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Die Bundesregierung betont, dass die Türen für Verhandlungen mit Athen offen bleiben, sie will aber zunächst das griechische Referendum am kommenden Sonntag abwarten. Die Opposition sieht hingegen angesichts des Szenarios eines „Grexits“ Gefahr im Verzug und dringt auf eine rasche Einigung. In einer vereinbarten Debatte „zur Situation nach dem Auslaufen des Finanzhilfeprogramms für Griechenland“ am Mittwoch, 1. Juli 2015, zogen beide Seiten zudem eine Zwischenbilanz fünf Jahre nach Beginn der Staatschuldenkrise in Europa.
Während die Regierungsseite auf „Schutzmaßnahmen“ wie Bankenunion und Rettungsfonds verwies, die auch bei einem Bankrott Griechenlands andere Euro-Mitglieder vor schweren Turbulenzen schützen würden, warnten die Fraktionen von Die Linke und den Grünen vehement vor den unabsehbaren Folgen eines Ausscheidens Athens aus der Währungsunion.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) signalisierte in der Debatte Gesprächsbereitschaft gegenüber Athen: „Die Tür für Gespräche war immer offen, und sie bleibt immer offen.“ Eine Einigung um jeden Preis jedoch werde es nicht geben. Es sei die griechische Regierung gewesen, die die Verhandlungen mit den Geldgebern und der Eurogruppe beendet habe, Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.
Ein von ihr nun ins Auge gefasste Referendum über die Forderungen der Geldgeber, sei legitim, genauso legitim sei aber auch, dass die anderen 18 Euro-Mitglieder „zu den griechischen Vorschlägen eine angemessene Haltung entwickeln“, erst recht in einer Währungsunion, wo Entscheidungen des einen Mitglieds „Wohl und Wehe“ aller anderen und des Ganzen berühren. „Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft und als solche eine Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft“, sagte Merkel.
Entscheidend sei die Fähigkeit zum Kompromiss, aber einen Kompromiss um jeden Preis dürfe es nicht geben. Merkel kündigte an, dass es vor dem für kommenden Sonntag geplanten Referendum in Griechenland keine Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm geben werde. Es bestehe auch kein Grund, für übereilte Entscheidungen: „Europa ist stark. Viel stärker, als vor fünf Jahren, zu Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise, die in Griechenland ihren Ausgang nahm“, sagte Merkel.
Mit Einrichtungen wie EFSF, ESM, der Bankenaufsicht und dem Fiskalpakt seien Schutzvorkehrungen getroffen worden, an die im Jahre 2010 noch nicht einmal im Ansatz zu denken gewesen sei. „Wir sind stärker dank der Reformpolitik der letzten Jahre, die maßgeblich auch auf die Haltung Deutschlands zurückzuführen ist“, betonte die Kanzlerin.
Der Fraktionschef der Linken, Dr. Gregor Gysi, forderte die Kanzlerin auf, einen Kompromiss im Schuldenstreit mit Griechenland zu finden: „Sie tragen in diesen Tagen eine gewaltige historische Verantwortung. Finden Sie in letzter Sekunde noch eine Lösung“. Merkel habe die Chance, entweder als „als Retterin der europäischen Idee in die Geschichte einzugehen oder als Zerstörerin“. Sicherlich müsse es für weiteren Hilfen es Bedingungen geben. „Aber den Weg muss das Griechenland und sein Parlament selbst bestimmen.“
Im Kern gehe es in diesem Konflikt auch nicht um Schulden, sondern um nichts weniger als die Souveränität Griechenlands: „Sie wollen die linke Regierung in Griechenland beseitigen“, sagte er in Richtung Regierungsbank. Dabei gebe es genügend Gründe, das Scheitern der „Kürzungspolitik“ einzugestehen: Ob Wachstum, weniger Schulden oder mehr Wettbewerbsfähigkeit – all dies sei in Griechenland nicht eingetreten. Die Wirtschaftskraft sei seit 2010 um 25 Prozent gesunken, die Arbeitslosigkeit auf 25 Prozent emporgeschnellt. Renten seien um 30 Prozent, die Löhne um 40 Prozent geschrumpft. Heute gebe es überall im Lande Suppenküchen: „Und das ist ihre Vorstellung von Europa?“, fragte Gysi.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der als SPD-Parteivorsitzender für seine Fraktion sprach, stellte klar, dass Europa die Griechen nicht im Stich lassen würde. Die 18 anderen Euro-Staaten seien zu Verhandlungen bereit, aber klar sei auch, dass man sich nicht erpressen lasse. Weder Europa noch der Euro seien in Gefahr, der Euro bleibe stabile Währung, „jedenfalls dann, wenn wir Regeln einhalten – und genau darauf haben die 18 Mitglieder auch zu achten und dabei wird es bleiben“, sagte Gabriel. Hätte man den Forderungen Athens nachgegeben, „dann wäre das der Einstieg in eine bedingungslose Transferunion“, die den Euro-Raum und am Ende auch Europa überfordern würde.
Gabriel sprach auch von einem politischen Risiko, wenn es einer Regierung gelänge, die anderen in Europa zu erpressen: „Es wäre das Fanal für die Nationalisten ganz rechts außen. Die Gewinner wären Le Pen und Wilders und nicht die Bürger in Europa.“
Dr. Anton Hofreiter, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, warnte vor jenen Stimmen in den Koalitionsfraktionen, die einem „Grexit“, also dem Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion, leichtfertig das Wort reden würden: „Ein Grexit wird kein Ende mit Schrecken, sondern Auftakt zu neuem Schrecken.“ Ein Land wie Griechenland verschwinde nicht einfach von der Bildfläche, wenn es Bankrott gehe. Nötig sei vielmehr eine Umschuldung. Nur so habe das Land eine Chance, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen und nur so gebe es die Chance, dass Deutschland wenigstens einen Teil seiner Hilfskredite zurückbekomme.
„Die Europäische Union ist in Gefahr“, sagte Hofreiter. Eine Mitverantwortung dafür gab er der Bundeskanzlerin: Die Schwächung der europäischen Institutionen und die Rückverlagerungen von Entscheidungen in die nationalen Hauptstädte sei eine ihrer Hauptstrategien in der Staatsschuldenkrise. „Die Idee von Europa droht mit nationalen Schuldzuweisungen komplett unter die Räder zu kommen.“
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) mahnte, das es zwischen Geldgebern und der griechischen Regierung ein Mindestmaß an Vertrauen geben müsse: „Vertrauen und Verbindlichkeit sind eine Grundvoraussetzung.“ Eine Währungsunion, in der einer sich auf die Position zurückziehe, „ich mache nichts, ich halte mich an gar nichts“, könne nicht funktionieren. Die griechische Regierung sei nun am Zug, darzulegen, was sie wolle – erst dann könnten alle Beteiligten nach einer seriösen Lösung suchen.
Schäuble wehrte sich zudem gegen Vorwürfe, mit den bisherigen Krediten für Griechenland vor allem Banken begünstigt zu haben. „Es geht nicht ohne Banken.“ In dem Moment, wo das Finanzsystem nicht mehr leistungsfähig sei, breche jede arbeitsteilige Wirtschaft zusammen. Auch der Vorwurf, dass Griechenland die Hilfskredite und die daran geknüpften Konditionen aufgezwungen worden seien, nannte Schäuble eine „völlig wahrheitswidrige Polemik“. Die Programme seien mit den jeweiligen Regierungen in Athen ausgehandelt worden, an Flexibilität der Geldgeber habe es zudem nicht gemangelt. (ahe/01.07.2105)