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Die umstrittene Rezeptpflicht für die sogenannte "Pille danach" hat im Bundestag am Donnerstag, 13. Februar 2014, eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU), machte in einer Debatte über die Notfallverhütung deutlich, dass ihr Haus keinen Grund sehe, die Rezeptpflicht aufzuheben. Auch die Unionsfraktion besteht darauf, dass weiterhin ein Arzt nach einer ausführlichen Beratung der betroffenen Frauen das Verhütungsmittel verschreibt. Experten aus der SPD-Fraktion sowie Linke und Grüne kritisierten, damit werde das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frauen ohne Not und ohne sachliche Grundlage infrage gestellt.
Anträge der Fraktionen der Linken (18/303) und von Bündnis 90/Die Grünen (18/492), die Arzneimittel mit dem Wirkstoff Levonorgestrel (LNG) freizugeben, wurden zur weiteren Beratung in den Gesundheitsausschuss verwiesen. Mit der "Pille danach", einem starken Hormonpräparat, können ungewollte Schwangerschaften nach dem Geschlechtsverkehr noch verhindert werden, solange das Mittel rechtzeitig eingenommen wird. Derzeit sind zwei Mittel am Markt mit unterschiedlichen Wirkungszeiten, neben Levonorgestrel auch noch der Wirkstoff Ulipristalacetat.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der an der Debatte nicht teilnahm, hatte sich zuvor schon gegen die Entlassung des Präparates aus der Rezeptpflicht ausgesprochen. Seine Staatssekretärin Widmann-Mauz betonte in der Debatte, es gehe in der Praxis um sehr unterschiedliche Fälle, von einer schlichten Verhütungspanne über ungeschützten Sex bis hin zu Fällen von Vergewaltigung. Entsprechend groß sei das Beratungsbedürfnis bei den Frauen, was auch in Internetforen deutlich werde. Nur ein Arzt könne eine solche umfassende Beratung leisten.
Wer die "Pille danach" benötige, habe "ganz konkret Angst" und brauche umfassende medizinische Hilfe, sagte die CDU-Politikerin. Das erfordere "mehr als den Nachtschalter in der Apotheke". In Notsituationen habe sich das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Arzt und Patient bewährt. Es gehe nicht darum, einer Frau die Pille vorzuenthalten und das Sexualleben moralisch zu bewerten. Im Mittelpunkt stehe vielmehr die Gesundheit der Frauen. Zudem gelte es abzuwägen zwischen der schnellen Verfügbarkeit und gesundheitlichen Risiken durch hoch dosierte Hormonpräparate.
Die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche sprach im Anschluss von einer "seltsamen Rede". Immerhin habe der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfohlen, LNG freizugeben.
Das Mittel gelte seit vielen Jahren als verlässlich und sicher und sei fast in ganz Europa frei erhältlich. Es sei nicht einzusehen, weshalb nicht auch Apotheker die fachliche Beratung übernehmen könnten, zumal dann die zeitaufwendige ärztliche Verschreibung entfiele. Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in Notlagen dürfe nicht infrage gestellt werden.
Ähnlich argumentierte für die Linksfraktion die Abgeordnete Birgit Wöllert, die darauf hinwies, dass auch die Weltgesundheitsorganisation WHO für eine Freigabe des Mittels eintrete. Die Experten-Empfehlungen seien eindeutig: Levonorgestrel sei medizinisch unbedenklich und wirke umso sicherer, je früher es eingenommen werde.
Die Wege zum Gynäkologen seien aber gerade auf dem Land lang, und am Wochenende bleiben bisweilen nur die Rettungsstellen der Krankenhäuser als Anlaufpunkt für betroffene Frauen, dann müsse noch eine Apotheke geöffnet sein. "Alles zusammen ziemlich viele Hürden", befand Wöllert und fügte hinzu, das größte Risiko sei der Faktor Zeit. Daher müsse das Notfallmittel aus der Rezeptpflicht entlassen werden.
Das forderte auch der SPD-Gesundheitsexperte und Arzt Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach, der LNG als lange erprobtes Mittel ohne große Nebenwirkungen würdigte. Für LNG spreche überdies, dass, falls es doch zu einer Schwangerschaft komme, das Kind nicht durch das Präparat geschädigt werde. Allerdings hänge die Wirksamkeit entscheidend davon ab, wie rasch das Mittel nach dem Sex eingenommen werde.
Lauterbach kritisierte mit Blick auf die Union, hier solle Frauen in Notlagen das Recht auf schnelle Hilfe ohne gute Begründung willkürlich vorenthalten werden. Das sei nicht zeitgemäß. Er berichtete, manche junge Frauen griffen in der Not sogar zur Selbstmedikation, besorgten sich Hormonpillen bei Bekannten und stellten dann eine eigene Dosis zusammen.
Die CSU-Abgeordnete Emmi Zeulner ließ das Zeitargument nicht gelten. Auch in ländlichen Räumen Deutschlands sei, anders als in anderen Ländern, die zeitnahe ärztliche Versorgung der betroffenen Frauen sichergestellt.
In vielen Fällen gehe es im Übrigen nicht um Frauen, die mitten im Leben stünden, sondern um Minderjährige und Frauen, denen Gewalt angetan worden sei. Nur ein Arzt könne hier eine ganzheitliche Beratung anbieten einschließlich der Aufklärung über Geschlechtskrankheiten oder Verhütungspraktiken. Daher müsse es bei der Rezeptpflicht bleiben. (pk/13.02.2014)