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Was brauchen Kinder, um gesund aufzuwachsen? Dieser Frage stellten sich drei Sachverständige aus der Kindermedizin und Pharmakologie am Mittwoch, 4. November 2015, in einer öffentlichen Sitzung der Kinderkommission (Kiko) unter Vorsitz von Susann Rüthrich (SPD). Die Kiko betrachtet die Kindergesundheit als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die neben der Familie die Länder, die Kommunen und auch der Bund zuständig sind.
Die "Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland" (KiGGS Welle 1 von 2009 bis 2012) des Robert-Koch-Instituts beschäftigt sich ausführlich mit dem Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die Befragung von rund 16.000 Kindern und Jugendlichen hatte ergeben, dass es der Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gut geht. Dies hätten 88 Prozent der befragten und untersuchten Elf- bis 17-Jährigen bestätigt.
Dies bestätigte auch Dr. Karl-Josef Eßer von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin vor den Kommissionsmitgliedern. Eine große Herausforderung stelle aber die Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche dar: 50 Prozent der Arzneimittel, die bei Kindern eingesetzt werden, seien für die Altersgruppe nicht geprüft oder außerhalb der Zulassung verwendet worden. Eltern müssten oft vorab unterschreiben, dass sie mit der ungeprüften Verabreichung der Arzneimittel einverstanden seien: „Das ist ein unhaltbarer Zustand“, kritisierte Eßer.
Diesen Zustand monierte auch der Fachapotheker Prof. Dr. Thilo Bertsche für Klinische Pharmazie am Pharmazeutischen Institut der Universität Leipzig: „Eltern und Krankenschwestern werden oft kreativ, öffnen die Kapseln oder lösen das Medikament in Wasser auf, um es Säuglingen besser verabreichen zu können.“ Aufgrund dieser geänderten Verabreichungsform seien die Arzneimittel oft nicht richtig wirksam.
„Die Apotheker müssen hier diese Lücke schließen“, erklärte Bertsche, da für Kinder deshalb oft individuell angefertigte Rezepturen in der Apotheke hergestellt werden müssen. Medikationsfehler, bei zum Beispiel inhalierbaren Arzneimitteln, könnten verhindert werden durch spezielle Schulungen für Kinder und ihre Eltern. Bertsche stellte außerdem alarmierend fest, dass nur 15 Prozent der befragten 1.243 Lehrer bereit seien, den Kindern und Jugendlichen Notfallarzneimittel ohne Einschränkungen zu verabreichen.
Eine weitere Problematik sahen die Experten in der desolaten Situation der Kinderkliniken aufgrund systematischer Unterfinanzierung. Die Kinderkliniken entsprächen nicht dem Durchschnitt der stationären Versorgung, kritisierte Eßer. Weniger Kinderkliniken führten zu weniger ausgebildeten Kinderärzten und dadurch auch nicht zu einer flächendeckenden Versorgung in Deutschland.
So auch Prof. Dr. Reinhard Berner, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden, der hinzufügte, dass zum Beispiel zu früh geborene Kinder nur in speziellen Intensivstationen überleben könnten. „Wichtig ist, dass sie nicht nur überleben, sondern gesund überleben“, so Berner.
Die Finanzierung der Einrichtungen und Forschung der Kindermedizin (Pädiatrie) sei daher essenziell: „Heute überleben acht von neun Kindern eine Krebserkrankung. Vor dreißig Jahren wären alle gestorben.“ Den Grund dafür sieht Berner nicht in der modernen Technik oder in neuen Medikamenten, sondern in der Behandlung der Kinder in klinischen Studien.
Nach Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention haben alle Kinder „ein Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit“. (abb/04.11.2015)