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Nicht der Kunde, sondern der VW-Konzern soll bei Steuernachzahlungen wegen zu hoher Abgaswerte in Anspruch genommen werden. Zusammen mit dem Finanzministerium arbeite er an einer entsprechenden Regelung, sagte der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt (CSU), am Mittwoch, 4. November 2015, im Bundestag.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte eine Aktuelle Stunde zur VW-Affäre verlangt. Wobei für Vize-Fraktionschef Oliver Krischer der „eigentliche Punkt“ war, dass durch Abgase in Deutschland jährlich 7000 Menschen zu Tode kämen und Zehntausende krank würden. Scharf attackierte er die Automobilindustrie: Dass sie „Grenzwerte nicht ernst nimmt“, sei „verkommen“. Komme das bei Lebensmitteln vor, würden sie sofort vom Markt genommen.
Warum der Skandal in den USA aufgeflogen und nicht etwa von einer deutschen Behörde entdeckt worden sei, fragte Krischer. Und gab selbst die Antwort: Das Kraftfahrtbundesamt sei mangels entsprechender Strukturen dazu gar nicht in der Lage. Dies stufte er als Dobrindts „Versagen“ ein.
Seit Bekanntwerden der Vorwürfe habe der „nichts, rein gar nichts“ unternommen – lediglich eine Kommission eingesetzt, deren Zusammensetzung und Auftrag bis heute nicht bekannt sei.
Dobrindt wehrte sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit: Die Bundesregierung habe in Brüssel den Beschluss „aktiv begleitet“, dass die Abgastests „von der Rolle auf die Straße“ verlegt werden sollen: „Das kam durch uns wieder auf die Tagesordnung.“ VW habe am Montag bei einem Termin im Ministerium von sich aus darauf hingewiesen, dass auch bei 80.000 Benzinmotoren „die Verbrauchswerte nach unten gefälscht“ worden seien. Das habe die Innenrevision des Konzerns ermittelt. VW sei nun „klar in der Verantwortung und der Pflicht, den Schaden für die Kunden zu beheben“. Die dürften „nicht auf dem Problem sitzen bleiben“.
Der Konzern sei über das Kraftfahrtbundesamt (KBA) angewiesen worden, „sehr schnell neue Prüfwerte für die betroffenen Fahrzeuge zu ermitteln“ – unter Aufsicht des KBA. Zudem sei das Unternehmen verpflichtet worden, Beratungszentren für Kunden einzurichten, die deren Interessenvertretung gegenüber VW wahrnehmen sollen.
Sabine Leidig (Die Linke) wunderte sich über Dobrindts Darstellung, tätig geworden zu sein: „Wir können eigentlich gar nichts sehen.“ Schon längst habe der ADAC „lange Listen“ über das Vorgehen der Industrie vorgelegt – „jede Menge Hinweise, dass und wie manipuliert wird“.
Das KBA sei nicht tätig geworden, wie eine Anhörung im Ausschuss ergeben habe. Doch das Amt müsse sich um eine bessere Ausstattung bemühen, wenn es wisse, dass seine Mittel nicht ausreichen. Leidig hielt Dobrindt und seinem Vorgänger Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) vor, mit der „Autoindustrie unter einer Decke“ zu stecken.
Arno Klare (SPD) wartete mit einem Fünf-Punkte-Programm auf. Zum einen müssten die Testverfahren „aussagekräftiger“ werden – Rollentests und Messungen im Straßenbetrieb. Zweitens müsse die Software, mit der die Motoren gesteuert werden, künftig transparent sein. Drittens drängte er auf eine gesetzliche Reglung, der zufolge das Kraftfahrtbundesamt zu stichprobeweisen Nachkontrollen der Abgaswerte verpflichtet wird.
Viertens regte er eine „Aufwertung“ der herkömmlichen Abgasuntersuchung an – nicht nur Auslesen von Computer-Werten, sondern „wie früher am Endrohr richtig messen“. Fünftens machte er sich nicht nur für die Förderung der Elektromobilität stark, sondern auch für die „Brückentechnologie“ Gas.
Oliver Wittke (CDU/CSU) legte sich mit Krischer an: Der betreibe „politischen Klamauk“ und das „Kochen von politischen Süppchen“, habe bei der Debatte wieder eine „Philippika gegen die Automobilindustrie“ gehalten. Die jüngsten Hinweise im VW-Skandal seien „nicht durch Dritte“ erfolgt, sondern Folge eines „Sinneswandels“ in dem Konzern: „Das ist ein guter Weg, der da eingeschlagen wurde.“
Im Übrigen sei der Abgasskandal „durch Zufall“ aufgedeckt worden. Mithin sei die Einschätzung „falsch“, die amerikanischen Behörden seien besser als die deutschen. (fla/04.11.2015)