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Abgeordnete Andrea Wicklein, Marina Kermer, Carola Strauche, Klaus-Peter Willsch, Präsident Ma Ying-jeou (Mitte), Uda Heller, Jens Koeppen in Taipeh © DBT/Hein
Von Ägypten bis Zentralafrika – 53 bi- und multinationale Parlamentariergruppen pflegen die außenpolitischen Beziehungen des Bundestags zu den Parlamenten auswärtiger Staaten. Die 54. nennt sich „Parlamentarischer Freundeskreis Berlin-Taipei“ – auch wenn sie die gleichen Aufgaben und Rechte hat wie die anderen. 1989 gegründet, gehören ihr aktuell 44 Mitglieder an. „Wir sind natürlich die Deutsch-Taiwanesische Parlamentariergruppe, ob sie nun so heißen darf oder nicht“, stellt der Vorsitzende der Gruppe, Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU), klar.
Der Grund für die besondere Bezeichnung: Wie alle anderen Staaten der Europäischen Union, die USA und Japan unterhält auch Deutschland offiziell keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, dessen politischer Status umstritten ist. Die Volksrepublik China betrachtet die Insel im Südchinesischen Meer als abtrünnige Provinz, während sich die „Republik China auf Taiwan“ als souveränen Staat sieht, von dem sich Festlandchina nach dem Bürgerkrieg durch die Gründung der Volksrepublik 1949 „abgespalten“ hat. Weder China noch Taiwan erkennen sich gegenseitig als souveräne Staaten an. Bis heute hält China seinen Alleinvertretungsanspruch aufrecht.
Willsch jedoch, der seit 1998 Mitglied und seit 2010 Vorsitzender des Freundeskreises ist, kann die „protokollarische Zurücksetzung, die schon in der Bezeichnung der Parlamentariergruppe zum Ausdruck kommt“, nicht nachvollziehen. „Das ist vorgestrig“, so der 54-jährige Abgeordnete aus dem Rheingau-Taunus-Kreis. Taiwan sei schließlich eine „stabile Demokratie und ein Rechtsstaat“ – etwas, das „man sich öfter wünschen würde in der Region“. Trotzdem gelte innerhalb der Europäischen Union ein inoffizielles Einreiseverbot für die „Big Five“ des taiwanesischen Staates: Präsident, Vizepräsident, Premierminister, Außen- und Verteidigungsminister. Nicht einmal als Privatpersonen dürfen sie einreisen.
Neben ihrer Funktion, als Parlamentariergruppe die Kontakte des Bundestages zum Parlament in der Hauptstadt Taipeh (englisch: Taipei) zu pflegen, übernehmen die Mitglieder des Freundeskreises oftmals Aufgaben, die sonst von Regierungsmitgliedern wahrgenommen werden. So heißen sie etwa Repräsentanten Taiwans, für die das Einreiseverbot nicht gilt, in Deutschland willkommen: „Ich habe einmal die First Lady Taiwans, Christine Chow Ma, die Frau von Präsident Ma, bei einem Zwischenstopp am Frankfurter Flughafen begrüßt. Kollegen haben das bei anderer Gelegenheit auch schon in Berlin gemacht“, erzählt Willsch. Solche Gesten seien hoch willkommen: „Die Taiwaner schätzen es, dass wir so den Kontakt pflegen.“
Die Ein-China-Politik setze zwar einen engen Rahmen, so Wilsch, diesen gelte es aber „mutig“ auszufüllen. Einschränkungen oder Behinderungen Chinas hat der Vorsitzende des Parlamentarischen Freundeskreises jedenfalls noch nicht am eigenen Leib verspürt: „Ich halte es für sicher, dass unsere Arbeit beobachtet wird. Doch bislang hat Festlandchina darauf nicht negativ reagiert. Chinas Botschafter Shi Mingde war sogar ungeachtet meiner Position zu Besuch in meinem Wahlkreis.“
Ein Besuch deutscher Parlamentarier in Taiwan, wie zuletzt im Rahmen der Delegationsreise des Parlamentarischen Freundeskreises vom 27. Mai bis 3. Juni 2015, hat angesichts der fehlenden diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Taiwan so auch einen besonderen Stellenwert: „Man spürt einfach, dass die Taiwaner offizielle Kontakte sehr wichtig nehmen“, sagt Willsch. Für den Vorsitzenden war die Reise im Frühsommer der dritte Besuch auf der Insel; begleitet wurde er von fünf weiteren Abgeordneten: Uda Heller, Jens Koeppen und Carola Stauche von CDU/CSU-Fraktion sowie Marina Kermer und Andrea Wicklein (beide SPD).
In Taipeh trafen die Bundestagsabgeordneten mit Mitgliedern des taiwanesischen Parlaments – darunter auch Vizeparlamentspräsidentin Hsiu-chu Hung – sowie mit Regierungsvertretern, Mitarbeitern von Think Tanks und Nichtregierungsorganisationen zusammen, um sich über ein breites Spektrum von außenpolitischen und innenpolitischen Themen auszutauschen. Bestimmend dabei aber immer: die Beziehungen zwischen Peking und Taipeh. Nach Jahrzehnten im Kriegszustand haben sich diese mit dem Antritt des amtierenden Präsidenten Ma Ying-jeou 2008 deutlich entspannt. Rund 20 Abkommen haben China und Taiwan seitdem unterzeichnet, die unter anderem Direktflüge ermöglichen sowie den Touristenverkehr und Bankgeschäfte erleichtern. 2014 trafen sich erstmals seit 1949 offizielle Regierungsvertreter Chinas und Taiwans.
Diese Annäherung führte zuletzt allerdings in Taiwan immer öfter zu Protesten – wie etwa im März 2014, als Studenten das Parlament in Taipeh besetzten und damit gegen ein geplantes Dienstleistungsabkommen der Regierung mit China demonstrierten. Ein Thema, das die deutschen Parlamentarier bei ihrem Besuch zur Sprache brachten: „Wir wollten die Hintergründe erkunden“, erklärt Klaus Peter Willsch. „Offenbar sitzt die Angst vor einem Verlust der eigenen Identität angesichts einer stärkeren Öffnung zum viel größeren Festlandchina bei vielen Taiwanern tief. Wir haben aber sehr deutlich gemacht, dass wir die Behinderung eines frei gewählten Parlamentes für inakzeptabel halten.“
Die Vorsicht gegenüber China sei nicht verwunderlich, so der Abgeordnete, schließlich demonstriere die Volksrepublik im Streit mit Taiwan, Malaysia, Vietnam und den Philippinen um verschiedene Inselgruppen sehr vehement ihren Willen zur Vorherrschaft im Südchinesischen Meer. „China geht robust vor – was die kleineren Nachbarn besorgt registrieren.“
Daher betrachtet der CDU-Politiker, der im Wirtschaftsausschuss sitzt, die pragmatische Annäherungspolitik auch über Handelsabkommen als wichtigen Schritt in Richtung Entspannung an der Taiwanstraße. „Die Chinesen können von den Taiwanern lernen, wie man mit dem Westen Geschäfte macht. Schließlich ist Taiwan als Welthandelsnation schon seit Jahrzehnten erfolgreich.“ Für Deutschland sei das Land gerade bei IT-Produkten ein bedeutender Handelspartner – und die Deutschen wiederum seien „bevorzugte Partner im Bereich Automobile und Maschinenbau“. „Das ist ein völlig konflikt- und problemfreies Wirtschaften“, lobt Willsch. „Unsere Volkswirtschaften passen gut zueinander: Beide sind wissenschafts- und forschungsgetrieben, ohne sich gegenseitig übermäßig in die Quere zu kommen.“
Dementsprechend macht sich Parlamentarische Freundeskreis Berlin-Taipei für eine noch stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit der Länder stark – etwa im Bereich der Luft- und Raumfahrt: Begleitet von einem Vertreter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) besuchten die Bundestagsabgeordneten in Taiwan die dortige Luft- und Raumfahrtorganisation. So fungieren die Deutschen bewusst auch als Vermittler: „Wir bemühen uns gerade, dass Taiwan einen Beobachterstatus bei der ICAO, der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation, bekommt“, sagt Willsch. Und auch erste Gespräche zwischen dem DLR und der taiwanischen Raumfahrtagentur NSPO habe die Gruppe bereits anbahnen können.
In der Vergangenheit hat die Fürsprache der Parlamentarier schon dazu beigetragen, Anliegen voranzutreiben: So trat im November 2012 das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Taiwan in Kraft. Seit 2011 gilt die Visafreiheit für Taiwan innerhalb der Europäischen Union. Und im Oktober 2010 startete das „Working Holiday Programm“, um den Jugendaustausch zwischen beiden Ländern zu intensivieren.
„Wir haben einiges bewegen können“, resümiert der Vorsitzende des Freundeskreises. Dieser Meinung sind offenbar auch die Regierung in Taiwan: Bei seinem letzten Besuch im Taipei wurde Willsch mit der „Freundschaftsmedaille der Diplomatie“ ausgezeichnet. (sas/05.10.2015)