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Massud Rahmati war 15 Jahre alt, als er 2010 mit seinen beiden jüngeren Brüdern aus Afghanistan flüchtete. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion schlugen sie sich über den Iran bis zur Türkei durch. Dort verlor Massud seine Brüder und musste seine Reise alleine über Griechenland bis nach Deutschland fortsetzen - eine von vielen Fluchtgeschichten unbegleiteter Minderjährigen. Der jetzt 20-Jährige wurde von der Kinderkommission (Kiko) am Mittwoch, 4. Februar 2015, eingeladen, um seine Lebensgeschichte vor den Kiko-Mitgliedern, Experten und Besuchern zu erzählen. In der öffentlichen Sitzung unter Vorsitz von Susann Rüthrich (SPD) waren außerdem zwei Experten eingeladen, die über die aktuelle Lage der unbegleiteten Flüchtlingskinder in Deutschland informieren.
Die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen, die nach Deutschland flüchten, steigt nach Angaben der Kinderkommission an. So seien 2008 763 unbegleitete Minderjährige nach Deutschland gekommen, während 2013 schon 2.486 hier Schutz suchten. Die meisten von ihnen kamen laut der Kiko aus Afghanistan (690), Somalia (355), Syrien (285), Eritrea (140) und Ägypten (120).
Die Rechtslage bei minderjährigen Flüchtlingen sei eine besondere, gerade wenn sie ohne Begleitung um Schutz suchen, betont die Kommission. Auch die kindgerechte Unterbringung und Versorgung in den Kommunen vor Ort sei nicht immer einfach.
Es gebe Schätzungen über die Anzahl der unbegleiteten Minderjährigen, jedoch keine einheitlichen Zahlen, erklärte Thomas Berthold vom Bundesfachverband Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge e.V. vor den Kommissionsmitgliedern. Das Problem liege darin, dass viele Minderjährige von den Behörden für älter gehalten werden, als sie es in Wahrheit sind. Genauso gebe es ältere Flüchtlinge, die den Schutz der Minderjährigkeit auszunutzen versuchen, in dem sie sich für jünger erklären.
Spezielle Verfahren, die eine Altersfestsetzung möglich machen, gebe es nicht, so Berthold. Selbst mit Geburtsurkunde seien die Behörden skeptisch. Auch der damals 15-jährige Massud, der eine Geburtsurkunde in der Hamburger Behörde vorlegen konnte, wurde für 18 Jahre und damit volljährig erklärt.
Ein weiteres großes Problem sei, dass viele Familien getrennt oder in unterschiedliche Orte versetzt würden, so Berenice Böhlo, Rechtsanwältin für Asyl-, Migrations- und Verwaltungsrecht. Viele volljährige Jugendliche zwischen 18 bis 20 Jahren müssten früh den Familienvorstand bilden, da sie meist schneller die Landessprache erlernen als die Eltern, die dadurch meist nicht in der Lage seien, Verantwortung zu übernehmen.
Das führe zu dramatischen Problemen, so Böhlo, da diese volljährigen Jugendlichen oftmals von ihren Eltern und jüngeren Geschwistern aufgrund ihrer Volljährigkeit getrennt werden .
"Die Kinder werden oft nicht angehört", kritisierte Berthold, "bei normalen Scheidungsverfahren in Deutschland werden drei bis vierjährige Kinder angehört, aber die Flüchtlingskinder werden nicht beachtet."
Dieser Meinung stimmte auch Ralf Willinger, Kinderreferent von "terre des hommes" zu: "Die Kinder haben oft Angst, alles zu erzählen", erklärte Willinger, es sei ein generelles Problem, ob ihnen die Geschichte überhaupt geglaubt werde. "Kinder erzählen Geschichten anders als Erwachsene." (abb/04.02.2015)