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Der Bundestag hat am Donnerstag, 7. Mai, an das 50-jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen mit Israel erinnert und sich fraktionsübergreifend für die Bewahrung und Vertiefung dieser über den tiefen Graben deutscher Verbrechen gewachsenen Freundschaft stark gemacht. Israel und die Bundesrepublik hatten am 12. Mai 1965 diplomatische Beziehungen aufgenommen.
Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einer „Brücke der Freundschaft“, die das Land der Opfer dem Land der Täter damals gebaut habe. „Dass diese Freundschaft gelingen konnte, ist wirklich ein Wunder.“ Die deutsch-israelischen Beziehungen seien heute keine diplomatische Freundschaft der Eliten, sie zeige sich vielmehr in „Tausenden Facetten des Alltags“: Etwa in der Tatsache, dass es junge Deutsche zum Studium nach Jerusalem oder die boomende Start-Up-Szene Tel Avivs ziehe, und sich andererseits junge Israelis in Deutschland eine Existenz aufbauen – in jenem Land, in dem ihre Großeltern und Urgroßeltern in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet worden waren.
Steinmeier erinnerte an jenen „Horizont der Hoffnung“, von dem der damalige israelische Staatspräsident Shimon Peres 2010 im Bundestag sprach: Seine Hoffnung auf eine „Welt ohne Hass“ sei keinesfalls naiv, und genau dies zeige die „kraftvolle Botschaft der Verständigung und Versöhnung“ zwischen Israelis und Deutschen. Steinmeier lenkte den Blick auf die Verpflichtungen, die Deutschland daraus erwachsen würden. Dazu gehöre das Eintreten gegen jeder Form von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass und auch der Einsatz für Israels Sicherheit, die „historisches Gebot“ und „unverbrüchlicher Teil“ deutscher Staatsräson sei. Steinmeier sagte dies auch mit Blick auf die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Am Ende werde es nur eine Vereinbarung geben, „die mehr Sicherheit für Israel bedeutet und nicht weniger“.
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, erinnerte an die lange und wechselvolle Geschichte der Ausgrenzungen des jüdischen Volkes. Über Jahrhunderte habe die Sonderstellung der Juden in Europa dazu beigetragen, „sie zu Sündenböcken zu machen für Schuld, Versagen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen“. Für viele Juden sei Deutschland im 19. Jahrhundert als eines der „am wenigsten antisemitischen Länder Europas“ zu einem Einwanderungsland geworden.
„Umso bestürzender ist die Machtergeifung der Nazis“ im Jahre 1933. Unter dem Eindruck des deutschen Völkermordes an den Juden habe die Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg der zionistischen Idee der Gründung eines eigenen Staates zugestimmt: „Nur ein jüdischer Staat kann Jüdinnen und Juden einen wirksamen Schutz vor internationaler Verfolgung bieten“, sagte Gysi. Heute hätten auch die Palästinenser das Recht „auf einen eigenen Staat, der ihnen internationalen Schutz gewährt“. Deutschland habe nicht nur eine historische Verantwortung gegenüber Israel, sondern auch gegenüber den Palästinensern, die einen Preis auch für deutsche Verbrechen der Vergangenheit bezahlen würden. „Ich wünsche mir mehr Leidenschaft meiner Regierung im Bemühen um einen palästinensischen Staat“, sagte Gysi. „Das schwächt nicht unsere Beziehungen zu Israel.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder nannte die Tatsache, dass es Israelis waren, die vor 50 Jahren den Deutschen die Hand austreckten, etwas „unglaubliches, unfassbares und wunderbares“. Der Dank gelte „heute dem Staat Israel und den Juden, die auf das Tätervolk zugegangen sind“, sagte Kauder. Er verwies dabei auf einen großen „Vertrauensbeweis“: Israel habe die Vertretung seiner diplomatischen Interessen in bestimmten Ländern, in denen es keine eigene Vertretung unterhält, in die Hand Deutschlands gelegt. „Wir werden alles daran setzen, dass wir uns dieses Vertrauens würdig erweisen“, sagte Kauder.
Es sei zudem „großartig, dass wir wieder jüdisches Leben in Deutschland haben“. Aber es sei zugleich beklemmend, wenn Juden heute teilweise Angst hätten, sich hierzulande als Juden zu erkennen zu geben. Es gebe nach wie vor Antisemitismus in Deutschland – von den hier Geborenen wie von Einwanderern, „beides darf bei uns nicht stattfinden“, sagte Kauder. „Wir haben in unserem Land Verantwortung, dass jüdisches Leben staatfinden kann – und dass die Erinnerung, an das, was im Nationalsozialismus geschehen ist, wach bleibt.“ Dazu gehöre auch, dass die Worte vom Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson nicht nur in Sonntagsreden gelten dürften. So könne es keinen Verhandlungsabschluss über das iranische Atomprogramm geben, mit dem sich die Sicherheit Israels verschlechtert, betonte Kauder.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, erinnerte daran, dass Deutschland 1965, bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen „weder frei von Schuld, noch frei von Schuldigen war“. Dass die deutsch-israelischen Beziehungen so intensiv und tragfähig geworden seien, sei vor allem auch das Verdienst von Bürgern, kirchlichen Gemeinden, von Städtepartnerschaften und Kulturprojekten, des Jugendaustausches und auch der Freiwilligen der „Aktion Sühnezeichen“. „Sie alle sind es, die die Beziehungen tragen.“
Göring-Eckardt bezeichnete es als „beschämend für unser Land“, dass im vergangenen Jahr die Zahl der antisemitischen Straftaten um 25 Prozent gestiegen sei. Umfragen zeigten zudem eine „erschreckend hohe Zahl“ derer, die einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus zu ziehen wünschten. „Denen müssen wir widersprechen.“ Nie zu vergessen – das sei keine Hypothek, sondern „das wichtigste Erbe, das wir weiterzugeben haben“, sagte Göring-Eckardt. „Geschichte zu kennen, bedeutet Verantwortung zu leben.“
Achim Post (SPD) nannte 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen eine „Erfolgsgeschichte“. Er verwies unter anderem auf die European Maccabi Games, die Ende Juli in Berlin stattfinden werden. „70 Jahre nach dem Holocaust findet das größte jüdische Sportereignis Europas in Berlin statt - auch das ist ein Sieg über Hitler und Nazideutschland.“
Post mahnte, nicht nachzulassen im Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsradikale und Nazis. „Diese Nazis haben seit der deutschen Einheit mehr als 150 Menschen umgebracht.“ Es gelte, sie „mit allen Mitteln des Rechtstaates energisch“ zu bekämpfen. „Das wind wir uns selbst schuldig, aber auch den Israelis.“
Im Anschluss an die Debatte stimmten die Abgeordneten fraktionsübergreifend für einen Antrag der Koalitionsfraktionen (18/4803), die die Bundesregierung unter anderem aufgefordert hatten, „weiterhin für die Existenz des Staates Israel und seine legitimen Sicherheitsinteressen als ein zentrales Prinzip der deutschen Außenpolitik einzutreten“ und sich Antisemitismus „ob in Deutschland, Europa oder der Welt“ entschieden entgegenzustellen.
Keine Mehrheit fand hingegen ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/4818), die sich für das „unverhandelbare Existenzrecht und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel“ eingesetzt hatte. Die Grünen hatten unter anderem auch gefordert, „sich weiterhin dem Gedenken an die Shoa und der Verantwortung Deutschlands für Israel zu verpflichten und für die Fortsetzung der Erinnerungsarbeit und der notwendigen Entschädigungsleistungen und verwandter Leistungen für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik Sorge zu tragen“. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD lehnten den Antrag ab, die Linksfraktion enthielt sich. (ahe/07.05.2015)