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Die Verträge junger Wissenschaftler an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen nicht mehr in dem Maß befristet werden können, in dem es heute Gang und Gäbe ist. Das ist das Ziel eines von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (18/6489), den der Bundestag am Donnerstag, 5. November 2015, in erster Lesung beraten hat. Dabei wurde deutlich, dass alle Fraktionen - wie auch die Bundesregierung – befristete Verträge, die sogar größtenteils eine Laufzeit von unter zwölf Monaten haben, ablehnen.
Es gelte die „Fehlentwicklungen“ in dem Bereich abzustellen, sagte Bildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU). Zwar sei in den vergangenen zehn Jahren viel für den wissenschaftlichen Nachwuchs getan worden. Dies gelte allerdings nicht für den Wissenschaftsbereich selbst, wo die Zahl der unbefristeten Stellen „nicht im dem Maße gewachsen ist wie die der befristeten“, sagte die Ministerin. „Wir benötigen eindeutig mehr unbefristete Stellen im Hochschulbereich“, lautete ihre Forderung. Diese zu schaffen sei für die Länder möglich, angesichts der jährlich frei werdenden Mittel von 1,2 Milliarden Euro für das BAföG, die nun vom Bund übernommen würden.
Was den Gesetzentwurf angeht, so sagte Wanka, man habe sich bewusst gegen starre Mindestvertragszeiten und stattdessen für eine Bindung der Vertragslaufzeiten an die angestrebte Qualifikation entschieden. Gleichzeitig betonte sie aber, der Wissenschaftsbereich brauche nach wie vor auch die im Wissenschaftszeitvertragsgesetz enthaltenen Sonderreglungen für Befristungen.
Das sah Nicole Gohlke (Die Linke) anders. Ziel müsse es sei, dass die sozialversicherungspflichtige Dauerstelle zum Normalfall werde, sagte sie. „Die Linke ist gegen jede Art von sachgrundloser Befristung“, fügte sie hinzu. Gohlke kritisierte auch die späte Reaktion der Bundesregierung auf den Befristungsmissbrauch. Schon 2011 habe ein Evaluationsbericht zum 2007 verabschiedeten Wissenschaftszeitvertragsgesetz vorgelegen, der die Probleme aufgezeichnet habe. Den vorgelegten Gesetzentwurf bezeichnete sie als „unverbindlichen und nicht geeignet, die Situation zu verbessern“.
Statt die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse zu beenden, habe die Regierung im Interesse der Arbeitgeber gehandelt, kritisierte die Linken-Abgeordnete. Positiv bewertete sie, dass künftig das nicht-wissenschaftliche Personal, das zu 92 Prozent befristet beschäftigt sei, aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz herausgenommen werden soll.
Besser spät als nie, entgegnete Hubertus Heil (SPD) auf die Kritik seiner Vorrednerin. Die jetzige Situation mit 90 Prozent befristeten Stellen und einer viel zu späten Berufung zur Professur sei auch ein „Fluch der guten Tat“, befand er. Es in den vergangenen Jahren viel getan worden zur Expansion des Wissenschaftssystems. Dabei sei aber ein Flaschenhals entstanden, der aufgebohrt werden müsse. Dieser Flaschenhals sei zum einen ein Problem für die jungen Leute und deren Lebensplanung. Er sei aber auch ein ökonomisches Problem, wenn gut ausgebildete junge Leute sich an den Hochschulen nicht vernünftig entfalten könnten.
Der „mit Augenmaß“ erstellte Gesetzentwurf, so Heil weiter, sei ein notwendiger aber nicht hinreichender Schritt zur Verbesserung der Situation für junge Wissenschaftler. Er beende den Missbrauch der Befristungsmöglichkeiten schaffe aber keine neuen Stellen, sagte der SPD-Abgeordnete. Dafür brauche es einen Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs zwischen Bund und Ländern. Die Koalitionsfraktionen, so Heil, hätten die Initiative für Gespräche in diese Richtung ergriffen.
Als eine Schmalspurnovelle, die wachsweich sei und nicht wirken werde, bezeichnete Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) die Regierungsvorlage. „Hier muss deutlich nachgebessert werden“, forderte er. Noch schwieriger sehe es beim Nachwuchsprogramm für zusätzliche Stellen aus, dass in der Warteschleife hänge. „Wenn es so weitergeht, verhagelt die Bundesregierung die Perspektiven für einen Traumjob in der Wissenschaft“, sagte er. Das dürfe der Bundestag nicht zulassen.
Gehring forderte die Bundesregierung außerdem auf, ihre Verantwortung für die Beschäftigten im Wissenschaftsbereich wahrzunehmen, statt sie an Länder, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu delegieren. Mit Blick auf den Gesetzentwurf warnte er davor, das nichtwissenschaftliche Personal aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes herauszunehmen. Dies könne zu Problemen führen, so Gehring. Die sicherlich gut gemeinte Option der Dauerbeschäftigung sei vielfach nur eine scheinbare. Wenn nämlich die Hochschulen nicht unbegrenzt ins Risiko gehen können, „drohen Kündigungen statt Dauerstellen“.
Das nicht-wissenschaftliche Personal aus der Regelung herauszunehmen sei richtig, befand hingegen Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU). Ohnehin sei das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für diese Gruppe nicht gedacht gewesen. Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz würden genügend Möglichkeiten geschaffen, um befristet einzustellen. Was die extrem kurzen Vertragszeiten für junge Wissenschaftler angeht, so stört das ihrer Ansicht nach gestandene Professoren ebenso wie den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Grundsätzlich seien Befristungen im Wissenschaftsbereich aber nötig, um Stillstand zu verhindern. Die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen nannte die Unionsabgeordnete wichtig. „Aber wir werden so den großen Wurf nicht hinbekommen“, schränkte sie ein. Dauerhaft mehr Stellen im Hochschul- und Wissenschaftsbereich zu schaffen sei „nach wie vor Ländersache“. Daran würde von Seiten der Union nicht gerüttelt, machte Dinges-Dierig deutlich. (hau/05.11.2015)