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Eine gute Nachricht hatte Prof. Dr. Andreas Zick für die Mitglieder des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement: Investitionen in die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements zahlten sich aus, sagte der Autor der Studie „Fragile Mitte – feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“ zum Auftakt des öffentlichen Fachgesprächs des Unterausschusses zum Thema Rechtsextremismus am Mittwoch, 3. Dezember 2014.
Denn die jüngst von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Buchform herausgegebene Untersuchung zeige, so der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, dass rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland gegenüber den Vorjahren zurückgegangen seien.
Die Studie stütze sich bei diesem Befund auf ein wissenschaftliches Datenvolumen, das Rückschlüsse auf die Verbreitung von Rechtsextremismus und radikalen Mentalitäten in der deutschen Gesellschaft in den vergangenen zwölf Jahren erlaube, sagte Zick weiter.
Dabei gilt es allerdings zu differenzieren: Während etwa bei islamfeindlichen und homophoben Einstellungen ein Rückgang zu verzeichnen sei, lägen rassistische Einstellungen sehr konstant bei neun, zehn Prozent. Und bei feindseligen Einstellungen gegenüber Arbeits- und Obdachlosen gebe es sogar hohe Ausschläge.
Auf zwei interessante Untersuchungsergebnisse wies Zick besonders hin: So seien nicht nur diejenigen, die sich zum unteren Teil der Gesellschaft zählen, besonders anfällig für das „Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, sondern auch diejenigen, die sich gesellschaftlich ganz oben wähnen. Und: Menschenfeindliche Einstellungen sind nicht etwa auf dem Höhepunkt ökonomischer Krisen besonders virulent, sondern dann, wenn die Krise überwunden scheint und es wirtschaftlich wieder langsam bergauf geht.
Menschenfeindlichkeit sei immer ein Reservoir für Rechtsextremismus, so Zick. Das eigentlich Gefährliche sei, wenn sich der Rechtsextremismus anderen menschenfeindlichen Einstellungen öffne. Die Studie habe zudem ergeben, dass viele Menschen den Rechtsextremismus zwar als Bedrohung sehen, dass aber die Einstellung gegenüber dem Phänomen Rechtsextremismus „längst nicht so stabil sei, wie wir uns das wünschen. Viele Menschen sehen Rechtsextremismus als Gefahr, wissen aber nicht, wie sie sich dazu verhalten sollen“.
Im Anschluss an den Vortrag von Andreas Zick stellte Jutta Weduwan von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) die Arbeit dieser zivilgesellschaftlichen Organisation vor, deren besonderes Augenmerk dem Kampf gegen Antisemitismus gilt. Dabei beobachte die ASF mit Sorge, dass es Phänomene der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auch in der Mitte der Gesellschaft, speziell in den Kirchen, gebe.
Erfreut zeigte sich Weduwan darüber, dass das Bundesprogramm „Demokratie leben“ bei den diesjährigen Haushaltsberatungen im Bundestag um zehn Millionen Euro aufgestockt wurde. „Das finden wir sehr gut“, so Weduwan, „dennoch hat das Projekt immer noch zu wenig Mittel.“ Wichtig sei es, langfristig zu denken und Strukturen zu schaffen. „Und dazu bedarf es mehr Unterstützung.“
Kritische Töne schlug Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung an, der von erschreckenden Formen des Alltagsrassismus und dem Auftreten von rechtsextremen Gruppierungen wie „Reichsbürger“ oder „Völkische Siedler“ vor allem in ländlichen Gegenden berichtete. Reinfrank nahm vor allem die Politik in die Pflicht: „Es funktioniert nicht, wenn wir die Bekämpfung des Rechtsextremismus allein der Zivilgesellschaft überlassen.“
Viele der ehrenamtlich Tätigen, die sich etwa in der Flüchtlingshilfe engagieren, seien zutiefst frustriert und ausgebrannt, weil sie sich von der Politik alleingelassen fühlten und den Hass derer zu spüren bekämen, die gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Gemeinde sind.
Daher sei es wichtig, dass die Politik zivilgesellschaftliche Initiativen anhöre und mit einbeziehe. Als problematisch bezeichnete es Reinfrank zudem, dass immer mehr Geld zur Bekämpfung des Rechtsextremismus an Länder und Kommunen gehe, nicht aber an zivilgesellschaftliche Organisationen. „Die Leute haben nicht mehr das Gefühl, dass sie vor Ort über ihre eigenen Angelegenheiten bestimmen können“, so Reinfrank.
Oft seien die Kommunen auch gar nicht interessiert daran, Geld in den Kampf gegen Rechtsextremismus zu stecken, weil sie befürchteten, damit auf das Problem erst aufmerksam zu machen und ein negatives Image ihrer Gemeinde zu riskieren. Reinfrank forderte zudem, es müsse mehr in dauerhafte Förderung und den Aufbau langfristiger Strukturen investiert werden, statt immer neue Projekte zu starten.
Diese deutliche Kritik empfand Karamba Diaby als etwas überzogen. Der SPD-Abgeordnete verwies auf die Abschaffung der Rechtsextremismusklausel unter der sozialdemokratischen Familienministerin Manuela Schwesig und die Erhöhung der Fördermittel im Rahmen des Programms „Demokratie leben“ und eröffnete damit die Diskussion, die aufgrund der fortgeschrittenen Zeit recht knapp ausfiel.
Die Rolle der Kommunen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus bewertete Diaby deutlich positiver als Reinfrank. Auf seine Frage, wie Jutta Weduwen die Zusammenarbeit mit den Migrantenorganisationen beurteile, antwortete diese, sie sei gut.
Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass die Ergebnisse der Studie eins zu eins mit ihrem persönlichen Erleben in ihrer Heimat Sachsen übereinstimmten. Dr. Rosemarie Hein (Die Linke) fragte nach der internationalen Vernetzung rechtsextremer Gruppierungen. Diese sei, so Andreas Zick in seiner Antwort, in der Tat ein „Kernproblem“. (nal/04.12.2014)