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Die Fraktionen im Bundestag setzen sich für eine Stärkung der Vereinten Nationen (VN) bei der Lösung der weltweiten Konflikte ein. In der Regierungserklärung und der sich anschließenden Debatte zum 70. Jubiläum der VN machten am Mittwoch, 14. Oktober 2015, Redner aller Fraktionen deutlich, dass dafür auch mehr deutsches Engagement gefordert sei. Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, dass die VN heute mehr denn je gebraucht würden „im Bemühen um Frieden in unfriedlicher Zeit“. Perfekt würde die Organisation nie sein, aber „umso größer ist der Ansporn, sie besser zu machen“. Steinmeier wies den häufig geäußerten Vorwurf zurück, die VN seien zu schwach und entscheidungsunfähig: Frieden werde nicht von den VN verhindert, sondern vor allem deshalb, weil Mitgliedstaaten durch Blockaden und Verweigerung ihr die Arbeitsfähigkeit und Autorität rauben würden. „Die Vereinten Nationen sind niemals stärker als die Mitglieder dies zulassen.“
Steinmeier bekräftigte die Notwendigkeit von Reformen und mehr Engagement der Staaten innerhalb der VN etwa zur Ausstattung von Hilfsprogrammen wie dem Flüchtlingshilfswerk und dem Welternährungsprogramm. Ziel müsse außerdem sein, die Repräsentanz der Mitgliedstaaten in den VN-Organisationen und im VN-Sicherheitsrat auf den heutigen Stand zu bringen: „Jedem ist klar, dass die Legitimation leidet, wenn die VN heute noch ein Spiegelbild der Jahre 1945, 1950 oder 1955 ist“, sagte Steinmeier.
Deutschland bestehe auf einer Reform der VN und insbesondere des Sicherheitsrates, dessen Entscheidungen transparenter werden und dessen ständige Mitglieder ihr Vetorecht begrenzen müssten. „Es kann nicht sein, dass dieses Privileg die gesamte Weltorganisation dazu verdammt, angesichts größter Verbrechen gegen die Menschlichkeit untätig zu sein.“
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Dietmar Bartsch, warb dafür, für einen ständigen Sitz für Länder des Südens im Sicherheitsrat einzutreten. Für Deutschland müsse es darum gehen, die VN „real zu stärken“ - etwa durch höhere Beiträge an die VN-Hilfsorganisationen und nicht durch „elitäre Zusammenschlüsse wie G7“. Deutschland selbst werde der Charta der Vereinten Nationen nicht gerecht, wenn es mit seiner Politik die Ursachen für Armut auf der Welt und für 60 Millionen Flüchtlinge auf dem Globus vertiefe. „Keine Waffen und keine Soldaten in alle Welt schicken, das ist der Auftrag.“
Bartsch warnte zudem davor, sich an einer „Politik der Diktatorenbeseitigung“ wie im Falle des Irak und Libyens ohne Plan für die Zeit danach zu beteiligen. „Mit Krieg und Gewalt kann man Diktatoren beseitigen aber nicht Krieg und Chaos aus der Welt schaffen“, sagte Bartsch. „Wir wollen Frieden mit den Mitteln des Friedens.“
Jürgen Hardt (CDU/CSU) nannte die VN-Charta von 1945 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 „epochale Schritte“. Es sei gelungen, mit den VN ein „entscheidendes Instrument der Diplomatie“ zu etablieren. Keine Organisation habe mehr für den Weltfrieden getan. Dennoch blieben etwa mit 60 Millionen Flüchtlingen weltweit und 800 Millionen Hungernden große Aufgaben für die Völkergemeinschaft. „Wir müssen vorankommen mit der Reform der VN und mit unserem Beitrag zur Weiterentwicklung der Welt“, sagte Hardt.
Deutschland unterstütze die Initiative zur Begrenzung des Vetorechts im Sicherheitsrat bei konkreten Menschenrechtsverletzungen. Ein „relativ abzustellender Missstand“ sei die chronische Unterfinanzierung der VN-Hilfswerke. Hier müsse es um einen Mechanismus gehen, der „wirksame Maßnahmen gegen Staaten vorsieht, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen“, sagte Hardt.
Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass der Geist der Gründungsdokumente noch heute die Organisation präge, die „aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs“ hervorgegangen ist. Von den damals formulierten Prinzipien „zehren wir noch heute“. Sie zeigten den Anspruch und die Utopie der Menschheit auf Frieden und Menschenrechte. Es sei angesichts von 60 Millionen Flüchtlingen, angesichts von Hunger und neuerlichem Rüstungswettlauf heute wichtiger denn je, die Wirklichkeit an diesen Prinzipien zu messen. „Die Vereinten Nationen sind nur so stark, wie wir sie machen“, sagte Koenigs und stellte die Frage, ob Deutschland genug tue, um die VN einig zu machen.
So stelle Deutschland bisher lediglich 19 Polizisten für VN-Missionen, zukünftig womöglich 45. „Da geht mehr“, sagte Koenigs. Zu Wirklichkeit gehöre auch, dass die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat immer nur dann mitziehen würden, wenn das ihren Zielen nütze oder ihren Zielen nicht zuwiderlaufe. Die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich müssten zumindest bei „großen Menschenrechtsverletzungen auf ihr Vetorecht verzichten“.
Dr. Rolf Mützenich (SPD) erinnerte daran, dass es erst die „mutige Politik“ der Entspannung der damaligen Bundesregierung unter Willy Brandt war, die die Aufnahme beider deutschen Staaten in die Vereinten Nationen im Jahre 1973 mit ermöglicht habe. Die Charta der VN sei Richtschnur, sie enthalte aber mit Blick auf die heutige Welt auch Widersprüche – etwa in der Polarität zwischen dem Prinzip der Nichteinmischung und der territorialen Integrität von Staaten und einer Reihe zerfallender Staaten auf der heutigen politischen Weltkarte.
„Die Vereinten Nationen sind nicht alles und schon gar keine Weltregierung einer aus den Fugen geratenen Welt“, sagte Mützenich. Gleichwohl sei die Organisation ein unverzichtbares ein Mittel zu Konfliktlösung und Konfliktvorbeugung.
Keine Mehrheit fanden im Anschluss an die Debatte zwei Entschließungsanträge der Opposition: Die Linksfraktion hatte in ihrem Antrag (18/6332) unter anderem die Bundesregierung aufgefordert, eine „Initiative für eine demokratisch, soziale und friedenspolitische VN-Reform anzustoßen“ auf einen möglichen ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat zu verzichten und stattdessen die Erweiterung dieses Gremiums „um Länder des Südens auf den Weg zu bringen“.
Die Grünen drängten in ihrem Entschließungsantrag (18/6333) die Bundesregierung, die Vereinten Nationen „ins Zentrum deutscher Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik“ zu stellen und insbesondere auch die friedenserhaltenden Missionen der Organisation „mit mehr polizeilichem, zivilem und militärischem Personal zu unterstützen“.
Angenommen wurde der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (18/6331), welche die Bundesregierung unter anderem auffordern, „Reformbestrebungen der Vereinten Nationen zu unterstützen, die eine Stärkung der Effizienz und Transparenz befördern“. Dafür müssten die Strukturen an eine multilaterale Welt angepasst werden und die Organisation müsste insgesamt effizienter, transparenter und moderner werden. „Nur auf diese Weise könne dauerhaft eine demokratische Legitimation der VN gewährleistet werden“.
Weiter fordern die Abgeordneten, „dass in Fragen des Friedens und der internationalen Sicherheit alle Staaten ein größeres Mitspracherecht in den VN bekommen“. Eine Reform des Weltsicherheitsrates, die die wesentlichen Regionen und zentralen Beitragsleister berücksichtige, solle dafür aktiv unterstützt werden. (ahe/14.10.2015)