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Die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll wegen der Ukraine-Krise gegen die russischen Abgeordneten keine Sanktionen wie etwa einen Entzug des Stimmrechts verhängen. Dies fordert im Interview Jürgen Klimke, aus dessen Sicht es "gerade die Stärke der OSZE" ist, Moskau einzubeziehen. Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete: "Die russischen Delegierten müssen sich den Argumenten der anderen Europäer stellen." Der Konflikt um die Ukraine, der Terrorismus und die Medienfreiheit gehören zu den Schwerpunktthemen der Wintertagung des OSZE-Parlaments, die vom 18. bis 20. Februar 2015 in Wien stattfindet. Klimke ist stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation. Das Interview im Wortlaut:
Herr Klimke, die OSZE hat einen Waffenstillstand für die Ostukraine vereinbart, der aber nicht lange hielt. Diese Minsker Vereinbarung wäre inzwischen wohl ganz erledigt, würden sich Angela Merkel und François Hollande nicht um deren Wiederbelebung bemühen. Ist im Ukraine-Konflikt die OSZE mit Ihrem Latein am Ende? Auch deren Beobachter vor Ort vermögen die militärische Auseinandersetzung nicht einzudämmen.
Die OSZE ist keineswegs am Ende. Es ist nicht die primäre Aufgabe der Beobachter vor Ort, Eskalationen aktiv einzudämmen, wie dies etwa bei einer UN-Mission der Fall wäre. Die OSZE-Vertreter können aber die militärische Eskalation in der Ostukraine beobachten und bewerten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bleiben wichtig, zum Beispiel bei der Entscheidung über schärfere Sanktionen gegen Russland. Im Übrigen wirkt die OSZE bei Merkels und Hollandes Vermittlungsbemühungen sehr wohl mit.
Sieht das OSZE-Parlament noch Chancen, in der russisch-ukrainischen Krise aus der verfahrenen Situation herauszukommen? Oder resignieren die Abgeordneten angesichts der Entwicklung in der Ostukraine?
Resignation hat in internationalen Organisationen keinen Platz. Auch dort gilt: Politik bedeutet das Bohren dicker Bretter. Erst wenn die Waffen schweigen, sind sinnvolle Gespräche möglich. Wird nicht mehr geschossen, kann das demokratisch legitimierte OSZE-Parlament unter Einbeziehung russischer Abgeordneter ein Forum für Verhandlungen über gemeinsame Lösungen bieten. Natürlich sprechen wir auch in Wien über den Ukraine-Konflikt, wahrscheinlich im Rahmen einer Spezialdebatte.
Angesichts der russischen Obstruktionspolitik hat das Europaratsparlament dieser Tage beschlossen, seine Sanktionen gegen Moskau zu verlängern und den Duma- Delegierten weiterhin das Stimmrecht zu entziehen. Ist dies ein Signal an die OSZE-Abgeordneten, nun ebenfalls Strafmaßnahmen gegen die russischen Vertreter zu verhängen?
In der Tat werden die Forderungen lauter, den russischen Abgeordneten nun im OSZE-Parlament ebenfalls das Stimmrecht zu entziehen. Es ist aber gerade die Stärke der OSZE, dass wir unter Einbeziehung Russlands diskutieren. Anders als in der UN verfügt Moskau in der OSZE nicht über ein Vetorecht. Die russischen Delegierten müssen sich den Argumenten der anderen Europäer stellen. Das ist für mich ein wichtiges Argument für die Beibehaltung des Status quo.
Das Attentat auf Charlie Hebdo hat die internationale Politik aufgeschreckt. Welche Möglichkeiten haben die OSZE und ihr Parlament bei der Terrorbekämpfung?
Die OSZE kann über die EU hinaus die internationale Kooperation bei der Bekämpfung von Terroristen und islamistischem Extremismus voranbringen. Das liegt im Interesse aller Staaten. Der Angriff auf Charlie Hebdo verdeutlicht aber auch die Notwendigkeit einer freien und unbequemen Presse. Wir werden deshalb in Wien über Bedrohungen der Medien- und Meinungsfreiheit auf dem Gebiet der OSZE diskutieren.
Was liegt bei der Terrorbekämpfung international im Argen?
Es ist unbestreitbar, dass außerhalb der EU die zwischenstaatliche Kooperation verstärkt werden muss. Vor allem die Türkei als Transitland für Dschihadisten spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Die Wintertagung des OSZE-Parlaments eröffnet einen geeigneten Rahmen für Gespräche über die Frage, was man künftig zur Erhöhung der Sicherheit vor Terroranschlägen im OSZE-Raum konkret tun kann.
In den Parlamenten von EU und Europarat herrscht die Sorge, nach den Attentaten von Paris könnten dem Antiterrorkampf verstärkt Bürgerrechte und rechtsstaatliche Standards geopfert werden. So gibt es etwa Widerstände gegen die Registrierung von Fluggastdaten. Wie debattieren die OSZE-Abgeordneten dieses Problem?
Diese Diskussion wird national und international seit den Anschlägen vom 11. September 2001 geführt, auch im OSZE-Parlament ist dies ein Dauerthema. Es ist immer abzuwägen zwischen dem Gewinn an Sicherheit auf der einen und der Beschneidung von Freiheitsrechten und Datenschutz auf der anderen Seite. Pluralistische, freiheitliche Gesellschaften sind offen - was ganz im Sinne von Charlie Hebdo auch so bleiben muss. Bei der konkreten Ausgestaltung der Politik auf diesem sensiblen Feld sehe ich jedoch vor allem die nationalen Parlamente und die EU-Institutionen gefordert.
(kos/11.02.2015)