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Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, hier bei seiner ersten Vernehmung im Ausschuss am 11. September 2014 © dpa
Der für die Nachrichtendienste zuständige Staatssekretär im Kanzleramt Klaus-Dieter Fritsche hat der Vermutung widersprochen, dass die Bundesregierung bereits frühzeitig Kenntnis von verdächtigen Aktivitäten der US-Geheimdienste in Deutschland und Europa gehabt habe. Er selbst wisse erst seit März dieses Jahres, dass die National Security Agency (NSA) bei der gemeinsamen Überwachung des Fernmeldeverkehrs mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) Suchmerkmale eingespeist habe, die der Ausspähung europäischer Ziele dienten, betonte Fritsche am Donnerstag, 18. Juni 2015, bei seiner Befragung durch den 1. Untersuchungsausschuss („NSA“) unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU). Fritsche war von 1996 bis 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und anschließend bis 2009 Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Dort ist er seit Januar 2014 erneut für die Geheimdienste zuständig.
Eine Diskussion über verdächtige Suchmerkmale, sogenannte „Selektoren“, die dem BND von US-Seite übermittelt worden seien, habe es nach seiner Erinnerung im Kanzleramt nie gegeben, berichtete Fritsche. Auch für die Entscheidung des damaligen Kanzleramtschefs Dr. Thomas de Maizière Anfang 2008, dem Drängen der Amerikaner auf eine noch intensivere Zusammenarbeit bei der Überwachung des kabelgestützten Fernmeldeverkehrs nicht nachzugeben, sei Misstrauen nicht das entscheidende Motiv gewesen.
Fritsche widersprach damit seinem damaligen Vorgänger als Geheimdienstkoordinator und späteren BND-Chef Ernst Uhrlau, der eine Woche zuvor ausgesagt hatte. Nach dessen Darstellung war das Kanzleramt in jenen Jahren „bösgläubig“ gegenüber den Absichten der US-Geheimdienste. Dass de Maizière sich 2008 zu einer Ausweitung der Zusammenarbeit nicht bereit gefunden habe, „spricht Bände“, hatte Uhrlau gesagt.
Gegenstand der Kooperation war das Projekt „Eikonal“, mit dem BND und NSA zwischen 2004 und 2008 gemeinsam in Deutschland internationalen Datenverkehr über das Glasfasernetz der Telekom beobachtet hatten. Das Problem dabei sei gewesen, jene Teilnehmer herauszufiltern, die dem Schutz durch das deutsche Fernmeldegeheimnis unterlagen, berichtete Fritsche. Dazu habe es einer zeitraubenden und aufwendigen Prozedur bedurft. Ende 2007 hätten die Amerikaner dann angeregt, die Zusammenarbeit auszuweiten. Das Kanzleramt habe entschieden, darauf nicht einzugehen.
Maßgeblich dafür waren nach Fritsches Darstellung „industriepolitische“ Bedenken, die Befürchtung also, durch eine zu enge und weitgehende technische Kooperation mit US-Diensten eigene Fähigkeiten auf die Dauer einzubüßen und damit abhängig zu werden. Auch der Verdruss über die Schwierigkeiten, deutsche Grundrechtsträger zu identifizieren und von der Überwachung auszunehmen, habe eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt habe auf deutscher Seite das Gefühl bestanden, dass die Zusammenarbeit nicht auf Augenhöhe erfolgte, der BND also keine Aussicht hatte, in den USA dieselben Rechte eingeräumt zu bekommen wie die NSA in Deutschland.
Fritsche widersprach Uhrlau noch in einem weiteren Punkt. Uhrlau hatte berichtet, kurz nach seinem Amtsantritt als BND-Chef Anfang 2006 habe ihn der damalige Abteilungsleiter Technische Überwachung beim BND, Dieter Urmann, über die Entdeckung verdächtiger Selektoren amerikanischer Herkunft in der Abhöranlage in Bad Aibling informiert. Er habe in den regelmäßigen Gesprächen mit seinem Nachfolger im Kanzleramt Fritsche dieses Thema gewiss nicht unerwähnt gelassen. Fritsche bestreitet, von Uhrlau damals in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Er hätte in einem solchen Fall mit Sicherheit einen schriftlichen Bericht angefordert, sagte er dem Untersuchungsausschuss. Ein solches Dokument liege nicht vor.
BND-Präsident Gerhard Schindler möchte die Zuständigkeiten seiner Behörde bei der Überwachung des internationalen Datenverkehrs gesetzlich genauer geregelt wissen. „In etlichen Bereichen müssen wir Rechtsgrundlagen schaffen, die klarer und besser definiert sind“, sagte Schindler am Mittwoch, 17. Juni 2015, vor dem Ausschuss. Er war dort zum zweiten Mal als Zeuge geladen. Bereits am 21. Mai hatte Schindler mehrere Stunden lang ausgesagt, doch hatte der Ausschuss aus Zeitgründen die Vernehmung nicht zu Ende führen können.
Klarstellungsbedarf sieht der BND-Chef unter anderem da, wo seine Behörde von Standorten im Inland aus den Datenverkehr ausländischer Teilnehmer beobachtet. Nach geltendem Recht hat der BND in Deutschland keine Zuständigkeit.
Schindler ist allerdings der Meinung, dass die Abhöranlage in Bad Aibling, die hauptsächlich satellitengestützte Kommunikation im Nahen und Mittleren Osten überwacht, von dieser Einschränkung nicht betroffen ist. Der Geltungsbereich des deutschen Datenschutzes ebenso wie des BND-Gesetzes erstrecke sich schließlich nicht auf den Weltraum. Das sei, erläuterte Schindler, die „gelebte Rechtspraxis im BND“, wie er sie bei seinem Amtsantritt im Januar 2012 vorgefunden habe.
Der Geheimdienstchef bekräftigte zudem seine Auffassung, dass der BND sich keines Rechtsverstoßes schuldig mache, wenn er Ziele im europäischen Ausland ausspähe, setzte freilich hinzu: „Dass wir über Rechtsfragen diskutieren, heißt nicht, dass wir es machen.“ Das BND-Gesetz unterscheide lediglich zwischen Inländern sowie in Deutschland lebenden Ausländern, die vor Nachstellungen seiner Behörde geschützt seien, und Ausländern, für die dies nicht gelte, ob es sich nun um Bürger der Europäischen Union oder andere handele.
Auch aus der EU-Grundrechtecharta sei keine Verpflichtung des deutschen Geheimdienstes abzuleiten, Bürger von EU-Staaten unbehelligt zu lassen. Die Charta gelte lediglich für Organe der Europäischen Union, nicht aber für die Tätigkeit einer nationalen Behörde. Ebenso wenig biete die Europäische Menschenrechtskonvention eine Handhabe, denn diese sei von den Vertragsstaaten lediglich auf deren eigenem Territorium zu befolgen. Freilich hatte Schindler im November 2013 eine mündliche Weisung erlassen, der BND möge in seiner Tätigkeit auf europäische Interessen Rücksicht nehmen. Zu der Frage, ob dies zuvor nicht der Fall gewesen sei, mochte der Geheimdienstchef sich nicht äußern; sie gehöre nicht zum Untersuchungsauftrag des Ausschusses.
In der Befragung kamen auch die Bemühungen zur Sprache, mit den USA ein „No-Spy-Abkommen“ zu erzielen, nachdem der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowdon im Sommer 2013 mit Enthüllungen über Aktivitäten des US-Geheimdienstes in Deutschland Furore gemacht hatte. Bei einem Besuch in Washington im August 2013 habe ihm der Chef der National Security Agency (NSA) eine solche Vereinbarung von sich aus angeboten, berichtete Schindler. Er selbst habe einen solchen Vorschlag überhaupt nicht erwartet.
„Ich persönlich habe das sehr enthusiastisch gemacht“, sagte Schindler. „Ich war fasziniert von der Vorstellung, dass zwei Dienste das machen. Ich hatte eine sehr gutes Gefühl, dass wir das auf der Ebene von BND und NSA hinbekommen.“ Mehrere Wochen lang seien beide Seiten mit Begeisterung und Optimismus bei der Sache gewesen. Zu einem jähen Stimmungsumschwung sei es Mitte November 2013 gekommen, als erstmals die Rede von einem völkerrechtlichen Vertrag statt von einer Vereinbarung zwischen zwei Geheimdiensten gewesen sei.
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