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Der 2. Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Dr. Eva Högl (SPD) stößt beim Versuch, die Informationsflüsse im Zusammenhang mit den Kinderporno-Ermittlungen gegen den einstigen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy aufzuklären, auf immer neue Ungereimtheiten. Das betrifft sowohl die Vorgänge in der niedersächsischen Justiz, zu denen am Donnerstag, 11. Juni 2015, zwei Zeugen aussagten, als auch die Bundespolitik, zu der die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, sowie in nichtöffentlicher Sitzung der Büroleiter von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gehört wurden.
Bereits am Nachmittag des 10. Juni hatte Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) ausgesagt, ihn habe der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann am 10. Februar 2014 gegen 18 Uhr über die gerade erfolgte Durchsuchung der Wohn- und Büroräume Edathys in Niedersachsen informiert. Zu diesem Zeitpunkt war darüber noch nichts in der Öffentlichkeit bekannt.
Am Morgen des 11. Juni erhielt der 2. Untersuchungsausschuss vom Rechtsanwalt Hartmanns die Kopie eines Schreibens an die Berliner Staatsanwaltschaft, die Vorermittlungen wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat durch Hartmann führt. Darin schreibt der Anwalt, Hartmann habe am Rande der am 10. Februar 2014 um 16 Uhr tagenden Sitzung des erweiterten Fraktionsvorstands der SPD von der Durchsuchung erfahren. Er vermute, dass die Information aus der niedersächsischen SPD stammte, da auch ein Wahlkreisbüro Edathys durchsucht worden war.
Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses fragten nun Lambrecht, ob sie dort auch diese Information bekommen habe. Lambrecht antwortete, sie habe ein wichtiges Projekt für die neue Legislaturperiode vorgestellt und nichts von Gesprächen am Rande mitbekommen. Erst später sei sie vom Pressesprecher der Fraktion über die Durchsuchung informiert worden.
Ausschussmitglieder mehrerer Fraktionen ließen in ihren Fragen Zweifel erkennen, ob es Lambrecht entgangen sein könnte, wenn auf der Sitzung eine solche Information kursiert wäre. Aufgrund früherer Zeugenaussagen halten sie es für nahezu sicher, dass Hartmann eine andere Quelle hatte, die ihn über Schritte der niedersächsischen Ermittler informierte.
Lambrecht berichtete dem Ausschuss, sie habe einen oder zwei Tage nach ihrer Wahl zur Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin am 16. Dezember 2013 vom neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann unter dem Siegel der Vertraulichkeit erfahren, dass im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen einen kanadischen Kinderporno-Vertrieb der Name Sebastian Edathy aufgetaucht sei. Zwar sei das von Edathy bestellte Material nicht strafbar, es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass es dennoch zu einem Verfahren kommt, habe Oppermann ihr erläutert.
Die Information sei über den damaligen Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) an SPD-Chef Sigmar Gabriel und weiter an den damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Frank-Walter Steinmeier und an ihn gelangt. Weiterhin habe Oppermann berichtet, dass der damalige innenpolitische Sprecher Michael Hartmann ihn auf den schlechten Gesundheitszustand Edathys angesprochen habe und er Hartmann daraufhin beauftragt habe, sich um Edathy zu kümmern.
Auf Nachfrage sagte Lambrecht, für sie sei aus dem Zusammenhang klar gewesen, dass Oppermann Hartmann keinen Hinweis auf den Verdacht gegen Edathy gegeben hat. Oppermann selbst soll am Donnerstag, 18. Juni, vom 2. Untersuchungsausschuss gehört werden, ebenso wie Friedrich, Gabriel und Steinmeier.
Der 2. Untersuchungsausschuss vernahm am 11. Juni außerdem Generalstaatsanwalt Dr. Frank Lüttig aus Celle. Er hat die Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaft Hannover, welche gegen Edathy ermittelt hatte. Wie schon die früher vernommenen Hannoveraner Staatsanwälte rechtfertigte Lüttig die dreimonatige Dauer des Ermittlungsverfahrens damit, dass man wegen der dünnen Verdachtslage nicht vorschnell durchsuchen wollte, zumal dies angesichts der Prominenz Edathys leicht öffentlich werden und damit zur Vernichtung seiner Existenz hätte führen können. Man habe aber auch nicht, wie einige andere Staatsanwaltschaften bei vergleichbarer Verdachtslage, das Verfahren kurzerhand einstellen wollen. Deshalb habe man sich zu einer sorgfältigen Prüfung des Anfangsverdachts entschlossen.
Für große Überraschung sorgte die Aussage Lüttigs, er sei sich ziemlich sicher, dass er kurz nach Erhalt der Ermittlungsakte Edathy am 31. Oktober 2013 den zuständigen Referatsleiter im niedersächsischen Justizministerium, Thomas Hackner, unterrichtet hat. Hackner habe dann angekündigt, den Staatssekretär zu informieren. Allerdings habe er nur einen Vermerk über ein zweites Gespräch mit Hackner am 28. Januar 2014, nachdem der Entschluss zur Durchsuchung gefallen war.
Er habe angeboten, zu einem Vortrag ins Ministerium zu kommen, was bei derartigen Verfahren üblich sei, aber zu seiner Überraschung habe Hackner das abgelehnt. In einem späteren Stadium des Verfahrens habe er dann festgestellt, dass es mehrere direkte Gespräche zwischen dem Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, und dem damaligen Staatssekretär im Justizministerium, Wolfgang Scheibel, gegeben habe, zu denen er nicht hinzugezogen und auch nicht darüber informiert worden sei. Auch von der Pressekonferenz am 14. Februar 2014 über das Verfahren gegen Edathy habe er erst nichts gewusst. Man habe ihn bewusst heraushalten wollen, sagte Lüttig und deutete parteipolitische Motive an.
Mit den Aussagen Lüttigs konfrontiert, zeigte sich die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Bündnis 90/Die Grünen) überrascht. Wenn es zutreffen sollte, dass Lüttig bereits Anfang November ihr Haus informiert hat, „würde mich das auch menschlich erschüttern“, denn sie habe davon nie erfahren, sagte Niewisch-Lennartz. Sie habe erst am 29. Januar 2014 Kenntnis von dem Verfahren gegen Edathy bekommen und immer angegeben, unter anderem mehrfach vor dem Landtag in Hannover, dass das Justizministerium keine frühere Kenntnis gehabt habe.
Einige Ausschussmitglieder überlegen nun, Hackner und Scheibel als zusätzliche Zeugen vor den Ausschuss zu laden. Vorhaltungen, niedersächsische Behörden könnten aus politischen Gründen die Ermittlungen gegen Edathy verschleppt haben, wies Niewisch-Lennartz zurück. Dafür gebe es „nicht den geringsten Anhaltspunkt“, erklärte sie.
Die Aussage von Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor dem Ausschuss am Mittwoch, 10. Juni, hatte neue Fragen zur Rolle des SPD-Abgeordneten Michael Hartmann in der Edathy-Affäre aufgeworfen. Demnach hat Hartmann den Minister zu einem Zeitpunkt über die Durchsuchung bei Sebastian Edathy unterrichtet, als noch nirgends darüber berichtet worden war.
In der Zeugenvernehmung berichtete de Maizière, Hartmann habe ihn am 10. Februar 2014 unmittelbar vor einer für 18 Uhr anberaumten Besprechung mit den Innenpolitikern der Koalitionsfraktionen abgepasst, um ihm dies mitzuteilen.
Die Ausschussmitglieder hatten bisher keinen Anhaltspunkt dafür, dass Hartmann zu einem so frühen Zeitpunkt, rund drei Stunden nach Beginn der Durchsuchung von Edathys Wohn- und Büroräumen, schon davon wusste.
Der erste Bericht darüber erschien am nächsten Morgen in der örtlichen Lokalzeitung „Die Harke“, erst danach gab es auch Agenturmeldungen. Zwar wusste Edathy selbst zu diesem Zeitpunkt durch seinen Anwalt Bescheid, aber die vorliegenden Erkenntnisse deuten nicht unbedingt auf Edathy als Quelle dieser Information hin.
De Maizière schilderte dem Ausschuss, Hartmann habe ihn unmittelbar vor der anstehenden Sitzung „vor der Tür abgefangen“ und ihm von der Durchsuchung berichtet. Auf seine Frage, was Edathy vorgeworfen wird, habe Hartmann geantwortet: „Kinderpornografie“.
Hartmann hatte selbst als Zeuge vor dem 2. Untersuchungsausschuss ausgesagt, frühzeitig von der Sorge Edathys gewusst zu haben, dass gegen ihn wegen des Verdachts auf Besitz kinderpornografischen Materials ermittelt werden könnte. Allerdings hatte Hartrmann vehement bestritten, eigene Erkenntnisse über solche Ermittlungen gehabt zu haben. Außerdem habe er, wenn er auf die längere Abwesenheit des damaligen SPD-Abgeordneten vom Bundestag angesprochen worden sei, immer gesundheitliche Probleme genannt.
Der Bundesinnenminister berichtete zudem von einem Gespräch mit Hartmann am 14. Januar 2014, bei dem er diesen gefragt habe, warum „aus dem jungen, begabten Edathy“ bei der Koalitionsbildung nichts geworden sei. Hartmann habe geantwortet, das dieser „ein persönliches Problem“ habe, er aber dazu nicht mehr sagen wolle.
Eigentlich hatte der Ausschuss de Maizière als Zeugen geladen, um eine Unklarheit in der Zeugenaussage des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, aufzuklären. Dabei ging es um eine Presseerklärung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann vom 13. Februar 2014, mit der der Fall Edathy endgültig zu einer politischen Affäre geworden war.
Oppermann hatte ihn, so de Maizières Aussage, am frühen Abend des 12. Februar 2014 angerufen: Er wolle in einer Pressemitteilung den „ganzen Sachverhalt“ darstellen, denn es komme „sowieso alles raus“. Dabei ging es vor allem um den Informationsfluss wenige Tage nach Beginn der Ermittlungen gegen Edathy vom BKA über den damaligen Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich an die SPD-Spitzenpolitiker Sigmar Gabriel, Dr. Frank Walter Steinmeier und ihn, Oppermann, selbst. Er habe Oppermann daraufhin empfohlen, mit Friedrich darüber zu sprechen, was dieser dann auch sofort zugesagt habe, berichtete de Maizière.
In besagter Pressemitteilung stand auch, Ziercke habe Oppermann in einem Telefonat im Oktober 2013 die gerade eingeleiteten Kinderporno-Ermittlungen gegen Edathy bestätigt. Ziercke hatte daraufhin einen solchen Geheimnisverrat bestritten, später nahm auch Oppermann diese Aussage zurück.
Als die Presseerklärung erschien, war Ziercke gerade bei de Maizière. Vor dem Untersuchungsausschuss hatte Ziercke zunächst sehr bestimmt gesagt, bei dieser Unterredung sei nicht über Edathy gesprochen worden, und von Oppermanns Presseerklärung habe er erst danach erfahren. Auf Nachfragen hin hatte er dann seine Aussage dahingehend geändert, dass er sich nicht erinnern könne, mit de Maizière darüber gesprochen zu haben, dies aber auch nicht ausschließen könne.
De Maizière berichtete nun, in diesem Gespräch sei „am Rande auch Edathy Thema“ gewesen. Ziercke habe ihm die Rolle des BKA bei den Ermittlungen erläutert. Ob auch die Presseerklärung, die ihm Oppermann am Vorabend angekündigt hatte, in dem Gespräch eine Rolle gespielt habe, sei ihm „nicht mehr erinnerlich“, sagte der Bundesinnenminister.
Intensiv wurde de Maizière schließlich zum Verhalten des beamteten Staatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche befragt. Dieser hatte, nachdem er von BKA-Chef Ziercke von den Ermittlungen gegen Edathy erfahren hatte, umgehend seinen damaligen Minister Friedrich informiert, nicht aber nach der Amtsübergabe am 17. Dezember 2013 den Nachfolger de Maizière. Dieser wies nun darauf hin, dass Fritsche schon kurz danach ins Bundeskanzleramt gewechselt sei. Außerdem sei der Zweck zu verhindern, dass Edathy ein hervorgehobenes Amt bekommt, mit der Regierungsbildung entfallen.
Die befragenden Abgeordneten wiesen demgegenüber darauf hin, dass Fritsche die Information Friedrichs damit begründet habe, ihn für den Fall einer unverhofften Journalistenanfrage zu wappnen. Dieses Risiko habe auch nach dem Amtswechsel weiter bestanden. (pst/12.06.2015)