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Der Ausschuss richtet sein Augenmerk auf die Rolle des Bundesnachrichtendienstes. © picture alliance/Bildagentur-online
Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) hat sich ein weiterer Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) überzeugt geäußert, dass von der gemeinsam mit dem US-Geheimdienst „National Security Agency“ (NSA) betriebenen Abhöranlage in Bad Aibling aus keine europäischen Ziele ausgespäht worden sind. Bei seiner Vernehmung am Donnerstag, 24. September 2015, erklärte der Zeuge D.B., in Bad Aibling würden mittelöstliche Krisenregionen überwacht. Das bedeute, dass dort Telekommunikationsstrecken innerhalb der betroffenen Länder abgegriffen würden oder allenfalls zwischen zwei benachbarten Krisenstaaten, nicht aber in andere Weltgegenden. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Verkehre nach Europa erfasst wurden, ist sehr gering“, sagte D.B.
Der Zeuge ist als Unterabteilungsleiter in der BND- Zentrale tätig und hat dieser Funktion im Spätsommer 2013 den Auftrag gegeben, den Bestand der Suchmerkmale zu überprüfen, die die NSA zur Verwendung in Bad Aibling geliefert hatte. Dabei stellte sich heraus, dass bis zu 12.000 dieser Selektoren zur Ausspähung europäischer Ziele geeignet waren. Sie wurden nach der Überprüfung deaktiviert.
„Beim Abhören nie etwas Ungewöhnliches aufgefallen“
Seither wird die Möglichkeit diskutiert, dass ein europäischer Funktionsträger, der vor 2013 etwa zu Besuch in Afghanistan weilte und von dort aus mit seinem Heimatland telefonierte, ins Überwachungsnetz von NSA und BND hätte geraten können. Vor dem Ausschuss haben mehrere Zeugen dieses Szenario für unwahrscheinlich erklärt. D.B. wies darauf hin, dass beim Abhören der gespeicherten Gesprächsmitschnitte nie etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei.
D.B. war bereits am 7. und am 20. Mai als Zeuge vor dem Ausschuss aufgetreten. Am 24. September berichtete er erneut, was ihn im Spätsommer 2013 veranlasst hatte, den Selektorenbestand zu überprüfen. Der „Spiegel“ hatte kurz zuvor aufgrund der Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden berichtet, der BND habe Monat für Monat 500.000 Metadaten deutscher Nutzer, also etwa Telefonnummern, Mailadressen, Zeitpunkt und Dauer einer Verbindung, an die NSA geschleust. Seine Abteilung habe sich darauf keinen Reim machen können, sei aber mit Anfragen aus Kanzleramt, Parlament und BND-Führung überhäuft worden.
In dieser Situation sei ihm der Gedanke gekommen, sich vorsorglich gegen Anfragen zu wappnen, die nicht Metadaten, sondern Suchprofile betreffen könnten. Er habe daher den ihm untergebenen Dr. T. angewiesen, den Selektorenbestand nach regionaler Verteilung und der Art der angepeilten Kommunikationsdienste zu untersuchen. Mitte August habe Dr. T. ihn über erste verdächtige Funde informiert und ein entsprechendes Verzeichnis vorgelegt. Auf die Frage nach seiner Reaktion sagte der Zeuge: „Aufgrund der Aussage eines Mitarbeiters ,Da ist was Sensitives' breche ich nicht gleich in Panik aus.“ Er habe sich das Verzeichnis aber angeschaut und sei zu dem Schluss gekommen, dass die beanstandeten Selektoren zwar keine deutschen Grundrechte beeinträchtigten, aber „politisch nicht korrekt“ seien.
Den Schutz deutscher Grundrechtsträger habe der BND nach seiner Überzeugung in all den Jahren korrekt beherzigt, betonte D.B. So sei bereits vor 2013 der gesamte Selektorenbestand alle drei Monate in einem dreistufigen Verfahren überprüft worden. Dass dennoch die Zahl der beanstandeten Selektoren im Verhältnis zur Gesamtmenge relativ gering gewesen sei, sei wohl damit zu erklären, „das die amerikanische Seite die Selektoren so gut ausgewählt hat, das es zu wenigen Ablehnungen nur gekommen ist“.
Unerwünschte Suchmerkmale
Dass der BND erst mit anderthalbjähriger Verspätung die Kontrollen verschärft hat, um in der Kooperation mit der NSA die Ausspähung europäischer Partner auszuschließen, ergab sich aus der Befragung eines BND-Sachbearbeiters der Abteilung "Technische Aufklärung". Der Zeuge K.M. hatte nach einer Dolmetscherausbildung im Oktober 1988 mit damals 26 Jahren beim BND angeheuert. Er bearbeitete hier zunächst fremdsprachliche Nachrichten und wechselte Anfang 1990 zur sogenannten "Wortbank-Gruppe", die den Bestand der bei der Überwachung des Fernemeldeverkehrs benutzten Selektoren betreut.
Mitte März dieses Jahres, berichtete der Zeuge, habe sich sein Arbeitsalltag in einigen Punkten verändert. Unter anderem werde eine Liste mit Begriffen, die der Identifizierung politisch unerwünschter, weil deutschen und europäischen Interressen zuwiderlaufender Suchmerkmale dient, seither nicht mehr wöchentlich, sondern täglich aktualisiert. Bereits im August 2013 hatten BND-Mitarbeiter festgestellt, dass in der mit der NSA betriebenen Abhöranlage Bad Aibling auch Selektoren eingespeist waren, die europäische Ziele betrafen. Doch erst im März 2015 hatten BND-Spitze und Kanzleramt davon Kenntnis erlangt; einen Monat später erfuhr es die Öffentlichkeit.
Seit 25 Jahren ist es die Aufgabe des Zeugen, neue Selektoren in den Datenbestand einzugeben und von Partnerdiensten zugelieferte Suchmerkmale auf ihre Vereinbarkeit mit der deutschen Rechtslage zu prüfen. Dem Ausschuss erklärte er den Unterschied zwischen "formalen" und "inhaltlichen" Selektoren. Die erste Kategorie umfasse Telefonnummern, Mail- oder IP-Adressen, die zweite bestimmte Schlüsselwörter, deren Erfassung dazu führt, dass eine überwachte Kommunikation gespeichert wird, etwa "Terror" oder "Bombe". Freilich: "Wir hatten schon mal das Wort ,Bombe' drin. Das war ein großer Reinfall, weil auch ,Sexbombe'" getroffen hat."
Wichtigste Prüfaufgabe des Zeugen ist die "G10-Erkennung", die gewährleisten soll, dass bei der Überwachung des Datenverkehrs der Schutz des Fernmeldegeheimnisses unverdächtiger Deutscher gewahrt bleibt. Detailliert erläuterte er das dreistufige Verfahren. In einem ersten Durchgang werden alle Selektoren ausgeschieden, die auf den ersten Blick Deutschen zuzuordnen sind, etwa Festnetznummern mit der Vorwahl "49", Mobilfunknmmern mit der Kombination "262" oder Mailadressen mit der Kennung "de".
In der zweiten Stufe werden Suchmerkmale geprüft, die nicht so einfach zu identifizieren sind wie Mailadressen mit der Endung "com" oder "net". Der BND verfügt über eine Datenbank mit solchen Selektoren, die bei irgendeiner Gelegenheit als G10-relevant aufgefallen sind. Sie werde "anlassbezogen" ergänzt, also immer dann, wenn eine bisher unbekannte Adresse oder Nummer einem deutschen Grundrechtsträger zugeordnet werden kann. Bei der Einführung der automatischen Selektorenprüfung in der BND-Zentrale seien hier etwa 15.000 Begriffe gespeichert gewesen, heute seien es schätzungsweise 30.000.
Die dritte Stufe erfasst Selektoren, die durch ergänzende Kommentare des Partnerdienstes, der sie zuliefert, möglicherweise als G10-relevant zu identifizieren sind. Allerdings: "Eine G10-Erkennung kann nie allumfassend sein", räumte der Zeuge ein, Und europäische Ziele seien erst seit März 2015 in nenneswerter Anzahl in der Datenbank gespeichert. (wid/24.09.2015)