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Die Frage, wie durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik eine möglichst schnelle Integration der derzeit nach Deutschland kommenden Flüchtlinge erreicht werden kann, war ein Schwerpunkt der Debatte über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (18/5500, Einzelplan 11) am Donnerstag, 10. September 2015. Sowohl Regierung als auch Opposition betonten aber, dass andere Probleme, wie der Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit, dabei nicht aus dem Blick geraten dürften. Die Opposition warf der Regierung vor, das Thema Armutsbekämpfung zu vernachlässigen. Die Regierung konterte mit dem Verweis auf den Mindestlohn und das Rentenpaket, die aus ihrer Sicht sehr wohl Instrumente zur Armutsbekämpfung seien.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zog zunächst eine positive Bilanz der bisherigen Legislaturperiode und freute sich, dass die vorhergesagten „Horrorszenarien“ in Bezug auf die Kosten der Mütterrente und vor allem den Mindestlohn nicht eingetroffen sind. „Der Mindestlohn stabilisiert den Arbeitsmarkt deutlich und wir brauchen ihn auch, um die Zuwanderung von Arbeitskräften nicht zu einem Wettlauf nach unten werden zu lassen“, sagte Nahles und spannte damit direkt den Bogen zum aktuellen Thema Nummer eins, der Flüchtlingskrise.
Sie bezifferte den dadurch erzeugten Mehrbedarf ihres Hauses allein bei der Hilfe zum Lebensunterhalt auf ein bis zwei Milliarden Euro. Auch die aktiven Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt müssten erhöht werden, dazu gehörten auch zusätzliche Stellen in den Jobcentern. Nahles geht hier von einem Mehrbedarf von 600 Millionen bis zu rund einer Milliarde Euro für 2016 aus. Für die berufsbezogenen Sprachkurse seien rund 180 Millionen Euro zusätzlich nötig, so Nahles. „Flüchtlinge sollen möglichst schnell Nachbarn und Kollegen werden, und der Sozialetat ist ein wichtiger Hebel, um das stemmen zu können“, bekräftigte die Ministerin.
Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, warf der Bundesregierung vor, „die großen sozialen Baustellen in unserem Land zu umgehen“. Sie konzentrierte sich vor allem auf Kritik am System der Grundsicherung für Arbeitsuchende. „Dieser Etat lässt keinen Spielraum für Erhöhungen des Hartz-IV-Regelsatzes.“ Dabei seien die Bemessungen des Existenzminimums schon jetzt fragwürdig, kritisierte Kipping.
Sie forderte darüber hinaus, die Sanktionen in diesem Bereich abzuschaffen und warf der Bundesregierung vor, auf dem Gebiet der Armutsbekämpfung völlig untätig zu sein. Dabei sei Armut keine statistische Größe, sondern eine reale Erfahrung vieler Menschen in diesem Land. Eine Mindestrente und eine Umverteilung des Reichtums seien deshalb längst überfällig, mahnte sie.
Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling, betonte demgegenüber, dass die Bundesregierung nicht das Ziel habe, willkürlich Hartz-IV-Sätze anzuheben. Ihr gehe es vielmehr darum, konkrete Maßnahmen zu entwickeln, um Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. „Kernthema bleibt die Integration der Menschen in den ersten Arbeitsmarkt“, sagte Schiewerling und kündigte eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente an, um zum Beispiel über 55-Jährigen oder „schwer erreichbaren“ jungen Menschen diesen Weg zu öffnen.
Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit oder die Frage, wie das Rentensystem zukunftsfest gestaltet werden könne, blieben trotz der neuen Herausforderungen aktuell, betonte der CDU-Politiker. So bestehe zum Beispiel dringender Handlungsbedarf bei der Information der Menschen über ihre zu erwartenden Renten. Die Rentenauskunft der Rentenversicherung reiche nicht aus. Es sei vielmehr ein qualifizierter Überblick über alle Leistungen, auch aus privater und betrieblicher Vorsorge, unter Berücksichtigung der zu erwartenden Abzüge nötig, schlug Schiewerling vor.
Die SPD-Fraktion wies den Vorwurf, in Sachen Armutsbekämpfung untätig gewesen zu sein, ebenfalls zurück. „Wofür haben wir denn das Rentenpaket geschnürt? Das ist ein manifestes Programm, um gegen Altersarmut vorzugehen“, bekräftigte SPD-Haushälter Ewald Schurer. Ralf Kapschack, für seine Fraktion Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, betonte: „Natürlich schaffen die in diesem Jahr aufgelegten Programme gegen Langzeitarbeitslosigkeit diese nicht ab. Sie sind aber trotzdem richtig.“
Er plädierte für eine Reform des Passiv-Aktiv-Transfers und forderte, die Personalsituation in den Jobcentern deutlich zu verbessern. „Was dort geleistet wird und angesichts der aktuellen Herausforderungen noch geleistet werden muss, ist enorm. Es kann nicht sein, dass diese Mitarbeiter oft nicht wissen, wie es mit ihnen weitergeht“, sagte er in Anspielung auf vielfach befristete Arbeitsverträge der Jobcenter-Mitarbeiter.
Bündnis 90/Die Grünen kritisierten, dass schon nach den bisherigen Berechnungen viel zu wenig Geld und Personal für Integrations- und Sprachkurse für Flüchtlinge zur Verfügung stehen. „Lassen Sie uns die Fehler bei der Integration der Gastarbeiter nicht wiederholen“, appellierte die Haushaltsexpertin der Grünen Ekin Deligöz. Die Mittel des Eingliederungsbudgets müssten für eine wirklich systematische und bedarfsgerechte Förderung eingesetzt werden, forderte sie.
Ihr Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn kritisierte den Vorschlag, bei den Flüchtlingen Geld- durch Sachleistungen zu ersetzen, als „ziemlich bekloppt“. Dies widerspreche zum einen einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Zum anderen erzeuge es eine enorme Bürokratie in den ohnehin schon überlasteten Aufnahmeeinrichtungen. Er forderte stattdessen, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sieht insgesamt Ausgaben von 127,29 Milliarden Euro (2015: 125, 66 Milliarden Euro) vor. Damit sollen die Ausgaben für diesen Bereich erneut steigen, wie schon in den Jahren zuvor. Gegenüber dem Jahr 2015 plant das Ministerium 1,62 Milliarden Euro mehr ein. Im Vergleich zu 2013 wäre der Etat damit sogar um rund 7 Milliarden Euro schwerer.
Den größten Posten machen traditionell Leistungen an die Rentenversicherung aus, die um rund 1,7 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr steigen und damit auch die Etatsteigerung insgesamt erklären. Die Leistungen an die Rentenversicherung belaufen sich auf rund 86,62 Milliarden Euro (2015: 84,3 Milliarden Euro). Für die Beteiligung an den Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung will der Bund 6,46 Milliarden Euro ausgeben (2015: 6,05 Milliarden Euro).
Für die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind 31,86 Milliarden Euro (2015: 32,96 Milliarden Euro) eingeplant. Davon entfallen 19,2 Milliarden Euro auf das Arbeitslosengeld II (2015: 20,1 Milliarden) und 4,7 Milliarden Euro auf die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung (2015: 4,9 Milliarden Euro).
Keine Veränderungen zum Vorjahr gibt es bei den Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die mit 4,04 Milliarden Euro veranschlagt werden, und den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, für die erneut 3,9 Milliarden Euro eingeplant werden. Für das Bundesprogramm zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit stehen 160 Millionen Euro und damit 40 Millionen Euro mehr als 2015 zur Verfügung. (che/10.09.2015)