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**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****
*** bis 10.15 Uhr *** wird fortlaufend aktualisiert ***
Deutscher Bundestag
144. Sitzung
Berlin, Freitag, den 4. Dezember 2015
Beginn: 9.00 Uhr
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass wir vor Eintritt in unsere Tagesordnung noch einen Geschäftsordnungsantrag behandeln müssen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS zu erweitern und heute Morgen als ersten Tagesordnungspunkt mit einer Debattenzeit von 77 Minuten zu beraten.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Christine Lambrecht (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident hat ausgeführt, worum es bei dieser Aufsetzungsbitte geht. Wir möchten, dass heute in zweiter und dritter Lesung über das Bundeswehrmandat zum Einsatz in Syrien beraten und dann auch darüber abgestimmt wird. Das ist kein ungewöhnlicher Vorgang.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)
Wenn zwischen den Fraktionen Einvernehmen besteht, dann geschieht das in der Regel bei solchen Ansinnen ohne Geschäftsordnungsdebatte. Heute haben wir dieses Einvernehmen nicht erzielt. Deswegen müssen wir diese Debatte führen und später darüber abstimmen.
Aber warum haben wir diesen Antrag überhaupt eingebracht? Wir haben ihn eingebracht, weil wir die Entscheidung über dieses Thema für abstimmungsreif halten. Es gibt ein klar definiertes Mandat. Das ist bekannt, seit Frankreich die Bitte an uns gestellt hat, konkrete Unterstützung zu leisten. Es gab dann eine Sondersitzung des Kabinetts, in der dieses Mandat konkretisiert wurde, und es gab Zeit, in den Fraktionen und in den Ausschüssen darüber zu beraten. In der Befragung der Bundesregierung am Mittwoch standen der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und die Bundesverteidigungsministerin Frau von der Leyen zur Verfügung. Es gab dann die Möglichkeit, bei der Einbringung des Antrags in der ersten Lesung Fragen zu stellen und alle Bedenken zu äußern. Deswegen glauben wir, dass alle notwendigen Informationen gegeben wurden.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
Es mag sein, dass trotz dieser Informationen Kolleginnen und Kollegen diese Entscheidung heute nicht mittragen und den Antrag ablehnen werden. Die gibt es auch in den Reihen der SPD-Fraktion. Es sind aber grundsätzliche Erwägungen, die diese Entscheidung leiten, und sie werden sich auch nicht dadurch verändern, dass wir eine weitere Woche darüber diskutieren. Denn wenn man eine solche grundsätzliche Einstellung zu militärischen Einsätzen hat, dann wird einen auch weitere Beratungszeit nicht davon abbringen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die die Rechtsgrundlage infrage stellen. Sie teilen diese Rechtsauffassung nicht. Auch das ist zu respektieren. Aber auch da würde eine weitere Beratung nicht helfen, weil dieses Mandat nicht verändert werden würde.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch schon verändert! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Regierung ist Argumenten nicht zugänglich, heißt das!)
Deswegen würde sich die Entscheidung auch in zwei Wochen nicht auf andere Rechtsgrundlagen stützen. Deswegen sind wir der Meinung, eine weitere Beratung würde die Entscheidung in all diesen Fragen nicht beeinflussen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Tagen war das Wort „Schweinsgalopp“ zu hören. Als Kritik wurde geäußert, das sei alles im Hauruckverfahren erfolgt und man müsse noch ausführlich darüber debattieren.
Es ist kein ungewöhnlicher Vorgang, wie wir in dieser Woche verfahren haben. Er sollte nicht zur Regel werden, aber es ist wahrlich kein ungewöhnlicher Vorgang.
Ich bin seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages und habe schon die eine oder andere Frage mitentschieden, die noch in ganz anderen Zeitabläufen beraten wurde. Ich denke dabei insbesondere an meine Anfangszeit, als es mich auch sehr beeindruckt hat, in welcher Geschwindigkeit über manches abgestimmt wird.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist nicht lobenswert!)
Ich kann mich noch an Mandate zum Einsatz im Kosovo, in Albanien, in Osttimor erinnern. Aber besonders in Erinnerung ist mir der Afghanistan-Einsatz 2001. Dafür gab es am 21. Dezember einen Kabinettsbeschluss. Er wurde am 21. Dezember dem Bundestag zugeleitet. Am 22. Dezember gab es die erste Lesung im Bundestag. Es gab die Ausschussberatung am 22. Dezember. Am 22. Dezember, also innerhalb von zwei Tagen, gab es dann auch die zweite und dritte Lesung.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Am besten wir reden gar nicht mehr!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist 2001, wie man unschwer erkennen kann, unter Rot-Grün geschehen. Das zeigt: Es gibt besondere Situationen, die solche Zeitabläufe notwendig machen. Bei Afghanistan war das so. Wir meinen, es ist auch heute so, um Solidarität zu zeigen mit Frankreich, mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit dem Ansinnen, das die französische Regierung an uns gerichtet hat.
Die Fragen, die gestellt wurden, sind beantwortet. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir heute in dieser Debatte die Hintergründe für die jeweilige Entscheidung austauschen – dafür ist Zeit; das sollten wir tun – und dann auch abstimmen, und zwar heute.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Sitte hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lambrecht, es ist kein normaler Vorgang; es ist ein ungewöhnliches Verfahren.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dass Sie ausgerechnet Afghanistan als Beispiel anführen! Das ist genau das Beispiel, das uns lehren sollte: Macht es anders! Lasst euch mehr Zeit! Überlegt mehr!
(Beifall bei der LINKEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das ändert nichts an der Grundlage! Das hat nichts mit dem Zeitablauf zu tun!)
Wir wissen ja nach 14 Jahren Afghanistan, wie die Ergebnisse sind.
Heute geht es um nichts Geringeres als einen Beschluss über den bislang größten Kampfeinsatz der Bundeswehr. Wir haben derzeit 3 040 Soldaten im Ausland im Kampfeinsatz, und heute sollen 1 200 dazukommen. Das alles soll das Parlament innerhalb von drei Tagen entscheiden. Das heißt, wir entscheiden hier innerhalb von drei Tagen, ob Deutschland wieder in den Krieg zieht oder nicht. Wir wollen uns als Opposition nicht im Tornado-Tempo in diese Debatte und in diesen Krieg hineinziehen lassen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben schon vor diesen Debatten im Bundestag, also in der letzten Woche, versucht, Einzelheiten über den Kampfeinsatz zu erfahren. Es gab verschiedene Informationen und von uns immer wieder Nachfragen: Wie sollen die Einzelheiten dieses Kampfeinsatzes aussehen? Da haben wir die Information bekommen: Nein; ist noch nicht bekannt; dazu können wir noch gar nichts sagen. – So weit, so gut; so weit, so unglaubwürdig,
(Beifall bei der LINKEN)
weil nämlich am letzten Sonntag in den überregionalen Medien genau diese Informationen gekommen sind.
(Christine Lambrecht [SPD]: Na also!)
Die Journalisten haben gesagt: Uns liegt die Vorlage vor, die an den Bundestag geht. – Das ist ein unglaublicher Vorgang, den Sie hier organisiert haben.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das hat mit der Zeit, der dritten Lesung und der Abstimmung nichts zu tun!)
Nicht genug damit, dass uns diese Informationen nicht schon am Sonntag oder Montag zugegangen sind – sie sind erst am Dienstag in die Fraktionen gekommen. Erst am Mittwochmorgen haben reguläre parlamentarische Beratungen begonnen. Im Zuge der Selbstbefassungsrechte der Ausschüsse ist in den normalen Ausschusssitzungen über dieses Mandat geredet worden. Erst am Nachmittag hat es die erste Lesung zu diesem Mandat im Plenum gegeben.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Ganz übliches Verfahren!)
Das heißt, erst da hatten wir als Parlament eine Grundlage, um den gesamten parlamentarischen Verlauf zum Abschluss zu bringen.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie brauchen doch gar keine Grundlage! Wir könnten ein halbes Jahr diskutieren – Sie wären dagegen!)
Erst am Nachmittag haben Sie dann in Sondersitzungen Ihre mit Mehrheit gefassten Beschlüsse durchgebracht. Insgesamt haben die Ausschüsse im Schnitt zwei Stunden damit verbracht, über dieses heikle Mandat zu reden. Viele Fragen sind vollkommen unbeantwortet geblieben.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Arnold [SPD]: Welche?)
Was ist in diesen Ausschusssitzungen strittig gewesen? Ich bringe mal eine kleine Auswahl, um auf Frau Lambrecht zu erwidern und zu zeigen, dass die Fragen nicht beantwortet worden sind.
Es ist strittig, wie Ihre Strategie im Umgang mit Syrien aussieht.
(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist mehrfach von Frau von der Leyen und Herrn Steinmeier erklärt worden! Wer zugehört hat, konnte Informationen bekommen!)
Demzufolge ist strittig, welches Ziel mit diesem Einsatz verfolgt werden soll.
(Rainer Arnold [SPD]: Reden Sie zur Geschäftsordnung!)
Es ist strittig, warum Deutschland einen Beitrag leisten soll, mit dem ein Beitrag verstärkt werden soll, den andere schon leisten und der bekanntermaßen nur mit mäßigem oder gar keinem Erfolg geleistet wird.
(Beifall bei der LINKEN – Christine Lambrecht [SPD]: Die inhaltliche Debatte können wir doch gleich führen!)
Es gibt also kein klares Ziel. Demzufolge gibt es auch keine klaren Kriterien für eine Exit-Strategie.
Strittig ist weiter, warum es keines weiteren UN-Mandats bedarf.
(Christine Lambrecht [SPD]: Darüber können wir doch jetzt in der Debatte sprechen!)
Sie verweisen auf eine UN-Resolution und haben zugleich in den Beratungen am Mittwoch hier gesagt, dass in den vorausgegangenen UN-Resolutionen immer das Kapitel VII Grundlage gewesen sei.
(Christine Lambrecht [SPD]: Was hat das mit der Aufsetzung zu tun? Das ist eine Geschäftsordnungsdebatte!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie denken bitte daran, dass wir die Sachdebatte anschließend führen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Selbstverständlich. – Ausgerechnet in der UN-Resolution, auf die Sie sich beziehen, taucht das nicht auf. Also ist es strittig, ob wir eine saubere völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz haben, den wir heute beschließen sollen.
Meine Damen und Herren, schließlich ist strittig, wie das Verfahren zu dem Beistandsfall aussehen muss. Es gibt kein Beispiel dafür. Das ist das erste Mal in Europa. Bei NATO-Bündnisfällen muss ein Beschluss gefasst werden.
(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist kein Gegenstand der Geschäftsordnung! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Zur Geschäftsordnung!)
Hier soll eine mündliche Einlassung des französischen Präsidenten reichen?
(Christine Lambrecht [SPD]: Auch das ist kein Gegenstand der Geschäftsordnung!)
Das ist ein unglaublicher Vorgang. Das müssen wir hier viel ausführlicher und sauber klären.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist nur eine Auswahl unbeantworteter Fragen. Für viel problematischer halte ich es, dass Sie sich dieser Diskussion und einer weiteren Debatte verweigern.
(Beifall bei der LINKEN)
Schließlich halte ich es für unverantwortlich, dass sich das Parlament in ein Abenteuer stürzt, nicht wissend, ob die Entscheidung, die es hier und heute fällt, tatsächlich eine falsche Entscheidung sein könnte. Ich halte es für unverantwortlich, dass Sie das nicht durch eine weitere und tiefer gehende Diskussion vorbereiten.
Ich kann Ihnen nur sagen – und damit gebe ich die Worte eines Kollegen wieder –: Wer aus Solidarität das Falsche tut, tut dennoch das Falsche.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Michael Grosse-Brömer hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition will mit dieser Geschäftsordnungsdebatte die notwendige Mandatierung der Bundeswehr für einen Einsatz in Syrien für den Kampf gegen den IS verschieben.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nicht aufsetzen!)
– Nicht durchführen.
Ich halte das für falsch und für wenig verantwortungsvoll.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich will Ihnen das auch gerne erklären. Frau Sitte, wir haben hier Ihre Ausführungen gehört, aber ich habe keinen nachvollziehbaren Grund von Ihnen gehört.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nicht verstanden! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!)
Ein erster Grund ist rechtlicher Natur. Wir haben eine Geschäftsordnung, die unsere Abläufe regelt. Ich sage Ihnen: Weder haben Sie einen Grund genannt, noch gibt es einen solchen Grund. Wir haben alle Bestimmungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und der Geschäftsordnung eingehalten. Das ist zunächst einmal die Arbeitsgrundlage.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ein zweiter Grund ist inhaltlicher Natur. Man kann in der Sache unterschiedlicher Auffassung sein.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!)
Es geht aber nicht nur um die inhaltliche Frage, sondern auch darum, wann man debattiert.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!)
Hier aber zu behaupten, Sie hätten gar keine Möglichkeit, das Mandat überzeugend zu bewerten, das grenzt ja nun wirklich an Heuchelei.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben das zwei Mal im Ausschuss beraten. Es gab eine Regierungsbefragung dazu. Wir haben ausführlich darüber debattiert. Wir können ja auch in der nächsten oder übernächsten Woche abstimmen. Vielleicht kann sich jetzt einmal der Kollege von den Linken melden, der in der nächsten Woche eine völlig andere Auffassung zu diesem Mandat haben wird und der völlig anders abstimmen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Einer!)
Ich will noch etwas zu der Frage sagen, ob man den Inhalt überzeugend bewerten kann oder nicht überzeugend bewerten kann.
(Zurufe von der LINKEN)
Ich danke Frau Kollegin Göring-Eckardt, die in der ersten Debatte Folgendes gesagt hat – ich zitiere –:
Während andere schon am Wochenende mit einem einfachen Nein
– damit könnten Sie eventuell gemeint sein -
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein!)
oder einem bedingungslosen Ja entschieden haben, haben wir
– also die Grünen -
das vorliegende Mandat sehr bewusst ausgiebig geprüft und debattiert. Ich kann nur sagen: Sie haben uns nicht überzeugt.
Letzteres finde ich schade, aber Ersteres dokumentiert, dass Sie umfangreich informiert worden sind und umfangreich debattiert haben. Sie müssen heute nur noch entscheiden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deswegen will ich Ihnen eines sagen: Es sind weder rechtliche Gründe noch inhaltliche Gründe, es sind politische Gründe für die Opposition, heute diese GO-Debatte zu machen. Das kann ich Ihnen ganz einfach erklären: Sie sind entscheidungsfähig, aber Sie wollen nicht entscheiden. Sie wollen vertagen, verschieben, verschleppen, und wir als Koalition wollen unserer Verpflichtung, Deutschlands Rolle in der Welt gerecht werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wir wollen den Soldaten zeigen: Wir sind entscheidungsfähig. Wir wollen Frankreich zeigen: Wir versprechen nicht nur Solidarität, wir sind auch in der Lage, sie umzusetzen. Letztlich wollen wir Deutschlands Rolle beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus auch vernünftig mandatieren,
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie wollen Völkerrecht brechen!)
und zwar zügig, überzeugend, rechtlich einwandfrei. Und wenn Sie klug sind, machen Sie da noch mit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Britta Haßelmann hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inhaltliche Gründe, warum Sie diesen Tagesordnungspunkt heute aufsetzen wollen und warum Sie heute über das Mandat entscheiden wollen, haben weder Frau Lambrecht noch Herr Grosse-Brömer geliefert. Meine Damen und Herren, das muss man doch mal festhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das ist entscheidungsreif!)
Ich meine, Ihre Erklärung, Frau Lambrecht, die wäre mir peinlich gewesen, abgrundtief peinlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage nur etwas zum Beratungsverfahren. Meine Damen und Herren Zuhörende, es ist nicht üblich, dass man ein Bundeswehrmandat von einer solchen Tragweite innerhalb von einer Woche berät und durch das Parlament bringt. Deshalb müssen heute auch Union und SPD um Aufsetzung bitten; denn bisher war gar nicht vorgesehen, dass wir darüber diskutieren. Also: Kein normaler Vorgang, sondern eine besondere Situation, und die ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christine Lambrecht [SPD]: Nach der Geschäftsordnung!)
Denn wir haben noch weitere Sitzungen in diesem Jahr in der übernächsten Woche.
(Thomas Oppermann [SPD]: Im nächsten Jahr haben wir auch noch ein paar!)
Deshalb könnten in aller Sorgfalt und in aller Ausführlichkeit in den Fachausschüssen auch in der nächsten Sitzungswoche noch offene Fragen diskutiert und beraten werden.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Alles geschehen! – Christine Lambrecht [SPD]: Alles geschehen!)
– Alle, die dazwischenbrüllen, das sei geschehen, sind anscheinend ein bisschen aufgeregt ob der Tatsache, dass sich vielleicht noch mehr Widersprüche im Mandat entwickeln könnten, wenn die Beratungszeit sich verlängert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zur Sache reden – das machen gleich andere –, aber die Beratungen im Auswärtigen Ausschuss haben das doch gezeigt im Hinblick auf die Rolle der Türkei und die Frage „Liefert man Bilder, ja oder nein?“. Da ist das Mandat inzwischen verändert worden – innerhalb von drei Tagen, in denen es uns vorliegt.
Zur Chronologie. Ich will Ihnen erklären, warum wir heute nicht dafür sind und warum wir finden, dass man mit mehr Sorgfalt und Ausführlichkeit beraten muss. Union und SPD befinden sich doch hier im Kosmos dieses Parlamentes. Außerhalb dieses Parlamentes haben wahnsinnig viele Leute Verständnis dafür, dass in Sorgfalt und Ruhe über einen so weitgehenden Einsatz beraten wird. Das findet hier statt. Die Selbstversicherung „Wir sind bereit, wir sind die Große Koalition“ ist der Sache nicht angemessen, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir wurden am Donnerstag letzter Woche 30 Minuten lang vom Außenminister über Gespräche zwischen Frankreich und Deutschland informiert. Wir haben eine Regierungsbefragung zum Mandat durchgeführt. Die hat 30 Minuten gedauert.
(Christine Lambrecht [SPD]: Haben wir doch so vereinbart!)
Wir haben 77 Minuten im deutschen Parlament über diesen Einsatz diskutiert. Ich will nur mal auf die Briten verweisen. Die haben zehn Stunden im Parlament über das Für und Wider eines Syrien-Einsatzes debattiert
(Niels Annen [SPD]: Und sofort entschieden!)
und nicht 77 Minuten oder am Ende dieses Tages zweimal 77 Minuten, meine Damen und Herren. Völlig falsch!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wir haben fünf Stunden Verteidigungsausschuss gehabt! – Christine Lambrecht [SPD]: Es kommt doch auf die Qualität und nicht auf die Quantität an!)
Am Sonntag hat uns der Generalinspekteur der Bundeswehr schon mal via Bild am Sonntag die Details zum Mandat präsentiert. Wir als Parlamentarier kannten sie nicht. Am Montagmorgen berichteten Tagesschau, Der Spiegel, dpa ausführlich über das Mandat. Es lag allen drei Medien vor, im Gegensatz zum Parlament. Am Dienstag bekamen wir dann auch den Mandatstext geliefert. Am Mittwoch fand die erste und gleichzeitig auch abschließende Ausschussberatung statt. So viel zum Thema „Sorgfalt der Beratungen“. Heute debattieren wir in abschließender Lesung. Es kann doch nicht sein, dass man weder die Bundeswehr noch das Mandat noch das Parlament ernst nimmt, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Es gibt dafür keinen sachlichen Grund. Es gibt ihn nicht. Sie beide haben ihn nicht geliefert. Ich glaube, dass der Grund der ist, dass die SPD Bundesparteitag hat und dass dann unbequeme Fragen gestellt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Heute Morgen sagte Thomas Oppermann im Morgenmagazin: Parlamentsarmee heißt nicht, dass wir wochenlang diskutieren müssen. – Das verlangt auch niemand.
(Christine Lambrecht [SPD]: Doch!)
Aber es muss eine anständige und sorgfältige Diskussion geben und kein Schnellverfahren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die gibt es doch gleich!)
Euch steht doch das Wasser bis zum Hals angesichts eures Parteitages. Das ist doch das Problem.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird nichts mit Rot-Grün!)
Meine Damen und Herren, es gibt viele offene Fragen. Es gibt keine Auskünfte zu den Einsatzregeln und -beschränkungen.
Lassen Sie mich am Ende noch eines sagen: Sie nehmen doch den einzelnen Abgeordneten nicht ernst, ob aus unserer Fraktion oder aus ihren Fraktionen. Deshalb überrascht es mich so, dass Sie alle das als Abgeordnete mitmachen. Wir sind doch selbstbewusste Abgeordnete.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir wollen doch sagen können: Wir haben das zu verantworten und deshalb sorgfältig geprüft. – Wo bleibt eigentlich Ihr Standing, verdammt noch mal?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Aufsetzungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Aufsetzungsantrag angenommen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 5 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksachen Ende Original-Link -->18/6866, Ende Original-Link -->18/6912
– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache Ende Original-Link -->18/6913
Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Über die Beschlussempfehlung sowie über einen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig einvernehmlich. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anschläge von Paris werden sich ins europäische Gedächtnis einbrennen. Ebenso müssen wir an andere Gewaltorte erinnern – Sindschar, Aleppo, Beirut, Bagdad, Bamako und viele andere Orte –, in denen der IS so brutal und grenzenlos zugeschlagen hat. Meine Fraktion ist überzeugt: Es gibt keine isolierte militärische Lösung gegen diesen gewaltsamen Extremismus. Aber der „Islamische Staat“ muss eingedämmt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, anders als mancher glaubt, scheint es im Bundestag dazu eine gemeinsame Auffassung zu geben, zumindest gewinnt man den Eindruck, wenn man sich einige Einträge im Netz anschaut. Mit Erlaubnis des Präsidenten würde ich gerne zitieren:
Ich fahre jetzt zur türkisch-syrischen Grenze. Solidarität mit den tapferen kurdischen Kämpferinnen! Halte Stand, Kobane.
Annette Groth, Fraktion Die Linke, 5. Oktober 2014.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Kobane befreit vom Joch der ISIS ... Es lebe der Widerstand in Kobane.
Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.
... eine wichtige Erfolgsmeldung: ... die Stadt ... (Sindschar) ... vom IS zu befreien. ... Möglich wurde die Befreiung ... durch eine breite Allianz kurdischer Gruppierungen, ... bis hin zu den Peschmerga der irakisch-kurdischen Regionalregierung.
Ulla Jelpke, Die Linke, 19. November 2015.
(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben eines übersehen – offensichtlich haben Sie sich gescheut, es aufzuschreiben –: Es waren auch die Angriffe aus der Luft und die Unterstützung vonseiten Deutschlands bei der Ausbildung der Peschmerga, die genau dazu geführt haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die Kurden haben Sindschar befreit!)
Ich werfe Ihnen das nicht vor – man kann das ja mal übersehen –, nur, ich bitte um Redlichkeit. Vielleicht stellen Sie sich auch mal hier in den Deutschen Bundestag und sagen: Ja, vielleicht bin ich auch zerrissen.
Ich sage: Ich bin stolz, Mitglied einer sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu sein, die diese Zerrissenheit und eine lange Debatte in der Fraktion zulässt; möglicherweise ringt der eine oder andere Kollege hier noch mit sich. Ich finde, das ist Parlamentarismus, und das müssen Sie zeigen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandat stellt Deutschland militärische Technik und militärisches Gerät zur Verfügung, die andere Nationen so nicht bieten. Wir glauben, das ist angemessen und politisch vertretbar. Insbesondere ist festzuhalten: Es findet nicht alleine statt. Damit folgen wir der grundsätzlichen Festlegung, die wir hier im Deutschen Bundestag, in der Bundesregierung, aber auch in Europa getroffen haben. Wir agieren immer gemeinsam mit europäischen Partnern und bieten das an, was wir politisch verantworten können. Das ist, glaube ich, die Essenz der Diskussion hier im Deutschen Bundestag.
Es gibt in der Mandatsbegründung überzeugende rechtliche Herleitungen. Die Resolutionen sind angesprochen worden. Insbesondere die UN-Sicherheitsratsresolution 2249 hat in den Beratungen eine wichtige Rolle gespielt. Ich möchte die Resolution 2249 zitieren, die mit allen Stimmen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beschlossen worden ist. Da wird von „einer der schwersten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ gesprochen; das ist der Bezug zur Charta der Vereinten Nationen. Die Staatengemeinschaft wird aufgefordert, die Bedrohung „mit allen Mitteln zu bekämpfen“. Es wird in der Sicherheitsratsresolution darauf hingewiesen, dass auch die irakische Regierung um den Einsatz gebeten hat, weil eine Bedrohung des irakischen Gebiets von außen, durch ISIS, stattfindet. – Ich finde, das sind drei Bemerkungen, drei Festlegungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die so deutlich sind, dass diese Aufforderung auch trägt. – Das ist die eine Sache.
Die zweite Sache. Die Bundesregierung war genauso klug beraten, als sie sich entschied, den Lissabon-Vertrag in der Mandatsbegründung anzuführen, im Hinblick auf die Solidarität zu Frankreich, aber auch zu vielen anderen Nationen, die in den vergangenen Jahren von islamistischem Terror betroffen waren. Artikel 42 (7) EUV trägt als Grundlage einer europäischen Politik. Was wollen Sie eigentlich gegen eine solche europäische Politik einwenden? Da bekennt sich Deutschland letztlich doch zu dem, was diese Gemeinschaft wertvoll gemacht hat, nämlich europäische Solidarität zu üben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der letzte Punkt – ihn hat der Justizminister eingebracht –: der Bezug des Mandats auf das System kollektiver Sicherheit, also auf das, was das Bundesverfassungsgericht von uns verlangt.
In der Tat: Kapitel VII der UN-Charta ist in der Mandatsbegründung nicht ausdrücklich erwähnt. Aber das hat leider auch etwas mit der internationalen Situation zu tun, mit der Erfahrung aus Libyen – gar keine Frage –, aber auch damit, dass es keine Einigkeit über die Zukunft von Assad gibt. Genau deswegen führen wir doch die Gespräche in Wien: damit wir ein gemeinsames politisches Konzept für Syrien erreichen. In der Sicherheitsratsresolution 2249 wird ausdrücklich gewürdigt – das wollen Sie nicht wahrhaben –, dass sich dieses Mandat innerhalb des politischen Rahmens der Konferenz von Wien befindet, die die Bundesregierung und viele andere europäische Regierungen erst möglich gemacht haben. – Ich finde, das ist auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Fragen, die gestellt sind, eine gute Herleitung.
Meine Damen und Herren, ich finde, dass gerade das, was die Bundesregierung in den letzten Wochen im Rahmen der Debatte immer wieder gefordert hat, nämlich die Stärkung der Vereinten Nationen, eines der wichtigsten Argumente für die Solidarität ist, die Deutschland üben sollte. Der Einsatz findet in einem System kollektiver Sicherheit statt.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Welches System denn? Welches?)
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stand die Charta der Vereinten Nationen im Mittelpunkt; es war uns wichtig, die Instrumentarien, die die Vereinten Nationen vorhalten, zu nutzen. Es war der deutsche Außenminister, der de Mistura, den Beauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, endlich in Wien an den Tisch gebracht hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dort wurden der Zeitplan und letztlich auch die Ziele verabredet, die da lauten: lokale Waffenruhen, Übergangsregierung und Wahlen.
Heute Morgen war zu lesen, dass Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, gesagt hat, dass er hofft und mit der internationalen Staatengemeinschaft dafür arbeitet, dass es gelingt, zu dieser Waffenruhe zu kommen. Es wäre schon ein Fortschritt, lokale Waffenruhen zu vereinbaren. Wir Sozialdemokraten wollen gleichzeitig – auch das ist Bestandteil der Verabredungen von Wien – endlich das Finanzsystem austrocknen,
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Endlich!)
das dem IS diese Möglichkeiten erlaubt, und auch die Hintermänner dingfest machen. Genau das wird auch in der Resolution 2170 des Sicherheitsrates gefordert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sagen wir sehr selbstbewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es lohnt sich, innerhalb des Systems der Vereinten Nationen an der Verwirklichung des Ziels – das wir alle im Deutschen Bundestag haben –, in Syrien, aber auch in anderen Gebieten so schnell wie möglich zum Frieden zu kommen, zu arbeiten. Das haben wir in den vergangenen Jahren im Rahmen einer politischen Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten immer wieder versucht.
Ich kann mich an die eine oder andere kritische Bemerkung von Ihnen erinnern. Sie haben gesagt: Eine Einigung mit dem Iran wird nie gelingen, Sie brauchen sich nicht auf den Pfad der Vereinten Nationen zu begeben. – Wir stimmen heute auch darüber ab, dass das ein gutes Mittel ist. Das Ziel Deutschlands bleibt es, Frieden für die Menschen in Syrien zu erreichen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dennoch will ich darauf hinweisen – auch wenn es eine entsprechende Verabredung im Rahmen der Vereinten Nationen in Wien gegeben hat –, dass für meine Fraktion feststeht: Die Vereinbarung von Wien darf nicht die Verfolgung schlimmster Verbrechen in Syrien verhindern. Deswegen bin ich der Bundesregierung dankbar, dass unter der deutschen Präsidentschaft im Menschenrechtsrat Dossiers über schwerste Menschenrechtsverletzungen erstellt wurden. Die internationale Strafjustiz muss in den nächsten Jahren über die dafür Verantwortlichen entscheiden. Genau dahin wird die Entwicklung gehen. Das ist auch ein Teil des Systems der Vereinten Nationen. Ich wäre dankbar, wenn Sie zumindest diese Möglichkeit weiterhin ins Auge fassen und uns bei dieser wichtigen Arbeit unterstützen würden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen. Meine Fraktion hätte heute gerne einen gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgelegt. Ich finde es schade, Herr Kollege Kauder, dass es dazu nicht gekommen ist.
(Beifall bei der SPD)
Es gibt viele Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung. Gerade weil es auch um den politischen Rahmen dieser Frage geht, hätte eine selbstbewusste Koalition hier und heute einen Entschließungsantrag vorlegen können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Auch an die Bundesregierung habe ich eine Bitte. Ich weiß, wie wichtig der Partner Saudi-Arabien gerade im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Oppositionsparteien ist, die wichtig sind, um die in Wien vereinbarte Lösung umzusetzen. Aber ich finde dennoch, dass öffentlich auch angesprochen werden muss: Die Staatsideologie Saudi-Arabiens ist ein Teil des Nährbodens für den „Islamischen Staat“; das gehört nach meinem Dafürhalten zu einer ehrlichen Debatte dazu.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe es eben angesprochen: Meine Fraktion hat sich wirklich Zeit genommen, um über das Mandat zu beraten. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen haben die Befürchtung geäußert, das Mandat könnte das Risiko von Anschlägen in Deutschland erhöhen. Ich kann das persönlich nicht ausschließen. Aber ich will deutlich sagen: Deutschland ist längst im Fokus des internationalen Terrorismus. Es ist dem Zufall, dem Glück, aber auch der Aufklärungsarbeit zu verdanken, dass das eine oder andere verhindert wurde. Ich glaube, die Terroristen in Paris haben ganz bewusst das Fußballspiel Deutschland gegen Frankreich als Ziel gewählt; denn dann wären noch mehr deutsche Terroropfer unter den Verletzten oder Toten gewesen. Der entscheidende Punkt wird sein, ob auch die Gesellschaft in Deutschland es versteht, mit dieser Herausforderung umzugehen.
Ich erinnere mich: Vor zweieinhalb, drei Jahren habe ich in einer Schule mit, glaube ich, 150 Schülerinnen und Schülern diskutiert. Dort musste ich eine Diskussion mit einem Jungen, der 17 oder 18 Jahre alt war, führen, der der Meinung war: Eigentlich ist das Kalifat besser als die Demokratie. Ich war entsetzt. Ich habe mich dieser Diskussion gestellt, aber ich war entsetzt, wie teilnahmslos Schülerinnen und Schüler und Lehrer dieser Debatte gefolgt sind. Ich habe mir schon damals gewünscht, dass eine Auseinandersetzung stattfinden würde. Sie ist dringend notwendig ist. Diese Auseinandersetzung müssen wir jetzt führen, weil es letztlich eine Angelegenheit der gesamten Gesellschaft ist, dagegen vorzugehen. Deswegen appelliere ich auch von dieser Stelle: Das ist eine Aufgabe des gesellschaftspolitischen Dialogs – in allen Institutionen, nicht nur in diesem Parlament, sondern in der gesamten Gesellschaft.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen: Wir müssen festhalten an sozialer Demokratie, an Freiheit und an Respekt; denn das sind die besten Mittel im Kampf gegen einen gewaltsamen Extremismus.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Sahra Wagenknecht das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin! Bei der bewegenden Trauerfeier vor einer Woche in Paris zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge wurde das Lied Quand on n’a que l’amour des großen Chansonniers und Pazifisten Jacques Brel gesungen, das in krassem Kontrast zur Kriegsrhetorik des französischen Präsidenten stand.
Quand on n’a que l’amour
Pour parler aux canons ...
Wenn man nur die Liebe hat, um zu den Kanonen zu sprechen. – Das ganze Lied ist eine Hommage an die Liebe und an den Frieden und eine klare Absage an Gewalt und Krieg. Die Zeremonie wurde auch hier in Deutschland übertragen. Ich wünschte, Sie alle, die heute zustimmen wollen, hätten dieses Lied gehört und seine Botschaft verstanden.
(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Die Franzosen haben es auch gehört und verstanden!)
Vor genau drei Wochen sind in Paris 130 Menschen einem barbarischen Terrorakt zum Opfer gefallen. Die Täter waren nahezu ausschließlich französische und belgische Staatsbürger, aufgewachsen in den verwilderten Vorstädten von Brüssel und Paris. Und jetzt stellen Sie sich hin und sagen, dass wir den IS dadurch schwächen und bekämpfen, dass wir ebenso unschuldige Menschen, Frauen und Kinder in Rakka und anderen syrischen Städten, bombardieren und dadurch töten. Was ist denn das für ein Wahnsinn? Ich frage Sie: In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie hier sagen, Sie haben sich das gar nicht leicht gemacht und darüber nachgedacht und wir, die wir Nein sagen, hätten keinen Plan, wie man das anders machen kann, dann sage ich: Doch, es gibt einen anderen Plan. Es gibt nur einen anderen Plan. Krieg macht alles nur noch schlimmer. Sie bekämpfen den IS dadurch nicht. Sie werden ihn stärken mit diesem Einsatz.
(Beifall bei der LINKEN)
Rakka ist eine Stadt mit 200 000 Einwohnern. Bei den letzten Bombardements wurden Krankenhäuser und Schulen getroffen. Es gibt keine offiziellen Zahlen über die Opfer, aber man kann fest davon ausgehen, dass allein der Bombenkrieg der letzten drei Wochen in Syrien mehr Zivilisten getötet hat als die barbarischen Anschläge in Paris. Und auch die Mütter von Rakka weinen um ihre Kinder. Auch Bombenkrieg ist Terror.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wollen die kriegführenden Staaten wirklich in einen Wettstreit mit dem IS treten, wer sich aufs Morden besser versteht? Wer das tut, der hat doch schon verloren.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Eine unerhörte Argumentation! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mord ist Mord!)
Der französische Wirtschaftsminister Macron hat nach den Anschlägen gesagt, die französische Gesellschaft sei „für den Nährboden“ verantwortlich, auf dem der Terror gedeihen kann.
(Marcus Held [SPD]: Jetzt geht es aber los!)
Gegen das „Gleichheitsversprechen“ – alles Zitat Macron – der französischen Republik werde tagtäglich verstoßen. „Wir haben die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten beendet“, sagte er. – Sie behaupten, Sie wollen mit Frankreich solidarisch sein. Ich frage Sie: Mit welchem Frankreich? Mit dem der politischen Klasse, das auch schon in der Vergangenheit schlimmste Kriege verantwortet hat – ich erinnere nur an den in Algerien –, oder mit der französischen Bevölkerung, die vor allem in Frieden und Sicherheit leben will?
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich sage Ihnen: Wenn Sie echte Freundschaft und echte Solidarität mit Frankreich wollen, dann sollten Sie beispielsweise aufhören, diesem Land über Brüssel eine Austeritätspolitik aufzuzwingen, die immer mehr junge Menschen ihrer Zukunft beraubt. Das wäre echte Solidarität. Da könnten Sie mal einen Schritt vorangehen.
(Beifall bei der LINKEN – Marcus Held [SPD]: Unglaublich!)
Deshalb noch einmal: Es ist eine schlichte Lüge, dass dieser Kriegseinsatz den IS schwächen wird. Das ist auch der Unterschied zum Kampf der kurdischen Verbände vor Ort.
(Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])
Vielleicht konnte man vor 14 Jahren noch glauben, dass sich das Problem des Terrorismus durch Bombenkriege lösen lässt, aber heute doch nicht mehr nach all den Erfahrungen, die gemacht wurden. 2001 haben Sie entschieden, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Seit 14 Jahren wird dort ein Krieg geführt, dem Tausende Zivilisten und auch über 50 Bundeswehrsoldaten zum Opfer gefallen sind. Und was ist das Ergebnis? Heute haben die Taliban in Afghanistan mehr Rückhalt in der Bevölkerung als je zuvor. Dieser ganze Krieg war ein einziger großer Fehlschlag. Sie könnten das ruhig selbst mal zugeben.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)
2003 ist Bush mit seiner „Koalition der Willigen“ in den Irak einmarschiert. Saddam Hussein wurde gestürzt. Sechs Monate später gründete sich der „Islamische Staat“, und heute beherrscht er den halben Irak. 2011 wurde Libyen bombardiert. Gaddafi wurde gestürzt. Seither herrscht Chaos, und der „Islamische Staat“ hat sich auch in Libyen etabliert. Und das Gleiche in Syrien. Das Pentagon hat doch vor kurzem selbst zugegeben, dass diverse islamistische Terrorgruppen und anfänglich sogar der IS von den USA unterstützt wurden, um Assad zu schwächen. Das ist doch die traurige Wahrheit: Es war der Westen, und es waren vor allem die Vereinigten Staaten, die das Monster geschaffen haben,
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)
das uns alle heute in Angst und Schrecken versetzt. Das ist die Wahrheit; die wollen Sie nicht hören. Aber es ist das Produkt unserer Kriege, der westlichen Kriege in dieser Welt.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Janecek zu?
Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Bitte schön.
Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Frau Kollegin Wagenknecht, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Auch ich werde wie Sie gegen diesen Einsatz stimmen. Aber ich frage mich doch sehr, ob Sie in Ihrer Argumentation nicht etwas einseitig agieren.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)
Sie beklagen zu Recht die zivilen Opfer bei den Luftschlägen in Rakka. Was ist aber mit den Luftschlägen der russischen Seite, zum Beispiel in der Region von Homs? Ich kenne einen syrischen Flüchtling, der genau in dieser Region seine Familie hat und darüber klagt, dass die russischen Bomber seit Mitte September hier massive Einsätze mit vielen Opfern fliegen. Dazu kommt kein Wort von Ihnen,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)
kein Wort auch von Herrn Bartsch in der Debatte letzten Mittwoch.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gerne! Gerne! Überhaupt kein Problem!)
Sind Sie da auf einem Auge blind, dass Sie den Westen für alles verantwortlich machen, aber die verheerenden Einsätze der Russen nicht in diesen Kontext stellen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wer lesen kann, ist im Vorteil!)
Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Ich finde es ja wirklich beeindruckend, dass Sie alle klatschen, wenn jemand die zivilen Opfer der russischen Bomben anspricht.
(Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Selbstverständlich sind diese Opfer genauso tragisch wie die Opfer der Bomben der Franzosen, wie die Opfer der Bomben der Amerikaner, wie die Opfer aller anderen Bomben. Dieser Bombenkrieg ist das falsche Mittel. Bomben schaffen keinen Frieden, egal ob sie von Russland, egal ob sie von den USA, egal ob sie von Frankreich abgeworfen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das haben wir überall so gesagt. Ich habe gestern auf einer Demonstration hier vor dem Reichstag gesprochen, zu der wir mit eingeladen hatten. Ich habe dort genau das Gleiche gesagt.
Es ist doch unehrlich: Sie klatschen und sagen, dass diese Opfer falsch sind – das ist auch in die Presse gekommen –,
(Widerspruch bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
aber Sie stimmen heute einem Militäreinsatz zu, der ganz viele weitere Opfer mit sich bringen wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist doch einfach verlogen. Wenn Sie gegen Bomben sind und wenn Sie die russischen Bomben verurteilen, dann reichen Sie, bitte schön, nicht mit Ihren Tornados die Hand dafür, dass dort andere Bomben fallen und Zivilsten töten. Das wäre konsistent, das wäre konsequent.
(Beifall bei der LINKEN)
Dann hätte ich auch Respekt vor Ihnen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen keinen Respekt von Ihnen!)
Natürlich: Ich weiß sehr gut, dass Assad ein Diktator ist, der sein Land brutal unterdrückt. Aber ich weiß genauso gut, dass es in Washington noch nie um Demokratie und Menschenrechte ging, wenn in selbstherrlicher Arroganz darüber entschieden wurde, welche Diktatoren dieser Welt gestützt und hochgerüstet und welche Diktatoren destabilisiert und gestürzt werden sollen. Es ging doch bei all diesen Kriegen nie um etwas anderes als um Gas, um Öl und um Einflusssphären. Für solche Ziele haben mittlerweile 1,3 Millionen Menschen mit ihrem Leben bezahlt.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Alles Klischees!)
– Klischees? 1,3 Millionen Menschenleben, und Sie reden von Klischees? Dieser Zwischenruf kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein! Ich finde das wirklich ungeheuerlich.
(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Sie sind ungeheuerlich!)
Es waren diese Kriege, die den Nahen und Mittleren Osten in einen Brandherd verwandelt haben, aus dem heute Millionen Menschen um ihres nackten Überlebens willen fliehen. Es ist ein großes Versagen der europäischen Politik, den USA bei ihren Kriegen viel zu lange die Hand gereicht und den Rücken freigehalten zu haben.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
2001, als der sogenannte Krieg gegen den Terror begann, gab es weltweit einige 100 international gefährliche Terroristen. Heute, nach 14 Jahren des sogenannten Antiterrorkrieges, sind es Hunderttausende. Wollen Sie, dass es Millionen werden? Dann müssen Sie genau so weitermachen und die Spirale aus Krieg und Gewalt immer weiter antreiben.
(Thomas Hitschler [SPD]: Wann kommt denn Ihr Plan? – Marcus Held [SPD]: Wo sind Ihre Vorschläge?)
Im Jahr 2000 kamen weltweit 3 000 Menschen bei Terroranschlägen ums Leben. Im letzten Jahr waren es schon 30 000. Sie wissen ganz genau, dass Sie mit der heutigen Entscheidung natürlich auch die Anschlagsgefahr in Deutschland erhöhen. Nein, ich sage Ihnen: Wer den IS wirklich schwächen will, der muss ihn von Waffen, Finanzen und Nachschub an neuen Kämpfern abschneiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das heißt, er muss die Courage haben, den Terrorpaten unter Ihren vermeintlichen Verbündeten, also der Türkei und den Saudis, endlich das Handwerk zu legen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist doch ungeheuerlich, dass der Ölschmuggel über die türkische Grenze bis heute nicht unterbunden ist und jede Nacht 100 neue Dschihadisten – zurzeit sind es noch mehr – diese Grenze überqueren, die den Nachschub des IS bilden. Ich finde, statt Syrien zu bombardieren, sollten Sie lieber mal Erdogan dazu bringen, endlich sein falsches Spiel zu beenden. Es ist übrigens auch dieser Erdogan, der die kurdischen Gruppen, die dort wirklich tapfer kämpfen, bombardiert, nicht zuletzt auch mit deutschen Waffen. Das ist doch der Skandal. Das ist die ganze Verlogenheit dieser Politik.
(Beifall bei der LINKEN)
Hören Sie auf, Waffen an Saudi-Arabien und Katar zu liefern! Wir legen heute einen Entschließungsantrag zum sofortigen Stopp der Waffenexporte an Saudi-Arabien, Katar, die Türkei und die Kriegsregion vor. Wer diesem Entschließungsantrag seine Stimme verweigert, der soll bitte nie wieder von sich behaupten, er wolle den islamistischen Terror schwächen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)
Das ist dann nämlich wirklich pure Heuchelei.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer heute zustimmt, der führt Deutschland in einen Krieg mit völlig unkalkulierbaren Eskalationsgefahren,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es reicht jetzt! – Gegenruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]: Nein, es reicht noch lange nicht! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das müssen Sie sich schon anhören, Herr Kauder!)
in einen Krieg, für den es kein Mandat der Vereinten Nationen gibt, der völkerrechtswidrig ist und klar dem Grundgesetz widerspricht; denn weder Frankreich noch Deutschland werden in Rakka und Aleppo verteidigt. Wer heute zustimmt, der schickt unsere Soldaten in einen Krieg, in dem bereits 14 andere Staaten kämpfen: nebeneinander, miteinander, gegeneinander. Es gibt keine gemeinsamen Ziele, und es gibt keine gemeinsame Strategie, noch nicht mal innerhalb der NATO-Staaten, geschweige denn darüber hinaus.
Die Wiener Friedensgespräche – noch vor einer Woche hatten wir das Gefühl, dass Herr Steinmeier wirklich ehrlich an deren Erfolg arbeitet -
(Matthias Ilgen [SPD]: Das tut er! – Ulli Nissen [SPD]: Was ist los? Was soll das denn heißen?)
werden durch die Eskalation des Krieges natürlich noch viel mehr erschwert und nicht etwa erleichtert. Das ist doch alles verantwortungslos!
(Matthias Ilgen [SPD]: Sie sind verantwortungslos!)
Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, was die sogenannten Antiterrorkriege wirklich gebracht haben. Krieg ist Terror, der neuen Terror hervorbringt.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind die zehn Minuten immer noch nicht um?)
Ich sage Ihnen: Das ist so, als wollten Sie Papst Julius III. bestätigen, der schon im 16. Jahrhundert gesagt hat – -
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch schon länger als zehn Minuten!)
– Ich bin gleich am Ende.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Bravo! – Na endlich!)
– Sie wollen das nicht hören, aber Sie werden es noch öfter hören müssen, weil dieser Krieg leider lange dauern wird. – Es ist, wie gesagt, so, als wollten Sie Papst Julius III. bestätigen, der schon im 16. Jahrhundert gesagt hat:
Wenn Ihr wüsstet, mit wie wenig Aufwand von Verstand die Welt regiert wird, so würdet Ihr Euch wundern.
Aber eine hochgerüstete Welt mit Atomwaffen kann es sich nicht leisten, ohne Verstand regiert zu werden; denn das ist einfach zu gefährlich. Deshalb wird die Linke heute geschlossen gegen diesen Kriegseinsatz stimmen.
(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Sie haben es einfach nicht verstanden! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine Katastrophe! Wirklich beschämend!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Norbert Röttgen ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es verdient Respekt, wenn Mitglieder dieses Hauses am Ende gegen diesen Einsatz stimmen. Wer aber – wie Sie, Frau Wagenknecht, durchgehend in Ihrer Rede – die Verteidigung gegen den Terror auf eine Stufe mit dem Terror stellt, der offenbart nicht nur ein Maß an ideologischer Verwirrung, sondern auch an Infamie, das dem Ernst dieser Debatte nicht gerecht wird.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahrzehnten haben wir Europäer die Region des Mittleren Ostens praktisch allein den USA überlassen; seit Jahren haben wir diese Region sich selber überlassen. ISIS-Terror, Assad, Fassbomben auf die eigene Bevölkerung, jetzt auch eine russische Militärintervention und Hunderttausende von Toten sind die Folgen.
Die Anschläge von Paris haben uns in Europa gezwungen, zu erkennen, dass die Region des Mittleren Ostens nicht im Süden von Amerika liegt, sondern unsere Nachbarregion ist und dass Terror und Krieg in dieser Region – in Syrien und im Irak – eine Frage von Sicherheit in Europa, in Deutschland und Frankreich ist. Das ist es, was wir erkennen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es wird zu Recht viel über das Verhältnis von Politik und Militär bei diesem Einsatz gesprochen. Meine Überzeugung ist, dass die weitreichendste politische Dimension des militärischen Einsatzes, über den wir heute abstimmen, genau darin liegt, dass wir Europäer endlich die politische Verantwortung für diese Region, auch im Namen und Interesse unserer eigenen nationalen Sicherheit, annehmen. Darum geht es, und das steht auf dem Spiel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nichthandeln und Zusehen hat es lange genug gegeben. Die Verantwortung liegt nun darin, zu handeln.
Das Handeln wirft politische, militärische, rechtliche und auch menschliche Fragen auf, zu denen ich jeweils kurz etwas sagen möchte.
Zu den politischen Fragen. Ich glaube, alle haben aus den schweren Fehlern gelernt, die gemacht worden sind. Alle haben gelernt: Ohne ein politisches Konzept sind militärische Mittel zum Scheitern verurteilt.
Es fehlt uns nicht an den politischen Vorstellungen. Wir wissen, was zu tun ist: Wir wissen, dass wir auf den Irak einwirken müssen, dass es endlich zu einer wirklichen Beteiligung von Sunniten und Kurden an der Macht kommt, damit die Sunniten am Ende nicht doch ISIS mehr vertrauen als der Regierung in Bagdad;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
wir wissen, dass wir mit der Türkei reden müssen, dass sie sich der Priorität, ISIS zu bekämpfen, anschließt und nicht an erster Stelle das Kurden-Problem sieht; wir wissen, dass wir mit Russland kooperieren müssen, weil Russland dort ein Machtfaktor ist, und so weiter. Wir wissen das alles.
Worum es geht, ist, dass wir das endlich tun. Es geht darum, Konsequenzen zu ziehen; es geht um das Tun.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es geht auch darum, zu beantworten: Wer ist „wir“?
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)
Ich möchte darauf eine Antwort geben und gleichzeitig auch eine Aufforderung an die Bundesregierung richten: Ich glaube nicht, dass „wir“ Deutschland ist oder dass „wir“ Frankreich ist. Meine Aufforderung an die Bundesregierung ist, dass wir, wie in anderen Fällen – den Nuklearverhandlungen, dem Normandie-Format oder dem Weimarer Dreieck –, auch gegenüber der Region des Mittleren Ostens ein europäisches Handlungsformat entwickeln. Das gibt es noch nicht. Das brauchen wir, und wir müssen es jetzt entwickeln.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die schwersten externen Herausforderungen für Europa kommen zu einer Zeit, in der Europa in der schlechtesten Verfassung seit seinem Bestehen ist.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt leider!)
Dieses Zusammentreffen ist ein Teil der historischen Situation, in der wir uns befinden. Wir müssen in dieser Krise die Chance nutzen, zu zeigen, dass Europa etwas kann und dass Europa eine Notwendigkeit ist. Darum müssen wir Europa in dieser Situation einsetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme zum militärischen Aspekt. Noch einmal – da stimmen alle zu –: Ohne Politik macht Militär keinen Sinn. Ich stelle hier aber auch einen zweiten Satz in den Raum, nämlich dass wir die Umkehrung dieses Satzes als Teil der Realität im Mittleren Osten akzeptieren müssen: Ohne militärische Präsenz des Westens in Syrien, im Irak und im Mittleren Osten wird die Diplomatie keine Chance haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Es ist Realität: Wenn wir die Region ISIS, Assad und Putin überlassen, dann wird es keine diplomatischen Lösungen geben; denn für diese Machthaber, für den russischen Präsidenten ist Diplomatie nicht das Regulativ, sondern die Resultante von Macht, vor allen Dingen von militärischer Macht. Darum bedarf es auch der militärischen Präsenz des Westens in dieser Region.
Ich komme zu den rechtlichen Fragestellungen. Manche empfinden die Rechtsfragen immer als eine Förmelei. Ich glaube, man kann und darf an dieser Stelle darauf hinweisen, dass spätestens seit der Schrift Immanuel Kants Zum ewigen Frieden
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Oh! Gelesen?)
die Idee des Rechts als Instrument des Friedens Eingang nicht nur in die europäische Aufklärung, sondern auch in die Begründung und Entwicklung des internationalen Rechts, des Völkerrechts gefunden hat. Darum spiegelt sich im Recht die Legitimation zum Einsatz des äußersten Mittels, nämlich militärischer, staatlicher Gewalt.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh, oh, oh!)
Hier stellen sich auch neue Herausforderungen. Das Recht, das Völkerrecht, das Verfassungsrecht sind auf Staatenhandeln, auf Kriege zwischen Staaten orientiert. Wir haben es aber nicht mit einem Staat zu tun, sondern wir haben es mit einem nichtstaatlichen, vielleicht quasistaatlichen Akteur zu tun, der von dem Territorium eines Staates seinen Terror auf uns richtet.
Manche auch hier im Hause vertreten die Auffassung, dass genau deswegen, weil dieser Terror von einem anderen Staat ausgeht, aber nicht der Staat selber handelt, sondern die Terrortruppe, die staatliche Souveränität ausschließt, dass wir uns gegen diesen Terror wehren. Wenn wir uns dieser Auffassung anschließen würden, meine Damen und Herren, die das Völkerrecht als Schutz für Terror ansieht, dann würde sich das Völkerrecht von einer Schutzordnung gegen Gewalt zu einer Schutzmacht für die ungestörte Ausübung terroristischer Gewalt verwandeln. Diese Perversion von Recht dürfen wir nicht zulassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Röttgen, darf Ihnen der Kollege Neu eine Zwischenfrage stellen?
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Nein, das möchte ich nicht. – Darum glaube ich, dass die völkerrechtliche Grundlage, das Selbstverteidigungsrecht, vorliegt. Es ist legitim und legal, sich gegen diese Angriffe zu wehren.
Meine Auffassung ist, dass das auch der verfassungsrechtliche Gedanke ist, wie der Kollege Mützenich ausgeführt hat. IS erklärt: Auch ihr seid in unserem Fadenkreuz. IS erklärt sich zum Urheber des Terrors. Darum, glaube ich, handeln wir mit diesem Einsatz zur Verteidigung Deutschlands, wie es in Artikel 87 a des Grundgesetzes vorgesehen ist, meine Damen und Herren.
(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Die Bundesregierung hat sich nicht dazu durchgerungen, dieses Neuland zu betreten. Sie hat sich auf Artikel 24 des Grundgesetzes berufen. Es liegt in der Verantwortung der Bundesregierung, das zu entscheiden. Politisch ist für mich entscheidend, dass es eine verfassungsrechtliche Grundlage gibt. Auf dieser Grundlage ist die Zustimmung möglich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Politisch: Ja, es gibt viel zu tun. Aber wir können und müssen anfangen, etwas zu tun. Das ist kein Gegenargument. Militärisch: Ja, es gibt einen Mangel an Bodentruppen. Durch die Anschläge hat sich die sicherheitspolitische und militärische Lage erst einmal nicht grundsätzlich geändert. Aber es gab auch bislang schon militärische Erfolge, und wir werden die militärische Ausstattung verbessern. Rechtlich: Ja, da müssen wir vielleicht Neuland betreten. Aber wir haben es eben auch mit neuartigen Bedrohungen unserer Sicherheit zu tun. Darauf muss auch das Recht eine Antwort finden.
Wen das alles nicht überzeugt, dem möchte ich ein letztes Argument entgegenhalten – ich richte mich an diejenigen, die für Überzeugungsbildung offen sind –: Es geht darum – das macht es klar und eindeutig –, sich in die Opfer des Terrors hineinzuversetzen, sich als Mutter oder Vater oder Großeltern nur in ein Mädchen zu versetzen, das verkauft wird, damit der Terror finanziert werden kann, das verkauft wird und dann schrecklich behandelt und misshandelt wird. Es geht darum, sich das Gesicht nur eines Mädchens vorzustellen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass diese Brutalität und Menschenverachtung absoluter Alltag sind, dann kann ich denjenigen, die erwägen, heute mit Nein zu stimmen, eine Anmerkung nicht ersparen, und ich möchte sie Ihnen mitgeben: Ich finde, es braucht schon verdammt gute Argumente, wenn man angesichts dieser Menschenverachtung und Brutalität mit Nein stimmt, für eine Fortsetzung des Nichthandelns.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Gute Argumente für ein Nichthandeln gibt es nicht. Es ist Zeit, zu handeln, am allermeisten für die Opfer, die wir beschützen wollen.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Neu das Wort.
Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Mützenich hat gerade davon gesprochen, dass ein Vorgehen nach Kapitel VII der UN-Resolution nicht möglich sei, da man sich im UN-Sicherheitsrat nicht darüber hat einigen können. Das ist richtig, weil es unterschiedliche politische Konzeptionen für Syrien gibt. Moskau hat dem wohl nicht zugestimmt, weil Sie auf einen Regimewechsel von außen setzen; das ist der Punkt. Weil man jetzt der Auffassung ist, dass eine gemeinsame Resolution des Sicherheitsrates nach Kapitel VII nicht erreicht wird, möchte man Lufttruppen entsenden und sich beteiligen, um vor Ort eine Lösung gegen Russland zu erzwingen. Das war im Übrigen auch der Tenor des Kollegen Röttgen. Mir wurde während seines Vortrags nicht klar, wer in seinen Augen der größere Gegner ist, die russische Regierung oder der IS. Das wurde nicht deutlich. Ich hatte eher den Eindruck, dass es die Russen sind.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ihnen fehlen die Voraussetzungen eines Vorgehens nach Kapitel VII. Das sind keine Peanuts. Ich meine, wir kennen das aus dem Kosovo; da war es genauso. Im Irakkrieg haben wir damals nicht so richtig mitgemacht. Aber letztlich gehen wir den Schritt weiter und machen ohne eine Kapitel-VII-Mandatierung mit.
Zweitens. Sie trauen Ihrer Selbstverteidigungsklausel selber nicht. Ich habe mir den Antrag noch einmal genau angeschaut. Sie verweisen auf Paris, das ist okay. Dann aber verwenden Sie ein seltsames Hilfskonstrukt. Sie verweisen auf den Irak und sagen, der IS habe von Syrien aus den Irak angegriffen und der Irak müsse sich selbst verteidigen, auch kollektiv. Besser kann man die Geschichte kaum verdrehen. Der IS ist ein Produkt der Vorgänge im Irak und hat seine Übergriffe auf Syrien ausgeweitet, nicht umgekehrt. Sie erstellen ein interessantes Hilfskonstrukt und sagen: Weil der Irak und die syrische Regierung sich nicht selbst verteidigen können, gehen Sie dazu über, die amerikanische Doktrin von „unable and unwilling“ zu übernehmen, und zwar wortwörtlich in diesem Antrag. Sie versuchen, rechtliches Neuland zu betreten. Sie versuchen, eine neue Interventionsdoktrin von „unable and unwilling“ hier zu praktizieren und völkerrechtskonform zu machen. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):
Wenn ein Land das Selbstverteidigungsrecht für sich in Anspruch nehmen kann, dann ist das die syrische Regierung, die immer noch legitim ist, ob einem das gefällt oder nicht. Es gibt ein Schreiben der syrischen Regierung an den UN-Sicherheitsrat vom 17. September, in dem die syrische Regierung den Westen via Sicherheitsrat auffordert, sich aus dem syrischen Territorium zurückzuziehen. Aber das interessiert Sie nicht. Wenn ein Land das Recht auf Selbstverteidigung hätte, dann wäre das die syrische Regierung, ungeachtet der Frage, ob die Regierung gut ist oder nicht gut ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Wagenknecht, auch ich habe große Zweifel, ob dieser Einsatz sinnvoll ist. Aber Sie können doch nicht wirklich ernsthaft den Versuch des Kampfes gegen den IS gleichsetzen mit dem Einsatz Russlands auf der Seite der Truppen von Assad. Es ist Assad, der für 75 Prozent der Toten verantwortlich ist, Assad, der seine eigene Bevölkerung mit Fassbomben bewerfen lässt, Assad, der Tausende von Menschen in seinen Folterkellern hat ermorden lassen. Das kann und das darf man nicht gleichsetzen. Das ist einfach eine Frechheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Herr Röttgen, Sie haben uns mit Ihrem sogenannten letzten Argument und dem Hinweis auf das Mädchen angesprochen. Herr Röttgen, auch uns nimmt das sehr mit, und wir denken sehr intensiv darüber nach, was zu tun ist, um das Morden in der Region zu stoppen. Aber ein Nein zu Ihrem Mandat bedeutet nicht, dass wir der Meinung sind, dass man nicht handeln soll.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])
Wir sind nur der Meinung, dass Sie mit diesem Mandat Ihr Ziel nicht erreichen; das ist der entscheidende Punkt. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie erreicht man das denn Ihrer Meinung nach?)
Wir sollten nach den Anschlägen 2004 in Madrid, 2005 in London und nun in Paris mit kluger Analyse und kühlem Kopf vorgehen, wenn es um die Frage geht, wie wir damit am besten umgehen. Wenn ich mir Ihr Mandat anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass Sie etwas tun, um einfach etwas zu tun. Ich kann in diesem Mandat keine ausgereifte Strategie erkennen. Ich habe den Eindruck, dass Ihr Mandat nichts anderes als Aktionismus ist. Ihr ganzes Vorgehen ist davon geprägt, sowohl der zeitliche Ablauf der Beratungen als auch die inhaltliche Ausgestaltung des Mandats. Deshalb kann ich Ihrem Mandat leider nicht zustimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr schade! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Und was ist Ihre Alternative?)
Ja, wir stehen an der Seite Frankreichs. Ja, wir sind solidarisch. Deswegen teilen wir auch Ihren Impuls, jetzt zu handeln. Aber Handeln darf doch kein Selbstzweck sein. Genauso wenig darf Solidarität bedeuten, dass wir einfach Ja sagen. Wir haben bei dieser Frage intensiv mit uns gerungen. Wir haben uns entschieden, nicht sofort Ja oder Nein zu sagen. Es ist sehr schwierig, einem engen Verbündeten wie Frankreich eine Bitte abzuschlagen. Dafür muss es gute Gründe geben. Ich möchte Ihnen einige aufzählen.
Wir tragen die Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten, die wir als Parlamentsarmee in diesen Einsatz schicken. Wir können diese Verantwortung doch nur tragen, wenn wir einen guten Plan mit dieser Mission verbinden. Aber einen guten Plan gibt es leider nicht. Die Beratungen im Verteidigungsausschuss haben das eher deutlicher gemacht.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht da!)
Sie wollen hier ein militärisches Eingreifen beschließen, das laut Einschätzung der militärischen Führung unseres Landes zehn Jahre oder länger dauern kann. Sie können aber nicht darlegen, wie eine politische Lösung aussehen kann. Das ist doch kein verantwortliches Handeln.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Können Sie es denn? Wir können es, Sie nicht!)
Dieses Mandat ist gefährlich vage, weil es so viele Fragen unbeantwortet lässt. Wer hat eigentlich den genauen Oberbefehl: die Franzosen oder die Amerikaner?
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau von der Leyen! – Rainer Arnold [SPD]: Das ist doch alles geklärt!)
Wie gehen Sie denn mit Russland um, das de facto den syrischen Luftraum kontrolliert und auf der Seite Assads kämpft, der, wie bereits erwähnt, Fassbomben auf die eigene Bevölkerung werfen lässt?
Schauen wir uns nur die Auslassungen von Frau von der Leyen an. Am Wochenende war von Frau von der Leyen noch zu hören, dass wir vielleicht auf der Seite der Truppen von Assad kämpfen könnten. Dann hat sie erklärt, dass das alles so nicht gemeint war, und ist zurückgerudert. Wie ist es nun gemeint? Wie gehen Sie denn mit Russland um? Wie gehen Sie denn mit Assad um? Ich kann da keine klare Strategie erkennen. Hatte Frau von der Leyen am Wochenende recht, oder hatte sie unter der Woche recht? Was wird sie morgen erzählen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Sie müssen auch einmal zuhören!)
Welche Rolle spielt eigentlich die Türkei in der ganzen Angelegenheit, die mehr gegen die Kurden kämpft als gegen ISIS oder – besser ausgedrückt – Da‘isch? Schauen Sie sich doch einmal die komplizierte Regelung für den Zugriff auf die Informationen an, die die Tornados liefern sollen. Sie haben eine ganz komplizierte Regelung schaffen müssen, damit die Türkei, angeblich ein enger Verbündeter und Partner und auf alle Fälle ein NATO-Mitglied, auf gar keinen Fall an diese Informationen herankommt, weil die reale Gefahr besteht, dass sie dann auf der Grundlage dieser Informationen die syrischen Kurden bekämpft. Die Kurden werden wiederum von den USA mit Waffen beliefert, weil sie real eine der wenigen Bodentruppen stellen, die tatsächlich gegen ISIS kämpfen und nicht ihr eigenes Spiel spielen. Allein dieser komplizierte Umgang mit dem NATO-Partner Türkei sagt uns doch, wie undurchdacht dieses Mandat insgesamt ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wie wollen Sie mit den Sunniten umgehen? Haben Sie nicht die Sorge, dass der Einsatz zu einer Rekrutierungsmission für ISIS wird, weil sich die Sunniten insgesamt ausgeschlossen fühlen und das Ganze einen mobilisierenden Effekt hat? Wie wollen Sie die sunnitischen Oppositionellen einbinden? Wie soll Ihnen das gelingen? Auch darauf geben Sie keine ausreichenden Antworten, weder in dem Antrag auf das Mandat noch in Ihren Reden. Auch diese Fragen müssen deutlich beantwortet werden, bevor man Bomber schickt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ja, wir sind uns hier weitgehend einig, dass ISIS auch militärisch bekämpft werden muss.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aha!)
Aber Luftangriffe allein sind doch noch keine militärische Strategie. Die Strategie, so hat man den Eindruck, ist noch nicht einmal zur Hälfte fertig. Man kann nicht einen Einsatz einfach nach dem Motto gestalten: Ja, ich möchte mein Gewissen beruhigen. – Herr Röttgen, einfach zu sagen, man wolle irgendetwas tun, ist doch nicht wirklich eine Strategie. Es braucht eine klare abgestimmte Strategie. Man muss doch Klarheit darüber haben, wer die Verbündeten sind. Es muss doch klar sein, wer der Gegner ist. Es kann doch nicht unklar sein, ob Assad Verbündeter oder Gegner ist, wie man mit der Al-Nusra-Front umgeht, die von Saudi-Arabien unterstützt wird. Ist die Al-Nusra-Front jetzt Gegner oder Verbündeter? Das kann doch nicht angehen. Es können doch nicht das schlechte Gewissen und die Sorgen, die wir komplett teilen, die Strategie und das kluge Handeln ersetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in den Antrag auf das Mandat schauen, dann beruhigt uns das keineswegs. Ich zitiere wörtlich:
Der Einsatz deutscher Streitkräfte erfolgt vorrangig im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation IS in Syrien sowie auf dem Territorialgebiet von Staaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt, sowie im Seegebiet östliches Mittelmeer, Persischer Golf, Rotes Meer und angrenzende Seegebiete.
Man hat den Eindruck, wenn man das liest, dass Sie eigentlich gar nicht genau wissen, wo der Einsatz stattfinden soll. Das ist ein völlig entgrenztes Mandat. Einigen Sie sich doch erst einmal darauf, wie Sie den Einsatz genau gestalten wollen, bevor Sie uns so ein entgrenztes Mandat vorlegen. Wenn Sie uns ein Mandat vorlegen, dann formulieren Sie ein präzises Mandat, ein genau beschreibendes Mandat, aber nicht ein entgrenztes Mandat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Kampf gegen ISIS muss im Einklang mit dem Völkerrecht und dem Gewaltmonopol der Vereinten Nationen stehen. Ich glaube, man kann zumindest sagen, dass umstritten ist, ob der Einsatz völkerrechtskonform ist. Nicht umstritten wäre er, wenn es Ihnen gelungen wäre, ein VN-Mandat nach Kapitel VII vorzulegen. Jetzt kann man sagen – das ist schon erwähnt worden –: Das ist eine rein formalrechtliche Faktenhuberei. – Nein, das ist es in meinen Augen nicht. Dass Sie kein Mandat nach Kapitel VII vorlegen können, ist ein Hinweis darauf, dass es keine abgestimmte Strategie zwischen allen Beteiligten gibt, dass es eben keine Einigung zwischen Frankreich, Russland, Großbritannien, den USA und den europäischen Staaten gibt. Wenn es diese Einigung gäbe, dann wäre es möglich, ein solches VN-Mandat zu beschließen. Deshalb ist das Fehlen dieses Mandats Ausdruck dafür, dass es ebendiese Strategie leider nicht gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir uns an, wie Sie teilweise mit unseren angeblich engsten Verbündeten umgehen, schauen wir uns Saudi-Arabien an.
(Thomas Oppermann [SPD]: Engster Verbündeter?)
Saudi-Arabien ist einer der engsten Geschäftspartner, ein Land, in das regelmäßig Wirtschaftsdelegationen von uns reisen. Der BND hat gegen den Protest des Außenministeriums eine kluge Analyse durchgeführt. Ergebnis ist, dass Saudi-Arabien inzwischen eines der größten Risiken für die Stabilität der Region ist. Es ist nicht nur Saudi-Arabien ein Risiko; auch die Ideologie Saudi-Arabiens ist ein Risiko für viele Regionen. Sie ist genau genommen ein Risiko für den Weltfrieden. Auf die Ideologie Saudi-Arabiens greift Boko Haram in Nigeria zurück, greifen die Al-Schabab-Milizen in Somalia zurück, greifen der IS und andere Terrororganisationen in Libyen zurück. Deswegen ist es an der Zeit, dass die Bundesregierung und der Westen überhaupt ihren Umgang mit Saudi-Arabien überdenken. Wir sollten zu einem kritischen Umgang mit Saudi-Arabien kommen. Das heißt nicht, dass wir mit den Saudis nicht reden dürfen. Aber der bisherige Umgang, dass es an der dortigen Ideologie keine Kritik gibt, dass es konstant Waffenlieferungen an dieses Land gibt, steht doch für eine Politik, die die Probleme am Ende verstärkt und nicht bekämpft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen: Ändern Sie diese Politik endlich!
Zusammengefasst: In unseren Augen ist Ihr Einsatz zu planlos und birgt die Gefahr – ich spreche nicht von Sicherheit –, dass er genau das Gegenteil dessen erreicht, was er bewirken soll. Wir haben doch seit 2001 14 Jahre Erfahrung im Kampf gegen den Terror.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Diese Erfahrungen sind keine positiven. Diese Erfahrungen sind bittere Erfahrungen. Deshalb: Gehen Sie noch einmal in sich! Überlegen Sie sich, ob dieser Einsatz wirklich das Gewünschte erreicht oder ob er nicht, wie der Libyen-Einsatz, wie der Irakeinsatz, am Ende kontraproduktiv ist.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Arnold für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)