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Die von der Bundesregierung in einem Gesetzentwurf geplante Umsetzung des Nagoya-Protokolls (18/5219), das den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus ihrer Nutzung ergeben, regelt, stößt auf breite Kritik. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses unter Vorsitz von Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch, 30. September 2015, deutlich.
Ziel des 2010 auf der zehnten Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen angenommenen Nagoya-Protokolls ist die Schaffung eines völkerrechtlichen Rahmens, der den Zugang zu genetischen Ressourcen regeln und für einen fairen Verteilungsausgleich sorgen soll. Die Herkunftsländer der genetischen Ressourcen sollen in gerechter Weise an den Vorteilen, die sich aus der Nutzung ihrer Ressourcen ergeben, beteiligt werden. Auf diese Weise soll in den Herkunftsländern ein ökonomischer Anreiz für den dauerhaften Erhalt von biologischer Vielfalt geschaffen werden.
Nach Ansicht der Experten schafft sowohl die dazu vorgelegte EU-Verordnung als auch der diskutierte Gesetzentwurf der Bundesregierung statt Rechtssicherheit für Unternehmen und Forscher lediglich eine überbordende Bürokratie. Dr. Ricardo Gent von der Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie bemängelte das Fehlen der Definitionen zentraler Begriffe. "Nicht geklärt ist etwa der konkrete Anwendungsbereich." Es erschließe sich nicht, was unter eine genetische Ressource falle und was unter eine biologische Ressource, sagte Gent. Unklar sei auch, wann eine Nutzung beginnen und wann sie beendet sei. Hier müsse es Klarstellungen geben, da dies unmittelbare Auswirkung auf die Frage Kontrolle und Sanktionen habe, betonte der Industrievertreter.
Schwerwiegende Kritikpunkte aus der Sicht der Grundlagenforschung brachte Dr. Christoph Häuser im Namen des Leibniz-Instituts für Evolutions- und Biodiversitätsforschung vor. Es fehle die Klarstellung, "welche Form des wissenschaftlichen Umgangs mit biologischen Proben eine Nutzung im Sinne des Gesetzes konkret darstellt". Der Entwurf zeige auch keine Unterscheidung zwischen nichtkommerzieller Grundlagenforschung "und angewandter und damit eindeutig kommerzieller Forschung" auf. Häuser befürchtet massive Rechtsunsicherheit für die öffentliche Forschung und Ausbildung. Die nachteiligen Folgen der Umsetzung, so seine Einschätzung, hätten schlussendlich die Schwellenländer zu tragen.
EU-Verordnung und Gesetzentwurf verfehlten das Ziel, die kommerzielle und gewinnorientierte Nutzung der Ressourcen effektiv zu kontrollieren, sagte Dr. Cornelia Löhne von der Freien Universität Berlin. Zugleich sei zu befürchten, dass die Grundlagenforschung durch überbordende Bürokratie behindert werde. Es zeichne sich außerdem ab, dass die zuständige Behörde, das Bundesamt für Naturschutz, "nicht in der Lage sein kann, alle Nutzer zu kontrollieren oder zu beraten". Sie plädiere ausdrücklich nicht für eine generelle Ausnahmeregelung für die Wissenschaft, sagte Löhne. "Die jetzige Herangehensweise setzt aber am falschen Ende an", urteilte sie.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) als Vollzugsbehörde sieht sich mit der vorhandenen Stellenausstattung weder zu einem wirkungsvollen Vollzug des Protokolls noch zu der gebotenen Beratung von Forschern und Nutzern in der Lage, sagte BfN-Vertreter Prof. Dr. Dietrich Jelden. "Ohne entsprechende Personalverstärkung kann auf absehbare Zeit keine Prüfung von Sammlungen und Nutzern genetischer Ressourcen durchgeführt werden", betonte Jelden. Das sei auch deswegen "höchst bedauerlich", weil Deutschland bislang eine herausragende Rolle bei den Bemühungen zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls innegehabt habe.
Mit der Vorteilsaufteilung werde ein wesentlicher Teil des Nagoya-Protokolls nicht umgesetzt, bemängelte Hartmut Meyer von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Auch werde durch die Umsetzung nicht verhindert, dass deutsche Patente auf Produkte vergeben werden, "die auf einem illegalen Zugang zu Ressourcen und traditionellem Wissen beruhen".
Dem stimmte François Meienberg von der Schweizer Organisation "Erklärung von Bern" zu. Wenn etwa ein Schweizer Konzern eine Ressource "gegen alle Regeln der Biodiversitätskonvention" nutzt, ein Importeur dieses Produkt dann in Deutschland zur Kommerzialisierung anmeldet, bestehe die Gefahr, "dass die Vermarktung erlaubt wird".
Es könne argumentiert werden, dass zum einen die illegale Nutzung nicht in Deutschland stattgefunden habe und zum anderen der Nutzende nicht der Anmelder sei. "Das könnte bei multinationalen Konzernen noch schlimmer werden", sagte Meienberg. Folge wäre eine "krasse Benachteiligung der kleinen und mittelständigen Unternehmen", die sich nicht darauf zurückziehen könnten, die Forschung habe im Ausland stattgefunden. Meienberg forderte daher: "Illegaler Zugang zu den Ressourcen darf nicht kommerzialisiert werden." (hau/30.09.2015)