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Verbot von Fracking, Helmpflicht für Fahrradfahrer, staatliche Unterstützung für im Ausland studierende Medizinstudenten – nur drei von rund 15.000 Petitionen, die jährlich den Petitionsausschuss des Bundestages erreichen. Ob Bitte oder Beschwerde: wie Gesetze die Bürger betreffen, erfahren die Parlamentarier so ganz unmittelbar. Der Petitionsausschuss gilt nicht umsonst als Seismograf, der die Stimmungen in der Bevölkerung aufzeichnet.
Am Mittwoch, 17. Juni 2015, hatte das Gremium seltene Gäste. Eine Delegation der Chinesisch-Deutschen Freundschaftsgruppe im Nationalen Volkskongress (NVK) kam mit Mitgliedern des Petitionsausschusses zusammen, um sich über deren Arbeit zu informieren. Darunter: General Chi Wanchun, Vize-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im NVK, Wang Longde, Vize-Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Gesundheit sowie Meng Wei, Vize-Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Ressourcen.
„In China existiert eine lange Tradition des Petitionswesens. Schon im Kaiserreich hatten die Menschen das Recht, Petitionen an den Herrscher zu senden“, erklärt Dagmar Schmidt (SPD), Vorsitzende der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag, die die Delegation aus Peking empfangen und während ihres fünftägigen Besuchs vom 17. bis 21. Juni begleitet hat.
Die Abgeordnete aus dem hessischen Lahn-Dill-Kreis hat den Vorsitz der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe, die seit 1987 die Beziehungen des Bundestages zum chinesischen Parlament pflegt, 2014 übernommen. Als Referentin im Hessischen Landtag organisierte Schmidt früher Delegationsreisen nach China, flog selbst mehrfach ins Land der Mitte.
Ihr Anliegen deshalb: „Ich möchte dazu beitragen, dass der Kontakt zwischen deutschen und chinesischen Abgeordneten enger wird.“ In ihrer Funktion als Vorsitzender der Parlamentariergruppe wolle sie Fraktionen und Ausschüsse im Bundestag dafür sensibilisieren, dass China wichtig sei und es sich lohne, in den Austausch zu investieren. „Ich werbe für ein gegenseitiges Kennenlernen“, so Schmidt.
„Deshalb dachten wir, dass es unsere Gäste interessieren könnte, wie bei uns im Bundestag Petitionen der Bürger behandelt werden.“ Es ist auch ein sanfter Fingerzeig der Abgeordneten darauf, dass in Deutschland das Recht, sich mit Bitten oder Beschwerden an Behörden oder Volksvertretungen zu wenden, verfassungsrechtlich geschützt ist. In China geht die Zahl der Beschwerdeschriften zwar jährlich in die Millionen, doch Kritikern zufolge wird nur ein Bruchteil überhaupt angenommen. Immer wieder berichten selbst chinesische Medien über Behördenwillkür und sogar Gewalt gegenüber unliebsamen Bittstellern.
Nicht umsonst also haben die Mitglieder der Parlamentariergruppe den Besuch der Delegation genutzt, um neben dem Austausch über wirtschaftliche Themen, Fragen der Gesundheitspolitik und des Umweltschutzes auch das deutsche Petitionswesen zu erläutern. „Anhand des Themas Petitionen kann man manchmal auch Fragen besprechen, die man sonst nicht besprechen kann“, formuliert Schmidt diplomatisch – und meint damit nicht zuletzt den Umgang mit Menschenrechten wie der Meinungsfreiheit. „Das Petitionsrecht ist schließlich ein Instrument, das es den Menschen ermöglicht, ihre Haltung, Meinung – oder auch ihren Unmut kundzutun.“
Auch das aufgrund von mehreren Lebensmittelskandalen in China zunehmend „sensible Thema“ Verbraucherschutz setzten die Deutschen bewusst auf die Agenda: So traf der Besuch aus dem Reich der Mitte Mitglieder des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz und informierte sich über Arbeit und Funktion der Verbraucherzentralen in Deutschland.
„Wir Deutschen haben einen guten Ruf, was Produktqualität angeht“, weiß Schmidt. Diesen habe die Zeitschrift Ökotest genutzt, um ein Online-Verbraucherportal in chinesischer Sprache zu starten. „Auf okoer.com werden eigens für Konsumenten in China durchgeführte Tests veröffentlicht“, so Schmidt. Für sie eine spannende deutsch-chinesische Kooperation, auf die sie ihre Gäste gern aufmerksam gemacht habe.
Für eine andere wirtschaftliche Zusammenarbeit warben wiederum die chinesischen Gäste bei einem Abendessen mit Repräsentanten des Industrie- und Handelskammertages: Sie stellten das Großprojekt „Silk Road Economic Belt“ vor – ein Wirtschaftskorridor, der China und Europa verbinden soll. Zu Schaffung dieser „neuen Seidenstraße“ investiert China bereits seit Längerem entlang der Routen durch Zentralasien und den Indischen Ozean gezielt in Infrastrukturprojekte, etwa in strategisch gelegene Häfen.
Bei den deutschen Parlamentariern stoße das Vorhaben des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping grundsätzlich auf „positive Resonanz“, so Schmidt. „Eine Straße zwischen Europa und China durch Zentralasien etwas, woran wir alle nur ein Interesse haben können.“
Zudem habe sich die Europäische Union mit ihrer EU-Zentralasien-Strategie die Ausweitung der politischen Zusammenarbeit mit Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan auf die Fahnen geschrieben habe. „Da ist es spannend, zusammen mit China zu überlegen, wie die eurasische Verbindung zu neuem Leben erweckt und die Entwicklung der zentralasiatischen Staaten vorangetrieben werden kann.“
Einig seien sich die chinesischen und deutschen Parlamentarier, so die Abgeordnete, auch in ihrer Absicht gewesen, den Austausch zu intensivieren: „Da gab es den starken Willen, die Kontakte zwischen den einzelnen Fachausschüssen ebenso enger zu fassen wie zwischen der Parlamentariergruppe im Bundestag und der Freundschaftsgruppe im Nationalen Volkskongress.“ Ein Gegenbesuch der Deutschen in China ist für das kommende Jahr schon geplant. (sas/23.06.2015)