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Das von der Bundesregierung vorgelegte Präventionsgesetz (18/4282) wird von Gesundheits- und Sozialexperten im Grundsatz begrüßt, allerdings als nicht weitreichend genug bewertet. Gesundheitsförderung und Vorbeugung müssten als Querschnittsaufgabe verstanden und in allen Gesellschaftsbereichen gezielt verankert werden, gaben Sachverständige bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) am Mittwoch, 22. April 2015, im Bundestag sowie in ihren schriftlichen Stellungnahmen zu bedenken. Scharf kritisiert werden auch die aus Expertensicht unzureichende Einbindung der privaten Krankenversicherung (PKV) in das Gesetzesvorhaben sowie die herausgehobene Rolle der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Die Reform ist an sogenannten Lebenswelten orientiert, Gesundheitsförderung und Prävention sollen auf jedes Lebensalter und in alle Lebensbereiche ausgedehnt werden. Die Leistungen der Krankenkassen zur Prävention und Gesundheitsförderung werden ab 2016 mehr als verdoppelt auf sieben Euro je Versicherten pro Jahr. Zusammen mit dem Beitrag der Pflegekassen stehen künftig rund 511 Millionen Euro im Jahr für präventive und gesundheitsfördernde Leistungen bereit.
Die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen weiterentwickelt werden. Zur Beratung gehört die Klärung des Impfstatus. Im Rahmen einer nationalen Präventionskonferenz sollen sich die Sozialversicherungsträger unter Beteiligung des Bundes, der Länder, Kommunen und Sozialpartner auf ein Vorgehen verständigen. Die Prävention soll dazu beitragen, „Volkskrankheiten“ wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Schwächen oder Adipositas einzudämmen und die Menschen zu einem gesunden Lebensstil mit ausreichend Bewegung zu bringen.
Nach Ansicht der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung muss der Leitgedanke der Gesundheitsförderung in alle Politikfelder eingebracht werden. Nur so könne die Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe für das politische Handeln gleichberechtigt neben andere solche Aufgaben treten.
Auch der Verband der Ersatzkassen argumentierte, weil das Gesetz nicht gesamtgesellschaftlich ausgestaltet sei, werde viel Potenzial verschenkt. Die geplanten 35 Millionen Euro pro Jahr für Beratungs- und Unterstützungsleistungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung seien überdimensioniert. Problematisch sei zudem, wenn ein Vertragspartner vorgeschrieben werde, bei dem es sich um eine nachgeordnete Behörde des Bundesgesundheitsministeriums handele.
Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin wäre es optimal, wenn die Gesundheitsförderung in den Alltag der Kitas und in die Rahmenpläne der Schulen eingebunden würde, darunter auch in Fragen der Ernährung, Bewegung, Unfallprävention sowie Schutz vor Lärm und Schadstoffen.
Auf die vielen psychischen Erkrankungen verwies der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten. Kinder verdienten dabei wegen der Langzeitfolgen besondere Aufmerksamkeit. Die Gesundheitsuntersuchungen für Kinder sollten entsprechend ausgeweitet werden.
Die Ärzteverbände verlangten, an der Präventionskonferenz beteiligt zu werden. Die Zahnärzte forderten eine deutlich bessere Kariesvorbeugung im Kleinkindalter. Auf die Notwendigkeit des Zahnarztbesuches werde bei den Vorsorgeuntersuchungen (U) kaum eingegangen. Dies müsse verbindlich geregelt werden, da die Karieswerte bei kleinen Kindern seit Jahren auf hohem Niveau stabil blieben.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte bezweifelt den Sinn von Bonusprogrammen der Krankenkassen für gesundheitsbewusstes Verhalten. Die Erfahrung zeige, dass bildungsferne Familien und solche mit Migrationshintergrund von Bonusangeboten nicht erreicht würden. Die Gelder sollten daher besser direkt in die Prävention fließen.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schlug vor, den Bonus nicht in bar, sondern als Sachleistung zu gewähren oder in einem „Gesundheitssparkonto“ gutzuschreiben, um eine Zweckbindung zu erreichen. Der DIHK befürchtet im Übrigen mehr Bürokratie und Mehrausgaben, die zu höheren Beitragssätzen führen könnten.
Das sieht der AOK-Bundesverband auch so und beklagt, die Lasten würden letztlich allein den gesetzlich Krankenversicherten über den Zusatzbeitrag auferlegt. Die Krankenkassen, die keinerlei Zuständigkeit für die Gestaltung der Lebensverhältnisse hätten, müssten nun mit einem hohen bürokratischen Aufwand eine Präventionsstrategie entwickeln.
Auf die Benachteiligung sozial schwacher Bevölkerungsteile wies die Caritas hin. Gesundheitliche Belastungen, Krankheitsrisiken und Ressourcen seien „höchst ungleich verteilt“. Gesundheitsförderung müsse als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, wobei Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungsträger gemeinsam eine Strategie entwickeln, finanzieren und umsetzen sollten. Zu den Gesundheitszielen sollte die Eindämmung des Alkoholkonsums zählen. Ferner seien „präventive Hausbesuche“ sinnvoll, um ältere Menschen vor Depression, Vereinsamung oder Mangelernährung zu bewahren.
Der Sozialverband Deutschland forderte eine stärkere Einbindung der PKV. Problematisch sei ferner, dass die Gesundheitsförderung von den Krankenkassen als Satzungsleistungen angeboten werden solle. Damit werde sie zum Wettbewerbsinstrument. Sinnvoll wäre es, die Prävention in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufzunehmen.
Der Arbeitgeberverband BDA sieht in dem Reformprojekt lediglich ein begrenztes Wirkungspotenzial, da jene Menschen nicht erreicht würden, die am meisten von den Angeboten profitieren könnten. Inakzeptabel sei, dass die Krankenkassen mit einer „Zwangsabgabe“ Maßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finanzieren müssten. Die pauschale Anhebung der Präventionsausgaben sei zudem ein massiver Eingriff in die Entscheidungs- und Finanzautonomie der Kassen.
Auch der GKV-Spitzenverband kritisierte die „unnötige“ Einschränkung der Selbstverwaltungskompetenzen der Krankenkassen. Zudem bestehe eine „erhebliche Ungleichbehandlung von GKV und PKV“. Der verpflichtende Auftrag an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werde strikt abgelehnt. Wenn der Bund diese Bundesbehörde stärken wolle, müsse er das selbst finanzieren.
Die Betriebskrankenkassen lehnen eine „Quersubventionierung“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit Beitragsmitteln ebenfalls kategorisch ab.
Der Einzelsachverständige Ulf Fink merkte an, dass nun schon seit vielen Jahren um ein Präventionsgesetz gerungen werde. Vier Versuche seien gescheitert. Die Zeit sei nunmehr „überreif“ für ein Gesetz, das einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen bringen müsse. Er nannte in dem Zusammenhang auch die Themen Alkohol und Zigaretten. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf könne nur ein Anfang sein.
Die Opposition hat eigene Anträge eingebracht. Der Antrag der Fraktion Die Linke (18/4322) zielt auf die "Verminderung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit" ab, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt in ihrem Antrag (18/4327) "Gerechtigkeit und Teilhabe durch ein modernes Gesundheitsförderungsgesetz". (pk/22.04.2015)