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Wissenschaftliche Stellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen nicht mehr in so starkem Maß befristet werden wie bisher. Viele Wissenschaftler an Universitäten müssen mit sehr kurzen Vertragslaufzeiten von lediglich bis zu einem Jahr zurechtkommen. Das soll nun geändert werden. Zu dem Thema "Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses" hatte der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Vorsitz von Patricia Lips (CDU/CSU) am Mittwoch, 11. November 2015, zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen. Überwiegend befanden alle geladenen Sachverständigen, dass eine Novellierung des Gesetzes dringend nötig sei.
Nikolaus Blum, kaufmännischer Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums in München, sagte, es stehe völlig außer Frage, dass das Gesetz novelliert werden müsse, und lobte den Entwurf, da er ein richtiges Maß habe und Flexibilität bei den Stellenlaufzeiten auch weiterhin möglich sei.
Klaus Böhme, Vorsitzender des Bundesfachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di, Bundesvorstand, begrüßte ebenfalls die Neufassung, forderte aber gleichzeitig die Aufhebung der Tarifsperre, da so mehr Verhandlungsräume für die Tarifparteien erhalten bleiben würden. Nach dem momentan vorliegenden Gesetzentwurf soll die Tarifsperre bestehen bleiben.
Matthias Goldmann, Vertreter der Wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen der Geistes- Sozial- und Humanwissenschaftlichen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft, kritisierte: "Eine grundlegende Verbesserung der Karriereperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses ist von dem Entwurf nicht zu erwarten." Dennoch könne er dem Entwurf im Einzelnen viele positive Effekte abgewinnen. Gleichwohl forderte er die Anhebung der höchstzulässigen Befristungsdauer von zweimal sechs Jahren, also maximal zwölf Jahre, auf 14 Jahre.
Professor Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sagte, dass die HRK mit Erleichterung zur Kenntnis genommen habe, dass durch den vorgelegten Entwurf die in der Wissenschaft bei der Beschäftigung und Befristung von wissenschaftlichen und künstlerischem Personal in der Qualifizierungsphase und in den drittmittelfinanzierten Projekten erforderliche Flexibilität nicht beeinträchtigt werde. Selbstverständlich solle die Befristungspraxis der Hochschulen Transparenz und Verlässlichkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs gewährleisten - aber nicht im Sinn einer Garantie auf einen Karriereweg, denn die könne in der Wissenschaft nur durch Bestenauswahl gewährleistet werden.
Andreas Keller, Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, betonte, dass die Wissenschaftler "verlässliche Karrierewege" bräuchten und regte ein Minimum der Befristung von drei Jahren an. Er sagte: "Die Karrierewege an deutschen Hochschulen sind lang, steinig und unberechenbar."
Ludwig Kronthaler, Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Allianz der Wissenschaftsorganisationen, sagte, die Novellierung des WissZeitVG - die er als "sachgerecht" und "umsetzbar" bezeichnete - sei nur ein Baustein, um insgesamt bessere Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen. Das sei das Kernthema. Ähnlich wie Hippler argumentierte auch Kronthaler: "Das oberste wissenschaftliche Ziel sei die Ausbildung von Exzellenzen." Da könne man keine Kompromisse dulden. Aber es müsste für die Besten auch attraktiv sein, in diesen Wettbewerb zu treten.
Antonia Kühn, Leiterin der Abteilung Hochschule, Wissenschaft und Forschung beim Deutschen Gewerkschaftsbund Nordrhein-Westfalen forderte, dass Daueraufgaben auf Dauerstellen gebracht werden müssten. Zudem sollte den Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein Sonderbefristungsrecht ausschließlich für Qualifizierungsstellen eingeräumt werden.
Professor Ulrich Preis, Geschäftsführender Direktor Universität zu Köln, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, der am ersten WissZeitVG mitgearbeitet hatte, kritisierte den vorliegenden Entwurf. Er werde in der Praxis das Problem der sehr starken Befristungen nicht lösen. Preis schlug konkrete Formulierungsänderungen vor, um weiten und unter Umständen vom Gesetzgeber auch anders intendierten Auslegungsmöglichkeiten einen Riegel vor zu schieben.
Professor Peter Strohschneider Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, lobte im Grundsatz die Novellierung, wenn er auch Detailkritik anbrachte. Grundsätzlich sagte er über das Wissenschaftssystem: "Es muss einen dritten Weg jenseits eines Aufstiegs auf eine Professur oder einem Ausstieg aus dem Wissenschaftssystem geben." Zudem forderte er, die Grundlagenfinanzierung der Universitäten zu verbessern.
Anna Tschaut, Bundesvorsitzende THESIS e. V. - Interdisziplinäres Netzwerk für Promovierende und Promovierte, kritisierte wie auch andere Sachverständige, dass die im vorliegenden Gesetzentwurf verwendeten Begriffe der "Qualifikation" und "Angemessenheit der Vertragsdauer" zu unbestimmt blieben.