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Erste Aktuelle Stunde im Bundestag am 10. Februar 1965 © Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Heute ist die Aktuelle Stunde ein selbstverständliches Instrument der Parlamentarier, um aktuelle Ereignisse und bedeutsame politische Fragen zu diskutieren. Vor 50 Jahren, am 10. Februar 1965, machten die Abgeordneten des vierten Deutschen Bundestages das erste Mal von dieser Möglichkeit parlamentarischer Demokratie Gebrauch, zunächst zur Probe. Gemeinsam hatten die Fraktionen einen entsprechenden Antrag zur Ergänzung der Geschäftsordnung (4/2958) ins Parlament eingebracht und am 27. Januar 1965 verabschiedet.
Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU/CSU) hatte sich mit den Fraktionsvorsitzenden darauf verständigt, neue Möglichkeiten der parlamentarischen Aussprache zu erproben. Mit der Einführung einer spontanen Kurzdebatte, in der keine Erklärungen abgegeben und keine Regierungsvorlagen behandelt werden, sollten Plenardebatten wieder aktueller und interessanter werden.
Solche Ad-hoc-Aussprachen zu Fragen von allgemeinem aktuellen Interesse konnten unmittelbar im Anschluss an eine Fragestunde von mindesten 30 anwesenden Abgeordneten verlangt oder von Mitgliedern des Bundestages in Fraktionsstärke beantragt werden. Vor der endgültigen Einführung des neuen Instruments wollten die Parlamentarier zunächst im Probebetrieb Erfahrungen sammeln.
„Aller Anfang ist schwer“, befürchtete Bundestagsvizepräsident Dr. Carlo Schmid (SPD) und erläuterte lieber noch einmal das Prozedere, bevor das Plenum in seiner ersten Aktuellen Stunde über die Fragen, die für die deutsche Politik durch die Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle vom 4. Februar 1965 aktuell wurden, debattieren konnte.
„Die Dauer der Aussprache ist auf eine Stunde beschränkt, wobei die von der Bundesregierung in Anspruch genommene Redezeit unberücksichtigt bleibt. Die Verlesung von Erklärungen und Reden ist unzulässig. Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen. Zwischenfragen sind nicht zulässig“, erklärte der Jurist.
Eindringlich bat er um die strikte Einhaltung der selbst gesetzten Regeln und kündigte für den Fall der Nichteinhaltung entschlossenes Vorgehen an. „Ich habe angeordnet, dass dem Redner in der vierten Minute neben das Pult ein Brettchen gelegt wird, auf dem die Warnung steht: Sie haben noch eine Minute Zeit! Wenn die fünf Minuten abgelaufen sind, werde ich den Redefluss erbarmungslos stoppen. Ich werde, wenn ich feststelle, dass einer der Sprecher auf die Hilfe eines fertigen Textes nicht verzichten zu können glaubt, einmal abmahnen und, wenn er seine ,Krücken' nicht wegstellt, ihm das Wort entziehen.“
Blieb nur noch eine Schwierigkeit zu klären. „Falls die Bundesregierung noch in der letzten Minute das Wort ergreifen sollte, also über die 60 Minuten plus der zusätzlichen Redezeit hinausgeht, dann ist der Fall gegeben, dass jeder das Recht hat, das Wort zu verlangen, um auf die Erklärung der Regierung zu antworten. Ich schlage vor, dass die Herren von der Regierungsbank uns nicht in die Verlegenheit setzen.“
Ergänzend verlas Schmid deshalb ein Schreiben des Bundeskanzlers Prof. Dr. Dr. Ludwig Erhard (CDU) in dem dieser mitteilte, er begrüße die Einrichtung einer Aktuellen Stunde und sei damit einverstanden, „dass die Mitglieder der Bundesregierung sich an die für die Mitglieder des Bundestages vorgesehene Redezeit halten und grundsätzlich - wobei ich unter ,grundsätzlich' verstehe: ein für alle Mal und ohne Ausnahme - nicht länger als jeweils fünf Minuten sprechen“.
Nachdem alle Regularien geklärt waren, ergriff als erster Redner der Vorsitzende der Oppositionsfraktion Fritz Erler (SPD) das Wort und musste sich nach einiger Unruhe im Plenum gleich für einen vermeintlichen Regelverstoß entschuldigen. „Entschuldigen Sie, einige Notizen darf man benutzen; man darf nur keine Reden verlesen. Ich glaube nicht, dass ich den Eindruck erwecke, nicht der deutschen Sprache mächtig zu sein, ohne zu lesen“, verteidigte er sich.
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Dr. Rainer Barzel bekam kurz das angedrohte entschlossene Vorgehen des Vizepräsidenten Schmid zu spüren. Er erhielt das angekündigte Brettchen: „Sie haben noch eine Minute Zeit!“. Die er dann aber nicht mehr benötigte.
Alle elf Redner des Bundestages, der Bundeskanzler und der Außenminister Dr. Gerhard Schröder, hielten sich an die vorgesehene Redezeit und Schmid konnte die Aktuelle Stunde überpünktlich abschließen. Sein Fazit: „Ich glaube, das Haus hat die Bewährungsprobe dieser ersten Stunde bestanden. ,Vivant Sequentes', darf ich auf Lateinisch sagen.“
Trotz erfolgreich bestandener Bewährungsprobe dauerte der Probebetrieb 15 Jahre und endete erst mit dem Inkrafttreten der neuen Geschäftsordnung am 1. Oktober 1980, die der Bundestag am 25. Juni 1980 verabschiedet hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Abgeordneten nur 56 Mal von der Aktuellen Stunde Gebrauch gemacht, die überwiegend im Anschluss an die Fragestunde stattfand.
Seit 1983 ist die Aktuelle Stunde ein vor allem von der Opposition gern genutztes Instrument der parlamentarischen Demokratie. Seitdem gab es in jeder Wahlperiode mehr als hundert 100 Aktuelle Stunden, die im Gegensatz zu vorher überwiegend unabhängig von der Fragestunde verlangt wurden. In der vergangenen Wahlperiode von 2009 bis 2013 waren es 131. In der Zeit der ersten rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2002 gab es mit 141 die bisher höchste Anzahl Aktueller Stunden.
Nach der neuen Geschäftsordnung findet eine Aktuelle Stunde statt, wenn sie im Ältestenrat vereinbart wird oder von einer Fraktion oder von fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages zu der Antwort der Bundesregierung auf eine mündliche Anfrage oder unabhängig von einer für die Fragestunde eingereichten Frage von einer Fraktion oder von fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages verlangt wird (Anlage 5 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages). (klz/03.02.2015)