Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
In der Debatte um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zweifelt der CDU-Abgeordnete Helmut Brandt, ob die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linker geschlossen für die Gleichstellung sind. „Die Schärfe, mit der die Debatte geführt wird, hat möglicherweise auch dazu geführt, dass einige sich gar nicht mehr trauen würden, bei einer Abstimmung von der Parteilinie abzuweichen“, sagt Brandt in einem am Montag, 22. Juni 2015, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Kritik werde von den Befürwortern der Ehe-Öffnung nicht akzeptiert. „Die, die am lautesten nach Toleranz rufen, zeigen wenig Toleranz gegenüber der Meinung anderer“, sagt der Christdemokrat. Auch ob in der Bevölkerung tatsächlich eine Mehrheit für die Eheschließung Homosexueller sei oder „eher für eine Gleichstellung, wie wir sie praktisch schon haben“, bezweifelt der Abgeordnete. Das Interview im Wortlaut:
Herr Brandt, nach der Volksabstimmung in Irland im vergangenen Monat wird in Deutschland wieder über das Thema „Ehe für alle“ diskutiert. Sehen Sie die Notwendigkeit, die Ehe zu öffnen?
Nein. Mit dem Begriff der Ehe sollte auch in Zukunft das Bild einer lebenslänglichen Partnerschaft zwischen Mann und Frau, aus der dann auch Kinder hervorgehen können, verbunden sein. Auch wenn die Familiengründung natürlich nicht bei allen möglich oder gewünscht ist.
Die Sozialdemokraten, Grüne und Linke sowie - laut Umfragen - eine Mehrheit der Deutschen wollen die vollständige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe. Kann sich die Union dieser gesellschaftlichen Entwicklung entziehen?
Wir entziehen uns dieser Diskussion nicht. Im Gegenteil! Wir haben in den vergangenen Jahren bei der Anpassung der Rechtsvorschriften des Partnerschaftsgesetzes eine Fast-Gleichstellung zur Ehe erreicht. Ich habe auch Zweifel, ob eine Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich für die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Partner ist oder eher für eine Gleichstellung, wie wir sie praktisch schon haben.
Sollte der Fraktionszwang, wie von diesen drei Fraktionen gefordert, bei der Abstimmung über dieses Thema aufgehoben werden?
Nein, denn ich sehe nicht, dass es sich hier um eine Gewissensentscheidung handelt, sondern um eine Frage, ob man das gesellschaftspolitisch will oder nicht. Und ich glaube im Übrigen nicht, dass bei den Kollegen der Linken, Grünen und SPD durchweg eine einheitliche Auffassung herrscht. Die Schärfe, mit der die Debatte geführt wird, hat möglicherweise auch dazu geführt, dass einige sich gar nicht mehr trauen würden, bei einer Abstimmung von der Parteilinie abzuweichen.
Wäre denn irgendetwas gefährdet, wenn die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden würde?
Bei den Rechtsfolgen der Eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe wollen wir eine Angleichung und haben da auch schon viel erreicht. Es geht mir aber nicht nur um die Rechtsfolgen. Es geht mir um das Bild der Ehe und die gesellschaftliche Bewertung und Anerkennung von Familien.
Nun ließe sich argumentieren, dass der Begriff der Ehe oder deren Interpretation nichts Statisches ist, sondern sich schon immer gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst hat.
Der Ehebegriff hat sich meiner Meinung nach nicht verändert. Was sich geändert hat, ist die Gesellschaft. Es gibt sicherlich viele Ehen, wo sich die Partner gegen Kinder und für die berufliche Entfaltung entscheiden und der Auffassung sind, dass da der Kinderwunsch zurückstehen sollte. Es hat sich gesellschaftlich auch die Einsicht breit gemacht, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften in keiner Form diffamiert werden sollten. Das bewerte ich sehr positiv. Das ist aber nach meiner Auffassung jetzt schon der Fall.
Aber wenn man Lebenspartnerschaft und Ehe wirklich komplett rechtlich gleichsetzen würde, dann wäre es doch schwierig zu vermitteln, warum das eine Ehe und das andere Lebenspartnerschaft heißt.
Das finde ich nicht. Es sind vollkommen unvergleichbare Dinge, ob Mann und Frau eine solche Partnerschaft schließen oder eben gleichgeschlechtliche Partner. Von Diskriminierung kann in diesem Fall also keine Rede sein. Und ob man nun eine Eins-zu-eins-Gleichheit herstellen sollte, weiß ich nicht. Bei finanziellen Dingen, zum Beispiel Rentenansprüchen oder in steuerlichen Fragen, ist man da schon sehr nahe dran. Ungeklärt ist für mich aber die Frage nach dem Adoptionsrecht. Da möchte ich mich noch nicht in der einen oder anderen Richtung festlegen.
Nun gibt es allerdings schon länger die Stiefkind-Adoption, und das Bundesverfassungsgericht hat 2013 den Weg für Sukzessivadoptionen frei gemacht. Hat die Rechtsprechung die politische Diskussion nicht schon überholt?
Das Verfassungsgericht hat das entschieden, und wir haben das gesetzlich nachvollzogen. Ich sage auch nicht, dass es das nicht geben darf. Für mich ist aber noch die Frage ungeklärt, ob das dem Wohl der Kinder insgesamt entspricht, wenn es zum Regeltatbestand wird.
Wo ist denn der Unterschied, ob ein Kind nacheinander oder gemeinsam adoptiert wird?
Die Sukzessivadoption ist ein Einfallstor. Jede Lücke, die man aufmacht, wird natürlich auch ausgenutzt. Auch wenn es diese Möglichkeit in der Realität schon gibt, muss sich die Diskussion immer nach dem Wohl des Kindes richten. Für mich ist noch offen, ob sich ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft grundsätzlich auf dem gleichen positiven Niveau entwickeln kann wie in einer heterosexuellen Verbindung. Wissenschaftliche Studien sind bisher nur rudimentär vorhanden und ich bin da skeptisch, auch wenn es im Einzelfall bestimmt so sein mag.
Besteht nicht die Gefahr, dass das Verfassungsgericht Sie bei der Frage der Volladoption vor vollendete Tatsachen stellt?
Ich sehe das nicht als Gefahr. Wenn das Verfassungsgericht das nach sorgfältiger Prüfung tut, werden wir uns als Gesetzgeber dem nicht widersetzen. Aber ob es das tut und ob das sachgerecht ist, das ist die andere Frage. Ich halte auch die jetzige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes für eine Überdehnung des Gleichheitsgrundsatzes.
Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat jüngst mit ihren Aussagen in einem Interview für sehr großen Unmut gesorgt. Sie argumentiert, dass, wenn die Ehe als Verantwortungsgemeinschaft definiert wird, auch enge Verwandte oder polygame Beziehungsformen auf Anerkennung drängen könnten. Hat sie damit nicht übertrieben?
In der politischen Diskussion um diese Frage wird vieles übertrieben. Das merken wir auch bei den Diskussionen im Bundestag. Die, die am lautesten nach Toleranz rufen, zeigen wenig Toleranz gegenüber der Meinung anderer. Ich glaube, Frau Kramp-Karrenbauer hat damit deutlich machen wollen, dass es wichtig ist, alle potenziellen Konsequenzen von politischen Entscheidungen zu bedenken. Ihr Vergleich war vielleicht etwas überzogen, aber man muss in einer Auseinandersetzung schon mal überziehen, um deutlich zu machen, worum es einem im Kern geht.
Beim den Themen Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt wurde, und dem Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe in Japan fühlten sich die Konservativen Ihrer Partei oft von den Entscheidungen der Parteiführung übergangen. Befürchten Sie, dass Ähnliches beim Thema „Ehe für alle“ passieren könnte?
Nein, absolut nicht. Das waren ganz andere äußere Umstände, die relativ schnelle Entscheidungen verlangt haben. Die kann ich hier nicht erkennen. In der Frage der Ehe-Öffnung gibt es eine lange Entwicklung, die schon mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz und dessen sukzessive Anpassungen eine Entwicklung darstellt. Für die Union ist das Thema jedenfalls zunächst abgeschlossen. Es wird aber immer wieder neue Anläufe von jenen geben, die das anders sehen als ich. Damit muss ich leben.
(scr/che/22.06.2015)