einschränkung hinnehmen. Zum einen gingen zwischen 2009 und 2012 sowohl die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge als auch das Angebot und die Nachfrage nach Ausbildungsverhältnissen um jeweils circa 30 Prozent zurück. Zum anderen steht ihnen sowieso nur ein begrenztes, institutionell definiertes Berufsspektrum zur Verfügung. Im Bereich der akademischen Ausbildung waren 2012 lediglich ein Siebtel aller Studierenden durch eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung beeinträchtigt und haben aufgrund ihrer Beeinträchtigung Nachteile im Studium erfahren. Häufig wechseln sie die Hochschule und ihr Studienfach. Häufig kommt es zu Abbrüchen, und es gibt Schwierigkeiten bei den Prüfungsordnungen. Häufig brauchen sie mehr Zeit, um ihr Studium zu absolvieren. Die Prüfungssituation erleben sie als schwieriger, als es für Studierende ohne Beeinträchtigung der Fall ist. Deshalb muss die Unterstützung für diese Studierenden eine ganz besondere sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sehen also: Wir sind im Bildungssystem noch eine ganze Ecke von den von uns erklärten Zielen entfernt. Ich denke, es reicht auch nicht, ein Kind aus einer Förderschule in eine allgemeinbildende Schule zu stecken und ihm einige wenige Förderstunden zu geben. Das ist, wenn man es bei Lichte betrachtet, nicht mehr als eine Einzelintegration. Was wir wollen, ist Inklusion. Wir wollen die Veränderung der Systeme. Wir wollen, dass durch unsere Systeme allen Kindern und Jugendlichen eine gute Förderung organisiert wird, eine gute Unterstützung, die jedem, völlig unabhängig davon, ob mit oder ohne Behinderung, einen erfolgreichen Bildungsweg ermöglicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir sehen – das macht auch der Bericht deutlich –: Es gibt Hürden bei der Umsetzung. Natürlich sind die unterschiedlichen Regelungen in den Schulsystemen der Bundesländer nicht immer hilfreich. Es ist kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir uns als SPD-Fraktion hier eine stärkere Beteiligung des Bundes bei der Standardsetzung, aber auch bei der finanziellen Unterstützung der Umsetzung wünschen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal!) Sosehr wir uns über den Wegfall des Kooperationsverbotes im Hochschulbereich freuen, so sehr wünschen wir uns natürlich, dass weiter gehende Maßnahmen ergriffen werden. (Beifall bei der SPD) Die Definition von inklusiver Bildung ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Das ist ein Problem, wenn wir unsere einheitlichen Standards, die wir für richtig halten, umsetzen wollen. Auch die sehr uneinheitlichen Diagnoseverfahren führen in der Regel dazu, dass es wenig einheitliche Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen im deutschen Bildungssystem gibt. Deshalb möchten wir einen Schwerpunkt in der Bildungsforschung setzen, insbesondere wenn es darum geht, gute Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche inklusive Bildung zu definieren und sie über alle Länder hinweg in einer Gemeinschaftsverantwortung umzusetzen. Wir brauchen dringend auch eine Forschung dahin gehend, welche digitalen und analogen Instrumente hilfreich sind, um Menschen mit Behinderung im Bildungssystem eine gute Chance zu gewährleisten. Wir brauchen eine andere Form der Vernetzung der Akteure: der Ärztinnen und Ärzte, der Pädagoginnen und Pädagogen, der Logopädinnen und Logopäden und anderer, die in Schulen gemeinschaftlich wirken sollen, um für die Begleitung der Kinder konzeptionell das Bestmögliche herausarbeiten zu können. Klar ist aber auch: Auch Betriebe und Unternehmen müssen sich stärker in der Ausbildung für Jugendliche mit Behinderungen öffnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir nehmen wahr: Es gibt große Defizite in dem Wissen darüber, welche Unterstützung ein Unternehmer bekommt, wenn er sich entscheidet, einem jungen Menschen mit Beeinträchtigung in seinem Unternehmen eine Ausbildung zu ermöglichen. Das heißt, wir haben ein Aufklärungsproblem. Wir haben aber auch das Problem, dass viele Betriebe das immer noch als Benachteiligung, teilweise sogar als Belastung erleben. Wir haben die gesellschaftliche Aufgabe, verstärkt über dieses Thema zu informieren und den Wert der Vielfalt in Unternehmen viel deutlicher herauszustellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Initiative Bildungsketten – auch sie hat Frau Wanka bereits erwähnt – wollen wir gerne fortgeführt sehen. Aber wir wissen auch, dass bei Menschen mit Behinderung, die in Ausbildung sind, die Abbrecherquote sehr hoch ist. Daraus leiten wir den Auftrag ab, genauer darauf zu achten, welcher Ausbildungsbereich für die jeweilige Person der richtige ist und was zu schaffen, zu leisten und mit einer guten Unterstützung und gegebenenfalls auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen dann auch bis zum Ende durchhaltbar ist. Im Hochschulbereich stehen wir vor der Herausforderung, andere Formen der Studienangebote und Studienbedingungen zu ermöglichen. Die Möglichkeiten der Nachteilsausgleiche müssen flexibler eingesetzt werden. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Zum Schluss möchte ich mich ganz herzlich bei all den Fachkräften und Lehrkräften bedanken, die sich trotz manchmal unzureichender Rahmenbedingungen tagtäglich darum bemühen, dass Inklusion durch gemeinsame Beschulung und konzeptionelle Arbeit in den Einrichtungen möglich ist. Diesen Anstrengungen gilt mein ganz herzlicher Dank. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Mutlu ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den fünften Nationalen Bildungsbericht. Das ist zugleich die erste Debatte zur Bildungspolitik im Deutschen Bundestag seit der vergebenen Chance zur Abschaffung des unsäglichen Kooperationsverbotes in der Bildungspolitik. Das sage ich insbesondere mit Blick auf die SPD. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Winfried Kretschmann nicht vergessen!) Diese Debatte passt auch zeitlich sehr gut, finde ich. Erst in der vergangenen Woche hat der Bildungsforscher Professor Klaus Klemm die vom DGB in Auftrag gegebene Bilanz des Bildungsgipfels der Bundesregierung von 2008 vorgestellt. Ich empfehle Ihnen, vor allem der GroKo, diese Bilanz genau anzuschauen. Diese Analyse bringt Bemerkenswertes zutage. Sie wollten die Schulabbrecherquote von 8 auf 4 Prozent halbieren. Aktuell liegt die Quote bei 5,9 Prozent. Ziel verfehlt! (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! 2015! Sie müssen den Bildungsbericht schon genau lesen! – Willi Brase [SPD]: Bund und Länder! Mann, Mann, Mann!) Sie wollten die Quote der jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung von 17 auf 8,5 Prozent halbieren. Aktuell liegt die Quote bei 13,8 Prozent. Ziel deutlich verfehlt! (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Vollkommen falsch! Bis 2015!) Sie wollten die Ausgaben für die Bildung auf 10 Prozent des BIP erhöhen. Auch hier Ziel verfehlt! Damit sind Sie in den Kernbereichen des Bildungsgipfels gescheitert. Wenn ich Ihr Lehrer wäre, hätten Sie jetzt eine fette Sechs dafür bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Um Himmels willen!) Liebe Frau Ministerin, ich will nicht verhehlen, dass es auch Lichtblicke gibt, ohne Frage. Sie haben die Studienanfängerquote und die Weiterbildungsquote erwähnt. Wenn man sich das Ganze aber genauer anschaut, dann kommt man zu dem Schluss, dass diejenigen, die zur Risikogruppe gehören, erneut abgehängt werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Mutlu, darf der Kollege Rupprecht eine Zwischenfrage stellen? Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte sehr. Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Rupprecht befindet sich scharf rechts von Ihnen, Herr Mutlu. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Scharf rechts ist nichts für ihn! – Heiterkeit) Albert Rupprecht (CDU/CSU): Herr Kollege Mutlu, wenn Sie den Bildungsbericht richtig gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass das Erreichen der Ziele für 2015 angestrebt wird. Die Zahlen, die Sie genannt haben, wurden 2013 erhoben. Deswegen lautet meine Frage an Sie: Kann es sein, dass Sie in der Bewertung falsch liegen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gibt er nie zu! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sonst gibt es eine schlechte Note!) Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Rupprecht, wenn Sie meinen, dass Sie innerhalb eines Jahres das alles aufholen, was Sie in den letzten vier, fünf Jahren nicht geschafft haben, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie das schaffen, gratuliere ich Ihnen als Erster. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihre Bildungspolitik beruht auf dem Matthäus-Effekt und manifestiert meiner Ansicht nach Bildungsungerechtigkeit von Generation zu Generation. Aufstieg durch Bildung ist noch immer ein uneingelöstes Versprechen dieser Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre vollmundig ausgerufene Bildungsrepublik ist sechs Jahre nach dem Bildungsgipfel nichts anderes als eine Republik der Bildungsungerechtigkeit. So lesen sich auch die Ergebnisse des Bildungsberichtes 2014. Bereits beim Bildungsbericht 2010 hat meine Fraktion hier in diesem Hause gefordert, dass der Bericht auch konkrete Handlungsempfehlungen enthalten soll, um – ich zitiere aus unserem Antrag auf Drucksache 17/4436 – „aus den Analysen der Fachleute einen möglichst hohen Gewinn für die Bildungspolitik zu ziehen“. Im Gegensatz zu den ersten Berichten enthält der vorliegende Bericht neben einer aktuellen Bestandsaufnahme nun endlich konkrete Handlungsempfehlungen. Diese konkreten Handlungsempfehlungen sind Ihnen aber anscheinend egal. Denn ein Blick auf Ihren Antrag zeigt: Viele Worte, aber kaum Taten! – Das reicht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man fragt sich mitunter schon, wie es sein kann, dass trotz klarer Handlungsempfehlungen nichts, aber auch gar nichts von diesen Empfehlungen Einzug in Ihr politisches Handeln findet. Meine Damen und Herren, der Königsweg – ich bemühe ihn nun genauso wie die Ministerin – zu mehr Teilhabe und damit zu mehr Bildungsgerechtigkeit ist Inklusion. Das ist auch der Schwerpunkt des Bildungsberichtes. Aber Inklusion ist nicht kostenneutral und zum Nulltarif zu haben. Das wissen Sie genauso gut wie ich, wie ich Ihrer Rede, Frau Kollegin Tack – das war beinahe eine Oppositionsrede –, entnommen habe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn die Kommunen und die Länder können die bildungspolitische Mammutaufgabe, zu der wir seit der Ratifizierung der UN-Konvention 2009 verpflichtet sind, nicht alleine stemmen. Der Bildungsbericht 2014 und die Bilanz des DGB zeigen: Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit, Frau Ministerin. Deshalb sage ich: Leere Worte reichen nicht. Lassen Sie uns gemeinsam einen erneuten Anlauf nehmen und das Kooperationsverbot in Gänze abschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Bund, Länder und Kommunen müssen eine gemeinsame Bildungsstrategie entwickeln, und zwar mit klaren Zielen und Zuständigkeiten. Es geht nicht darum, den Ländern die Kompetenz in der Bildung zu nehmen, sondern darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam an einem Strang ziehen können, damit die Bildungsrepublik tatsächlich Realität wird. Wir sind gerne bereit, Ihnen dabei zu helfen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Xaver Jung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Xaver Jung (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Liebe Schüler auf der Tribüne, macht euch keine Gedanken. Eure Schule ist nicht so schlecht, wie Herr Mutlu eben behauptet hat. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Frau Hein, Sie können nicht alle Aufgaben, die den Ländern per Verfassung gegeben sind, vom Bund bezahlen lassen. So einfach können wir es uns nicht machen, und das tun wir auch nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch keiner gesagt!) Wir sind auf einem guten Weg. Die Bildung in Deutschland hat sich auf allen Ebenen verbessert. Zu diesem Ergebnis kommt sowohl die aktuelle OECD-Studie als auch die nun vorliegende Ausgabe des Nationalen Bildungsberichts. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Studie haben Sie denn gelesen?) Man kann es nicht oft genug sagen: Die gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen, der Bildungsträger aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Pädagoginnen und Pädagogen in den unterschiedlichsten Bildungsbereichen zeigen eine positive Entwicklung. Dies sind einmal mehr gute Nachrichten für dieses Haus. Ich möchte unserer Bildungsministerin einen herzlichen Dank aussprechen. Mit viel persönlichem Einsatz und Ausdauer kämpfen Sie, liebe Frau Wanka, stets für moderne und bessere Bildung. Die Aufwüchse im Bildungsetat in den letzten Jahren sind ein großartiges Zeichen dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte mich auch ausdrücklich bei allen beteiligten Autoren und Instituten für die Ausarbeitung und die Vorlage des ausführlichen Berichts bedanken. Das Ergebnis ist die Bestätigung für eine vorausschauende Bildungspolitik. Der Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige ist weit vorangeschritten und geht weiter voran. Immer mehr junge Menschen erlangen einen Berufsabschluss. Wir sollten auch die berufliche Bildung nicht schlechtreden. Auch junge Menschen mit Migrationshintergrund werden besser integriert. Das sagt der Bericht. Unser duales Ausbildungssystem und unsere Hochschulen genießen einen sehr guten Ruf in der Welt. Immer mehr beginnen ein Studium, immer mehr höherwertige Abschlüsse werden erreicht. Auch für Studierende aus dem Ausland sind unsere Hochschulen attraktiver denn je. Die Möglichkeiten der Weiterbildung werden gut aufgenommen. Wir freuen uns über all diese guten Ergebnisse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Wir erkennen auch den verstärkten Bedarf an Nachwuchs im MINT-Bereich. Dazu unterstützen wir die Initiative der Helmholtz-Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Das ist eine tolle Initiative, die Kindern im Kindergarten und künftig auch in der Grundschule den Spaß am Entdecken und an den Naturwissenschaften näherbringt. Wir freuen uns über die Aufstockung der Mittel in diesem Bereich ebenso wie über die zusätzlichen Mittel im Bereich der Grundbildung. Der Bildungsbericht zeigt uns aber auch klar auf, wo wir noch besser werden können. Wir werden den Vorschlägen gerne nachkommen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Jetzt wird es differenziert!) Wir wollen eine verbesserte Qualität der Betreuung, die nach dem Kindertagesstättenausbau nun verstärkt angegangen wird. Wir treten auch weiterhin für ein möglichst wohnortnahes, differenziertes Schulsystem ein. Wir setzen uns für mehr qualifizierte Aus- und Weiterbildung von Erziehern und Erzieherinnen ein. Dieser Beruf verdient mehr Wertschätzung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In der Lehrerbildung rüsten wir mit der Qualitäts-offensive Lehrerbildung bereits auf. Trotz Haushaltskonsolidierung entlasten wir die Länder im Bereich der Kitas, Schulen und Hochschulen in dieser Wahlperiode um 6 Milliarden Euro. Bereits in diesem Jahr stehen den Ländern zusätzlich, wie gesagt, 1,2 Milliarden Euro aus den BAföG-Mitteln für Bildung und Wissenschaft zur Verfügung. Wir ruhen uns also nicht auf dem Erreichten aus, wie mancher hier heute Morgen schon gesagt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, frühkindliche Bildung hilft, Sprachbarrieren abzubauen und den Grundstein zu einer guten, weiterführenden Bildung zu legen. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag, dass es zwischen den Ländern vergleichbare und frühzeitige Sprachtests von Kindern in jungen Jahren gibt. So können wir früh reagieren, sozialen Disparitäten entgegenwirken und individuelle Förderung garantieren. Immer weniger Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss. Dennoch sehen wir hier weiteren Handlungsbedarf und werden uns darum kümmern. Ähnlich wie im Bereich der dualen Ausbildung muss die Abbrecherquote weiter gesenkt werden. Wir schaffen dies durch eine frühzeitige Berufsorientierung und Praktika sowie ausbildungsbegleitende Hilfen bis hin zur Ausbildungsassistenz. Der Schwerpunkt des Berichts lag dieses Mal auf Inklusion. Auch hier haben wir Handlungsanweisungen, die wir gerne aufgreifen. Seit Jahren haben viele Schulen erfolgreich eigene inklusive Konzepte verfolgt, trotz der teilweise fehlenden personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen. Wir wollen diese Erfolgsmodelle anerkennen und kommunizieren. Nahezu alle Bundesländer verfolgen bereits eigene Modelle bei der Umsetzung in die Praxis. In unserem Antrag fordern wir deshalb einen runden Tisch. Gemeinsam mit den Bundesländern muss in einem regelmäßigen Fachkongress – alle zwei Jahre – mit Politikern, Wissenschaftlern, Pädagogen, Eltern und Schülern sowie Vertretern der Behindertenverbände und der Selbsthilfe eine Bestandsaufnahme generiert und an konkreten Handlungsempfehlungen gearbeitet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei ist die immer wieder aufkommende, ideologisch geprägte und wenig sachliche Diskussion darüber, die Förderschulen abzuschaffen, fehl am Platz. Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Hinblick auf elf verschiedene Förderschultypen ist es wichtig, die Diskussion im Bereich der inklusiven Bildung differenziert zu führen; denn viele junge Menschen mit Beeinträchtigungen sind auf die individuelle Begleitung von erfahrenen Fachkräften sowie auf die zusätzliche Ausstattung an diesen Schulen angewiesen. Wir brauchen auch in Zukunft Förderschulen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Auch im Bereich der Diagnostik von sonderpädago-gischem Förderbedarf zeigt uns die Studie Handlungs-bedarf auf. Denn es gibt weder einen Konsens darüber, was „sonderpädagogischer Förderbedarf“ meint, noch darüber, wie er festgestellt werden soll. So kommt es, dass sich die Betroffenen für die ihnen zustehenden zusätzlichen Ressourcen teils halbjährlich diagnostizieren lassen müssen. Da kann man sich vieles sparen. Inklusion zielt doch darauf ab, die Verschiedenartigkeit der Schülerinnen und Schüler als selbstverständlich anzusehen. Damit verbunden wäre ein sinnvoller Bürokratieabbau. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen auch prüfen, wie digitale Lernmaterialien und Medien sowie technologische Unterrichtshilfen den Bildungszugang für Menschen mit Beeinträchtigungen erleichtern können und welche Voraussetzungen für den Einsatz in allen Schularten geschaffen werden müssen. Meine Damen und Herren, wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden den Reformkurs für mehr Vergleichbarkeit und Qualitätsentwicklung im Bildungsbereich weiterverfolgen. Trotz aller Freude über die Erfolge der letzten Jahre sind wir uns in der Koalition der vielfältigen Herausforderungen sehr bewusst und werden sie gerne gemeinsam mit den Ländern angehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Werner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, Frau Bundesministerin Dr. Wanka, die Analyse ist einzigartig, und der Bericht ist umfangreich. Die Stellungnahme der Bundesregierung zum fünften Nationalen Bildungsbericht mit dem Schwerpunkt „Bildung von Menschen mit Behinderung“ zeigt aber recht deutlich, wie wenig wichtig der Bundesregierung die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist: Nur eine einzige Seite widmen Sie Menschen mit Behinderung im Bildungssystem, und das bei einem Bericht, der 342 Seiten umfasst. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es kommt doch nicht auf die Menge an, sondern auf den Inhalt!) Das ist wirklich traurig. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sogar mein grüner Kollege Mutlu ist meiner Meinung!) – Lesen Sie einmal Ihre Stellungnahme. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hat man mir vorgelesen!) Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht, das niemandem verwehrt werden darf. Deshalb ist es für uns mehr als wichtig, dass jeder Mensch in diesem Land die Möglichkeit zur Teilhabe an einem inklusiven Bildungssystem hat, und zwar nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern jetzt und sofort. (Beifall bei der LINKEN) Das Bildungssystem braucht hierzu mehr Geld. Die Länder und Kommunen brauchen die Unterstützung vom Bund. Es ist völlig unmöglich, dass der Bund beim Fachkräftemangel im Bereich Bildung, Erziehung und Pflege die Augen schließt und die Kommunen ihrem eigenen Schicksal überlässt. Inklusion darf kein Spar-modell werden. (Beifall bei der LINKEN) Inklusion ist wichtiger als die schwarze Null des Finanzministers. (Beifall bei der LINKEN) Denn: Wer die Felder nicht bestellt, der kann nachher auch nicht ernten. Das waren Worte Ihrer Kollegin in der Aktuellen Stunde am Mittwoch dieser Woche. Bestellen Sie die Felder; dann können Sie auch die Zukunft ernten! (Beifall bei der LINKEN) Am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, mussten wir uns hier im Plenum von einer Kollegin aus der CSU anhören – ich zitiere –: Die Mutter, die ihr Kind mit Downsyndrom an das Gymnasium bringen will, tut dem Kind, so meine ich, nichts Gutes. Das ist Blödsinn. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach, Sie kennen die Mutter?) Ich verstehe nicht, warum bei so einem Zitat hier in der Regierung niemand aufschreit. So verwundert es aber auch nicht, dass die Bundesregierung eine absolut oberflächliche, inhaltslose Stellungnahme zur inklusiven Bildung für Menschen mit Behinderung abgibt. Es gibt keinerlei neue Maßnahmen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir kritisieren ja gern, aber das ist wirklich sehr platt!) Dass Sie sagen, dass Inklusion eine Herausforderung ist und weiter erforscht werden müsse, ist echt zu wenig. (Beifall bei der LINKEN) Die vor knapp sechs Jahren in Deutschland in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention ist geltendes Recht und verpflichtet die Politik zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn die UN Ende März Deutschland unter die Lupe nehmen. Die Kritik wird heftig. Sie sagen: Es mangelt an für ein inklusives Schulsystem gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Sie sagen: Es gibt nicht die richtigen Räume. Sie sagen: Es gibt nicht ausreichend Geld. Ich sage Ihnen: Es mangelt an Ihrem politischen Willen, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Den Finger runter! Das sieht furchtbar aus! Wenn Sie die Faust erheben würden, das würde ich ja verstehen!) endlich die Ärmel hochzukrempeln und etwas in Richtung inklusiver Bildung zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern erstens die sofortige Erstellung eines gesonderten Aktionsplans zur inklusiven Bildung – selbstverständlich unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderung. Wir fordern zweitens, dass Bund und Länder zusammen die Bildungsarbeit angehen. Wir fordern drittens, dass Bund, Länder und Kommunen ein unabhängiges Beratungs- und Unterstützungssystem vor Ort befördern. Wir fordern viertens eine Qualitätsoffensive bei der Aus- und Weiterbildung für das gesamte Bildungs- und Ausbildungspersonal. Wir fordern fünftens den breiten Einsatz pädagogischer Fachkräfte mit Behinderung im Bereich der inklusiven Bildung. Damit treten Sie übrigens auch dem Fachkräftemangel entgegen. Wir fordern sechstens einkommens- und vermögens-unabhängige sowie bedarfsgerechte Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung an den Unis und Schulen – und das auch über den ersten berufsqualifizierenden Abschluss hinaus. Und wir fordern siebtens die Verankerung einer Berufsausbildungsquote für junge Menschen mit Behinderung in Betrieben. Wenn Sie etwas gegen das weitere Auseinanderdriften dieser Gesellschaft tun wollen, müssen Sie die Ängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen abbauen. Sie müssen endlich begreifen, dass der Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention und der Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderung „Nichts über uns ohne uns!“ die Grundlage jeder positiven Veränderung ist. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Nationale Bildungsbericht sollte eigentlich eine Chance sein, eine realistische Debatte über den Zustand unseres Bildungssystems zu führen; das heißt, Frau Kollegin Hein, Herr Kollege Mutlu, weder alles in Grund und Boden zu reden (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Haben wir gar nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch nicht Schönrederei! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Einfach mal zuhören!) noch Dinge, die schwierig sind, zu beschönigen. – Wenn Sie einen Moment zuhören, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das kann er nicht!) kriegen wir das miteinander hin, glaube ich. Sie werden denjenigen, die im Bildungssystem tätig sind, die dort als Erzieherinnen und Erzieher arbeiten, den Eltern, den Kindern, den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Ausbildern, den Prüfern, denen, die in den Hochschulen im wissenschaftlichen Mittelbau oder als Professorinnen und Professoren arbeiten, all denjenigen, die in der Weiterbildung tätig sind, nicht gerecht, wenn Sie alles in diesem Land im Bereich der Bildung in Grund und Boden reden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden ihnen aber auch nicht gerecht, wenn wir objektive Probleme im Alltag des Bildungssystems schönreden; auch regierungsamtlich sollten wir das nicht tun. Ich bin der Ministerin sehr dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat, dass wir auch vor großen Herausforderungen stehen. Aber es hat sich in den letzten Jahren auch verdammt viel bewegt, und das hat Gründe. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich kann mich erinnern, dass es in den letzten 15 Jahren zwei Dinge gab, die uns alle wachgerüttelt haben. Da war natürlich der PISA-Schock 2000. Was für die Amerikaner Ende der 50er-Jahre der Sputnik-Schock war, der zu Anstrengungen in der Luft- und Raumfahrt geführt hat – bis zur Mondlandung –, war für unser Bildungssystem der PISA-Schock. Der PISA-Schock war aus meiner Sicht deshalb heilsam, weil durch ihn ideologische Gräben in der bildungspolitischen Debatte überwunden worden sind. Was haben wir uns in diesem Land jahrelang gestritten – ich sage mal: Konservative und Sozialdemokra-ten – über die Frage, ob Leistung wichtig ist oder Chancengleichheit! PISA hat uns vor 15 Jahren bescheinigt, dass wir an beiden Ecken im Bildungssystem massive Probleme hatten: beim Zugang, bei der Chancengleichheit und bei der Leistungsfähigkeit, bei der Qualität in der Breite und der Exzellenz in der Spitze. Da hat sich in den letzten Jahren dank vielfältiger Anstrengungen vom Bund, aber vor allen Dingen auch von Ländern und Kommunen, die nach wie vor in unserem Bildungssystem hauptverantwortlich und zuständig sind, eine ganze Menge getan. Wir haben einen Aufbruch in den Ländern erlebt. Wir haben den Kitaausbau erlebt. Wir haben Ländervergleiche, Ganztagsschulprogramme, Bildungsstandards. Das Ganze braucht Zeit, zu wirken; das ist gar keine Frage. Bildung ist manchmal eine langfristige Investition, auch über Legislaturperioden hinaus. Das, was Sie heute säen, kann man dann eben erst in 10 oder 15 Jahren im Bildungssystem wirklich sehen. Natürlich ist vieles noch nicht so weit, wie wir es haben wollen. Nicht alle Ziele sind erreicht. Aber es hat sich doch eine ganze Menge getan. Ein zweiter Aufbruch, der im Bildungssystem stattgefunden hat, ist in den 2000er-Jahren der Aufbruch im Bereich der Hochschulen gewesen. Das war ein massiver Aufbruch; ich nenne an dieser Stelle die Stichworte Exzellenzinitiative, Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation. Das war ein Riesenaufbruch, vergleichbar der Bildungsexpansion Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre im Bereich der Hochschulen. Auch das ist ein Riesenerfolg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotzdem müssen wir angesichts dieses Bildungsberichts auch über die objektiven Herausforderungen und Probleme im System reden. Es geht dabei um drei Themen. Erstens geht es nach wie vor um die Frage, wie es um die Chancengleichheit bestellt ist. Bei allen Verbesserungen – ich komme gleich darauf – ist es für uns Sozialdemokraten nicht erträglich, dass nach wie vor auch in -unserem Land Herkunft, Migrationshintergrund, Geldbeutel der Eltern stärker über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen entscheiden als in anderen Ländern. Wir wollen nicht, dass die Herkunft entscheidet, sondern wir wollen, dass sich Talente entfalten können, dass Leistung in diesem Land zählt und nicht Herkunft, dass Menschen selbstbestimmt leben können, dass sie ihren eigenen Lebensweg gehen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb ist der Befund so, dass sich zwar einiges getan hat, aber wir in diesem Bereich, wenn wir einmal ganz ehrlich sind, nach wie vor weit von Chancengleichheit entfernt sind, wenn es beispielsweise um Kinder und Jugendliche mit dem berühmten Migrationshintergrund geht. Da liegt noch eine ganze Menge im Argen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Zahl derjenigen, die ohne Schulabschluss dastehen, hat sich zwar insgesamt reduziert, aber noch immerhin 50 000 junge Menschen verlassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohne jeden Schulabschluss. 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 stehen ohne berufliche Erstausbildung da. Unter diesen sind ganz viele, die Wurzeln außerhalb unseres Landes haben. Aber dafür können die Kinder und Jugendlichen nichts. Sie sind hier in dieser Gesellschaft aufgewachsen. Hier geht es um eine Frage der Gerechtigkeit. Ich füge aber hinzu: Es ist auch eine Frage der ökonomischen Vernunft. Wir können nicht über Fachkräftemangel klagen und diese Potenziale in unserem Land ungenutzt lassen. Jeder braucht eine Chance auf Teilhabe in diesem Land. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb, Herr Kollege Mutlu, sind wir beim Befund gar nicht anderer Meinung. Wir stehen hier vor einer riesigen Herausforderung. Nur zu glauben, dass das der Bund alleine stemmen könne, ist illusorisch. Wir brauchen vielmehr eine Kraftanstrengung von Bund, Ländern, Kommunen, von Gewerkschaften, Arbeitgebern, um dieses Thema anzugehen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: -Sagen wir auch! Meine Worte!) Zu sagen, dass wir inzwischen angefangen haben, das miteinander anzugehen, gehört auch dazu. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Zweitens. Wir müssen, auch wenn Geld im Bildungssystem nicht alles ist, natürlich über Geld reden. Wir haben da eine ganze Menge bewegt, zum Beispiel im letzten Jahr auf Bundesebene. Ich sage, da hat sich in einem Jahr mehr bewegt als in vielen Jahren davor. In diesem einen Jahr haben wir es geschafft, die Länder massiv zu entlasten – 6 Milliarden Euro haben wir da auf den Weg gebracht –, damit sie stärker in Bildung investieren können, wir haben den Hochschulpakt verlängert, das BAföG erhöht usw. usf. Wir haben seit 1995 als Gesamtstaat auch massiv die Bildungsausgaben um sage und schreibe 42 Prozent gesteigert. Ich gebe aber zu: Das reicht noch nicht. Es geht allerdings nicht um solche Mondzahlen, wie Sie sie, Frau Kollegin Hein, in die Welt setzen, in Höhe von 40 Milliarden Euro. Ich weiß nicht, woher Sie das nehmen, (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aus einer GEW-Studie!) möglicherweise aus einer Gelddruckerei. Das ist aber nicht das, was wir brauchen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Oder die 20 Milliarden, die Sie schon eingefordert haben!) Wir müssen natürlich über die Frage reden, was wir an zusätzlichen Geldmitteln organisieren müssen, aber auch darüber, wo wir es einsetzen, um die Qualität zu verbessern. Da sage ich: Wenn uns die erste PISA-Studie etwas gelehrt hat, dann das, dass die frühe und individuelle Förderung von Kindern und längeres gemeinsames Lernen vernünftig sind. In der frühkindlichen Förderung ist nach wie vor das Problem, dass wir zwar beim Ausbau vorangekommen sind, aber weitere Anstrengungen brauchen, um zu mehr Qualität zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Daran arbeitet diese Bundesregierung, insbesondere Frau Ministerin Schwesig. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Wir müssen mehr in die frühkindliche Förderung investieren. Mit „wir“ meine ich Bund, Länder und Kommunen, also den Gesamtstaat. Wir müssen den Erzieherinnen und Erziehern den Rücken stärken. Wir müssen Weiterbildung ermöglichen. Dann werden wir in diesem Bereich den Primat der Herkunft als Grund für Bildungschancen stärker durchbrechen. Die frühe und individuelle Förderung von Kindern braucht mehr Investitionen. Das müssen wir uns alle miteinander vornehmen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Drittens. Neben der Frage von Chancengleichheit und neben der Geldfrage müssen wir auch über Zuständigkeiten reden. Ich will keine alten Schlachten schlagen. Ich will nur versuchen, mit einigen Missverständnissen aufzuräumen. Ein Missverständnis ist: Diejenigen, die sich nach wie vor dafür einsetzen, dass das Kooperationsverbot nicht nur im Bereich der Wissenschaft fällt – das haben wir gemeinsam geschafft –, sondern auch im Bereich der allgemeinen Bildung, der schulischen Bildung, sind nicht diejenigen – in ihrer überwiegenden Zahl; wir jedenfalls nicht –, die auf Zentralismus setzen, denen es darum geht, dass sich der Bund neue Kompetenzen anmaßt. Es geht um Gemeinsamkeit, um Kooperation und um gemeinsame Kraftanstrengung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es geht nur darum, mehr zu zahlen, und die anderen machen, was sie wollen! So ist es!) Ich weiß, dass es im Moment in diesem Hause, gerade bei unserem Koalitionspartner – auch wenn der Bundesrat dem offen gegenübersteht –, keine Zweitdrittelmehrheit für eine entsprechende Verfassungsänderung gibt. Gleichwohl müssen wir aus meiner Sicht mit Blick darauf daran arbeiten und darüber diskutieren, dass wir uns für zusätzliche Anstrengungen auf diesen Weg machen müssen. Ich werde dazu gleich zwei Beispiele nennen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Herr Kollege Kauder, erinnern wir uns daran, welche Klimmzüge wir oft machen müssen. In der letzten Großen Koalition haben wir beispielsweise aufgrund wirtschaftlicher Not versucht, mithilfe des Konjunkturpaketes in den Kommunen Geld an vernünftiger Stelle einzusetzen. Wir haben versucht, Umwege zu finden. Über energetische Gebäudesanierung durften wir dann auch Schulen sanieren. Aber warum, meine Damen und Herren, ist es eigentlich nicht möglich, dass wir mit Bund und Ländern zum Beispiel im Bereich der Ganztagsschulen vorangehen, wenn dafür Geld vorhanden wäre? (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Warum ist es so, dass wir beim Thema „Haus der kleinen Forscher“ – ein ganz wichtiges Projekt zur Förderung beispielsweise der MINT-Berufe, über die Helmholtz-Gemeinschaft gefördert – zwar im Kitabereich eine ganze Menge fordern können, um die Neugier von Kindern und ihren Forschergeist zu wecken, wenn es aber darum geht, das Ganze auf den Bereich der Grundschulen auszudehnen, wir an Grenzen stoßen, weil wir mit Geld des Bundes keine Dinge machen können, bei denen der Bund im gesetzgeberischen Bereich keine Kompetenz hat? Noch einmal: Mir geht es nicht um Zentralismus. Man kann von Berlin ganz schlecht Bildungspolitik für ganz Deutschland machen, auch wenn man die alleinige Zuständigkeit hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber dass wir nur zahlen, geht auch nicht!) Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine gemeinsame Kraftanstrengung brauchen. Deshalb sage ich: Auch für die Grünen gibt es im Übrigen keinen Grund zur Häme. Wenn ihr es schaffen würdet, euren einzigen Ministerpräsidenten in Stuttgart, Herrn Kretschmann, davon zu überzeugen, dass eine Änderung der Verfassung in diesem Bereich zielführend ist, dann arbeiten wir weiter daran, unseren Koalitionspartner in Berlin zu überzeugen. Das ist doch ein Deal, den wir eingehen können. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Meine Damen und Herren, Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß braucht auch die Bildungspolitik. Ich spreche der Opposition nicht ab, dass sie auch Leidenschaft für dieses Thema hat. Das ist gut. Ich spreche Ihnen aber an der einen oder anderen Stelle das Augenmaß ab. Ich richte das ganz deutlich an die Kollegin, die vorhin gesprochen hat. Es ist nicht in Ordnung, wenn wir uns wechselseitig unterstellen, dass wir die Herausforderungen von Inklusion nicht begriffen haben. Sie haben die Rede meiner Kollegin Tack vielleicht gehört. Es ist ein gemeinsames Ziel, dafür zu sorgen, dass Menschen mit und ohne Behinderung in diesem Land gleichberechtigte Teilhabe am Leben haben. Das gilt vor allen Dingen auch in der Bildung. Nur eines ist auch ganz klar: Zu glauben, dass man das mit der Brechstange hinbekommt, dass man das mit einem Fingerschnipp hinbekommt, unterschätzt die Lebensrealität von Eltern, von Kindern, von denjenigen, die an den Schulen lehren. In diesem Bereich haben wir Riesenprobleme. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Aber das Ziel eint uns. Wir haben viel zu viele Kinder an Förderschulen, die dort nicht hingehören, auch wenn wir, wie gesagt, einen Übergang brauchen. Sie gehören in die Regelschulen. Das ist ganz klar. Das geht aber nicht ohne Assistenz, ohne Unterstützung und ohne Umsteuern. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir müssen aufpassen, dass das Thema Inklusion die Gesellschaft nicht spaltet, sondern dass wir Inklusion in diesem Land hinbekommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katja Dörner erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Angesichts der Ereignisse in Frankreich fällt es mir ehrlich gesagt schwer, in unserer herkömmlichen Manier über den Nationalen Bildungsbericht zu debattieren; und das vor dem Hintergrund – ich denke, darin sind wir uns alle einig –, welche zentrale Rolle unsere Bildungsinstitutionen in unserem Land für eine gelingende Integration spielen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die aktuellen Ereignisse müssen für uns ein besonderer Ansporn sein, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, Kitas, Schulen, Hochschulen, aber auch die Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Einrichtungen für Jugendliche darin zu unterstützen, dieser wichtigen und zentralen Aufgabe gerecht werden zu können. Das ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Gestern hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung erneut bekräftigt, dass der Islam zu Deutschland gehört. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Aber leider muss das offensichtlich bekräftigt und betont werden. Was heißt das für unsere Bildungsinstitutionen? Ich möchte hier auf eine ganz konkrete Fragestellung zu sprechen kommen. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, und Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das – im Schuljahr 2012/2013 – islamischen Religionsunterricht eingeführt hat, einen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache nach modernen religionspädagogischen Grundsätzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die grüne Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, hat gestern gesagt, dass der islamische Religionsunterricht auch „ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung“ für die Muslime in unserem Land ist. Ich finde, heute ist eine gute Gelegenheit, diesen Satz hier ganz dick zu unterstreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, islamischer Religionsunterricht ist gelebte Integration und auch gerade aktuell ein Beitrag zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Nun ist mir ja hinlänglich bekannt, dass wir hier auf Bundesebene – der Bundestag, die Bundesregierung – in diesem Zusammenhang keine Handlungskompetenzen haben. Aber ich weiß, hier sitzen Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Bundesrepublik, aus allen Bundesländern. Ich möchte Sie einladen, sich einmal anzuschauen, welche Erfahrungen wir mit dem islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will natürlich auch auf den Nationalen Bildungsbericht im engeren Sinne eingehen. Da muss ich sagen: Ich muss mich doch sehr wundern. Der Bildungsbericht beschreibt die frühkindliche Bildung als ein zentrales Handlungsfeld. Frühkindliche Bildung in der Kita ist – neben der Familie – die Grundlage für alles. Aber ich habe heute seitens der Koalitionsfraktionen noch niemanden gehört, der dazu gesprochen hat. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Man muss dann auch zuhören! Sie hätten mal zuhören sollen!) Die Ministerin hat zwei Sätze dazu gesagt, aber die waren eher retrospektiv. Ich finde das wirklich bitter. Es bestätigt mich leider in meinem Eindruck, dass die Kitas, dass die frühkindliche Bildung bei dieser Bundesregierung ganz schlechte Karten hat. Wir halten das für falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist nicht fair! Ich habe dazu etwas gesagt!) Schon bei der Verteilung der berühmt-berüchtigten 6 Milliarden Euro wurden die Kitas mit eher mickrigen Summen abgespeist: Gerade einmal 550 Millionen Euro zusätzlich gibt es für die gesamte Legislaturperiode. Das ist, wenn man nur den Ausbau der Plätze betrachtet, eher ein Tropfen auf den heißen Stein, und für die dringend notwendige Qualitätsverbesserung bleibt da natürlich überhaupt nichts mehr übrig. Eine Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation ist der Schlüssel für mehr Qualität in der Kita; das schreiben Sie selbst in Ihrem Antrag. Also die dringende Aufforderung an die Bundesregierung: Tun Sie endlich etwas dafür, dass es hier zu Verbesserungen kommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In den letzten Tagen haben wir von Vertretern der Union und auch der SPD viele Äußerungen dazu gehört, wie die Spielräume im Haushalt auch für familienpolitische Leistungen genutzt werden sollten. Das Stichwort „Kita“ ist dabei gar nicht gefallen. Ich finde das schade; ich halte das auch für falsch. Wir brauchen dringend mehr Geld für die Kitas, insbesondere – ich habe es schon gesagt – für Qualitätsverbesserungen. Das sind zentrale bildungspolitische Investitionen, und es ist überhaupt nicht einsichtig, zumindest für uns Grüne nicht, dass das für die Regierungsfraktionen überhaupt keine Rolle spielt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im kompletten Forderungsteil Ihres Antrags kommt die ganze Thematik der frühkindlichen Bildung und des Kitaausbaus gar nicht vor. Ich muss konstatieren: Das sind sehr schlechte Aussichten für die frühkindliche Bildung in dieser Legislaturperiode. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Uwe Schummer erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegin Werner, welchen Stellenwert die Frage der Behindertenpolitik und der Inklusion bei den Linken hat, sieht man daran, dass der profilierteste Sprecher, den Sie in dem Bereich haben, Herr Ilja Seifert, nicht mehr dem Parlament und Ihrer Fraktion angehört. Sie haben ihn nicht ausreichend abgesichert; er war Ihnen nicht mehr wichtig. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nennt man Basisdemokratie!) Insofern ist es eine ganz politische Frage, ob man letztendlich bereit ist, in der eigenen Truppe Konsequenzen zu ziehen, oder man sie immer nur von anderen einfordert, aber selber versagt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) 40 Prozent derer, die in einer Förderschule unterrichtet werden, gelten als lernbehindert. Ich denke, dass wir uns mit Blick auf unsere Bildungslandschaft angesichts der offenkundig steigenden Zahl der Menschen mit Lernbehinderung selber einmal fragen müssen, ob nicht manchmal auch die Bildungsmethoden und -systeme falsch sind. Der Nürnberger Trichter und die Schwerpunktsetzung auf eine rein theoretische Herangehensweise können nach meiner Überzeugung vermeintliche Lernbehinderungen produzieren. Denn es ist nicht immer ein Kind lernbehindert, sondern es sind oftmals die Methoden, die Systeme, die das Lernen behindern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Begreifen kommt auch von greifen. Der Weg aus der praktischen Erfahrung zum Verständnis wurde in der allgemeinen Bildung weitgehend verbaut. Praxis und Theorie in der dualen Berufsausbildung zeigen auch der allgemeinen Bildung, wie es besser gehen kann: wie man auf der einen Seite von der Theorie zur Praxis gelangt und auf der anderen Seite über die Praxis zum theoretischen Verständnis kommt. Beide Wege müssen möglich sein; beide Wege sind gleichberechtigt in der Bildung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Berufsschulen und überbetriebliche Werkstätten können im Verbund mit den allgemeinbildenden Schulen diese praktischen Wege wieder freilegen. Der Bildungsbericht empfiehlt auch, dass dort, wo sonderpädagogischer Förderbedarf vorhanden ist, dieser mit den Bildungsakteuren besser abgestimmt wird. Eine Assistenz sollte in der Schule, in den Bildungseinrichtungen nicht isoliert mitlaufen, sondern Assistenz und Bildungspersonal sollten eng miteinander verzahnt sein. Jährlich verlassen etwa 50 000 Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Schule. Nur wenige finden eine Berufsausbildung. Nur 10 Prozent der Betriebe im dualen System bieten auch für behinderte Jugendliche Ausbildungsplätze an. In meinem Bundestagsbüro war ein Vertreter des Verbandes der Floristen zu Besuch, der sich darüber beklagte, dass die Floristen keine Auszubildenden mehr finden. Ich habe ihn gefragt: Haben Sie es denn auch einmal mit behinderten Jugendlichen versucht? – Man konnte schon an seinen Augen sehen, dass das nicht so richtig sein Thema war. Schließlich kam die Antwort: Die Kunden, die zu uns kommen und Blumen kaufen, haben nie Zeit, sie müssen sofort weiter. – In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht einmal über Entschleunigung nachdenken. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir sollten uns mit der Frage beschäftigen, ob man nicht Arbeitsprozesse und -strukturen so organisieren kann, dass sie menschengerecht sind und dass dadurch auch behinderte junge Menschen ein Stück weit die Chance bekommen, mitzuarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da kann einiges im Hintergrund geschaffen werden. Man hat auch entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten für den Umbau von Arbeitsplätzen. Es gibt auch Kunden, die Zeit haben und die froh sind, wenn sie ein Käffchen bekommen und mit dem Floristen ein Gespräch führen können. Entschleunigung ist etwas, was uns allen guttut. Deshalb ist das ein Thema, das wir sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Politik aufgreifen sollten. Ich war am Montag in einer katholischen Grundschule in Neuzelle in Brandenburg. Ich fand es spannend, zu sehen, wie hier eine Regelgrundschule aus einer Förderschule entwickelt worden ist, eine Regelgrundschule in Vielfalt, wie sie sich selber nennt. Zwei Drittel der Kinder sind ohne Förderbedarf, ein Drittel benötigt Sonderförderung. Die Klassengröße liegt bei 16. Von der ersten Klasse an lernen Kinder, behindert oder nicht, gemeinsam. Es gibt ausreichend finanziertes geschultes Personal und Räume für den Fall, dass sich Schüler mit ihrer Assistenz zurückziehen wollen. Wir wissen, dass die Zahl der Schüler mit besonderem Förderbedarf seit vielen Jahren konstant bei 500 000 liegt, bei einer allerdings insgesamt sinkenden Schülerzahl. Wir wissen auch, dass im Grundschulbereich die inklusive Beschulung bei etwa 44 Prozent liegt, im Sekundarbereich sinkt sie auf 23 Prozent. Deshalb ist es wichtig, auf der einen Seite Zielsetzungen für die Inklusion zu entwickeln. Auf der anderen Seite müssen aber auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Die wunderbare, fabelhafte grüne Bildungspolitik von Frau Löhrmann in Nordrhein-Westfalen hingegen sorgt erstens dafür, dass ein Unterrichtsstundenausfall überhaupt nicht erfasst werden kann. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nicht das Niveau, Herr Kollege!) Man hat sich für 700 000 Euro ein Gutachten erstellen lassen, in dem festgestellt wird, weshalb man Ausfallstunden nicht addieren kann. Zweitens wird jeder Schüler in Nordrhein-Westfalen mit 2 800 Euro weniger im Jahr gefördert, als das beispielsweise in Thüringen der Fall ist. Damit wird im Grunde die Zielsetzung erkennbar: Wir schaffen die Förderschulen ab und übertragen die Mittel auf die Regelschulen; das wird schon irgendwie klappen. – Auf diese Weise fährt man Inklusion krachend gegen die Wand! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Eltern und Lehrer in Nordrhein-Westfalen sind dann bedauerlicherweise sauer und regen sich auf über Inklusion, obwohl die Auswirkungen offenkundig auf eine falsche, alles über Bord werfende Bildungspolitik von Frau Löhrmann zurückzuführen sind. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch, was Sie sagen! Sie haben keine Ahnung!) Das beschädigt die Inklusion. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb kann ich nur empfehlen, die katholische Regelschule in Neuzelle in Brandenburg als Vorbild zu sehen, sie einmal zu besuchen und davon zu lernen. Es ist gut, dass wir in diesem Bildungsbericht gemeinsam – Bund und Bundesländer – Konsequenzen entwickelt haben. Das ist auch ein gutes Zeichen, dass wir als Bund mit den Ländern diese Aufgabe bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Rossmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom Bildungsgipfel 2008 bis zu den Bildungsberichten geht es immer um strategische Bildungspolitik. Anliegen einer strategischen Bildungspolitik muss dabei sein, zum einen möglichst viele Kräfte zu bündeln, zum anderen möglichst zu einer gemeinsamen Analyse zu kommen und daraus auch Handlungen abzuleiten. Ich finde, dazu gehört auch eine Differenzierung. Wenn wir das aufnehmen, was in den Beiträgen, von dem unserer Ministerin bis zu dem meines Vorredners, geäußert wurde, dann sind wir doch schon weitergekommen: in Licht und Schatten, in Prioritäten und Posterioritäten. Aber dieser Bildungsbericht und die Diskussion dazu zeigen doch auch, dass es so etwas wie einen „Spirit“ geben kann, gemeinsam mit Kommunen, Ländern, Bund, Sozialpartnern und Wissenschaft an wichtigen Schlüsselstellen anzusetzen. Aber ich bitte dann auch alle Seiten darum, dabei mitzugehen. Natürlich kann man einem Antrag der Koalitionsfraktionen vorwerfen, dass darin nicht ausgiebig etwas zu Hochschulen gesagt wird. Aber das war auch nicht die Absicht. Wir haben uns, weil es – der Kollege Heil und die Ministerin haben es gesagt – um Bildungschancen für alle geht, vorgenommen, diese Forderung auch einmal auf die rund 500 000 Kinder, die eine Schule besuchen, auf eine noch größere Zahl von Kindern, die hoffentlich eine Kindertagesstätte besuchen, und auf diejenigen, die mit einer Behinderung eine Berufsbildungseinrichtung oder Hochschule besuchen, zu beziehen. Herr Mutlu, dann lässt man anderes eben weg. Wir finden, dass das eine Ausfüllung einer strategischen, politischen Schwerpunktsetzung ist. Herr Jung, noch einmal vielen Dank dafür, dass wir dort auch viele differenzierte Vorschläge machen konnten. Aber es soll ja nicht nur bei den Vorschlägen bleiben, sondern entscheidend ist auch die Tat. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) In diesem Zusammenhang will ich nur darauf aufmerksam machen: Wenn Sie sich jetzt die Vereinbarungen der Allianz für Aus- und Weiterbildung anschauen, die diese Bundesregierung mit initiiert hat, dann finden Sie dort über das hinaus, was im berufsbildenden Bereich schon gemacht worden ist, sehr präzise Verabredungen, speziell für junge Menschen mit Behinderung in der beruflichen Ausbildung mehr zu tun, angefangen bei 400 000 Praktikumsplätzen, bei denen sich die Wirtschaft verpflichtet hat, diese bewusst auf Menschen mit einer Behinderung auszurichten, bis hin zur assistierten Ausbildung. Die assistierte Ausbildung soll ja auch ein Pfund sein, mit dem man wuchern kann. Es wurde sogar verabredet, zusätzliche Ausbildungsplätze für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen. Das macht doch das Strategische aus: etwas zu erkennen, gemeinsam zu verabreden und dann auch umzusetzen. Das macht uns dann auch in Teilen zufrieden hiermit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will gerne in der Logik des Bildungsberichtes bleiben und noch sagen: Das gibt uns ja auch die Chance, tiefer zu graben. Was die frühkindliche Bildung angeht, müssen wir uns – Kollege Heil hat es angesprochen; die Ministerin hat es auch angesprochen –, wenn wir den Bildungsbericht lesen, auch selbstkritische Fragen stellen. Im Bildungsbericht steht in einem Kapitel, dass ausgerechnet bei Kindern aus Migrationsfamilien, von denen wir alle uns wünschen, dass sie besonders gut Sprache lernen, ein zu großer Anteil eben nicht in eine Kindertagesstätte geht. Ich will nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass es ja auch verwirren muss, wenn es ein Betreuungsgeld dafür gibt, dass ein Kind keine Kindertagesstätte besucht, und wir gleichzeitig erwarten, dass dort Sprache gelernt werden soll. Wir müssen aus dem Bildungsbericht diagnostizieren: Da fehlen zwei Jahre im Spracherwerb, die über gute Kindertagesstätten für Migrantenkinder ermöglicht werden könnten. Vielleicht können wir auch an so etwas arbeiten. Ein zweiter Punkt. Der Bildungsbericht stellt die Schlüsselstellung der Ganztagsschule heraus, sagt aber auch, dass die Entwicklung auf diesem Gebiet stagniert. Muss uns nicht die im Bildungsbericht festgestellte Stagnation beim Ausbau guter Ganztagsschulen veranlassen, noch einmal zwischen Kommunen, Bund und Ländern darüber nachzudenken, wie man gemeinsam eine Fortsetzung der Ganztagsschulentwicklung mit Qualität und auch mehr Quantität erreichen kann? Die Eltern wünschen sich das. Das ist aber auch strategisch wichtig in Bezug auf die Anforderungen, die der moderne Arbeitsmarkt stellt. Es soll doch möglich sein, dass Frauen wie Männer zur qualifizierten Wertschöpfung ausreichend beitragen. Dafür bleibt die Ganztagsschule eine Schlüsselstelle, und wenn es eine Schlüsselstelle ist, dann ist sie es auch für eine strategische Bildungsverantwortung aller Kräfte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Dritte, was durch den Nationalen Bildungsbericht als Schwerpunkt herausgearbeitet wird, ist der Übergang von der allgemeinen Bildung zur beruflichen Bildung. Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich herausstellen, wie wichtig es ist – Kollege Rupprecht, wir haben als Parlamentsfraktionen das verstärkt, was die Regierung im Auge hatte –, Berufsorientierung nicht nur verstärkt auf Gymnasiasten auszuweiten, sondern schwerpunktmäßig auch für Menschen mit Behinderung, für Förderschüler und andere. Der Bericht und die praktischen Erfahrungen mit der Berufsorientierung bestätigen, dass wir alle im Blick haben müssen und nicht nur die Abiturienten. Wir müssen alle ernst nehmen. Kollege Schummer, ich fand Ihre Ausführungen über die Floristen sehr gut, weil das ein praktisches Beispiel war. Das, was Sie zu Nordrhein-Westfalen gesagt haben, wird gleich noch gekontert, aber jetzt erst einmal zum praktischen Bezug: Praktische Hilfen sind wichtig, und diesen Bereich müssen wir ausbauen. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Verbindung von Berufs- und Hochschulausbildung. Wir können uns darüber freuen, dass wir laut Bildungsbericht viele Master haben. Der Bildungsbericht sagt uns aber auch, dass wir uns erst recht freuen können, wenn wir viele Meister haben. Diese Gleichwertigkeit ist wichtig. Priorität darf nicht die akademische Bildung haben, sondern die Priorität muss auf einem erfolgreichen Abschluss im beruflichen oder akademischen Bereich liegen. Das ist eine Botschaft des Bildungsberichts, die zu Handlungen führen kann, die zu Handlungen führen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: Strategisch sind wir gut aufgestellt: mit volatilen Bildungsgipfeln, mit einem kontinuierlich erscheinenden Bildungsbericht, mit einer KMK, die sich zunehmend konsensorientiert und strategisch ausrichtet. Wir werben nach wie vor dafür, die Weisheit, die in einem CDU-Parteitagsbeschluss zum Ausdruck kommt – Beschluss C 13 und C 53, Parteitag 2014 in Köln – aufzugreifen und einen nationalen Bildungsrat, den uns die vormalige Bildungsministerin, Frau Schavan, anempfohlen hatte, nicht von vornherein auszuschließen, sondern offen darüber nachzudenken, ob ein solcher nationaler Bildungsrat die Bildungsrepu-blik Deutschland durch einen Konsens und die strategische Bündelung aller Kräfte weiter befördern könnte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis es Chancen für alle gibt, ist noch viel zu tun. Das ist das Kernergebnis des Bildungsberichts 2014 und auch mein Zwischenfazit in dieser Debatte. Der Reformstau ist auch deswegen so groß, weil zwei CDU-Bundesbildungsministerinnen zu wenig für Bildungsgerechtigkeit getan haben. Ein Kurswechsel hin zu einem inklusiven Bildungsaufsteigerland tut not. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sieben Jahre nach dem Bildungsgipfel brechen immer noch zu viele die Schule ab, bleiben zu viele ohne Berufsabschluss, bleiben Geringqualifizierte abgehängt. Dieser Chancenmangel und die soziale Spaltung im Bildungssystem verschwinden nicht durch föderale Kleinstaaterei und nicht durch Unterfinanzierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie werden nur durch gemeinsames Handeln von Bund, Ländern und Kommunen für alle Bereiche der Bildungskette von der Kita bis zur Weiterbildung überwunden: für U 3, für Ganztagsschulen, für Inklusion, für Schul-sozialarbeit und eine Ausbildungsgarantie. Das ist notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ob gemeinsames Handeln dann zu einem nationalen Bildungsrat führt, darüber müssen wir diskutieren, und zwar fraktionsübergreifend, mit den Verbänden und vor allem entlang der Frage nach seinem Mehrwert. Falsch dagegen ist es, die Idee zu vereinnahmen und vorzupreschen, wie die SPD es gerade macht. Mit solchen Kaperfahrten riskiert man, dass eine genauso alte wie interessante Idee baden geht. Notwendiger als ein neues Gremium ist es aus unserer Sicht, mehr Kooperation in der Bildung überhaupt zu ermöglichen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Beides!) Das bildungsfeindliche Kooperationsverbot muss fallen. Das hat uns die Große Koalition 2006 eingebrockt und 2014 nicht behoben. Dieses Kooperationsverbot muss fallen, und deswegen muss vor allem die Union endlich ihren Widerstand aufgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Winfried Kretschmann! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ich klatsche mit einer Hand!) Solange Bund und Ländern eine echte Bildungszusammenarbeit verbaut bleibt, bliebe ein neues Strategie-gremium wie der nationale Bildungsrat nur eine lahme Ente. Zu alten Fehlern kommen neue Versäumnisse hinzu. Es ist zwar wunderbar, dass Bund und Länder die Wissenschaftspakte fortsetzen, aber wo bleibt der Vorschlag der Koalition, wie die neuen Kooperationsmöglichkeiten in der Wissenschaft, also die neue Verfassungsrealität seit dem 1. Januar 2015, genutzt werden können? Fehlanzeige! Da sind Sie blank, Sie haben keinen zusätzlichen Cent und keine neue Idee – das ist mau für unsere Wissensgesellschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anstatt substanziell für bessere Studien-, Lehr- und Arbeitsbedingungen zu sorgen, diskutieren die Kollegen aus der Koalition seit Monaten lieber über eine angebliche Akademikerschwemme. Dabei übersehen sie, dass wir durch den demografischen Wandel vor einem verschärften Fachkräftemangel sowohl an beruflich als auch an akademisch Qualifizierten stehen. Unser Land braucht mehr Meister und mehr Master. Wir als Grüne wollen es den jungen Menschen selber überlassen, ob sie ein Studium oder eine Ausbildung wählen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für Fachkräftesicherung ist unerlässlich, niemanden zurückzulassen, keine Bildungsverlierer zu produzieren und Hürden für qualifizierte Einwanderung einzureißen. In unserer global vernetzten und wissensbasierten Volkswirtschaft kommt es auf Vielfalt, auf Kreativität, auf Internationalität und auf Ideenreichtum an. Deutschland ist auf Einwanderung als Innovationstreiber in Wissenschaft und Arbeitswelt angewiesen. Die Liste der Mangelberufe muss daher jetzt erweitert werden. Auch junge Flüchtlinge und Asylbewerber brauchen eine Ausbildungsgarantie mit gesichertem Aufenthaltsstatus, intensiver Sprachförderung und gleichberechtigtem Zugang zur Ausbildungsförderung. Das sagen Ihnen auch jedes Unternehmen und jeder Betrieb. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Gerechte Chancen und gute Bildung für alle – beides ist konstitutiv für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung und eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Gute Bildung immunisiert gegen Fundamentalisierung und Fanatisierung und gleichzeitig auch gegen jede Form von Vorurteilen und Menschenfeindlichkeit. Deshalb ist gute Bildung eine Antwort auf Islamismus und Islamophobie, also auch ein wirksames Therapeutikum gegen gesellschaftliche Spaltpilze wie Pegida und Co. Auch deswegen muss eine chancengerechte Bildungspolitik bei dieser Regierung einen höheren Stellenwert bekommen. Das ist auch für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land unerlässlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Benning erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sybille Benning (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Nationale Bildungsbericht untersucht die einzelnen Stationen des Bildungsweges, von der Kita bis zur beruflichen Ausbildung, bis zum Studium. Jede Station baut dabei auf der vorherigen auf. Je besser ein Bildungsschritt gelingt, desto günstiger ist es für den folgenden. Unter Führung der Union sind wir in den letzten Jahren bei der Verbesserung jeder einzelnen Stufe deutlich vorangekommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bildung bedeutet neben dem Erwerb von Wissen immer auch die Entwicklung der Persönlichkeit. Am Beginn des Bildungsweges geschieht Entscheidendes. In unserem Antrag verweisen wir auf die Studie der Leopoldina zur frühkindlichen Sozialisation. Erfahrungen, die in der frühen Kindheit gemacht werden, prägen den gesamten weiteren Lebensweg. Dies gilt zum Beispiel auch für den Spracherwerb; das wurde eben bereits mehrfach gesagt. Eine sichere Beherrschung der deutschen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Bildungsweg in Deutschland. Kinder aus nicht deutschsprachigen Familien sollten daher so früh wie möglich Kontakt zu deutschen Muttersprachlern bekommen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Weg mit dem Betreuungsgeld!) Sehr erfolgreich wirkt hier das Bundesprogramm „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr nachteilig wirkt das Betreuungsgeld!) Wichtig wäre ein früherer Sprachtest möglichst bei allen Kindern jedes Jahrgangs, um bei Nachholbedarf gezielt nachsteuern zu können. In der frühen Kindheit entwickelt sich auch das Selbstkonzept eines Menschen. Er entwickelt hier Strategien, um seine Ziele zu erreichen, und lernt, mit Belastungen umzugehen. Je mehr Kompetenzen in dieser Zeit erworben werden, umso besser sind die Prognosen für die gesamte weitere Entwicklung im Jugend- und Erwachsenenalter, sowohl für den Schul- und Berufserfolg als auch für Gesundheit und Wohlstand. Die enorme Bedeutung der frühkindlichen Bildung ist daher offenkundig. Hier ist in den letzten Jahren viel passiert. Die Beteiligung der unter Dreijährigen an frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung hat sich in Westdeutschland seit 2006 verdreifacht und betrug im März 2013 deutschlandweit 29 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei den drei- bis sechsjährigen Kindern beträgt die Bildungsbeteiligung insgesamt 96 Prozent. Quantitativ ist der Ausbau also gut gelungen. Jetzt muss verstärkt auf die Qualität geschaut werden. Nach wie vor sind es die Eltern, die in dieser Zeit entscheiden, welche Angebote ihr Kind wahrnimmt. Besonders für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern kommt es daher entscheidend darauf an, die Eltern anzusprechen und einzubeziehen. Ich kenne viele gute Beispiele dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Meine Damen und Herren, Deutschland lebt von seinen Köpfen. Flapsig ausgedrückt kann man auch sagen: Was man nicht im Boden hat, muss man in der Birne haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Ein Spruch von mir! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ein guter Spruch. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das gilt nicht nur im Münsterland!) – Das gilt nicht nur im Münsterland; das gilt bundesweit. – Wir sollten uns daran halten. Unser Wissen macht uns nämlich auch wirtschaftlich stark. Dabei haben wir einen wachsenden Bedarf in den sogenannten MINT-Fächern: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sehr gut! Da ist NRW vorn!) Wir brauchen mehr junge Menschen, die sich hier ausbilden lassen, auch und gerade mehr junge Frauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen wirkt hier bereits. Immer mehr Frauen folgen der Aufforderung: „Komm, mach MINT“. 2012 gab es nämlich schon 57 Prozent mehr MINT-Studienanfängerinnen als 2008. Es geht darum, in jungen Jahren Interesse zu wecken und eigene Erfahrungen zu ermöglichen, mit dem Ziel, aus diesem Grundwissen einen Nährboden für spätere technische und naturwissenschaftliche Berufsausbildungen wachsen zu lassen. Genau hier setzt die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ an. 2006 gegründet und vom Bundesbildungsministerium gefördert, hat sie sich mittlerweile zur größten frühkindlichen Bildungsinitiative entwickelt, die es in Deutschland je gegeben hat. Wussten Sie das? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!) – Das ist gut. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Was zunächst auf Kitas ausgerichtet war, wird seit 2011 auch auf die Grundschulen ausgeweitet. Unser Ziel ist es, die kleinen Forscher in 80 Prozent aller Kitas experimentieren zu sehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei älteren Schülern muss man noch mehr für die MINT-Fächer werben. Dazu gehört zum Beispiel, Lehrerinnen und Lehrer als Botschafter für Naturwissenschaften zu gewinnen. Nötig ist auch mehr Spielraum für -vertiefende Erfahrungen und Experimente über die regulären Lehrpläne hinaus. Hier kommt den Ganztagsschulen eine besondere Bedeutung zu. Das Angebot wurde in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Mittlerweile geht schon jeder dritte Schüler ganztags zur Schule. Der Bedarf ist noch größer. (Dr. Simone Raatz [SPD]: Das ist richtig!) Ganztagsschulen erhöhen nachweislich die Bildungschancen. Studien belegen, dass Kinder, die regelmäßig an Ganztagsangeboten teilnehmen, bessere Lernerfolge erzielen. Der Erfolg schulischer Ganztagsbetreuung bestimmt sich maßgeblich durch die pädagogischen Konzepte. Hier müssen innovative Lösungen gefunden werden. Meine Damen und Herren, das formale Ziel jeder Schulausbildung ist der Schulabschluss. Noch immer ist die Zahl derer, die ihn nicht schaffen, leider zu hoch. Der Übergang zum nächsten Schritt, zur Ausbildung, wird damit deutlich erschwert. Denn nicht jeder, der eine Ausbildung oder ein Studium anfängt, schafft den angestrebten Abschluss. Aber auch hier passiert sehr viel. Die Initiative Bildungsketten zur Berufseinstiegsbegleitung verzeichnet seit Jahren große Erfolge. Gerade haben Bund, Länder und Sozialpartner die Allianz für Aus- und Weiterbildung unterzeichnet. Das Konzept der assistierten Ausbildung sieht vor, dass sowohl die Auszubildenden als auch die Betriebe während der Ausbildung Ansprechpartner haben, die bei Schwierigkeiten vermitteln können. Dies alles ist ein entscheidender Beitrag zur Stärkung der beruflichen Bildung im deutschen Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft. Denn wir brauchen beides: Wir brauchen berufliche und akademische Bildung. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das sage ich bewusst, weil ich die Verzahnung beider Systeme für unabdingbar halte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger übersteigt bei weitem die von Bund und Ländern an-gestrebte Zielmarke von 40 Prozent. Sie lag 2012 bei 51,4 Prozent. Gerade in den MINT-Fächern sind jedoch zu viele Abbrüche zu verzeichnen. Gemeinsam mit den Hochschulen und Kammern suchen wir nach neuen Lösungen, wie es weitergehen kann, wenn ein begonnener Bildungsweg nicht abgeschlossen wurde. Damit es weitergeht und aus dem scheinbaren Scheitern eine genutzte Chance wird, müssen wir klären, was angerechnet werden kann: von einer Ausbildung für eine andere, von einem begonnenen Studium für eine Ausbildung und von auf dem Ausbildungsweg erworbenen Qualifikationen für ein Studium. Die Gründe für einen Abbruch liegen oft nicht im fachlichen Bereich, sondern in den sogenannten Sekundärtugenden. Wesentliche Kompetenzen dafür werden bereits in der frühen Kindheit erworben. Hier sind wir dann wieder bei der Bedeutung der frühkindlichen Bildung für den gesamten Bildungsweg. Meine Damen und Herren, das Schwerpunktthema des Bildungsberichtes 2014 – die Inklusion und die Frage, was wir für Menschen mit Behinderung im Bildungsbereich tun müssen – wurde in dieser Debatte bereits umfangreich erörtert. Mir ist wichtig, dass wir mit den Verbesserungen im gesamten Bildungsbereich gerade diejenigen erreichen, die vielleicht keinen anerkannten besonderen Förderbedarf haben, aber dringend eine bessere individuelle Förderung benötigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Betonen möchte ich: Für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ist das Zusammenwirken -aller Akteure zwingend erforderlich. Bund, Länder, Kommunen und Bildungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft müssen zusammenarbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Bund stellt in dieser Legislaturperiode zusätzlich 6 Milliarden Euro für Bildung und Betreuung zur Verfügung. Durch die freiwerdenden BAföG-Mittel können – und sollten – die Länder insgesamt 1,2 Milliarden Euro jährlich in Schulen und Hochschulen investieren. Wenn die darin liegenden Chancen jetzt gut genutzt werden, kommen wir alle einen Riesenschritt voran. Wir kennen unsere Aufgaben, und wir gehen sie entschlossen an. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Willi Brase für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin meiner Vorrednerin ausgesprochen dankbar, dass sie auf die Bedeutung von MINT hingewiesen hat. Wir haben mal ein bisschen geschaut: Wie sieht es denn in den Bundesländern aus, was passiert dort? Ich erinnere daran, dass wir 2008 beim Bildungsgipfel Maßnahmen beschlossen haben, die für Bund, Länder und Kommunen, vor allen Dingen aber für Bund und Länder gelten, Herr Mutlu. Wenn Sie beklagen, dass zu wenige einen Schulabschluss haben, dann müssen Sie die Länder genauso adressieren. Bei den Abschlüssen in MINT-Fächern können wir eine wunderbare Statistik zur Kenntnis nehmen: Bezogen auf 1 000 erwerbstätige MINT-Akademiker hatte Nordrhein-Westfalen 2013 74 Abschlüsse vorzuweisen, Niedersachsen und Bremen 68, Schlusslicht war Hessen mit 54; der Durchschnitt in Deutschland lag bei 63. Also: Wenn man Bundesländer kritisieren will, dann muss man anerkennen, dass Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hier sehr gut im Feld liegen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das waren sicher die Baden-Württemberger, die dorthin gekommen sind!) – Kauder, hör up! (Heiterkeit) Ich fand es auch sehr interessant, zu erfahren, dass das Bundesland Sachsen einen Bildungsplan für Kitas vorgelegt hat – auch ein Ausdruck der gemeinsamen Verabredung 2008: Wir machen einen Plan, damit das mit den Kitas vernünftig läuft und immer mehr junge Kinder eine Chance haben. (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Auch das, was die Bundesländer hier machen, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sachsen!) ist eine gute Sache. (Beifall bei der SPD) Lieber Uwe Schummer, wenn ich mir anschaue, was die Regierung Rüttgers – Herr Rüttgers war ja mal Bildungsminister in der Bundesregierung – in Nordrhein-Westfalen hinterlassen hat, muss ich feststellen: Da blieb einiges unerledigt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit 2010/2011 den Ausbau der U-3-Betreuung um 75 Prozent gesteigert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben die Zahl der Ganztagsplätze seit diesem Datum von 225 000 auf 280 000 Plätze erhöht – eine Steigerung um 25 Prozent. Wir haben die Zahl der Studienanfänger ebenfalls um 25 Prozent gesteigert, in den MINT-Fächern sogar um 50 Prozent. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist Ausdruck einer richtigen Politik, die aber nicht erst 2011 oder 2012 begonnen hat, sondern teilweise Jahre zurückgeht. Das Beste, was Nordrhein-Westfalen passiert ist, war, dass man Ende der 60er-Jahre den Ausbau der Hochschulen und Fachhochschulen massiv vo-rangetrieben hat. Auch Herr Rüttgers hat etwas getan; das wollen wir nicht außen vor lassen. Also: Die Länder machen schon gute Sachen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vor allen Dingen Johannes Rau!) Für Inklusion nimmt NRW zwischen 2012 bis 2017 750 Millionen Euro zusätzlich in die Hand für über 3 800 Lehrerstellen; auch das geht also gut voran. Im Bildungsbericht – ich will doch noch mal kurz darauf zurückkommen – wurde auch beschrieben, dass wir in dieser Republik nach wie vor das Problem haben, dass junge Leute mit sozial schwierigem oder bildungsfernem Hintergrund wesentlich schlechtere Chancen haben, einen höheren Abschluss zu erreichen. Das ist leider immer noch so. Das betrifft den Bund, das betrifft die Länder, das betrifft die Kommunen. Deshalb will ich eine Initiative erwähnen, mit deren Vertretern ich in den letzten Tagen habe sprechen können, die Initiative ArbeiterKind.de. Es handelt sich hierbei um freiwilliges Engagement von jungen Leuten, die sagen: Wir wollen Informationen auch in diese Familien hineinbringen, damit auch Kinder aus diesen Familien eine Chance haben – mit den Bedingungen, die wir als Gesellschaft schon lange zur Verfügung stellen –, zu studieren, wenn sie dies wollen. 30 000 Schülerinnen und Schüler werden von dieser Initiative jedes Jahr angesprochen. Mir war es ein Bedürfnis, von dieser Stelle auch zu sagen: Danke, dass hier auch junge Menschen sich Gedanken machen, wie man es erreicht, dass alle eine Chance bekommen, auf dem Weg nach vorne zu gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leider habe ich nicht mehr viel Redezeit, Herr Präsident, aber eine Bemerkung darf ich noch machen: Mit der Allianz für Aus- und Weiterbildung wollen wir nicht nur für mehr Ausbildungsplätze für junge Leute und für mehr Berufsorientierung sorgen, sondern auch noch einmal die Gleichwertigkeit von allgemeiner und akademischer Bildung deutlich machen. Das kann man nicht oft genug sagen. Wir bieten den jungen Menschen zwei Wege an, die sie ganz nach oben führen, und wer das möchte, muss und wird alle Unterstützung bekommen. Vielen Dank für Ihr Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sven Volmering ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. Sven Volmering (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner dieser Debatte möchte ich noch einmal die Gelegenheit nutzen, allen Menschen, die im Bildungssektor arbeiten, zu danken. Sie leisten in unseren Kitas, Schulen, Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen wirklich Großartiges. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Nationalen Bildungsbericht 2014 wird festgestellt, dass es positive Entwicklungen in allen Bildungsbereichen gibt und dass die Bildungsbeteiligung sowie der Bildungsstand der Bevölkerung in Deutschland verbessert wurden. Das ist ein Erfolg, (Beifall bei der CDU/CSU) und ich freue mich, dass die Grünen und Linken in ihren Anträgen versteckt ebenfalls von Verbesserungen sprechen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind halt objektiv!) Inhaltlich erinnern Sie hingegen an Scheinriesen, die meinen, in wenigen Schritten, bestehend aus Rechtsansprüchen und neuen Gesetzen, das Ziel einer perfekten Bildungsrepublik sofort erreichen zu können. Das funktioniert so nicht. Mit dem Antrag unserer Koalition, der viele konkrete Punkte enthält, werden wir erfolgreicher für das Bildungssystem sein, weil er realistischer ist, als es Ihre allgemeinen Forderungen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Ceterum censeo eines neuen Artikels 91 b Absatz 2 des Grundgesetzes, von dem wir in dieser Debatte auch immer wieder gehört haben, ändert nichts, aber auch gar nichts an dem Befund, dass der Bund in enger Kooperation mit Ländern und Kommunen sehr viel in der Bildungspolitik leistet, von dem die Schulen direkt und indirekt profitieren. Frau Dörner, Sie haben bemängelt, es gebe in der frühkindlichen Bildung nichts, was stützend wirkt. Für meine einjährige Tochter habe ich letztens bei der Kinderärztin zum Beispiel das Starterset des Programms „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ bekommen. Die Stiftung Lesen hat hier mit Mitteln des BMBF etwas wirklich Ausgezeichnetes geschaffen. Mit insgesamt drei Sets, die bis zur Einschulung wirken, wird eine gute Leistung angeboten und letztendlich Lust aufs Lesen gemacht. Das kommt in Deutschland jedem Kind – aus allen Bevölkerungsschichten und mit jedem Hintergrund – zugute. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Als weitere Maßnahmen nenne ich die vielen Wettbewerbe, die der Bund fördert. „Jugend forscht“ wird in diesem Jahr beispielsweise 50 Jahre alt, und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung wurde in dieser Debatte auch schon zigmal angesprochen. Das Engagement des Bundes in der Bildungsforschung ist hier letztendlich heruntergeredet worden. Das ist ein falsches Signal. Wir fördern insgesamt 300 Forschungsprojekte mit 165 Millionen Euro. Diese liefern uns sehr deutlich Erkenntnisse darüber, wo wir auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen endlich von der reinen Zahlen- und Quotenfixierung wegkommen (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!) und auch von der Qualität sowie der inhaltlichen Ausgestaltung der Angebote in der Bildungspolitik sprechen. Die Bildungsforscherin Fabienne Becker-Stoll hat in der FAS vom 2. August 2014 darüber gesprochen, dass Kinder aller Schichten und Bevölkerungsgruppen besser zu Hause bei ihren Eltern bleiben sollten, bevor sie eine schlechte Einrichtung besuchen. Das verdeutlicht den Spagat, den wir in der Politik zwischen Qualität, Quantität und politischen Zielen vollziehen müssen. An dieser Stelle bin ich froh – das sage ich auch deutlich –, dass wir das Betreuungsgeld haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh wei, oh wei!) – Nein, nicht „oh wei, oh wei“; das ist doch richtig! Die Fragen nach der Qualität stellen sich auch bei anderen Themen, zum Beispiel beim Thema Inklusion und beim Thema Ganztag. Die gesellschaftliche Antwort, die manchmal gegeben wird – weniger Leistung, keine Hausaufgaben, keine Noten –, ist hier sicherlich auch kein Lösungsweg. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer sagt denn das?) Die Schülerinnen und Schüler müssen abseits der Schule Zeit für sich haben, sie müssen Zeit haben, Gelerntes zu wiederholen, neue Hürden zu meistern und Leistungen zu zeigen. Herr Heil, darin sind wir uns ja auch durchaus einig, wie wir gerade gehört haben. Aber natürlich gilt es, Verbesserungsvorschläge zu diskutieren. Das betrifft beispielsweise unterrichtliche Belastung am Mittag. Das betrifft die Inhalte, wie wir in den letzten Tagen auf Twitter gelernt haben. Aber das betrifft auch die Erfahrungen von Vereinen, dass Kinder und Jugendliche weniger Zeit für außerschulisches -Engagement haben. Wenn Lehrerverbände und Studien davor warnen, dass der psychische Druck für manche Schüler immer größer wird, weil Abitur und Studium als alleinseligmachende Königswege der Bildung angesehen werden, dann muss reagiert werden. Angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Zahl der Studierenden brauchen wir uns nicht zu wundern, dass bei 49 Fachkräftegattungen, bei denen eine duale Ausbildung möglich wäre, dramatische Engpässe in Millionenhöhe bestehen. Wir müssen das Bildungssystem stärker mit der Lebensrealität verbinden. Eine Tatsache ist, dass es Informationsdefizite bei der Berufsorientierung gibt, (Beifall bei der CDU/CSU) bei allen Schulformen und in allen gesellschaftlichen Schichten, wie durch eine Allensbach-Studie herausgefunden wurde. Daher ist es gut, dass in dem Antrag der Großen Koalition allein zu dieser Thematik acht Punkte benannt werden. Von den Grünen gab es im gesamten Antrag insgesamt nur neun Forderungen. Von daher können Sie sich Ihre Kritik in diesem Bereich eindeutig sparen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD] – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser gute Forderungen als viele!) Die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Unternehmen und Behörden muss intensiviert werden. Die Aussage, dass nur ein Viertel der Schüler die Angebote der Bundesagentur für Arbeit im Bereich der Berufsorientierung nutzt und für hilfreich hält, ist erschreckend. Genauso erschreckend ist es, wenn man von Schülern immer wieder hört, dass es bei der Berufsberatung den Tipp gebe, Model zu werden, weil man so gut aussehe. Diese Punkte beweisen, dass da noch nicht der Weisheit letzter Schluss erreicht ist. Von daher ist es kein Wunder, dass sich die Jugendlichen vor allem mit ihren Eltern über Berufsfragen unterhalten, was mal positiv, mal negativ sein kann. Es ist deshalb gemeinsames Ziel der Großen Koalition – das wird auch in dem Antrag festgehalten –: Wir wollen jungen Menschen und ihren Eltern realistische Zukunftsperspektiven aufzeigen, um die Abbrecherquoten zu senken und jedem Jugendlichen, wie es die Allianz für Aus- und Weiterbildung vorsieht, eine Ausbildungsgarantie zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Intensivierung der Berufsorientierung, die unser Ziel ist, bedeutet natürlich eine Herausforderung für die Schulen. Deshalb brauchen sie Entlastungen. Über dieses Thema sollte in der KMK einmal geredet werden; denn die Kollegen an den Schulen ächzen natürlich schon unter einem enormen Bürokratieaufwand in Deutschland: Dokumentationspflichten, das Schreiben von Papieren für die Schublade und auch die Erhebung manch unwichtiger Statistiken rauben Zeit für die Schülerinnen und Schüler. Deshalb muss Bürokratie im deutschen Bildungssystem reduziert werden. Nicht alles muss bis ins letzte Detail geregelt und standardisiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Da muss Schulen einmal die Freiheit gewährt werden, stärker auf aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft einzugehen, ohne durch zentrale Vorhaben und Vorgaben gelähmt zu werden. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Warum wollen Sie dann das Zentralabitur?) Warum sollten Schulen, die beispielsweise Vorreiter bei der Inklusion sind, nicht die Möglichkeit haben, in Eigenverantwortung von Klassenfrequenzrichtlinien abzuweichen? Es ist gerade das Hohe Lied auf Nordrhein-Westfalen gesungen worden. Aber in Dinslaken ist genau diese Abweichung von der Landesregierung verboten worden, als eine Vorreiterschule im Bereich der Inklusion diese dringende Bitte geäußert hatte. Auch in NRW ist also nicht alles Gold, was glänzt. Auch das gehört zur Wahrheit dazu . (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen bereit sein, neue Strategien zuzulassen. Das Handwerk hat die Idee des dualen Abiturs vorgestellt, um Abiturienten in entsprechende Berufe zu locken. Auch mit diesem interessanten Ansatz sollten wir uns beschäftigen. Ebenso werden uns die Themen digitale Bildung und Inklusion in diesem Jahr verfolgen. Nichtsdestoweniger will ich zum Abschluss zitieren. In der Bibel steht: „Gelassenheit bewahrt vor großen Fehlern.“ – Ein großer Fehler wäre es, Herr Präsident, die Redezeit zu überziehen. Allerdings wäre es ein anderer Fehler, es so zu machen, wie es der DGB in der letzten Woche getan hat, nämlich teilweise überdramatisch alles schlechtzureden. Deutschland ist in der Bildung auf einem guten Weg. Die Koalition hat einen starken Antrag vorgelegt, den der Bundestag in aller Gelassenheit annehmen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Darüber entscheiden wir dann später. – Zunächst schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/2990, 18/3546, 18/3412 und 18/3728 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a und 19 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsultationsergebnisse beherzigen – Klageprivilegien zurückweisen Drucksache 18/3747 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Interessengeleitetes Gutachten zu Investorenschutz zurückweisen Drucksache 18/3729 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache 96 Minuten dauern. – Ich stelle dazu Einvernehmen fest und eröffne hiermit die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Katharina Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Deutschen Bundestag schon das eine oder andere Mal über die Schiedsgerichte im TTIP-Abkommen diskutiert: über die Gefahren von unklaren Rechtsbegriffen, die mangelnde Unabhängigkeit von Schiedsrichtern, intransparente Schiedsverfahren, mangelnde Berufungsinstanzen oder ganz grundsätzlich über den Sinn oder Unsinn dieses Konzeptes. Ich bin froh, dass wir auch heute wieder darüber sprechen. Denn nach wie vor sind die Klageprivilegien für Konzerne eine der entscheidenden Fragen, wenn es um das Für und Wider von TTIP geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Seit dieser Woche gibt es allerdings noch eine neue Tatsache, die wir in der Debatte berücksichtigen müssen, und zwar die Entscheidung der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Die Kommission hat nämlich endlich, nach Monaten der Auswertungszeit, die Ergebnisse der EU-weiten Bürgerbefragung zu den Schiedsgerichten veröffentlicht. Das Ergebnis spricht eine eindeutige Sprache: Über 97 Prozent der Befragten sagen Nein zu den Schiedsgerichten im TTIP-Abkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Über 97 Prozent halten die Schiedsgerichte für gefährlich und unnötig. Sie wollen sie grundsätzlich nicht. Das heißt, sie lehnen sie nicht nur im Detail ab, sondern sie wollen sie gar nicht. Das Ergebnis ist auch deshalb so klar und eindeutig, weil fast 150 000 Stellungnahmen zu diesem Thema in Brüssel eingegangen sind. Das ist eine enorme Zahl im Vergleich zu den vielen anderen Befragungen, die die EU ansonsten durchführt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor allem zu den 500 Millionen, die nicht abgestimmt haben!) Ich glaube, angesichts dieser Zahlen ist es jetzt unsere Verantwortung als Politiker, hierauf eine ebenso eindeutige Antwort zu geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grünen haben mit unserem Antrag einen konkreten Vorschlag gemacht. Aus unserer Sicht ist es nun endlich notwendig, dass wir als Deutscher Bundestag sagen, dass wir keine Schiedsgerichte in TTIP und CETA akzeptieren werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diesen Vorschlag wollen wir gerne mit Ihnen diskutieren, und zwar ernsthaft und ehrlich. Aber man führt keine ehrliche Debatte, und man nimmt die Bürgerbefragung nicht ernst, wenn man das Ergebnis nur freundlich entgegennimmt und es dann, bildlich gesprochen, in den Aktenschrank stellt, um es dort verstauben zu lassen. Genau das scheinen Sie als Bundesregierung leider vorzuhaben. Denn so müssen es die Menschen verstehen, dass Herr Gabriel in einer Pressemitteilung diese Woche angekündigt hat: Zur Frage der Schiedsgerichte wird sich die Bundesregierung erst dann abschließend äußern, wenn auch das ganze Verhandlungsverfahren abgeschlossen ist, also in vier oder fünf Jahren oder noch später, je nachdem, wann TTIP ausverhandelt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Weil wir gerade beim Thema Wahrheit und Klarheit sind: Nicht ernst nimmt man die Bürgerinnen und Bürger übrigens auch dann, wenn man, wie Landwirtschaftsminister Schmidt letzte Woche im Spiegel, -erklärt, man könne unter TTIP nicht mehr die Herkunftsangabe zu jeder Wurst oder jedem Käse schützen, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt ja!) nur um dann schleunigst zurückzurudern, wenn man merkt, wie viel Ärger man sich damit einhandelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Bundesregierung, die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, ob das Kölsch künftig noch aus Köln kommt oder, was ich nicht hoffen will, auch in Düsseldorf gebraut werden kann. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das können die Kölner Abgeordneten sagen, wie es sich mit dem Kölsch verhält! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist ein schlechtes Beispiel!) – Sie können Herrn Schmidt sagen, dass das ein schlechtes Beispiel ist. Denn genau so wird er im Spiegel zitiert. Damit stiftet die Bundesregierung bei diesem Thema Verwirrung. Sie wollen auch wissen, ob Konzerne uns unter TTIP vor intransparenten Schiedsgerichten verklagen können oder ob sie sich weiter an normale staatliche Gerichte wenden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der SPD, ich finde, die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass die Bundesregierung endlich, nachdem wir so oft darüber diskutiert haben, klar sagt, was sie an den Schiedsgerichten akzeptiert. Sagen Sie uns doch einfach, welche Regeln Sie gut und welche Sie schlecht finden bzw. wann Sie zu den Schiedsgerichten Ja und ab wann Sie Nein sagen. Wir haben das schon oft diskutiert. Sie sagen immer nur: Wir werden prüfen. Wir werden vielleicht nachverhandeln, vielleicht werden wir aber auch nicht nachverhandeln. Vor allem aber werden wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht sagen, was die Bundesregierung will. – Das geht nicht. So nimmt man die Bürgerinnen und Bürger nicht ernst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wollen TTIP! Wir machen das auch! Das ist ganz wichtig für Deutschland!) Zur Ehrlichkeit in der Debatte gehört im Übrigen auch, dass wir die Chance nutzen und jetzt klären, wer in dieser Bundesregierung die Schiedsgerichte und das Abkommen will und wer nicht; denn auch hier liefern Sie als Bundesregierung eine ziemlich verwirrende Performance ab. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auf der einen Seite gibt es einen Parteitagsbeschluss der SPD, der ziemlich klar ist. Es gibt diverse öffentliche Äußerungen der Minister der Bundesregierung. Außerdem gibt es sogar einen kritischen Parteitagsbeschluss der CSU zu den Schiedsgerichten, wie ich mit Freude zur Kenntnis genommen habe. Auf der anderen Seite ist da Frau Merkel, die eigentliche Erfinderin des TTIP-Projekts und vielleicht die Einzige, die das Ganze wirklich will. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Dann haben Sie aber die letzte Regierungserklärung verpasst! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unsere ganze Fraktion will das, geschlossen!) Doch auch Frau Merkel äußert sich zu TTIP nur dann, wenn sie gar nicht darum herumkommt. Ansonsten geht sie lieber auf Tauchstation und freut sich darüber, dass das Thema TTIP nicht so wirklich mit ihr in Verbindung gebracht wird. Man hat das Gefühl, es wäre Frau Merkel sehr recht, wenn das so unbeliebte Thema TTIP letztendlich nicht mit der CDU/CSU, sondern mit Herrn Gabriel und der SPD in Verbindung gebracht würde. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das würde ich notfalls in Kauf nehmen!) Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ob Sie bzw. Ihr Minister das wirklich wollen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir ducken uns nicht!) Was Sie aber auf jeden Fall wollen sollten – das ist mein dringender Appell an Sie –, ist, dass die Bürgerinnen und Bürger, die sich mit dem Thema TTIP beschäftigen, endlich wissen, woran sie bei Ihnen sind. Hier haben Sie eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder hören Sie auf die 150 000 Bürgerinnen und Bürger, die nun abgestimmt haben, und auf die 1,3 Millionen Menschen, die die Resolution gegen TTIP unterschrieben haben, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder auf die 500 Millionen, die sich dazu nicht äußern!) und geben den Kirchen, den Gewerkschaften sowie den Umwelt- und Sozialverbänden in Europa eine Stimme, oder eben nicht. Es ist Ihr gutes Recht, das frei zu entscheiden. Aber es ist auch Ihre Pflicht, zu sagen, wo Sie stehen; das schulden Sie den Bürgerinnen und Bürgern. Damit müssen Sie heute endlich anfangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Darauf ein Kölsch!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jetzt kommt der Industrie-lobbyist!) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht sollten wir eingangs kurz darüber sprechen, worüber wir eigentlich reden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kölsch oder Alt!) – Das Thema Kölsch wird der Kölner Abgeordnete Herr Professor Hirte nachher mit Frau Dröge persönlich besprechen. Da will ich mich nicht einmischen. Ich fühle mich eher für den Wein zuständig. Aber dieser wurde heute nicht angesprochen. Es geht darum, wer im 21. Jahrhundert im internationalen Handel die Standards setzen wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Setzen wir in Europa zusammen mit den USA und Kanada – das Abkommen CETA ist quasi ausverhandelt; hier sind wir auf der Zielgeraden angekommen – die Standards nicht nur für Europa – das ist wahrscheinlich die letzte Chance, unsere Standards in Technik, im Verbraucherschutz, im Arbeitsschutz und in anderen Bereichen weltweit zu setzen –, oder schaffen wir es nicht? Wenn wir es nicht schaffen, wird es trotzdem eine Regelung geben. Was wird passieren? Dann werden andere das Vakuum, das durch die Nicht-Regulierung entstanden ist, ausfüllen. Die USA verhandeln parallel zu TTIP mit 13 asiatischen Staaten über die Trans-Pacific Partnership. China hat nun angekündigt, ein Freihandelsabkommen mit den USA abzuschließen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Gambke? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Pfeiffer, dass Sie meine Frage zulassen. – Ich glaube, wir sind an einer ganz entscheidenden Stelle. Sie haben davon gesprochen, dass Standards gesetzt werden sollen. Ist Ihnen bewusst, dass die Bruttowertschöpfung, die China bei den produzierten Waren erreicht, bei 25 Prozent liegt, während Amerika nur 19 Prozent erreicht? Ist Ihnen bewusst, dass der pa-zifische Raum dabei ist, Handelsabkommen abzuschließen? Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Erfolgsaussichten, auf atlantischer Ebene – die Amerikaner sind im zudem im pazifischen Raum aktiv, wir nicht – die Trends zu setzen, sowie die Tatsache, dass China ein gerade gefälltes Schiedsgerichtsurteil der WTO umgesetzt hat? Dieses Urteil betreffend den Export Seltener Erden zeigt, dass es durchaus möglich ist, auf WTO-Ebene Schiedsgerichte und Appellationsgerichte, also Berufungsgerichte, einzurichten. Wie bewerten Sie dann die sehr singuläre und übrigens in der Fachwelt sehr umstrittene Art und Weise, mit der jetzt versucht wird, auf atlantischer Ebene Schiedsgerichte zu etablieren? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Das ist eine umfangreiche Frage, die ich auch umfangreich zu beantworten versuchen werde. – In der Tat – da sind wir uns einig – wären multilaterale Lösungen im Rahmen der WTO am besten. Leider sind die WTO-Verhandlungen in den letzten Jahren nicht so schnell vorangekommen – das gilt insbesondere für die Doha-Runde –, wie wir uns das alle gemeinsam in Europa erhofft haben. Weil die Verhandlungen nicht so schnell vorankommen, wurde begonnen, bilaterale Abkommen zu verhandeln und auch abzuschließen. Im Übrigen hat nicht Europa mit diesen bilateralen Verhandlungen begonnen, sondern Europa hat sehr lange versucht, den multilateralen Ansatz weiterzuverfolgen und alle Staaten einzubinden. Erst als andere mit diesen bilateralen Verhandlungen begonnen haben, konnten wir in der EU nicht außen vor bleiben und mussten unsere Interessen entsprechend vertreten. Selbstverständlich ist es aber immer noch das europäische Ziel und das Ziel dieser Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion, die WTO an erster Stelle zu stärken. Es gab, wie Sie wissen, im letzten Jahr in Bali einen Fortschritt, dem jetzt auch die Inder zugestimmt haben. Es geht also im Schneckentempo weiter. Ich sehe auch die Abkommen zwischen Europa und Kanada und Europa und den USA nicht im Gegensatz zur WTO; vielmehr können diese Abkommen Standards setzen, die wir im Rahmen der WTO aufgreifen. Genau das ist doch das Thema, das Sie beschrieben haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist die Herausforderung: Wer wird zukünftig multilateral diese Standards setzen? Werden es europäisch-amerikanische Standards sein, oder werden es asiatische Standards sein? Die Interessen, um die es hier geht, sind ganz unterschiedlich. Wenn Sie jetzt die Frage nach den Gewichten stellen, dann muss ich sagen: Es ist in der Tat so, dass die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika mit TTIP einen Markt von über 800 Millionen Menschen schaffen würden, in dem weit über 50 Prozent der Weltexporte stattfinden. Die aufstrebenden Länder in Asien werden natürlich an Exportstärke gewinnen, insbesondere China und die ASEAN-Staaten, die wir alle gut kennen, weil wir uns mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir gerade jetzt auf transatlantischer Ebene versuchen, unsere Standards als Weltstandards zu implementieren. Zu den Schiedsgerichtsverfahren will ich an dieser Stelle auch gleich etwas einflechten. Diese sind ein Instrument, die es im Rahmen der WTO und im Rahmen von Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit anderen Staaten gibt, und Investitionsschutzabkommen und Schiedsgerichte gibt es selbstverständlich auch auf nationaler Ebene. Wie Sie wissen, hat Deutschland vor 50 Jahren diese Schiedsgerichte und diese Investitionsschutzabkommen quasi erfunden. Wir haben 130 Abkommen abgeschlossen. Im Übrigen wurden über 20 dieser Abkommen unter Rot-Grün zwischen 1998 und 2005 abgeschlossen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aha!) Deshalb kann ich auch gar nicht erkennen, weshalb Investitionsschutzabkommen per se schlecht sein sollen. Sie haben solche Abkommen während Ihrer Regierungszeit abgeschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war mir bis jetzt nicht aufgefallen! – Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz) – Herr Kollege, ich bin eigentlich noch immer bei der Beantwortung Ihrer Frage. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Er scheint mit der Antwort zufrieden zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir auch!) Ich möchte aber den Gedanken fortsetzen. Die 23 Abkommen, die in rot-grüner Regierungszeit abgeschlossen wurden, und die weiteren fünf, die in rot-grüner Zeit ra-tifiziert wurden, betreffen bei weitem nicht nur Ent-wicklungsländer oder Schwellenländer. In Ihrer Regierungszeit ist zum Beispiel das Abkommen mit Polen abgeschlossen und das Abkommen mit Kroatien ratifiziert worden, und es sind Abkommen mit Mexiko und anderen Staaten abgeschlossen worden. Insofern wird auch an dieser Stelle deutlich – eigentlich wollte ich das erst später ausführen –, dass das, was immer gesagt wird, nämlich dass Schiedsgerichtsverfahren nichts für entwickelte Staaten seien, sondern nur im Umgang mit Entwicklungsländern oder Schwellenländern sinnvoll seien, nicht richtig ist. Das ist mitnichten der Fall. Ich will Ihnen dazu gerne ein paar Zahlen nennen: Deutschland hat, wie bereits erwähnt, 130 Abkommen geschlossen. Im Übrigen gab es nach meinen Informationen überhaupt erst drei Klagen gegen Deutschland, von denen bisher keine erfolgreich war. Das heißt, bisher gab es hier – es wird ja immer unterstellt: es kommen irgendwelche finsteren Konzerne und Mächte von irgendwoher und klagen in Deutschland gegen Standards – keine erfolgreiche Klage. Im Gegenteil, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wenn Sie sich die aktuelle Situation anschauen, dann erkennen Sie, dass die Mehrzahl der weltweit anhängigen Schiedsgerichtsverfahren von EU-Staaten gegen andere Staaten geführt wird; 53 Prozent aller Schiedsgerichtsverfahren werden von EU-Staaten angestrengt, während nur 22 Prozent aus den USA kommen. Wenn wir die jüngste Entwicklung, die des Jahres 2014, betrachten, dann zeigt sich, dass Schiedsgerichtsverfahren sogar von Staaten der Europäischen Union gegen andere Staaten der Europäischen Union angestrengt werden – Verfahren, die es nach Ihrer Einschätzung ja gar nicht geben dürfte. Welche sind es? Im letzten Jahr gab es Schiedsgerichtsklagen gegen Spanien und gegen Tschechien. Hinzu kamen – das müssten Sie eigentlich wissen; aber vielleicht verschweigen Sie es – Schiedsgerichtsklagen aus der Ökostrombranche, aus dem Bereich erneuerbare Energien. Neun Investoren aus den Niederlanden, aus Großbritannien, aus Luxemburg, aber auch aus Deutschland, zum Beispiel die Stadtwerke München oder die STEAG, klagen in Washington vor einem internationalen Schiedsgericht gegen Spanien, das die Regeln für Ökostromförderung in Spanien rückwirkend geändert und damit bereits getätigte Investitionen beeinträchtigt hat. Genau darum geht es. Solche Rechtsstreitigkeiten gibt es nicht nur zwischen Entwicklungsländern und Schwellenländern einerseits und den entwickelten Staaten andererseits; auch in entwickelten Staaten gibt es ab und zu den Fall, dass Rechtsgrundlagen für getätigte Investitionen verändert werden. Genau dann kommen solche Klagen vor. Da helfen uns auch der europäische Binnenmarkt und das bestehende Rechtssystem bisher nicht im notwendigen Umfang weiter. Insofern kann ich nur davor warnen, Schiedsgerichtsverfahren von vornherein zu verdammen. Es geht vielmehr darum, jetzt mit dem Abkommen mit den USA einen Standard zu setzen, der nachher weltweit Vorbild für andere Freihandelsabkommen werden kann und werden wird und dann hoffentlich multilateral in der WTO umgesetzt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist das Ziel, das wir als Union und die Bundesregierung in Europa verfolgen. Frau Dröge, Sie haben eben das Konsultationsverfahren, das die EU auf diesem Gebiet durchgeführt hat, angesprochen. Sie haben ein paar Zahlen genannt. Diese Zahlen sind richtig; (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie immer! Wir sind genau!) aber sie sind doch etwas lückenhaft. Sie haben von einer Volksbefragung gesprochen. Ein Konsultationsverfahren der EU ist keine Volksbefragung, auch keine Bürgerbefragung, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder Bürger in Europa kann teilnehmen!) sondern quasi eine Fachumfrage bei denen, die von solchen Themen betroffen sind. Diese Personen sind aufgefordert, sich zu äußern. Jetzt nehmen wir einmal an, alle 500 Millionen Bürger wären betroffen; das gab es bisher übrigens noch nie. Zumindest wir gehen so vor – ich weiß nicht, wie Sie es machen –: Wenn im Deutschen Bundestag eine Anhörung stattfindet, dann setzen wir uns mit den Sachargumenten auseinander und entscheiden nicht anhand der Zahl der Eingaben darüber, wer Recht hat und wer nicht Recht hat; wir setzen uns vielmehr inhaltlich mit den Argumenten auseinander. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben im Gegensatz zu Ihnen 1 Million Sachargumente geliefert!) Für uns geht ganz klar Qualität vor Quantität. Was ist bei den Stellungnahmen passiert? (Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen – Zwischenrufe verstehe ich schlecht –, stehe ich zu deren Beantwortung gerne zur Verfügung. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Sie gar nichts fragen!) – Okay. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Pfeiffer, möglicherweise hat Ihre eben etwas länger dauernde Antwort auf eine Zwischenfrage abschreckend gewirkt. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Wenn man sich nicht mit den Fakten auseinandersetzen will, dann ist das natürlich immer schade. Die Fakten sind – lassen Sie mich jetzt zur Konsultation kommen –: Von 500 Millionen Bürgern in Europa – Sie sagen ja: es war eine Bürgerumfrage – (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) haben 150 000 sozusagen teilgenommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und dann noch kopiert von Campact!) Davon haben 145 000 Vordruckexemplare, Postkarten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) oder Standard-E-Mails der einschlägigen Organisationen der Empörungsindustrie an die EU geschickt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Florian Post [SPD]) 145 000 der 150 000 waren Standardformulare, waren genau gleich. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Deshalb sage ich: Es kann sicher nicht danach gehen: Wer schickt am schnellsten die meisten E-Mails, und wer schickt am schnellsten die meisten Postkarten? Das ist nicht Aufgabe eines Konsultationsverfahrens, sondern Aufgabe ist die inhaltliche Auseinandersetzung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es haben 3 000 Personen und 450 Organisationen entsprechende Eingaben gemacht. Die werden jetzt selbstverständlich fachlich vertieft und fundiert geprüft, und es wird geschaut, inwieweit diese berücksichtigt werden können, berücksichtigt werden müssen. Das ist der ganz normale Vorgang, der da abläuft. Wenn Sie davon sprechen, 97 Prozent seien dagegen, sage ich: Es waren in der Tat 97 Prozent, nämlich die Empörungsindustrie, die dazu aufgerufen hat, E-Mails und Postkarten zu schicken. Das ist aus unserer Sicht wirklich keine ernsthafte Auseinandersetzung. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieses Argument ist echt gefährlich, finde ich! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Art von Demokratieverständnis, Herr Pfeiffer! So gehen Sie mit Bürgern um!) Man wird sich selbstverständlich auch mit diesem Vordruck beschäftigen. Aber es hätte gereicht, den einmal zu schicken; den hätte man nicht gleich 145 000-mal schicken müssen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ärgert Sie vielleicht!) Aber das hat man gemacht. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind einzelne Menschen gewesen!) Das wird jetzt ausgewertet. Wie gesagt, ich bin mal gespannt, ob wir es bei der nächsten Anhörung im Ausschuss auch von der Zahl der Eingaben zur Anhörung abhängig machen, wie wir uns inhaltlich positionieren. Ich glaube, das kann nicht unser Ziel sein. Es geht darum – ich will das noch einmal deutlich machen –, jetzt die Chance zu nutzen, zu definieren, wie die zukünftigen Standards sind. Im Übrigen geht es auch darum, den Wildwuchs, den wir bisher haben, zu bereinigen. Ich hatte Ihnen vorher schon gesagt: Wir haben in Deutschland 130 Investi-tionsschutzabkommen; in der gesamten EU sind es 1 400, und zwar liegen ihnen unterschiedliche Standards zugrunde. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weltweit 3 500!) Einige haben einzelne Länder mit einzelnen anderen Ländern abgeschlossen. Dann hat die EU Abkommen mit anderen Ländern oder mit anderen Regionen abgeschlossen. Das heißt, wir haben jetzt die Chance, von den 1 400 Abkommen mit sehr unterschiedlichen Standards im technischen Bereich, aber auch bei der Rechtsetzung wegzukommen und einheitliche europäische Standards zu schaffen. Das müssten Sie eigentlich begrüßen, weil das Rechtsklarheit, Rechtssicherheit schafft für die Bürger und für die Unternehmen. Wir arbeiten daran, diese Standards jetzt zu entwickeln. Deshalb kann ich überhaupt nicht erkennen, warum wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen sollen: Es soll keine Investitionsschutzabkommen geben. Ich wage einmal die Prognose: Wenn wir uns am Ende des Tages damit auseinandersetzen – ich habe Ihnen vorher die Zahlen genannt und gesagt, wer weltweit Schiedsgerichtsverfahren betreibt –, werden wir feststellen, dass im Zweifel wir in Europa ein größeres Interesse an solchen Schiedsverfahren und -instanzen haben als die USA. Wir haben eine vor allem mittelständisch geprägte Industrie, gerade in Deutschland, die auch exportiert. Ich denke an den Fall, dass ein Mittelständler irgendwo in einem amerikanischen Bundesstaat, in einem County im Süden der USA einer Laienjury – die Mitglieder sind in dem County direkt gewählt – gegenübersteht und es um spezielle Medizintechnikprodukte geht. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir gut beraten sind, wenn wir für solche Fälle keine Expertengremien haben. Diese Gremien ersetzen nicht das bestehende Rechtssystem, sondern sie sind quasi ein Auffangnetz, ein Notfallnetz für den Fall, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Parallelnetz sind die, kein Notfallnetz!) – Nein, es ist weder eine Parallelgesetzgebung noch eine Parallelwelt. Das stimmt doch alles nicht. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie mal die Fakten zur Kenntnis! Das stimmt nicht! – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) – Ich stehe gern für Zwischenfragen zur Verfügung, Herr Ernst. Dann kann ich Ihnen gern ausführlich erläutern, wie da der Sachverhalt ist. (Klaus Barthel [SPD]: Ein Schiedsgericht kommt jetzt!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Lieber Kollege Dr. Pfeiffer, da die vereinbarten Redezeiten keine ungefähren Richtwerte sind, sondern präzise Vorgaben, würde ich Sie bitten, jetzt zum Ende zu kommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat ja auf noch eine Zwischenfrage gehofft!) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ich bin ja eigentlich immer noch bei der Beantwortung der Zwischenfrage. Ich will es aber in der Tat auch nicht überstrapazieren. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gott sei Dank!) Ich rate, dass wir uns mit dem Thema ohne Hysterie auseinandersetzen. Lassen Sie uns die Fakten betrachten! Lassen Sie uns das beste Freihandelsabkommen und das beste Investitionsschutzabkommen, das es bisher auf der Welt gibt, mit den USA zusammen entwickeln und damit weltweit Standards setzen. Daran arbeiten zumindest wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Überheblich sind Sie, Herr Pfeiffer!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Klaus Ernst. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Pfeiffer, machen wir es gleich am Anfang: Sie haben davon gesprochen, die Europäer müssten ein Interesse an solchen Schiedsverfahren haben, weil es auch entsprechende europäische Verfahren gibt. Es gibt eines, da werden wir, die Bundesrepublik Deutschland, von Vattenfall wegen des Atomausstiegs verklagt. Können Sie mir bitte sagen, welches Interesse der deutsche Bürger an so einem Verfahren haben soll? Welches Interesse? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja!) – Sie können mir gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie wollen. – Es geht aber nicht einmal darum, sondern es geht darum, dass nicht der Bürger klagen darf, weil das in den Schiedsverfahren gar nicht vorgesehen ist. Bei diesen Verfahren hat der Bürger kein Klagerecht, übrigens hat auch die Bundesrepublik Deutschland kein Klagerecht, auch kein Verband hat ein Klagerecht, sondern ausschließlich die Unternehmen haben ein Klagerecht gegen die Staaten. Warum ein Staat daran Interesse haben sollte, entzieht sich wirklich meiner Logik, Herr Pfeiffer. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das Unternehmen hat die Investition gemacht!) Jetzt kommen wir gleich zum nächsten Punkt. Sie sagen: Sie mit Ihrer Angstmacherei! Die ist ja unerträglich! – Wir werden abgehängt, weil die Chinesen Abkommen schließen. – Ja, glauben Sie wirklich, dass der deutsche Export von den Regelungen zwischen China und den Amerikanern abhängt? (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Wenn das so wäre, dann dürften ja die Amerikaner ohne entsprechende Abkommen gar nicht erst bei uns investiert haben und wir ohne entsprechende Abkommen nicht in den USA. Aber das läuft. Ich sage Ihnen, was den Fortschritt ausmacht – das sind nicht die Abkommen –: Innovationen, vernünftig ausgebildete Leute, neue Technologien. Das macht aus, ob wir Handel treiben können, und nicht das Aufgeben von Prinzipien des deutschen Rechtsstaats in Form von solchen Handelsabkommen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias Ilgen [SPD] – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schiedsgerichtsbarkeit ist ein Teil der Rechtspflege auch in Deutschland!) Das musste einfach einmal gesagt werden, weil es mir langsam wirklich auf den Senkel geht, wie hier argumentiert wird. Meine Damen und Herren, wo ist das Neue bei diesen Schiedsverfahren? Sie sagen immer, wir hätten ja inzwischen Abkommen mit Kroatien und mit was weiß ich für Ländern. Ich sage Ihnen: Das Neue ist, dass wir zwischen Wirtschaftsblöcken mit Rechtssystemen, die funktionieren, Abkommen schließen wollen. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, warum wir unter solchen Voraussetzungen eine Paralleljustiz brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Aber genau darum geht es: um den Aufbau einer Paralleljustiz, bei der der Bürger selbst ausschließlich der Benachteiligte ist, weil er als Steuerzahler zahlt, aber selber gar nicht klagen darf. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, Sie haben vor, den Anwendungsbereich dieser Schiedsgerichte massiv gegenüber dem zu erweitern, was vorher war. Massiv! Ich sage Ihnen: Da gibt es berechtigte Kritik. Eine Kritik stammt von der Neuen Richtervereinigung. Das interessiert Sie vielleicht nicht, weil – diesen Eindruck habe ich – Sie eher Interessenvertretung für die Großindustrie und die Exportindustrie machen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber hören Sie sich einmal an, was die Richter dazu sagen. Sie sagen, dass sie gegen solche Schiedsgerichte sind, weil hierdurch demokratisch legitimierte Schutzgesetze ohne Einhaltung grundlegender Verfahrens-prinzipien und ohne wirksame Kontrolle in Frage gestellt werden. Unabhängigkeit, Öffentlichkeit, rechtliches Gehör und Überprüfbarkeit von Entscheidungen sind elementare Errungenschaften unseres Rechtsstaats. Diese dürfen nicht durch Schiedsgerichtsklauseln ausgehöhlt werden. Recht haben die Richter! Recht haben sie, die Richter, Herr Pfeiffer! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) Der DGB und seine Einzelgewerkschaften sind strikt dagegen. Selbst Heiko Maas, der Justizminister, hat sich in der Süddeutschen Zeitung positioniert – ich möchte das zitieren –: Ich bin eindeutig gegen diese Schiedsgerichte. Wir brauchen so etwas zwischen OECD-Staaten nicht. Recht hat er. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Hendricks, die Bundesumweltministerin, hat sich positioniert. Sie sagt – Zitat –: Ein solches Schlupfloch würde die Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung, 100 Jahren Frauenbewegung und 50 Jahren Umweltbewegung mit einem Federstrich zerstören. Auch sie hat recht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Ihre Ministerin hat an dieser Stelle vollkommen recht. Jetzt haben wir das Problem, dass die SPD-Basis dem Braten nicht so richtig traut. Deshalb der Beschluss auf dem SPD-Konvent, wo gesagt wird: Es sind Schiedsverfahren abzulehnen und Begriffe wie „faire und gerechte Behandlung“ oder „indirekte Enteignung“. – Jetzt sind Schiedsverfahren und diese Begriffe aber enthalten, wie man bei CETA lesen kann. Das ist Bestandteil von CETA. Deshalb müsste eigentlich logischerweise – – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ernst, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Heider? Klaus Ernst (DIE LINKE): Ja, von wem auch immer. – Bitte schön. (Heiterkeit) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade die deutsche Richterschaft zitiert. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass in der deutschen Zivilprozessordnung seit 1897 Verfahren über die Schiedsgerichtsbarkeit, über die vorläufige Vollstreckbarkeit von Schiedsgerichtssprüchen enthalten sind und dass noch nie ein Richter daran Zweifel gehabt hat, dass es seine Berechtigung hat? Klaus Ernst (DIE LINKE): Tja. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist genau das Problem. Sie machen Politik nach dem Motto: Das war schon immer so. Dann machen wir so weiter. (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es ein wesentlicher Unterschied ist, ob es um Schiedsverfahren geht, an denen Gleiche mit gleichen Rechten beteiligt sind – was in vielen Schiedsverfahren üblicherweise der Fall ist, übrigens auch bei anderen in der Justiz üblichen Verfahren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was? Natürlich hat jeder die gleichen Rechte!) Es geht hier um Sonderrechte für eine kleine Gruppe. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) – Natürlich, wenn es nicht um Sonderrechte für eine kleine Gruppe gehen würde, dann sagen Sie mir, warum nur Unternehmen in diesen Verfahren Klagerecht haben. (Abg. Dr. Matthias Heider [CDU/CSU] nimmt Platz) – Ich bin noch nicht fertig, Herr Heider. Ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. Sie dürfen sich aber gerne setzen. Stehen ist ja auch fade. – Ich sage Ihnen nur: Genau das ist das Problem. Es sind vollkommen andere Verfahren als die, die Sie ansprechen. Es geht ausschließlich um ein Recht für die großen Unternehmen. – So, jetzt bin ich mit der Beantwortung Ihrer Frage fertig. Meine Damen und Herren, ich habe gerade angesprochen, dass große Teile der Bundesregierung selbst Bedenken gegen diese Abkommen haben. Das ist gut und richtig. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich kenne mich nicht mehr mit dem aus, was Herr Gabriel eigentlich will. Einmal sagt er so, dann sagt er wieder das Gegenteil. Ich frage mich: Wo ist die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage, Frau Zypries? (Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Das sage ich Ihnen!) Ich habe den Eindruck, die Aussagen unseres Bundeswirtschaftsministers in der Frage der Handelsabkommen haben die Halbwertszeit von Einwegunterwäsche. (Beifall bei der LINKEN) So schnell kann man gar nicht gucken, dann ist die Position geändert. Die SPD-Basis muss sich doch veräppelt vorkommen bei dem, was sie beschließt, was aber in der praktischen Frage keine Bedeutung hat. Meine Damen und Herren, 97 Prozent derjenigen, die sich an der Debatte beteiligt haben, die von der Europäischen Union angeregt wurde, lehnen die Verfahren ab. Jetzt spielen Sie das herunter, Herr Pfeiffer, und sagen: Es waren nur 150 000, die sich beteiligt haben, und es war auch keine Volksbefragung. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das war keine Volksbefragung!) Kennen Sie den Unterschied? Ich kann es Ihnen sagen. Schon der frühere Handelskommissar hat gesagt: Ich verhandele für 500 Millionen Europäer. Und es gibt nur 400 000 Unterschriften dagegen. – Was soll denn das? Sie nehmen den Bürger nicht ernst. Die 500 Millionen in Europa hat niemand gefragt, ob sie solche Abkommen wollen. Das will ich Ihnen nur sagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben demokratisch gewählte Abgeordnete!) Nun heißt es von der Bundesregierung mit Blick auf TTIP: Die endgültige Entscheidung über die Einbeziehung von Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren in TTIP wird erst nach Abschluss der Verhandlungen und Prüfung des Verhandlungsergebnisses getroffen werden. Dann läuft es im Ergebnis genauso wie bei CETA. Dort ist es enthalten; dort steht es drin. Trotzdem hat die Bundesregierung keine vernünftige Haltung. Meine Damen und Herren, Sie veräppeln nicht nur Ihre Mitglieder, sie veräppeln die ganze Republik, wenn Sie so herumeiern. (Zuruf von der CDU/CSU: Was stimmt denn dann?) – Wollen Sie noch eine Frage stellen? Bitte. Selbst der Beirat der Bundesregierung, Ihr Beirat, den Sie vom Wirtschaftsministerium ins Leben gerufen haben, hat sich zu dem, was dort läuft, sehr deutlich kritisch geäußert. (Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Dafür ist er ja auch da, meine Güte!) – Nein, nein, dafür ist er nicht da. Er stellt nämlich das Verfahren infrage, dass Sie sich nämlich festgelegt haben, ohne den Beirat ernst zu nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Brief steht – ich zitiere es –: Eine solch apodiktische Haltung löst bei uns die Frage aus, welche Funktion ein TTIP-Beirat hat, wenn die Bundesregierung entweder sich den Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten anschließt oder aber in ihrer Haltung bereits festgelegt ist. Das ist der Eindruck des Rates, der offensichtlich kritisiert, was dort eigentlich läuft. Im Übrigen wird immer wieder argumentiert: Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, das dagegen ist. Wie ist es denn wirklich? In den Niederlanden, in Österreich, in Frankreich und in anderen Ländern gibt es massive substanzielle Vorbehalte gegen diese Abkommen. Die Regierungen von Australien, Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Indien, Südafrika und Venezuela zeigen, wie man es machen kann. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Denken Sie an eine EU-Erweiterung?) Sie haben entweder Investitionsschutzverträge aufgekündigt, gar nicht erst unterschrieben oder bekannt gegeben, keine weiteren Abkommen zu unterzeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nordkorea kam noch nicht!) Meine Damen und Herren, der Bundesminister verläuft sich momentan in eine fragwürdige Argumentation. Wenn auch noch ein Gutachter beauftragt wird, der auf der Schlichterliste bei internationalen Schiedsverfahren ist, dann fragt man sich doch: Ist der denn unabhängig? – Sie fragen doch auch keinen Metzger wegen eines Gutachtens, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zur Qualität von Fleisch? Natürlich!) ob Vegetarismus vielleicht besser ist als Fleischkonsum. Aber Sie nehmen hier einen Gutachter, der selber an Schiedsverfahren beteiligt ist! Der ist wirklich sehr unabhängig. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Expertenanhörungen sind für Sie natürlich katastrophal!) Meine Damen und Herren, selbst Ihre eigenen Sachverständigen haben bezogen auf die Schiedsgerichte massive Bedenken gehabt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt gar nicht!) Angeblich geht es bei den Abkommen um mehr Investitionen. Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, dass dem so ist. Aber es gibt eine Frage, die wir als Abgeordnete ernst nehmen sollten. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ernst, nachdem leider trotz mehrfacher Aufforderung keine Zwischenfragen mehr eingelaufen sind, muss ich Sie an das Ende der Redezeit erinnern. Klaus Ernst (DIE LINKE): Danke für den Hinweis; ich bin gleich fertig. – Der Volksmund sagt: Vor dem Gesetz sind alle gleich, aber einige sind gleicher. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Schmarrn!) Dass man diesen Gleichen aber auch noch ein eigenes Rechtssystem gibt, ist unerträglich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Klaus Barthel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir gerade beim Veräppeln sind, Herr Kollege Ernst, müssen wir doch erst einmal schauen, was für einen Antrag die Linke in diese Debatte eingebracht hat. Dazu haben Sie nur ganz zum Schluss etwas gesagt. Ich will auf diesen Antrag eingehen, aber vorher noch sagen: Soweit Sie hier Argumente vorgebracht haben, haben Sie Richter, den Beirat und Sozialdemokraten zitiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Insoweit kann man Ihnen nur recht geben: Das waren Argumente, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Was Sie hier beantragen, ist aber etwas ganz anderes. Sie sprechen in Ihrem Antrag von einem Gefälligkeitsgutachten, von nicht gegebener Neutralität und fordern dann, kein Geld „für tendenziöse Gutachten zu verschwenden“. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) Dann frage ich Sie einmal: Wo auf dieser Welt gibt es absolute Neutralität? Warum sollte man einer Bundes-regierung, einer Bundestagsfraktion oder wem auch immer das Recht nehmen, Gutachten in Auftrag zu geben, bei denen man damit rechnet, dass die eigene Position unterstützt wird, wenn man doch weiß, dass es – gerade bei dieser Frage – keine absolute Wahrheit, keine absolute Neutralität und Interessenfreiheit gibt? Herr Kollege Ernst, warum geben Sie von der Fraktion Die Linke bei Herrn Professor Däubler ein Gutachten zum Tarifeinheitsgesetz in Auftrag, übrigens auch mit Steuergeldern finanziert, das Ihre Position bei der Tarifeinheit stützt? Das ist doch in Ordnung. Entscheidend ist nur, dass man sich mit diesen Gutachten auseinandersetzen muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn einem nichts Besseres einfällt, als andere wegen ihres Interessenhintergrunds anzupissen, dann zeigt das nur, dass man selber keine Argumente hat und deshalb versuchen muss, mit Lobbyismus zu kommen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? Klaus Barthel (SPD): Gleich. Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen. – Es geht hier um Transparenz, darum, sichtbar zu machen: Welche Argumente werden von wem vorgebracht? Dann ist es völlig legitim, diese Leute zu Anhörungen einzuladen und sich von ihnen Gutachten erstellen zu lassen. Sie haben ja in der Anhörung Gelegenheit gehabt, Herrn Schill zu befragen, und er hat Ihre Fragen ganz offen beantwortet. Dann gibt es aber kein Problem mehr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ansonsten müssten wir alle uns nämlich fragen, was wir hier eigentlich machen. Sie, Kollege Ernst, und ich, wir kommen aus den Gewerkschaften. Wir machen auch kein Geheimnis daraus: Natürlich haben wir einen Interessenhintergrund. Dementsprechend argumentieren wir und holen wir Gutachten ein. Das ist völlig legitim. Sich aber nicht mit den Inhalten auseinanderzusetzen, spricht für geistige Armut, und das haben Sie heute hier mit Ihrem Antrag geliefert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Barthel, ich habe Sie so verstanden, dass der Kollege Ernst jetzt eine Zwischenfrage stellen darf. Deshalb erteile ich ihm dazu das Wort. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herzlichen Dank. – Die Behauptung, dass wir uns hier nicht mit Inhalten auseinandersetzen, muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen. Wir haben uns mit diesem Thema schon auseinandergesetzt, als der Großteil der SPD mit diesem Thema noch gar nicht vertraut war, als Sie noch gar nicht wussten, was da überhaupt laufen soll. Die Art und Weise, wie die Diskussion geführt wird, ärgert mich. Um was geht es eigentlich? Es geht um die Frage: Welche Art von Gutachten lassen Sie erstellen? Ich habe nichts dagegen, dass man mit Interesse ein Gutachten erwartet; das macht jeder. Aber das Wirtschaftsministerium ist nicht einmal in der Lage, einen neutralen Gutachter zu benennen. Wissen Sie denn, was Herr Schill gemacht hat, wo er gearbeitet hat? Wissen Sie, dass er indirekt über seinen früheren Chef selber an Verfahren beteiligt war? Können Sie sich vorstellen, dass jemand, der auf einer Schlichterliste eines internationalen Schiedsgerichts steht, keinesfalls der Auffassung sein wird, dass ein Schiedsgericht überflüssig ist? Er lebt doch davon. Er verdient sein Geld damit, und wie Sie wissen, verdienen Schiedsrichter ausgezeichnet. Angesichts dieser Tatsache, Herr Barthel, können Sie doch nicht behaupten, das sei seriös. Natürlich versucht man, auf der wissenschaftlichen Ebene Experten zu finden, die alle Aspekte berücksichtigen. Aber wenn jemand selber an diesem Verfahren beteiligt ist, dann ist er doch nicht neutral. Das ist die Kritik, die wir in unserem Antrag formuliert haben. Herr Barthel, wir sagen klipp und klar: Neutral ist Ihr Gutachten nicht. Nehmen Sie andere, wirklich neutrale Gutachter! Dann werden Sie zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der -LINKEN: Lobbyismus pur!) Klaus Barthel (SPD): Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo es absolute Neutralität gibt. Da bin ich gespannt. Sie sagen, das sei unseriös. Setzen Sie sich doch einmal mit den Argumenten von Professor Schill auseinander! Sein Interessenhintergrund ist bekannt. Aber das ist doch kein Grund, uns nicht mit den Argumenten von jemandem auseinanderzusetzen, der Erfahrung mit solchen Verfahren hat. Man muss mit Fakten argumentieren, und genau hier liegt das Problem. In Ihrer Rede haben Sie sich zu 99 Prozent nicht mit Ihrem Antrag beschäftigt. Aber darüber müssen wir eine Debatte führen. Ich bin gespannt, wann die Linken einen Antrag vorlegen, so wie es die Grünen gemacht haben, in dem sie sich ernsthaft mit der Sache auseinandersetzen und die Frage klären, wie die Linken in Zukunft Welthandel und Weltwirtschaft gestalten wollen. Aber Sie wollen sich auf Debatten über Handelsverträge nicht einlassen. Stattdessen bringen Sie konfuse Kritik vor. (Beifall bei der SPD) Herr Ernst, ich muss schon sagen: Sie betreiben platte Stimmungsmache, und das können wir überhaupt nicht brauchen. Schauen wir uns doch die Kampagnen der letzten Wochen an. Erst wird gezetert, der Konventsbeschluss der SPD sei Verrat, weil er Tür und Tor öffne und keine Ablehnung von TTIP und CETA beinhalte. Ein paar Tage später ziehen Sie den Konventsbeschluss der SPD aus der Tasche als Bestätigung für Ihre Position; denn darin steht: Wir wollen keine Schiedsgerichte. – Wieder ein paar Tage später wird Sigmar Gabriel kritisiert, weil er den Konventsbeschluss angeblich aufgegeben habe. Das wird daran festgemacht, dass er hier darauf hingewiesen hat, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene eine breitere Diskussion brauchen, wenn wir in Bezug auf TTIP, CETA und Investorenschutz noch etwas verändern wollen. (Beifall bei der SPD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Gabriel nicht gesagt! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit ist er doch nicht alleine!) Genau deswegen ist Sigmar Gabriel zurzeit in Europa unterwegs: Er will anderen Ländern unsere Position deutlich machen. Er macht deutlich, was wir wollen, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sagt doch, was Ihr wollt!) nämlich Bewegung in die Verhandlungen über TTIP und CETA bringen. Das ist schon ein Stück weit gelungen. Dann gibt es Kampagnen – hier komme ich auf die Grünen zu sprechen –, mit denen die Bürgerinnen und Bürger durch Informationen, die einfach nicht stimmen, auf die Palme gebracht werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was will die SPD?) Es wurde zum Beispiel behauptet, dass die SPD-Fraktion am letzten Dienstag vor Weihnachten gezwungen werde, irgendeine Entscheidung über TTIP oder CETA zu treffen. Die Folge war, dass Hunderte von Bürgerinnen und Bürgern bei uns Abgeordneten der SPD anrufen und uns bewegen wollen, das nicht zu tun. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben wir doch nichts zu tun!) Es ist richtig: Am Ende kommt es auf die Sozialdemokratie an. Es ist schon klar, dass sich die Blicke auf uns richten. Aber die Bürgerinnen und Bürger durch unwahre Behauptungen auf die Palme zu bringen, das ist nicht in Ordnung. Ich frage Sie alle: Wem nützt das eigentlich? Wem hilft das? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hilft das den Grünen? Hilft das Campact? Hilft das der Linken? – Nein, es bewirkt nichts anderes, als die Politikverdrossenheit zu erhöhen, Misstrauen zu säen und die Politikferne zu unterstützen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal über die Sache!) Deswegen haben auch Sie von den Grünen heute in der weiteren Debatte die Gelegenheit, sich von solchen Kampagnen zu distanzieren, anstatt sie draußen in der Öffentlichkeit zu unterstützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gar nichts damit zu tun! Was haben wir denn mit dieser Kampagne zu tun?) Ich bin gespannt, wie die Grünen die heutige Debatte kommentieren werden, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal irgendwas sagen, damit wir es kommentieren können!) weil ich gehört habe, dass Sie ursprünglich gefordert haben, dass wir heute über Ihren Antrag abstimmen. Wir haben das ja schon einige Male erlebt: Wenn wir einen Antrag zum Investorenschutz ablehnen, wird im Umkehrschluss behauptet, wir seien für den Investorenschutz und für Schiedsgerichte. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür sind Sie denn?) Wir sind dafür, dass wir Ihren durchaus seriösen Antrag überweisen, in den Ausschüssen behandeln und weiter diskutieren, weil wir ihn nicht einfach ablehnen, sondern in der Sache darüber diskutieren wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, wofür Sie sind!) Zur Sache komme ich jetzt; es besteht ja leider immer das Problem, dass man sich zuerst mit anderen Dingen auseinandersetzen muss. Es ist doch klar, dass das Bundeswirtschaftsministerium, die SPD und im Übrigen schon die alte Bundesregierung der Auffassung waren, dass wir keine Schiedsgerichtsverfahren und keinen Investorenschutz brauchen. Das ist zu TTIP zu Protokoll gegeben worden. Im Übrigen gilt der alte Spruch – weil es ein ordoliberaler Spruch ist, dachte ich immer, dass er von Ludwig Erhard ist; ich habe aber gelesen, dass er von Montesquieu ist –: Wenn ein Gesetz nicht nötig ist, ist es nötig, kein Gesetz zu machen. – Das heißt für mich: Wenn ISDS nicht nötig ist, dann ist es nötig, kein ISDS zu machen. Das ist die Position des Wirtschaftsministeriums, das ist die Position der Sozialdemokraten, und das war auch schon die Position von Schwarz-Gelb. Das Konsultationsverfahren hatte das gleiche Ergebnis: (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht der Kollege Pfeiffer anders!) Es gibt ein neues Nachdenken in der Kommission. Dazu wird mein Kollege Dirk Wiese, der heute hier als neues Mitglied des Wirtschaftsausschusses reden wird, sicher noch etwas sagen. Ich will zum Schluss noch einmal sagen: Es geht bei dieser Debatte um mehr als nur die Abwehr von Schiedsgerichtsverfahren. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Es geht um mehr als die Frage, wer die Verträge zum internationalen Handel und zum Investorenschutz aushandelt. Vorrangig geht es um die Frage, welche Abkommen mit welcher Qualität und welchen Inhalten wir international aushandeln. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Unsere Kriterien sind: Können wir die Daseinsvorsorge sichern? Können wir die Standards auf der Welt verbessern? Können wir einklagbare Rechte für Verbraucher, für Umweltschutzverbände, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen? Können wir Datenschutz- und Verbraucherrechte verankern? Können wir die Finanzmärkte regulieren? Können wir Steuerdumping unterbinden? Vizepräsident Johannes Singhammer: Lieber Kollege Barthel, leider ist die Redezeit begrenzt. Deshalb bitte ich Sie, zum Schluss zu kommen. Klaus Barthel (SPD): Jawohl. – Es geht also nicht nur um einen Abwehrkampf, sondern auch um Gestaltung. Derjenige, der an dieser Auseinandersetzung um die Gestaltung solcher Handelsabkommen teilnimmt, ist nicht ängstlich, sondern mutig. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben Sie aber nichts gesagt!) Der Mut besteht darin, so etwas vernünftig auszuarbeiten und nach vorne zu treiben. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten dabei weiterkommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Max Straubinger. (Beifall bei der CDU/CSU) Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Letztendlich ist eine angeregte Debatte über die beiden Anträge der Bundestagsfraktionen der Grünen und der Linken entstanden. Die einen fordern, wir sollten überhaupt keine Gutachten mehr in Auftrag geben, und wenn doch, dann müssten die Auftraggeber aus der Linkenfraktion kommen und die Bundesregierung dafür bezahlen, damit das Ergebnis stimmt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder Herr Ernst muss sie persönlich kennen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) – Das ist doch völlig klar, Kollege Ernst. Ich kenne ja dein Ansinnen, also darf ich beim Du bleiben. – Dasselbe gilt auch für die Bundestagsfraktion der Grünen, die grundsätzlich die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen ablehnt. Ich bin aber dankbar für die Wortmeldung und die Frage des Kollegen Gambke; denn es schien durch, dass Ihrer Meinung nach Schiedsgerichte unter Umständen gar nicht so schlecht sind, ja sogar notwendig, wenn es um internationale Investitionen von Unternehmen geht. Ein Grund für Freihandelsabkommen ist, dass wir Möglichkeiten schaffen wollen, um in der Weltwirtschaft weiter voranzukommen; denn die Weltwirtschaft ist für die deutsche Wirtschaft elementar, ebenso wie für die europäische und die amerikanische. Letzten Endes sind sie ein Segen; denn damit sind die Arbeitsplätze vieler Menschen verbunden. Wenn wir in Ländern mit unterschiedlichen, auch schwierigen Rechtssystemen keine Investitionen mehr tätigen würden, dann würden dort – davon bin ich überzeugt – gar keine Investitionen getätigt. Damit würden wir aber auch unsere eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten beschneiden. Im abgelaufenen Jahr konnten wir 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum verzeichnen. Ein Grund dafür ist, dass wir eine großartige exportorientierte Industrie haben, die in vielen Ländern der Welt Investitionen getätigt hat. Diese Investitionen haben nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen in unserem Land geführt, sondern dazu, dass in unserem Land Arbeitsplätze entstanden sind bzw. gefestigt wurden. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb sind Freihandelsabkommen notwendig und zu befürworten. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die EU und Kanada ein Freihandelsabkommen ausgehandelt haben; abgeschlossen ist es noch nicht. Zu begrüßen ist auch, dass die Europäische Union und die USA ein Freihandelsabkommen anstreben. Letztlich ist das ein Segen für die Menschen in beiden Erdteilen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Janecek? Max Straubinger (CDU/CSU): Ja, gerne. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Straubinger, Sie sind jetzt der dritte Redner für die Große Koalition in dieser Debatte. Können wir erwarten, dass Sie sich in Ihrer zehnminütigen Rede auch einmal zum Thema äußern, was in den beiden ersten Reden nicht der Fall war? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Selektive Wahrnehmung ist das!) Wie gedenken Sie, mit dem Ergebnis des Konsultationsverfahrens – 97 Prozent sind dagegen – umzugehen? Wenn die EU ein solches Verfahren durchführt, haben Sie die Pflicht, darauf zu reagieren und zu beschreiben, wie Sie damit umgehen wollen. Wollen Sie zum Beispiel verhindern, dass Schiedsgerichtsverfahren zukünftig in private Hände gegeben werden? Wollen Sie einen Prozess in Gang setzen, der die Sache in staatliche Verfahren überführt? Das wäre ja einmal ein konstruktiver Ansatz. Ich bitte Sie einfach, die Fragen, die sich hier stellen, zu behandeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wenn Sie zuhören würden, dann könnte man das sagen!) Max Straubinger (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Janecek, es ist so, dass wir uns damit befassen. Wir setzen uns mit der Fragestellung und der Kritik auseinander. Die Intention Ihrer Anträge ist aber meistens, ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zu verhindern. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee! Das stimmt ja nicht! Dann haben Sie unseren Antrag gar nicht gelesen!) In Ihren Anträgen beziehen Sie sich ja immer nur auf einen kleinen Teil. Sie filetieren das Gesamtabkommen. Einmal werden die Schiedsgerichte herausgestellt und kritisiert, dann wird uns ein Antrag vorgelegt, in dem es um den Schutz der Daseinsvorsorge geht, und dann kommt ein Antrag, in dem es darum geht, ob die Regionalmarken geschützt sind usw. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es denn nicht wichtig, die Regionalmarken zu schützen?) Damit wollen Sie für eine immerwährende Diskussion sorgen und Sand ins Getriebe streuen. Ich bin überzeugt, Herr Kollege Janecek, dass das Konsultationsverfahren eines gezeigt hat: 500 Millionen Menschen hätten sich beteiligen können. 150 000 Einwendungen gab es; die Kollegen haben das vorhin schon dargelegt. Ich will das nicht geringschätzen, aber doch sagen: Wenn 145 000 Einwendungen letztendlich gleichlautende Postkarten sind, die von Interessenverbänden verschickt wurden, um Unterstützung zu erfahren, muss ich annehmen, dass die Einsender nicht in die Tiefe eines solchen Abkommens und der daraus resultierenden Fragen vorgedrungen sind; das muss ich unterstellen. Das zeigt, dass dieses Konsultationsverfahren entsprechend bewertet werden muss. Eine solche Bewertung nehmen wir übrigens auch in anderen Bereichen vor. Auch ich bekomme in der Regel Unterschriftenlisten zu einem Thema: einmal dafür und einmal dagegen. Der Politiker muss dann auswählen, was er im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung unseres Landes für das Richtige hält. Das ist ein sehr komplexer Vorgang, Herr Kollege Janecek. (Beifall bei der CDU/CSU) Um was geht es? Es geht letztendlich um den Schutz von Investitionen unserer Firmen. Wenn Kollege Ernst anprangert, hier würden nur die Interessen von Firmeninhabern geschützt, muss ich sagen, dass das völlig klar ist; denn sie tätigen die Investitionen in anderen Ländern. Es geht nicht darum, Arbeitnehmerrechte in den USA einzuklagen, sondern es geht darum, dass Investitionen, die in anderen Ländern getätigt werden, vor Diskriminierung oder möglicherweise auch vor unbilliger Enteignung geschützt sind. Sie haben vorhin gefragt: Was kann Deutschland für ein Interesse daran haben, dass Vattenfall oder die deutschen Bürger vor einem Schiedsgericht klagen? Da stelle ich die Gegenfrage: Warum haben wir ein Interesse daran, dass RWE, Eon und auch EnBW in einem ordentlichen Rechtsstaat auf Schadensersatz klagen können, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vor einem ordentlichen Gericht!) weil wir den Atomausstieg beschlossen haben? Das ist in einem Rechtsstaat in Ordnung. Daher kann man daran überhaupt keine Kritik üben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat Vattenfall andere Rechte als Eon und EnBW?) Ich glaube, dass es ein entscheidendes Moment ist, dass wir hier keine großen Unterschiede haben. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Thema nicht verstanden!) Es geht hier um den Punkt: Wir brauchen Schiedsgerichte, damit eine Firma ihre Interessen durchsetzen kann. Was nützt mir ein Gerichtsurteil, wenn ich hinterher zwar einen Schein, einen Anspruch habe, dieser aber nicht befriedigt wird? Mit diesem internationalen Abkommen wird durch die Schiedsgerichtsverfahren gewährleistet, dass es eine Befriedigung des berechtigten Anspruchs gibt. Deshalb ist es zum Schutz unserer Firmen und unserer Unternehmen und damit auch der Arbeitsplätze in unserem Land. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Straubinger, der Kollege Ernst möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Max Straubinger (CDU/CSU): Bitte schön. Dem kann ich überhaupt nichts abschlagen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Dann haben Sie das Wort. Ich bitte aber, darauf zu achten, dass die Zwischenfragen oder Zwischenbemerkungen präzise sind und nicht zu lang werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja eine rein bayerische Debatte hier den ganzen Morgen!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Kollege Straubinger, das, was Sie eben angesprochen haben, ist genau der Punkt: Wer kann wo klagen? Während deutsche Unternehmen vor den deutschen Gerichten klagen müssen, wenn sie glauben, ungerecht behandelt worden zu sein, können ausländische Unternehmen vor Schiedsgerichte ziehen, und zwar ohne die Möglichkeit, dass der Staat dagegen in Revision gehen kann. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gibt schon internationale Schiedsgerichtsverfahren!) Im Übrigen verlaufen die Verfahren dort, wie wir gerade bei Vattenfall sehen, unter sehr großer Geheimhaltung. Selbst wir als Abgeordnete sind bis heute nicht alle umfassend informiert worden, was genau in der Klageschrift steht usw. Genau das ist der Unterschied. Ich bin ja wie Sie der Auffassung – da sind wir uns vollkommen einig –, dass ein Unternehmen in einem Rechtsstaat auch das Recht hat, gegen staatliche Entscheidungen zu klagen. (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Die Frage ist allerdings, wo. Wir debattieren hier über diese unterschiedliche Gerichtsbarkeit und nicht darüber, dass es Unternehmen nicht mehr möglich sein soll, eine Klage gegen einen Staat zu führen. Sie haben zum Schluss gesagt, dass es keine großen Unterschiede gibt. Dann haben Sie gesagt: Wenn jemand vor ein ordentliches Gericht geht, dann bekommt er einen Schein. Dieser Schein ist üblicherweise ein Urteil, und in Rechtsstaaten werden Urteile vollstreckt. Das heißt, wenn funktionierende Rechtssysteme vorhanden sind, reicht das aus. Denn wenn es anders wäre, Kollege Straubinger, müssten wir uns und müsste sich das ganze Hohe Haus sehr schnell Gedanken darüber machen, wie wir unser Rechtssystem so verändern können, dass Richtersprüche auch durchgesetzt werden. Max Straubinger (CDU/CSU): Um gleich beim letzten Punkt zu bleiben: Herr Kollege Ernst, es ist für ein Unternehmen wahrscheinlich leichter, Ansprüche gegenüber einem Staat geltend zu machen als gegenüber einem Vertragspartner, der vielleicht pleitegegangen ist und bei dem nichts mehr zu holen ist. Das ist der große Unterschied bei dem gesamten Verfahren. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Darum geht es doch nicht!) Es geht darum, seine Rechte durchzusetzen, und zwar so, dass dies auch eine Wirkung hat. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber darum geht es doch gar nicht! Es geht doch diesmal um den Staat – bei beiden!) – Natürlich geht es auch darum. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben das ja noch gar nicht verstanden, Herr Straubinger!) Hinzu kommt: Auch was die Rechtspflege in Deutschland angeht, gibt es unterschiedliche Urteile zu gleichen Sachverhalten. Deshalb bin ich sehr dafür, dass im Hinblick auf Schiedsgerichte unter Umständen auch über die Möglichkeit von Berufungen diskutiert wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja auch aktuell in der Verhandlung! Das wird ja schon verhandelt!) Dazu finden derzeit ja Verhandlungen statt. Aber Sie lehnen im Grunde genommen Verhandlungen zu dem gesamten Komplex ab. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, genau!) Das ist letztendlich der Denkfehler, den Sie bei diesem Thema machen, liebe Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na ja, über diesen „Denkfehler“ müssen wir aber noch mal debattieren! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Einer von vielen!) Der nächste Punkt. Hier heißt es immer, multinationale Konzerne würden diese Regelung ausnutzen, Staaten zwingen, ihre Gesetzgebung zu ändern, und dergleichen mehr. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja! Um Gottes willen!) Die Praxis zeigt, dass die Schiedsgerichtsverfahren, die bisher angeleiert worden sind, in der Regel vom Mittelstand ausgegangen sind. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist falsch! Stimmt nicht!) – Ja, natürlich; die meisten Verfahren sind bisher von mittelständischen Unternehmen angestrengt worden. – Warum das so ist, kann man nachvollziehen: Ein multinationaler Konzern hat in den jeweiligen Ländern sicherlich wesentlich leichter den nötigen Zugang, um seine Position entsprechend zu verdeutlichen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten mal über die Sache reden!) Aber ein kleiner Automobilzulieferer, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, der kann das ja gar nicht bezahlen!) der zum Beispiel im Zuge der Expansion eines großen Automobilherstellers – ich sage es einmal so – gebeten worden ist, in dem entsprechenden Land Investitionen zu tätigen, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen ja gar nicht, worum es eigentlich geht!) mit der Folge, dass diese Investitionen dann möglicherweise nicht mehr so gut geschützt sind, kommt unter die Räder. Deshalb kommt das Ansinnen, Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichten zu versehen, eher aus den Reihen des Mittelstandes. Auch der Bayerische Bauernverband hat sich erst jüngst dafür ausgesprochen, Freihandelsabkommen mit Schiedsgerichten anzustreben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das ist dann ja noch ein Argument dagegen!) Dasselbe gilt für den Zentralverband des Deutschen Handwerks, der sich ebenfalls positiv zum Abschluss dieses Freihandelsabkommens geäußert hat. Werte Kolleginnen und Kollegen, der Grund dafür ist, dass damit viele Arbeitsplätze, auch in der mittelständischen Wirtschaft, verbunden sind. Natürlich kann man in dieser Debatte immer wieder die multinationalen Konzerne als großes Gespenst erwähnen. Tatsache ist aber: Wir brauchen unsere großen Weltfirmen, die bereit sind, in verschiedensten Ländern Risiken einzugehen, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie die Banken! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich sage nur: Rüstung!) wobei sie große Erfolge erzielen, manchmal aber auch Niederlagen erleiden. Wenn wir diese Unternehmen nicht hätten, hätten wir auch nicht die Exportmöglichkeiten, die wir haben und von denen viele mittelständische Betriebe und viele Handwerksbetriebe profitieren. In Dingolfing – das ist in meinem Wahlkreis; ich kann das also beurteilen – steht das größte Automobilwerk von BMW. Viele mittelständische und kleine Handwerksbetriebe erhalten von BMW Aufträge, zum Beispiel im Rahmen von Werkverträgen, oder sie erledigen die Reparatur von Maschinen und Anlagen. Stellen Sie sich einmal vor, welche Situation wir hätten, wenn es solche exportorientierten Werke nicht gäbe, wenn sie nicht gebaut worden wären. Über 20 Prozent der dort produzierten Autos werden in die USA geliefert, und etwa 80 Prozent kommen auf den Weltmarkt; das muss man sich einmal vorstellen. Daran hängen viele Arbeitsplätze in unserem Land. Man darf keine Ängste vor Freihandelsabkommen schüren, sondern es gilt, Freihandelsabkommen positiv zu begleiten. Handelsabkommen waren für unser Land bisher immer großartige Erfolge. Ich bitte Sie, die zukünftigen Diskussionen über dieses Thema auch unter diesem Gesichtspunkt zu führen, dieses Vorhaben mit positiver Kritik zu begleiten und von der ablehnenden Haltung, die die linke Fraktion und die grüne Fraktion in ihren Anträgen heute wieder einmal zum Ausdruck gebracht haben, Abstand zu nehmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Alexander Ulrich. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! TTIP und CETA sind Angriffe auf unsere Lebensweise, auf unsere Standards, auf unsere Demokratie und (Zurufe von der SPD: Oh!) auf unsere Rechtsstaatlichkeit und müssen deshalb gestoppt werden! (Beifall bei der LINKEN) Ein Großbündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, Kirchen, Diakonie, Umweltverbänden, Verbraucherschützern, vielen Kommunalpolitikern – auch mit CDU-, CSU- oder SPD-Parteibuch –, vielen Landwirten, sogar den Bierbrauern – Herr Kauder, der Bier-Botschafter, ist nicht da –, Kulturschaffenden, vielen, vielen – täglich werden es mehr – ist gegen diese Verträge, wie sie jetzt vorliegen. Wenn Sie davon sprechen, das sei eine Empörungsindustrie, dann haben hoffentlich all die vielen Menschen in diesem Land, die Angst haben um unsere Standards, gehört, dass sie von Ihnen auf diese Weise in eine Ecke gestellt werden. Wenn Sie diese Proteste nicht ernst nehmen, sind Sie mit schuld daran, wenn sich Bürger von der Demokratie verabschieden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Angst frisst Denken auf!) Wenn hier gesagt wird, fast 150 000 kritische Einwände gegen TTIP, das sei ja nichts, rufe ich in Erinnerung, dass wir als Linke schon immer sagen: Wir wollen, dass bei wichtigen europapolitischen Entscheidungen Volksabstimmungen abgehalten werden. Herr Seehofer sagt das auch manchmal, wenn Europawahlen anstehen. Lassen Sie uns doch über diese Verträge eine Volksabstimmung machen! Das Thema wäre morgen beendet, (Beifall bei der LINKEN) weil die Bürgerinnen und Bürger wissen: Das, was da verhandelt wird, ist nicht in ihrem Interesse. Jetzt komme ich zur „Empörungsindustrie“, Herr Pfeiffer. Ich möchte etwas zitieren, was gestern, am 15. Januar, veröffentlicht worden ist: Wir lehnen die angedachten Regelungen zum Investitionsschutz … ab. Sie beschädigen rechtsstaatliche Prinzipien und schränken die demokratische Entscheidungsgewalt ein. Wer war denn das? Haben Sie Vorstellungen? Das stammt aus einer gemeinsamen Erklärung von CDA und Katholischer Arbeitnehmer-Bewegung, (Zurufe von der LINKEN: Ah!) gestern hier in Berlin verabschiedet. Wollen Sie Ihre eigenen Leute zu einem Teil der „Empörungsindustrie“ erklären? Wunderbar! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hoffentlich haben alle gehört, dass diese Erklärung in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU nicht ernst genommen wird. Ein weiteres Beispiel für die „Empörungsindustrie“: Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das kennen wir!) Wer hat das verabschiedet? Die „Empörungsindustrie“ kommt diesmal aus dem Parteikonvent der SPD. Tun Sie doch einmal, was Ihr Parteikonvent beschlossen hat! Tun Sie nicht so, als wäre das alles Schnee von gestern! Machen Sie uns keine Vorwürfe, weil wir euch an dieser Stelle ernst nehmen! (Beifall bei der LINKEN) Eine SPD, die Sozialstandards gefährden will, Verbraucherschutzstandards gefährden will und andere Dinge auch, braucht man nicht in einer Bundesregierung. Wenn Sie nur den Job der FDP erledigen wollen, dann gehen Sie lieber wieder in die Opposition; dort sind Sie besser aufgehoben. (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihr Niveau ist unter Standard, Herr Kollege!) Als gewählte Volksvertreter haben wir die Aufgabe, die Demokratie zu verteidigen. Mit der Zustimmung zu CETA würden wir das nicht tun. Ich sage es noch einmal: Warum sollen diese Abkommen eigentlich abgeschlossen werden? Hat hier tatsächlich jemand Angst, dass wir auch nur ein Automobil weniger nach Kanada oder in die USA verkaufen, wenn wir diese Abkommen nicht abschließen? Hat hier wirklich jemand Angst, dass die BASF oder andere auch nur ein Produkt weniger dorthin verkaufen, wenn wir diese Abkommen nicht abschließen? Hat hier jemand Angst, dass ein kanadisches Gericht oder ein amerikanisches Gericht möglicherweise nicht zur gleichen Rechtsprechung kommen könnte wie ein solches Schiedsgericht, bei dem es nur darum geht, Großkonzerne zu schützen? Dann sagen Sie das! Sagen Sie, Sie glauben nicht, dass die Justiz in Kanada oder in den USA zu einer Rechtsprechung kommt, die tatsächlich sinnvoll ist. Sie machen auch immer wieder den gleichen Fehler: Sie tun so, als würden alle diejenigen, die mit diesen Verträgen Ängste verbinden, mit dieser Haltung die deutschen Exporte gefährden. Exportieren wir heute nichts? Wir sind eine der Exportnationen dieser Welt. Und wir haben Angst, zu sagen: „Wir wollen solche Investorenschutzklagen nicht“? Das soll irgendjemand ernst nehmen? Noch einmal: Wir sind eine der Exportnationen. Wenn wir als die Exportnation auf europäischer Ebene sagen: „Wir wollen den Investorenschutz raushaben aus CETA und wollen ihn auch nicht reinverhandelt haben bei TTIP“, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das versuchen wir!) dann, bin ich mir sicher, könnten diese Verträge auch verändert werden. Deshalb ist die Frage, ob sich Sigmar Gabriel tatsächlich zum Handlanger der Großindustrie machen will oder ob er seine eigene Partei ernst nimmt. Deshalb: TTIP und CETA können noch verhindert werden, auch dieser Investorenschutz kann verhindert werden. Ich rufe alle auf, die auch morgen hier in Berlin auf die Straße gehen: Machen Sie weiter Druck! Sie haben schon viel erreicht. Noch einmal: Die SPD wird schon noch rechtzeitig einknicken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dirk Wiese spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel zu lange wurden Freihandelsabkommen einfach nur verhandelt und beschlossen, ohne dass die Öffentlichkeit daran teilnahm. Dass sich dies jetzt endlich ändert und wir hier im Parlament darüber diskutieren, wie wir Freihandel gestalten und unter den Primat der Rechtsstaatlichkeit stellen wollen, ist gut und richtig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Warum ist Freihandel eigentlich gut und richtig für unser Land und für unsere Bürgerinnen und Bürger? Erstens. Wir wollen Arbeitsplätze sichern und neue Arbeit ermöglichen. Zweitens. Wir wollen Exportweltmeister bleiben und Wohlstand sichern. Drittens. Wir wollen die Menschen mitnehmen und unsere Entscheidungen transparent machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bedauerlicherweise interessieren Sie von den Linken sich nicht für die Ziele und die Zukunft der Menschen, sondern für Gutachter. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach, so ein Geschwätzt! Warum muss man sich so etwas anhören?) Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn es nicht so durchschaubar wäre. Warum? Weil Experten nicht im luftleeren Raum leben, sondern mitten in der Gesellschaft. Jemanden zu fragen, der sich auskennt, ist, ehrlich gesagt, besser, als substanzlose Anträge zu stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wirtschaftsministerium hat einen anerkannten Experten beauftragt – mehr nicht. Oder in aller Klarheit: Wenn Sie ein Haus bauen und die Statik stimmen soll, dann fragen Sie einen Architekten und nicht Ihren Nachbarn von nebenan. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber am Gutachten war er nicht beteiligt!) – Es ist immer schlimm, wenn man den Spiegel vorgehalten bekommt. Ich komme jetzt zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Sie gehen auf einige wichtige Punkte fundiert ein, und ich bin für Ihre klare Positionierung in der Debatte dankbar; denn bisher wusste ich nicht so recht, wo Sie bei TTIP und CETA eigentlich stehen und was Sie wollen bzw. noch geändert haben wollen bzw. noch -hineinverhandelt bzw. erst gar nicht hineinverhandelt haben möchten. Aus Ihren heutigen Forderungen ist endlich zu entnehmen, dass Sie für die Ratifizierung von CETA und TTIP sind, wenn die EU-Kommission die ISDS-Klauseln bei CETA noch herausnimmt und sie bei TTIP erst gar nicht hineinnimmt. Das war heute eine klare Positionierung. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser Schluss ist nicht zulässig! Das steht da nicht! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mathematisch ist das falsch!) Die Menschen müssen wissen, was wir verhandeln und was unsere Ziele sind. Nur dann können wir sie mitnehmen und für die Potenziale des gerechten Freihandels gewinnen. Mehr Transparenz zu schaffen, muss unser Anspruch in Deutschland und vor Ort in den Regionen sein. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir als Deutscher Bundestag, als Fraktion, mit den Regierungen der anderen Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und der Zivilgesellschaft eine offene und ehrliche Diskussion darüber führen, was möglich ist. Wir als Sozialdemokraten gehen mit gutem Beispiel voran. Am 23. Februar 2015 wird es eine öffentliche Veranstaltung zu den transatlantischen Freihandelsabkommen im Willy-Brandt-Haus geben, bei der unter anderem Sigmar Gabriel, Cecilia Malmström, Martin Schulz und Bernd Lange auch zu dem Investitionsschutz und den ISDS-Bestimmungen sprechen werden. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja toll!) Unser Fahrplan ist dabei klar: Wir setzen uns dafür ein, dass ein Freihandelsabkommen ausgehandelt wird, das gut für die Arbeitsplätze vor Ort in Deutschland und in Europa ist, primär einen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger darstellt und mit dem versucht wird, weiter unsere hohen Standards in vielen Bereichen zu einem Exportschlager zu machen. Dafür müssen wir uns einsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Freihandel heißt aber auch ein Geben und Nehmen – gerade auch in den Gesprächen dazu –; denn in einigen Bereichen – da müssen wir als Parlament auch ehrlich sein – sind die US-Standards durchaus höher. Ich erinnere zum Beispiel an den Finanzmarktbereich. Um zu einem Abkommen für die Menschen zu kommen, dürfen wir nicht immer nur sagen, was wir nicht wollen, sondern wir müssen auch einmal offensiv sagen, was wir wollen. Das ist unter anderem die Aufhebung der Buy-American-Clause, damit unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit bekommen, sich auf dem US-Beschaffungsmarkt dem Wettbewerb zu stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ein ausgehandeltes Freihandelsabkommen dann am Ende gute Arbeit schafft und gute Arbeitsplätze erhält und sichert, ist das ein Mehrwert, auf den wir alle stolz sein können und mit dem wir unsere weltweite Position als Exportweltmeister sichern können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Abschluss vier Punkte ansprechen, die auch über TTIP und CETA hinausgehen: Erstens. Das öffentliche Konsultationsverfahren der EU-Kommission hat mir wieder einmal verdeutlicht, dass das Recht des internationalen Investitionsschutzes und die darauf beruhende Schiedsgerichtsbarkeit einer umfassenden Reform bedürfen: hin zu mehr Transparenz, einer zweiten Instanz, einer unabhängigen Institu-tionalisierung und besseren Klagemöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, um nur einige Punkte auf dem Weg hin zur Stärkung des internationalen Rechts anzusprechen. Zweitens. Bei vergleichbaren Rechtssystemen sind entsprechende Regelungen nicht notwendig. Nach Durchlaufen sämtlicher nationaler Instanzen dürfte in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine neutrale Entscheidung über die jeweilige streitige Angelegenheit gefällt wird. Drittens. Wir müssen aufpassen, was sich im Asien-Pazifik-Raum tut; denn ich möchte mitgestalten, bestehende Defizite ausräumen und reformieren, und ich möchte nicht irgendwann gestaltet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da die USA derzeit die TTP-Verhandlungen mit dem pazifischen Raum beschleunigen, ist anzunehmen, dass die USA und ihre Verhandlungspartner in diesem Abkommen ihre Regeln und Standards für den Handel festschreiben wollen. Bedrohlich kann das für uns in der Europäischen Union dann werden, wenn China so mächtig wird und so viel Einfluss gewinnt, dass es die globale Handelsstruktur dominant prägen kann. Daher ist es von höchster Wichtigkeit, dass demokratische Länder rechtsstaatliche Prinzipien für einen freizügigen Handel verankern, bevor uns andere Länder ihre Standards auferlegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Viertens. Ich lade alle Bürgerinnen und Bürger ein, mit uns allen über die Vor- und Nachteile von Freihandelsabkommen zu diskutieren, aber nicht Ängste schüren, sondern konstruktiv und offen darüber reden, worum es eigentlich geht. Machen wir uns an die Arbeit! Lassen Sie uns gestalten und etwas bewegen und nicht nur dagegen sein! Oder um es am Ende mit den Worten von Willy Brandt zu sagen: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte damit beginnen, dass ich meinen Kollegen aus der Union, Patrick Sensburg, aus der Deutschen Richterzeitung unter der Überschrift „Parallel-justiz – Rechtsstaat bleibt außen vor!“ zitiere. Dort sagt er, Paralleljustiz sollte man besser als Scheinjustiz bezeichnen. Fälle, in denen die Scheinjustiz Anwendung fände, könnten die Geltung des deutschen Rechts und unseres Rechtsstaates unterminieren. – Recht hat der Mann, auch wenn er hier vom Strafrecht redet. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Was gibt es da zu lachen? (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat!) Wir wollen keine Paralleljustiz, weder im Strafrecht noch im Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Keul, der Kollege Dr. Heider möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte. Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sind bemüht, einmal den Hintergrund von Schiedsverfahren aufzuklären. Ich darf darlegen, dass das nicht etwa eine Paralleljustiz ist, wie Sie das darstellen, sondern dass das ein seit über 100 Jahren gepflegtes Verfahren in Deutschland ist, womit sich Parteien gegenseitig Recht erweisen. Ist es richtig, dass die Grünen eine Schiedsordnung haben und in einem Schiedsverfahren innerhalb Ihrer Partei geurteilt wird, wenn es Streitigkeiten gibt? Würden Sie mir zustimmen, dass das ein ordentliches Verfahren ist, um Streitigkeiten beizulegen? Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Heider, dass Sie mir die Gelegenheit geben, die Frage zu beantworten, die vorhin ein bisschen im Raum stehen geblieben ist. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie hat bloß drei Minuten!) Das Schiedsgericht im Zivilrecht, das Sie vorhin angesprochen haben, ist nicht das Problem. Dort, wo Private mit Privaten vor einem Zivilgericht streiten, ist nichts dagegen einzuwenden, dass man zu einem Schiedsrichter geht. Entscheidend ist natürlich, dass im Vertrag gewährleistet ist, dass keinem der beiden Vertragsparteien der Weg zu den staatlichen Gerichten verwehrt wird. Aber hier geht es um etwas ganz anderes. Hier geht es um das öffentliche Recht. Hier geht es um Streitigkeiten zwischen Privaten auf der einen und dem Staat auf der anderen Seite. Das ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das hat mit dem Zivilgericht nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schönes Eigentor!) Um das noch einmal zu Ende auszuführen: Beim Strafrecht mache ich mir weniger Sorgen als der Kollege Sensburg; denn da ist eine Paralleljustiz ohnehin als Strafvereitelung verboten – da sind wir außen vor –, während im öffentlichen Recht gerade etwas von höchster Stelle verhandelt wird. Das macht mir in der Tat Sorgen. Im öffentlichen Recht, um darauf zurückzukommen – darum geht es beim Investorenschutzabkommen –, handelt es sich eben um Streitigkeiten zwischen Unternehmen auf der einen und dem Staat auf der anderen Seite und nicht um Streitigkeiten zwischen Unternehmen. Das ist der entscheidende Unterschied. Ich will Ihnen ein Beispiel bilden. Zwei konkurrierende Unternehmen produzieren in Deutschland ähnliche Produkte mit ähnlichen Verfahren. Beide Unternehmen bekommen von deutschen Behörden Auflagen erteilt, die sie für unberechtigt halten. Jetzt haben sie beide die Möglichkeit, den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu beschreiten und sich dagegen zu wehren. Warum aber sollte jetzt eines dieser Unternehmen, weil es vielleicht ein amerikanisches ist, einen parallelen Rechtsweg zu einem anderen Gericht wählen können? (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Soll es ja nicht!) Wo ist denn da die Gleichheit vor dem Recht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Verfechter von Schiedsgerichten unterstellen unseren deutschen Verwaltungsrichtern latent, sie würden staatliche Eingriffe gegenüber einem ausländischen Unternehmen anders beurteilen als Eingriffe gegenüber einem deutschen Unternehmen. Ich finde das ungeheuerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit ist doch das Markenzeichen eines funktionierenden Rechtsstaats und funktionierender Gewaltenteilung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nicht umsonst gab es zum Beispiel in der DDR keine Verwaltungsgerichte. Wir sind in Deutschland, wie ich finde, zu Recht stolz auf unser Rechtssystem. Wir werben international dafür mit unserer Initiative „Law – Made in Germany“. Was macht es für einen Sinn, völkerrechtlich Wege zu vereinbaren, mit denen man dieses tolle System umgehen kann? Das verstehe, wer will – ich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In unserem Rechtssystem ist in jahrelanger Rechtsprechung ausdifferenziert worden, was eine Enteignung, ein enteignender Eingriff und ein enteignungsgleicher Eingriff ist. Wozu brauchen wir dann jetzt noch einen neuen Begriff der indirekten Enteignung, für den private Gerichte erst wieder eine neue Dogmatik entwickeln müssen? Da helfen auch keine Berufungen, es sei denn, die Berufung ist beim zuständigen Oberverwaltungsgericht einzulegen. Dann wäre ich damit einverstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Fazit: Statt dem Big Business Paralleljustiz zu ermöglichen, sollten wir unsere Justiz durch personelle und finanzielle Ressourcen stärken. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) So bieten wir für den Streitfall eines der weltweit besten rechtsstaatlichen Verfahren zur Klärung von Streitigkeiten. Davon können alle in der EU tätigen Unternehmen, unabhängig von ihrer Herkunft, profitieren. Da braucht es keine Paralleljustiz. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Dröge, Sie hätten heute Morgen besser mit dem Kölsch angefangen. Dann wäre es lustiger losgegangen. So kam die Stimmung erst etwas später auf. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wohl zu viel Kölsch gehabt!) Dann hätten Sie auch zu Recht sagen können, dass Kölsch markenrechtlich geschützt ist und deshalb von den jetzt diskutierten Abkommen überhaupt nicht berührt ist. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Kölsch ist durch die Herkunftsangabe geschützt!) Als Erfolg des Abkommens werden am Ende 200 Millionen Amerikaner nach Köln kommen wollen, um Kölsch in Köln zu trinken. Die 150 000 Kritiker, die Sie eben im Zusammenhang mit der Bürgerbefragung angegeben haben, können dann nach Amerika reisen und herausfinden, ob es dort nicht vielleicht schlechteres Bier gibt, und sich ihr eigenes Urteil bilden. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das Ganze lächerlich! Das ist aber keine Frage zum Lächerlichmachen!) – Frau Höhn, Sie müssen lauter sprechen oder nach vorne kommen; dann können wir im Duett singen. Aber das wird der Herr Präsident nicht erlauben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mache ich gleich!) Sie haben gesagt, fast 150 000 Bürgerinnen und Bürger hätten sich bei der Befragung negativ geäußert. Was folgt daraus? Stellen Sie sich vor, die europäischen und deutschen Unternehmer hätten das gemacht, was sie vielleicht hätten machen sollen, nämlich eine Reihe von Werbeagenturen einzuschalten, ähnlich, wie Sie es gemacht haben, viele Mails nach Brüssel zu schicken und Lkw-weise zustimmende Postkarten zu TTIP und CETA abzuliefern und zu sagen: Das nutzt unserer Wirtschaft, unserem Wohlstand und unseren Arbeitsplätzen. – Dann würden Sie jetzt schreien: „Betrug! Verrat! Die Zahlen spielen keine Rolle.“ (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Lassen Sie deshalb die Diskussion über die Zahlen. Sie spielen wirklich keine Rolle. Lassen Sie uns lieber – das ist richtig – über die Sachfrage reden. (Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CDU und Bürgerbeteiligung! Das war schon immer miserabel!) Worum geht es bei diesen Investitionsschutzabkommen? Es geht darum, dass Freihandelsabkommen gerichtlich überwacht werden sollen. Diese Freihandelsabkommen sind zwischenstaatliche und völkerrechtliche Vereinbarungen. Dabei ist es ein bisschen schwierig, das Abkommen für den einen Vertragspartner auch mit Wirkung für den anderen auszulegen. Denn dann würde ein Staat über den anderen zu Gericht sitzen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Staat und Privatunternehmen!) Frau Künast, die sich mehrfach dazu geäußert hat, ist gerade nicht anwesend. Ich war mit ihr zusammen beim Europäischen Gerichtshof. Wir haben über die Auslegung der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank nachgedacht. Der Europäische Gerichtshof ist dabei, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Wenn Ihre Argumentation richtig wäre, dann könnten wir es den griechischen Gerichten überlassen, diese Maßnahmen auszulegen. Das wäre die Konsequenz. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) Das können Sie dann den deutschen Bürgern verkaufen. Die Alternative wäre, den Griechen zu sagen: Abschließend entscheidet das Bundesverfassungsgericht, bekanntlich das beste europäische Gericht. – Verkaufen Sie als Linke das einmal den Griechen! So wäre es, wenn wir keine überstaatliche Streitschlichtungsinstitution hätten. Das führt doch nicht weiter. Was wir brauchen, ist eine überstaatliche Institution, die die entsprechenden Fragen klärt. Man kann darüber nachdenken, ob dies Schiedsgerichte tun sollen oder ob eine solche Gerichtsbarkeit bei der WTO angesiedelt werden soll. Aber wir brauchen eine zwischenstaatliche Institution, die eine entsprechende Auslegung betreibt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ulrich? Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Gerne. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen, Herr Dr. Hirte. – Manchmal ist es wichtig, dass wir darlegen, worüber wir eigentlich reden. Ich möchte Ihnen zwei, drei Beispiele nennen. Dann beantworten Sie uns, ob die CDU/CSU-Fraktion tatsächlich will, dass so etwas in Zukunft überall möglich ist. Wie Sie vielleicht wissen, gab es in der kanadischen Provinz Quebec ein Moratorium gegen Fracking. Das Unternehmen Lone Pine hat dagegen geklagt und fordert 250 Millionen Dollar Schadensersatz. In Luxemburg wurde erfolgreich gegen ein südafrikanisches Programm geklagt, das farbige Unternehmen begünstigt, um die Ungerechtigkeiten des Apartheidregimes zu mildern. Rumänien wurde 2006 zur Zahlung von rund 200 Millionen Euro Schadensersatz an einen schwedischen Investor verurteilt, weil es EU-Recht im Steuerbereich umgesetzt hat. Der Investor musste dann mehr Steuern zahlen als erwartet. Es gibt unzählige solcher Beispiele. Ein letztes Beispiel. Ein französisches Unternehmen hat den ägyptischen Staat verklagt, weil dort Mindestlöhne eingeführt wurden und diese offensichtlich die Investitionen beeinträchtigt haben. Wollen Sie, dass das zukünftig der globalisierte Maßstab für die Verträge zwischen der EU, Kanada und Amerika wird? Wenn das die Vorstellung von CDU/CSU und SPD von Globalisierung ist, dann gute Nacht unseren Standards. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hallo!) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Lieber Herr Ulrich, ich halte es für richtig, dass Investoren, die auf der Grundlage eines Abkommens in einem anderen Land investiert haben – wir reden hier in erster Linie über deutsche Unternehmer, die in Kanada oder den USA investieren wollen –, eine Möglichkeit haben, gegen Diskriminierungen – auch in den USA und Kanada – vorzugehen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es sind keine Diskriminierungen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch jetzt schon möglich!) Dass das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens nicht immer allen gefällt, liegt in der Natur der Sache. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das waren politische Entscheidungen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie damit sagen, dass amerikanische Gerichte nicht unabhängig sind? – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Rechtsstaatsverständnis ist unglaublich!) Damit kommen wir zu Ihrem entscheidenden Gegenargument, zwischen funktionierenden Rechtsstaaten seien solche Abkommen nicht erforderlich. Natürlich handelt es sich immer um funktionierende Rechtsstaaten. Wenn Sie aber einen Norditaliener fragen, ob er mit Begeisterung einen Prozess in Süditalien führt, dann werden Sie feststellen, dass er das nicht gerne tut. Wenn Sie die Fälle analysieren, in denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland wegen überlanger Verfahren verurteilt hat, dann stellen Sie fest, dass Ihnen ausländische Investoren entgegenhalten, dass gerade Wirtschaftsprozesse bei uns viel zu lange dauern. Erklären Sie doch einmal einem deutschen Investor, warum er mit großer Begeisterung vor einzelstaatlichen Gerichten oder Bundesgerichten in den USA die Pre-Trial Discovery über sich ergehen lassen soll! Wenn so Ihre ideale Wirtschaftsförderung aussieht, dann kann ich dazu nur sagen: Danke, Deutschland! (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Sie reden sich um Kopf und Kragen!) Ihre pauschale Ablehnung von Investitionsschutzabkommen hilft uns doch nicht weiter. Mir sagen viele europäische Länder, insbesondere kleine Staaten wie Lettland und Estland: Wir brauchen solche Abkommen, damit auch bei uns investiert werden kann. Wir machen das gerne. – Wenn wir solche Abkommen ablehnten, wäre die Konsequenz, dass die 27 anderen EU-Staaten darüber nachdenken, wie sie ohne uns vorangehen können. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die investieren doch heute schon!) Platte Ablehnung hilft uns nicht. Lassen Sie uns doch über die Frage nachdenken, wie wir für Verbesserungen sorgen können. Das haben wir getan. Wie wir hier in diesem Hause zu Verbesserungen kommen können, dazu mache ich Ihnen drei Vorschläge, die wir schon vorbesprochen haben. Wir sollten darüber nachdenken, ob die Auswahl der Richter und die Besetzung der Richterbänke bei den entsprechenden Schiedsgerichtsinstitutionen mit Zustimmung dieses Hauses geschehen sollten. Darüber können wir nachdenken, darüber sollten wir nachdenken. Dann ist Ihr Einwand vom Tisch, dass dort möglicherweise keine unabhängigen Personen sitzen. Dann können wir hier darüber diskutieren, wer dafür geeignet ist und ob der oder die unabhängig ist. Wir sollten über diese Frage nachdenken, und wir werden darüber nachdenken. Wir werden dann genau denselben Schritt tun, den wir vor einigen Jahren bei der Auswahl der Richter am Europäischen Gerichtshof gemacht haben. Die wurden nämlich anfangs auch alleine vom Bundeswirtschaftsministerium ernannt, ohne Zustimmung des Parlaments. Das war mein erster Punkt. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Sie können gleich alle weiterreden. Sie kommen sicher in den nächsten Jahren noch zu Wort. Zweiter Punkt. Sie mahnen an, dass die nationalen Verfahren und die Schiedsverfahren nicht ausreichend miteinander verzahnt sind. Ja, das stimmt. Die Wahlmöglichkeit wird mit den neuen Klauseln eingeschränkt. Man kann nicht mehr das eine und das andere machen, sondern man kann nur das eine oder das andere machen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! Vattenfall macht beides!) – Das ist doch altes Recht. Reden Sie doch nicht über die Vergangenheit, sondern über das, was wir in der Zukunft machen wollen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Energiecharta!) Es gibt einen Punkt, den wir hier autonom machen wollen und werden. Wir werden über die Frage nachdenken, ob nicht der Bundesgerichtshof Anfragen von Schiedsgerichten entgegennehmen kann. Das darf er bisher nicht. Das Gleiche gilt für den Europäischen Gerichtshof. Auch der darf Anfragen von Schiedsgerichten bisher nicht entgegennehmen. Wir werden entsprechende Initiativen ergreifen, um auf der Ebene der Kommission durchzusetzen, dass das in den entsprechenden Rechtsakten geändert wird. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Ihre Fraktion diese Vorschläge besprochen?) – Darüber reden wir jetzt. Sie haben den Antrag gestellt. Sie behaupten, wir würden nicht nachdenken. Natürlich denken wir nach, und das ist die Antwort. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie CETA ändern?) Damit komme ich zum dritten Punkt. Liebe Frau Dröge, Sie haben immer wieder und auch eben darauf hingewiesen, dass das alles nur Großunternehmen dienen würde und Schiedsverfahren für Großunternehmen gedacht seien. Es mag sein, dass Schiedsverfahren relativ gesehen teuer sind. Deshalb denken wir darüber nach, die Kosten für diese Schiedsverfahren für kleine und mittelständische Unternehmen, die aus unserer Sicht in Kanada und in den USA investieren sollen, auf das -Niveau zu senken, das sie haben würden, wenn die Unternehmen vor nationalstaatlichen Gerichten klagen -würden. Das ist für uns eine Maßnahme der Außenwirtschaftsförderung. Ich halte es für legitim, dass wir über diese Frage nachdenken. Das bedeutet: Alle Argumente, die Sie hier bringen, rechtfertigen keine Ablehnung von Schiedsverfahren, rechtfertigen keine Ablehnung des Investorenschutzes. Wir brauchen das für deutsche Unternehmen, die jenseits des Atlantiks investieren wollen. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung spricht jetzt die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Grünen bezieht sich in der Tat auf die Frage des Investitionsschutzes und der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit und greift damit eines der wirklich problematischen Themen bei diesen Verträgen auf. Darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU nicht!) – Dass das ein wesentliches Thema bei diesen Verträgen ist, ist unstreitig. Mir ist es wichtig, ganz kurz zu sagen, dass wir den Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren sollten. Wir als eine der größten Handelsnationen der Welt brauchen einen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Dafür braucht unsere Wirtschaft offene Märkte. Es hat keinen Sinn, dass wir uns bei der Standardisierung und anderen Dingen selber Brücken bauen. Deshalb müssen wir solche Verhandlungen führen. Man spricht nicht umsonst von den nichttarifären Handelshemmnissen. Weil es so ist, dass in der globalisierten Welt die 28 Mitgliedsländer der EU alleine bei einer solchen Standardsetzung mit China, den USA und anderen gar nichts mehr ausrichten können, ist es richtig, dass die Kompetenz für diese internationalen Abkommen auf die EU übergegangen ist. 2009 ist das mit dem Lissabon-Vertrag so geregelt worden. Wir alle haben das damals für richtig gehalten, weil wir sehen müssen, dass wir Europa in der Welt positionieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Insofern ist es wichtig, dass wir die Globalisierung gestalten – das haben Vorredner schon oft genug gesagt – und auch angemessene Spielregeln entwickeln. Wir reden hier über zwei verschiedene Abkommen. Klar ist: Unsere Beziehung zu Kanada wollen wir ausbauen. Bei aller Kritik am Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren, das in CETA geregelt ist, muss man auch eins einmal sehen – das müssten Sie von Bünd-nis 90/Die Grünen bitte auch zur Kenntnis nehmen; ich habe es aus Ihrem Antrag nicht herauslesen können –: Kein anderes Freihandelsabkommen der EU sieht eine derart weitgehende Öffnung der Märkte vor – unter Wahrung der geltenden Schutzstandards für Verbraucher-, Umwelt- und Arbeitsschutz. Kein anderes Freihandelsabkommen hat so weitreichende Bestimmungen zur Nachhaltigkeit. Auch beim Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren enthält CETA schon deutliche Verbesserungen. Sie können gar nicht in Abrede stellen, dass es insoweit auf alle Fälle das beste Abkommen ist. Es ist inzwischen klar: Transparenz wird eingehalten; sämtliche Unterlagen werden veröffentlicht. Alle Anhörungen sind öffentlich. Schon im jetzigen Entwurf von CETA steht das. Auf die geplanten Veränderungen komme ich gleich noch zu sprechen. Ich wiederhole: Alle Anhörungen sind öffentlich. Interessierte Gruppierungen wie NGOs oder Gewerkschaften können Anträge einreichen und Stellungnahmen abgeben. Das ist etwas, was unser deutsches Recht gar nicht kennt. Die Unabhängigkeit der Schiedsrichter wird garantiert; (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht!) die Schiedsrichter müssen unabhängig sein. Es gibt einen eigenen Verhaltenskodex. Es wird eine Schiedsrichterliste erstellt. Herr Kollege Hirte, ich kann nur sagen: Wir in Deutschland sind zwar ziemlich großartig, aber es ist ein EU-Abkommen. Wir können nicht allein die Schiedsrichter bestimmen. Das macht natürlich die EU. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) Es ist vorgesehen, dass die EU fünf Schiedsrichter benennt. Also, das muss man einmal abwarten. Es gibt das Verbot ungerechtfertigter Klagen usw. usf. Das heißt, es gibt eine Menge Verbesserungen. Auf diesen Verbesserungen wollen wir aufbauen, und wir wollen diese Verbesserungen noch weiter verbessern. Ich komme zu TTIP und zu dem Ergebnis der Konsultationen, das Sie hier mehrfach angesprochen haben. Wir wissen, dass das Ergebnis, das die EU-Kommission vorgestellt hat, Veränderungen noch in vier weiteren Bereichen benennt: Das sind der Schutz des sogenannten right to regulate, der Gestaltungsspielraum des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, die Arbeitsweise und die Zusammensetzung der Schiedsgerichte, Stichwort „Transparenz“, das Verhältnis ISDS zu nationalem Rechtsweg und die Einführung eines Berufungsmechanismus. Diese Punkte hat die EU-Kommission identifiziert, und über diese Punkte werden wir in den nächsten zwei bis drei Monaten Gespräche führen. Das Europäische Parlament wird sich damit auseinandersetzen, die Mitgliedstaaten werden sich damit auseinandersetzen – vorhin wurde schon erwähnt, dass dieses Abkommen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Mitgliedstaaten kritisch diskutiert wird –, und natürlich werden sich auch die Zivilgesellschaft und andere Stakeholder, die an diesem Prozess beteiligt sind, Stichwort „Gewerkschaften“, damit beschäftigen. Sie alle werden darüber beraten, und dann wird man sehen, welche Verbesserungen wir auf europäischer Ebene durchsetzen können. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Deutschen mit den Möglichkeiten, die wir haben, und mit dem, was wir uns bei diesen Gesprächen zu flankieren vorgenommen haben, erfolgreich sein werden. Wir, die deutsche Bundesregierung, werden selber aktiv werden. Wir werden Gespräche mit anderen Ländern und selbstverständlich mit der Kommission suchen. Wir werden natürlich sehen, dass wir all das, was wir für CETA schon erreicht haben, was wir bei TTIP noch besser machen wollen, was wir bei CETA auch wieder rückkoppeln können, zu einer Regelung zusammenführen, die insgesamt zu noch mehr Transparenz und Offenheit führt. Wenigstens für meine Begriffe ist von zentraler Bedeutung bei solchen Verfahren, sicherzustellen, dass es immer ein faires Verfahren geben kann und dass man sich gegebenenfalls mit einem Rechtsmittel, in welcher Art auch immer, gegen Entscheidungen wehren kann. Dann kommen wir mit dieser Art von Regelung in diesem Investitionsschutzverfahren schon ganz gut weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Vorbereitung auf diese Rede habe ich ein ganz gutes Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages gelesen. Auf etwa acht Seiten setzt er sich sehr gut mit diesem Thema auseinander und stellt sehr gut dar, welche Verbesserungen tatsächlich schon erfolgt sind. Das sollte man sich gern einmal anschauen, wenn man sich mit dem Ganzen noch inhaltlich auseinandersetzen will. Ich würde gern noch etwas zu dem Antrag der Linken sagen, der sich mit CETA ja gar nicht beschäftigt, sondern nur mit einem bestimmten Gutachten. Ich würde Sie herzlich bitten, nicht Menschen zu diskreditieren, die einen Auftrag wahrgenommen haben, den das Haus, das ich hier heute vertrete, erteilt hat. Ich finde, Sie können das Wirtschaftsministerium angreifen, wenn Sie meinen, dass wir falsche Gutachter beauftragt haben. Aber einem unabhängigen Professor zu unterstellen, schon in der Überschrift, er würde ein Gefälligkeitsgutachten erstellen, ist eine Unverschämtheit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da muss ich mich wirklich schützend vor die Person stellen. Noch einmal: Wenn Sie da Kritik haben, greifen Sie das Haus an! Wir werden uns zu wehren wissen, und wir können Ihnen sehr gut erklären, worin der Unterschied zwischen einem Schlichtungsverfahren und einem Schiedsverfahren besteht; der ist Ihnen offenbar entgangen, Herr Ernst. Er ist ein Schlichter und keineswegs ein Schiedsrichter. Da gibt es wesentliche Unterschiede. Der eine macht ein Urteil, der andere macht einen Vergleichsvorschlag. Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Deshalb noch einmal die Bitte: Lassen Sie unsere unbescholtenen Professoren in Deutschland unbescholten! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Bärbel Höhn spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich auf die Kollegen Pfeiffer und Hirte eingehen, die sich zu den Konsultationen geäußert haben. Ich finde, es ist eine absolute Unverschämtheit, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie 3 000 substanzielle Eingaben zu diesen Konsultationen – normalerweise sind es bei solchen Konsultationen 200; diesmal waren es 3 000 – und 145 000 Menschen, die sich mit der Sache beschäftigt haben, die am Ende ihre Unterschrift gegeben haben, hier so diskreditieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist etwas, was die Politikunzufriedenheit wirklich schüren wird. Sie gehen da mit Bürgerinnen und Bürgern auf eine Art und Weise um, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Es wird am Ende auch die Demokratie beschädigen, wie Sie mit solchen Konsultationsverfahren und der Beteiligung der Bürger umgehen. So geht es nicht, liebe Kollegen von der CDU und CSU! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Klaus Barthel [SPD]) Zu dem Gutachten, das von Schill gemacht worden ist. Frau Zypries, ich glaube, da haben Sie genau recht. Man soll gar nicht das Gutachten an sich kritisieren. Ich kritisiere aber sehr wohl die Fragestellung des Wirtschaftsministeriums; denn am Ende hat sich der Gutachter eigentlich fast nur mit Gesetzesvorhaben beschäftigt und kaum mit Verwaltungshandeln. Die Klagen werden sich aber wesentlich gegen Verwaltungshandeln richten. Deshalb wäre es notwendig gewesen, den Auftrag um genau diese Frage zu erweitern. Deshalb richtet sich die Kritik in der Tat gegen das Wirtschaftsministerium und nicht unbedingt gegen den Gutachter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir erleben, dass wir mittlerweile eine Klagewelle haben, was diese Schiedsverfahren angeht; das ist der Punkt. Da hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Wir haben auf EU-Ebene vom Jahr 2012 zum Jahr 2013 eine Verdoppelung der Zahl der Klagen. Die meisten davon richten sich gegen Umweltregulierungen oder Ressourcenschutz, auch gegen soziale Fragen, aber vor allen Dingen gegen Industrieländer. Es ist gar nicht mehr so wie früher. Da kam es zu solchen Verfahren, weil vielleicht kein sicheres Rechtssystem vorhanden war. Klagen richten sich jetzt zunehmend gegen Industrieländer. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir mit einer Delegation des Umweltausschusses gewonnen haben, als wir uns in den USA mit diesen Fragen beschäftigt haben, war, dass gerade Anwaltskanzleien in den USA diese Schiedsverfahren zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Die Frage ist doch, ob wir Handlanger für Rechtsanwaltskanzleien in den USA sein wollen, die sich mit diesem Geschäftsmodell mittlerweile eine goldene Nase verdienen. Das kann doch wohl nicht sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir erleben – ich will einen bestimmten Punkt noch einmal aufgreifen, nämlich die Gentechnik –, dass wir in der Gentechnik ein sehr komplexes Problem haben. In Nordamerika ist es so, dass der Gentechnikaspekt einer Pflanze bei der Genehmigung gar nicht berücksichtigt wird; wenn sie wie ein Pestizid wirkt, wird sie sozusagen als Pestizid behandelt und zugelassen. Wenn da mehrere Kompenenten vorhanden sind, gibt es in Zukunft teilweise keine Zulassungsverfahren mehr. Die Wechselwirkungen werden nicht beachtet. Es wird also zunehmend Gentechnikpflanzen in Nordamerika geben, die nicht einmal ein Zulassungsverfahren hatten. Wenn wir diesem Freihandelsabkommen zustimmen, zukünftig Gentechnikpflanzen hier aber verbieten, dann gibt es natürlich Klagen von Monsanto & Co. Ich sage Ihnen: Wegen der Schiedsverfahren werden wir diese Gentechnikpflanzen hier in Europa und Deutschland nicht aufhalten können. Das ist ein ganz großer Kritikpunkt. Das ist ein Verlust an Verbraucherschutz, den hinzunehmen ich nicht bereit bin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dirk Becker [SPD]) Das Freihandelsabkommen CETA – dazu haben wir ja die Texte vorliegen – ist ein Einfallstor für die Gentechnik in Europa und Deutschland, und das wissen Sie auch. Ich erwarte deshalb gerade vom Wirtschaftsminister, dass er sich für die Verbraucherinteressen, die wir hier in Deutschland haben, genauso einsetzt, wie er sich zum Beispiel für die Interessen von energieintensiven Betrieben eingesetzt hat, und ich erwarte von der Kanzlerin, dass sie sich so einsetzt, wie sie sich für einen höheren zulässigen CO2-Ausstoß von großen Autos eingesetzt hat. Das höre ich vom Wirtschaftsminister nicht. Ich höre, dass er herumreist, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist unfair!) aber ich höre öffentlich nicht, dass er sich wirklich intensiv für die Verbraucherschutzinteressen in diesem Handelsabkommen einsetzt. (Klaus Barthel [SPD]: Das wissen Sie doch gar nicht!) Das heißt, wir Grüne sind nicht gegen Handelsabkommen, aber wir sind für faire Handelsabkommen. Nur faire Handelsabkommen sind freie Handelsabkommen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] – Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Neue Position!) Deshalb sage ich: Wir müssen CETA aufschnüren, und wir müssen CETA verändern. Ansonsten wird es zu Recht Demonstrationen der Bevölkerung geben, die dann zu Recht für ihre Interessen kämpft. Da möchte ich Sie einmal sehen. Sie werden sich da plötzlich wegducken (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, Na!) und nicht mehr um das kümmern, was die Leute wirklich interessiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Jürgen Hardt. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegen Ende der Debatte möchte ich nicht all das vortragen, was hier schon gesagt wurde, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber nicht!) sondern möchte auf die Argumente eingehen, die im Einzelnen hier vorgetragen wurden und vielleicht den einen oder anderen neuen Gedanken zusätzlich hereinbringen. Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Die Frage der Handelsabkommen mit Kanada und mit den USA ist für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und der -Europäischen Union von essenzieller Bedeutung. Selbstverständlich sind schlechte Handelsabkommen eine schlechte Hilfe hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung und gute Abkommen eine gute Hilfe. Deswegen sollten wir über Parteigrenzen hinweg gemeinsam daran arbeiten, dass wir gute und zuverlässige Handelsabkommen bekommen, so wie Deutschland auch jetzt schon viele Handelsabkommen hat, von denen es profitiert. Jenseits der Polemik der Debatte hier im Haus, aber überwiegend außerhalb dieses Hauses habe ich doch das Gefühl – ich habe mit Frau Künast darüber beim Tagesspiegel diskutiert –: Die Grünen halten sich die Hintertür, dass sie vielleicht eines Tages doch für dieses Abkommen sein könnten, sperrangelweit offen. Ich finde, das ist ein positives Zeichen. Deswegen lohnt es sich auch, mit Ihnen zu reden. Auch das, was Frau Höhn gerade gesagt hat, war ja ein Schritt in diese Richtung. Warum sind Handelsabkommen wichtig für uns? Ich sage es einmal ganz konkret: Hinsichtlich der wirtschaftlichen Wirkungen von Handelsabkommen, CETA mit Kanada oder TTIP mit den USA, haben wir natürlich die Situation, dass wir nur schwer einschätzen können, wie viel das konkret an mehr Arbeitsplätzen und in Euro bzw. Dollar ausmacht. Ich will mich auch nicht auf Prognosen stützen. Da geht die eine in die eine Richtung und die andere in die andere Richtung. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die strategische Bedeutung dieser Abkommen nicht zu überschätzen ist. (Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Genau!) Angesichts der Tatsache, dass in dieser Welt China, Indien, südamerikanische und afrikanische Staaten, Indonesien, Korea, auch Russland ganz stark darum buhlen, wer den Ton bei der Frage angibt, was fairer Welthandel ist, haben wir hier die Chance, für 50 Prozent der Weltwertschöpfung, für 50 Prozent des Weltbruttosozialprodukts, nämlich Europäische Union plus Nordamerika, unsere Vorstellungen von fairen Standards im Welthandel und von fairen Bedingungen bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen durchzusetzen. Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir uns auf dem Wege dahin verzetteln und scheitern, dann werden die anderen sagen: Ihr Europäer, ihr Amerikaner wollt uns sagen, was fairer Welthandel ist? Ihr seid ja nicht einmal in der Lage, Standards für euren relativ vergleichbaren Wirtschaftsraum herzustellen. Jetzt geben wir den Ton an und sagen, wohin die Reise geht. – Dann müssen wir auf deren Zug mitfahren, und nicht umgekehrt. Umgekehrt ist es natürlich so, dass wir dann, wenn wir für einen Wirtschaftsraum, der etwa 50 Prozent der Weltwertschöpfung ausmacht, Regeln setzen, zwar keinen in China oder Indien zwingen können, sich bei der Produktion an diese Regeln zu halten; aber wenn er in unseren Wirtschaftsraum hinein will, muss er sie erfüllen. Den Unternehmer in Fernost, der das ignorieren kann, der sozusagen 50 Prozent des Marktes einfach vernachlässigt, indem er sich nicht daran hält, möchte ich sehen. Das ist für mich eine riesige Herausforderung, das bietet für mich eine riesige Chance, die wir unbedingt wahrnehmen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Da werden, wie ich finde, gewisse Polemiken und auch Übertreibungen dem Ernst der Sache nicht gerecht. Ich möchte auch den Kollegen Landwirtschaftsminister da noch ein bisschen in Schutz nehmen. Sie wissen ja, dass das Wiener Schnitzel bekanntermaßen nicht Wiener Schnitzel heißt, weil es aus Wien kommt, sondern weil es aus Kalbsfleisch besteht. Warum ist es aus Kalb? Weil es ja eigentlich ein Cotoletta Milanese ist. – Ich will damit nur deutlich machen: Die Frage, wie die Bezeichnungen nach regionaler Herkunft in der Europäischen Union geregelt sind, ist ja durchaus bedenkenswert. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir wollen das auch ändern!) Wenn wir auf dem Wege eines Handelsabkommens dazu kommen, dass im Zuge einer entsprechenden Diskussion dafür gesorgt wird, dass der Verbraucher erkennen kann, ob in dem Parmesankäse holländische oder polnische Milch drin ist oder ob die Milch tatsächlich aus Oberitalien stammt, dann würde das einen Fortschritt darstellen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) In diesem Sinne habe ich unseren Landwirtschaftsminister verstanden. Deswegen auch seine plakativen Beispiele. Frau Dröge, ganz kurz zum Thema Kölsch, weil es mir ein persönliches Anliegen ist. Kölsch wird an der Stadtgrenze von Düsseldorf und in Bonn gebraut. Deshalb kann es nicht regional geschützt werden. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Daraufhin haben sich alle 22 Kölsch brauenden Brauereien im Rheinland zusammengeschlossen und das Wort „Kölsch“ als Markennamen schützen lassen. Damit haben sie das Problem, dass sie keine Bezeichnung nach regionaler Herkunft anwenden können, umgangen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht!) – Sie brauchen nicht mit dem Kopf zu schütteln. Der Mann, der das gemacht hat, war vor 25 Jahren mein Nachbar in Köln. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte ganz konkret etwas zu dem Thema der Schiedsverfahren sagen. Den von der Staatssekretärin verwendeten Begriff „problematisch“ würde ich so nicht verwenden. Es ist aber eine der großen Herausforderungen im Rahmen dieser Abkommen, für diese Schiedsverfahren vernünftige Regeln zu entwickeln. Ich sage Ihnen auch: Ich halte es für völlig unrealistisch, dass wir die Kanadier davon überzeugen würden, dass sie darauf verzichten. Die Gespräche, die ich geführt habe, geben dazu keinen Anlass. Auch wenn Sie mit US-Amerikanern darüber reden – ich habe mit einer Person, die daran maßgeblich beteiligt ist, gesprochen –, halte ich es für unrealistisch, dass es aufgegeben wird, nachdem vereinbart wurde, dass wir so etwas machen. Ich bin aber der Meinung, wir sollten die Chance wahrnehmen, daraus Schiedsverfahren neuen Typs zu machen, und zwar konkret bei CETA, das dann ein Role Model, also ein Vorbild, für TTIP sein kann, was wir mit den Amerikanern verhandeln. Ich finde ein paar Aspekte ganz entscheidend bei dem CETA-Verfahren. Erstens. Transparenz. Das CETA-Verfahren wird sich, anders als bisherige Schiedsverfahren, nach diesen neuen UN-Transparenzrichtlinien richten. Wir haben bisher nur den vorläufigen englischen Text, 1 600 Seiten, des Handelsabkommens vorliegen. Wir werden das alles sorgfältig auch in deutscher Sprache prüfen müssen. Ich habe den Eindruck, dass dies ein qualitativer Sprung ist mit Blick auf die Transparenz dieses Verfahrens. Zweitens. Ganz wichtig ist, dass derjenige, der nach einem Schiedsverfahren in CETA ein Schiedsgericht anruft, ein relevantes Geschäft haben muss. Die Diskussion, dass man irgendwo eine Briefkastenfirma gründet, um in den Genuss der Vorteile eines Schiedsverfahrens im Handelsabkommen zu kommen, fällt nach CETA weg. Er wird konkret ausgeschlossen. Sie müssen substanziell betroffen sein, und zwar schwerwiegend im Sinne von Enteignung oder ähnlichen schwerwiegenden Eingriffen, damit Sie überhaupt das Recht haben, einzuschreiten. Und Sie müssen geltend machen, dass Sie als Teilnehmer des jeweils anderen Teils des Handelsabkommens – also als Amerikaner in Europa oder umgekehrt – gegenüber denen diskriminiert sind, die aus dem anderen Teil des Marktes kommen. Die Frage, ob die Veränderung eines Umweltstandards in Deutschland zu Schiedsgerichtsverfahren führt, ist natürlich mit Nein zu beantworten. Das würde für ein deutsches Unternehmen, für ein italienisches Unternehmen, für ein englisches Unternehmen in Deutschland genauso wie für ein amerikanisches Unternehmen gelten. Somit wäre das gar kein Gegenstand, wo die Diskriminierung des Teilnehmers aus dem jeweils anderen Wirtschaftsteil stattfindet. In diesem Sinne möchte ich nur deutlich machen, dass es eine massive Weiterentwicklung der Schiedsverfahren gibt. Wir werden uns das genau ansehen. Wir werden auch als Parlament Einfluss nehmen. Das Parlament wird sowieso ein ganz entscheidendes Wort bei diesen Handelsabkommen sprechen. Wir werden sowohl bei CETA als auch bei TTIP darüber im Deutschen Bundestag abstimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die deutsche Bundesregierung wird, wenn sie im Rat ihre Stimme abgibt, mit Sicherheit dem Deutschen Bundestag Rechenschaft darüber ablegen, wie sie im Rat abzustimmen gedenkt. Sie kennen alle die Regeln, die wir hier im Deutschen Bundestag haben: Theoretisch könnten wir die Regierung förmlich binden in ihrem Abstimmungsverhalten im Rat. Also die Vorstellung, dass etwas an den demokratisch gewählten Vertretern vorbeiläuft, ist unbegründet. Es hat, wie ich finde, massive Versäumnisse in der Informationspolitik in den letzten Jahren gegeben. Ich finde, sie sind im Jahr 2014 zu wesentlichen Teilen auch aufgelöst und aufgehoben worden. Die neue Kommission – Juncker, Timmermans, als erster Vizepräsident dafür zuständig, und Frau Malmström, die neue Handelskommissarin – hat in der Öffentlichkeitsarbeit einen gänzlich anderen Stil gewählt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Am 7. Januar ist ein ganzer Stapel von Dokumenten ins Netz gestellt worden, mit denen wir uns auseinandersetzen können. Ich finde, dass der Bundeswirtschaftsminister, der es in dieser Frage mit seiner Doppelrolle wirklich nicht einfach hat – das muss ich einmal sagen –, einen guten Job und eine gute Öffentlichkeitsarbeit macht. Ich bitte nur ganz herzlich darum: Lassen Sie uns das Thema mit dem notwendigen Ernst und in dem Bewusstsein um das, was auf dem Spiel steht, sorgfältig und sauber beraten. Lassen wir uns von Menschen, die aus anderen – bei dem einen oder anderen vielleicht auch dumpf antiamerikanistischen – Motivationen dagegen vorgehen, nicht beirren. Lassen Sie uns gemeinsam Unklarheiten auflösen! Ich möchte, weil ich noch 50 Sekunden Redezeit habe, eine Unklarheit nennen. Dass die kommunale Selbstverwaltung oder die Frage der kommunalen Daseinsvorsorge betroffen ist, kann man weder bei CETA noch bei TTIP sagen. In den Leitlinien für die Verhandlungen über TTIP steht unter Ziffer 20: Das wird nicht angerührt. – Das steht außer Frage; es wird auch nicht bestritten. Dennoch beschließen jetzt die Räte im ganzen Land entsprechende Resolutionen auf der Basis von Text-entwürfen, die sie von einzelnen Fraktionen oder vom Städtetag bekommen. Für mich hat das den Charakter der folgenden Entscheidung: Der Rat der Stadt Köln beschließt, der Kölner Dom soll nicht abgerissen werden. Dafür wird man im Rat der Stadt Köln immer eine Mehrheit finden; nur hat keiner den Plan, den Kölner Dom abzureißen. – Es hat auch keiner den Plan, die kommunale Daseinsvorsorge, so wie wir sie in der Europäischen Union und im Rahmen der WTO geschützt haben, infrage zu stellen. Ich bin guten Mutes, dass wir die Zweifler, die Skeptiker überzeugen werden. Ich bin guten Mutes, dass die Antiamerikaner in Deutschland nicht so stark sind, dass sie uns da wirklich reingrätschen können. Ich möchte Sie ermutigen, die heutige Debatte als Auftakt zu nehmen, zukünftig sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst mit diesem Thema umzugehen, auf allen Seiten des Hauses. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Matthias Miersch, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hardt, vielen Dank für diesen Beitrag. Ich glaube, er war am Ende wohltuend, weil er eines gezeigt hat: Viele, die sich augenblicklich äußern, sind verunsichert; sie stellen Fragen. Die Mindestverpflichtung des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland ist die sachliche Auseinandersetzung mit den Ängsten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da hilft es nicht, von einer „Empörungsindustrie“ zu sprechen. Da hilft es aber auch nicht, Herr Kollege Ernst, so zu tun, als ob der deutsche Rechtsstaat die Lösung wäre; denn wir sind schon viel weiter. Es gibt nicht nur den deutschen Rechtsstaat, und viele Probleme, die wir hier heute zu lösen haben, sind allein nationalstaatlich nicht mehr in Gänze zu lösen. Auch das muss man den Menschen sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Umweltpolitiker sage ich Ihnen, dass wir beim internationalen Klimaschutz das Spannungsfeld zwischen notwendigen internationalen Verträgen und deren Umsetzung hautnah erleben. Aber gleichzeitig erleben wir beim Thema Grüne Gentechnik, dass wir es nicht einmal schaffen, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Haltung zu erreichen, sodass es jetzt mit der Opt-out-Klausel eine – ich sage es mal so – Renaissance des nationalstaatlichen Handelns gibt. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Bundesregierung dafür gestimmt hat!) Insofern müssen wir überlegen, wie es bei diesen sensiblen Themen, bei CETA und bei TTIP, aussieht. Ich bin froh, dass wir mit Bernd Lange einen Sozialdemokraten haben, der als zuständiger Berichterstatter im -Europäischen Parlament genau die Fragen, die Sie von den Grünen in Ihrem Antrag gestellt haben, gerade in Ihrem Sinne klärt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was mir aber zu kurz kommt – deswegen werde ich ein bisschen hellhörig, wenn Sie eine sofortige Abstimmung wollen –, ist die Tatsache, dass es um viel mehr geht als nur Schiedsgerichte – ja oder nein –; es geht vor allen Dingen auch um die zugrundeliegenden Anspruchsgrundlagen. Da haben wir bei CETA beispielsweise augenblicklich 500 Seiten englischsprachigen Text vor uns liegen, mit einem Verweis auf ein Anlagenkonvolut von rund 1 000 Seiten. Ich weiß nicht, ob sich jemand in diesem Haus zutraut, auf alle Fragen zu antworten. Ich finde es jedenfalls legitim, dass sich Leute an uns wenden und sagen: Guckt da genau nach! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte gerade als Umweltpolitiker ein Thema herauspicken, das mich ganz besonders berührt und bei dem ich befürchte, dass wir in Verbindung mit der Konstruktion der Schiedsgerichtsbarkeit ein ganz ungutes Gebräu bekommen: Wir haben zwei unterschiedliche fundamentale Rechtsgrundsätze im europäischen bzw. im kanadischen und amerikanischen System: Wir haben in Europa den sogenannten Vorsorgegrundsatz. Den gibt es in Kanada und in den USA in dieser Form nicht. Die Frage ist, inwieweit wir in diesen Abkommen – zumindest bei CETA; darauf komme ich gleich noch zu sprechen – die Unterminierung dieses Grundsatzes ermöglichen. Ich finde, wir müssen dieser Fragestellung nicht nur in einer Debatte, wie wir sie heute führen, sondern in einer Vielzahl von Unterredungen nachgehen. Die von mir angesprochenen 500 Seiten enthalten eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Aber wer hat die Hoheit der Auslegung? (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!) Es ist heute in keiner Weise angesprochen worden, dass neben den Schiedsgerichten auch im CETA-Verfahren andere Gremien geschaffen werden, sogenannte Regulierungsräte, die – soweit ich es verstehe – zumindest Auslegungskompetenzen erhalten können; ich sage das ganz vorsichtig. Ich finde, wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen. (Beifall der Abg. Klaus Barthel [SPD] und Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Denn wenn intransparente Gremien, die nicht demokratisch legitimiert sind, die Auslegungshoheit bekommen, dann geben wir – und das sage ich auch mit Blick auf die Parlamentarier im Europäischen Parlament; das betrifft nicht nur die Parlamentarier der nationalen Parlamente – demokratische Legitimität ab. Das könnte ich nicht verantworten. Deswegen möchte ich um diese Frage ringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen auf zahlreichen Seiten Fragezeichen machen. Ich finde – da teile ich die Meinung der Kollegin Höhn –, wir sollten den Bereich Grüne Gentechnik ruhig ansprechen. CETA enthält ein Kapitel, das die Überschrift „Dialog und bilaterale Zusammenarbeit“ trägt. In diesem Kapitel geht es um den Informationsaustausch gerade im Bereich der GVO, also der gentechnisch veränderten Organismen. Es gibt eine gemeinsame Zielerklärung, in der es heißt – wenn meine Übersetzung stimmt –, dass das gemeinsame Ziel die Förderung wissenschaftsbasierter Zulassungsprozesse sei. Genau das haben wir im Vorsorgeprinzip im europäischen Kontext eben nicht. Wir müssen nicht beweisen, dass etwas gefährlich ist, sondern wir können auch etwas verbieten, weil wir uns unsicher sind, ob es gefährlich ist. Das sind fundamentale Unterschiede. Wenn diese durch die entsprechenden Klauseln unterminiert werden, dann stehen Rechtspositionen zur Disposition, die wir nicht aus der Hand geben dürfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Aus dieser Debatte ergeben sich fünf ganz konkrete Forderungen. Erstens. Das Versäumnis, von Anfang an Transparenz herzustellen – das Sie, Herr Hardt, zu Recht angesprochen haben –, können wir nur wettmachen, indem wir uns die Zeit nehmen, die wir für eine sorgfältige Beratung brauchen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Wir müssen überdenken, ob die Beratungsformen, also wie wir hier im Parlament beraten, diesen Abkommen gerecht werden. Wir müssen überdenken, ob wir nur im Wirtschaftsausschuss oder nur im Umweltausschuss Anhörungen durchführen oder ob wir – der Wirtschaftsausschuss hat das an der einen oder anderen Stelle schon gemacht – uns hier öffnen, um die großen Abkommen interdisziplinär zu besprechen. Drittens. Die Anspruchsgrundlagen sind mindestens genauso wichtig wie die Systematik der Schiedsgerichtsbarkeiten oder der Regulierungsräte. Viertens. Wenn die Kommission aufgrund des Konsultationsverfahrens Änderungen bei TTIP anmahnt, dann muss das auch für CETA gelten; sonst geht das nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Fünftens. Wir sollten darüber nachdenken, ob das System sogenannter Positivlisten dazu führen kann, Rechtsunsicherheiten in vielen Bereichen der Abkommen zu beseitigen. Ich weiß, es ist ganz schwer, das jetzt noch bei CETA durchzusetzen. Viele Punkte offenzulassen, birgt die Gefahr, dass andere die Auslegung übernehmen. Insofern wäre das Positivlistensystem – Sie haben gerade die Daseinsvorsorge angesprochen – eine Möglichkeit, Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Vor uns liegt viel Arbeit. Ich freue mich auf eine sachliche Diskussion. Ich bin mir sicher, dass diese Themen eine Tragweite haben, die wir gar nicht hoch genug einschätzen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 19 a. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3747. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie mitberatend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition so beschlossen. Damit stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 18/3747 in der Sache nicht ab. Tagesordnungspunkt 19 b. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3729 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung auch so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits Drucksache 18/3693 (neu) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits Drucksache 18/3694 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem -Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits Drucksache 18/3695 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Sitzplätze eingenommen haben, können wir mit der Aussprache beginnen. – Ich eröffne die Aussprache. Ich rufe zunächst den Staatsminister Michael Roth auf. Er hat das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und meine Herren! Die Debatte, die wir heute führen, findet in Zeiten einer schweren Krise im Osten Europas statt. Wir alle, insbesondere die Bundesregierung, bemühen uns seit vielen Monaten um die Abwendung dieser Krise, und wir arbeiten an einer politischen Lösung. Wir alle wissen: Wir sind noch sehr weit davon entfernt. Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine die Fundamente der europäischen Friedensordnung infrage gestellt. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs drohen neue Trennlinien auf unserem Kontinent. Von neuen Mauern und neuer Entfremdung wären die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien unmittelbar betroffen, nicht nur wegen ihrer geografischen Lage. In allen drei Ländern gibt es, wenn auch in ganz unterschiedlicher Ausprägung, Bestrebungen in beide Richtungen: einerseits die traditionell engen Beziehungen zu Russland, andererseits den Wunsch nach einer stärkeren Anbindung an Europa. Angesichts der derzeitigen Krise ist es umso bemerkenswerter, dass diese drei Länder gerade jetzt die Zusammenarbeit mit der EU abermals vertiefen wollen. Der Abschluss der Assoziierungsabkommen mit der EU am 27. Juni des vergangenen Jahres hat dies eindrucksvoll gezeigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Assoziierungsabkommen wollen wir die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien auf ihrem schwierigen Weg der Reformen begleiten: mit Rat und mit Tat, aber eben auch mit finanzieller Unterstützung. Die Abkommen setzen einen klaren, verbindlichen Rahmen für weitere tiefgreifende Reformen in diesen Ländern, die bitter nötig sind. Unsere östlichen Nachbarn modernisieren, öffnen und demokratisieren Schritt für Schritt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich freue mich über die bisherigen Erfolge und Fortschritte. Doch die eigentlichen Bewährungsproben liegen noch vor uns. Denn nun gilt es, über 1 000 Seiten Regelungswerk umzusetzen. Das wird ein ziemlicher Kraftakt, der die Länder grundlegend verändern dürfte. Ein solch radikaler Wandel vollzieht sich nicht ohne Spannungen. Er kennt eben nicht nur Gewinner, sondern er bringt, zumindest kurzfristig, immer auch Verlierer hervor. Die Regierungen unserer Partnerländer wissen, was die Menschen in der Ukraine, in der Republik Moldau und in Georgien jetzt von ihnen erwarten und einfordern: Rechtstaatlichkeit, Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption, eine leistungsfähige Justiz und Verwaltung. Wenn das gelingt, dann rückt das in greifbare Nähe, was wir uns alle im Interesse dieser Menschen wünschen: stabile Demokratien, in denen das Recht geachtet und die Menschenrechte geschützt werden, erfolgreiche Wirtschaften und ein starker Sozialstaat. Wir wissen aber eben auch: Die EU wird das Ziel einer stabilen, demokratischen und wirtschaftlich gedeihenden Nachbarschaft nur dann erreichen, wenn diese Länder auch gute Beziehungen zu ihrem großen Nachbarn im Osten pflegen. Es geht für die Ukraine, für die Republik Moldau und für Georgien eben nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung; denn die Östliche Partnerschaft will unsere Partnerländer eben nicht vor die Wahl stellen, und schon gar nicht ist dieses Projekt gegen Russland gerichtet. Ich möchte aber auch sagen: Russland hat kein Recht, in der Ukraine territoriale Fakten zu schaffen oder die Staaten der Östlichen Partnerschaft mit Strafen zu belegen. Hier steht die Europäische Union geschlossen an der Seite unserer östlichen Nachbarländer, die auf unsere Solidarität zählen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Fähigkeit zur Selbstkritik wird von der Europäischen Union immer wieder eingefordert. Wir haben uns natürlich auch gefragt: Was ist da möglicherweise falsch gelaufen? Mit Blick auf die Östliche Partnerschaft hat Russland erst nach jahrelangen Assoziierungsverhandlungen ernste Bedenken angemeldet, und leider hat Russland Mittel gewählt, die sich überhaupt nicht mit guter Nachbarschaft und internationalem Recht vereinbaren lassen. Diese von Russland gewählten Mittel sind inakzeptabel. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich weiß aus sehr vielen persönlichen Gesprächen – das deckt sich sicherlich mit Ihren eigenen Erfahrungen, liebe Kolleginnen und Kollegen –: Keines der östlichen Partnerländer möchte seine jahrhundertealten Verbindungen zu Russland abbrechen. Auch die Europäische Union misst den Beziehungen zu Russland weiterhin eine ganz hohe strategische Bedeutung bei. Die Bundesregierung setzt sich nicht nur unermüdlich für eine politische Lösung der Ukraine-Krise ein. Wir nehmen natürlich auch die Sorgen Russlands über die Auswirkungen der Assoziierungsabkommen auf seine Wirtschaft ernst. Wir haben auch Bereitschaft gezeigt, die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens mit der Ukraine für 15 Monate auszusetzen, um zu überprüfen, wo es möglicherweise Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit dieser Staaten mit Russland gibt. Die Europäische Union ist also durchaus zu vernünftigen und praktikablen Lösungen bereit, die dem Frieden und der Sicherheit der ganzen Region dienen. Aber es ist eben auch klar – das haben wir Russland immer wieder deutlich gesagt –: Wenn die EU Verträge mit Drittstaaten schließt, dann gibt es für Russland kein Vetorecht. Am Anfang dieses Gesetzgebungsverfahrens möchte ich einen kleinen Wunsch äußern, liebe Kolleginnen und Kollegen: Im Mai dieses Jahres findet in Riga das nächste Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft statt. Die große Mehrheit unserer Partner in der Europäischen Union wird bis dahin die Ratifizierung der drei Asso-ziierungsabkommen abgeschlossen haben. Ich fände es großartig, wenn auch wir, als Motor der europäischen Nachbarschaftspolitik, unsere Ratifizierungsverfahren bis dahin abgeschlossen hätten. Daher bitte ich Sie um eine intensive, aber auch um eine zügige Beratung. Wir stehen als Bundesregierung unterstützend bereit. – Ich darf heute diese Abkommen für die Bundesregierung hier einbringen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Wolfgang Gehrcke, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Genosse Gehrcke, los!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Genosse Wellmann! Wir wollen gleich zur richtigen Anrede übergehen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, dass wir als Erstes darüber nachdenken, was wir den Menschen in Moldawien, in Georgien und in der Ukraine wünschen sollten und was wir möglicherweise dazu beitragen können, ihre Wünsche zu erfüllen. Ich möchte gern, dass die Menschen in der Ukraine, in Moldawien und in Georgien sozial wie auch von den demokratischen Rechten her etwas besser leben, als es heute der Fall ist und in der Vergangenheit der Fall war. Das ist mir ganz wichtig. Ich glaube, dass mit diesen Abkommen – ich befürchte dies insbesondere für die Ukraine – griechische Verhältnisse einziehen werden (Manfred Grund [CDU/CSU]: Oder polnische! Und das ist ein Erfolgsmodell!) mit einer Zerstörung des Sozialstaates und mit weiteren sozialen Verwerfungen. Ich möchte, dass das abgewehrt wird. (Beifall bei der LINKEN) Ich will nicht, dass wir den Menschen solche Vorschriften machen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also wollen Sie aus Griechenland eine Ukraine machen?) Ich möchte, dass für alle drei Länder Hilfsprogramme aufgelegt werden, die die Macht der Oligarchen begrenzen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie in Griechenland!) Das eigentliche Problem dieser Länder sind die Oligarchen, die diese Länder ausgeplündert haben und ausplündern. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, wir dürfen die Oligarchen nicht befördern, ihnen nicht auch noch Geld zuspielen, sondern wir müssen das Geld der Oligarchen umverteilen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin für eine Enteignung der Oligarchen in diesen Ländern. Das werden aber die Menschen in der Ukraine, in Moldawien und in Georgien selber leisten. (Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in Russland gleich mit!) – Wenn stattdessen Sozialismus in Russland eine Rolle spielen würde, wäre es mir nur recht, auch die Oligarchen in Russland zu enteignen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialismus oder Kommunismus?) Das Zweite, das mich sehr bewegt, ist Folgendes: Wir reden über diese Abkommen ja nicht in normalen Zeiten. Normalerweise spielen solche Abkommen der Europäischen Union in der Öffentlichkeit nicht so eine große Rolle. Wir reden aber jetzt in Zeiten darüber, in denen der Krieg als reale Gefahr in Europa auf der Tagesordnung steht. Ich finde, wir haben auch eine Verantwortung, darüber nachzudenken, ob sich die Entscheidung, dass sich drei Länder an der Grenze Russlands in ein westliches System integrieren, positiv oder negativ auf die Dämpfung der Kriegsgefahr auswirkt. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die alte Breschnew-Doktrin!) Ich zitiere wieder einmal Michail Gorbatschow, weil Sie das besonders trifft. Ich denke, dass wir Gorbatschow einen besonderen Verdienst und auch Verantwortung zurechnen können. Er warnte im Spiegel vor einem großen Krieg in Europa. Er wird im Spiegel zitiert: Ein solcher Krieg würde heute wohl unweigerlich in einen Atomkrieg münden. … Wenn angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden wir die nächsten Jahre nicht überleben. Das sagt Gorbatschow. Ich hoffe, dass er unrecht hat. Aber ich nehme seine Warnung sehr ernst und frage mich immer: Was können wir tun, auch speziell wir in Deutschland, damit es zu einer Dämpfung des Konfliktes kommt? Gorbatschow sagt weiter in Bezug auf Deutschland – das muss doch jeden von uns tief treffen –: Das neue Deutschland will sich überall einmischen. … In Deutschland möchten anscheinend viele bei der neuen Teilung Europas mitmachen. … Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg schon einmal versucht, seinen Machtbereich nach Osten zu erweitern. Welche Lektion braucht es noch? Welche Lektion braucht unser Land noch? Diese Frage legt uns Gorbatschow vor. Unser Land muss eine Lektion lernen, nämlich dass wir bei allem die künftigen Folgen bedenken. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube, es wäre im Moment klüger, mehr Druck zu entwickeln, dass besser verhandelt wird, dass Sanktionen aufgehoben werden und dass dieses Abkommen, so wie es ist, nicht ratifiziert wird. Das wäre ein Beitrag unseres Landes. Ich glaube, damit muss man sich ernsthaft auseinandersetzen. Ich habe die Befürchtung, dass das Abkommen Europa erneut spaltet, nicht zu guter Nachbarschaft mit Russland führt, nicht dazu führt, dass die eingefrorenen Konflikte, die nur mit Russland zusammen gelöst werden können, wirklich gelöst werden. Ich denke an Abchasien, Südossetien, Transnistrien, Berg-Karabach und viele andere Regionen. Diese Probleme kann man nur mit Russland zusammen lösen. Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich möchte gerne, dass wir darüber nachdenken, wie auch der 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus, die ohne die damalige Sowjetunion – das ist mehr als Russland; das sage ich gleich dazu – (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ukraine vor allen Dingen!) nicht denkbar gewesen wäre, würdig begangen werden kann. Ich finde, die Äußerung des ukrainischen Präsidenten – sie wurde hier in Deutschland auch im Fernsehen übertragen – (Franz Thönnes [SPD]: Ministerpräsident!) – des Ministerpräsidenten; Entschuldigung, ja; wo ihr recht habt, habt ihr recht; wenn ihr mir auch in der Folge zustimmt, wäre ich euch dankbar –, (Franz Thönnes [SPD]: Na, mal sehen! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ist gut!) dass die Sowjetunion über die Ukraine nach Deutschland einmarschiert ist, ist so katastrophal, dass ich hoffe, er hat sich in der Wortwahl geirrt. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Missverständnis ist wirklich lange aus dem Weg geräumt! Sie benutzen es wider besseres Wissen als Propaganda aus Moskau!) – Wenn es so ist, kann man das ja klarstellen. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist klargestellt!) Ich hoffe, dass hier klar ist: Deutschland und Europa sind auch von der Sowjetunion vom Faschismus befreit worden. An dieser inhaltlichen Position sollten wir keinen Millimeter rütteln lassen. Besten Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner ist Manfred Grund, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Manfred Grund (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer, insbesondere auf der Tribüne! Wir beraten heute drei Gesetzentwürfe zu Assoziierungsabkommen der Europäischen Union: mit der Ukraine, mit Georgien und mit der Republik Moldau. Es sind umfassende Assoziierungsabkommen, und die Abkommen mit Moldawien und Georgien beinhalten auch ein Freihandelsabkommen. Wir erhoffen uns von diesen Abkommen, dass dadurch die Wertevorstellungen der Europäischen Union, also unsere Wertevorstellungen, in Bezug auf Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und eine offene und freie Gesellschaft in diesen Ländern gefördert werden. Zum Ersten begründen diese Abkommen eine politische und gesellschaftliche Verknüpfung mit der Europäischen Union. Die wichtigsten Aspekte sind die notwendigen inneren Reformen, auf die sich diese Länder mit unserer Unterstützung verpflichten: Reform der Verwaltung, funktionierende Institutionen, Bekämpfung der Korruption, Unterbindung oligarchischer Strukturen und Einflussnahmen, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Diese Abkommen sind daher in erster Linie ambitionierte Reformprojekte, die innerhalb dieser Länder umzusetzen sind. Zum Zweiten begründen diese Abkommen eine gemeinsame Freihandelszone, und zwar eine umfassende und tiefgreifende. Dabei geht es um weit mehr als um den Abbau von Handelsbarrieren. Es geht um die schrittweise Integration dieser Länder in den europäischen Binnenmarkt einschließlich der Übernahme europäischer Rechtsstandards. Dabei wird nicht nur der freie Warenverkehr eröffnet, sondern es werden vor allem auch die Investitionsbedingungen in den Ländern selbst entscheidend verbessert, um den Menschen dort eine bessere wirtschaftliche Perspektive und eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Die Assoziierungsabkommen und die Freihandelsabkommen sind Modernisierungsabkommen. Wir können und wollen mithelfen, die Ukraine, Georgien und die Republik Moldau zu modernisieren: politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Damit sind diese Abkommen die einzig richtige Antwort auf die systemischen Probleme in diesen sogenannten Transformationsländern. Seit dem Ende der Sowjetunion befanden sich diese Länder Osteuropas in einer Art Zwischeneuropa. Sie -gehörten nicht mehr zum direkten Herrschaftsbereich Moskaus, waren aber auch nicht Teil des europäischen Einigungsprojektes. Was dieses Zwischeneuropa kennzeichnete, waren ein Zustand äußerer und innerer Instabilität, der Mangel an Perspektive und Entwicklung sowie – als Folge der Instabilitäten – innere und äußere Konflikte. Damit haben diese Länder mehr als zwei Jahrzehnte Stagnation, Verfall, Oligarchenwirtschaft und Erpressung erlebt. Deutlich wird dies auch an der unterschiedlichen Entwicklung der Lebensverhältnisse. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 25 Jahren waren die Lebensverhältnisse in der Ukraine, in Georgien und in Moldau ähnlich denen im Baltikum oder in Polen. Während aber die Länder des Baltikums und Polen der Europäischen Union beigetreten sind und einen beispiellosen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Aufschwung erlebten – Polen ist eine Erfolgsgeschichte, ein Erfolgs-modell –, hat die Entwicklung in der Ukraine und in Moldau stagniert. Schlimmer noch: Diese Länder haben Jahre und Teile ihrer Zukunft verloren. Junge, gut ausgebildete Menschen, die sich mit Stagnation und Korruption nicht abfinden wollten, sind in großer Zahl weggegangen. Es ist auch in unserem Interesse, dass diese Länder eine Entwicklungsperspektive, eine Modernisierungsperspektive erhalten. Das wird aber nur gelingen, wenn wir ihnen den Zugang zum europäischen Integrationsprozess eröffnen und das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer, der Georgier und der Moldauer anerkennen und diese Länder nicht hegemonistischen Bestrebungen opfern. Damit bin ich bei Russland und dem unerklärten Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Was hat Russland von einer modernisierten, reformierten und mit der EU assoziierten Ukraine zu befürchten, dass Putin die Ukraine fortgesetzt destabilisiert? Die Antwort liegt zum einen im hegemonistischen Denken Putins begründet, in seinem Bestreben, Russland zu alter Bedeutung und Größe zu erheben. In diesem Denken kommt die Ukraine als eigener souveräner Staat mit selbst entscheidender Bevölkerung überhaupt nicht vor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die größte Provokation, die größte Herausforderung für Putin wäre es wohl, wenn sich das europäische Erfolgsmodell wie in Polen auch in Moldau, Georgien und in der Ukraine und damit direkt vor seiner Haustür durchsetzte. Es ist, Kollege Gehrcke, nicht die Angst vor der Europäischen Union und auch nicht die Angst vor der NATO, die Putin umhertreibt – es ist die Angst vor einer modernisierten, vor einer offenen Gesellschaft; denn Putins Weg für Russland ist ein ganz anderer: ein Weg, der in das vergangene Jahrhundert zurückführt, der Nachbarländer nur als Einflusszonen wahrnimmt und der vor Krieg und Gewalt nicht zurückschreckt. Weil wir zu den Konfrontationen des letzten Jahrhunderts nicht zurückkehren wollen, weil wir aus Überzeugung für offene, moderne, freiheitliche, soziale Gesellschaften eintreten, sind diese Abkommen für die Menschen in der Ukraine, in Georgien und Moldau gute Abkommen, und es sind gute Abkommen für uns als bekennende Demokraten, als helfende Nachbarn und als überzeugte Vertreter einer offenen Gesellschaft. Kollege Gehrcke, Sie haben darauf Bezug genommen, was Jazenjuk hier gesagt hat. Er hat gesagt, die Sowjetunion sei in seiner Heimat einmarschiert. In diesem Jahr vor 70 Jahren endete Gott sei Dank der Zweite Weltkrieg. Vorbereitet wurde er mit einem Pakt, den Stalin und Hitler zusammen vor 75 Jahren unterzeichnet haben (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) und in dem es um die Aufteilung Polens ging. Jazenjuk ist geboren in Czernowitz. Czernowitz war zu diesem Zeitpunkt Teil von Polen; insoweit hat Jazenjuk mit seiner Äußerung recht, dass die Sowjetunion bei ihm zu Hause einmarschiert sei. Das waren weiß Gott keine guten Zeiten, nicht für die Ukraine, nicht für Polen. Wir sind froh und dankbar, dass wir einen Teil dessen, was durch den Zweiten Weltkrieg mit uns verbunden ist, wiedergutmachen können. Wir werden die Ukraine, Georgien und Moldau nicht Russland sozusagen vor die Haustür werfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Norbert Spinrath [SPD] und Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war Klartext!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Marieluise Beck von den Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in der Zeit zurückgeht und sich die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 anschaut, dann kann man sehen, dass die europäische Friedensordnung damals tatsächlich auf neue Füße, auf gemeinsame Füße gestellt worden ist. Sie ist dann noch einmal präzisiert worden durch die Charta von Paris von 1990, das Folgetreffen in Helsinki 1992 und den Gipfel in Lissabon 1996. In all diesen Papieren wird noch einmal deutlich auf die Integrität der Grenzen und das Recht souveräner Staaten auf freie Bündniswahl hingewiesen. Das ist nicht nur 1975 von Breschnew unterschrieben worden, sondern auch von Russland nach Ende des Kalten Krieges. An diese Zeiten, an dieses Versprechen sollten wir Russland erinnern. Diese Texte sind ein Bekenntnis zur Demokratie, zur Wahrung von Frieden und Souveränität. Es ist ein Drama, dass all das mit dem Krieg in der Ukraine und mit der Enteignung von Territorien in Georgien und Moldawien über den Haufen geworfen wurde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Die heute zur Debatte stehenden Assoziierungsabkommen sind sicherlich kein Gnadenakt der EU – natürlich geht es auch um Interessen, um die Erweiterung von Handelsräumen –; aber diese tausend Seiten sind gleichzeitig auch ein Angebot, diesen Ländern bei ihrer inneren Transformation beizustehen. Das heißt: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Chance auf Befreiung von Korruption. Selbst wenn die Bürgerinnen und Bürger, die sich auf dem Maidan versammelt haben, diese tausend Seiten nicht gelesen haben – sie haben sie mit Sicherheit nicht gelesen –, haben sie doch eines verstanden, und zwar die Botschaft dieses Abkommens. Diese ist: Wir haben die Chance, uns endlich von Oligarchen und korrupten Beamten zu befreien, wir haben die Chance, entsprechende Institutionen aufzubauen. (Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) Deswegen haben die Menschen auf dem Maidan gesagt: „Wir wollen nach Europa“, wozu sie ja geografisch gehören. Die Botschaft dahinter war: Wir wollen demokratische, rechtsstaatliche Länder werden mit allen entsprechenden Freiheiten, befreit von der Last von Oligarchie und Korruption; das ist unsere Zukunft. – Das war die Botschaft des Maidan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass diese Länder mit den Assoziierungsabkommen mit der EU vor ein Entweder-oder gestellt worden seien, ist ein Mythos. Das ist einfach falsch. Diese Abkommen, die Freihandelsabkommen sind, haben es ermöglicht, weitere Freihandelsabkommen – auch die bestehenden mit Russland – weiter aufrechtzuerhalten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Plan Putins, die Zollunion in die Eurasische Union zu verwandeln, ist eine protektionistische Idee. Länder wie Moldau und die Ukraine hätten neue Zölle einführen müssen. Sie hätten sich also aus dem Trend, Zölle abzubauen und damit einen großen Handelsraum zu schaffen, ausklinken müssen. Es ist einfach ein Drama, dass die Idee von Medwedew, einen Handelsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu schaffen, mit dieser protektionistischen Politik vonseiten des Kremls zerstört worden ist. Sie ist nicht durch die EU-Assoziierungsabkommen zerstört worden und wird auch nicht durch sie zerstört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich finde, es ist sehr wichtig, dass wir diese Länder nicht nur mit Entschiedenheit auf dem schwierigen Weg begleiten. Wir wissen durch Griechenland – und in Griechenland herrscht kein Krieg –, wie zäh und langwierig der Aufbau von rechtsstaatlichen Institutionen ist, wie schwierig es ist, eine vernünftige und belastbare Steuerverwaltung sowie ein Gerichtswesen aufzubauen. Und das ist ein EU-Staat! Insofern ist vollkommen klar, dass wir uns auch den Zeithorizont klarmachen sollten, wenn wir derzeit danach fragen, wie weit die Ukrainer jetzt sind. Der Weg ist sehr lang. Die Menschen dort sind bereit, diesen Weg zu gehen, weil sie – Kollege Grund hat das eben erwähnt – an -Polen sehen, dass Demokratie und Prosperität tatsächlich zusammengehören. An Polen kann man sehen, dass gutes Leben für die Menschen entsteht, wenn es Demokratie gibt, und dass es nicht entsteht, wenn Oligarchen und korrupte Staatsinstitutionen die Bevölkerung ausnehmen können. Insofern wissen die Menschen, dass schwierige Transformationszeiten vor ihnen liegen, aber sie wollen sie. Die Oligarchen in der Ukraine werden derzeit vor allen Dingen durch den Krieg geschützt. Der Krieg gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Macht aufrechtzuerhalten. Das sieht man in Dnipropetrowsk. Insofern führen die Ursachen für Transformationshindernisse derzeit zur aggressiven Politik Russlands. Das sollten wir hier ganz deutlich sagen. Es ist nicht ehrlich, wenn man nur beklagt, dass die Oligarchen nicht bereit sind, ihre Macht abzugeben, oder nicht ausreichend bekämpft würden. Die Teilung Europas durch die Konferenz von Jalta ist 1990 nicht endgültig überwunden worden, sondern nur in Teilen, und jetzt kommt der nächste Schritt. Die nächsten souveränen Staaten klopfen an die Tür der Europäischen Union. Wir sollten diese Tür weit offenhalten und sie einladen, dazuzukommen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist noch ein langer Weg, und ich sage auch – das ist auch vom Staatsminister betont worden –: Wir wünschen uns, dass Russland auf diesem Weg dabei ist. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Wir kommen jetzt zum nächsten Redner, Karl-Georg Wellmann von der CDU/CSU. Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Genosse Gehrcke, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) das Volk der Ukraine hat sich für den europäischen Weg entschieden, und zwar in zwei freien und unabhängigen Wahlen. Die Menschen dort haben entschieden, dass sie Teil der europäischen Familie sein wollen. Sie haben sich übrigens vorbildlich verhalten und den Radikalen trotz des Krieges und der Wirtschaftskrise keine Chance gelassen. Das hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle sowohl in den deutschen Bundesländern als auch in Frankreich gewünscht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die europäische Nachkriegsordnung unter Einschluss des gesamten europäischen Regelwerks gibt jedem Staat das Recht, Herr Gehrcke, über sein Schicksal und seine Zugehörigkeit auch zu überstaatlichen Organisationen selbst zu entscheiden. Niemand – auch kein Nachbarstaat; egal wie groß er ist –, hat ein Vetorecht, und das gilt auch für Russland. Russlands Denken in Einflusszonen lehnen wir ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Franz Thönnes [SPD]) Die Ukraine hat ein verbrieftes Recht auf Selbstbestimmung, und dieses Recht hat sie wahrgenommen, indem sie das Assoziierungsabkommen unterschrieben hat. Der Versuch der Einflussnahme Russlands auf den Gang der Dinge, die militärische Aggression, werden wir nicht akzeptieren. Solange diese militärische Aggression fortdauert, gibt es auch keine Möglichkeit, die Sanktionen aufzuheben. Wenn wir diese völkerrechtlichen Prinzipien ernst nehmen, dann müssen wir in der Tat alles tun, um die Ukraine politisch und ökonomisch zu stabilisieren. Das heißt, wir müssen dem Land auf dem Weg nach Europa intensiv helfen. Wir dürfen die alten Fehler nicht wiederholen. Sie haben als Beispiel Polen angesprochen, Frau Beck. Die Ukraine muss eine klare europäische Perspektive haben. Andreas Schockenhoff hat es an dieser Stelle gesagt: Wenn denn eines Tages, wann immer das sein wird, die Voraussetzungen erfüllt sind, muss die Ukraine die Chance haben, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Wir haben es bei Polen erlebt: Als es in den 90er-Jahren zum Abschluss eines Assoziierungsabkommens kam, haben wir uns geweigert, Polen eine europäische Perspektive zu geben. Polen ist dann Mitglied in der EU geworden und ist geradezu ein Musterknabe unter den Beitrittsländern und eine große Bereicherung für Europa. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Ukraine hat übrigens – das müssen wir all denen sagen, die Angst vor einem Fass ohne Boden haben – ein großes Potenzial. Ukrainische Unternehmen und Ingenieure können Dinge, die wir nicht können. Was ihnen fehlt, ist westliches Know-how und westliches Kapital. Aber wenn dies dazukommt, kann und wird die Ukraine ein großer Gewinn für Europa sein. Wir müssen uns deshalb in der Ukraine nachhaltig engagieren. Wir dürfen den EU-Enthusiasmus der Maidan-Bewegung, der Zivilgesellschaft, nicht enttäuschen. Wir müssen leider feststellen: Ein Jahr nach den Protesten auf dem Maidan geht es den Menschen dort nicht besser, sondern schlechter. Sie stellen die Frage: Wann geht es uns besser? Wir haben doch die Assoziierungsverträge schon vor fast einem Jahr unterschrieben. – Wenn wir das Vertrauen der Menschen in der Ukraine nicht verspielen wollen, dann müssen wir schnell etwas machen und müssen schnell zeigen, welche Vorteile Europa für sie hat. Wir dürfen, wenn wir das Vertrauen der Maidan-Bewegung nicht enttäuschen wollen, keine Buchhalterdiskussionen führen. Den Enthusiasmus der Menschen für die europäischen Werte dürfen wir nicht enttäuschen. Aber es muss ebenso klar gesagt werden, dass wir keine Kompromisse machen, wenn es um die notwendigen Reformen geht. Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten: Rezession und Krieg im Osten des Landes. Wir müssen auch sagen, dass wir mit den bisherigen Reformen seit dem Amtsantritt der Übergangsregierung noch nicht zufrieden sein können. Die Ukraine wird sich politisch und ökonomisch nur stabilisieren, wenn es zu einem umfassenden Wandel kommt. Die Ukraine braucht so etwas wie einen Marshallplan; das ist inzwischen eine Binsenweisheit. Aber das setzt nicht mehr und nicht weniger als eine fundamentale Neugestaltung des Verfassungssystems, der Justiz und der Finanzverfassung voraus. Nur wenn sich die Ukraine zu einer rechtsstaatlichen Demokratie nach europäischem Vorbild transformiert, wird eine solche Hilfe möglich sein. Die westliche Staatengemeinschaft und vor allem wir Deutsche müssen sehr viel mehr Engagement und auch Fantasie entwickeln, wie wir die Ukraine voranbringen können. Dazu gehört eine sehr fundierte Beratung und Unterstützung bei den wichtigsten Themen: bei der Verfassungs- und Justizreform, der Finanz- und Steuer-verfassung, den nötigen Wirtschaftsreformen und den großen Reformen im Bereich von Polizei und Staatsanwaltschaft. Leider kann sich die Ukraine jetzt keinen mehrjährigen Verfassungsdiskurs leisten. Sie hat alles, aber keine Zeit. Deshalb muss es schnell gehen. Wir alle sind aufgefordert, möglichst viele pensionierte Landräte, Oberstadtdirektoren, Bürgermeister, Gerichtspräsidenten und Finanzamtsvorsteher in unseren Wahlkreisen zu motivieren, für eine Weile in die Ukraine zu gehen und dort beim Aufbau zu helfen. Wenn wir all das jetzt versäumen sollten, dann werden wir in Europa am Ende sehr viel mehr als nur die Ukraine verlieren. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Franz Thönnes, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Franz Thönnes (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Staatsminister Roth hat die Rahmenbedingungen, unter denen wir heute die drei Assoziierungsabkommen beraten, treffend und umfassend beschrieben. Man muss aber auch sagen: Nicht zuletzt, weil auch die internationale Lage so schwierig ist, verdienen die ständigen Bemühungen von Außenminister Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel unsere vollste Unterstützung, damit es so schnell wie möglich wieder zu einem Treffen kommt, um einen erneuten Versuch zu unternehmen, Frieden in diese Region zu bringen und den Konflikt friedlich zu lösen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch wenn die Rahmenbedingungen so sind, wie sie von meinen Vorrednern beschrieben worden sind, ist heute ein Tag der Freude; denn wir haben heute ein wichtiges Etappenziel in der Östlichen Partnerschaft zu beraten. Mit dem Abschluss der Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 mit der EU ist ein ganz wichtiger Schritt vollbracht worden, und heute wollen wir einen nächsten Schritt gehen. Es war ein großer historischer Moment, als am 16. September 2014 das Europäische Parlament auf der einen Seite und die Werchowna Rada auf der anderen Seite in Kiew, per Video miteinander verbunden, zeitgleich dem Vertragswerk zugestimmt haben, einem Vertragswerk, dem die zentrale Idee von Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand, dem Wegfall der Visapflicht, von Sicherheit, Demokratie und der Mitgliedschaft im demokratischen Haus zugrunde liegt. Deswegen freuen wir uns, dass wir jetzt an diesem Punkt sind. Aber gleichzeitig muss uns klar sein: Wir stehen vor großen Herausforderungen, die teilweise schon skizziert worden sind. Zum Vertragen gehört auch Verantwortung, und zur Verantwortung gehört, auszusprechen, dass sowohl die EU als auch die Ukraine vor einem großen Aufgabenfeld stehen. Wenn von sechs Ländern, mit denen man den Prozess der Östlichen Partnerschaft begonnen hat, am Ende mit dreien ein Assoziierungsabkommen geschlossen werden kann, müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, warum das nicht mit allen gelungen ist. Wir kennen die Druckmechanismen, aber wir wissen auch um die Befindlichkeiten in den Ländern. Letzten Endes gilt ihr Selbstbestimmungsrecht. Zudem darf man die Frage stellen, ob immer alles richtig eingeschätzt und bewertet worden ist. Hat man beispielsweise berücksichtigt, dass 36 Prozent der -Exporte der Ukraine in die Mitgliedstaaten der Zollunion, 24 Prozent nach Russland und 30 Prozent nach Europa gehen? Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 30 Prozent! Ein Drittel!) Hat man berücksichtigt, dass ein Drittel der Exporte Georgiens nach Russland gehen? Hat man berücksichtigt, dass 500 000 bis 700 000 Gastarbeiter aus Moldawien in Russland sind? War es nicht doch ein Fehler – und ich bleibe dabei, weil auch Bundeskanzlerin Merkel das mittlerweile unterstützt –, dass EU-Kommissionspräsident Barroso gesagt hat: „Die Ukraine muss sich entscheiden, entweder oder“? (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber faktisch falsch!) Das war keine gute Situation. Bei dem ausgesetzten Teil des Freihandelsabkommens geht es jetzt darum, dass Russland liefern muss, wenn es um die Kriterien geht und darum, welche Beschwernisse aus russischer Sicht bestehen, wenn es umgesetzt wird. Seit dem 12. September 2014 hat es leider keine weiteren Zusammenkünfte gegeben. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin? Franz Thönnes (SPD): Ja, selbstverständlich. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Kollege Thönnes, ich stimme Ihnen zu, was den Eindruck betrifft, die Ukraine müsse sich im Hinblick auf eine gute wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit, aber vor allem auch in der Handelszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Staaten der Zollunion, mit denen sie bilaterale Freihandelsabkommen hat, entscheiden. Ich lege aber Wert darauf, dass nach meinem Verständnis Herr -Barroso zwar damals gesagt hat, die Ukraine müsse sich entscheiden und wissen, dass sie für den Fall, dass sie der Zollunion beitritt, nicht mehr mit einem Freihandel mit der Europäischen Union rechnen könne, weil die Vorgaben der Zollunion weder WTO-tauglich sind noch mit den Freihandelsbestimmungen der Europäischen Union übereinstimmen, dass dies aber nach den Aussagen von Barroso nicht für den Status quo galt. Das heißt, dass die bisherigen Freihandelsabkommen der Ukraine mit den Staaten der Zollunion weiterhin in Kraft bleiben können. Dieser Unterschied ist relativ wichtig. Denn niemand, weder in der Ukraine noch in der Europäischen Union, möchte diesen Pfad der Ukraine, die seit 1991 die Strategie verfolgt hat, mit allen Nachbarn gute Handelsbeziehungen zu haben, also mit Russland, Weißrussland, der Europäischen Union, aber auch mit Georgien und Moldau, die übrigens auch nicht gerade irrelevant sind, ändern. Stimmen Sie dem zu? Franz Thönnes (SPD): Herr Kollege Sarrazin, ich glaube, dass an dieser Stelle dennoch der Eindruck vermittelt worden ist, als müsste man sich langfristig für das eine oder das andere entscheiden. Es wäre hilfreicher gewesen, gemeinsam danach zu suchen, wie ein solcher Eindruck verhindert werden kann, und im Hinblick auf eine ökonomische Tätigkeit mit der Europäischen Union und der Eurasischen Union auszuloten, inwieweit es Kooperationsmöglichkeiten gibt. Das war zum damaligen Zeitpunkt nicht gegeben. Dass eine solche Situation entstanden ist, die uns bis heute verfolgt, war nicht gut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Sonst würde man jetzt nicht einen Teil des Abkommens aussetzen. Das hätte man wesentlich früher anfangen können. Dann hätten wir uns das jetzt sparen können. Das ist sozusagen auch das Eingeständnis dafür. Ich möchte darauf hinweisen, dass die tiefe wirtschaftliche Kluft nicht so schnell überwunden sein wird und dass, wie Kollege Wellmann schon gesagt hat, so etwas wie ein Marshallplan notwendig ist. Der Chefanalyst für Osteuropa der Raiffeisen Bank International in Wien schätzt den Bedarf an privatwirtschaftlichen und öffentlichen Investitionen auf 200 Milliarden US-Dollar. Ich glaube, er liegt mit seiner Expertise nicht daneben. Das heißt, angesichts des Hintergrundes, vor dem die politisch Verantwortlichen in Kiew nun arbeiten müssen, wird es darauf ankommen – Staatsminister Roth hat darauf hingewiesen, dass es auch Verlierer geben wird –, bei diesem Prozess einen gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Ukraine zu organisieren. Als Ministerpräsident Jazenjuk in der letzten Woche über Reformen sprach, sprach er auch vom Kampf gegen Korruption, vom Abbau sozialer Leistungen, von Entlassungen im öffentlichen Dienst beschäftigter Menschen sowie von der Reduzierung von Einkommen und von Preiserhöhungen. Das alles sind keine guten Botschaften. Es muss daher ein sozialer Dialog erfolgen, in den Gewerkschaften, Unternehmen und die Zivilgesellschaft eingebunden sind, um die schwierigen Folgen der Umgestaltung abzumildern und dazu beizutragen, dass der Prozess in gute Bahnen mündet. Dabei könnten unsere Erfahrungen mit den Transformationsprozessen in der Eisen- und Stahlindustrie, der Kohleindustrie und bei der deutschen Einheit hilfreich sein. Der Prozess wird nur dann gelingen, wenn auch der soziale Zusammenhalt in der Ukraine gewahrt wird. (Beifall bei der SPD) Ich will hinzufügen, dass es auch notwendig ist, offen darüber zu reden, dass wahrscheinlich die aktuellen ökonomischen Machthabenden gar kein Interesse an einer nachhaltigen Modernisierung des Landes haben, sondern nur am Erhalt der eigenen Machtressourcen interessiert sind. Deswegen wird es wichtig sein, das Oligarchentum infrage zu stellen und die Verteilung wirtschaftlicher Macht neu zu regeln. Es ist wichtig, an dem anzusetzen, was sich auf dem Maidan entwickelt hat, also die NGOs zu stärken und zu fördern sowie eine Verzahnung mit der Zivilgesellschaft in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland zu organisieren. Schließlich geht es darum, den Prozess, der nun stattfindet, in einem Monitoring zu überwachen und zu begleiten. Notwendig ist ebenfalls, Schluss mit der Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Eliten zu machen. Die EU muss dabei helfen, dass die reformorientierten Kräfte in der Ukraine lokal, regional und national an neuer Stärke gewinnen. Schließlich geht es darum – auch deswegen ist dieses Assoziierungsabkommen so wichtig –, dass man sich kritisch mit den Menschenrechtsverletzungen durch die Freiwilligenbataillone auseinandersetzt. Insbesondere die Minderheitenrechte in der Ukraine sind deutlich zu wahren, wenn es um Sprache und Kultur geht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich will abschließend noch auf zwei, drei Punkte hinweisen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Nein, Herr Kollege, ich muss Sie leider ermahnen, zum Schluss zu kommen. Franz Thönnes (SPD): Dann komme ich zum Schluss. Wir haben bislang über die inneren Verhältnisse in der EU und der Ukraine geredet. Es wird notwendig sein, auch außenpolitisch ein Umfeld zu entwickeln, das eine friedliche Entwicklung in Europa gewährleistet; denn nur dann wird der Prozess der Transformation, der Assoziierung und des Weges nach Europa auch für die Ukraine friedlich verlaufen. Das bedeutet, die russische Perspektive zu berücksichtigen; denn die Landkarte ist nun einmal so, wie sie ist. Frieden in Europa wird sich nur mit Russland und nicht gegen Russland organisieren lassen. Russland muss aber wissen: Frieden in Europa und seine eigene Sicherheit werden nur gemeinsam mit Europa organisiert werden können. Dazu gehört neues Vertrauen, das durch nachweislich friedliches Handeln untermauert werden muss. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Bernd Fabritius von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle drei Abkommen formulieren dieselben Ziele. Durch diese sollen Wertevorstellungen der Europäischen Union in Bezug auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefördert und Handelsbeziehungen liberalisiert und ausgeweitet werden. Ja, so gesehen, Frau Kollegin Beck, ist das eine Ausweitung der Interessen- und der Wertegemeinschaft. Diese Ziele liegen in unserem Interesse und auch im Interesse der ukrainischen, der moldauischen und der georgischen Bürgerinnen und Bürger, Herr Kollege Gehrcke. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das bezweifle ich!) Bei den Wahlen im Oktober hat die ukrainische Bevölkerung den proeuropäischen Kurs klar bestätigt. Bei den Wahlen im November hat die moldauische Bevölkerung den proeuropäischen Kurs ebenfalls klar bestätigt. Auch die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Sommer in Georgien bestätigen diesen Kurs. Viel deutlicher geht es nicht, Herr Kollege Gehrcke. Die Abkommen sind seitens der EU die verbindliche Zusage, den europäischen Weg dieser drei Länder gemeinsam mit ihnen zu beschreiten und sich auch in Krisenzeiten solidarisch zu zeigen. Vor diesem Hintergrund war die Bewilligung weiterer EU-Kredite in der vergangenen Woche selbstverständlich richtig. Die Assoziierungsabkommen beinhalten auch eine verbindliche Zusage seitens der Ukraine, der Moldau und Georgiens als Antwort auf eine ganz klare Handlungsaufforderung. Mit den Unterschriften unter die Abkommen erklärten die Unterzeichner ihre Absicht zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zur Korruptionsbekämpfung und zu Reformen im Justiz- und Verwaltungssektor. Mit den Abkommen geht auch die Aufforderung einher, die Gesellschaften dieser Länder näher an die europäische Wertegemeinschaft heranzuführen. Es wurde zutreffend festgestellt – auch ich denke das –: Das macht Russland Sorgen. Allerdings erst dann, wenn diese Annäherung erfolgreich gelungen ist, können wir irgendwann auch über einen Beitritt sprechen; einen Automatismus dafür gibt es nicht. Die Republik Moldau spricht schon von einem Beitrittsantrag noch vor Jahresende. Die Ukraine hat als Ziel dafür das Jahr 2020 angegeben. Auch das halte ich für viel zu früh. Aber wir kommen damit der Sache etwas näher. Momentan gehen die Reformbemühungen in der Ukraine und in der Republik Moldau viel zu zögerlich voran. Es stimmt natürlich: Die Parlamentswahlen haben in der Republik Moldau und in der Ukraine für eine kurze Zeit des politischen Leerlaufs gesorgt. Das erklärt aber mitnichten, wieso zum Beispiel in der Ukraine die Schaffung einer Antikorruptionsbehörde seit Monaten verschleppt wird. Die chronischen Probleme im Menschenrechtsschutz bestehen fort; auch darauf wurde hingewiesen. Kinderobdachlosigkeit, Menschenhandel, häusliche Gewalt, Homophobie und die Diskriminierung von Roma gehören weiterhin zum Alltag. Das alles sind natürlich Probleme, die man nicht über Nacht lösen kann. Allein, ich sehe noch nicht einmal den Willen, diese Probleme zügig anzupacken. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! 1 Million aktive Bürger!) Ende November konnte ich mir von der Lage in der Republik Moldau als Wahlbeobachter bei den Parlamentswahlen ein eigenes Bild machen. Der Ausschluss einer chancenreichen Partei, unabhängig davon, wie man zu deren Inhalten steht, nur zwei Tage vor den Wahlen, sodass ein rechtsstaatliches Prüfungsverfahren dieses Ausschlusses lächerlich schien, war sicherlich kein Lehrstück demokratischen Verständnisses. (Zurufe von der LINKEN: Sehr richtig!) Einzig Georgien legt ein einigermaßen zufriedenstellendes Reformtempo vor. Korruptionsvorwürfen wird dort wirksam nachgegangen. Die OSZE bestätigt deutliche Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Lassen Sie mich Folgendes erwähnen: Wenn vor kurzem Verteidigungs-, Außen- und Europaminister mit viel Brimborium zurückgetreten sind, so liegt bei näherer Betrachtung der Hintergründe darin keinesfalls ein Rückschritt des Landes auf dem Weg in die richtige Richtung. Die beiden anderen Partner sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Der ukrainische Ministerpräsident warb in der vergangenen Woche bei seinem Besuch hier in Deutschland um mehr Investitionen in sein Land. Da sich jedoch mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korruption abschreckend auf Investoren auswirken, wird dieses Werben vermutlich ungehört verhallen, und das ist sehr bedauerlich. Ähnlich verhält es sich mit der Republik Moldau, die bei ausländischen Direktinvestitionen traditionell Schlusslicht in Europa ist. Auch hier ist mangelnde Korruptionsbekämpfung mit schuld an diesem Zustand. Ich bin deutlich für diese Abkommen. Fest steht aber: Unsere neuen Assoziierungspartner, besonders Kiew und Chisinau, müssen jetzt liefern – in ihrem eigenen Interesse und im Interesse einer erfolgreichen Assoziierung. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/3693 (neu), 18/3694 und 18/3695 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Mai 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz- und Zollbehörden Drucksache 18/3696 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hat eine Vorgeschichte von etwas über vier Jahren und ist dennoch, wie ich finde, hochaktuell. Im Oktober 2010 trafen sich Thomas de Maizière in seiner ersten Amtszeit als Bundesinnenminister und sein damaliger polnischer Amtskollege Jerzy Miller an der deutsch-polnischen Grenze bei Görlitz auf polnischer Seite. Sie vereinbarten, den derzeit geltenden bilateralen Polizeivertrag aus dem Jahr 2002 fortzuentwickeln. Am 15. Mai des letzten Jahres haben am selben Ort Minister de Maizière und sein nunmehriger polnischer Amtskollege Sienkiewicz den neuen deutsch-polnischen Polizeivertrag unterzeichnet. Es gab und gibt zwei wesentliche Gründe für die Neuverhandlung des bilateralen Polizeivertrages: Zum einen gab es und gibt es eine rechtliche Notwendigkeit. Polen ist seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union, und aufgrund der seit Dezember 2007 geltenden Schengen-Regelungen war es erforderlich geworden, das Abkommen von 2002 an den für beide Länder gleichermaßen geltenden europäischen Rechtsrahmen anzupassen. Zum anderen gab es den beiderseitigen Wunsch, die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit auch jenseits rechtlich zwingender Notwendigkeiten in der Sache weiter zu verbessern. Die Ziele waren also nicht nur die rechtlich notwendige Anpassung, sondern auch die Schaffung erweiterter Handlungsmöglichkeiten für die Polizei und den Zoll, um die Bevölkerung besser vor grenzüberschreitender Kriminalität zu schützen – wie ich meine, ein sehr wichtiges und richtiges Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir können heute sagen: Das ist uns mit dem neuen Abkommen auch gelungen. So können in Zukunft gemeinsame Streifen paritätisch im Format eins zu eins besetzt werden. Dabei wird den Beamten aus Polen und Deutschland die Möglichkeit eingeräumt, in dem jeweils anderen Land auch hoheitliche Aufgaben auszuüben – ein wichtiger Schritt. Die Beamten aus dem jeweiligen Nachbarstaat unterstehen dabei immer der Leitung eines Beamten des Gebietsstaates. Ermöglicht wird ebenfalls die Unterstellung von Beamten, das heißt die Aufnahme in einen Polizeiverband des Nachbarstaates. Auch das ist ein Vorgang, den wir heute vielleicht für selbstverständlich erachten, der aber vor 10 oder 20 Jahren im Verhältnis zu fast allen Nachbarstaaten noch unerhört gewesen wäre. Dies ist insbesondere im Falle der Unterstützung bei Großereignissen relevant. Zudem werden die Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch zu präventiven Zwecken erweitert. So sind künftig Grenzübertritte zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben und grenzüberschreitende Observationen auch zu präventiven Zwecken möglich. Schließlich wird der Zoll stärker als bisher in das neue Abkommen einbezogen. Die Zollbehörden werden zum Beispiel im Rahmen der Verfolgung von Zoll- und Verbrauchsteuerstraftaten zusammenarbeiten können, um insbesondere den leider sehr stark verbreiteten Zigarettenschmuggel besser bekämpfen zu können. Das ist natürlich nur ein Beispiel von vielen Anwendungsbereichen auf dem Gebiet des Zolls. Meine Damen und Herren, die erweiterten Handlungsmöglichkeiten für Polizei und Zoll sind angesichts der bestehenden Herausforderungen, insbesondere in den Grenzregionen, unbedingt erforderlich. Ein Blick in die Statistik zeigt zwar, dass der mit der Aufhebung der Grenzkontrollen im Dezember 2007 befürchtete Anstieg der Gesamtkriminalität weitgehend ausgeblieben ist; jedenfalls waren die Befürchtungen damals größer als die tatsächliche Entwicklung, was nicht heißen soll, dass die tatsächliche Entwicklung nicht schon besorgniserregend genug ist. Polen ist inzwischen selbst eher zu einem Transitland für andere östliche Staaten und dorther rührende Kriminalität. Dennoch: Die Kriminalität in der Grenzregion bleibt eine große Herausforderung, der wir uns natürlich stellen müssen. Vor allen Dingen die Kfz-Kriminalität, Wohnungseinbruchsdiebstähle sowie die Diebstähle auf Baustellen, etwa von höher- und hochwertigen Arbeitsmitteln, sind in der Grenzregion zu Polen in den letzten Jahren problematisch gewesen. Fest steht, dass Wohnungseinbruchsdiebstähle in Deutschland insgesamt weiter zunehmen. 2008 haben wir 108 284 Fälle registriert, 2013 bereits 149 500. Natürlich gibt es bei diesen Deliktzahlen teilweise erhebliche regionale Unterschiede, gerade in Brandenburg und Sachsen ist in den vergangenen fünf Jahren ein deutlicher Anstieg zu beobachten. Grund hierfür ist auch eine neue Art der Tatausführung durch inzwischen international vernetzte und sehr mobile Intensivtäter. Wir wissen alle, dass wir hier nicht nur über die Probleme des materiellen Verlusts sprechen. Wir haben an dieser Stelle schon einige Debatten zum Thema Wohnungseinbruchsdiebstähle geführt. Es ist für viele vor allem eine psychische Belastung, wenn sie erleben, dass in ihre Privatsphäre im wahrsten Sinne des Wortes eingedrungen wird. Es ist deshalb ein Phänomenbereich, der von uns wirklich sehr ernst genommen werden muss; das geht über den eigentlichen ökonomischen Schaden hinaus, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vor diesem Hintergrund hat die Frühjahrsinnenministerkonferenz 2014 verstärkte Maßnahmen zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls beschlossen. So werden wir zum Beispiel den länder- und staatenübergreifenden Informationsaustausch sowie die Lageerhebung und Analyse verstärken, um somit die Grundlage für die Einrichtung grenzüberschreitender Ermittlungskommissionen zu schaffen. Eine weitere Herausforderung stellt die voranschreitende Ausbreitung von kristallinem Methamphetamin – umgangssprachlich auch Crystal oder Crystal Meth genannt – dar. Mit 3 847 Sicherstellungsfällen – 10 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr – und einer Gesamtmenge von 77 Kilogramm wurden 2013 bundesweit erneut Höchstwerte bei Crystal Meth registriert. Beunruhigend bei den Sicherstellungen sind vor allen Dingen die hohen jährlichen Zuwachsraten. Es handelt sich zwar – das zu betonen, ist wichtig – nach wie vor hauptsächlich um ein Problem im deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Als Grundstoff für die Herstellung dient allerdings nahezu ausnahmslos das in -Polen derzeit noch in frei verfügbaren Erkältungsmitteln enthaltene Pseudoephedrin. Wir hoffen darauf, dass in Polen bald die erforderliche Gesetzesänderung zur Beschränkung der Abgabe ephedrinhaltiger Medikamente beschlossen wird. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung dieser furchtbaren Droge, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit den erweiterten Handlungsmöglichkeiten für Polizei und Zoll, die Gegenstand des neuen Abkommens sind, werden wir mehr Sicherheit für die Bürger, insbesondere in den Grenzregionen, erreichen. Die Bekämpfung der Kriminalität in den Grenzregionen – wie natürlich die Kriminalitätsbekämpfung allgemein – liegt in Deutschland selbstverständlich grundsätzlich in der Zuständigkeit der Länder. Daher haben die Länder den Weg zu diesem neuen Abkommen nicht nur eng mitverfolgt, sondern aktiv und intensiv mitgestaltet. Es ist deshalb gerade auch den Ländern ein besonderes Anliegen, dass das neue Abkommen möglichst zügig in Kraft tritt, und dies ist selbstverständlich auch im Interesse der Bundesregierung. Auf polnischer Seite – insofern gibt es da jetzt eine gewisse Anreizwirkung – hat das Parlament dem Abkommen bereits zugestimmt. Der polnische Präsident hat am vorletzten Tag des letzten Jahres das Vertragswerk bereits unterzeichnet. Aus Sicht der Bundesregierung wäre es wünschenswert, wenn auch in Deutschland das innerstaatliche Verfahren weiterhin so zügig vorangetrieben werden könnte. Meine Damen und Herren, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizei und Sicherheitsbehörden ist in unserer Zeit wichtiger und dringender denn je. Das gilt für die eben genannten Deliktsbereiche, die wir zum Teil, wie ich finde, fast irreführend als Alltagskriminalität bezeichnen; das sollte eigentlich nicht alltäglich sein. Aber natürlich gilt das auch in besonderer Weise für die Bekämpfung schwerster Kriminalität und die Bekämpfung des international agierenden Terrorismus. Nicht nur die furchtbaren Vorfälle in der vergangenen Woche in Paris, sondern auch der Anschlag in Brüssel im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass Gefahrenabwehr wie Tataufklärung nicht mehr rein national erfolgen können. Auch wenn der deutsch-polnische Grenzraum sicherlich nicht den Schwerpunkt von Aktivitäten terroristischer oder gar islamistischer Gruppen bildet, so schließen wir mit dem hier heute zu behandelnden Vertrag doch ein weiteres wichtiges Glied in der Kette der polizeilichen Zusammenarbeit in Europa. Aus diesem Grunde bitte ich Sie sehr herzlich, dafür zu sorgen, dass wir diesen Vertrag möglichst zügig in geltendes deutsches Recht überführen können. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke von der Linken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke hat überhaupt nichts dagegen, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in den Grenzregionen zu verbessern. Das gibt das Bundesinnenministerium ja als Ziel des neuen deutsch-polnischen Polizeiabkommens an. Wir haben auch nichts dagegen, wenn die Polizisten aus Frankfurt/Oder enger mit den Kollegen aus dem benachbarten Slubice zusammenarbeiten. Aber ich werde doch sehr stutzig, wenn ich im Vertragstext lese – Zitat –: Grenzgebiete im Sinne dieses Abkommens sind … die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und der Freistaat Sachsen. Herr Staatssekretär, haben Sie sich einmal die Landkarte angesehen? Schwerin, Potsdam, Leipzig sind ein ganzes Stück von der polnischen Grenze entfernt, und einen polnisch-berlinischen Grenzübergang gibt es nicht. Aber nicht nur in geografischer Hinsicht ist der Vertrag aus Sicht der Linken viel zu weitgehend. Zum Umfang der polizeilichen Zusammenarbeit gehört nach den Plänen der Bundesregierung – dazu haben Sie nichts -gesagt – auch die Abwehr von Flüchtlingen. Das klingt sehr nach Frontex, wenn es dort heißt – ich zitiere –: Informationen über die Routen und das Ausmaß illegaler Migration sowie über Migrationsphänomene … sollen ausgetauscht werden. Im Vertragstext wird die Flüchtlingsproblematik im Übrigen mit allen möglichen Verbrechen auf eine Ebene gestellt: Diebstahl, Waffenschmuggel, um nur einige zu nennen. Doch Flüchtlinge sind kein kriminalistisches und polizeiliches Problem; sie sind eine humanitäre Herausforderung für uns alle. Das sollten wir endlich einmal begreifen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Vertrag erleichtert den Einsatz von Polizisten beider Länder bei Großereignissen im jeweiligen Nachbarland. Nun mag es bei internationalen Fußballspielen sinnvoll sein, ein paar sprachkundige Polizisten aus dem Nachbarland dabeizuhaben. Das gibt es aber auch längst ohne dieses Abkommen, über das wir heute diskutieren. Hier werden jetzt vielmehr zusätzliche hoheitliche Befugnisse eingeräumt. Das heißt, ausländische Polizisten erhalten das gleiche Recht zum Beispiel zum Schlagstockeinsatz wie die inländischen. Dafür sehen wir überhaupt keinen legitimen Bedarf. Wollen Sie polnische Polizisten zum Beispiel zum 1. Mai nach Berlin holen, wenn hier demonstriert wird? Warum Sie Berlin zu einem Grenzgebiet von Polen erklärt haben, müssen Sie wirklich einmal erklären. Wir brauchen diese Art von Verstärkung nicht und wollen sie auch nicht. Ein weiterer, höchst kritischer Punkt ist die Einbeziehung des polnischen Inlandsgeheimdienstes ABW. Der ist wie sein deutsches Pendant demokratisch weitgehend unkontrollierbar und neigt zu Rechtsbrüchen. Im vergangenen Sommer hat der ABW zum Beispiel die Redaktion einer polnischen Zeitung gestürmt. Er wollte Daten über Informanten beschlagnahmen, die heikle Gespräche zwischen polnischen Spitzenpolitikern öffentlich gemacht hatten. Von Pressefreiheit scheint der ABW offenbar nicht viel zu halten. Und dieser Geheimdienst soll nun per Vertrag das Recht bekommen, verdeckte Ermittlungen auch in Deutschland durchzuführen? (Zuruf von der CDU/CSU: In unserem -Interesse!) Wir haben damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Ich will hier nur an den Fall des britischen Polizisten Mark Kennedy erinnern, der jahrelang in der linken Szene gespitzelt hat. Sicher, es gibt andere Phänomenbereiche, bei denen im Einzelfall durchaus eine verdeckte Ermittlung sinnvoll sein kann – aber durch die Polizei und nicht durch die Geheimdienste. Wenn dieser Praxis hier eine Blankovollmacht erteilt werden soll, lehnen wir das strikt ab. (Beifall bei der LINKEN) Wir sehen generell nicht ein, wieso unsere Polizeibehörden so eng mit dem polnischen Inlandsgeheimdienst kooperieren sollen. Die Linke plädiert dafür, auch in diesem Vertrag das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten auf jeden Fall zu berücksichtigen. Unterm Strich halten wir fest: Die Bundesregierung hat bislang nicht überzeugend klargemacht, warum dieses Abkommen überhaupt notwendig ist. Wir können Sie nur auffordern, mit der polnischen Seite nachzuverhandeln. Legen Sie dann einen Vertrag vor, der tatsächlich den Interessen der Bevölkerungen beider Länder entspricht – ohne Geheimdienste und ohne Flüchtlings-abwehr. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Wolfgang Gunkel von der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wolfgang Gunkel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Staatssekretär Dr. Krings hat ja schon recht ausführlich darüber berichtet, welche inhaltlichen Veränderungen -dieser Gesetzentwurf, welcher jetzt in Form eines Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen in Kraft treten soll, beinhaltet. Ich will zunächst etwas weiter zurückschauen als auf das Jahr 2010, als dieser Prozess begann. Ich will zurückblicken auf das Jahr 2004, und zwar deshalb, weil ich vor meiner Zeit als Abgeordneter für die Polizei-direktion Görlitz Verantwortung getragen habe. Sie heißt heute Görlitz, damals hieß sie Oberlausitz-Niederschlesien, und sie umfasst die gesamte polnische Grenze von Bad Muskau über Görlitz bis Zittau. Polen trat 2004 der Europäischen Union bei. Gleichzeitig damit fielen auch die Kontrollen des Zolls direkt an der Grenze weg, was zunächst einmal bedeutet hatte, dass eine Sicherheitskraft bei der Ausübung der Überwachung der Grenze fehlte. Das ist dadurch kompensiert worden, dass die Zöllner bewegliche Überwachungseinheiten gebildet und innerhalb der 30-Kilometer-Zone Überprüfungen vorgenommen haben. Es hat sich aber gezeigt, dass dies direkt an der Grenze auch zu einigen Überwachungsverlusten geführt hat. Hinzu trat drei Jahre später die Übernahme des Schengener Vertragswerkes durch Polen, sodass die Kontrollen der Bundespolizei, die Hand-in-Hand-Kon-trollen, die direkt an der Grenze durchgeführt worden sind, wegfielen. Damit wurde das möglich, was wir heute praktizieren: Es wurde ein grenzkontrollfreier Raum innerhalb Europas geschaffen, in dem sich jeder frei bewegen kann. Jeder hat das begrüßt. Jeder hat gesagt: Das ist hervorragend für die freiheitliche Entwicklung in unseren europäischen Ländern. Das hat natürlich auch – Staatssekretär Krings hat es schon gesagt – zu einigen Nachteilen geführt. Die Kriminalität – da muss ich Ihnen leider widersprechen – stieg zunächst an. Der Bundesgrenzschutz und die Bundespolizei haben bei Grenzkontrollen, die auch nur abgesetzt stattfinden konnten, mehr oder weniger illegale Grenzübertritte feststellen können. Das hat sich aber im Laufe der Zeit – da gebe ich Ihnen recht – normalisiert und ist unter den damaligen Erwartungen geblieben. Ich glaube schon, dass dies eine ganz wichtige Erkenntnis war, weil parallel dazu die übrige Kriminalität im Grenzgebiet in erheblichem Maße anstieg, was überwiegend die Länderpolizeien betraf, in diesem Fall das Land Sachsen. In Brandenburg war es ähnlich, jedoch von unterschiedlicher Ausprägung. In Sachsen war es jedenfalls so, dass in verstärktem Maße Wohnungseinbrüche und Diebstähle von Kfz zu verzeichnen waren. Man hat auch feststellen können, dass sich sehr viele kriminelle Gruppen gebildet haben, wobei nicht nur die Polen die Taten begangen haben, wie immer behauptet wird, sondern es waren zu über 60 Prozent Deutsche daran beteiligt, und sie haben die Straftaten gemeinsam verübt. Weil dadurch die Bevölkerung empfindlich in ihrer Sicherheit gestört wurde, war es notwendig, zu vereinbaren, dass man neben der Zusammenarbeit zwischen den deutschen Behörden, also Bundespolizei, Landespolizei und Zoll, auch die polnischen Behörden verstärkt mit einbinden muss. Man kann nicht sagen, dass wir das früher nicht schon gemacht hätten. Sie haben darauf hingewiesen, dass es gemeinsame Streifen und andere Dinge schon vorher gab. Das ist auch richtig. Nur hatten wir einige Hindernisse zu überwinden. Darauf möchte ich jetzt noch einmal zu sprechen kommen, weil es zeigt, weshalb ich diesen Vertrag für so wichtig halte. Erstens durften die Streifen, die das jeweils andere Land entsandt hatte, keine Waffen und anderen Ausrüstungsgegenstände mitführen. Man muss sich das so vorstellen: Der eine Polizist läuft voll ausgerüstet Streife, und der andere läuft daneben. Man hätte auch sagen können: eine Lachnummer. Ich will es einmal freundlich ausdrücken: Die Bevölkerung hat uns gesagt: Ach so, das ist ein Auszubildender, der läuft mit. – Als mehr ist er nicht eingeschätzt worden. Das war natürlich für ihn sehr unschön. Er hat sich nicht wohlgefühlt und wurde sowohl auf deutscher wie auf polnischer Seite nicht für voll genommen. Das ist natürlich bitter. Die Folge war, dass man dazu überging, dies etwas einzugrenzen. Über die Autobahnpolizei wurde dies dann als gemeinsame Ermittlungsgruppe aufgewertet, die gemeinsam tätig geworden ist und damit auch das genutzt hat, was schon angesprochen worden ist: beispielsweise die Sprachkenntnisse, wobei die polnischen Polizisten sehr viel besser Deutsch sprechen als die Deutschen Polnisch. Diese Art der gemeinsamen Streife ist nun in dem Abkommen fixiert. Jeweils das Land, das die Führung der gemeinsamen Streife stellt, ist für ihre Durchführung verantwortlich – das gilt auch für die rechtlichen Verhältnisse –, sodass nicht jeder Polizist in dem anderen Land machen kann, was er will, sondern er sich an die rechtlichen Vorschriften des Landes halten muss, in dem er tätig ist. Die Begleitung von Großereignissen ist hinzugetreten. Da ist ganz klar der Fußball zu nennen, Ereignisse wie die Weltmeisterschaft und die Europameisterschaft und Ähnliches. Da hat sich insbesondere 2006 beim Einsatz niederländischer Beamter in Nordrhein-Westfalen gezeigt, wie wichtig eine solche Zusammenarbeit sein kann. Diese Beamten können dann nicht einschreiten, wie sie wollen; derjenige, der den Einsatz führt, hat die Rechte festzulegen und zu entscheiden, ob Zwangsmittel oder irgendwelche Einsatzmittel angewendet werden. Das heißt, derjenige, der jeweils im Gastland tätig ist, handelt nicht auf eigene Rechnung, sondern nach dem Recht des Gastlandes und nach der Weisung des Betreffenden. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist ja sonst auch so, dass der Einsatzleiter das bestimmt!) – So ist es. Ich komme nachher auf die verdeckten Ermittlungen zu sprechen. Auch da ist das so. Da können Geheimdienste nicht irgendetwas machen, sondern es muss vorher angemeldet werden, genehmigt werden, und dann wird es in gemeinsamer Arbeit mit dem betreffenden Land abgewickelt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ändert nichts an unserem Misstrauen den Geheimdiensten gegenüber!) – Wenn Sie Misstrauen hegen: bitte schön! Ich sage mal: Die Kontrolle ist gewährleistet. Ich sehe da keine Gefährdungen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist nicht einmal in Deutschland gewährleistet! Wie kann es dann in Polen gewährleistet sein?) Auch Polizeibeamte nehmen verdeckte Ermittlungen vor. Sie sind schon bei uns sehr schwer durchzusetzen, weil es dort immer rechtliche Grenzen gibt. Aber wenn man gemeinsam mit den polnischen Behörden hier in Deutschland unter deutscher Aufsicht agiert, sehe ich keine Gefahr, dass da schwere rechtswidrige Taten begangen werden. Ein weiterer Punkt, der wichtig ist – das war für mich immer wieder bezeichnend –, ist die sogenannte polizeiliche Nacheile. Für Leute, die jetzt nicht wissen, was das im Einzelnen heißt: Das ist die Strafverfolgung auf frischer Tat. Wenn die Verfolgung über die Grenze hinweg ging, dann fielen bestimmte Rechte weg, die man sonst als Polizeibeamter hat, nämlich die der vorläufigen Festnahme und des Einsatzes anderer Zwangsmittel. Auch das wird jetzt mit dem Abkommen geregelt, in dem ganz genau festgelegt ist, dass derjenige, der sich auf einer Verfolgung befindet, nunmehr in das jeweilige Land hineindarf und die Maßnahmen alleine durchführen kann, es sei denn, dass durch die Information der zuständigen Behörde andere Beamte hinzutreten – dann muss man sich wieder an die Regeln des Gastlandes halten und entsprechend verfahren. Ich möchte hervorheben, dass das Abkommen im Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung zu sehen ist. Sie haben vorhin insbesondere die organisierte Kriminalität angesprochen. An diesem Punkt erlangt das Abkommen dadurch Bedeutung, dass man nun gemeinsame operative Ermittlungsgruppen bilden kann. Wenn Verfahren parallel geführt werden, können die Ergebnisse jetzt zusammengeführt werden. Es kann sein, dass auf polnischer oder auf deutscher Seite bestimmte Ermittlungsergebnisse vorliegen, die man vorher nicht abgleichen konnte. Jetzt kann man dies in gemeinsamen Gruppen zusammen abarbeiten. Das finde ich hervorragend. Im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch ist jetzt hinzugekommen, dass eine ganze Palette von Informationen der jeweils anderen Seite zugespielt wird. Dazu gehören Informationen zu Ordnungswidrigkeiten und anderen Strafsachen, die bisher nicht bekannt waren. Sie werden dann an die jeweils zuständigen Stellen übermittelt. Ein wesentlicher Punkt ist das Gemeinsame Zentrum, das nun in der polnischen Stadt bei Frankfurt an der Oder angesiedelt wird. Dort werden alle entsprechenden Behörden – Zollbehörden, Grenzbehörden und Polizeibehörden – zusammenarbeiten, um Informationen zu sammeln und zu verteilen. In diesem Zusammenhang ist natürlich besonders wichtig, dass dies bei grenzüberschreitender Kriminalität auch in Bezug auf Erkenntnisse zum Terrorismus erfolgt. Das wird dann an die einzelnen Stellen weitergeleitet. Ich möchte zum Schluss noch einen Punkt ansprechen. Es ist natürlich so, dass man nur dann polizeilich zusammenarbeiten kann, wenn Polizeikräfte da sind. Der Bürgermeister eines Grenzortes hat einmal gesagt: Was nutzt uns dieses Abkommen, wenn keine Polizisten vorhanden sind? – Da muss man an die Länder appellieren, in diesem Bereich nicht zu viele Kräfte abzubauen. Aber auch der Bund sollte sich noch einmal überlegen, inwieweit gerade in diesem Bereich die Bundespolizei kräftemäßig ausgedünnt werden soll. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir mit diesem Abkommen eine gute Entwicklung in Gang setzen. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen wird ein Erfolg für die innere Sicherheit sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin hat Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Europa ist nicht nur ein Wirtschaftsraum, sondern auch ein Raum der Sicherheit, des Rechts und der Freiheit. Diese Freiheit zu bewahren, ist auch eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden; denn natürlich können Konflikte und Kriminalität Ländergrenzen auch einmal überschreiten. Eine schnelle und effiziente Zusammenarbeit von Nachbarländern ist deswegen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vom Grundsatz her unerlässlich. Deshalb ist dieses Abkommen nicht nur ein wichtiger Baustein, sondern auch ein längst überfälliger Schritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Gunkel [SPD]) Denn der bisherige Polizeivertrag zwischen Deutschland und Polen stammt aus dem Jahr 2002. Er hat also einer dringenden Überarbeitung bedurft, weil er aus einer Zeit stammt, in der Polen weder Mitglied in der Europäischen Union war noch an den Schengen-Regelungen teilgenommen hat. Das gemeinsame Abkommen kann auf einer soliden Basis aufbauen. Seit 2007 existiert das Gemeinsame Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Schwetig. Den Kolleginnen und Kollegen, die hier unermüdlich im Einsatz sind, möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich für ihre Arbeit danken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Zentrum hilft dabei, grenzüberschreitende Operationen durchzuführen, Ressourcen zu bündeln, Sprachbarrieren zu überwinden sowie die Aufgabenerfüllung insgesamt viel effektiver zu gestalten. Allein schon das Wissen um Ansprechpartner bei den Nachbarn erleichtert Prozesse, die ansonsten sehr langwierig wären. Vor allem die gemeinsamen deutsch-polnischen Streifendienste – die bereits mehrfach angesprochen wurden – sind ein greifbares und sichtbares Symbol. Bei aller Kooperation ist es aber unerlässlich, dass die Verfahrens-garantien für Verdächtige in beiden Ländern umfassend gewahrt bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich gibt es bei der Zusammenarbeit auch Probleme: Wir haben es schließlich mit unterschiedlichen Strukturen im Staatsaufbau zu tun, mit verschiedenen Sprachen und auch mit unabhängigen Rechtsordnungen. Während zum Beispiel das Fahren ohne Fahrerlaubnis bei uns eine Straftat ist, ist es in Polen nur eine Ordnungswidrigkeit. Das nun auch bestimmte Ordnungswidrigkeiten in dem neuen Polizeivertrag erfasst sind, ist deswegen auf jeden Fall positiv. Ich habe mich aber genauso wie Frau Jelpke darüber gewundert, wie es sein kann, dass zum Grenzgebiet aufseiten der Bundesrepublik Deutschland die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen in ihrer Gänze gehören sollen. Das erscheint mir räumlich doch eine ziemliche Ausdehnung des Begriffs „Grenzgebiet“ zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Abkommen und institutionelle Zusammenarbeit bleiben eine leblose Hülle, wenn man dabei die Bürgerinnen und Bürger nicht mitnimmt. Deswegen muss man sich der Polemik gegenüber vermeintlich massenhaft auftretenden Straftätern aus Polen ganz klar entgegenstellen; denn Kriminalität funktioniert nun einmal in beide Richtungen. Allein die Feststellung, dass es einen Anstieg an Diebstählen von Kraftfahrzeugen, Landmaschinen und Fahrrädern im Grenzgebiet gibt, bedeutet doch noch lange nicht, dass alle Täter aus dem Nachbarland kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Übrigen kommt es auf polnischer Seite auch zu Straftaten durch Deutsche. Kriminelle Täterbanden in der Region setzen sich oft aus Deutschen, Polen und Litauern zusammen. Der klauende Pole ist und bleibt ein plattes Klischee. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Multikulti eben!) Es ist wichtig, dass es bei dem Abkommen über die Polizeizusammenarbeit nicht nur bei guten Absichten bleibt. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit muss auch durch ausreichende Stellen und Mittel abgesichert werden; denn schon jetzt gehen die Beamtinnen und Beamten in diesem Gemeinsamen Zentrum an ihre Belastungsgrenzen. An technischer Ausstattung mangelt es zum Teil ebenfalls erheblich. Die Landespolizeibehörden dürfen sich hier nicht aus ihrer Verantwortung stehlen, aber sie sind an den Grenzen nun einmal auf die -Unterstützung der Bundespolizei angewiesen. Anstatt die Bundespolizei also mit sachfremden Aufgaben wie mit der Bewachung der Goldreserven zu betrauen, sollten wir sie doch lieber in ihrem Kerngeschäft stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Punkt ist mir noch sehr wichtig. Polizeiliche Einsätze an den Grenzen dürfen nicht dazu führen, dass die Schengen-Regeln ausgehebelt werden und dass verkappte Grenzkontrollen durch die Hintertür eingeführt werden. Kontrolliert werden darf nur verdachtsabhängig. Alles andere bricht das Recht und den Geist Schengens. Es gibt in diesem Abkommen auch noch ein paar andere fragwürdige Vereinbarungen. Diese sind ja hier schon verschiedentlich angesprochen worden. Daher wäre es natürlich gut gewesen, wenn das Abkommen noch nicht unterzeichnet und wenn der Bundestag bei der Erarbeitung irgendwie beteiligt worden wäre. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Günter Baumann von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Günter Baumann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen konnten wir den 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR und des Falls der Mauer begehen. Dieses Ereignis war 1989 der Beginn für umfangreiche politische Veränderungen in Europa. Damit war auch ein schrittweiser Abbau von Grenzen verbunden. Offene Grenzen zu Tschechien und Polen sind ein wichtiger Schritt der Aufarbeitung einer teilweise sehr leidvollen Geschichte der Völker. Offene Grenzen sind aber auch entscheidend für eine bessere Entwicklung auf den Gebieten von Wirtschaft und Tourismus. Meine Damen und Herren, der Zugewinn an Freiheit brachte uns aber leider auch einen Anstieg an grenz-übergreifender Kriminalität, insbesondere organisierter Kriminalität. Beispiele wurden hier bereits genannt: Wohnungseinbrüche, Autodiebstähle, Diebstähle von Buntmetall und Traktoren, der Diebstahl einer ganzen Tierherde, Diebstähle aus Unternehmen, die oft zu großen Verärgerungen führen. Von der Insel Usedom über Frankfurt/Oder bis in die Lausitz und ins Erzgebirge gibt es überall dieselben Probleme. Gestatten Sie mir, um die Dimension einmal deutlich zu machen, zwei Fälle aus den letzten Tagen aufzuführen: Am letzten Sonntag wurden in der Nähe von -Greifswald aus einer Garage vier Traktoren, eine Strohballenpresse und ein Güllewagen im Gesamtwert von 560 000 Euro gestohlen. Das ist eine bemerkenswerte Dimension. Die Fahrzeuge wurden am helllichten Sonntag über die Insel Usedom Richtung Polen gefahren. Das fiel einem Bürger auf, der die Polizei benachrichtigt hat. Mithilfe der polnischen Kollegen konnten auf polnischem Gebiet im Terminal des Hafens von Swinemünde die Traktoren gefunden und sichergestellt werden. Ein zweiter Fall hat sich am letzten Wochenende in Dresden ereignet, wo Fahnder in einem Kleintransporter immerhin 2 Kilogramm Crystal gefunden haben. Wert: 100 000 Euro. Das ist organisierte, grenzübergreifende Kriminalität. Die Bürger in den Grenzregionen sind mit Recht besorgt, verärgert, verunsichert und verlangen natürlich, dass der Staat handelt. Der Staat muss handeln. Die Grenzen zu schließen, wie es manche Politiker fordern, oder Bürgerwehren, wie sie sich in manchen Orten gebildet haben, sind absolut keine Lösungen. Dem erteilen wir eine klare Absage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Staat, der das Gewaltmonopol in seinen Händen hat, muss es behalten und die Kriminalität mit allen Mitteln bekämpfen. Dem Bürger ist es vollkommen egal, wer für Ordnung sorgt: ob die Landespolizei, die Bundespolizei oder der Zoll. Er will einfach sicher leben. Es wurde bereits gesagt: Wir brauchen eine gut ausgestattete Polizei, wir brauchen eine zahlenmäßig starke Polizei, und wir brauchen – darüber reden wir heute – eine Polizei, die über Ländergrenzen hinweg agieren kann. Deutschland hat mit allen Nachbarstaaten bilaterale Abkommen geschlossen. Heute debattieren wir in erster Lesung über ein Abkommen mit Polen. Wir haben bereits einen Polizeivertrag, der auch funktioniert. Wolfgang, ich habe gestern mit deinem Nachfolger gesprochen, dem Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Görlitz. Er hat erzählt, was bisher funktioniert. Aber man kommt an gewisse Grenzen. Deshalb brauchen wir einen neuen Vertrag, mit dem wir einen Schritt weitergehen. Der Staatssekretär sprach bereits die Gründe an, warum ein neuer Vertrag erforderlich ist. Das hat zum einen mit veränderten europäischen Rahmenbedingungen zu tun, die wir hier beachten müssen: der Öffnung der EU-Grenzen zu Polen, dem Beitritt zum Schengener Abkommen. Das Zweite ist: Wir wollen – das ist in dem neuen Vertrag geregelt – einen größeren Handlungsspielraum. Es sind bereits Beispiele genannt worden. Ich möchte Ihnen diese ersparen. Frau Jelpke, warum die Länder? Es sind eben die Bundes- und die Landespolizeien, die einbezogen sind. Im Freistaat Sachsen haben wir über 700 Kilometer Außengrenzen, sodass die Landespolizei an allen Stellen gefordert ist. Deswegen gilt der Vertrag für die Landespolizeien, die Bundespolizei und den Zoll. Entscheidend ist, dass wir die Arbeitsbedingungen derjenigen, die für unsere Sicherheit zuständig sind, verbessern. Wir müssen ihnen mehr Spielraum geben und dafür sorgen, dass noch enger zusammengearbeitet wird. Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass die jeweils Verantwortlichen auf dem Nachbargebiet hoheitliche Aufgaben verrichten können, was ganz entscheidend ist. Wir haben mit dem Vertrag mit Polen eine Regelung geschaffen. Wichtig ist aber auch, dass wir in den nächsten Tagen, spätestens in den nächsten Wochen, über den gleichen Vertrag mit Tschechien verhandeln. Der hier bestehende Vertrag ist nämlich genauso alt und muss daher auf den Prüfstrand. Da sich auch in Bezug auf Tschechien die Bedingungen verändert haben, brauchen wir auch hier andere Regelungen. Der Vertragsentwurf, den wir heute beraten, signalisiert unseren Bürgerinnen und Bürgern, dass wir für mehr Sicherheit sorgen, und er ist eine ganz klare Kampfansage an die großen und kleinen Ganoven auf beiden Seiten der Grenze. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich ganz herzlich bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten von Bund und Ländern sowie bei den Zollbeamtinnen und Zollbeamten für ihren täglichen, engagierten, oft auch sehr gefährlichen Einsatz bedanken. Sie tun ihren Dienst für unsere Sicherheit. Dafür einen ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da ich der letzte Redner in dieser Debatte sein darf, habe ich Ihnen allen ein Geschenk mitgebracht: Ich möchte Ihnen zwei Minuten Zeit schenken. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, für das Geschenk, Herr Kollege. An einem Freitagnachmittag ist das sehr willkommen. (Günter Baumann [CDU/CSU]: So bin ich eben!) Ich schließe die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3696 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder Drucksache 18/2884 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2884 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. Januar 2015, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (Schluss: 14.27 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 16.01.2015 Alpers, Agnes DIE LINKE 16.01.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2015 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 16.01.2015 Frei, Thorsten CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 16.01.2015 Gabriel, Sigmar SPD 16.01.2015 Gleicke, Iris SPD 16.01.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 16.01.2015 Held, Marcus SPD 16.01.2015 Hupach, Sigrid DIE LINKE 16.01.2015 Kaczmarek, Oliver SPD 16.01.2015 Kassner, Kerstin DIE LINKE 16.01.2015 Kolbe, Daniela SPD 16.01.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 16.01.2015 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 16.01.2015 Metzler, Jan CDU/CSU 16.01.2015 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 16.01.2015 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2015 Oßner, Florian CDU/CSU 16.01.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 16.01.2015 Poß, Joachim SPD 16.01.2015 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 16.01.2015 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2015 Schiewerling, Karl CDU/CSU 16.01.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Steinmeier, Frank-Walter SPD 16.01.2015 Strässer, Christoph SPD 16.01.2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.01.2015 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 16.01.2015 Wichtel, Peter CDU/CSU 16.01.2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 16.01.2015 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder (Tagesordnungspunkt 22) Sylvia Pantel (CDU/CSU): Wir sind uns einig, dass wir alle Menschen vor Gewalt schützen wollen. Heute reden wir hauptsächlich über die Gewalt gegen Frauen. Sie haben zu Recht in Ihrem Antrag darauf hingewiesen, dass die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte im vergangenen Jahr in einer europaweit ausgelegten Studie zur Gewalt gegen Frauen erschreckende Daten veröffentlicht hat. 42 000 Frauen in 28 EU-Staaten wurden befragt. Im europäischen Durchschnitt hat jede dritte Frau körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. In Deutschland sind sogar 35 Prozent der Frauen von Gewalt betroffen. Es ist deshalb notwendig, gegen Gewalt zu sensibilisieren, das Thema zu enttabuisieren und Hilfsangebote vorzuhalten und zu informieren. Weltweit werden Frauen geschlagen, verstümmelt und getötet. Sie werden ausgebeutet, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Deshalb ist uns die Bekämpfung von Gewalt an Frauen ein wichtiges Thema. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Gewalt an Frauen und Kindern konsequent bekämpfen und Schutz und Hilfe gewährleisten wollen. Wir werden ressortübergreifend Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder und Frauen bündeln und Lücken im Hilfesystem schließen. Unabhängig von Aussehen, Alter und sozialer Schicht erleben Frauen in ihrem Alltag viele Formen von Gewalttätigkeit. Deshalb werden wir den Schutz für Frauen erhöhen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie in dieser Legislaturperiode das Abkommen des Europarats über die „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention, umsetzen wird. Dazu müssen alle Bedingungen in nationales Recht implementiert werden. Deshalb dauert dieser Vorgang auch etwas länger. Hierbei gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland, alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Nach unserem Strafgesetzbuch wird nicht jede Vergewaltigung als Vergewaltigung bestraft. So wird ein Täter nicht nach § 177 StGB bestraft, wenn er die Frau eingeschüchtert hat und sie aus Angst vor noch schlimmeren Folgen keine sichtbare Gegenwehr geleistet hat. Es darf nicht sein, dass ein Opfer seine Vergewaltigung durch körperliche Verletzungen nachweisen muss. Die Diskussion betrifft auch den § 179 StGB, der den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen ahndet und entsprechend anzupassen ist. Die sexuelle Selbstbestimmung ist für uns ein hohes Gut. Der Schutz von Frauen ist für uns ein wichtiges Ziel. Gutgemeint ist nicht gutgemacht, dies zeigt uns das Prostitutionsgesetz von 2002, welches verbessert werden muss. Wir arbeiten sorgfältig an einer Novellierung. Wir benötigen für einen besseren Schutz der Frauen unter anderem eine Erlaubnispflicht für Bordellbetriebe, das Verbot von menschenunwürdigen Geschäftsmodellen, Gesundheitsuntersuchungen, ein Mindestalter von 21 Jahren, die polizeiliche Anmeldepflicht und die Kondompflicht. Frauen dürfen nicht länger Opfer von sexueller Ausbeutung und Menschenhandel sein. Wir wollen Prostitution nicht verbieten, sondern die Rechtssicherheit verbessern, das Selbstbestimmungsrecht stärken und die Kriminalität bekämpfen. Gleichzeitig wollen wir bessere Ausstiegshilfen aus der Prostitution schaffen. Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution aus Drittstaaten sollen ein verbessertes Aufenthaltsrecht erhalten. Unsere Beratungen werden zu einem guten Gesetz führen, das Opfer besser vor Gewalt schützt und Täter konsequenter bestraft. Um Frauen Hilfsangebote in einer Notsituation aufzuzeigen, hat der Bund 2013 ein niederschwelliges Angebot geschaffen: das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Mit Bundesmitteln finanziert, wird betroffenen Frauen und Ratsuchenden täglich rund um die Uhr und kostenlos eine Erstberatung gewährleistet, auch anonym. Im ersten Jahr, Ende März 2014, hatten 60 Beraterinnen in 15 Sprachen 47 500 Kontakte in rund 18 800 Beratungsgesprächen über Telefon, Chat oder E-Mail. Das Hilfetelefon mit der Nummer 08000-116 016 ist die Schnittstelle zu den Hilfsangeboten vor Ort. Viele Städte und Gemeinden bieten bereits ein umfassendes Unterstützungssystem für von Gewalt betroffene Frauen an: Frauennotrufe, Frauenberatungsstellen, Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Hier sind die Länder aufgefordert, die Einrichtungen vorzuhalten und zu koordinieren. Mit dem Gewaltschutzgesetz hat der Bund einen Rahmen geschaffen, um Frauen in einer akuten Situation von häuslicher Gewalt zu helfen. Gewalttäter müssen die Wohnung für einige Zeit verlassen, und die Frauen können mit den Kindern in der vertrauten Umgebung bleiben. So können sie überlegen, welche Maßnahmen sie für die Zukunft ergreifen wollen. Sie können aber auch entscheiden, mit ihren Kindern das Haus zu verlassen, sich an ein Frauenhaus wenden und sich dort beraten lassen. In solchen Situationen brauchen Frauen Hilfe bei der Bewältigung des Alltags. Es muss geklärt sein, wer die Finanzierung des Aufenthalts übernimmt oder welche weiteren Maßnahmen mit Blick auf die Frauen und Kinder notwendig sind. Vor Ort, in der Kommune, kann der Bedarf an Hilfen und Schutzeinrichtungen besser beurteilt und eingeschätzt werden als durch Richtlinien, die der Bund vorgibt. Und dies liegt auch nicht in seiner Zuständigkeit. In der Stadt und im ländlichen Raum können unterschiedliche infrastrukturelle Bedingungen besser berücksichtigt werden. In der vergangenen Woche habe ich mich bei der Frauenberatungsstelle in Düsseldorf erneut über den Sachstand informiert. In Düsseldorf haben wir in der Fachgruppe Opferschutz ein Netzwerk aufgebaut. Das soll für alle von Gewalt betroffenen Menschen eine Anlaufstelle werden und Hilfe anbieten. Wie in Düsseldorf gibt es auch in anderen Kommunen vielfältige Beratungsangebote, wo Land und Kommune gut zusammenarbeiten und Hilfe für betroffene Frauen anbieten. Diese Initiativen zeigen, dass es funktionieren kann, wenn die Länder und Kommunen ihren Aufgaben gerecht werden und durch kurze Wege gute Angebote geschaffen werden. Ich habe große Anerkennung dafür, wie engagiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich um die betroffenen Frauen kümmern. Und ich kann den Frust und die Sorgen sehr gut verstehen, wenn die Voraussetzungen für einen guten Opferschutz nicht stimmen. Da, wo es nicht funktioniert, müssen Regelungen gefunden werden. Es muss geklärt werden, warum und wo die Schwachstellen sind und was getan werden muss. Für die Finanzierung der Frauenhäuser sind die Länder zuständig. Die Regelungen in den Ländern sind sehr unterschiedlich. Oft sind es freiwillige Leistungen, die von der jeweiligen Haushaltslage abhängen – mit den entsprechenden Unsicherheiten. Hier müssen die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Der Bund gibt den Ländern durch die verschiedenen Zuweisungen die Mittel. Die Prioritäten für die Mittelverwendung setzt allein das Land. Der Bund hat nicht die Kompetenz, diese Aufgabe einfach an sich zu ziehen. Es gibt auch Länder, die ihrer Verantwortung gerecht werden und gute Lösungen vorhalten. So plant auch Nordrhein-Westfalen ein Landesgesetz zur Finanzierung der Frauenhäuser. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und der Schutz von Frauen und Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Länder und Kommunen wurden im vergangenen Jahr, zum Beispiel beim BAföG und bei der Grundsicherung, erheblich entlastet, damit sie genau solchen Aufgaben besser nachkommen können. Wir haben immer wieder gezeigt, dass der Bund für die Länder und Kommunen ein verlässlicher Partner ist. Die Länder müssen nun auch den Kommunen die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen und ihnen damit ermöglichen, ihren Aufgaben nachzukommen. Und wir brauchen Transparenz, welche Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Bund, Länder und Kommunen müssen als Partner eine bedarfsgerechte Lösung für die Finanzierung von Schutzkonzepten gegen Gewalt, insbesondere Gewalt an Frauen, finden. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Wir sprechen heute über ein wichtiges und sehr sensibles Thema: Gewalt an Frauen und deren Kindern. Schutz und Hilfe für die Betroffenen zu gewährleisten, ist ein wichtiger Auftrag. Nicht nur für uns hier im Deutschen Bundestag, nicht nur für die Politik, sondern für die gesamte Gesellschaft. Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Frauen sind in besonderem Maße von Gewalt betroffen. Etwa jede vierte Frau, die in Deutschland lebt, ist schon mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden. Wir sind uns sicher alle einig darin, dass jeglicher Übergriff gegen Frauen und Kinder auf das Schärfste zu verurteilen ist. Die Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen gehört daher zu den langfristigen Schwerpunkten der Bundesregierung. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bund, Länder und Kommunen betrifft. Im Rahmen der durch das Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzen stehen wir alle in der Verantwortung. Das Vorhandensein, die Ausgestaltung und die finanzielle Absicherung von Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder liegen aber in erster Linie bei den Bundesländern. Im Rahmen der landesrechtlich konkretisierten Aufgabe der Daseinsvorsorge liegt die Zuständigkeit auch bei den Kommunen. Diese vorrangige Aufgabenverteilung ist uns allen bekannt. Wir unterstützen und entlasten als Bund die Länder und Kommunen an vielen Stellen, damit diese ihre Aufgaben auch wahrnehmen können. Bei der Eingliederungshilfe werden wir die Kommunen in den Jahren 2015 bis 2017 um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlasten, ab 2018 auf der Grundlage des Bundesteilhabegesetzes den Umfang um 5 Milliarden Euro erhöhen. Auch sollen die Bundesländer in der laufenden Legislaturperiode mit insgesamt 6 Milliarden Euro unterstützt werden, damit sie und ihre Kommunen die Herausforderungen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen besser bewältigen können. Hier möchte ich die Bundesländer aufrufen, ihre Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zu unterstützen und die Entlastungen auch an sie weiterzugeben. Eine schwarze Null sollte auch Ziel eines jeden Haushaltes sein. Ich kann nicht für alle Bundesländer sprechen, aber für mein Heimatbundesland kann ich festhalten, dass es seiner Verantwortung zum Schutz von vor Gewalt betroffenen Frauen und deren Kindern gerecht wird. Der Freistaat Bayern unterstützt die Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zum Beispiel durch Beteiligung an den Personalkosten der Frauenhäuser – und das obwohl Bayern inzwischen rund 5 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich zahlt. In Bayern gibt es ein einvernehmliches Gesamtkonzept als Grundlage für die Bedarfsermittlung und Finanzierung. Dieses Konzept wird auch von der Bundesregierung als exemplarisch dafür angesehen, durch sinnvolle Arrangements auf Verwaltungsebene die Finanzierungsbedingungen der Frauenhäuser verlässlich zu gestalten. Der Freistaat wird außerdem eine Bedarfsermittlung durchführen, um weiterem Handlungsbedarf gezielt nachkommen zu können. Auf die Verantwortung der Bundesländer wird im vorliegenden Antrag „der Linken“ in keinster Weise eingegangen. Es entspricht unserem föderalen Prinzip, in der unterschiedlichen Ausgestaltung vor Ort grundsätzlich eine Chance zu sehen. Damit werden Spielräume eröffnet, um den Bedürfnissen mit den regionalen Unterschieden Rechnung zu tragen. Dies sehen auch die Bundesländer so, und dies wurde auch von der Gleichstellungsministerkonferenz so gesehen. Einer bundesgesetzlichen Regelung, wie in ihrem Antrag gefordert, bedarf es deshalb nicht. Festgestellte gewachsene Unterschiede der Versorgungsinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen sind auch Ausprägungen der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und deuten nicht automatisch auf Versorgungsdefizite hin. Die Bestandsaufnahme, die die Bundesregierung im Sommer 2012 vorgelegt hat, bestätigt, dass es ein dichtes Netz an Hilfeeinrichtungen für Betroffene gibt. Insofern möchte ich daher den Ausführungen in Ihrem Antrag, das Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen sei in einem desolaten Zustand, an dieser Stelle deutlich widersprechen. Insgesamt verfügt Deutschland über ein ausdifferenziertes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen. Ich möchte – neben den Frauenhäusern und Beratungsstellen, die wir in Deutschland haben und an denen vor Ort hervorragende Arbeit geleistet wird – einige Punkte exemplarisch nennen. Im März 2013 startete das Hilfetelefon für von Gewalt betroffene Frauen. Unter der bundeseinheitlichen Rufnummer 08000 116 016 kann sich jede Frau an diese Beratungsstelle wenden und bekommt dort kostenlos, anonym und vertraulich Rat durch erfahrene Fachkräfte. Wichtig ist, dass sich auch Frauen beraten lassen können, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, da Dolmetscherinnen zur Verfügung stehen, die zeitnah zugeschaltet werden können. Damit wurde eine wesentliche Maßnahme des Aktionsplanes II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umgesetzt. In diesem Frühjahr soll hierzu der zweite Bericht vorgestellt werden. Ein ebenfalls wichtiger Punkt ist das Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsheirat, das ebenfalls in der vergangenen Legislaturperiode in Kraft getreten ist. Und natürlich das Prostituiertenschutzgesetz, das derzeit überarbeitet und verbessert wird. Persönlich wichtig ist mir besonders der gesamte Bereich der „Häuslichen Gewalt“ – meist ein Tabuthema. Im Hinblick darauf möchte ich darauf verweisen, dass seit 1997 Vergewaltigung auch in der Ehe strafbar ist. Frauen mit Behinderungen haben einen besonderen Hilfebedarf, da sie überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen sind. Hierzu sind beispielsweise in Bayern im Januar 2014 zwei Projekte gestartet worden. Zum einen eine zentrale, barrierefreie Service-Homepage mit Informationsmaterial für Frauen mit verschiedenen Behinderungen, Fortbildungen für Beraterinnen in Frauenhäusern und Notrufen zur Thematik „Gewalt und Behinderung“. Zum zweiten werden Frauenbeauftragte in Einrichtungen der Behindertenhilfe ausgebildet, um als kompetente Ansprechpartnerinnen für andere Frauen in der Einrichtung zur Verfügung zu stehen. Auch das Thema Menschenhandel ist seit langem Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung. Bereits 1997 wurde die „Bund-Länder-Arbeitsgruppe Frauenhandel“ ins Leben gerufen. Ziel war es, Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung besser abstimmen zu können. Seit November 2012 heißt diese Gruppe „Bund-Länder-Arbeitsgruppe Menschenhandel“; sie hat schon zahlreiche Verbesserungen zugunsten der Opfer erreicht. Auch in diesem Bereich sind für die Legislaturperiode gesetzliche Verbesserungen geplant. Was die Umsetzung der entsprechenden Europaratskonvention angeht, so ist dies genauso bei den zuständigen Stellen in Arbeit wie die Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention. Noch im letzten Jahr wurde vom Kabinett ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, mit dem deutliche Verbesserungen des Aufenthaltsrechts für Opfer von Menschenhandel erreicht werden soll. Wir nehmen in der Koalition unsere Verantwortung auch in diesem Bereich sehr ernst. Ein wirkungsvoller Schutz ist aber nur dann möglich, wenn wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen an Lösungen arbeiten und das geltende Recht fortentwickeln, um den Schutz von Frauen und Kindern weiter zu verbessern. Dies war über die letzten Jahre und Jahrzehnte der Fall und wird auch weiterhin so bleiben. Mit den Aktionsplänen I und II der Bundesregierung wurden hierzu bereits erfolgreich Grundlagen geschaffen. Abschließend möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, all denjenigen zu danken, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich für Frauen und Kinder in den Beratungsstellen, in den Frauenhäusern sowie im eigenen persönlichen oder gesellschaftlichen Umfeld einsetzen. Sie alle erfüllen eine sehr wichtige Aufgabe. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Zehn Jahre lang war ich Mitglied eines Landesparlaments, des Abgeordnetenhauses von Berlin – übrigens in einer erfolgreichen rot-roten Koalition. In dieser Zeit habe ich es öfter erlebt, dass eine Oppositionsfraktion versuchte, Probleme Berlins dadurch zu lösen, dass sie bundespolitische Anträge einbrachte, nach dem Motto: Der Senat soll sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung Gutes tut oder der Bundestag ein tolles neues Gesetz macht. Die Mehrheitsfraktionen haben solche Anträge auch dann abgelehnt, wenn wir als Koalition das Anliegen richtig fanden – weil wir entweder unsere Befugnisse nicht überschreiten wollten oder weil wir den Senat nicht eigens zu einer Politik auffordern wollten, die er sowieso auch von sich aus schon verfolgte. Heute erlebe ich es zum ersten Mal anders herum: Die Linke bringt einen Antrag ein, dessen Kernforderung nur auf Landesebene erfüllt werden kann, weil das, was Sie wollen, in der Zuständigkeit der Länder liegt. Der Linken geht es um Zufluchtsorte und Beratung für Frauen und ihre Kinder, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind. Um sicherzustellen, dass jede Frau, die auf Zuflucht in einem Frauenhaus angewiesen ist, auch wirklich einen Platz findet, fordern Sie, den Frauen und ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe zu gewähren. Das ist ein ehrenwertes Anliegen. Das von Ihnen beschriebene Ziel teilen sicherlich alle Fraktionen des Bundestages. Der Weg, den Sie dazu beschreiten wollen, ist aber nicht der richtige, weil Sie vorhandene Probleme auf der falschen Ebene zu lösen versuchen. Denn die Frage, wie viele Plätze in Frauenhäusern wir an welchem Ort vorhalten müssen, können wir auf Bundesebene nicht beantworten. Diese Planung ist Aufgabe der Länder, die näher an den Problemen dran sind und besser einschätzen können, wo wir als Gesellschaft besser werden müssen, um Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen. Der entscheidende Punkt, an dem Sie ansetzen, ist unbestritten: Wenn das Jahr 2011 repräsentativ ist, dann weisen Frauenhäuser jährlich in etwa 9 000 Fällen Hilfe suchende Frauen ab. Das ist eine große Zahl. Deshalb haben Sie recht, wenn Sie fordern, dass wir uns hier damit auseinandersetzen, wie wir das Hilfesystem verbessern. Falsch ist allerdings Ihre Annahme, wir könnten das Problem mit mehr Plätzen und einem Rechtsanspruch schnell lösen. Denn der Bericht der Bundesregierung zur Lage der Frauenhäuser zeigt ja auch: Die Auslastung dieser unverzichtbaren Zufluchtsorte ist überall in Deutschland starken Schwankungen ausgesetzt. Mal sind sie überfüllt, mal stehen die selben Häuser teilweise leer. Deshalb bedeuten die 9 000 Fälle, in denen bestimmte Frauenhäuser Frauen nicht aufnehmen können, auch nicht, dass diese Frauen wirklich keine Zuflucht finden. Der Bericht der Bundesregierung geht vielmehr davon aus, dass grundsätzlich jede Frau in einem Frauenhaus aufgenommen wird, wann immer sie diesen Schutz braucht – nur eben nicht immer in dem Frauenhaus, das Ihrem Wohnort am nächsten liegt oder an das sie sich zuerst gewendet hat. Es geht also vor allem um Fragen der Steuerung und der Planung, nicht um einen Rechtsanspruch. Und um diese Fragen müssen sich die Länder und Kommunen kümmern – weil sie es am besten können und weil ihnen eben deswegen in unserer föderalen Ordnung diese Aufgabe auch übertragen worden ist. Ein Bundesgesetz ist auch nach Einschätzung der Familienministerkonferenz nicht erforderlich. Weil wir gerade bei den rechtspolitischen Fragen sind, die Ihr Antrag aufwirft, lassen Sie mich noch kurz darauf eingehen, warum Deutschland die Istanbul-Konvention noch nicht ratifiziert hat. Diese Europaratskonvention regelt ein europäisches Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – ein großer Wurf, zu dem Deutschland sich durch die Unterzeichnung schon im Mai 2011 bekannt hat. Wir müssen die Konvention natürlich unbedingt ratifizieren, und zwar so schnell wie möglich. Nach deutschem Recht werden solche internationalen Vereinbarungen aber erst dann ratifiziert, wenn sie vorher vollständig umgesetzt worden sind. Und dabei sind wir auf einem guten Weg, aber noch nicht ganz am Ziel. Die letzte Änderung des Strafrechts ist noch vor Weihnachten auch vom Bundesrat beschlossen worden. Damit sind zwei wichtige Vorschriften der Istanbul-Konvention, nämlich die Artikel zur Gerichtsbarkeit und zu längeren Verjährungsfristen bei sexuell motivierter Gewalt, deutsches Recht geworden. Trotzdem können wir die Istanbul-Konvention erst dann ratifizieren, wenn geklärt ist, ob sie weitere Gesetzesänderungen zum Beispiel im Strafrecht und im Aufenthaltsrecht erforderlich macht. Diese Fragen werden in den zuständigen Ministerien, federführend im Justizministerium, geprüft. Die Ergebnisse dieser Prüfung müssen wir abwarten, bevor wir einen Schlusspunkt unter den Istanbul-Prozess setzen können. Die Koalition hat sich in ihrem Gründungsvertrag dazu bekannt, Gewalt an Frauen und Kindern zu bekämpfen und Lücken im Hilfesystem zu schließen. Wir werden uns dieser Verantwortung stellen, damit Frauen, die Hilfe suchen, in Zukunft möglichst auf Anhieb den Zufluchtsort haben, den sie brauchen. Wir begrüßen es, dass die Familienministerkonferenz beschlossen hat, eine länderübergreifende Arbeitsgruppe einzusetzen, an der sich das Bundesministerium beteiligen wird. Die Arbeitsgruppe wird die regionalen Unterschiede analysieren und Vorschläge machen, wie wir es hinkriegen, dass Beratung und Schutz überall so vorhanden sind, wie die Frauen und ihre Kinder sie brauchen. Die SPD-Fraktion unterstützt Ministerin Schwesig in ihrer Absicht, dazu möglichst noch in diesem Jahr ein Modellprojekt auf den Weg zu bringen. Lassen Sie uns den Antrag der Linken zum Anlass nehmen, in dieser Richtung weiterzudenken. Wenn wir dazu kein Gesetz zu ändern brauchen, umso besser! Gülistan Yüksel (SPD): Gewalt gegen Frauen, sie passiert täglich, zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder im Internet. Betroffene Frauen benötigen deshalb Sicherheit, Schutz, Unterstützung und Vertrauen, denn ihr Weg in ein gewaltfreies Leben ist nicht einfach. Wir alle wissen um die Missstände und Probleme in den Frauenhäusern. Barrierefreiheit, die Betreuung und Versorgung der Kinder, welche die Frauen mitbringen und die wie ihre Mütter oftmals unter psychischen Belastungen leiden. Auch die erschwerten Bedingungen für Studentinnen oder Frauen mit Migrationshintergrund sind Punkte, an denen noch intensiv gearbeitet werden muss. Die Probleme sind tiefgreifend. Mit einem individuellen Rechtsanspruch auf Hilfe und Schutz allein wäre es nicht getan. Dabei ginge es dann nämlich auch um die Frage, ob eine Frau den notwendigen Nachweis erbringen könnte, um den Rechtsanspruch überhaupt geltend machen zu können. Zu Recht wurde von Sachverständigen darauf hingewiesen, dass ein Rechtsanspruch Nachweispflichten mit sich bringen würde, welche für Frauen, die Gewalt erfahren mussten, eine hohe Hürde bedeuten. Ich möchte ausdrücklich daran erinnern, dass die Hauptverantwortung bei den Ländern liegt. So obliegt der Bereich des Gewaltschutzes dem Ordnungsrecht und fällt somit grundsätzlich in die Kompetenz der Länder – ebenso wie die Finanzierung des Frauenunterstützungssystems. Das Wissen um die konkreten Bedürfnisse erlaubt es örtlichen Akteuren, besser die notwendigen Maßnahmen zu erkennen und eine bedarfsgerechte Infrastruktur vor Ort zu gewährleisten. Diese Einschätzung teilen auch die Länder. In dem Antrag der Linken kommen diese Aspekte zu kurz. Man darf auch nicht vergessen, dass die Länder bereits verschiedene Wege eingeschlagen haben, angepasst an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort. Bei Vorgaben durch den Bund befürchten diese eine Verschlechterung ihrer Situation. Der Bund ist sich seiner Verantwortung aber bewusst – Die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Punkte bleiben das Ziel. Das Thema der Frauenhausfinanzierung ist wichtig, sollte aber nicht ausschließlich im Vordergrund stehen. Es geht um das Gesamtsystem der Hilfeleistungen für die von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kinder. Insgesamt haben wir in Deutschland ein dichtes Netz an Unterstützungsangeboten und Einrichtungen, die betroffenen Frauen Hilfestellungen bieten. Zu den Frauenhäusern kommen rund 750 Fachberatungsstellen sowie Telefon- und Onlineberatung hinzu. Sie bieten den Frauen eine erste Anlaufstelle in ihrer Notsituation und stehen ihnen zur Seite. Wir als SPD setzen uns dafür ein, dass Beratungsstellen und andere Hilfsangebote weiter ausgebaut werden und damit das Hilfenetz insgesamt gestärkt wird. Ich sage auch ganz klar: Die SPD Fraktion steht für eine bedarfsgerechte und bundesvereinheitlichte Finanzierung der Frauenhäuser. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich auch der Bund im Rahmen seiner Möglichkeiten und Kompetenzen bereits beteiligt, aber: Dies ist ausbaufähig, und wir arbeiten weiter daran. Die letzte Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz hat zum Thema „Betreuung und Beratung für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder“ im Oktober ein länderoffenes Arbeitsgremium unter Beteiligung des Familienministeriums ins Leben gerufen. Der Bund wurde außerdem gebeten, in Kooperation mit den Ländern und Kommunen ein Modellprojekt durchzuführen. Dieses soll untersuchen, wie eine bedarfsgerechte Ausstattung bezüglich Beratung und Schutz in einzelnen Regionen aussehen könnte. Ich freue mich, dass dieses Modellprojekt in dieser Legislaturperiode in Angriff genommen wird. Aus den gewonnenen Erkenntnissen sollen konkrete Vorschläge entstehen, welche den Teilnehmern der Konferenz als Beratungs- und Beschlussgrundlage dienen werden. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass die Istanbul-Konvention bereits teilweise umgesetzt ist und in dieser Legislaturperiode ratifiziert wird. Die Europaratskonvention zu Menschenhandel ist schon ratifiziert. Unter Federführung von Minister Heiko Maas wird derzeit ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der Europarichtlinie zu Menschenhandel vorbereitet. Außerdem liegt dem Bundesrat der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vor. Dieser bringt für Opferzeuginnen des Menschenhandels deutliche Verbesserungen bezüglich ihres Aufenthaltsrechts. Immer noch spielt sich viel Leid im Verborgenen ab. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das es nun seit rund eineinhalb Jahren gibt, wurde im ersten Jahr über 47 000-mal gewählt. Die Dunkelziffer von Frauen, die sich weiterhin nicht trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist aber immer noch zu hoch. Deshalb möchte ich am Ende meiner Rede die Möglichkeit nutzen, um an alle Bürgerinnen und Bürger zu appellieren: Schauen Sie nicht weg! Denn dort wo Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl für einander vorherrschen, wird Gewalt vorgebeugt. Cornelia Möhring (DIE LINKE): Warum dieser Tagesordnungspunkt zur Lage der Frauenhäuser zu diesem Zeitpunkt – obwohl wir doch gerade eine interne Anhörung im Ausschuss hatten und auch die Konferenz der Frauen- und Gleichstellungsministerinnen sich am 1. und 2. Oktober 2014 mit dem Thema befasst hat? Die brisante Lage der Frauenhäuser und noch mehr die Frauen und Kinder, die diesen Schutzraum brauchen, verlangen es aus meiner Sicht, das Thema immer wieder öffentlich zu diskutieren, um endlich ins Handeln zu kommen. Vor fast einem Jahr wurde in Brüssel die Studie zur Gewalt gegen Frauen vorgestellt. Wir alle sind zu Recht entsetzt über das Ausmaß der Gewalt – auch in unserem Land. Nun benötigen nicht alle Opfer von Gewalt einen Frauenhausplatz. Sie brauchen aber ein gut funktionierendes Hilfesystem. Auch dazu gibt es viel zu tun, und auch dieses sollte in naher Zukunft hier Thema werden. Heute geht es zuerst um die Frauenhäuser. Frauen, die Schutz in einem Frauenhaus suchen, sind auf der Flucht. Sie fürchten um ihr Leben, ihre Gesundheit, um das seelische Wohl ihrer Kinder. Der Entschluss, in ein Frauenhaus zu gehen, bedeutet, alles zurückzulassen: Hab und Gut, das gewohnte Umfeld, auch das, was am bisherigen Leben gut war. Das ist für viele von uns kaum vorstellbar und für die betroffenen Frauen ein sehr schwerer Schritt. 6 800 Plätze für Frauen gibt es zurzeit – in 353 Häusern und 40 Zufluchtswohnungen. Jährlich suchen aber 15 000 bis 17 000 Frauen mit ihren Kindern Schutz in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen. Wir reden also über circa 34 000 Personen, für die entsprechend Raum und Betreuung vorgehalten werden müsste. Wir wissen: Der Bedarf wird eher wachsen, und das Angebot ist alles andere als bedarfsgerecht. Und das darf nicht sein. Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung, unbürokratische Zugänge, Barrierefreiheit. Denn Frauen mit Behinderungen sind noch stärker von Gewalt betroffen, aber es gibt kaum Einrichtungen, die diesem Umstand gerecht werden. Ich vermute, dass die große Mehrheit im Hause sich in vielen Punkten einig ist, darin, dass das Ausmaß der Gewalt viel zu groß ist, darin, dass das Angebot an Plätzen schlicht nicht ausreicht und es einen unbürokratischen Zugang für Betroffene geben muss. Politik ist allerdings nicht sonderlich nützlich, wenn sie bei verbaler Zustimmung stehen bleibt. Es muss auch lösungsorientiert gehandelt werden. Und genau an dieser Stelle setzt meine Kritik am zögerlichen Vorgehen der Bundesregierung an. Es wird wieder viel geredet, evaluiert und festgestellt – dabei müsste es endlich mit Volldampf losgehen, damit endlich alle Frauen und Kinder, die einen Platz brauchen, auch einen bekommen. Dazu muss die Finanzierung geregelt werden, und zwar bundeseinheitlich – in allen Ländern gleich. Es geht um die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse, und das ist eine Bundesangelegenheit. Die Länder und Kommunen dürfen nicht damit alleine gelassen werden – und vor allem nicht die betroffenen Frauen und die Mitarbeiterinnen der Schutzeinrichtungen. Zur bundeseinheitlichen Finanzierung liegen bereits einige Vorschläge vor. Beispielsweise ein „3-Säulen-Modell“, nach dem Bund – Land – Kommune gemeinsam finanzieren. Unverzügliches Handeln ist angesagt. Wir fordern Sie auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem der Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfe so geregelt ist, dass er folgende Bedingungen erfüllt: Er muss unabhängig vom Einkommen, unabhängig vom Aufenthaltstitel, unabhängig vom Herkunftsort und unabhängig von gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen gelten. Eine einzelfallunabhängige und bedarfsgerechte Finanzierung des Schutz- und Hilfesystems bei Gewalt gegen Frauen sollte unser gemeinsames Ziel sein. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frauenhäuser sind eine zentrale Säule beim Schutz von Frauen vor Gewalt. Für Frauen in Not sind sie eine wichtige Anlaufstelle, weil sie hier Sicherheit finden, oft auch mit ihren Kindern. Es sind Orte, wo Bedrohung, Angst und Gewalt vor der Tür bleiben. Tatsache aber ist, dass wir seit den knapp 40 Jahren, in denen es Frauenhäuser gibt, nach wie vor über eine mangelnde Finanzierung sprechen. Tatsache ist, dass wir immer noch über bundesweit uneinheitliche Standards und Lücken im System sprechen und es vom Bundesland abhängt, wie schnell Frauen Hilfe erhalten. Tatsache ist, dass wir uns ein großes Defizit leisten bei effektivem Schutz für Frauen. Das ist, mit Verlaub, ein Skandal! Laut einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur von 2014 war jede dritte Frau in Deutschland schon einmal Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Jedes Jahr fliehen in Deutschland etwa 34 000 Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt in eines der circa 360 Frauenhäuser. Immer wieder müssen Frauen abgewiesen werden. Doch die Bundesregierung hat, wie schon ihre Vorgängerregierung, bislang nichts unternommen, um Frauenhäuser von Bundesseite zu unterstützen. Zwar wollen Sie laut Koalitionsvertrag „den Schutz und die Hilfe für die Betroffenen gewährleisten und Lücken im Hilfesystem schließen“. Das sind bisher aber leere Worte. Ich fürchte, dabei bleibt es. Besonders die Union ist hier sehr still. Um es klar zu benennen: Sie scheuen die Kosten für den Bund und beharren weiter darauf, dass die Länder „gefälligst ihre Aufgaben ordentlich wahrnehmen“. Das ist Ihr Totschlagargument. Wir Grüne wollen, dass die Schwierigkeiten bei der Frauenhausfinanzierung nicht wieder nur zur Kenntnis genommen werden. Wir wollen endlich konkrete Schritte und Lösungen, wie der Bund mit in die Verantwortung gehen kann. Der bürokratische Aufwand, einen Platz im Frauenhaus zu bekommen, ist oft sehr hoch. Die Mitarbeiterinnen müssen selbst bei Notfällen aufwendig Formalien prüfen. Darum brauchen wir praktikable Lösungen. Nötig ist eine schnelle und sichere Unterbringung für Frauen, und zwar für alle: auch für Studentinnen und Asylbewerberinnen. Das Fachgespräch im November im Frauenausschuss hat klar gezeigt: Viele Frauenhäuser und auch Frauenberatungsstellen sind längst am Rande ihrer Kapazitäten angelangt, vor allem personell. Einige mussten bereits schließen. Deshalb sage ich es deutlich: Wir brauchen endlich eine Reform der Frauenhausfinanzierung, die hohe qualitative Standards und eine ausreichende finanzielle Ausstattung garantiert – bundeseinheitlich und bedarfsgerecht. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, immer wieder verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Mischfinanzierung vorschieben, möchte ich Sie an die Lösungsvorschläge der Expertinnen im Ausschuss erinnern. Demnach wäre zum Beispiel ein sogenanntes 3-Säulen-Modell, also eine Finanzierung aus Bund, Ländern und Kommunen, durchaus möglich. Was dem im Weg steht, ist Ihr fehlender politischer Wille. Sie haben es in der Hand! Der Europarat und die UN fordern seit Jahren von Deutschland eine Verbesserung der Situation der Frauenhäuser – und mehr Plätze. Das Beispiel der autonomen Frauenhäuser macht klar: 2013 wurden knapp 5 400 Frauen und ihre Kinder aufgenommen. Aber über 7 700 mussten abgewiesen bzw. verwiesen werden. Darum unterstützen wir den Antrag der Linken auf einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz. Denn Frauen in Not können nicht länger warten. Das Hilfetelefon für Gewaltopfer ist eine gute Maßnahme. Aber es ist eben nur ein Baustein im Hilfesystem, und das wissen auch Sie von der Regierung. Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Frauen und ihren Kindern Hilfe und Schutz zu gewähren, ist ein Menschenrecht und staatliche Verpflichtung. Ich appelliere an Sie als Bundesregierung: Reformieren Sie die Finanzierung der Frauenhäuser, sodass Unterstützung und Schutz gesichert sind, wenn Frauen diese brauchen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 929. Sitzung am 19. Dezember 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b) – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) Der Bundesrat hat hierzu ferner die folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) seine Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die für den Verkehrsbereich bereitgestellten Regionalisierungsmittel erhöht werden und der Ansatz zumindest um die zur Deckung von Kostensteigerungen dringend erforderliche, bisher erfolgte Dynamisierung von 1,5 Prozent aufgestockt wird (vgl. Drucksache 350/14 (Beschluss)). Der Bundesrat nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass dieser Forderung im Bundeshaushalt 2015 nicht gefolgt wurde. Er weist vor diesem Hintergrund mit Nachdruck auf den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes hin, dessen Einbringung beim Deutschen Bundestag der Bundesrat am 28. November 2014 beschlossen hat (vergleiche Drucksache 557/14 (Beschluss)). Der Gesetzentwurf sieht eine aus Sicht des Bundesrates dringend erforderliche Anpassung des Ausgangsbetrags der Regionalisierungsmittel an den nachgewiesenen Bedarf (8,5 Milliarden Euro im Jahr 2015) sowie eine Erhöhung der jährlichen Dynamisierungsrate auf 2 Prozent vor. Im Übrigen weist der Bundesrat darauf hin, dass die Regionalisierungsmittel nicht Gegenstand der Gespräche zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sind, sieht doch § 5 Absatz 5 Regionalisierungsgesetz eine Revision der Höhe der Mittel zum 1. Januar 2015 vor. 2. a) Die Länder und der Bund tragen eine gemeinsame Verantwortung für gute Rahmenbedingungen für die Kulturlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Die Länder begrüßen es deshalb, dass im Rahmen der Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages der Kulturetat erhöht wurde und damit wichtige Impulse für die Kulturpolitik gesetzt werden können. b) Die Länder und der Bund eint der Anspruch, durch eine qualitätsorientierte Förderung des Films die außergewöhnliche kulturelle Vielfalt im audiovisuellen Angebot abzusichern und damit auch mittelbar zum Erfolg der deutschen Filmindustrie beizutragen. Komplementär zu den Filmförderungen durch die Länder leistet die wirtschaftliche Förderung des bei der Beauftragten für Kultur und Medien angesiedelten Deutschen Filmförderfonds (DFFF) einen wichtigen Beitrag zur deutschen und europäischen Filmkultur. c) Gleichzeitig hat der DFFF maßgeblich zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Me-dienwirtschaft beigetragen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Produk-tionsstandortes Deutschland nachhaltig verbessert. Der Medienstandort Deutschland zeichnet sich durch eine gute Filminfrastruktur und sehr gut ausgebildete Filmschaffende aus. Durch den DFFF ist es gelungen, diese Standortvorteile auszubauen und große international erfolgreiche Filmproduktionen nach Deutschland zu holen. Von dieser Entwicklung haben zahlreiche Regionen Deutschlands und mittelbar auch der Technologiestandort Deutschland, beispielsweise im Bereich von Postproduktion und Visual Effects, profitiert. Aufgrund der Nachhaltigkeit dieses Engagements der Bundesregierung konnte sich Deutschland zu einem führenden Standort für große internationale Filmproduktionen in Europa entwickeln. Deutsche Filmproduktionen prägen das Deutschlandbild im Ausland positiv mit. d) Der Bundesrat hält es zur Sicherung der Kontinuität dieser positiven Entwicklung für wichtig, die finanzielle Ausstattung des DFFF auf einem angemessenen Niveau sicherzustellen. Daher sieht er die für den Bundeshaushalt 2015 vorgesehene Kürzung um 10 Millionen Euro von 60 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro mit Sorge. Im Jahre 2013 lag das Budget des DFFF noch bei 70 Millionen Euro. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Mittel für den DFFF im Haushaltsjahr 2016 mindestens wieder auf das Niveau von 2014 (60 Millionen Euro) aufgestockt werden sollten, damit die Bundesrepublik Deutschland weiterhin einen Spitzenplatz für nationale und internationale Filmproduk-tionen einnehmen kann. e) Der Bundesrat geht davon aus, dass die Bundesregierung in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes den Deutschen Filmförderfonds über 2017 hinaus grundsätzlich absichert. Es ist wichtig, dass der DFFF auch künftig in seiner Höhe und flexiblen Ausgestaltung ein verlässliches Fundament für vielfältige deutsche und internationale Filme bilden kann. 3. Die Gefährlichkeit militärischer Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg mit chemischem Langzeitzünder stellt ein unkalkulierbares Gefahrenpotential dar. Stark belastete Länder sind mit der Beseitigung der Rüstungsaltlasten überfordert. Der am 11. Juli 2014 vom Bundesrat beschlossene Entwurf des Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetzes (BR-Drucksache 282/14 (Beschluss)) soll den unbefriedigenden Zustand der bestehenden Staatspraxis beenden, wonach der Bund den Ländern nur die Aufwendungen für die Kampfmittelräumung auf Bundesliegenschaften sowie die Bergung und Vernichtung sogenannter reichseigener Kampfmittel erstattet. Denn auch der Ausgleich der enormen, im Zusammenhang mit der Beseitigung von nicht ehemals reichseigenen Kampfmitteln und weiteren Rüstungsaltlasten noch ausstehenden Kosten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung und den Bundestag nachdrücklich, den berechtigten Interessen der Länder nachzukommen, die notwendige Haushaltsvorsorge zu treffen und schnellstmöglich das Gesetz zu beschließen. – Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf – Gesetz zur Änderung von Gesetzen über Sondervermögen des Bundes – Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung sowie zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes – Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften – Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern – Fünfundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht – Fünftes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union – Gesetz zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes – Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Ferner hat der Bundesrat hierzu die folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, der es Betreibern mehrerer Anlagen, die über eine gemeinsame Messeinrichtung abgerechnet werden, ermöglicht, auch weiterhin einen Teil des produzierten Stroms direkt zu vermarkten. Begründung: Im EEG 2014 wurde anlässlich der letzten Novelle in § 20 Absatz 2 die Möglichkeit der prozentualen Aufteilung auf verschiedene Veräußerungsformen einschließlich der anteiligen Direktvermarktung aufgenommen. Ausweislich der Begründung zu § 20 Absatz 2 EEG 2014 (BT-Drucksache 18/1891, S. 201) soll die anteilige Direktvermarktung auch möglich sein, wenn mehrere Anlagen, die über eine gemeinsame Messeinrichtung abgerechnet werden, anteilig direkt vermarkten. Dazu im Widerspruch steht § 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EEG 2014, der die Kombination von Einspeisevergütung und Direktvermarktung ausschließt, wenn mehrere Anlagen über eine gemeinsame Messeinrichtung abgerechnet werden. Mit der Anordnung, dass in diesen Fall lediglich der Monatsmarktwert zu vergüten ist, wirkt die Vorschrift wie eine Sanktion, die für die Betroffenen im Einzelfall wirtschaftlich existenzbedrohend sein kann. Aufgrund der unterbliebenen redaktionellen Folgenanpassung in § 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EEG 2014 wurden von Netzbetreibern Förderansprüche betroffener Anlagenbetreiber ab Inkrafttreten des novellierten EEG 2014 zum 1. August 2014 reduziert, obwohl die Gesetzesbegründung zum EEG 2014 ausdrücklich vorsieht, die anteilige Direktvermarktung zuzulassen. Um im Gesetzeswortlaut klarzustellen, dass die anteilige Direktvermarktung auch bei den Anlagen weiterhin möglich ist, die über eine gemeinsame Messeinrichtung abgerechnet werden, sollte § 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EEG 2014 gestrichen werden. In diesem Zusammenhang ist von wesentlicher Bedeutung, dass die Klarstellung zur zulässigen anteiligen Direktvermarktung bei gemeinsamer Messeinrichtung rückwirkend zum 1. August 2014 in Kraft tritt, um Vergütungseinbußen betroffener Anlagenbetreiber zu vermeiden. – Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch Zudem hat der Bundesrat in seiner 929. Sitzung am 19. Dezember 2014 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, Satz 5 und 6 des Standortauswahlgesetzes Senator Andreas Geisel (Berlin) als Nachfolger des ausscheidenden Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (Berlin) und Ministerin Anja Siegesmund (Thüringen) als Nachfolgerin des ausscheidenden Ministers a. D. Jürgen Reinholz (Thüringen) zu stellvertretenden Mitgliedern der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gewählt. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan 2014 einschließlich einer Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements Drucksache 18/3270 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Versorgungsbericht der Bundesregierung Drucksachen 17/13590, 18/641 Nr. 10 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2014 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 16 06 Titel 893 01 – Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz Drucksachen 18/3159, 18/3363 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2014 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei 10 01 Titel 636 01 – Zuschüsse für die Alterssicherung der Landwirte – bis zur Höhe von 26,5 Mio. Euro Drucksachen 18/3371, 18/3482 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2014 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 01 Titel 636 04 – Zuschüsse zur Krankenversicherung der Landwirte – bis zur Höhe von 16,5 Mio. Euro Drucksachen 18/3510, 18/3617 Nr. 6 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Tätigkeit der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft im Jahr 2013 Drucksachen 18/3014, 18/3216 Nr.1 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu Ausgangslage und Perspektiven der Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung – Gemeinsame globale Herausforderungen, Interessen und Ziele Drucksache 17/14667 (neu) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 18/1393 Nr. A.28 Ratsdokument 8050/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.30 Ratsdokument 12031/14 Drucksache 18/3362 Nr. A.6 Ratsdokument 15059/14 Haushaltsausschuss Drucksache 18/3110 Nr. A.9 Ratsdokument 14071/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.10 Ratsdokument 14401/14 Drucksache 18/3218 Nr. A.3 Ratsdokument 14433/14 Drucksache 18/3218 Nr. A.4 Ratsdokument 14442/14 Drucksache 18/3477 Nr. A.2 Ratsdokument 15444/14 Anlagen 1Anlage 2 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 7622 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung, Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung, Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7623 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 7702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung, Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung, Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7703