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Christian Lange, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Rechtsausschuss-Vorsitzende Renate Künast © DBT/Melde
Das Schutzniveau und das Schutzbedürfnis der Grundrechte generell und der Verbraucherrechte im Internet standen auf der Agenda der IV. Internationalen Konferenz der parlamentarischen Rechtsausschüsse, die am Montag, 1. Juni, und Dienstag, 2. Juni 2015, im Deutschen Bundestag stattfand. An der von der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit in Kooperation mit dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) organisierten Veranstaltung nahmen Rechtspolitiker aus zahlreichen Staaten teil.
Das mit „Digitales-Datenschutz-Verbraucherrechte“ überschriebene Panel des zweiten Konferenztages wurde vom stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU), eröffnet. Big Data könne den Alltag erleichtern, es berge aber auch Gefahren im Bereich der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes, so Luczak in seinem Eingangsstatement. National wie international stelle sich diesbezüglich die Frage nach einem angemessenen Ausgleich.
In ihrem Impulsreferat zu den Themen des Panels warb Renate Künast dafür, in allen Bereichen das Verständnis für die sich immer weiter digitalisierende Gesellschaft zu stärken. Gerade in der Wirtschaft könne nicht mehr nur von einzelnen digitalen Bereichen gesprochen werden. Die allumfassende digitale Kommunikation sorge für eine ebenso umfassende Digitalisierung aller Lebensbereiche.
Gleichwohl bestand Künast darauf, dass auch für die digitale Welt das Primat des Rechts gelte. Insofern müssten die rechtlichen Regelungsgehalte der analogen Welt auch in der digitalen Welt – wenn auch hierauf angepasst – gelten. Klare, EU-weit geltende Regelungen für den Geschäfts- und Rechtsverkehr im Internet seien nötig, so Künast weiter. Hierzu zählten Regelungen zum Datenschutz, zu Kundenrechten im Netz, zur Netzneutralität, zur Klagebefugnis für Verbraucherverbände und zu vielem mehr.
„Die besonderen Herausforderungen des Datenschutzes in der digitalen Gesellschaft“ zeigte Prof. Dr. Johannes Caspar, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, in seinem Impulsreferat auf. Daten seien das Öl der postindustriellen Gesellschaft, so Caspar. Gegen das Ausspionieren von Daten werde ein permanenter Abwehrkampf geführt. Als Gegner der Dateninhaber fungierten hier nicht nur der Staat, sondern auch nichtstaatliche Institutionen. Daneben sei eine stärkere Sensibilisierung der Internetnutzer für den Schutz der eigenen Daten nötig.
In den Statements der Ländervertreter zum Thema Datenschutz wurde deutlich, dass die Entwicklung hierzu noch am Anfang steht, die große Bedeutung des Datenschutzes jedoch bereits erkannt wurde. So berichtete Albulena Haxhiu vom kosovarischen Parlament, dass ein Gesetzesentwurf zur Telekommunikationsüberwachung auf Drängen des Parlaments zweimal überarbeitet wurde, weil die Parlamentarier in einigen Regelungen Menschenrechtsverstöße erkannten. Farrukh Mukhamedov, stellvertretender Berater des Präsidenten der Republik Usbekistan, beklagte dagegen die Inflation der Gesetzgebung in Bezug auf den Datenschutz, die wegen der immer schnelleren technischen Entwicklung oft wirkungslos bleibe.
Dr. Igor Vremea, Abgeordneter des moldauischen Parlaments, betonte, dass die Informationstechnologiebranche bereits zehn Prozent des moldauischen Bruttoinlandsprodukts ausmache. Im Rahmen einer digitalen Agenda 2020 wolle man bis zu diesem Zeitpunkt ein hohes Datenschutzniveau sicherstellen. In Kasachstan hat der Datenschutz bereits Verfassungsrang, wie Rakhmet Mukashev vom kasachischen Parlament berichtete.
Der zweite Teil des Panels beschäftigte sich mit dem Verbraucherschutz im Internet, speziell im E-Commerce. Ulrich Kelber (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, unterstrich die Bedeutung des E-Commerce auf nationaler und internationaler Ebene. In Deutschland gebe es – Stand 2013 – 45 Millionen Onlineshopper. Hiervon seien viele nicht mehr nur Konsumenten, sondern mittlerweile auch Anbieter von Waren und Dienstleistungen. Die Schaffung eines rechtssicheren, verbindlichen Rahmens für die digital abgewickelten Geschäfte stehe daher sowohl national als auch international (Vereinte Nationen (UN), Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), International Consumer Protection and Enforcement Network (ICPEN)) auf den Agenden.
Bereits am ersten Konferenztag debattierten die Teilnehmer unter dem Titel „Grundrechtsschutz und Sicherheitspolitik“ am Nachmittag unter anderem über das in Deutschland wieder aktuelle Thema der Vorratsdatenspeicherung. In einem Impulsreferat stellte der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. em. Bodo Pieroth zunächst klar, dass Sicherheit und Freiheit nicht als Gegensatz gedacht werden sollten. So habe der Bürger nach dem Grundgesetz auch einen Anspruch auf Schutz durch den Staat.
Allerdings lasse sich daraus nicht ableiten, wie dieser Schutz gewährt werden sollte. Im Hinblick auf die Bedrohung durch den Terrorismus stellte Professor Pieroth fest, dass nach dem 11. September 2001 eine „legislative und administrative Betriebsamkeit“ eingesetzt habe, die auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt habe. Der Rechtsprechung sei eine „akzeptable Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ geglückt, urteilte Pieroth.
Drei Vertreter des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages nahmen sich ebenfalls – am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung – der Frage an, wie Freiheit und Sicherheit ausbalanciert werden können. Die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker verteidigte das Vorhaben als berechtigt und notwendig für die Strafverfolgung gerade im Bereich des Terrorismus und der Kinderpornografie.
Anders sahen das Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) und Jörn Wunderlich (Die Linke), die das Vorhaben beide ablehnten. Wunderlich warnte davor, dass die Entwicklung zu einem „Präventions- und Überwachungsstaat“ führen könne. Keul zweifelte daran, ob durch die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich mehr Verbrechen aufgeklärt werden könnten.
Auch internationale Erfahrungen wurden ausgetauscht: Nadhir Ben Ammou, Berater des Parlamentspräsidenten für Gesetzgebung der Republik Tunesien, berichtet von der Transformation seines Landes nach der Revolution 2011.
Sei vor dieser ein „totalitärer Blick“ auf Sicherheit zu Ungunsten der Freiheitsrechte vorherrschend gewesen, seien die Grundfreiheiten nun in der neuen Verfassung gestärkt worden. Die Teilnehmer hörten zudem Statements von Vertretern aus Montenegro, Jordanien, Marokko und Bosnien-Herzegowina. (eb/scr/03.06.2015)