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Miroslav Číž, Vorsitzender der Slowakisch-Deutschen Freundschaftsgruppe, Nadežda Babiaková, Oberbürgermeisterin der Stadt Banská Štiavnica, Bartholomäus Kalb © DBT/Büro Kalb
Ob das ausstehende dritte Hilfspaket für Griechenland, die Ukraine-Krise oder die Situation der EU-Beitrittskandidaten auf dem Balkan – europäische Themen dominierten im Juli 2015 den dreitägigen Besuch einer Delegation der Deutsch-Slowakischen Parlamentariergruppe in Bratislava. „Das war ein reger und sehr intensiver Meinungsaustausch“, lobt Bartholomäus Kalb (CDU/CSU), der die Delegation leitete, welcher auch Karl Holmeier (ebenfalls CDU/CSU), Dirk Vöpel (SPD) und Richard Pitterle (Die Linke) angehörten. Seit 21 Jahren ist Kalb bereits Vorsitzender der Parlamentariergruppe. Die Verbundenheit des CSU-Haushaltsexperten mit dem osteuropäischen Land hat auch biografische Gründe.
Die Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ war auch für den Abgeordneten wie für viele andere Menschen in seiner Heimatregion im Bayerischen Wald ein Glücksfall. Bis zur Wende grenzte an den Landkreis Freyung-Grafenau – der heute zu seinem Wahlkreis gehört – die Tschechoslowakei. „Das war eine Situation, vergleichbar mit der an der innerdeutschen Grenze“, erinnert sich Kalb. „Natürlich waren viele Parlamentarier aus Bayern sehr an einem guten Verhältnis zur Tschechoslowakei interessiert.“
Kalb war einer von ihnen: 1987 erstmals in den Bundestag gewählt, trat er im gleichen Jahr der neu gegründeten Deutsch-Tschechoslowakischen Parlamentariergruppe bei. Als sich 1992 die Föderation zwischen Tschechien und der Slowakei auflöste, wurde die Gruppe geteilt. 1994 übernahm der Abgeordnete aus Deggendorf den Vorsitz in der Deutsch-Slowakischen Parlamentariergruppe.
„Meine Heimatstadt liegt ebenso an der Donau wie Bratislava. Der Fluss als verbindende Ader – das war immer das Motiv für mein Engagement“, sagt Kalb. Heute ist der 66-Jährige einer der dienstältesten Vorsitzenden einer Parlamentariergruppe im Bundestag. Stellvertretende Vorsitzende in der laufenden 18. Legislaturperiode sind Dirk Völpel (SPD) und Richard Pitterle (Die Linke).
Sieben Mitglieder hat die Deutsch-Slowakische Parlamentariergruppe aktuell – und damit nur noch ungefähr ein Zehntel der Mitglieder in der zwölften Wahlperiode (1990-1994). Für den Vorsitzenden Kalb ist das jedoch kein Zeichen dafür, dass die Beziehungen zwischen deutschen und slowakischen Parlamentariern heute weniger gut seien als damals. Die Wende- und Transformationszeit habe nur besonders viele Bundestagsabgeordnete veranlasst, den Kontakt zu den beiden ehemaligen Ostblockstaaten zu pflegen. Das sei inzwischen etwas aus dem „Fokus“ geraten, so Kalb: „Vermutlich, weil sich die Slowakei so problemlos entwickelt hat.“
Seit 2004 gehört das Land zu Nato und Europäischer Union, seit 2009 auch zur Eurozone. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, sei damals umstritten gewesen, erinnert sich der Haushaltspolitiker: „Es gab anfangs große Vorbehalte gegenüber der Slowakei und die Besorgnis, dass dem Land in wirtschaftlicher Hinsicht ein ganz schwerer Gang bevorstünde. Ich bin froh, dass sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet haben.“
Tatsächlich gilt die Slowakei heute als einer der dynamischsten EU-Staaten. Dazu beigetragen hätten insbesondere internationale Investitionen im Bereich der Automobilwirtschaft, so Kalb. Peugeot-Citroën, Kia, VW und auch viele Zulieferbetriebe nahmen neue Werke in Betrieb und schufen Arbeitsplätze. „Ein früherer slowakischer Premierminister hat einmal zu mir gesagt: ‚Vor 20 Jahren haben wir viele T72-Panzer gebaut und kein einziges Auto, heute bauen wir Hunderttausende Autos und keinen einzigen Panzer.‘ Das verdeutlicht die Veränderung ganz gut, finde ich.“
Vermittler und Fürsprecher für slowakische Anliegen seien in der Vergangenheit auch die Mitglieder der Parlamentariergruppe gewesen, so Kalb. „So wurden wir gesehen, obwohl wir natürlich keine Wunder vollbringen können.“ Doch mithelfen, dass ein „gutes, partnerschaftliches Klima“ entsteht, das könnten die Parlamentarier sehr wohl.
Gut seien auch die Kontakte zwischen Berlin und Bratislava stets gewesen, auch wenn es durchaus Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, sagt Kalb. So wie jetzt wieder in der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik: Während die deutsche Regierung auf eine gerechte Verteilung der ankommenden Menschen in der EU dringt, lehnt die slowakische Regierung es strikt ab, Flüchtlinge aufzunehmen.
Doch ansonsten habe es immer eine enge Zusammenarbeit in der europäischen Politik zwischen Deutschen und Slowaken gegeben, versichert Kalb: „Die Slowakei ist ein verlässlicher Partner. Im Grunde waren unsere Positionen oft sehr ähnlich.“ Etwa in der Frage eines dritten Hilfspakets für Griechenland, über das der Bundestag im August in einer Sondersitzung abstimmte. „Die Slowaken waren damals genau der gleichen Meinung wie wir, dass Griechenland unbedingt Reformen umsetzen muss, damit ein weiteres Hilfsprogramm aufgelegt werden kann.“
Darüber hätten sich Deutsche und Slowaken in Bratislava ebenso ausgetauscht wie über die Haltung in der Ukraine-Krise. „Die Situation in ihrem Nachbarland beschäftigt die Slowaken natürlich stark. Das hängt auch mit ihrer Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen zusammen“, weiß Kalb. In der Vergangenheit sei das Land schon einmal von einer Sperrung der Leitungen betroffen gewesen. So sei es nicht verwunderlich, dass die slowakische Position zur Atomkraft eine andere sei als die deutsche.
Richtige Krisen im zwischenstaatlichen Verhältnis habe es noch nicht gegeben, betont Kalb: „Da war nie eine Situation, in der die Zusammenarbeit gefährdet gewesen wäre – und schon gar nicht in der Parlamentariergruppe.“ Den Kontakt unter Parlamentariern schätzt Kalb insbesondere wegen des Informations- und Meinungsaustauschs, von dem alle profitierten: „Die Slowakei hat zum Beispiel einen ganz anderen Einfluss auf dem Balkan als wir. Der frühere Außenminister Eduard Kukan war unter anderem EU-Sondergesandter für den Balkan. Da ist also eine gute Expertise vorhanden, was die Einschätzung der Lage auf dem Balkan angeht.“
Eine wichtige Voraussetzung für den Austausch sei gegenseitige Offenheit: „Unter Freunden redet man nicht um den heißen Brei herum. Wir sprechen immer offen und direkt“, sagt Kalb und setzt scherzhaft hinzu: „Zur diplomatischen Sprechweise wäre ich auch gar nicht in der Lage!“ (sas/27.12.2015)