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Der Parlamentarische Rat tagte vom 1. September 1948 bis zum 23. Mai 1949 in Bonn. © picture-alliance/akg-images
Vor 65 Jahren, am 10. Mai 1949, verabschiedete der Parlamentarische Rat das Wahlgesetz für die Wahl des ersten Bundestages. Gewählt von den elf westdeutschen Landtagen, war der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 zusammengetreten, um ein Grundgesetz zu erarbeiten. Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes am 8. Mai 1949 beschlossen die Mütter und Väter des Grundgesetzes zwei Tage später das Wahlgesetz für die erste Bundestagswahl.
Wichtige Grundsätze für die Ausgestaltung der Bundestagswahl hatten sie bereits in Artikel 38 des Grundgesetzes verankert: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Wahlberechtigt war, "wer das einundzwanzigste Lebensjahr, wählbar, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat".
Auf ein spezifisches Wahlrechtssystem hatten Sie sich jedoch nicht festgelegt. Vielmehr hatten Sie in Artikel 137 festgelegt: "Für die Wahl des ersten Bundestages, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik gilt das vom Parlamentarischen Rat zu beschließende Wahlgesetz."
Von Anfang an hatten die Vertreter der verschiedenen Parteien im Parlamentarischen Rat um die Frage, wie der Bundestag gewählt werden sollte, gerungen. Anhänger eines Mehrheitswahlrechts aus den Reihen der CDU/CSU und Deutschen Partei (DP) standen Befürwortern eines Verhältniswahlrechts gegenüber, die sich vor allem aus Vertretern von SPD, FDP, Zentrum und KPD zusammensetzten.
Vier Jahre nach Kriegsende hatten die Abgeordneten die Entwicklung der Weimarer Republik mit Parteienzersplitterung, instabilen Koalitionen und Radikalisierung noch deutlich vor Augen. Das neue Wahlsystem sollte deshalb möglichst so gestaltet sein, dass es einer Parteienzersplitterung erfolgreich entgegenwirken konnte. Die reine Verhältniswahl nach Weimarer Vorbild wollten sie deshalb nicht wieder einführen.
Für die Vertreter von CDU und CSU sowie der DP kam deshalb nur ein Mehrheitswahlrecht in Frage. Gewählt sein sollte, wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhielt. Die Stimmen die für den Wahlverlierer abgegeben wurden, würden bei der Mehrheitswahl nicht weiter berücksichtigt. Für die kleinen Parteien würde es schwieriger, mit einem Kandidaten ins Parlament einzuziehen.
Besonders die kleinen Parteien sahen sich bei Einführung eines Mehrheitswahlrechts in ihrer Existenz bedroht. Das Verhältniswahlrecht hingegen böte allen vorhandenen politischen Richtungen nach ihrem Stimmenanteil eine entsprechende Vertretung im Parlament. SPD, FDP, Zentrum und KPD bevorzugten deshalb das Verhältniswahlrecht.
Um einen Kompromiss zu finden, einigte man sich darauf ein Wahlsystem zu schaffen, das Elemente der Verhältnis- und Mehrheitswahl enthalten und so gestaltet sein sollte, dass es einer möglichen Parteienzersplitterung erfolgreich entgegenwirken konnte. Union und SPD konnten sich jedoch auf keinen gemeinsamen Kompromiss einigen.
Die Mehrheit der Ratsmitglieder folgte schließlich einem Vorschlag der Sozialdemokraten. Danach sollte ein Teil der Abgeordneten nach relativer Mehrheitswahl in Ein-Personen-Wahlkreisen gewählt, der Mandatsanteil der Parteien jedoch ausschließlich nach einer Methode der Verhältniswahl ermittelt werden.
Ein Vorschlag, dem die Unionsfraktion nicht zustimmen konnte. Zum einen war das für sie kein Kompromiss, sondern reines Verhältniswahlrecht mit schlimmeren Folgen als das, welches zum Versagen der Weimarer Republik geführt hatte. Zum anderen war man der Überzeugung, dass nur die Einführung eines Mehrheitswahlrechts zu einer arbeitsfähigen Demokratie führen könne, wie der CDU-Abgeordnete Carl Schröter erklärte.
Ein Vielparteiensystem, wie es das Verhältniswahlrecht nach sich zöge, wäre auch nicht gerechter. Das bedeutete eher eine Überschätzung der kleinen Parteien, fügte er hinzu. Abgesehen von dem Zwang zur Bildung von Koalitionsregierungen und dem Zwang zu Kompromissen, die ein solches System nach sich zöge, hätte nach Schröters Ansicht schon allein das Vorhandensein der zahlreichen Parteien und Verhandlungen im Parlamentarischen Rat den Beweis erbracht, dass dies kein Ruhmesblatt für die Demokratie wäre.
Ganz anders sahen das die FDP und ihr Vorsitzender Dr. Theodor Heuss. "Wenn wir gefehlt hätten, wäre doch nichts zustande gekommen", betonte der spätere Bundespräsident. "Ihr Traum, das Zweiparteiensystem, wäre der Ruin unserer Entwicklung", konterte er.
Auch sein Fraktionskollege und Vorsitzende des Ausschusses für Wahlrechtsfragen Dr. Max Becker erinnerte die Union daran, dass zwei große, gleich starke Parteien keinen Kompromiss zustande gebracht hätten und es nur deshalb ein Ergebnis gebe, weil hier auch kleine Parteien anwesend seien.
Um einer erneuten langwierigen Diskussion vorzubeugen, wies der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wahlrechtsfragen Dr. Georg Diederichs (SPD) noch einmal darauf hin, dass dieses Wahlgesetz nur für die erste Bundestagswahl und Wahl aller übrigen Organe Gültigkeit besitze.
Es sei nur eine einmalige Entscheidung ohne Bindung auf lange Sicht. Es sollen nur die Voraussetzung geschaffen werden, um die Organe, die "wir nach dem Grundgesetz beschlossen haben", wählen zu können. "Wir haben ein Interesse daran, so schnell wie möglich eine Volksvertretung zu wählen", appellierte er an die Abgeordneten.
36 Abgeordnete stimmten schließlich für und 29 Abgeordnete gegen den Kompromissvorschlag. Er entspricht im Wesentlichen dem heutigen Wahlsystem. Im Gegensatz zu allen späteren Wahlen hatten die Wählerinnen und Wähler bei der ersten Bundestagswahl 1949 nur eine einzige Stimme, mit der sie gleichzeitig den Direktkandidaten und die Partei-Landesliste unterstützten.
Um das Eindringen von Splitterparteien in den Bundestag zu verhindern und so die Gefahren eines reinen Verhältniswahlrechts zu mindern, sah auch das Wahlgesetz von 1949 eine Fünf-Prozent-Hürde vor, die allerdings nur in einem Wahlkreis übersprungen werden musste. Auf Parteien, die in einem Land immerhin ein Direktmandat erreichten, sollte die Fünfprozenthürde nicht angewendet werden.
Die Bundestagswahl am 14. August 1949 schien dennoch die Befürchtungen, dass sich das Parteiensystem der Bundesrepublik in Richtung Weimar bewegt, zu unterstützen. Neben CDU/CSU und SPD, die zusammen nur 60 Prozent der Stimmen erzielten, und FDP zogen sieben weitere Parteien in den Deutschen Bundestag ein.
Konrad Adenauer wurde knapp mit nur einer Stimme Mehrheit von einer Koalition aus CDU/CSU, FDP und DP zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Erst nach einer Verschärfung der Fünf-Prozent-Hürde 1953 und 1956 verringerte sich die Anzahl der im Bundestag vertretenen Parteien. (klz/05.05.2014)