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Die Koalition will Streitschlichtungsstellen für Verbraucherangelegenheiten ermöglichen. © picture alliance/reality
Die von Bundesregierung und Regierungskoalition
vorgesehene Regelung zur alternativen, außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten ist bei Sachverständigen überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Bei einer Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch, 30. September 2015, regten die sieben geladenen Experten indes Nachbesserungen an den gleichlautenden Gesetzentwürfen an (18/5089, 18/5295). Ziel der grundlegenden EU-Richtlinien und der Gesetzentwürfe ist es, Verbrauchern eine Alternative zum Rechtsweg bei Streitigkeiten bezüglich Kauf- und Dienstleistungsverträgen zu geben.
Mit dem einzuführenden Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen sollen Kriterien und grundlegende Verfahrensmodalitäten zur Anerkennung der Streitschlichtungsstellen festgelegt werden. So soll zum Beispiel sichergestellt werden, dass die Stellen unabhängig und unparteilich agieren. Zudem soll sowohl für Verbraucher als auch Unternehmen das Prinzip der freiwilligen Beteiligung gelten. Laut Gesetzesbegründung werden grundsätzlich die Länder für die Anerkennung solcher Stellen zuständig sein. Zudem sollen die Länder eigene Universalschlichtungsstellen einrichten, die nachrangig tätig werden sollen, wenn für eine bestimmte Branche keine nichtstaatliche Stelle existiert.
Jutta Gurkmann (Verbraucherzentrale Bundesverband) wies darauf hin, dass in Deutschland noch keine „Schlichtungskultur“ etabliert sei. Entsprechend sei die Idee der freiwilligen Teilnahme nur im Hinblick auf Verbraucher überzeugend. Für Unternehmen sollte über weniger Beliebigkeit im Vorgehen nachgedacht werden, sagte Gurkmann. Sie mahnte zudem an, dass die Schlichtungsverfahren transparent
gestaltet werden müssten. Eine Auskunftspflicht über Ergebnisse solle nicht nur gegenüber Behörden etabliert werden, sondern auch gegenüber qualifizierten Verbrauchereinrichtungen. Damit solle auch vermieden werden, dass grundsätzliche Rechtsfragen nicht den Weg zu den Gerichten finden.
Skeptischer gegenüber dem Vorhaben äußerte sich Dr. Manja Schreiner (Zentralverband des Deutschen Handwerks). In dem Entwurf sei keine Gleichbehandlung von Unternehmen und Verbrauchern vorgesehen. So müsse ein Unternehmen fallabhängig über die freiwillige Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren entscheiden können. Schreiner sprach sich zudem dagegen aus, in sämtlichen Bundesländern Universalschlichtungsstellen einzurichten. Das sei auch von der entsprechenden Richtlinie nicht vorgesehen. Es bestehe die Gefahr der Uneinheitlichkeit, die anders als im Gerichtswesen nicht durch eine obere Instanz aufgefangen werden könne. Eine bundeseinheitliche Stelle, angebunden an das Bundesamt für Justiz, sei vorzuziehen. Schreiner unterstützte zudem die Idee, in Fällen von Missbrauch durch Verbraucher Gebühren zu erheben.
Dafür sprach sich im Grundsatz auch Dr. Christof Berlin (Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, SÖP) aus. Die Angst der Unternehmen vor Missbrauch sei ernst zu nehmen, da sie das Vertrauen in diese neuen Verfahren unterminieren könne. In der Praxis der SÖP komme Missbrauch allerdings so gut nie wie vor. Berlin forderte Nachbesserungen in Hinblick auf die Qualifikation der Streitmittler, die im Entwurf zu vage formuliert sei. Vorzuziehen seien Volljuristen, die auf fachlicher Augenhöhe mit den Unternehmen kommunizieren könnten. Die Universalschlichtungsstelle sei bundesweit zentral aufzustellen und nicht in jedem Bundesland, sagte Berlin. In solchen einheitlichen Stellen könne Know-how und Spezialwissen besser gebündelt werden.
Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel, Rechtswissenschaftler von der Universität Bayreuth, mahnte an, die Niedrigschwelligkeit des Schlichtungsverfahrens zu wahren. Gebühren wirkten auf beide Seiten abschreckend, insbesondere bei geringem Streitwert. Die Universalschlichtungsstelle – Schmidt-Kessel bevorzugte den Begriff der Auffangschlichtung – sei öffentlich-rechtlich auszugestalten, da ansonsten vergaberechtliche Probleme auftreten könnten. Wichtig sei zudem, die Umsetzung wissenschaftlich zu begleiten. Es handle sich um eine „Reise ins Ungewisse“, insbesondere im Handel und Handwerk sei vollkommen unklar, wie sich die neu zu etablierenden Verfahren auswirkten.
Die Notwendigkeit einer Evaluation betonte auch Prof. Dr. Ulla Gläßer, Rechtswissenschaftlerin von der Europa-Universität Frankfurt an der Oder. Es sei unklar, wie der Markt auf die Änderungen reagieren werde. Folglich müssten die evaluierenden Stellen, unter anderem im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, mit einem entsprechenden Budget ausgestattet werden. (scr/30.09.2015)