Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Das Reichstagsgebäude in Berlin ist ein Besuchermagnet und beliebtes Ausflugsziel vieler Touristen. Täglich besuchen rund 8.200 Gäste das Parlament. Davon genießen mehr als 5.000 Besucher der Kuppel einen Panoramablick über die Hauptstadt. Doch nicht nur der Blick vom Reichstag bietet eine wunderbare Aussicht, sondern bei genauer Betrachtung der Ornamente, Sandsteinfiguren und Reliefs kann auch am 138 Meter langen und fast 100 Meter breiten Gebäude viel entdeckt werden.
Besucher betreten das vom Architekten Paul Wallot (1841-1912) entworfene und im Jahr 1894 vollendete Parlamentsgebäude in der Regel auf der Westseite des Hauses über die Freitreppe hinauf durch das mächtige Säulenportal. Noch bevor die Empfangshalle in das Gebäude führt, fallen links und rechts des Eingangs zwei steinerne Reliefplatten auf. Die sogenannten Wappenbäume erschließen sich dem heutigen Betrachter allerdings nicht ohne Weiteres.
Stilisiert als Bäume mit kronentragenden Wappenschildern zeigen die Tafeln die Wappen der 27 Bundesstaaten, die im Jahr 1871 das Deutsche Reich gründeten. Davon weisen je zwei große Wappen auf der linken Seite auf die Königreiche Preußen und Sachsen sowie auf der rechten Seite auf die Königreiche Bayern und Württemberg hin. Die kleineren Wappen repräsentieren die Hansestädte, Herzog- und Fürstentümer.
Der aufmerksame Betrachter wird in den Wappenbäumen jedoch nur insgesamt 20 Wappen zählen, obwohl 27 Staaten an der Reichseinigung beteiligt waren. Das ist darauf zurückzuführen, dass Wappenschilde, die ähnlich oder identisch waren, durch jeweils ein Wappen repräsentiert werden. So wurden zum Beispiel die Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg an der Spitze des linken Wappenbaumes zu einem Wappenschild zusammengefasst.
Beide Reliefs folgen in ihrer Bildsprache dem Motiv der politischen und topographischen Einheit des neu gegründeten Deutschen Reiches. Auf jeder Krone der beiden Wappenbäume sitzt jeweils ein Adler, der mit gespannten Flügeln in seinen Fängen die Kaiserkrone, das Symbol der Einheit, trägt. Am unteren Ende der Reliefs sind auf der linken Seite des Portals ein Mann und auf der Rechten Seite eine Frau zu erkennen. Beide Figuren sollen als Flussgottheiten den Rhein und die Weichsel, die westliche und die östliche Reichsgrenze, symbolisieren.
Über 32 Millionen Ziegelsteine und 30.000 Kubikmeter Sandstein wurden für das Reichstagsgebäude verbaut. Das Sandsteinrelief über der Säulenhalle des Portals knüpft in der Darstellung ebenfalls an das Leitmotiv der Reichseinheit an. Im Zentrum des Giebels steht das Reichswappen unter der Kaiserkrone, das von einem Hermelin umsäumt wird. Links und rechts davon stehen zwei Figuren, die Nord- und Süddeutschland symbolisieren sollen.
Unter dem Giebelfries steht auf einer Länge von 16 Metern in 60 Zentimeter großen Lettern die Inschrift „Dem deutschen Volke“. Lange verzögerte sich die für die Jahre 1894/95 von Wallot vorgesehene Anbringung des Schriftzuges. Eine notwendige Mehrheit für die Inschrift fehlte unter den Mitgliedern der Baukommission, die von Reichstagsabgeordneten gestellt wurde. Erst im Jahr 1915 wurde die Widmungsfrage wieder aufgenommen und führte ein Jahr später zur Umsetzung des Ursprungsentwurfs.
Markant prägen das Reichstagsgebäude die vier Ecktürme, die für die vier Königreiche Preußen, Sachsen, Bayern und Württemberg stehen und die die Reichseinigung 1871 mittrugen. Flankiert werden die Türme von 16 Skulpturen aus Sandstein. Auffällig unterscheiden sich die Skulpturen von den übrigen Ornamenten. Die Figuren sind Allegorien und stehen unter anderem für die Kultur, die Wissenschaft, das Handwerk aber auch für das Militär.
Konkret bilden die Figuren am Nordwestturm den Handel und die Schifffahrt, die Elektrotechnik, die Großindustrie und die Klein- sowie Hausindustrie ab. Am Südwestturm werden der Ackerbau und die Viehzucht sowie der Weinbau und die Bierbrauerei dargestellt. Der Südostturm widmet sich thematisch der Rechtspflege, der Staatskunst und jeweils der Wehrkraft zu Land und zur See. Der Nordostturm des Reichstagsgebäudes wird von Skulpturen verziert, die den Unterricht und die Erziehung symbolisieren und der Kunst und Literatur ein steinernes Denkmal setzen.
Die mit den mannshohen Skulpturen eingeführten allegorischen Motive kehren übrigens sowohl im Giebelrelief als auch in den Wappenbäumen wieder. Im Giebel werden linksseitig der Handel und das Gewerbe durch Figuren dargestellt, auf der rechten Seite sind die Wissenschaft und die Kunst abgebildet.
Die Wappenbäumen enthalten figürliche Allegorien für die Wehrkraft, die Gelehrsamkeit und das Kunstgewerbe, die als Wappenhalter die Reliefplatten ausschmücken.
Geöffnet sind die Dachterrasse und die Kuppel des Reichstagsgebäudes für angemeldete Besucher täglich von 8 bis 24 Uhr, letzter Einlass ist um 22 Uhr. Für eine Terminanfrage steht ein Online-Formular zur Verfügung, eine Anmeldung von Einzelpersonen oder Gruppen ist aber auch per Fax (030/227-36436) oder per Post (Deutscher Bundestag, Besucherdienst, Platz der Republik 1, 11011 Berlin) möglich, sie muss spätestens zwei Werktage vor dem gewünschten Besuchstermin vorliegen. Eine telefonische Anmeldung ist nicht möglich.
Auf der Dachterrasse angekommen, können sich Besucher von einem elektronischen Führer, dem sogenannten Audioguide, über die Dachterrasse und durch die Kuppel begleiten lassen. So erhalten sie in 20 Minuten Informationen über das Reichstagsgebäude, den Deutschen Bundestag und die Sehenswürdigkeiten Berlins, die gerade ins Blickfeld rücken. Die Geräte gibt es auf der Dachterrasse in elf Sprachversionen: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Polnisch, Russisch, Türkisch, Niederländisch und Chinesisch. (eis/WD/27.07.2015)