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Als Mario Götze in der 113.Minute des WM-Finales 2014 das 1:0 für Deutschland schoss, machte er Soraya Bahgat sehr glücklich. „Ich bin aufgesprungen und habe meine Freude rausgeschrien“, erzählt die Ägypterin, die diese „tolle Nacht“ in der Deutschen Botschaft in Kairo erlebte. Soraya Bahgat und Deutschland – das passt, so scheint es. Und so freut sie sich, im Rahmen des Sonderprogramms des Internationalen Parlamentsstipendiums des Bundestages (IPS) für arabische Staaten als Stipendiatin im Büro des Unionsabgeordneten Dr. Peter Tauber in der deutschen Hauptstadt sein zu dürfen.
„In Berlin zu sein, ist wie nach Hause zu kommen, obwohl ich noch nie hier war“, sagt sie. Wirklich verwunderlich sei das nicht, findet sie. „Ich bin schließlich das Produkt einer deutschen Schule.“ Soraya Bahgat hat an der Deutschen Schule in Kairo das Abitur gemacht, „mit denselben Inhalten wie die Schüler in Deutschland“.
Maßgeblich für die Zuneigung zu Deutschland war ihr Vater, der als 17-Jähriger Ägypten verließ, in Karlsruhe Ingenieurwesen studierte und schließlich als Geschäftsmann sehr erfolgreich war – unter anderem in Finnland. Dort wurde er schließlich heimisch, lernte die schwere Sprache, und so wurde ihm irgendwann die finnische Staatsbürgerschaft angetragen. Mit der Folge, dass auch seine Tochter einen finnischen Pass hat.
Deswegen, aber vor allem wegen ihres „deutschen Bildungshintergrundes“, fühlt sich die 32-Jährige, die mit ihrer Mutter und der Großmutter in Kairo lebt, „sowohl als Europäerin als auch als Araberin“. Eine „Durchschnittsägypterin“ sei sie nicht, räumt Soraya Bahgat ein, die unter anderem an der Amerikanischen Universität in Kairo Politikwissenschaft und an der Pariser Sorbonne Kulturmanagement studiert hat. Aber: „Auch wenn ich das Glück habe, nicht durchschnittlich zu sein, kann man mit Engagement, mit offenem Denken und Analyse verstehen, was die Ägypter bewegt“, sagt sie.
Und so stellt sich die 32-Jährige der Aufforderung, darzulegen, was in ihrer Heimat in den bewegten Jahren seit 2011 passiert ist. Begonnen habe es mit dem Arabischen Frühling – einer Zeit, in der von Demokratie und Freiheit geträumt worden sei. „Ich habe 2011 gedacht, dass es eine wirkliche Chance gibt, einen Kulturwechsel zu erreichen, was wiederum für mehr Beteiligung, Transparenz, Entwicklung und individuelle Freiheiten sorgen würde. Am Tahrirplatz erklang schließlich der Revolutionsaufruf: ,Brot, Freiheit, Würde, soziale Gerechtigkeit‘“.
Passiert ist das jedoch ihrer Meinung nach nicht. Soraya Bahgat wagt einen Erklärungsversuch: „Weil es nur einen Systemwechsel gab, aber keinen Wechsel der politischen Kultur, hat die Revolution ihre Ziele noch nicht erreicht.“ Für die junge Ägypterin ist klar: „Wir brauchen mehr Bildung! Die Menschen müssen dazu angeregt werden, zu denken. Nur durch mehr Bildung kann es den benötigten Kulturwechsel geben.“ Den Ägyptern sei noch nicht bewusst, dass freie Wahlen auch ein erhöhtes Maß an Verantwortung für den Einzelnen mit sich brächten, sagt sie.
Bei den ersten Präsidentenwahlen, so ruft sie in Erinnerung, hätten die Ägypter zwischen Ahmed Shafik, dem letzten Premierminister unter Präsident Mubarak, und Mohamed Mursi von der Moslembruderschaft entscheiden müssen. „Es gab also die Wahl zwischen dem alten System und den Islamisten“, sagt Soraya Bahgat. Viele, die Mursi gewählt haben, hätten eigentlich nicht ihn gewählt, sondern sich nur gegen das alte Regime entschieden, schätzt sie ein. „Die wenigsten haben sich um die ohnehin sehr dünnen Wahlprogramme geschert.“
Schon nach einem Jahr sei die Enttäuschung über Mursis Regierung riesig gewesen. Als am 30. Juni 2013 Millionen auf die Straße gehen und seinen Rücktritt fordern, ist auch Soraya Bahgat unter ihnen. Schließlich wird Mursi nach den großen Millionenprotesten und mehr als 22 Millionen unterschriebenen Petitionen für seine Absetzung vom Militär aus dem Amt gedrängt.
Dass der ein Jahr später zum Präsidenten gewählte ehemalige Armeechef Abd al-Fattah as-Sisi durchaus von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werde, habe laut Soraya Bahgat auch mit dem Erstarken der Terrororganisation Islamischer Staat und dem sich daraus ergebenden Fokus auf Stabilität zu tun. „IS stellt auch für unser Land eine Bedrohung dar“, macht sie deutlich. Eine Bedrohung, der wohl nur militärisch beigekommen werden kann.
„Das macht es schwerer für Aktivisten, die sich öffentlich gegen die Armee äußern und mehr Freiheiten und Demokratie fordern. Sie bekommen zu hören, dass Terrorismus und IS nicht mit friedlichen Demonstrationen und mehr Demokratie bekämpft werden können, sondern mit mehr Stabilität, und daher die Armee gebraucht wird“, sieht sie die Lage ganz nüchtern.
Der Traum von 2011 – er scheint fürs Erste ausgeträumt. „Die meisten Ägypter haben vom Träumen die Nase voll. Jetzt geht es darum, die Wirtschaft zu retten und den Terror zu bekämpfen. Immer wieder ist zu hören, dass Demokratie erst nach Stabilität und Wirtschaftsfortschritt kommt.“ In ihrem Kopf klinge aber immer noch „Brot, Freiheit, Würde, Soziale Gerechtigkeit“, sagt sie. Ungeachtet der jetzigen Situation in Ägypten hat Soraya Bahgat die Hoffnung, dass diese Ziele der Arabellion, der arabischen Revolution, doch noch Wirklichkeit werden.
Ihr persönliches Engagement für Frauenrechte bleibt trotz der Stagnation im Land unverändert. 2012 gründete sie „Tahrir Bodygard“. Frauen vor gewalttätigen Übergriffen zu schützen, ist das Ziel ihrer Organisation, in der nur Freiwillige mitarbeiten. Es begann mit der Nachricht über eine halb totgeschlagene Frau am Tahrir-Platz. Soraya Bahgat – damals Personalchefin eines großen ägyptischen Baukonzerns – bestellte auf eigene Kosten 200 Sicherheitswesten und Helme und versuchte über einen Twitter-Account, Freiwillige für ihre Gruppe zu mobilisieren.
Heute sagt sie: „Wenn man so etwas macht, muss man mutig sein oder auch ein bisschen verrückt.“ Angst, angesichts ihrer Engagements selber Opfer von Angriffen zu werden, habe sie seinerzeit nicht gehabt. „Ich habe die Gefahr erst rückblickend erkannt. Die Anzahl von Frauen, denen geholfen wurde, und die resultierende Medienkampagne waren es aber natürlich wert“, schätzt die Ägypterin ein, die auch im Kampf gegen der Beschneidung von Frauen aktiv ist.
Beruflich hat sie sich inzwischen verändert. Soraya Bahgat arbeitet jetzt als Direktorin bei einem großen ägyptischen Medienunternehmen. Jenem Unternehmen, bei dem der erfolgreiche ägyptische Satiriker Bassem Yousef gesendet wurde, der sich über die Mächtigen im Staate lustig machte, ehe ihn die derzeitige Regierung zum Abschied aus dem Showbusiness zwang.
Wie passt nun das IPS in diese doch erfolgreiche berufliche Laufbahn? Für Soraya Bahgat war es zum einen die Gelegenheit nach Deutschland zu kommen – in das Land, in dem sie sich heimisch fühlt, obwohl sie nur vor 17 Jahren für ein paar Tage mal in München war. Doch es gibt noch eine andere Motivation: „Wenn es eine Demokratie gibt, von der ich lernen möchte, dann ist das nicht der amerikanische Kongress, ist es nicht Westminster, sondern der Deutsche Bundestag“, sagt sie. Es sei für sie eine große Ehre hier sein zu dürfen. „Vielleicht“, so fügt sie hinzu, „hilft mir das, was ich hier lerne, um eines Tages als Abgeordnete im ägyptischen Parlament erfolgreich für Frauenrechte zu streiten.“ (hau/08.09.2015)