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Für eine Fortsetzung der Sanktionspolitik gegenüber Moskau plädiert Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers im Interview. Wenn man einen Völkerrechtsbruch wie die Annexion der Krim und die russische Intervention in der Ostukraine nicht hinnehmen wolle, dann gibt es aus Sicht des CDU-Abgeordneten derzeit keine friedliche Alternative zur EU-Politik, mit Sanktionen Druck auszuüben und zugleich Dialogangebote zu unterbreiten. Der russisch-ukrainische Konflikt gehört zu den Schwerpunktthemen der Tagung, zu der die Parlamentarische Versammlung der Nato vom 15. bis 18. Mai 2015 in Budapest zusammenkommt. Lamers leitet die Bundestagsdelegation. Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Lamers, droht die russisch-ukrainische Krise zu einem "eingefrorenen Konflikt" mit einem de-facto-Regime der Aufständischen in der Ostukraine zu werden?
Die Entwicklungen in der Ostukraine bleiben besorgniserregend. Die OSZE-Beobachter berichten täglich von Kampfhandlungen. Das Minsker Übereinkommen, das im Kern eine Waffenruhe beinhaltet, soll verhindern, dass sich die Situation nachhaltig zu einem "eingefrorenen Konflikt" verfestigt. Auch wenn die Waffenruhe immer wieder verletzt wird, unterstütze ich den unermüdlichen Einsatz der Bundesregierung, diesen friedlichen Weg weiterzugehen. Die deutsche Delegation hat auf der zurückliegenden Herbsttagung unserer Versammlung durchgesetzt, dass sich die Entschließung zur Unterstützung der Ukraine auch auf das Abkommen von Minsk bezieht und sich damit klar für eine friedliche Konfliktlösung stark macht.
Tragen die Nato-Abgeordneten die Sanktionspolitik mit? Erzielt dieses Vorgehen die erhoffte Wirkung auf russischer Seite? Immerhin werden auch wirtschaftliche Interessen der EU beeinträchtigt.
Auch die EU-Länder leiden unter diesen Sanktionen, schließlich ist Russland der drittgrößte Handelspartner der EU und deckt 30 Prozent des Energiebedarfs. Allerdings treffen Russland, dessen größter Handelspartner die EU ist und das 75 Prozent seiner Devisen aus der EU bezieht, die Sanktionen noch härter. Will man einen so deutlichen Völkerrechtsbruch wie die Annexion der Krim und die Intervention Moskaus in der Ostukraine nicht hinnehmen, so sehe ich wie die Mehrheit der Kollegen in unserer Versammlung derzeit keine friedliche Alternative zum Ansatz der EU: Druck durch Sanktionen und Dialogangebote zugleich.
Der Kreml muss einen Teil seiner beim Brüsseler Nato-Hauptquartier akkreditierten Diplomaten abziehen. Ist dieses Vorgehen der Allianz sinnvoll? Unterhält die Parlamentarische Versammlung noch Kontakte zur Duma?
Als Reaktion auf die Annexion der Krim haben die Außenminister des Bündnisses die Zusammenarbeit mit Moskau suspendiert, sind jedoch auf Botschaftsebene weiter zu Gesprächen bereit. Der russische Botschafter Alexander Gruschko etwa hat uneingeschränkten Zugang zum Hauptquartier der Allianz. Auf Initiative des deutschen Außenministers wurde sogar das "rote Telefon" als direkter Draht zwischen dem russischen Oberbefehlshaber für Europa und dem Chef des Nato-Militärausschusses wiederbelebt. Unsere Versammlung bemüht sich ebenfalls weiterhin um einen Dialog, auch wenn wir die assoziierte Mitgliedschaft der russischen Delegation aufgehoben haben.
Für Budapest ist ein Auftritt des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko angekündigt. Was erwarten Sie von dessen Rede?
Poroschenko sollte offen über den Stand der Reformen in der Ukraine berichten und aufzeigen, wie wir Parlamentarier seinem Land auf diesem Weg helfen können. Er dürfte aber auch dazu aufrufen, die Ukraine notfalls mit Waffen zu unterstützen. Diese Forderung ist nachvollziehbar. Dennoch halte ich eine friedliche Konfliktlösung für den einzig gangbaren Weg, und das bedeutet: keine Waffenlieferungen. Diese würden den Konflikt in der Ukraine und die Krise des Verhältnisses von Nato und Russland nur weiter anheizen.
Thema in Budapest ist auch Afghanistan. Bestätigen sich jetzt Befürchtungen, dass nach dem Isaf-Rückzug die afghanische Armee die Taliban nicht in Schach zu halten vermag?
Wir müssen uns vor Augen halten, wo Afghanistan vor dem Isaf-Einsatz stand. Seither wurde viel erreicht. Trotzdem ist es noch ein weiter Weg bis hin zur nachhaltigen Stabilisierung des Landes. Deshalb beteiligt sich Deutschland nach dem Isaf-Abzug mit 850 Soldaten an der Nachfolgemission Resolute Support, die afghanische Sicherheitskräfte schult, berät sowie finanziell und materiell unterstützt.
Sollte die Nato ihren Kurs am Hindukusch korrigieren?
Die Unterstützung Afghanistans wird mit der 2016 auslaufenden Mission Resolute Support nicht enden. Wie eine sogenannte Enduring Partnership post 2016 konkret aussehen wird, ist von der weiteren Entwicklung vor Ort abhängig. Bei der Entscheidung über Umfang und Dauer einer solchen Unterstützung ist zu berücksichtigen, dass eine erneute Destabilisierung des Landes einen unberechenbaren Brandherd für die gesamte Region darstellen würde. In Budapest werden wir einen Bericht meiner Kollegin Ulla Schmidt, der Vizepräsidentin des Bundestages, zum Übergangsprozess in Afghanistan und zur Bedeutung von Stabilisierungsmaßnahmen für ganz Zentralasien diskutieren. (kos/12.05.2015)