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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat am Mittwoch, 29. Januar 2014, im Bundestag die wichtigsten Regierungsziele der Großen Koalition in der neuen Legislaturperiode vorgestellt. Die CDU-Vorsitzende wies in ihrer Regierungserklärung im Bundestag auf die deutsche Vorreiterrolle in Europa hin und warb dafür, nötige Reformen offensiv anzugehen und sich an die Spitze der gesellschaftlichen Modernisierung zu stellen.
Merkel ging in ihrer Regierungserklärung auch auf die Ausspähaffäre um den US-Geheimdienst NSA ein. Die Arbeit der Nachrichtendienste sei für den Schutz der Bürger unverzichtbar und im "Zeitalter asymmetrischer Bedrohungen", für die der Terroranschlag vom 11. September 2001 exemplarisch stehe, "noch wichtiger als ohnehin schon geworden". Um diese Gefahren bannen zu können, sei auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerdiensten von großer Bedeutung. Gerade den USA verdanke man wertvolle Informationen. Was man aber seit einem halben Jahr über die Arbeit insbesondere der US-amerikanischen Nachrichtendienste zur Kenntnis nehmen müsse, werfe "ganz grundsätzliche Fragen auf".
"Kann es richtig sein, dass unsere engsten Partner wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder Großbritannien sich Zugang zu allen denkbaren Daten mit der Begründung verschaffen, dies diene der eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Partner?", fügte Merkel hinzu. "Kann es richtig sein, dass man auch deshalb so handelt, weil andere auf der Welt es genauso machen? Kann es richtig sein, wenn es zum Schluss gar nicht mehr allein um die Abwehr terroristischer Gefahren geht, sondern darum, sich auch gegenüber Verbündeten zum Beispiel für Verhandlungen bei G20-Gipfeln oder UN-Sitzungen Vorteile zu verschaffen?"
Die Antwort auf diese Fragen könne "nur lauten: Nein, das kann nicht richtig sein". Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heilige und alles technisch Machbare auch gemacht werde, verletzte Vertrauen als den "Kern dessen, was die Zusammenarbeit befreundeter und verbündeter Staaten ausmacht".
"Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit", warnte die Kanzlerin. Darüber rede die Bundesregierung mit den USA. Sie sei überzeugt, dass Verbündete in der Lage sein müssten, "Grundsätze ihrer Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Abwehr von Bedrohungen zu vereinbaren". Noch seien die Vorstellungen "weit auseinander", und das Problem werde nicht schon mit einer Reise von ihr gelöst sein, fügte Merkel hinzu.
"Nicht wirklich hilfreich" wäre der Abbruch von Gesprächen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Es gibt nach ihrer Auffassung keine Hebel, "die Amerika zum Umdenken zwingen könnten". Sie führe diese Gespräche jedoch "mit der Kraft unserer Argumente", unterstrich die Regierungschefin. Zugleich betonte sie: "Die deutsch-amerikanische und die transatlantische Partnerschaft ist und bleibt für uns von überragender Bedeutung."
Zum Beginn ihrer Regierungserklärung hob Merkel hervor, dass es Deutschland so gut gehe wie lange nicht. Die Wirtschaft wachse, die Arbeitslosigkeit sei niedrig und die Menschen seien optimistisch wie lange nicht mehr. Deutschland sei inzwischen der "Stabilitätsanker" in Europa und trage maßgeblich dazu bei, die europäische Staatsschuldenkrise zu überwinden.
Die Große Koalition habe den Anspruch, gestärkt aus der Schuldenkrise herauszukommen. In der Zukunft müsse Deutschland mit der Dynamik neuer Entwicklungen in der Globalisierung Schritt halten und sich dabei an die Spitze stellen, um Chancen, etwa in der digitalen Welt, in der Wirtschaft, in der Bildung oder in der Energieversorgung zu sehen und nutzen zu können.
Merkel bezeichnete die soziale Marktwirtschaft als den "Kompass", der all diesen politischen Aktivitäten zugrunde liege. Dieser Kompass stelle die Menschen in den Mittelpunkt, dies leite auch die Politik ihrer Regierung. Das Ziel sei "ein gutes Leben für alle" mit bestmöglichen Chancen. Die Koalition setze dabei auf solide Finanzen, Investitionen in die Zukunft, die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Verantwortung in Europa und der Welt.
Mit Blick auf die europäische Finanzkrise sagte die Kanzlerin, die Staaatschuldenkrise sei unter Kotrolle, aber nicht dauerhaft überwunden. Es seien weitere Reformen nötig, damit es nie wieder zu einer solchen krisenhaften Zuspitzung komme. Merkel warb in dem Zusammenhang für eine Finanztransaktionssteuer. Es gelte, die europäische Wirtschafts- und Währungsunion weiter zu vertiefen zu einer echten Wirtschaftsunion.
Die Kanzlerin verwies darauf, dass für dieses Jahr ein struktuell ausgeglichener Bundeshaushalt vorgesehen sei. "Ab 2015 wollen wir ganz ohne Nettoverschuldung auskommen", fügte Merkel hinzu. Sie sprach sich zugleich für eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen aus, "verbunden mit einer klaren Aufgabenzuordnung zwischen Bund, Ländern und Kommunen". Die Bundesregierung werde bis zum Sommer einen Vorschlag unterbreiten, wie entsprechende Gespräche geführt werden können.
Nachdrücklich warb die Regierungschefin für die angestrebte Energiewende. Notwendig sei eine umweltfreundliche, sichere und bezahlbare Energieversorgung für die Unternehmen wie für die Bürger. Kein vergleichbares Land packe eine solch radikale Veränderung seiner Energieversorgung an. Wenn die Energiewende gelinge, werde sie ein weiterer deutscher Exportschlager. Bis zum Jahr 2050 sollten 80 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie erzeugt werden.
Schon heute hätten die erneuerbaren Energieen einen Anteil von 25 Prozent an der Stromerzeugung, der bis 2025 auf 40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent ansteigen solle. Dabei müsse Strom für alle erschwinglich bleiben und die deutsche Industrie im weltweiten Wettbewerb bestehen können. Als "zunehmend tragende Säule" der Stromerzeugung müssten die erneuerbaren Energien in den Gesamtenergiemarkt integriert werden. Die einzelnen Formen der erneuerbaren Energien müssten "so schnell wie möglich marktfähig werden", ihr Ausbau und der Ausbau der Transportnetze müssten "Hand in Hand gehen".
Die Verständigung der schwarz-roten Koalition auf Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bezeichnete Merkel als einen Kompromiss, bei dem "die Vorteile die Nachteile überwiegen". Der Mindestlohn von 8,50 Euro werde ab Anfang 2015 gelten, doch sollten Tarifverträge mit einer geringeren Lohnuntergrenze bis Ende 2016 weitergelten können. Solche Tarifverträge könnten auch im Laufe dieses Jahres noch abgeschlossen werden.
Mit Blick auf die notwendige Chancengleichheit von Frauen und Männern bekräftigte Merkel das Vorhaben, für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichten und börsennotierte Unternehmen, die ab 2016 neu besetzt werden, eine Quote von mindestens 30 Prozent für Frauen einzuführen. Dieser Schritt sei erforderlich, nachdem "jahrelanges gutes Zureden" nichts geholfen habe.
Die Kanzlerin verteidigte zugleich das Rentenpaket der Großen Koalition. Für Menschen mit 45 Beitragsjahren werde man eine abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren – "aufwachsend dann bis Anfang der dreißiger Jahre auf 65 Jahre" – einführen.
Ändern wolle man auch die von vielen als ungerecht empfundene Regelung, dass für nach 1992 geborene Kinder im Rentenrecht drei Jahre anerkannt würden, für davor geborene Kinder dagegen nur ein Jahr. Künftig sollten die mehr als neun Millionen Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zumindest ein weiteres Jahr als Anerkennung ihrer Erziehungsleistung angerechnet bekommen. Derzeit könne dies die Rentenversicherung erbringen, doch mittelfristig müsse man einen Teil durch weitere Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Verbessert werde auch die Erwerbsunfähigkeitsrente.
Der Kanzlerin zufolge will die Koalition ferner alle Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts nutzen und vor allem in der Pflege höhere Standards sicherstellen. Die Pflegeleistungen würden bei besserer Bezahlung deutlich ausgebaut, die Bürokratie hingegen abgebaut.
Merkel erinnerte in dem Zusammenhang an die gewaltigen Pflegeleistungen, die in den Familien von Angehörigen erbracht werden. "Sie sind die stillen Helden unserer Gesellschaft", sagte Merkel und fügte hinzu, dies zeige auch: "Die Familien sind das Herzstück unserer Gesellschaft."
Merkel warb in ihrer Regierungserklärung auch für Investitionen in Forschung und Bildung, um den Wohlstand zu sichern. Ohne gut ausgebildete der Menschen sei Deutschland wirtschaftlich nicht leistungsfähig. Daher sollten beispielsweise junge Leute, die eine Ausbildung abbrächen, eine zweite Chance bekommen.
Die Kanzlerin bekräftigte zudem das Vorhaben, die sogenannte Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht "für in Deutschland geborene und aufgewachsene Jugendliche" abzuschaffen. Mit Blick auf die vorgesehene Autobahnmaut für ausländische Pkw versicherte sie, dass dadurch die deutschen Fahrzeughalter nicht stärker als heute belastet würden. (sto/pk/29.01.2014)