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Die Frage, ob Regeln zur Unternehmensverantwortung verbindlich festgeschrieben werden oder aber auf Freiwilligkeit beruhen sollen, ist unter Experten umstritten. In einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter Vorsitz von Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) ging es am Mittwoch, 22. April 2015, um Transparenz und Offenlegungspflichten entlang globaler Lieferketten und auch um Haftungsfragen sowie Klage- und Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen, denen - wenn auch vermittelt über eine womöglich lange Zuliefererkette - die Verletzung von Menschenrechten bei den Produktionsbedingungen vorgeworfen wird.
Ein Teil der Sachverständigen sah das Problem, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen womöglich gar nicht in der Lage seien, sich für die in ihren Produkten enthaltenen Stoffe oder Bauteile bis zum letzten Glied der Wertschöpfungskette zu verbürgen.
Demgegenüber wies der andere Teil der Experten darauf hin, dass freiwillige Selbstverpflichtungen bisher kaum oder gar nicht dazu beigetragen hätten, Katastrophen wie den Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ in Bangladesch im Jahre 2013 mit mehr als tausend Toten zu verhindern.
Matthias Wachter vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) meldete Zweifel an der Umsetzbarkeit an und bezog sich dabei auf Artikel 1502 des sogenannten Dodd-Frank Act von 2010, der an US-Börsen notierten Unternehmen auferlegt, eine etwaige Nutzung von „Konfliktmineralien“ aus dem Gebiet der Großen Seen in Afrika anzuzeigen. Nur ein knappes Viertel der in den USA berichtenden Unternehmen sei überhaupt in der Lage, eine solche „Konfliktfreiheit“ zu erklären, sagte Wachter.
Zu den unbeabsichtigten Nebenwirkungen gehöre auch, dass viele Unternehmen nun ganz auf Mineralexporte aus dem Ostkongo verzichten würden - was wiederum der dort lebenden Bevölkerung die Lebensgrundlage zu entziehen drohe. Wachter verwies auf das Beispiel der EITI-Initiative („Extractive Industries Transparency Initiative“), die auf freiwilliger Basis und in Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erfolgreich und effizient für mehr Transparenz im Rohstoffsektors sorgen könne.
Bischof Fridolin Ambongo Besungu aus der Demokratischen Republik Kongo beharrte hingegen darauf, dass nur verbindliche Regelungen dieses Ziel erreichen könnten: „Der Dodd-Frank Act ist gut. Wir wissen, dass dieses Gesetz wirkt“, sagte Besungu. Die EU sollte aber bei ihren Überlegungen für eine Verordnung zur Zertifizierung bestimmter Rohstoffimporte Lehren aus den Schwächen der US-Regelung ziehen: Dies betreffe sowohl die Zahl der zu zertifizierenden Schmelzen wie auch die bisher sehr kleine Zahl der zu erfassenden Rohstoffe.
Besungu stellte zudem klar, dass die von seinem Vorredner angesprochene Arbeitslosigkeit im Ostkongo nicht Folge des Dodd-Frank Act sei, sondern vor allem mit der Entscheidung des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila zu tun habe, Kleinschürfern die Zulassung zu entziehen.
Auch Michael Reckordt (Verein „PowerShift“ sowie Netzwerk „Arbeitskreis Rohstoffe“) sprach sich für eine deutlich stärkere Regulierung aus. So würden freiwillige Regelungen häufig nicht umgesetzt: Nach einer Analyse der EU-Kommission würden nur vier Prozent von 330 Unternehmen solche freiwilligen Standards überhaupt anwenden und öffentlich darüber berichten, ob sie „Konfliktmineralien“ in ihrer Lieferketten hätten.
Fehlende Rahmenbedingungen würden es gerade jenen Unternehmen schwer machen, die bereit seien, Standards zu folgen. „Verbindliche Sorgfaltspflichten sind eine Förderung derer, die etwas tun - und keine Bürde“, sagte Reckordt.
Demgegenüber meldete der Rechtsanwalt Joachim Jütte-Overmeyer Zweifel an, ob es möglich sei, die Beachtung von Menschenrechten in globalen Lieferketten gesetzlich zu erzwingen. Wenn man Unternehmen zu „Mithütern der Menschenrechte“ mache, lege man diesen Pflichten auf, „die originär den Staat mit seinen Exekutivmöglichkeiten treffen“. Es würden sich ganz praktische Fragen stellen, inwieweit etwa Unternehmen befugt und in der Lage seien, Arbeits- und Produktionsbedingungen entlang ihrer Lieferketten - also auch in anderen Staaten - wirksam zu kontrollieren.
„Nicht fehlende Normen, Standards, Kodizes oder fehlendes Engagement sind das eigentliche Problem für die weiterhin bestehenden Missstände, sondern die eingeschränkten Möglichkeiten der Unternehmen, diese in komplexen und wenig transparenten globalen Wertschöpfungsketten umzusetzen“, argumentierte Jütte-Overmeyer in seiner schriftlichen Stellungnahme.
Frank Zach vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sagte, dass Katastrophen wie der Fabrikeinsturz von „Rana Plaza“ das Ergebnis „kompletten staatlichen Versagens“, aber eben auch Ergebnis „mangelnder Sorgfaltspflichten international agierender Unternehmen“ seien. Zwar betonten die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte die staatliche Verantwortung als erste Säule.
Aber gerade weil eine Vielzahl von Ländern dieser Aufgabe nicht nachkommen würde - auch um durch massive Abstriche bei Arbeits- und Umweltschutz Investitionsanreize zu schaffen - betonen die UN-Leitlinien die Sorgfaltspflichten der Unternehmen. „Wettbewerb auf Basis von Ignoranz oder auf Basis von Verstößen gegen die Menschenrechte sollte aus unserer Sicht als unlauterer Wettbewerb gelten“, sagte Zach.
Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) wies darauf hin, dass die Haftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen nicht erst seit dem Dodd-Frank Act diskutiert werde: Auch in den Nürnberger Nachfolgeprozessen seien Unternehmer für ihre Beihilfe oder direkte Menschenrechtsverletzungen im NS-Staat haftbar gemacht worden.
Das bestehende Zivil-und Strafrecht in Deutschland biete heute zwar Möglichkeiten, Unternehmen bei Verstößen zur Verantwortung zu ziehen: „Diese Mechanismen sind aber nicht sehr effektiv“, sagte Saage-Maß. So fehle Betroffenen etwa die Möglichkeit zu Gruppenklagen. Insgesamt werde das deutsche Haftungsrecht dem Einfluss und der globalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft nicht gerecht.
Der Rechtsanwalt Robert Grabosch lenkte den Blick unter anderem auf eine gewisse Rechtsunsicherheit für die Verantwortlichen in Unternehmen: Sie seien dem Legalitätsprinzip verpflichtet, also der Befolgung aller gesetzlichen und sonstigen rechtlichen Anforderungen, anderseits sei nicht immer klar, was die Gesetze konkret verlangen. So finde sich im Bürgerlichen Gesetzbuch nur ein Satz zur Sorgfaltspflicht.
Der überwiegenden Zahl der Unternehmer erscheint es „nachvollziehbarerweise unter den gegebenen Marktverhältnissen und in Abwesenheit klarer rechtlicher Regeln einzig vernünftig und zwingend, den kostengünstigsten Weg zu wählen und in Fällen möglicher Risiken für Menschen, Umwelt und das Unternehmensimage schlicht darauf zu hoffen, dass sich die Risiken nicht realisieren“, heißt es in seiner schriftlichen Stellungnahme. (ahe/22.04.2015)