Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
"Wir werden diese Herausforderung meistern. Unser Land hat die Kraft dazu." Mit diesen Worten bezog Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag, 8. September 2015, Stellung zur aktuellen Flüchtlingssituation im Land. Schäuble verwies in seiner 40-minütigen, häufig von Beifall unterbrochenen Ansprache zu Beginn der ersten Lesung des Haushaltsgesetzes 2016 (18/5500) und des Finanzplans des Bundes von 2015 bis 2019 (18/5501) auf die gute wirtschaftliche Entwicklung, die gute Entwicklung der Steuereinnahmen sowie die niedrige Zinsbelastung von Bund, Ländern und Kommunen. Für den Bund ergebe sich zusätzlicher Handlungsspielraum auch ohne neue Schulden.
Schäuble nannte die aktuelle Flüchtlingssituation die "größte Herausforderung seit langer Zeit", deren Bewältigung "absolute Priorität" habe. Diesen "Kraftakt für unser Land und unsere Gesellschaft" sollte niemand kleinreden. "Wir brauchen passgenaue Antworten, die allen Beteiligten gerecht wird", sagte der Minister. Die Koalition habe sich auf ein Maßnahmenpaket verständigt, das am 24. September beim "Flüchtlingsgipfel" mit den Bundesländern abschließend beraten werden solle.
Ein Streit um Milliardenbeträge würde dem Ergebnis nur schaden und die öffentliche Akzeptanz der Flüchtlingssituation gefährden, argumentierte Schäuble. Er kündigte an, 10.000 zusätzliche Stellen für Bundesfreiwilligendienst Leistende schaffen zu wollen, um sie in der Flüchtlingshilfe einzusetzen, und Ländern und Kommunen eine Milliarde Euro pauschal zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Hinzu komme, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben 190 Liegenschaften mit 138.000 Unterbringungsmöglichkeiten mietzinsfrei bereitgestellt habe.
Mit 2.000 zusätzlichen Stellen solle das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgestattet werden. Zudem solle das Personal in allen Bereichen der Bundesverwaltung "so flexibel wie möglich" eingesetzt werden. So sei vorgesehen, dass Mitarbeiter der Zollverwaltung übergangsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Bundespolizei unterstützen. Mit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sei abgesprochen, zusätzliche Stelle für Mindestlohn-Kontrolleure pragmatisch zu nutzen und das Tempo der Mindestlohn-Kontrollen zu verlangsamen. In den nächsten drei Jahren solle die Bundespolizei 7.000 zusätzliche Stellen erhalten. "Wir dürfen Flüchtlinge nicht nur unter Kostengesichtspunkten betrachten", betonte der Minister.
Schäuble kündigte ferner einen erneuten Nachtragshaushalt an. Verabredet sei, die Ansätze im Bundeshaushalt 2015 um drei Milliarden zu erhöhen und Ländern und Kommunen die gleiche Summe zur Verfügung zu Stellen, und zwar ohne neue Schulden: "Die Rechnungen sollten wir nicht an kommende Generationen weiterreichen."
Dass Deutschland in der Lage sei, auf diese Herausforderungen angemessen zu reagieren, führte der Minister auf die "konsequente Sanierung des Bundeshaushalts" zurück. Die Konjunktur sei robust, in diesem und im nächsten Jahr sei weiter mit gutem Wachstum zu rechnen. Die Zahl der Erwerbstätigen befinde sich mit fast 43 Millionen auf einem Rekordhoch. Die gestiegenen Reallöhne stärkten die Inlandsnachfrage und den Wohlstand der Bevölkerung.
"Nachhaltiges Wachstum setzt nachhaltige Finanzen voraus", unterstrich Schäuble. Sparer und Unternehmer könnten mit der anhaltenden Niedrigzinsphase zurechtkommen. Die Bundesregierung bereit einen Gesetzentwurf vor, um den Bausparkassen mehr Spielräume unter den veränderten Zinsbedingungen zu geben. Es gehe darum, die Stabilität in einem schwierigen Zinsumfeld zu wahren.
Deutschland müsse sich nicht dafür rechtfertigen, dass es sich an international getroffene Vereinbarungen halte, schrieb Schäuble seinen Kritikern ins Stammbuch. Der britische Ökonom John Maynard Keynes werde nur dann richtig verstanden, wenn in konjunkturell guten Zeiten keine neuen Schulden gemacht werden: "Wahrscheinlich liegen wir in Deutschland näher an Keynes als so mancher Star-Ökonom auf dem internationalen Parkett." Schäuble zielte dabei auf Ökonomen wie Paul Krugman ab, die von Deutschland seit Jahren höhere Staatsausgaben fordern.
Der Minister kündigte ferner an, dass der Weg, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion stabiler zu machen, fortgesetzt werden soll. Ehe über eine weitere Vergemeinschaftung gesprochen werden könne, müssten die Mitgliedstaaten in der Lage sein, europäische Regeln einzuhalten. So sollte die EU-Bankenrestrukturierungsrichtlinie zum 1. Januar 2015 von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt sein. Elf Staaten hätten die Richtlinie bislang nicht umgesetzt.
Trotz von der Regierung geplanter Gesamtausgaben von 312 Milliarden Euro im kommenden Jahr bleibt es nach den Worten des Ministers bei der "schwarzen Null" auch in den Folgejahren. Notwendig sei es, den Fokus bei den Ausgaben auf Investitionen zu verschieben. Für das Wachstum entscheidend seien die privaten Investitionen. Wichtig sei es, neue Wege zu gehen, um privates Kapital auch für öffentliche Infrastrukturprojekte zu mobilisieren.
Zu den Verhandlungen über einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich habe die Bundesregierung Vorschläge vorgelegt, um den Finanzausgleich transparenter zu machen. Jetzt seien die Länder am Zug, untereinander zu einer Einigung zu kommen. (vom/08.09.2015)