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Eine Abgeordnete kann sich ihren Einstieg in die parlamentarische Laufbahn sicher so oder so vorstellen. Aber so, wie er war, hatte Dagmar Enkelmann ihn sich sicher nicht vorgestellt. Als sie die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages im Dezember 1990 verließ – die im Berliner Reichstagsgebäude, nicht im Bonner Wasserwerk stattfand – donnerte ein regelrechtes Blitzlichtgewitter auf sie ein. Die Parlamentsberichterstatter hatten sie zur „Miss Bundestag“ gewählt – und damit eine promovierte Historikerin, die in der DDR an der FDJ-Hochschule „Wilhelm Pieck“ gearbeitet hatte und, wie die gesamte PDS, unter skeptischer Beobachtung vieler Parlamentarier anderer Parteien nach Bonn zog.
Enkelmann, damals 34 und mit einer gewissen parlamentarischen Erfahrung, weil sie auch schon in der freien Volkskammer sowie ab dem 3. Oktober im gesamtdeutschen Bundestag gesessen hatte, setzte sich empört mit Gregor Gysi in Verbindung. Ob man diesen Unsinn, angesichts der Tatsache, dass sie wegen ihrer politischen und nicht wegen ihrer Beauty-Ambitionen in den Bundestag einziehe, bitte unterbinden könne. Nein, konterte Gysi: „Das ist eine Chance, dich bekannt zu machen. Die werden wir nutzen.“
Ansonsten nämlich wurde es Enkelmann und ihren 16 Mitstreitern, die als Gruppe im Bundestag saßen, weil sie nur in den neuen Ländern die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hatten, nicht leicht gemacht. Anders als alle anderen verfügten sie nicht über eine in der alten Bundesrepublik etablierte „Mutterpartei“ nebst Infrastruktur. Und so, erinnert sich Dagmar Enkelmann, „brachte man uns erst in einer stillgelegten Kita unter; dann in einem Hochhaus am Rande des Regierungsviertels.“
Die 59-Jährige, die heute Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist, erinnert sich sichtbar fröhlich an den Platzmangel, der angesichts des Zuwachses herrschte: „Es fehlte an allen Ecken und Enden. Auch im Plenarsaal wurde die Besuchertribüne über Monate für Besuch gesperrt – wenn es voll wurde bei Abstimmungen gab es gar nicht genug Sitzplätze.“ In guter Erinnerung hat Enkelmann die Unterstützung all jener Mitarbeiter des Bundestages, die mit der Organisation des Zuzugs der neuen Parlamentarier beschäftigt waren: „Mein Eindruck war, ehrlich gesagt, dass wir die Einzigen sind, die sie grüßen“, schmunzelt Enkelmann, „es waren jedenfalls alle ausgesprochen nett zu uns.“
Ihre Mitarbeiter brachten die meisten Abgeordneten aus der letzten Volkskammer mit, in der die PDS 66 Abgeordnete gestellt hatte. Wie viele, die man aus dieser Zeit spricht, hat auch Dagmar Enkelmann das erste frei gewählte Parlament als Ort einer einzigartigen Diskussionskultur erlebt. „Es wurde debattiert und gerungen, gestritten und verhandelt – und immer nach einer Lösung gesucht, die sich nicht an Parteizugehörigkeiten, sondern an der am häufigsten vertretenen Position orientierte“, erinnert sie sich. Und weil diese Meinungen quer durch die Reihen verteilt waren, wurde bei jeder Abstimmung von Hand nachgezählt, manchmal mehrfach. Im Vergleich dazu, sagt Enkelmann, gehe es im Bundestag doch sehr erwartbar zu.
Politisch erinnert sie sich nicht zuletzt an Zeiten, in denen es der PDS weit schwerer gemacht wurde als heute. Nicht nur, weil es nicht möglich war, irgendetwas, was nur im entferntesten nach DDR klang, durchzusetzen – bis auf den Grünen Pfeil, der aber, obwohl Enkelmann einen Antrag gestellt hatte, letztlich direkt aus dem Verkehrsministerium installiert wurde. Sondern auch, weil sich in den ersten Jahren eine bis dahin beispiellose Behandlung der als SED-Nachfolger angesehenen Parlamentarier manifestierte: „Dass Abgeordnete einfach sitzen blieben, als Stefan Heym 1994 die Sitzung eröffnete, ist nur das prominenteste Beispiel für die Missachtung, die uns entgegenschlug“, erzählt Enkelmann. Quer durch die Reihen seihen sie massiv angegangen worden – ihr selbst habe Graf Lambsdorff einmal vorgeworfen, die Mauer gleichsam selbst aufgebaut zu haben, „also im Vorschulalter“.
Gleichwohl gelte: „Außerhalb der Redezeiten hat es immer Kontakte gegeben, in alle Parteien. Auch in den Ausschüssen wurde in aller Regel inhaltlich gearbeitet.“ Und: So mancher Abgeordnete, der sie gerade noch vor laufendem Mikrofon beschimpft hatte, sei im Anschluss zu ihr gekommen: „Entschuldigung, war nicht so gemeint. Gehen wir einen Wein trinken?“ Denn wer mit wem abends in Bonn in der Bar saß, sei damals, anders als heute in Berlin, in aller Regel noch nicht berichtet worden. Über die Jahre hat sich dann doch einiges verändert: Als 2012 bekannt wurde, dass Dagmar Enkelmann seit Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, wurde das aus allen Fraktionen kritisiert. (god/17.08.2015)