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Wenn sich die Teilnehmer einer Diskussionsrunde über die Bewertung des gesetzten Themas weitgehend einig sind, ist Langeweile programmiert? Das muss keineswegs so sein, wie am Donnerstag, 27. November 2014, im Deutschen Bundestag zu besichtigen war.
Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.302, 18 Uhr: Der Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen hatte zum Forum mit dem Thema „Hüter der Verfassung – das Spannungsverhältnis zwischen Bundestag und Bundesverfassungsgericht“ geladen. Bundestagspräsident Prof. Dr.Norbert Lammert und Prof. Dr. Dieter Grimm, bis 1999 mehr als zwölf Jahre Bundesverfassungsrichter, waren gekommen, um sich unter der Moderation von Prof. Dr. Heinrich Oberreuter, dem ehemaligen Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing, über das Zusammenspiel beider Verfassungsorgane auszutauschen.
Ein Zusammenspiel, das keineswegs spannungsfrei sei, wie Dr. Eva Högl, Vorsitzende der gastgebenden Vereinigung und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, in ihrer Begrüßung feststellte. Deshalb habe der Bundestagspräsident in seiner Amtszeit schon mehrfach Entscheidungen der Richter ebenso öffentlich wie deutlich kritisiert.
Der Angesprochene nahm diesen Ball auf. Das Spannungsverhältnis zwischen Bundestag und Bundesverfassungsgericht sei systemimmanent, sagte Lammert. Aber: „Wenn es das nicht gäbe, müssten wir uns Sorgen machen.“
Parlament und Gericht seien „ungleiche Geschwister in der Familie der Verfassungsorgane“, die übrigens beide vor allem auch im Ausland einen exzellenten Ruf genössen. Die notwendige Machtbalance zwischen den Institutionen sei gut gelungen. Und: „Mir fällt kein zweites Land ein, wo das ähnlich gut gelungen wäre.“
Also kein Grund zur Kritik? So einfach ist es dann auch wieder nicht. Denn: „Das Bundesverfassungsgericht trifft eben nicht ausschließlich juristische, sondern hoch politische Entscheidungen“, betonte Lammert und erinnerte an die Rollenverteilung: „Hüter der Verfassung ist nicht der Bundestag, sondern das Bundesverfassungsgericht. Für die Gesetzgebung ist nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern der Bundestag zuständig.“
Wenn die Richter also politische Abwägungen träfen, die ins Parlament gehörten, sei das problematisch. Oft ersetze das Gericht vertretbare parlamentarische Entscheidungen durch eigene vertretbare Entscheidungen.
Dieser Kritik schloss sich der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm im Grundsatz an. Streitfragen würden auf der Grundlage der, oft vage gehaltenen, Verfassung entschieden. Vor diesen Entscheidungen stünde daher immer die juristische Interpretation. Das daraus folgende Urteil sei ebenso wie die Wirkung dieses Votums „unweigerlich politisch“.
Wie zum Beispiel die jüngste Korrektur des Wahlgesetzes durch die Verfassungsrichter. Daraus, so Lammert, sei ein „teutonisches Monstrum“ entstanden mit dem Ergebnis, dass der Wähler nicht einmal wisse, wie viele Mitglieder des Bundestages er eigentlich wähle. Lammert mahnte dringend eine Korrektur an, die noch vor der nächsten Bundestagswahl 2017 erreicht sein müsse.
Und doch: „Unter der Berücksichtigung gelegentlicher Ärgernisse“ sei das Zusammenspiel beider Verfassungsorgane ein gelungenes, resümierte Lammert am Ende des Abends. Nicken auf dem Podium, Beifall im Plenum, einstweilen adventlicher Frieden – bis zum nächsten strittigen Urteil aus Karlsruhe. (jbi/28.11.2014)