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Willkürliche Hinrichtungen, unsägliche Haftbedingungen, systematische Folter, unbefristeter militärischer Zwangsdienst: Am Mittwoch, 10. Juni 2015, stand im Parlament der Horror auf der Tagesordnung - eine Aktuelle Stunde zu Menschenrechtsverletzungen in Eritrea: „Was kann man tun?“, so die Frage, die der Christdemokrat Frank Heinrich mit einem Appell beantwortete: „Ja, Aufsehen erregen, es deutlich machen, schockieren.“ Das war das Anliegen dieser Debatte auf Initiative vom CDU/CSU und SPD.
Anlass war ein am 8. Juni veröffentlichter, 64 Seiten umfassender Bericht der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, der in der Feststellung gipfelt: „In Eritrea herrscht nicht das Recht, sondern die Angst.“ Zwar hat das ostafrikanische Land nach jahrzehntelangen blutigen Kämpfen 1993 die Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt, doch den Kriegszustand bis heute nicht beendet. Um die Jahrtausendwende kam es zwischen beiden Ländern erneut zu einem bewaffneten Grenzkonflikt, der bis 2001 rund 100.000 Menschen das Leben kostete und eine Million in die Flucht trieb.
Den drei Ermittlern der Vereinten Nationen blieb der Zugang nach Eritrea verwehrt. Ihr Bericht stützt sich auf die Befragung von 550 anonymen Gewährsleuten im Exil und weiteren 660 schriftlichen Zeugnissen. Ihr Befund lautet, dass die Regierung von Präsident Issayas Afworki unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit ein drakonisches Zwangsregime errichtet hat und eine umfassende Militarisierung der Gesellschaft betreibt. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres wird jeder Eritreer zu einem unbefristeten Wehrdienst herangezogen, Opposition mit brutalen Mitteln unterdrückt. Mittlerweile lebt eine Million von sechs Millionen Eritreern im Exil, monatlich versuchen bis zu 5.000 Menschen, dem Regime zu entfliehen.
„Ich fühle mich sehr hilflos“, bekannte die SPD-Abgeordnete Gabriela Heinrich und schilderte das Schicksal der Flüchtlinge, denen in der Gewalt von Menschenhändlern Misshandlung, Vergewaltigung, oftmals der Tod drohe: „Niemand von uns kann sich vorstellen, wie furchtbar ein Leben sein muss, um diesen Weg zu gehen.“ Die Europäer stünden wenigstens in der Pflicht, die Nachbarländer Sudan und Äthiopien bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen und sich selber für Asylsuchende aus Eritrea zu öffnen. Erforderlich seien legale Migrationswege und Kampf gegen den Menschenhandel.
„Öffnen Sie endlich die Grenzen für Menschen in Not, starten Sie ein das gesamte Mittelmeer umfassendes Rettungsprogramm, damit jene, die vor Gewalt und Folter fliehen, nicht mehr im Mittelmeer ertrinken“, verlangte auch die Linke Annette Groth. Seit 2008 hat Deutschland die Entwicklungshilfe für Eritrea eingestellt. Dennoch will der zuständige Minister Dr. Gerd Müller das Land in zwei Wochen besuchen: „Ich hoffe, dass er dort die Menschenrechte thematisiert und nicht etwa ein Rückkehrabkommen mit der Regierung aushandelt“, sagte Groth.
„Wir werden den Minister ermutigen, auch dort nicht zu schweigen“, sekundierte der Christdemokrat Frank Heinrich. In Eritrea herrsche eine „mitleidlose Diktatur“, das Land gelte zu Recht als das „Nordkorea Afrikas“. Heinrich erinnerte auch daran, dass eritreische Botschaften von exilierten Landsleuten, auch jenen, die längst deutsche Staatsbürger seien, eine zweiprozentige Einkommensabgabe erpressten: „Wenn Sie behaupten, das alles sei nicht wahr, lassen Sie die Experten ins Land“, wandte er sich an die eritreische Führung.
Für die Grünen sagte Omid Nouripour, Eritrea habe „deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient“. Das es damit auch in Berlin noch im Argen liege, habe seine Fraktion vor einigen Monaten erfahren, als sie eine Kleine Anfrage zur Lage in Eritrea gestellt habe: „Kaum eine Antwort beruhte auf Erkenntnissen der Bundesregierung aus eigenen Quellen.“ Der UN-Bericht sei eine grauenvolle Lektüre: „Es ist kaum möglich, darüber mit ruhigem Blut zu sprechen, wenn man sich die Kapitel über Foltermethoden ansieht.“
Für die CDU/CSU wies der Abgeordnete Bernd Fabritius darauf hin, dass Eritrea auch in Sachen Pressefreiheit den letzten Platz unter 180 Ländern einnehme, noch hinter Nordkorea oder Syrien. Der Linke Niema Movassat warf der Bundesregierung Doppelzüngigkeit vor: Sie hofiere den ägyptischen Präsidenten und kritisiere lediglich „strategisch unwichtige“ Diktaturen.
Hätte es die Debatte im Bundestag gegeben, wenn Eritrea ein Ölexportland wäre, fragte Movassat: „Geschäfte haben für die Bundesregierung Vorrang vor Menschenrechten, das ist beschämend.“ (wid/10.06.2015)