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Fraktionsübergreifend und allein mit dem Ziel der Aufklärung soll der neue Untersuchungsausschuss arbeiten, den der Bundestag zu den Verbrechen der rechtsradikalen Terrorgruppe ,,Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) einsetzen will. Das bekräftigten Abgeordnete aller vier im Parlament vertreten Fraktionen am Freitag, 16. Oktober 2015, in einem gemeinsamen Pressegespräch. Der Ausschuss mit dem Namen ,,Terrorgruppe NSU II" ist der dritte Untersuchungsausschuss in dieser Legislaturperiode und der zweite des Bundestages zu diesem Komplex.
An dem Pressegespräch nahmen die vier Berichterstatter zum Thema NSU aus dem Innenausschuss des Bundestages teil. Wie der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger sagte, sei man gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die noch offenen Fragen dazu ,,nicht allein mit den Instrumenten des Innenausschusses klären" ließen.
Er verwies darauf, dass auch zu zeitlich noch viel weiter zurückliegenden Terrortaten wie der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1977, dem Oktoberfest-Anschlag 1982 oder den Attentaten der dritten RAF-Generation bis heute vieles unklar sei. Man wolle jetzt ,,Zeit und Gelegenheit" nutzen, so viel Licht wie möglich in den NSU-Komplex zu bringen. Als einen Schwerpunkt der Ausschusstätigkeit nannte Binninger die Vorgänge in Eisenach und Zwickau nach der Enttarnung der Terrorgruppe am 4. November 2011.
Die Linke-Abgeordnete Petra Pau schloss sich Binningers Einschätzung an und sagte, zu keinem der zehn Morde, die dem NSU angelastet werden, könne man bisher ,,die abschließende Geschichte erzählen". Die Verbrechensserie der rechtsradikalen Terroristen sei ein ,,Desaster", das auch auf ,,totales Staatsversagen" zurückgehe. Sie kritisierte, dass man im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der von Januar 2012 bis zum Sommer 2013 tagte, bei Zeugen aus den Sicherheitsbehörden eine ,,Schwarmdemenz" habe feststellen müssen.
Sie verwies zudem auf Parallelen in der Gegenwart. So ähnelt die Radikalisierung der Pegida-Bewegung nach Paus Einschätzung gefährlich der NSU-Entstehungsgeschichte. Wie später auch die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic erinnerte Pau an die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Staatsakt für die NSU-Opfer am 23. Februar 2012, in der die Regierungschefin den Angehörigen eine umfassende Aufklärung der Verbrechen versprochen hat.
Es sei eine ,,schwerwiegende Entscheidung" gewesen, zu dem Thema einen weiteren Untersuchungsausschuss einzurichten, sagte die SPD-Abgeordneten Dr. Eva Högl. Auch sie verwies auf die aktuelle Situation, in der man eine gefährliche ,,Vernetzung und Radikalisierung von Rechtsextremen" feststellen könne. Es müsse auch von Seiten des Bundestages alles dafür getan werden, aus den NSU-Taten die richtigen Lehren zu ziehen.
Högl gab bekannt, dass sich der neue Untersuchungsausschuss im Gegensatz zu seinem Vorgänger auch die Möglichkeit offenhalten wolle, V-Leute als Zeugen zu hören. Zu ihrer Rolle gebe es noch immer zahlreiche offene Fragen.
Auch für Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen ist das Agieren der V-Leute im Umfeld des NSU-Trios von hohem Interesse. In diesem Zusammenhang müsse zudem die Strategie des Verfassungsschutzes im Umgang mit der rechtsradikalen Szene näher beleuchtet werden. Mihalic sieht ebenfalls eine Parallele zwischen der Radikalisierung der späteren NSU-Mitglieder und den aktuellen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Zentrales Ziel sei es, alles dafür zu tun, damit sich so etwas wie die Verbrechen des NSU nie wiederholen könne. Das habe die Kanzlerin den Angehörigen der Opfer in ihrer Rede beim Staatsakt in Berlin ebenfalls versprochen.
Einig waren sich die vier Berichterstatter auch darin, dass die politische Verantwortung für die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden nicht erneut geklärt werden soll. ,,Noch mal Otto Schily, Günther Beckstein oder Volker Bouffier gäbe zu wenig her", sagte Binninger. Das gemeinsame Interesse aller vier Fraktionen an weiterer Aufklärung bedeute aber nicht, dass politische Differenzen verschwänden. So gebe es weiterhin unterschiedliche Einschätzungen zu der Frage, ob der Verfassungsschutz und das Instrument der V-Leute reformiert oder ganz abgeschafft werden sollen, wie es Die Linke fordert.
Den von allen vier Fraktionen unterstützten Antrag zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses (18/6330) hat der Bundestag am 15. Oktober ohne Aussprache zur Beratung an den Geschäftsordnungsausschuss überwiesen. Über den Antrag abgestimmt werden soll in der zweiten Novemberwoche. Die erste Sitzung ist für Dezember geplant.
Dem Ausschuss sollen laut Antrag acht ordentliche Mitglieder - vier von der CDU/CSU-Fraktion, zwei von der SPD-Fraktion sowie je ein Mitglied der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen - und eine entsprechende Anzahl von stellvertretenden Mitgliedern angehören. Aufbauend auf den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses der vergangenen Wahlperiode soll das Gremium der Vorlage zufolge "Fragestellungen beleuchten, die seinerzeit etwa aus Zeitgründen oder mit Rücksicht auf die noch nicht eröffnete Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht München ausgespart blieben beziehungsweise zu denen eine zufriedenstellende Aufklärung nicht möglich war, die aber jetzt aufgrund neuer Erkenntnisse oder neuen Beweismaterials möglich erscheint". (rik/sto/16.10.2015)