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Erfolgt die Türkeireise von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am Sonntag, 18. Oktober, zum richtigen oder falschen Zeitpunkt? Diese Kontroverse prägte die Aktuelle Stunde „zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara“ am Mittwoch, 14. Oktober 2015. Redner der Opposition sprachen von Wahlkampfhilfe für Präsident Erdoğans AKP und forderten, bis nach den Wahlen am 1. November zu warten. Dagegen verwiesen Vertreter der Koalitionsfraktionen auf die Dringlichkeit, angesichts des Zustroms von Flüchtlingen mit der türkischen Führung zu sprechen.
Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), deren Fraktion die Aktuelle Stunde beantragt hatte, fragte angesichts des bereits dritten Terroranschlags auf türkische Oppositionelle nach Diyarbakır im Juni und Suruç im Juli: „Wo ist Sicherheit für die, die sich für Frieden und ein Ende der Gewalt in der Türkei einsetzen? Wo sind Untersuchungen und Aufklärung über die Hintermänner der Verbrechen?“
Zynisch nannte es Roth, dass die türkische Luftwaffe einen Tag „nach dem Blutbad“ von Ankara wieder Angriffe auf kurdische Dörfer geflogen habe. Seit den letzten Wahlen, die nicht das von Staatspräsident Erdoğan gewünschte Ergebnis gebracht hätten, erlebe die Türkei „einen Wahlkampf, in dem jedes Mittel geheiligt scheint“. Das Ziel sei der „Umbau der Türkei zu einer Autokratie à la Putin“.
Ausdrücklich lobte Roth die Türkei dafür, dass sie über zweieinhalb Millionen Menschen aus Syrien aufgenommen und versorgt habe. Das habe aber hierzulande kaum interessiert, bis die Flüchtlinge zu uns angekommen seien. Roth wandte sich gegen Überlegungen zur „Abschottung einer Grenze in Zusammenarbeit mit dem türkischen Militär“ wie gegen die Einstufung der Türkei als sicheres Herkunftsland. „Das ist zu Außenpolitik mutierte Innenpolitik, die interessengeleitet ist, um Flüchtlinge abzuhalten“, kritisierte Roth.
„Völlig unverständlich“ sei ihr, warum Bundeskanzlerin Merkel gerade jetzt in die Türkei reist und damit „de facto den Wahlkampf von Erdoğan unterstützt“. Sie forderte Merkel auf, in der Türkei neben Erdoğan auch Oppositionspolitiker und Vertreter der Zivilgesellschaft zu treffen. „Sprechen Sie klare Worte, Frau Merkel“, rief Roth.
Die Sorge über die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei drückten auch alle anderen Redner in dieser Aktuellen Stunde aus, egal ob von Oppositions- oder Koalitionsfraktionen. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) bedauerte, dass sich die parteipolitische Aufstellung in der Türkei zunehmend an religiösen und ethnischen Kriterien orientiere. Er rief dazu auf, Konflikte nicht gewaltsam auszutragen, „übrigens auch nicht bei uns in Deutschland“. Bei aller Kritik an der türkischen Regierung, die Nick ausdrücklich teilte, dürfe nicht übersehen werden, dass es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung handele, „die auch in Deutschland zu Recht verboten ist“.
Die Türkei sei und bleibe „für uns ein wichtiger strategischer Partner“, sagte Nick. Deshalb sei es „wichtig und richtig“, dass Bundeskanzlerin Merkel in den nächsten Tagen in die Türkei reist. Sein Kollege aus der Unionsfraktion, Roderich Kiesewetter, wies den Wunsch Ankaras, die Türkei als sicheres Herkunftsland einzustufen, angesichts des Umgangs mit der Opposition zurück. Hinter der türkischen Forderung nach Visafreiheit in der EU vermutete Kiesewetter den Wunsch der Führung, auf diese Weise oppositionelle Bürger loszuwerden.
Gleichwohl verteidigte auch Kiesewetter die Türkeireise Merkels. Er sei „fest davon überzeugt, dass sie die richtigen Worte findet“. Sie werde „darauf dringen, dass Erdoğan von seinem Pfad der Unredlichkeit und der politischen Propaganda zurückkehrt und Terror gegen die eigene Bevölkerung einstellt“.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) verwies darauf, dass noch ein bis zwei Millionen Menschen an den türkischen Küsten auf eine Gelegenheit zur Weiterreise Richtung Deutschlands warteten. Die „Wahrnehmung deutscher Interessen“ erfordere daher Gespräche und Abkommen mit der Türkei, „und zwar so schnell wie möglich“.
Auch der Sozialdemokrat Niels Annen nannte die Reise der Bundeskanzlerin „ausdrücklich richtig“. Sie solle sich aber ein Beispiel am Terminkalender von Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) nehmen, der unlängst in der Türkei war und dabei auch Oppositionsvertreter getroffen habe. Der türkische Staat sei jetzt aufgefordert, ordnungsgemäße Wahlen sicherzustellen und die Meinungsfreiheit zu garantieren. Annen forderte Präsident Erdoğan auf, den Friedensprozess mit der PKK wieder aufzunehmen. Neben dem Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte bezeichnete Annen „auch Gewalttaten der PKK inakzeptabel“.
Annens SPD-Fraktionskollegin Michelle Müntefering stellte allerdings die Frage, ob Erdoğan der richtige Gesprächspartner für Bundeskanzlerin Merkel sei. Dieser habe nach der türkischen Verfassung eine neutrale Rolle. In diese Kerbe hieb auch Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen). Erdoğan sei nicht Merkels Amtskollege. Sie solle die Wahlen am 1. November abwarten und sich dann mit dem neugewählten Ministerpräsidenten treffen und nicht mit der „personifizierten Fluchtursache“, wie Özdemir in Blick auf Erdoğan formulierte.
Sevim Dağdelen (Die Linke) berichtete sichtlich betroffen, sie selbst habe bei dem Anschlag in Ankara Menschen verloren, „die ich kannte, die mir lieb waren, die engagiert waren im Kampf gegen die wachsende Unterdrückung durch das AKP-Regime und für den Frieden in der Türkei“. Mit diesem Anschlag sei die „blutige Saat“ Erdoğans aufgegangen, „Andersdenkende als Terroristen zu diffamieren und sie zur Zielscheibe zu erklären“. Er führe Krieg „ausgerechnet gegen diejenigen, die sich dem barbarischen Islamischen Staat am effektivsten entgegenstellen“, sagte Dağdelen mit Blick auf die Kurden. Zudem liefere er erwiesenermaßen Waffen an „islamistische Terrorbanden und Terrormilizen in Syrien“. „Die Linken“ forderten daher: „Erdoğan darf kein Partner für diese Bundesregierung mehr sein.“
Ihre Fraktionskollegin Inge Höger forderte, mit einer Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland ein Zeichen zu setzen. Ebenso wie Dağdelen forderte sie Merkel auf, nicht vor der Wahl nach Ankara zu reisen. Ihr Besuch werde „von den türkischen Medien inszeniert werden als Wahlkampfunterstützung“, sagte Höger voraus. (pst/14.10.2015)