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Manchmal stellt sich ein Unglück im Nachhinein als Glück heraus. So wie bei Ingo Gädechens. Für den Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Verteidigungsausschuss war einst die Diagnose, dass er unter einer Rot-Grün-Farbsehschwäche leidet, eine Enttäuschung. Für das Küstenkind, in Lübeck geboren und unter anderem in Niendorf an der Ostsee aufgewachsen, war es schon früh ausgemachte Sache, dass es einmal Kapitän werden und zur See fahren würde. Die Schifffahrt lag in der Familie: „In meiner Jugend boomte die Ausflugsschifffahrt durch den zollfreien Verkauf, es war die ‚goldene‘ Zeit der ‚Butterfahrten‘“, erzählt der CDU-Politiker.
Schon als Schüler half er zunächst auf dem elterlichen Fahrgastschiff aus, arbeitete später als Hilfsmatrose auf Bäderschiffen und Fischkuttern. Kaum hatte Gädechens seine Mittlere Reife in der Tasche, begann er seine Fahrenszeit bei der Handelsmarine – ein Muss für das nautische Befähigungszeugnis. Doch das Ergebnis der ärztlichen Seetauglichkeitsuntersuchung machte schließlich einen Strich durch seine Berufsplanung. „Das war nicht leicht für mich. Zur See zu fahren war mein großer Traum“, erinnert sich der 55-Jährige.
Aus heutiger Sicht ist es ein Glück, dass er sich umorientieren musste: Denn ohne Plan B, der Gädechens zur Marine führte, wäre Gädechens womöglich nie im Bundestag gelandet. Seit 2009 sitzt der Abgeordnete von Fehmarn im Verteidigungsausschuss. Die langjährige Erfahrung bei der Bundeswehr kommt ihm dort zugute: „Das fängt schon bei den vielen Abkürzungen an, die im militärischen Bereich üblich sind.“ Die ließen neue Kollegen im Verteidigungsausschuss schon mal verzweifeln. Am meisten helfe ihm aber seine Kenntnis des Innenlebens der Truppe: „Ich weiß einfach, wie Soldaten ticken“, sagt Gädechens. Besonders die gelebte Kameradschaft und das gegenseitige Füreinandereinstehen seien prägend.
Gerade auch deshalb hat er die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 durch den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zwar bedauert, aber mitgetragen: „Wir hatten schon seit Jahren keine Wehrgerechtigkeit mehr, weil aufgrund der verkleinerten Armee nur noch ein geringer Teil der jungen Männer einberufen wurde“, erklärt Gädechens. Zudem hätten die Streitkräfte von einem sechsmonatigen Kurz-Wehrdienst wie zuletzt kaum noch profitiert.
Auch die Pläne der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für eine familienfreundlichere Bundeswehr unterstützt der ehemalige Berufssoldat: „In Zeiten des demografischen Wandels muss sich die Bundeswehr an die heutigen Standards anpassen, denn es werden junge Bewerber gebraucht“, sagte der Verteidigungspolitiker kürzlich der Zeitung „Das Parlament“.
Gädechens weiß wovon er spricht: 37 Jahre war er insgesamt bei der Deutschen Marine, diente unter anderem als Truppenfachlehrer, in der Radarüberwachung und war im Führungsdienst eingesetzt. Bevor er 2014 regulär in den Ruhestand entlassen wurde, trug er die Verantwortung für die Schießsicherheit auf den Truppenübungsplätzen Putlos und Todendorf in seinem heutigen Wahlkreis Ostholstein-Stormarn Nord.
Seine liebste Aufgabe in all den Jahren? „Die Tätigkeit als Truppenfachlehrer, aber besonders die Aufgabe als Leiter einer kleinen Dienststelle, bereitete mir große Freude. Wenn man ständig mit jungen Menschen zusammenarbeiten darf, fühlt man sich selber dabei etwas jünger!" Humorvoll, kommunikativ, verbindlich: Gädechens ist ein Kümmerer-Typ – auch in seiner Funktion als Obmann, der als Vermittler zwischen Fraktion und Ausschuss fungiert.
„Gerade als Obmann hat man die Aufgabe die eigene ‚Truppe‘ zusammenzuhalten. Ich bin schon so etwas wie die Mutter der Kompanie“, sagt er schmunzelnd. „Die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass sie jederzeit zu mir kommen können.“ Das galt schon für den Kommunalpolitiker Gädechens: 1988 in die CDU eingetreten, war er unter anderem 13 Jahre Fraktionsvorsitzender im Parlament der Stadt Burg auf Fehmarn, später Vize-Bürgermeister der Stadt Fehmarn und zuletzt stellvertretender Landrat.
Doch auch ein Kommunikator wie Gädechens braucht ab und an Stille. „Innezuhalten, um sich tiefergehende Gedanken zu machen, ist enorm wichtig – aber angesichts der vielen Termine in der Politik fehlt leider oft die Zeit dazu.“ Viel zu selten habe er die Gelegenheit zum Segeln oder einfach zum Spazierengehen, bedauert er.
Im Bundestag jedoch hat er einen Rückzugsraum gefunden: An hektischen Sitzungstagen kommt Gädechens am liebsten in die Bibliothek neben dem Plenarsaal. In den schweren, roten Ledersesseln könne man seine Gedanken ordnen oder ungestört ein Gespräch unter vier Augen führen. „Bei namentlichen Abstimmungen sind hier die Schriftführer am Werk, um die Stimmen auszuzählen. Aber sonst strahlt dieser Raum eine bemerkenswerte Ruhe aus.“
Die Ruhe ist es auch, die Gädechens an Fehmarn schätzt. Die Ostseeinsel ist heute seine Heimat. Davon zeugt die inoffizielle Fehmarn-Flagge, die vor seinem Bundestagsbüro hängt: eine goldene Krone auf blauem Grund. Doch als ihn die Marine vor fast 30 Jahren dorthin versetzte, war er zunächst wenig begeistert: „Meine Frau und ich dachten: ‚Ausgerechnet auf eine Insel sollen wir ziehen? Die Fehmaraner galten seinerzeit in Ostholstein als ‚besonders schwierig‘.“ Dem Ehepaar war klar: „Wir müssen uns einbringen, sonst bleiben wir hier Fremde.“
Während seine Frau schnell zu einer Handballgruppe findet, ist Gädechens zunächst unschlüssig, wo und wie er sich engagieren möchte. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun“, sagt er. In dieser Situation sei er gefragt worden, ob er zur CDU kommen wolle. Es ist der Beginn seiner langjährigen kommunalpolitischen Arbeit. Die sei eine gute Schule für Politiker, findet er: „Anders als in der ‚großen‘ Politik kann man sich in der Kommunalpolitik nicht wegducken. Wenn mich zum Beispiel ein Bürger anrief und sich beklagte: ‚Ingo, die Laterne in unserer Straße ist defekt‘, dann musste ich mich auch kümmern und Abhilfe schaffen, sonst klingelte das Telefon in der nächsten Woche erneut.“ Seine Lehre aus der Kommunalpolitik: „An Taten wird man gemessen, nicht an Worten.“
Mit seinem Dienst unter anderem auf der Radarstation Staberhuk, den er Mitte der 1980er-Jahre antritt, gerät er in das Zentrum des Kalten Kriegs. „Damals verlief die innerdeutsche Grenze unsichtbar auch in der Ostsee. Nato und Warschauer Pakt standen sich unversöhnlich gegenüber. In dieser Zeit überwachten wir an sieben Tagen rund um die Uhr den Ostseeraum, insbesondere den Schiffsverkehr im Fehmarnbelt.“
Mit Schaudern erinnert sich Gädechens, wie er und seine Kameraden damals hin und wieder auf dem Radarschirm auch DDR-Flüchtlinge orteten, die schwimmend oder auf Behelfsbooten in den Westen fliehen wollten.
„Wir haben dann den Bundesgrenzschutz alarmiert und mit angehaltenem Atem auf dem Radar verfolgt, wie so manches Mal ein Wettrennen zwischen den Booten des Bundesgrenzschutzes und der DDR-Grenzpolizei stattfand“, erzählt er. „Es war selten genug, dass DDR-Bürger die Flucht über die Ostsee schafften. Wenn es aber gelang, waren alle überglücklich.“
Wie „grausam“ es ist, „wenn Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, politisch verfolgt oder vertrieben werden“, führte Gädechens kürzlich ein Besuch in einem Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in seinem Wahlkreis vor Augen. Deshalb mahnt er: „Egal, wie groß die Herausforderungen sind und wie berechtigt auch die Klagen aus den Kommunen: Wenn es um Menschen geht, müssen wir menschlich handeln.“ (sas/09.11.2015)