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Die Fraktionen im Bundestag setzen sich für die Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein. Ein Antrag der Koalition (18/6641) zum bevorstehenden deutschen OSZE-Vorsitz im kommenden Jahr wurde am Donnerstag, 12. November 2015, bei Enthaltung der Opposition angenommen, die Anträge von Grünen und Linken (18/5108; 18/6199) scheiterten. Die Abgeordneten der Koalition fordern die Bundesregierung auf, den Schwerpunkt des OSZE-Vorsitzes auf das Krisenmanagement zu legen, vor allem auf die Überwindung der Ukraine-Krise, aber auch auf die weiteren Konflikte im OSZE-Raum (Abchasien, Südossetien, Berg-Karabach, Transnistrien).
Die Linksfraktion hatte unter anderem weitgehende Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsinitiativen gefordert. Auch die Grünen traten für einen „umfassenden Ansatz zur Abrüstung und Rüstungskontrolle im OSZE-Raum“ ein, darüber hinaus jedoch auch für eine Stärkung der in der Helsinki-Schlussakte niedergelegten „menschlichen Dimension“ („Korb III“).
„Wir übernehmen den Vorsitz in stürmischen Zeiten“, sagte Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der Debatte. Die Sicherheitsarchitektur auf dem Kontinent sei mehr als auf die Probe gestellt, weil Russland, einer der OSZE-Gründerstaaten, mit der Annexion der Krim die Unverletzlichkeit der Grenzen in Frage gestellt und verletzt habe. Auch wenn man noch weit von einer Lösung des Ukraine-Konfliktes entfernt sei, gebe es Anlass zur Hoffnung: Der seit zwei Monaten anhaltende Waffenstillstand sei nicht nur Verdienst einiger Außenminister, sondern insbesondere der OSZE mit ihren Gesprächsformaten und ihren Beobachtermissionen.
Es müsse im kommenden Jahr darum gehen, den „Geist von Helsinki“ aus dem Jahre 1975 nicht nur wach zu halten, sondern mit neuen Instrumenten, Foren und vertrauensbildenden Maßnahmen zu erneuern. „Ich weiß, dass die Erwartungen groß sind“, sagte Steinmeier. Niemand könne sagen, welche davon sich erfüllen lasse. Die Erinnerung an Helsinki verpflichte die Deutschland jedoch, diese Aufgabe anzunehmen: „Wir kennen die Zukunft nicht. Aber wir wissen, sie ist offen.“
Katrin Kunert (Die Linke) erinnerte an verpasste Chancen nach dem Ende des Kalten Krieges 1989: „Die OSZE hätte als ein System kollektiver Sicherheit die Nato ersetzen können. Diese Chance ist vertan worden.“ Stattdessen sei die Nato mit ihren neuen Mitgliedern in Osteuropa immer näher an Russland herangerückt – und spätestens seit 2001 sei es zu einer verschärften neuerliche Aufrüstung im Namen des Kampfs gegen den Terror gekommen. „Der Vertrag zur Begrenzung von konventionellen Waffensystemen ist ein einziger Trümmerhaufen“, sagte Kunert.
Konkret müsse es heute zum Beispiel darum gehen, die Kompetenzen der OSZE zur Konfliktverhütung zu erweitern und das OSZE-Forum für Sicherheitskooperation zu einer „Abrüstungsbehörde“ zu erweitern. „Wir fordern einseitige Abrüstungsschritte – notfalls auch gegen den Willen der USA“, sagte Kunert. Dazu gehöre etwa, sämtliche Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen.
Jürgen Hardt (CDU/CSU) wies mit Blick auf die Aufrüstung der russischen Armee die Behauptung zurück, dass die Nato eine Rüstungsspirale antreibe. Auch die Beschlüsse des Nato-Gipfels in Wales 2014 seien keine Aktion, sondern eine Reaktion auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine gewesen. Hardt nannte den KSZE-Schlussakte aus dem Jahre 1975 den wohl „wirkungsmächtigsten völkerrechtlichen Vertrag des 20. Jahrhunderts“.
Wichtigster Schlüssel zur Überwindung der Konfrontation zwischen Ost und West sei damals sei die Vertrauensbildung gewesen und hier gelte es auch mit Blick auf den Ukraine-Konflikt wieder anzuknüpfen. Hardt forderte dafür eine gewisse Öffnung für Gespräche ein: Trotz aller Vorbehalte und trotz der aus seiner Sicht richtigen Sanktionen gegenüber Moskau müsse es bei Treffen im OSZE-Rahmen darum gehen, Einreiseverbote für russische Vertreter aufzuheben.
Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte an die „Sprengkraft“ der Schlussakte von Helsinki, die mit dazu beitragen habe, „Polizeistaaten und Repression“ in Osteuropa nach 1989 zu überwinden. Die Hoffnung auf Freiheit, Demokratie und die Geltung der OSZE-Grundsätze in ganz Europa sei jedoch 2008 in Georgien und noch viel stärker 2014 in Ukraine „durch die gewalttätige Abtrennung und sogar Annexion der Krim und die russischen Aggression im Donbass“ erschüttert worden.
Es stehe die Frage im Raum, warum die selbstauferlegten Regeln der OSZE-Mitglieder nicht gegriffen haben, wie sich solche Regelverletzung künftig vermeiden lassen und wie sie sich womöglich sanktionieren lassen. „Allein das Beharren auf Recht und die Einhaltung von Regeln bedeutet Sicherheit und Vertrauen“, sagte Beck.
Auch Franz Thönnes (SPD) sprach sich für das unbedingte Festhalten an den OSZE-Grundprinzipen aus: Die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Verpflichtung auf friedliche Beilegung von Konflikten, der Gewaltverzicht – „daran gibt es nichts zu rütteln“. Thönnes erinnerte an das gemeinsame Interesse mit Russland, einen gemeinsamen Raum der Sicherheit vom Atlantik bis zum Pazifik zu schaffen.
Ein Mosaikstein dafür wäre, wenn die etwa die EU und Russland in einen regelmäßigen Dialog über ihre jeweilige Nachbarschaftspolitik treten würden – und zwar gemeinsam mit diesen Nachbarn. (ahe/12.11.2015)