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Die digitale Vernetzung des deutschen Gesundheitswesens wird von Experten als überfällig angesehen. Gesundheits- und Sozialexperten sowie IT-Fachleute sehen in dem sogenannten E-Health-Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/5293) eine grundsätzlich richtige Weichenstellung, jedoch wird über die zeitlichen Abläufe, die Datenorganisation, die Zuständigkeiten und die Kosten gestritten. Die Sicherheit der vertraulichen Patientendaten spielt eine zentrale Rolle, wie die Sachverständigen am Mittwoch, 4. November 2015, in der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) zu dem Gesetzentwurf sowie in ihren schriftlichen Stellungnahmen deutlich machten. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen die Akteure im Gesundheitswesen künftig besser miteinander vernetzt werden und Patientendaten schnell abrufbar sein. Damit sollen auch in Notfällen sichere und effektive Therapien möglich werden. Der Gesetzentwurf enthält Vorgaben, Fristen, Anreize für Ärzte und Sanktionen.
Die elektronische Prüfung und Aktualisierung von Versichertenstammdaten soll nach einer Erprobungsphase ab dem 1. Juli 2016 innerhalb von zwei Jahren flächendeckend eingeführt werden. Damit soll die Voraussetzung für die elektronische Patientenakte geschaffen werden. Ab 2018 sollen die Notfalldaten eines Patienten, beispielsweise zu Allergien oder Vorerkrankungen, auf der elektronischen Gesundheitskarte (e-GK) gespeichert werden können, falls der Patient das wünscht.
Um Therapien für Patienten sicherer zu machen und unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln zu verhindern, sollen Medikationspläne erstellt werden. Sie enthalten alle Informationen über die von einem Patienten eingenommenen Arzneimittel. Mittelfristig soll der Medikationsplan über die e-GK abrufbar sein. Ebenfalls digitalisiert werden soll die Kommunikation zwischen Ärzten sowie zwischen Medizinern und Krankenhäusern.
Sachverständige lobten in ihren Stellungnahmen die ,,Dynamik", die aufgrund der Fristen und Sanktionen von dem Gesetzentwurf ausgehe, und verwiesen auf die langjährigen Vorarbeiten, die kostspielig, aber wenig ertragreich gewesen seien. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) warnte aber davor, in der Telematik ,,Parallelstrukturen" zu fördern, statt erst ein einheitliches Netz zur Datenübertragung zu schaffen.
Finanzielle Anreizsysteme für elektronische Arzt- oder Entlassbriefe dürften erst dann greifen, wenn die Telematikinfrastruktur zur Verfügung stehe. Der Fachverband Bitkom verwies in dem Zusammenhang darauf, dass mit dem KV-Safenet, dem Hausärztenetz, dem Mediverbund und dem von der Firma gevko entwickelten Kassennetz schon Parallelstrukturen bestünden.
Laut GKV-Spitzenverband haben die Krankenkassen bisher als alleinige Kostenträger in der Gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte) bis zu eine Milliarde Euro in das Digitalprojekt samt der elektronischen Gesundheitskarte (e-GK) investiert. Die finanzielle Belastung der Beitragszahler sei nur zu rechtfertigen, wenn es endlich gelinge, die Telematikinfrastruktur zu errichten.
Der Sozialverband VdK gab zu bedenken, dass die neuen Technologien gerade für ältere und chronisch kranke Menschen eine Verbesserung der Lebensqualität bringen könnten, und sprach sich dafür aus, die elektronische Patientenakte verbindlich einzuführen, zumal dies in vielen europäischen Ländern bereits Standard sei. Der geplante Ausbau des Notfalldatensatzes zu einer Mini-Akte könne nur eine Übergangslösung sein.
Nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) sollte der Notfalldatensatz aus Gründen der Datensicherheit nicht als ,,kleine elektronische Patientenakte" in der Regelversorgung zum Einsatz kommen. Stattdessen sollte die E-Patientenakte mit dem Gesetz bereits verbindlich für die Regelversorgung eingeführt werden.
Der Deutsche Pflegerat (DPR) forderte eine bessere Vernetzung auch der nichtärztlichen Gesundheitsberufe, so etwa der Pflegefachpersonen und Physiotherapeuten. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) verlangte, die Geburtshelferinnen als eigenständige Leistungserbringer ,,mitzudenken und mitzufinanzieren".
Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht im vereinfachten Datenaustausch eine Chance auf mehr Effizienz im Gesundheitswesen, wobei die Patientendaten nicht in unbefugte Hände geraten dürften und das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patienten unbedingt zu schützen sei.
Der Verband warnte davor, die digitale Entwicklung politisch zu verschlafen. Im Gesundheitswesen zeichne sich ,,eine Welt der zwei Geschwindigkeiten" ab. Angesichts der Gesundheits-Apps und der Bereitwilligkeit von Menschen, auch persönliche und sensible Daten im Internet auszutauschen, könnten der geschützte Datenaustausch und die Telematikinfrastruktur zunehmend ins Hintertreffen geraten. Nutzer, Patienten und Anbieter gäben derzeit den Takt vor.
Ganz anders wird das vom Bündnis ,,Stoppt die e-Card" gesehen, das die Digitalreform aus ungeklärten Kosten- und Sicherheitsfragen infrage stellt. Die bessere Alternative zum Notfalldatensatz auf der e-GK sei der Europäische Notfallausweis (ENA). Der Papierausweis koste wenig und bleibe in der Hand der Versicherten.
Der elektronische Notfalldatensatz sei hingegen nicht praktikabel gerade im Ausland. Auch für einen Medikationsplan werde keine ,,Datenautobahn" benötigt, denn der sei in vielen Fällen schon ,,gelebte Wirklichkeit". Eine Bündnis-Sprecherin verglich das Projekt mit einem Flugzeug, ,,das ohne Kurs und Landebahn" gestartet wird.
In der Anhörung betonten mehrere Sachverständige, dass es bei dem Projekt zentral auf die Einbindung der Versicherten ankomme, die selbst entscheiden müssten, wem sie welche Daten anvertrauen. Außerdem sei es sinnvoll, sich hinsichtlich der zu erfassenden Daten auf eine allgemeinverständliche Sprache zu verständigen.
Die Experten machten auch deutlich, dass eine rasche Einführung der Medikationspläne und elektronischen Patientenakten die Akzeptanz in die Digitalisierung stärken könne, sofern die Anwendung praxistauglich sei, also etwa auch auf mobilen Endgeräten verfügbar. Hier könnten sogar international neue Standards gesetzt werden, zumal die Bereitschaft auch älterer Patienten, sich auf den modernen Datenaustausch einzulassen, groß sei.
Andere Experten mahnten jedoch, manche älteren oder demente Patienten könnten mit der neuen Technik leicht überfordert sein. Zudem müsse sichergestellt sein, dass die wesentlichen Gesundheitsdaten vollständig sind und nicht von Patienten ,,wie ein Schweizer Käse" ausgelöchert werden. Hierzu sei auch die Hilfe der Apotheker nötig, da der Anteil der Selbstmedikationen beträchtlich ausfalle. Ein Einzelsachverständiger merkte an, die Digitalisierung sei einer der Haupttreiber für den medizinischen Fortschritt. Es würden aber feste Regeln benötigt, um aus dem Segen keinen Fluch werden zu lassen.
Gegenstand der Anhörung waren auch Anträge der Fraktionen von Die Linke (18/3574) und Bündnis 90/Die Grünen (18/6068). Die Linke verlangt, die Gesundheitskarte zu stoppen und stattdessen ,,patientenorientierte Alternativen" zu entwickeln. Die Grünen fordern eine Ausdehnung der Telematikinfrastruktur auf andere Gesundheitsberufe wie etwa die Pflege sowie ein Prüfsiegel für die rund 400.000 Gesundheits-Apps. (pk/04.11.2015)
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