Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Nach den Terroranschlägen von Paris hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) im Bundestag zum Einsatz für die offene Gesellschaft und die Demokratie in Deutschland aufgerufen. „Diskriminierung und Ausgrenzung dürfen bei uns keinen Platz haben“, sagte Merkel am Donnerstag, 15. Januar 2015, in einer Regierungserklärung im Bundestag. Zugleich nannte sie den islamistischen Terrorismus und den Antisemitismus „zwei der großen Übel unserer Zeit“. Freiheit und Toleranz hätten aber „niemals das geringste Verständnis für Gewalt von Links- und Rechtsextremismus, für Antisemitismus oder für Gewalt im Namen einer Religion“.
Man lasse sich nicht von denen spalten, die angesichts des islamistischen Terrors Muslime in Deutschland unter einen Generalverdacht stellen, fügte Merkel hinzu. „Als Bundeskanzlerin nehme ich die Muslime in unserem Land dagegen in Schutz“, betonte die Regierungschefin.
Erneut stellte sie sich hinter die Aussage des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, wonach neben dem Christentum und dem Judentum inzwischen auch der Islam zu Deutschland gehöre. Wenn sie diese Aussagen zitiere, werde sie jedoch gefragt, welcher Islam gemeint sei.
Die Menschen wollten wissen, warum Terroristen „ihre Untaten stets mit ihrem Glauben verbinden“ und wie man dem Satz noch folgen könne, „dass Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam berufen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollen“. Eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islams halte sie für wichtig und dringlich.
Merkel sprach sich zugleich für die umstrittene Vorratsdatenspeicherung aus. Der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht hätten „den Rahmen beschrieben, in dem eine Regelung der Mindestspeicherfristen für Kommunikationsdaten erfolgen kann“. Angesichts der „parteiübergreifenden Überzeugung aller Innenminister von Bund und Ländern“, solche Fristen zu brauchen, sollte darauf gedrungen werden, dass dazu zügig eine überarbeitete EU-Richtlinie vorgelegt wird, um sie dann in deutsches Recht umzusetzen.
Der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Gregor Gysi, kritisierte dagegen, der Ruf der Union nach schärferen Gesetzen und der Vorratsdatenspeicherung löse die Probleme nicht. In Frankreich gebe es eine umfassende Erfassung von Vorratsdaten, ohne dass das Attentat habe verhindert werden können. Wichtige Voraussetzungen im Kampf gegen den Terrorismus seien vielmehr umfassende Bürgerrechte und eine stärkere Demokratie.
Gysi rief zugleich dazu auf, geschlossen die Pegida-Bewegung zu verurteilen. Man müsse „den Missbrauch der Terroranschläge durch die Anführer der Pegida-Bewegung verhindern“ und ein „demokratisches, tolerantes, weltoffenes Zusammenleben“ mit friedlichen Bürgern auch anderer Kulturen und Religionen fördern.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann wertete es als „unverantwortliche politische Brandstiftung“, wenn Millionen friedfertige Muslime in Deutschland „in einen Topf mit Terroristen geworfen werden“. Die Pegida-Demonstranten sollten aufhören „mit der Stimmungsmache gegen Andersgläubige und gegen Einwanderer in Deutschland“. An die hunderttausend Menschen seien dagegen in verschiedenen deutschen Städten auf die Straße gegangen.
Oppermann plädierte zugleich dafür, die Sicherheitsbehörden in die Lage zu versetzen, gewaltbereiten Syrien-Rückkehrern „24 Stunden am Tag auf den Füßen zu stehen“. Zur Vorratsdatenspeicherung sagte er, man solle in der Koalition über das Thema Mindestspeicherfristen „in Ruhe reden“. Zunächst solle man aber die Erarbeitung einer neuen Richtlinie hierzu durch die EU-Kommission abwarten.
Der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter, sagte demgegenüber, mehr Datenspeicherung und vermeintliche Gesetzesverschärfungen seien falsche Reflexe. „Wenn unsere Freiheit angegriffen wird, dann dürfen wir unsere Freiheit doch nicht selbst aufgeben“, betonte er. „Gegen Kalaschnikows“ mache die Vorratsspeicherung der Daten aller Bürger keinen Sinn. Vielmehr brauche man eine gut ausgestattete Polizei.
Mit Blick auf die Pegida-Bewegung kritisierte Hofreiter, wer dort mitmarschiere, wolle eine geschlossene und enge Gesellschaft, die nach innen und außen ausgrenze und am Ende mehr Hass produziere. Die große Mehrheit der Menschen habe jedoch erkannt, dass man gegen Rassismus, Vorurteile und Menschenfeindlichkeit Farbe bekennen müsse.
Unionsfraktionschef Volker Kauder betonte, bei den Pegida-Demonstrationen seien Äußerungen gefallen, die man nicht akzeptieren dürfe. Am vergangenen Samstag hätten jedoch mit 35.000 Menschen in Dresden mehr Teilnehmer als bei Pegida-Aufmärschen demonstriert und sich „zu diesem Rechtsstaat, zu Offenheit, zu Liberalität und Toleranz“ bekannt. Sie repräsentierten, „was die allermeisten Menschen in diesem Land auch für richtig halten“.
Zur Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung sagte Kauder, alle „für die Sicherheit relevanten Persönlichkeiten“ forderten verbesserte Möglichkeiten, Kontaktdaten zu prüfen und daraus Erkenntnisse zu erzielen. Dabei sei die Vorratsdatenspeicherung kein Präventions-, sondern ein Ermittlungsinstrument. Man müsse sich damit befassen, ob man eine solche Möglichkeit in den verfassungsrechtlichen Grenzen nutzen wolle. (sto/15.01.2015)